Die Eifel und die blinde Wut - Angelika Koch - E-Book

Die Eifel und die blinde Wut E-Book

Angelika Koch

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  • Herausgeber: GMEINER
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

Werner Baltes ist Landei aus Überzeugung, Ehemann, Musikliebhaber und Kriminalhauptkommissar in der Eifel. Aktuell kuriert er einen Burnout aus. Um einen Rückfall zu vermeiden, nimmt er sich einen alten ungelösten Fall vor, der es ihm leicht macht, eine gewisse Distanz zu halten - denn das Opfer, ein umstrittener Kommunalpolitiker, war ihm nicht sympathisch. Dessen Tod beherrschte einige Zeit die Lokalblätter, nachdem seine Leiche in kleinen, aber unfeinen Portionen in Eifler Müllcontainern aufgefunden worden war …

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Angelika Koch

Die Eifel und die blinde Wut

Kriminalroman

Zum Buch

Eiskalt entsorgt Nach einem Burn-out und Reha soll Kommissar Werner Baltes in den Polizeialltag zurückkehren. Ehefrau Vera findet das gar nicht gut und macht sich Sorgen. Aber er bekommt einen alten, ungelösten Fall ohne Dringlichkeit auf den Tisch: Fünf Jahre zuvor wurde der Kommunalpolitiker und Vollblutpopulist Timotheus Nippes in kleinen, äußerst unfeinen Portionen in Eifeler Müllcontainern aufgefunden. Nippes war Hassobjekt in den sozialen Medien und Liebling der Zeitungen. Baltes fühlt keinerlei Sympathie für das Opfer, wühlt sich jedoch beharrlich durch einen Dschungel an Motiven. War der Mord die Rache für politische Ränke, geschah er aus enttäuschter Liebe, gab es einen Anlass aus uralten Zeiten? Der Kommissar lernt auf der Suche nach dem Täter mehr über die menschlichen Abgründe, als ihm lieb ist – auch über die eigenen. Schließlich muss er über seinen Schatten springen.

Angelika Koch studierte Soziologie, Linguistik und Philosophie an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Seit über dreißig Jahren ist die Eifel ihre Wahlheimat. Hier arbeitet sie als Journalistin für Zeitungen und Zeitschriften, ferner veröffentlichte sie Reiseführer über Eifel und Moselland. Im Gmeiner-Verlag erschien zuletzt ihr Buch „Eifel für Fortgeschrittene – Die Wahrheit über Deutschlands wilden Westen“ mit Reisereportagen der ganz anderen Art zu Land und Leuten.

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Sven Lang

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Screeny / photocase.de

ISBN 978-3-8392-6902-2

 

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Habe ich das verdient? Ich weiß es nicht, vielleicht. Früher, viel früher, da hätte ich vielleicht geglaubt, dass ich es verdient habe. Jetzt finde ich in mir kein Bedauern. Wozu auch? In Filmen zieht in so einem Moment das ganze Leben an einem vorüber. Das ist natürlich Quatsch. Nichts zieht an mir vorüber. Ich bin nicht mehr der Jüngste und ich sehe schlecht. Sehr schlecht. Ich werde bald Hilfe brauchen. Wie ich das hasse!

Die Arme tun mir weh, die Knie, die Hüften, ich habe Durst. Ich mache mir gleich in die Hose. Es ist so schwer, nur durch die Nase zu atmen. Man muss in den Schmerz hineinatmen, habe ich mal gelernt, aber das funktioniert nicht. Wie lange sitze ich hier schon und bin auf diesem beschissenen Stuhl festgebunden? Stunden? Oder nur Minuten? Hier ist es dunkel … Ist es draußen noch hell? Am Anfang habe ich nichts gespürt, da hatte ich echte Angst. Wäre fast erstickt. Aber keine Zeit, um auf den Körper zu achten. Jetzt hocke ich hier allein. Und es ist so still. Ich muss noch auf dem Hof sein. Ich hätte es doch gemerkt, wenn der mich weggebracht hätte. Was war zuletzt? Was war noch mal zuletzt? Die Küsterin wollte kommen, das weiß ich noch. Eine Nervensäge. Ich habe ihr gesagt, dass ich keine Zeit habe. Immer will sie Spenden für Blumenschmuck für die Kapelle, jedes Mal. Habe mich breitschlagen lassen, aber sie ist dann doch nicht gekommen. Und dann? Dann bin ich raus, wollte zum Hochsitz neben dem alten Koben. Die Leiter muss repariert werden … Ja, genau, ich habe noch den Werkzeugkasten in den Schubkarren gepackt. Und dann? Irgendwas war da, ein Geräusch, ich glaube, ein Auto. Dann hört’s auf. Ich weiß nichts mehr. Ich weiß es nicht, verdammt, ich weiß es nicht mehr.

Wo hat der mich versteckt? Bleibt eigentlich nur der alte Eberkoben. Aber es stinkt nicht. Der Eber ist seit Ewigkeiten weg. Das geht heute alles künstlich, Sauen brauchen die Natur nicht, schon lange nicht mehr. Man muss mit der Zeit gehen. Hat aber auch nichts geholfen.

Wenn dieser Clown mich umbringen wollte, hätte er es schon getan. Klar, das hätte er. Der will mir nur einen Schrecken einjagen. Vielleicht ist er längst über alle Berge. Vielleicht findet mich bald jemand. Man wird mich vermissen … Ja, doch, irgendwer wird mich vermissen. Nicht so von Herzen. Aber merken, dass ich fehle. Dass mir irgendwas zugestoßen sein muss. Es kann nicht mehr lange dauern.

Allein dieser idiotische Aufzug. Knallorangerote Kluft, unförmig. Wie ein Müllmann. Ja, genau so. Und ein Motorradhelm auf. Ich glaube, ich kenne den. Sonst wäre es doch vollkommen überflüssig, sich so zu verkleiden. Ja, bestimmt, es ist jemand, der es mir heimzahlen will. Und jetzt traut er sich nicht weiter. Lässt mich hier schmoren. Oder kann es eine Frau sein? Keine Ahnung, hat ja keinen Mucks von sich gegeben. Ist bestimmt schon abgehauen. So einer ist das. So wie alle, erst den großen Zampano raushängen lassen und sich dann verpissen. Typisch.

Ich bin nicht so. Ich bin geradeaus. Wenn ich was anfange, dann bringe ich es auch zu Ende. Hat mir nicht nur Freunde eingebracht, klar. Aber geht es darum im Leben? Nein, natürlich nicht. Um Respekt geht es.

Ich höre nichts. Die Esel haben nicht Laut gegeben. Seltsam. Die schreien sonst immer, wenn jemand Fremdes kommt. Die Gäste finden das romantisch. Wandern mit Esel und Streichelzoo. Die halten das für Landleben. Was soll daran romantisch sein? Die spinnen doch alle. Wieso kommt die Kleine nicht und holt mich? Oder ist die auch … Ich kriege verdammt noch mal keinen Ton raus, dieses Gewimmer wird niemand hören. Hat keinen Sinn. Ich habe Durst.

Wer macht so was? Und warum? Meine Leute können es nicht sein, die scheiden von vornherein aus. Die haben doch alle was davon, dass ich den Laden auf Vordermann gebracht habe. Da ist keiner leer ausgegangen. Die müssen spuren, sicherlich, aber die wissen genau, wofür. Die haben das selbst so gewollt. Jeder von denen. Kommt mir bloß nicht und jammert! Hättet ja alles anders machen können und besser. Wenn ihr gekonnt hättet. Könnt ihr aber nicht. Oder? Alles Weicheier. Die würden das hier auch nicht zu Ende bringen. Nicht einmal anfangen würden die so was.

Kann sein, dass meine Alte mir so was an den Hals gewünscht hätte. Geguckt hat sie manchmal so. Aber den Mund gehalten. Respekt hatte die. Und die Kleine eigentlich auch. Die wusste ja, was sie getan hat damals. Die weiß genau, dass sie spuren muss. Bis heute weiß die das. Gut, sie ist mal abgehauen. Ist aber zurückgekommen. Und warum kommt man zurück, wenn man doch wegbleiben kann? Genau! Weil man weiß, wo sein Platz ist. Und wer man ist. Das habe ich ihr beigebracht. Will sie zwar nichts von wahrhaben, aber trotzdem.

Ich habe Angst. Quatsch. Habe ich nicht. Wenn die Kleine auch … Nein, bestimmt nicht, die ist clever. Habe ich ihr sogar geschrieben, noch vor Kurzem, als ich die Diagnose gekriegt hab. Wenn ich hier rauskomme, dann rede ich mit ihr darüber, versprochen. Über alles. Muss ja gar nicht warten bis nach meinem Tod, ich sag ihr das hier und jetzt. Versprochen. Man kann nur das weitergeben, was man selbst bekommen hat, weiß man doch. Sie wird das verstehen. Kennt mich doch, bin doch ihr Papa. War noch nie ein Mann schwülstiger Worte. Mir wurde beigebracht, das Maul zu halten, Sentimentalitäten bringen doch nichts. Die helfen mir auch jetzt nicht weiter. Wer macht so was?

Der Pole, dem würde ich das zutrauen. Als ich den vom Hof gejagt hab, da hat er mich verflucht. Richtig abergläubisches Zeug. Die sind da drüben auf eine Art katholisch, da schüttelt man nur den Kopf. So wie hier vor zig Jahrzehnten. Oder Jahrhunderten. Aber hier hat sich was bewegt. Ich habe was bewegt, klar. Das auch. Eigentlich kann ich stolz drauf sein. Bin ich auch. Aber der Pole? Lebt der überhaupt noch? Das ist lange her, der wird das vergessen haben. Es fällt einem doch nicht nach zig Jahren ein, dass man da gern mal wen … Quatsch.

Vielleicht ist es doch irgendein Irrer. Vielleicht kennt der mich gar nicht. Gibt ja so Sadisten, das Internet ist voll von dem Zeug. Ich lese das gar nicht. Irgendwer hat neulich gesagt, dass die es auf mich abgesehen haben. Hass-Posts und so was. Wegen dem Müll … immer noch. Hört das denn nie auf? Wie kann man sich in etwas so verbeißen? Alles Trottel! Deswegen diese orangene Montur? Quatsch. Hunde, die bellen, beißen nicht. Verdammt, dieses Klebeband … Ich muss stillhalten. Das geht gleich vorbei. Da kommt jemand.

Luft! Atmen! Ich wusste es doch, jetzt noch die Arme … Komm schon, beeil dich.

Was … was willst du?

Du?

Ich glaube es nicht. Du? Komm, wir vergessen das hier, versprochen. Ich vergesse alles, ich schwöre.

Nein, ich will das nicht. Du kannst mich nicht zwingen. Es reicht jetzt, hörst du!

Dieser Klang … ein wenig stockend erst und zart, dann voller Inbrunst, dazu ein leichtes Stöhnen des Pianisten, ein kaum hörbares Knarzen, vermutlich vom Klavierhocker. Er liebte sie so sehr, diese Aufnahme »The Köln Concert«. Und noch mehr liebte er es, dass seine Frau ihm in vollendeter Harmonie zu Keith Jarretts Spiel den Rücken massierte. Mit geschlossenen Augen lag Kriminalhauptkommissar Werner Baltes bäuchlings auf dem Bett, nackt, und seine Vera hockte genauso nackt auf seinem Hintern. Kein Leistungsdruck, nichts. Mit den Tabletten, die er nun schon seit einem Jahr nahm, war er sowieso zu nichts fähig außer zu wohligem Brummen. Sie wussten das beide und es war nicht schlimm. Er atmete tief ein, der Duft von Lavendelöl stieg ihm in die Nase. Dahindösen, sich ins Nichts streicheln lassen von ihren sanften und doch zuverlässigen Bewegungen … Beinahe gelang es.

»Sag mal …«, murmelte er ins Kopfkissen.

»Schschsch, willst du wohl still sein!« Sie klang wie eine Mutter und griff ihm entschlossen in den Nacken. »Du hast Feierabend, verstanden?«

Er fügte sich sofort. Sie hatte ja recht. Vier Stunden Arbeit pro Tag, mehr nicht, und die waren um. Aber woher wusste sie, dass da doch wieder dieses Bild vom Müllcontainer vor seinem inneren Auge aufgetaucht war? Zwanzig Jahre Ehe und man hatte keinen eigenen Kopf mehr. Als wären seine eigenen Synapsen mit ihren verdrahtet. Schon rein äußerlich hatten sie sich einander im Lauf der Zeit angeglichen, als wären sie zweieiige Zwillinge, beide eher drahtig als pummelig, wie es mit Mitte fünfzig vielleicht normaler gewesen wäre. Beide standen zu ihrem grauen Haupthaar, wenngleich ihres zu einem mehr als schulterlangen Zopf geflochten war. Beide mit modischer Brille und einer Vorliebe für unprätentiöse sportliche Klamotten. Damit wagten sie sich sogar in die Symphonie nach Köln, um Lang Lang zu hören. Bei ihnen war keine Spur von traditionellem Landei, das es konservativ mag … Sie standen etwas quer im Eifeler Stall, wie die Nachbarn meinten, die auf ihre Katzen aufpassten, wenn die Baltes’ ihren Winterurlaub auf Norderney verbrachten. Und vielleicht hatte dieses Querstehen ihm das Leben gerettet oder im Gegenteil dazu beigetragen, dass er eines Tages einfach nicht mehr weiterkonnte. Er wusste es nicht, trotz seiner vierzehntägigen Therapiesitzungen bei einem Psychologen, die nach der Entlassung aus der Rehaklinik auf seiner To-do-Liste standen.

Rückblickend musste er sagen: Es hatte lange vorher schon Anzeichen gegeben und er hatte sie alle übersehen. Er war niemand, der jammerte. Er stand stramm und fand, das müsse so sein. Aber jede Nacht nur drei Stunden durchschlafen, bis sich sogar die belanglosesten Routinefälle in seinen Dämmerzustand fraßen … die Reizbarkeit gegen seine Kollegen und gegen Vera, die ihn vergeblich zu entspannenden Konzertbesuchen überreden wollte … die Unfähigkeit, sich auf irgendetwas zu konzentrieren – nicht einmal die hundert Quadratmeter Rasen hinterm Haus konnte er am Stück mähen. Es gab unerklärbare Wechsel zwischen Appetitlosigkeit und Heißhunger und eine merkwürdige Unlust beim Joggen, keine Spur mehr von läuferischer Leichtigkeit. Als ob er immer atemlos bergauf rennen müsste. Er wusste jetzt, es konnte jeden treffen, tröstlich irgendwie.

Und dann dieser Tag, der das Stoppschild setzte. Diese provisorische Verkehrsführung in Daun kannte er doch: zwei Supermarkteinfahrten einander vis-à-vis, unmittelbar an der Autobahnzufahrt und Bundesstraße in Personalunion, ohne Abbiegespuren, Kreisel, Ampel oder sonstiges Beiwerk, das im Berufsverkehr ein Entkommen von den Supermarkt-Parkplätzen erleichtert hätte. Man war eingekeilt zwischen Einkaufswagen, Kinderwagen, Rollatoren und vor allem zwischen Autos, deren Insassen vermutlich auf ihre sogenannte defensive Fahrweise stolz waren. Manchmal wagte eine gefühlte Viertelstunde lang keiner der an vorderster Front abbiegewilligen Fahrer, sich beherzt in den auf der Bundesstraße fließenden Verkehr einzufädeln. Insbesondere junge Mütter und Omas, fand Werner Baltes in einem Anfall von untypischem Machismo, sollten allesamt am Nürburgring ein Rallyetraining absolvieren, zwangsweise. Er hatte sich auf Platz vier der automobilen Warteschlange vorgekämpft, vor ihm ein wuchtiger SUV mit den widersprüchlichen Botschaften am Heck, dass ein süßer Schnullerträger namens »Paul« an Bord war und dass man »Böhse Onkelz« toll fand. Er hatte Eis gekauft, für das Terrassenvergnügen mit Vera. Das Gefrorene der Sorte Eierlikör-Vanille war keins mehr, sondern matschige Soße. Er schlug aufs Lenkrad. Er brüllte: »Fahr los, verdammt noch mal, du Arsch mit Ohren!« Eine innere Stimme, die sehr nach Veras melodischem Alt klang, raunte: »Du kannst doch nicht …« Eine andere innere Stimme, die sehr nach Werner Baltes im Alter von drei Jahren klang, schnaubte: »Kann ich wohl!« Dann gab er Gas, schlitterte an mehreren vor ihm stehenden Wagen vorbei und hinein in einen Kombi mit einem niederländischen Touristenpaar samt Hund, der in Richtung Autobahn unterwegs war. Seine Kollegen vom Streifendienst nahmen sich der Sache an. Zum Glück hatten die Niederländer nur ein verstörtes Tier und Blechschaden. Mehr war nicht passiert. Bei seinem eigenen Auto hingegen lagen die Trümmer eines Kotflügels auf dem Asphalt. Dafür war etwas anderes neu: die Erkenntnis, es geht nicht mehr, Pausenzeichen für viele, viele Monate. Er wehrte sich nicht mehr.

Feierabend. Baltes drehte den Kopf zur Seite, damit er besser atmen konnte. »Wenn ich dich nicht hätte, Vera.«

Die knetete jetzt vehementer, sodass die perlenden Klaviertöne von ihren Kniffen überlagert wurden. »Hast mich aber. Tut dir das schon leid?«

»Nee. Noch nicht. Wenn du allerdings so weiterfolterst …«

»Das. Ist. Gesund«, entgegnete sie und unterstrich jedes Wort mit einem zusätzlichen Druck auf seine Schultermuskulatur. »Außerdem habe ich keine Lust, dich irgendwann im Knast zu besuchen, weil du dich beim nächsten Mal nicht damit begnügst, Parkplätze umzupflügen, sondern Geiseln nimmst.«

»Tue ich nicht«, versprach er und legte sein Gesicht wieder auf dem Kissen ab. Aber so dick, dass es seine Ohren bedecken würde, war es leider nicht.

»Du verspannst dich schon wieder, das merke ich doch.« Sie ächzte leicht bei ihrem Tun, er konnte ihre schaukelnden Bewegungen auf seinen Pobacken spüren. Etwas regte sich in ihm, ebbte aber sofort wieder ab. Die Serotoninwiederaufnahmehemmer leisteten ganze Arbeit. »Und das Leben ist zu kurz, um es mit Müll zu verbringen«, mahnte sie. Sie kannte den Fall, an dem er zurzeit saß, um sich allmählich wieder an die Arbeitswelt zu gewöhnen. Er hatte ihr immer erzählt, was ihn beschäftigte, fast immer jedenfalls und zumindest in groben Zügen, obwohl er es nicht durfte. Aber er wusste, dass es seine Kollegen mit der Verschwiegenheit nicht anders hielten. Ohne darüber reden zu können, wäre er wohl schon viel früher ausgerastet. Ausrasten, das war es gewesen, und er schämte sich dafür, obwohl sein Therapeut sagte, es sei die Antwort einer gesunden Seele auf krankmachende Umstände. Wo kämen wir hin, wenn jeder so vermeintlich gesund antwortete, fragte er sich.

»Stimmt nicht«, brummte er gedämpft in die Daunenfüllung des Kissens hinein. »Iffbimi emschbammunk ssselbss.«

»Du sollst mit vollem Mund nicht reden, mein Schatz.«

Baltes bemühte sich. »Ich. Bin. Total. Entspannt.«

Vera hielt inne. »Lügner. Ich sollte dich züchtigen.«

»Mmmpff«, entgegnete ihr dahingestreckter Gatte. »Wuschtichsdoch. Fffrauensingefääälich.«

»Ich werde gefährlich, wenn du so weitermachst.« Sie gab ihm einen Klaps auf den Oberarm. »Der Fall setzt seit mehr als fünf Jahren Staub an, Schatz. Die SOKO hatte keinen Erfolg, das LKA hat ihn nicht gelöst, nicht einmal Aktenzeichen XY hat was gebracht. Niemand erwartet von dir, dass du jetzt einen Täter aus dem Hut zauberst. Du sollst dich nur behutsam wieder an den Arbeitsalltag gewöhnen, nicht mehr, nicht weniger.«

Damit war Baltes nicht allein. Das ganze Land musste sich wieder daran gewöhnen, nach all den Wochen Ausnahmezustand dank eines kleinen, mit kronenförmigen Ausbuchtungen versehenen Virus. Die Menschen standen jetzt wieder nah beieinander, zwar noch immer mit Mundschutz, aber ohne nach Gummi riechende Einmalhandschuhe. Desinfektionsmittel gab es in den Supermärkten zu Schleuderpreisen und keiner wollte Dosensuppen oder Nudeln kaufen. Vermutlich hortete man das Zeug palettenweise im Keller, wo es verstauben würde, bis vielleicht ein späterer Archäologe aus den versteinerten Resten Rückschlüsse auf eine geheimnisvolle Katastrophe schließen würde. Die Spuren würden so schnell nicht ausradiert sein. Vor allem nicht die in den Köpfen. Baltes fühlte sich mit seiner verletzlichen Langsamkeit nicht mehr allein. Seine ganz eigene Krankheit war ihm ein früher Lehrer gewesen, er hatte früher als andere das Rüstzeug gehabt, mit der verordneten Innerlichkeit etwas anzufangen. Der wochenlange Zwangssonntag war für ihn nicht der entlarvende Leerlauf einer antrainierten Unersättlichkeit gewesen, der nur mit Ablenkung beizukommen war. Sie hatte ihm den Blick geschärft, er hatte ganz neue Fragen. Baltes war voller Tatendrang. Er befreite seinen Mund. »Deine Massagen wirken Wunder.«

2

Manche Dinge fangen ganz banal an. Und es gibt fast nichts Banaleres als Essensreste, die man nach der Mahlzeit vom Teller in den Mülleimer wischt, oder ausgequetschte Teebeutel oder das schon leicht angetrocknete Dosenfutter, das die Etepetete-Katze nicht mag. Kurzum, Biomüll ist trivial, stinkt und man will ihn schnellstmöglich loswerden.

So ging es an einem Augustabend, lange vor Werner Baltes’ Ausraster, auch Melanie Wollmer. Sie hatte für sich, ihren Ehemann Mirco und die dreizehnjährigen Zwillinge gekocht. Es sollte etwas Besonderes sein, denn kürzlich hatte sie auf eine Halbtagsstelle im Seniorenheim Sonnenhang gewechselt und nun mehr Zeit. Melanie war überzeugt: Jetzt fängt das Leben an, jetzt kann sie auch etwas für die Gesundheit tun. Nicht nur für die ihrer Patienten. Die waren zwar irgendwie auch alle lieb, die meisten jedenfalls, außer Herr Mayer. Der war aggressiv in seiner Demenz und grapschte, was sie lästig fand. Deswegen hatte sie ihm schon manches Mal auf die Finger geschlagen. Aber für sich selbst und die eigene Familie etwas zu tun, das war schon anders. Sie hatte Rosenkohl in buttriger Mandelsoße auf dem Plan gehabt, dazu selbst gemachtes Kartoffelpüree und nichts Angerührtes aus der Tüte. Die Kinder sollten lernen, wie gut es schmeckt, wenn es mal etwas anderes als Pizza oder Burger gab. Mirco vor allem musste abnehmen, er wog mehr als hundertzwanzig Kilo.

Das Mahl verlief schweigsam. Die Kinder trollten sich Richtung Kühlfach und holten sich eine extra pappige Pizza raus, American Style. Mirco hielt sich tapfer und meinte, sein Kumpel Tom habe Grillabend. »Habe ich beinah vergessen … tschö!« Melanie hörte, wie er die Haustür zuknallte. Sie kaute auf einem Bissen Rosenkohl herum und musste zugeben, es schmeckte … nach nichts. Bestenfalls. Das Püree dagegen wies leichte Schmauchspuren auf. Sie seufzte, stapelte die Teller und schob die klebrige Masse in eine papierene Biomülltüte, welche wiederum in ein neongrünes Henkeleimerchen eingebettet war. Das ganze Konstrukt sollte dazu dienlich sein, den häuslichen Essensabfall zu Fuß oder mit dem Auto zu einem Sammelcontainer am Dorfende zu verfrachten. Einmal wöchentlich wurde der große schwarze Container geleert.

Das System war neu in der Gegend, vorher hatten manche Haushalte eine eigene braune Biotonne. Die meisten jedoch, das wusste Melanie, kippten alles einfach in den Restmüll. Jeder tat, wie er wollte, und keiner verschwendete einen Gedanken an die Entsorgung der eigenen Hinterlassenschaften. Bis irgendwelche Juristen oder Politiker auf die Idee kamen und etwas neu geregelt haben wollten, so ganz blickte Melanie nicht durch. Und nun pilgerte man seit einigen Wochen vorzugsweise abends in der Dunkelheit zum Sammelcontainer, um den eigenen matschigen Abfall zu dem bereits vorhandenen zu geben. Sie mochte es sogar, in der Abenddämmerung noch ein bisschen rauszukommen. Sie schnappte sich das Eimerchen, als die abendlichen Amselgesänge allmählich verstummten, die Zwillinge in irgendeinem Computerspiel versackt waren und Mirco wohl immer noch mit Tom am Grill stand. Oder Bier trank.

Alles war still auf der Straße, niemand außer ihr war unterwegs. Doch hinter den Hecken konnte sie in manch einem Garten Gelächter und klirrende Gläser hören. Irgendwer hörte Musik, auf volle Lautstärke gestellt, vermutlich Sascha. Er verbarrikadierte sich stets nach Feierabend in der Einliegerwohnung seiner Eltern und dröhnte sich zu mit irgendetwas, das für Melanies Ohren wie eine Mischung aus Laubbläser und Kolbenfresser klang, aber Sascha sagte »geile Mucke« dazu. Wenn er mal vor die Tür trat und ansprechbar war.

Melanie ging weiter, am Sportplatz vorbei zum Wendeplatz einer einsamen Sackgasse, auf dem der Glascontainer und seit Neuestem der Biomüllcontainer das Wenden zu einem erratischen Manöver machten. Aber der Gemeinderat hatte beschlossen, alles, was auch nur entfernt nach Wegwerfbarem aussah, aus der Dorfmitte zu verbannen. Eine energiesparende Straßenlaterne schickte ihr rötliches Licht auf den Weg. Wäre Daun eine Großstadt, Melanie hätte vielleicht Angst vor fußläufigen Ausflügen in eine derart schummrige Gegend, aber es war ihr Dorf. Heimat halt. Hier passierte nie etwas Schlimmes außer den obligatorischen Handgreiflichkeiten nach dem österlichen Junggesellenfest. Aber das gehörte einfach dazu: Erst füllten die Unbeweibten eiserne Wagenräder mit Stroh, steckten sie in Brand und schubsten das flammende Inferno die steile Wiese von Bauer Häb runter. Dann aßen sie Rührei mit Speck, kiloweise sogar, schließlich hatten die Jungs zuvor der Tradition entsprechend Eier im Dorf gesammelt. Und jeder gab gern und reichlich, weniger als zehn gespendete Eier pro Haushalt wären als Geiz ausgelegt worden. Wer die brachiale Cholesterinzufuhr unbeschadet überstand, kippte ausreichend Stubbis mit Bitburger Bier hinterher – fertig war die enthemmende Mischung. All das war Melanie zutiefst vertraut, nichts Bedrohliches fand sie daran.

Da war das, was aus der offen stehenden Klappe des Biomüllcontainers ragte, schon eher unheimlich. Es hatte Haare … drahtige dunkle Borsten. Es hatte Zähne, gebogene gelbliche Hauer. Es hatte stumpfe Augen, die den Schein der Laterne nicht widerspiegeln konnten.

Melanie ließ ihr Eimerchen fallen, die Papiertüte mit dem missglückten Abendessen rutschte raus und verteilte ihren Inhalt auf dem Asphalt.

»Scheiße!«, brüllte sie und meinte gleich beides: ihr Malheur und den leblosen Wildschweinkopf im Container. »Wer macht denn so eine Scheiße!« Dabei hatte sie sofort einen Verdacht. Sie wusste um die Proteste gegen die Einführung der Biomüllcontainer, die seit einigen Wochen die Eifel in Wallung brachten. Es gab eine Gruppe in den sozialen Medien mit unermüdlichen, bisweilen jeglicher Rechtschreibung spottenden Aufrufen, es »denen da oben« zu zeigen – und sei es, indem man Biomüll vor die Haustür der Verantwortlichen kippte oder eben die Containerstellplätze in Müllhalden verwandelte. Der Ton wurde rauer und angriffslustiger. Sogar eine Handvoll bekennender Reichsbürger hatte sich der Gruppe angeschlossen und postete, dass sich am Container nun deutsche Senioren mit Stöcken gegen marodierende Ratten zur Wehr setzen müssten – mal wieder ein Verrat am Volke. Woher sie ihre Informationen hatten, blieb schleierhaft, denn die Profile offenbarten Wohnsitze weit jenseits der Eifeler Berge. Andere nannten es einen lebensgefährlichen Angriff auf unschuldige Allergiker, denn auch Wespenschwärme fanden sich ein. Im Dorf machten sich einige über die Protestler lustig, andere wiederum empfanden sie als Speerspitze berechtigter Wut gegen unliebsame Entscheidungen über alle Köpfe hinweg. Alle schienen sich einig zu sein, dass es Wichtigeres und Appetitlicheres als die Entsorgung der eigenen Abfälle gab. Aber insgesamt hatte das Ganze eine buchstäblich anrüchige Fahrt aufgenommen. Nicht jeder nahm die Sache so gelassen wie Melanie. Ihre Kids jedenfalls fanden die Sache cool, endlich war mal was los im Dorf.

Aber das hier geht eindeutig zu weit, dachte Melanie. Sie war keine Helikoptermami, die ihre Brut einer Rund-um-die-Uhr-Überwachung aussetzte und mit dem Auto bis ins Klassenzimmer chauffierte. Ihre Kinder waren sicher nicht übermäßig zart besaitet, hatten keine Allergien und waren ordnungsgemäß gegen alles geimpft, was der Hausarzt empfohlen hatte. Aber die Vorstellung, dass sie beim Müllwegtragen auf einen Kadaver stießen, der mit den gefährlichsten Viren und Bakterien besiedelt sein mochte, ließ sie erschaudern. Sie holte ihr Handy aus der Hosentasche und wählte die Nummer von Theo, ihrem Nachbarn, der – welch ein Segen – zugleich der für ihr Dorf zuständige Beamte der Polizeiinspektion in Daun war. Sie hoffte, dem Schuldigen würde ein saftiges Bußgeld drohen. Es gab weit und breit nur einen Jäger, dem sie zutraute, Wildschweinköpfe zu horten. Er war für seine stattliche Trophäensammlung bekannt. So etwas Makabres wäre bei ihr niemals als Raumdekor im Wohnzimmer gelandet. Auch dann nicht, wenn Mircos vier Meter breiter Curved-Bildschirm Platz für so etwas gelassen hätte. Sie mochte den Jäger sowieso nicht, der am Stammtisch von Fortschritt redete und sich Forstgebiete unter den Nagel gerissen hatte, um sie an Windenergiekonzerne zu verpachten. Ein profitables Geschäft, angeblich. Sie hatte Mitleid mit den Tieren, zugleich jedoch schwang eine große Portion Resignation mit. Als kleines Rädchen im Getriebe konnte sie sowieso nichts ausrichten. Sollten die da oben machen, was sie wollten. Hauptsache, der Alltag war wie immer und so ein blutrünstiger Dreck wie dieser kam weg.

Aber der Wildschweinkopf stellte sich als Auftakt einer Serie bizarrer Funde dar. Tage später wurden in einem Container im Nachbardorf meterlange, wenig appetitlich riechende Gedärme entdeckt, diesmal vom Rehwild. Und auch dabei blieb es nicht.

*

Der Platz war mit rot-weißem Flatterband abgesperrt. Ein halbes Dutzend Menschen ging umher. Sie wirkten in ihren weißen Schutzanzügen und mit ihren Kapuzen wie geschlechtslose, misstrauisch den fremden Planeten Erde beäugende Besucher aus dem All. Sie gingen mit behutsamen Schritten umher, bückten sich, fotografierten, klaubten mit Pinzetten winzige Teilchen von was auch immer vom Asphalt, stellten kleine nummerierte Schilder auf und murmelten ab und zu kaum verständliche Sprachmemos in Diktiergeräte. In der Mitte des Platzes stand ein orangefarbener Müllwagen, beide Fahrertüren waren weit offen, nebendran befanden sich zwei Biomüllcontainer in trauter Eintracht, denn Netteseifen war ein großes Dorf – hier kam man mit einem nicht aus. Unschön war, dass der Inhalt eines Containers ausgekippt war, fein säuberlich drapiert und entzerrt auf einer großen Plastikplane.

Jenseits des Flatterbandes, schon halb auf dem Hof der ehemaligen Netteseifener Grundschule, parkten mehrere blau-weiße Polizeifahrzeuge, ein BMW mit Trierer Kennzeichen und zwei Krankenwagen. Doch niemand hatte es eilig. Die Anwesenheit des schwarzen Wagens eines Dauner Bestattungsunternehmens lieferte die Erklärung. Drinnen saßen zwei dunkel gekleidete Männer und rauchten. Auch sie hatten keinen Stress. Vermutlich würden sie unverrichteter Dinge zurückfahren müssen. Denn das, was die beiden Müllmänner gefunden hatten, die neben den Polizeiwagen standen und ins Gespräch mit zwei Beamten in Zivil vertieft waren, war für ein anständiges katholisches Begräbnis derweil ungeeignet.

»Wie oft leeren Sie hier?«, fragte Kriminalhauptkommissar Lutz Didier. Er hatte Hunger, hatte sich auf einen Döner nebenan am Trierer Bahnhof gefreut, als der Alarm von den Kollegen aus Daun gekommen war. Seine Stimme klang schärfer, als er wollte, auch sah er mit seiner randlosen Brille und der großen Nase humorloser aus, als er war. Aber gut gelaunt war er wirklich nicht. Ohne etwas zu essen, eine Dreiviertelstunde hoch in die Eifel brettern, ausgerechnet mit der neuen Kollegin Natalia Subotka, die er kaum kannte, die sich im K11 aber schon einen Ruf als Zicke erarbeitet hatte. Und sich dann um diesen Fund kümmern, inmitten von weggeworfenen Pommes mit Mayo, Apfelschalen, Lauchstrünken und Kotelettknochen, die bei den kühlen Frühherbsttemperaturen nicht faulig, sondern immer noch nach Essbarem rochen.

»Einmal die Woche«, entgegnete der ältere Müllmann, der in seinem orangeroten Arbeitsanzug und weißgrauem Dreitagebart aussah wie ein flambierter Bär. »Jeden Montag, gegen acht Uhr. Wenn wir das nicht tun, steigen die uns aufs Dach.«

»Wer steigt aufs Dach?«, fragte die Subotka und wedelte mit ihrem blonden Pferdeschwanz. Didier hatte bereits bemerkt, dass sie das immer tat, wenn sie keinen Plan hatte, aber irgendwie vorankommen wollte.

»Die Leute vom Dorf«, antwortete der jüngere Müllmann, ein hagerer Typ. »Wenn wir nicht pünktlich alles picobello hinterlassen, hagelt es wieder Beschwerden in der Zentrale, und wir kriegen Ärger von ganz oben.«

»Und Sie öffnen immer erst die Einfüllklappe, um zu schauen, was im Container ist?«, fragte Didier.

»Ja klar«, brummte der Ältere. »Was glauben Sie, was die Leute für Zeug untermischen! Die Plastiktüten, mit denen der Biomüll da reingeworfen wird, sind das kleinste Problem. Das kann rausgeharkt werden in unserer Anlage. Aber da waren mal zersägte Dachlatten drin, die haben sich verkantet. Damenbinden, Hundefutterdosen, giftige Gartenpflanzen … einfach alles. Unverantwortlich!«

»Was machen Sie, wenn Sie sehen, dass ein Container voller Fehlwürfe ist?«, hakte Natalia Subotka nach.

»Wir melden das ans Abfallwerk nach Trier. Die haben eine Statistik, in der fein säuberlich aufgelistet wird, wo es die meisten Sauereien gibt. Aber fragen Sie mich nicht, was dann damit geschieht. Alles Chefsache.«

Didier rieb sich die große Nase. Es juckte, vielleicht ein Schnupfen im Anmarsch. »Ist es denn in letzter Zeit schlimmer geworden?«

»Hier in der Gegend?«, fragte der Hagere und nickte. »Kann man so sagen. Das mit dem Schweinekopf und dem Darm voller Scheiße, das stand ja sogar in der Zeitung. Aber dass wir einen Fuß von einem Kerl drin haben …« Er schüttelte den Kopf, als sei er mehr empört als verstört über den Fund. »Mit Tennissocken und Badelatschen dran … Ich meine, wer macht so was?«

»Erst mal müssen wir rausfinden, wer so was ist«, entgegnete die Kommissarin spitz. »Und dann, wer so was macht. Alles der Reihe nach.«

Eine der Gestalten in Weiß näherte sich. »Der erste Container ist so weit durch, wir machen uns an den anderen.«

Didier und Subotka nickten. »Haben Sie da den Deckel auch geöffnet?«, wandte sich der Kommissar an den Bärenhaften.

»Noch nicht, wir haben ja sofort die 110 gewählt … Können wir jetzt weiter mit unserer Tour? Ich meine, wir sind jetzt heftig in Verzug.«

»In Ordnung«, meinte Didier. »Ihre Daten haben wir ja.« Aber die beiden Müllwerker würden noch Fingerabdrücke und DNA-Proben abgeben müssen, trotz Handschuhen und wetterfester Arbeitskluft. Es war ein Albtraum für die Spurensicherung. Die Container standen an einem öffentlichen Platz, sie müssten von ganz Netteseifen Vergleichsproben nehmen und könnten immer noch nicht sicher sein, dass nicht auch Leute von anderswo ihr gäriges Zeug hier abluden. Massenweise Spuren und kaum eine Chance, sie eindeutig zuzuordnen.

Didier hörte ein dumpfes Krachen und sah, dass die Weißgekleideten den zweiten Container auf eine weitere Plane ausgekippt hatten.

»Fund!«, rief einer sofort.