Eifel für Fortgeschrittene - Angelika Koch - E-Book

Eifel für Fortgeschrittene E-Book

Angelika Koch

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Beschreibung

Eifel für Fortgeschrittene“ ist mehr als ein klassischer Reiseführer zu Maaren, Nordschleife oder Burg Eltz. Es ist ein journalistisches Lesebuch mit viel Humor: für neue Entdeckungen, für’s Aha-Erlebnis und für alle, die glauben, dass sie die Eifel schon kennen. Hinter den Kulissen einer der beliebtesten deutschen Ferienregionen findet man urige Dialekte, echte Geheimtipps für Kultur- und Sportfans, witzige Querköpfe und eine Mutter Erde mit explosivem Temperament.

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Angelika Koch

Eifel für Fortgeschrittene

»Die Wahrheit über Deutschlands wilden Westen«

Zum Buch

Eifel macht Gänsehaut Kann die Liebeserklärung an eine Landschaft die Wahrheit sein? Sie kann, wenn es um die Eifel geht, den wilden Westen Deutschlands.

Wie in jeder Liebe und bei jeder Wahrheit geht es um Merkwürdiges: Warum versteht niemand die Eifeler, wenn sie frei von der Leber weg reden? Warum mögen sie Mord und Totschlag? Und warum werden sie nicht nervös, obwohl die Vulkane unter ihren Füßen gar nicht erloschen sind?

Liebe und Wahrheit räumen mit Vorurteilen auf. Eifeler Landeier sind alles andere als Kulturbanausen, die sich nur zwischen Milchkannen herumtreiben oder durch endlose Wälder pirschen. Sie haben klammheimlich ein Paradies für Feinschmecker und Kunstsinnige gezaubert. Sie erfinden Hightech und sind auf dem internationalen Parkett zu Hause. Sie geben nicht nur am Nürburgring Gas. Außerdem wird es bei ihnen nie langweilig, die lustigsten Geschichten finden in der Eifel statt. Nur eines geht nicht: Über diese wilde Landschaft voller Gegensätze die ganze Wahrheit zu sagen.

Angelika Koch studierte Soziologie in Münster, parallel arbeitete sie in einer Lexikon-Redaktion in Gütersloh. Die Eifel entdeckte sie zufällig – und verliebte sich in Land und Leute. Seit mehr als dreißig Jahren ist der „wilde Westen“ ihre Wahlheimat. Sie lebte in einem ökologischen Projekt mit angeschlossenem Tagungshaus und schrieb gemeinsam mit Eifelkrimi-Guru Jacques Berndorf erste Texte für Tourismusagenturen, auch entstanden eigene Krimis. Seit der Jahrtausendwende ist nicht die Fiktion, sondern die Realität der Eifel im Mittelpunkt ihres Schreibens: Sie arbeitet für verschiedene Tageszeitungen und Zeitschriften und sie verfasst Reiseführer. Mittlerweile ist sie in einem Dorf mit rund hundert Einwohnern in der Vulkaneifel zu Hause.

Impressum

Alle Seitenangaben in diesem Buch beziehen sich auf die Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe.

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Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

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Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2020

Lektorat: Anja Sandmann

Herstellung: Julia Franze

E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: Susanne Lutz

unter Verwendung eines Fotos von: © Christian Müller – stock.adobe.com

Sofern nicht gelistet, stammen alle Bilder im Inhalt von © Angelika Koch; © Klaus Scholz: S. 77; © Susanne Schug S. 181

ISBN 978-3-8392-6218-4

Inhalt

Zum Buch

Impressum

Das fängt ja gut an ...

Et jet net jefriemelt ...

Und es hat ...rrrrumms gemacht

Die merkwürdige Lust auf Mord und Totschlag

Ein bisschen Fiktion für zwischendurch - ein Kurzkrimi -

Gib Gas, ich will Spaß!

Lebe wild und naturnah

Von wegen Blasmusik und Bastelkurse -- Musenkuss der Extraklasse

Nicht vom Glauben abfallen

Wovon leben die eigentlich?

Die Tücken des Topfkuchens

Und jetzt: das Wetter!

Zu Besuch bei guten Freunden

Adieu und tschüs, äddi und tschöö

Lesen Sie weiter …

Das fängt ja gut an ...

Eifel … das ist wohl für die meisten Menschen eine ominöse Mittelgebirgslandschaft irgendwo im westlichen Nirgendwo Deutschlands. Manchmal taucht sie als Schauplatz bizarrer Verhaltensweisen von Dörflern mit noch bizarreren Haarschnitten und fragwürdigem Kleidungsstil im Fernsehen auf, etwa bei »Mord mit Aussicht«. Es ist in den Augen von Drehbuchschreibern offenkundig der perfekte Verbannungsort für querulatorische TV-Ermittler, die den Rest der Serie mit dem vergeblichen Versuch verbringen, die Eifel wieder zu verlassen. Und die Streber unter uns erinnern sich vielleicht, dass da was war, im Erdkunde-Unterricht, mit Vulkanen und so. Aber wer braucht schon Vulkane, die keinen Pieps mehr von sich geben? Gähn.

So ähnlich erging es auch mir, als ich nichts ahnend erstmals im Leben die Eifel ansteuerte. Ein Interview für meine gesellschaftswissenschaftliche Studienabschlussarbeit sollte es sein, mit einem Prominenten, der damals mit einer extraordinären Mischung aus Esoterik, Umweltschutz und Gesellschaftskritik von sich reden machte: Rudolf Bahro, Ex-Dissident der DDR, praktizierender Bhagwan-Anhänger und Mitbegründer der Grünen, die er jedoch als »Super-Fundi« soeben beinahe zerlegt hatte. Ich sollte und wollte ihm die simple Frage stellen: Was, wenn überhaupt etwas, haben Sie sich dabei gedacht? Um daraus soziologische Schlüsse über die Chancen einer Umweltbewegung zu ziehen, die damals bei den meisten Menschen noch als vollkommen spinnert galt.

Bahro seinerseits weilte gerade als Referent in einem Eifeldorf namens Niederstadtfeld. Ich ahnte nur vage, was und wo die Eifel überhaupt ist.

Schon die Entfernung: So etwas Unbekanntes muss weit weg sein, glaubte ich in den Zeiten vor Navi, Google-Maps und GPS. Also konsultierte ich den uralten ADAC-Straßenatlas meines Papas, in dem jene bis heute umstrittene, die Eifel von Norden erschließende Autobahn 1 nur als gestrichelte Linie verzeichnet war: nichts mit Durchbrettern bis zur Zielausfahrt. Den gelben Autoaufkleber einer damals berühmten Zigarettenmarke hatte ich sogar in meiner Heimat Ostwestfalen-Lippe gesehen: »Wer durch die Eifel will, muss verdammt gut fahren können.« Ich habe die preußische Tugend der Pünktlichkeit verinnerlicht und dachte, fährst du am besten früh genug los. Tat ich. Hinter Köln wurde die A1 leer und leerer. Es ging bergauf, immer bergauf, der Spritverbrauch erreichte ungeahnte Dimensionen und ich dachte, nimmst du die nächste Tankstelle. Kann ja nicht weit sein.

Als ich schlussendlich gen Daun die Serpentinen einer Bundesstraße – die Autobahn hatte längst abrupt und ohne Erklärung mitten im Gestrüpp aufgehört – runterfuhr, war das in mehrfacher Hinsicht ein Adrenalinkick. Erstens waren die Serpentinen mit Rollsplitt bedeckt, was Einheimische nicht davon abhielt, die Kurven mit einem Affenzahn zu absolvieren und mich wahlweise zu überholen oder hupend an meinem Kofferraum zu kleben. Zweitens suggerierten große Hinweisschilder mit »Behördenzentrum« oder »Stadtmitte«, dass es sich bei Daun um eine mir bis dato vollkommen unbekannte Großstadt handeln müsse, was mich beschämte. Drittens war mein Tank so gut wie leer und ich rollte mit den letzten Tropfen zur einzigen Tankstelle weit und breit – was ich mittlerweile ahnte, aber zu meinem nervlichen Glück nicht mit Sicherheit wusste.

Dennoch war ich drei Stunden zu früh beim Interviewtermin. Was tun? Mit vollem Tank glaubte ich an das gefahrlose Weiterfahren, an Daun vorbei, dessen mutmaßlich metropolenhafte Ausmaße mir auch weiterhin verborgen blieben. An Dörfern mit Namen Oberstadtfeld und Niederstadtfeld vorbei, immer weiter. Die Straße wurde eng und enger. Sie schlängelte sich durch ein urwaldähnliches Dickicht einen munteren Gebirgsbach entlang, ein eher ungewohntes Erlebnis, denn hier war nicht das Gewässer begradigt, um dem Asphaltband zu folgen, sondern die schlaglochreiche Piste schmiegte sich an den Verlauf des Flüsschens, welches, wie ich später erfuhr, Kleine Kyll heißt. Ich gelangte in einen Weiler namens Schutz, bog aufs Blaue hinein ab und hangelte mich die auch hier unvermeidlichen Serpentinen hoch, fuhr durch Deudesfeld. Alle diese Dörfer waren klein und niedlich, still und friedlich … und auf ihre Art exotisch, denn so klein und so niedlich kannte ich menschliche Siedlungen nicht aus dem Westfälischen. Dort gibt es entweder Einzelgehöfte, Städte mit ausufernden Vororten und Industriegebieten oder das endlose Gewimmel des Ruhrpotts. Selbst die Dörfer zählen mehrere Tausend Einwohner.

Nicht so in der Eifel, wie ich bemerkte. Spontan bog ich wiederum ab, das Asphaltband wirkte provisorisch und entwickelte mit beachtlichem Gefälle einen trichterartigen Abwärtssog, während mich von sattgrünen Wiesen aus stoisch wiederkäuende rotweiß gefleckte Kühe anglotzten – und ich kam vor einem kreisrunden seerosenüberwucherten Gewässer zum Stehen, das in der sommerlichen Abendsonne glitzerte. Enten und Kormorane ließen sich treiben. Am Ufer auf einer uralten moosbewachsenen Bank saßen zwei alte Damen und unterhielten sich in einem Singsang-Dialekt, den ich trotz allgemeiner Sprachwissenschaft als Nebenfach meines Studiums noch nie gehört hatte.

Die Szene war wie eine Mischung aus Arkadien und Mittelerde, vollkommen dem Alltag entrückt. Und ich dachte: Hier will ich bleiben. Für immer.

Später lernte ich, es war das Meerfelder Maar, das mich so verzaubert hatte, und Eifeler Platt, das so geheimnisvoll klang. Und noch später lernte ich, dass auch am Meerfelder Maar Wandergruppen in neonfarbenen Trekkingoutfits, behelmte Motorradcliquen oder ganze Busladungen mit passionierten Selfie-Fans anzutreffen sind. Früher war die Eifel total »out«, ein Ort der Scham für Eingeborene, die in Köln oder im Ruhrgebiet arbeiten mussten. Heute ist sie total »in«. Aus Köln, Duisburg, Mönchengladbach oder Oberhausen pilgert man zwecks Naherholung in die Eifel; wer heute an einem Freitagnachmittag die Autobahn 1 befährt, ist zumeist Teil einer endlosen Blechkarawane. Am immer noch abrupten Autobahnende teilt sie sich in zwei Trecks, die Stoßstange an Stoßstange weiterrollen. Die einen zieht es in den Nationalpark Eifel auf der Suche nach dem Urwald der Zukunft, die anderen können vom Gewummer der Motoren nicht genug bekommen und fahren durch bis zum Nürburgring, dem Adrenalinkick entgegen.

Zum Glück ist die Eifel riesig, insgesamt 5.300 Quadratkilometer und damit mehr als doppelt so groß wie das Saarland. Wer für ein Wochenende oder ein paar Kurzurlaube kommt, kann unmöglich alle Facetten kennenlernen oder Geheimnisse lüften. Gut Ding will Weile haben, Eifel erst recht. Es gibt etliche Niederländer, Belgier, Westfalen oder Angehörige anderer Volksstämme, die hier Wochenendhäuser haben und wissen: Der Abschied ist immer nur vorübergehend, die halbe Heimat heißt schon Eifel. Und mein eigener Wunsch ist in Erfüllung gegangen, ich hatte seit meiner ersten Kurverei die Kleine Kyll entlang schon ganz viel Weile in der Eifel, mehr als 30 Jahre.

An der Eifel scheiden sich die Geister. Entweder die Menschen lieben sie und kommen nicht mehr von ihr los. Oder aber sie fürchten sie und nennen sie »Rheinisch-Sibirien«, als Ausdruck für Verbannung und Einsamkeit. Wobei der Klimawandel auch vor der als rau geltenden Eifel nicht Halt macht und die legendären Unwetter bei »Rock am Ring« seltener geworden sind. Es ist wohl eher das rheinische Sizilien, mittlerweile. Aber etwas ist die Eifel nie: langweilig, lau, lahm. Sie lockt Querdenker an und Pioniere. Hier ist noch Freiraum, um auszuprobieren, was anderswo nicht geht. Und »die« Wahrheit über die Eifel gibt es nicht, so viel sei schon verraten. Es gibt viele Wahrheiten, ganz ohne Fake News und jede auf ihre Weise echt.

Et jet net jefriemelt ...

… et jet neje Drôht jehollt! Was auf Hochdeutsch so viel ist wie ein Appell an alle Heimwerker und andere Menschen, nicht sinnlos rumzubasteln, sondern neuen Draht zu nehmen. Es ist zugleich die Lebensphilosophie der Eifeler und somit ein unlösbares Paradoxon: Was, wenn nicht Friemelei, ist der Einsatz eines Stückchens Draht, anstatt das Ding von Grund auf neu zu bauen? Diese Haltung – man mag sie sparsamen Überlebenspragmatismus nennen – führt nicht selten dazu, dass die Eifeler von Nicht-Eifelern und manchmal sogar von Landsleuten für allzu harmlos und unbedarft gehalten werden. Allerdings ahnte bereits der römische Reiseschriftsteller Tacitus, dass hinter der bescheidenen Landei-Fassade mehr steckt. Er notierte, die Leute entlang der uralten Heer- und Versorgungsrouten zwischen den Metropolen Augusta Treverorum (Trier) und Colonia Claudia Ara Agrippinensium (Köln) seien ein »kleinwüchsiges, hinterlistiges Bergvolk«. Man sollte sie also tunlichst nicht unterschätzen.

Doch das bedeutet nicht, dass man irgendwo besondere Angst vor fiesen Langfingern haben müsste. Bis vor wenigen Jahren war es auf den Dörfern üblich, die Haustüren unverschlossen zu lassen. Dieser netten Sitte endgültig den Garaus machen höchstens »smart homes«, bei denen alles automatisch verrammelt wird. Zum Glück für Traditionalisten jedoch sind 5G-Netzstandards überall in der Eifel in weiter Ferne. Man ist mancherorts noch immer froh, überhaupt mal Handy-Empfang zu haben und dass der Computer innerhalb eines einzigen Tages eine ganze Mail verschicken kann. Das wird sich ändern, man arbeitet dran. Und bis dahin nimmt es sogar die Jugend mit Humor. Auf Youtube kann man »Eifelkinder« eingeben und einen lebhaften Eindruck bekommen, wie sich Landleben 1.0 für Leute U30 anfühlt. Der Anblick von reglos verharrenden Ladebalken oder gemächlich im Kreis rotierenden Strichen ist Eifeler Internetnutzern seit jeher vertraut. Das entschleunigt ungemein und führt auf Dauer zu einer Art meditativem Einverständnis mit Gott und der Welt. Noch heute ist die Kriminalitätsrate vergleichsweise niedrig, wie die jährliche Polizeistatistik ausweist. Lediglich Trier mit mehr als 100.000 Einwohnern fällt da etwas aus dem Rahmen, aber die Trierer sehen sowieso auf die »Eefelbure« herab, und die als Bauerntrampel gescholtenen Eifeler halten die Trierer für hochnäsige Hunsrücker. Was zumindest geografisch stimmt, denn Trier mit seiner antiken Altstadt südlich der Mosel wird nur irrtümlich als Hauptstadt der Eifel tituliert. Die Eifel hat keine Hauptstadt, sie ist ein dezentrales, zur Anarchie der Gebietskörperschaften neigendes Gebilde.

Es macht sich jedoch bemerkbar, dass die unmittelbare soziale Kontrolle nach wie vor stark ist. Dörfer gibt es – meines zum Beispiel, ein 112-Seelen-Ort nicht weit vom Nürburgring –, in denen die Nachbarn besser über den eigenen Besuch an der Haustür Bescheid wissen als man selbst. Wer da einbrechen wollte, könnte sich gleich mit erhobenen Händen ergeben, denn oft genug ist der Nachbar auch Jäger und Feuerwehrmann in Personalunion. Und zunehmend Jägerin oder Feuerwehrfrau. Irgendwas geht da immer, ganz gleich ob Flinte oder machtvoller Wasserstrahl gegen den Delinquenten. Wer das als Hinterlist empfindet, hat was zu verbergen … und wenn es ein schlechtes Gewissen ist.

Auch das mit der Kleinwüchsigkeit stimmt nicht. Man darf Tacitus getrost der »Fake News« bezichtigen. Wenn die Eifeler zur Kleinwüchsigkeit neigen würden, hätten allenfalls die mediterranen Siedler selbst dazu beigetragen. Sie trafen auf eine keltische, hinter steinernen Ringwällen verbarrikadierte Bevölkerung, die im Schnitt einen halben bis ganzen Kopf größer war als die Toskanafraktion mit Migrationshintergrund. Eine im Regelfall 155 Zentimeter lange keltische Frau überragte meist sogar einen strammen römischen Kämpfer, der aus den Niederungen seiner 150 Norm-Zentimeter zu ihr aufblicken musste.

Doch sein Charme muss einerseits unwiderstehlich gewesen sein und war andererseits untermauert mit handfesten Argumenten wie Lifestyle und Mammon. Es führte zu einer fröhlichen Vermischung, Latin Lover trifft Blondine, und am Ende teilte man in den meisten Eifeler Landstrichen die Gottheiten ebenso wie Betten, Bäder und Villen. Einige dieser prachtvollen Liebesnester kann man noch heute bewundern, entweder gut rekonstruiert oder als hübsche Ruine. Klar, dass sich die eingeborenen Jungs rund um Trier auch mal querstellten. Bei Riol an der Mosel versuchten die Treverer im Jahre 70 den Aufstand gegen die Römer, welcher jedoch misslang. Heute tun die Eifeler so, als ob römisch-antike Lebensart die ureigene Erfindung gewesen wäre. Folkloregruppen wie die Milites Bedensis aus Bitburg zeigen bei Events, was so ein gallorömischer Kerl draufhat, von kunstvoll kämpfen bis lecker essen.

Das Ergebnis der Beziehungskiste zwischen feurigen Südländern und taffen Kelten prägt die Eifel. Allein schon optisch: Viele seit Jahrhunderten ureinwohnende Eifelerinnen und Eifeler können mit sonnenbrandresistentem Teint, rehbraunen Augen und dunkler Lockenpracht punkten. Dass ein Teil ihrer Vorvorvorfahren vom Mittelmeer stammt, ist kaum zu übersehen. Außerdem ist die regionaltypische Baukultur von der schlichten und kompakten Eleganz römischer Architektur geprägt, das ursprünglich übliche Bauernhaus – Trierer Einhaus genannt – würde auch im Apennin nicht als Fremdkörper auffallen. Vor allem jedoch ist die Weinkultur ein bleibendes Mitbringsel. Nicht nur die Südhänge der Eifel, die sich steil zur Mosel hinunterneigen, sind voller Reben, auch das Ahrtal glänzt als erstklassiges Rotweinanbaugebiet.

Eifel ist seit jeher Multikulti. Die Existenz als Durchgangsland tief im Westen des heutigen Deutschlands hat Spuren hinterlassen und gelehrt, dass Weltoffenheit eine sehr clevere Haltung ist. Gallorömisches und Germanisches – jeweils für sich schon eine bunte Mischung – traf hier aufeinander. Immer schon war der Nachbar potenziell jemand, der anders sprach, anders dachte, anders handelte. Und dennoch war man in der dünn besiedelten Gegend immer aufeinander angewiesen. Diese besonderen Umstände führten dazu, dass eine sehr wohltuende Auffassung von Toleranz Wurzeln schlagen konnte, die nicht mit Gleichgültigkeit einher geht. Wer in die Eifel kommt, kann zumeist in Ruhe sein Ding machen. Man weiß, was der andere tut, aber man mischt sich nicht ein. Und wenn Hilfe oder Kontakt gewollt sind, ist man da.

Armut zwang die Eifeler lange Zeiten hindurch, ihr Glück auch andernorts zu suchen. Manche mussten nur bis nach Köln oder ins Ruhrgebiet, viele andere schipperten über den großen Teich. Ganze Dörfer verschwanden in der frühen Neuzeit und noch bis ins 19. Jahrhundert hinein. Wohl jeder hatte Verwandte, die aus wirtschaftlichen Gründen auswanderten. Über den Tellerrand der eigenen Region zu schauen, war für viele Familien und über etliche Generationen so alltäglich wie überlebensnotwendig. Das Beharren auf Eigenem und die Bereitschaft, auch Anderes kennenzulernen, wurden zu Eigenschaften, die sich nicht widersprachen, sondern zwei sich ergänzende Seelen in einer Brust.

Dabei war die Eifel nicht immer ein armer oder rückständiger Landstrich. Im tiefsten Mittelalter schlug hier das Herz eines großen Reiches, aus dem viel später Frankreich, Deutschland und die Benelux-Staaten hervorgingen. Die Urgroßmutter Karls des Großen, Bertrada, lebte auf einer Burg in Mürlenbach im Kylltal, und die Region dürfte dem Kaiser vertraute Heimat gewesen sein, die er auf dem Rücken seines Pferdes durchstreifte. Bereits seit der Römerzeit sind die auf antike Siedlungen zurückgehenden Eifelstädte zumeist einen Tagesritt voneinander entfernt, so etwa Bitburg und Prüm. Heute schmückt sich das für seine barocke St.-Salvator-Basilika berühmte Prüm mit dem Attribut Karolingerstadt. Denn die Fürstabtei wurde von Bertrada gegründet und war Hauskloster des kaiserlichen Adelsgeschlechtes, mit Besitztümern bis in die Bretagne hinein.

Stolz sind die Eifeler durchaus auf ihre Historie und auf ihre Heimat. Stolz sind sie bis heute auf Prachtbauten wie die Burg Eltz, die nie eingenommen wurde. Doch ein plumper Hurra-Patriotismus blieb ihnen fremd. Denn immer wieder machten sie die Erfahrung, für die Mächtigen in den Metropolen nichts weiter als ein Aufmarschgebiet für ihre Kriege zu sein. Zwischen den Machtzentren in Aachen, Trier und Luxemburg behaupteten sich kleine Herrschaften wie die Manderscheider, Blankenheimer oder Aremberger. In zwei Weltkriegen musste die Eifel als Bollwerk gegen vermeintliche »Erbfeinde« herhalten, obwohl diese vermeintlichen Feinde denselben Dialekt sprachen wie die Eifeler und nicht selten sogar zur nächsten Verwandtschaft gehörten. Auf Cousins und Cousinen schießt man nicht.

Überhaupt: Wenn die Eifeler fremdelten, dann am ehesten mit den Preußen, von denen sie auch beherrscht wurden. Die gaben sich zwar alle Mühe und forsteten die von Schaf- und Ziegenherden kahlgefressenen Hänge mit Fichten auf. Zum Dank nannte man die Zapfen »Preußendreck«. Und auch der Bau einer prachtvollen, innen vergoldeten Erlöserkirche in Gerolstein oder einer kleinen, ebenfalls innen vor Gold strotzenden Erlöserkapelle in Mirbach wärmte nicht unbedingt des Eifelers Herz für die protestantischen Herren.

Mehr Sympathie zollte man bisweilen den Eroberern aus dem Westen oder Süden. Das zeigt sich am Beispiel von Bettingen im Eifelkreis Bitburg-Prüm: Das Dorf war einst Hauptort eines Herrschaftssitzes des Großherzogtums Luxemburg und gehörte somit phasenweise auch zu den österreichischen Niederlanden. So ein geografisch verwirrendes Staatenkonstrukt gab es wirklich. Damit nicht genug, französische Revolutionstruppen annektierten das Dorf von 1795 bis 1814, es wurde Teil des Kantons Bitburg und des Département Forêts, es bekam sogar eine waschechte Mairie. Das Verhältnis von französischen Verwaltern und Soldaten zu Eifeler Mädchen gestaltete sich offenbar derart herzlich, dass daraus etliche Kinder entstanden, die von Geburt an zweisprachig waren. Der frankophile Einschlag ist noch heute hörbar: Bei den Vokalen herrscht eine regelrechte Ü-Flut. Zu Karneval grüßt man mit »jüpphü!«, man raucht »Tübak« und trinkt »Sprüdel«.

Die Wallenborner in der Vulkaneifel lieben – warum auch immer – ein breites A, wie bei einer ärztlichen Untersuchung. Kinder heißen hier »Kanner«. Wallenborn wird von den Bewohnern umliegender Dörfer deswegen bestaunt und man glaubt, die sprachliche Marotte habe mit der einsamen Lage im einstigen Bannwald zwischen Daun, Gerolstein und Bitburg zu tun. Ursachen mag es so viele geben wie unterschiedliche Spielarten des Dialekts. Einheimische wissen jedenfalls sofort, wer woher stammt, wenn sie auf Platt miteinander reden. Zugezogene jedoch haben keine Chance, selbst Jahrzehnte in der Wahlheimat reichen nicht aus, um die Besonderheiten richtig zuzuordnen. Sie bleiben froh, überhaupt etwas zu verstehen.

Mitten durch die Eifel, am Vinxtbach, verläuft sogar eine waschechte Sprachengrenze, nämlich die so genannte zweite deutsche Lautverschiebung: Im Süden wurde vornehmlich Moselfränkisch parliert, im Norden Ripuarisch. Im Norden sind die Konsonanten etwas härter; im Süden nuschelt man noch etwas mehr. Gewöhnungsbedürftig ist eine sprachliche Eigenart, die das Moselfränkische insgesamt ziert. »Ich habe drei Kilo abgeholt«, das ist kein Geständnis, eine dicke Portion von was auch immer irgendwo gemopst zu haben. Es ist auch kein Verweis auf einen geheimnisvollen Lieferservice, bei dem man arbeitet. Wahrscheinlicher ist, dass es sich um eine Selbstauskunft bei einem Weight-Watchers-Treffen handelt. In der Eifel nimmt man nicht und man nimmt auch nicht ab. Nehmen ist unbekannt und Geben ist seliger denn Holen.

Zwei Ausrufe bringen das Seelenleben der Eifeler auf den Punkt: »Majusebetter« und »daje«. Ersteres entfährt einem, wenn das Erstaunen und die Bewunderung nicht größer sein könnten, neudeutsch ist es ein klassisches »wow!«. Die Alternative »boah ey« ist viel zu plebejisch, denn »majusebetter« ist ein tief empfundenes Stoßgebet. Angerufen werden die Heiligen Maria, Josef und Petrus. Maria und Josef verschmelzen zu je einer Silbe, etwas mehr gönnt man dem Peter oder Pitter oder eben Better. Apropos Pitter: Es gibt ihn in noch flotterer Version, »de flöcke Pitter«. Allerdings erfreut der sich so gar keiner Zuneigung. Man erleidet den rasanten Heiligen in inniger Symbiose mit den sanitären Anlagen, wenn irgendeine Essenszutat oder ein Virus die Verdauung über Gebühr beschleunigte. Wer sich dann schlapp fühlt, stöhnt vermutlich so etwas wie »eich han de freck«. Freck, das ist fies und könnte durchaus etwas mit dem hochdeutsch-derben Verb »verrecken« zu tun haben.

Das Gegenteil von derartigem Siechtum ist »daje!«: Aufmunterung pur, Startsignal für Neues und für herzhaftes Anpacken. Wer »daje!« sagt, der legt los und ist durch nichts mehr zu bremsen. Nicht einmal vom heißgeliebten Sôlperschnéssjen. Sôlper ist eine salzige Brühe, Schnéssjen ist das Schnäuzchen. Wie es ein geschmacklich derart fragwürdiger und gar nicht süßer Kussmund schaffen konnte, in der Eifel zum Inbegriff für den liebsten Menschen zu werden, ist wohl ein ewiges Rätsel. Oder gute Tarnung. Angeblich reden die Eifeler nie über die Liebe. Über Geborgenheit und Nestwärme schon eher. »Jehéschnis« heißt das Wort dafür. Längst verschollen ist die hochdeutsche Übersetzung: »Geheuchnis« ist ein uralter Ausdruck für den Ort, an dem man sich wohlfühlt.

Aber wer gehört überhaupt rein ins Eifeler »Jehéschnis«? In früheren Jahrzehnten und Jahrhunderten outete man sich ungern als Bewohner des Landstrichs. Zu sehr suggerierte das eine eher armselige Herkunft, von hochstehenden kulturellen Errungenschaften unbeleckt und scharf an der Grenze des Zivilisatorischen. Beinharte Vorurteile, gewiss, aber das Denken über die Realität bestimmt oft mehr das menschliche Zusammensein als die Realität selbst. Heute ist »Eifel« eine Art Adelstitel, mit dem man sich gern schmückt. Landwirtschaftliche Produkte, Arbeitgeber und Unternehmen, Hotels und Restaurants, Freizeitanbieter … alle wollen Eifel sein. Alle merken, dass es sich mit dem Image von unverfälschter Urwüchsigkeit und Natürlichkeit gut werben lässt. Aber dürfen sich beispielsweise die Bewohner der flachen Ackergegend rund um Euskirchen zu Recht Eifeler nennen? Als Sackeifel schmähen die weiter südlich und westlich wohnenden Leute vom »kleinwüchsigen Bergvolk« das ebene Terrain. Sie sind überzeugt, dass die echte Eifel erst dort beginnt, wo die Natur für Survival-Camps taugt. Eifeler sein, das muss man sich hart erarbeiten und versteht es doch nie ganz.

Sie sind gut für Überraschungen, auch in der Politik. Es ging früher die Sage, dass sich auch ein Sack Kokskohle zur Wahl stellen könne und Erfolg habe: Hauptsache schwarz, also konservativ. Dieser Automatismus ist längst Vergangenheit, wenn es ihn denn je wirklich gab. Parteilose besetzten beispielsweise die Landratsposten im Eifelkreis Bitburg-Prüm oder im Vulkaneifelkreis, Vertreter von Wählergemeinschaften oder Genossen oder Grüne sitzen in Kreistagen und Gemeinderäten oder im Bürgermeisteramt. Der ganz rechte Politikrand blieb bislang tatsächlich eine Randerscheinung und schaffte es nicht, wirklich Fuß zu fassen. In etlichen Orten entschieden sich Gastronomen dafür, entsprechenden Gruppierungen, die im Saal wutbürgern wollten, das sattsam bekannte Metzgerei-Motto »Wir müssen draußen bleiben!« vor die Nase zu halten.