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Eine junge Frau wacht in einer einsamen Waldhütte auf. Sie ist allein, sie friert. An ihr klebt jede Menge Blut. Was ist geschehen? Wie kommt sie dorthin? Auf der Suche nach Antworten trifft die Gestaltwandlerin auf den Alpha des Riverstar-Rudels. Ein Lichtblick, denn Rees ist der Einzige, der sie kennt. Bevor Alaya vor acht Jahren verschwand, war sie Teil seiner Gruppe. Was ist in der Zwischenzeit geschehen? Für Alaya beginnt nicht nur die Suche nach sich selbst, sondern auch nach der Wahrheit, die ihre schockierende Vergangenheit aufdeckt.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Fortsetzung folgt …
Danksagung
Copyright: © 2023 Sophia Beli
Eine Portion Liebe
Coverfoto: © Coverhexe (Alannah Kottenstede) unter Verwendung von Motiven von Adobe Stock und Creative Fabrica
Korrektorat: Veros Wa(h)re Worte – Veronika Schlotmann-Thiessen
1.Auflage
Sophia Beli
c/o Sebastian Münch
Rechtsanwalt / Steuerberater
Großenbaumer Weg 8
40472 Düsseldorf
Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nachdrücklich nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet. Sämtliche Personen in diesem Text sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig.
Für alle, denen es wie mir ging …
Ich schmeckte bereits das Blut im Mund.
Was für ein Genuss!
Der Wald zog wie im Nebel an mir vorbei, während ich die Verfolgung aufnahm. Schnell, immer schneller. Der erdige Duft lag hinter einem Dunst an Aromen, die nicht hierhergehörten.
Wie am Rande nahm ich die Weichheit des mit Blättern übersäten Bodens unter den Pfoten wahr, registrierte die Stille der Nacht und erkannte die Schönheit der Natur. Es war die Fährte, die alle Gedanken dominierte.
Das war mein Element.
Ich war dicht dran, das spürte ich. Der Geruch des Blutes war ein zuckersüßer Lockruf, nur für mich bestimmt. Er rief meinen Namen ohne Worte, im lieblichen Sirenengesang.
Voller Vorfreude leckte ich mir über die Lippen. Der köstliche Geschmack benetzte jeden Sinn, erweckte eine Gier tief in mir. Unstillbar, mich verzehrend.
Ein Grollen entsprang in meiner Kehle, dunkel und hungrig.
Die schattige Gestalt bewegte sich trotz der Verletzung flink durch den Wald, versteckte sich. Sie versuchte, mich zu täuschen. Aber ich war viel raffinierter, besaß Instinkte, die mir die List verrieten und mich warnten.
Die Gewissheit, dass ich heute Beute schlagen würde, berauschte mich.
Hier kannte ich sämtliche Bäume und alle Verstecke. An diesem Ort gab es kein Entkommen. Nicht für mein Opfer!
Ich beschleunigte den Lauf, pumpte immer schneller die Luft in die Lungen und spannte jeden Muskel in einem härteren Rhythmus an.
Mein Herz raste zu heftig.
Plötzliche Panik überkam mich, die ich nicht verstand. Sie war weit von Angst vor dem Hungern entfernt, vielmehr handelte es sich um das ursprüngliche Gefühl, dem Tod ins Gesicht zu schauen. Tief im Inneren begriff ich, dass es jetzt hieß: du oder ich.
Doch es hatte sich nichts verändert. Ich war die Jägerin, nicht das Opfer. Woher kamen diese Emotionen? Obwohl ich die Antwort nicht kannte, wusste ich eins ganz genau: Ich liebte das Leben, hatte noch viele Dinge zu klären.
»Mama«, flüsterte ich, während ich die Anstrengungen der Jagd erhöhte. Weshalb mir das Wort über die Lippen gekommen war, war für mich unverständlich.
Immer entschlossener kämpfte ich mich vor, verdrängte die Sorgen und rückte dem Ziel näher.
Zentimeter für Zentimeter.
Der Blutgeruch überschattete meine Sinne.
Es dauerte nicht mehr lange, dann erlegte ich es. Ich wusste es, holte die letzten Meter auf und bereitete mich gedanklich auf den Sprung vor. In der Sekunde, als ich in die Lüfte stieg, setzte ich mich keuchend auf und blinzelte.
* * *
Für einen Moment lauschte ich meinem klopfenden Herzen. Es dauerte einen Augenblick, bis ich mich aus der Decke befreit hatte, die sich um meine Beine verheddert hatte.
Nur langsam beruhigte sich mein Atem.
Erschöpft schloss ich die Lider, wischte mir über das Gesicht und registrierte die Feuchtigkeit, die meine Haut bedeckte. Die Anstrengung der Jagd hatte ich mit in die Realität genommen.
Ich verzog den Mund, als ich den Blutgeschmack weiterhin auf der Zunge wahrnahm. Um mich zu beruhigen, atmete ich bewusst ein. Selbst hier meinte ich noch die Bandbreite der kupfrigen Nuancen in der Luft wahrzunehmen. Die Fülle der Schattierung, die Sanftheit ebenso wie die Facetten der Wildheit.
Entschlossen riss ich die Augen auf, um den Traum abzuschütteln.
Wo war ich?
Verwundert sah ich mich um. Der Raum wirkte klein, alles war aus grobem Holz gezimmert. Sogar die Wände. Ich befand mich an einem mir unbekannten Ort.
Ich lag auf einem Bett mit weißen Laken, die sich hell gegen das Dämmerlicht abhoben.
Moment! Was war das?
Ich schrie auf.
Blut! Überall. Die Bettdecke war damit durchtränkt, meine Hände glänzten feucht.
Ich robbte bis zum Kopfende, ein Wimmern drang mir über die Lippen.
Ein Laut, der nach einem verwundeten Tier klang. Der Traum! War es keiner gewesen? Waren es Erinnerungen? War ich die Beute oder hatte ich gejagt?
Panik überrollte mich wie eine stürmische Welle. Unberechenbar, beinahe todbringend, wenn man nicht gegen die Gefühle kämpfte und die Oberhand gewann.
Aus reinem Instinkt gab ich meinem Organismus den Befehl. Bevor sie einsetzte, spürte ich die ersten Wogen der Euphorie und des Schmerzes, die die Wandlung stets mit sich brachte. Die Emotionen explodierten bis zur ersehnten Erleichterung, sodass sich Vollkommenheit in mir ausbreitete.
Ruhe übermannte mich, als ich zusammengerollt am Kopfende kauerte und die mit goldenem Fell besetzten Pfoten sah. Eine Narbe verlief quer über der rechten, war bereits verblasst und kaum noch sichtbar. Tief in mir fühlte ich mich jetzt geschützter. So schaffte ich alles. In dieser Form besaß ich immense körperliche Kraft, konnte mich besser wehren. Mit der tierischen Stärke fügte ich einem potentiellen Angreifer schlimmere Verletzungen zu. Gleichgültig, was im nächsten Moment passierte.
Der Duft traf mich wie ein Faustschlag.
Ein Wimmern stieg mir die Kehle hinauf, das hohe Winseln eines verletzten Wolfes.
Die Aromen und Duftstoffe waren in der zweiten Haut intensiver, lockender.
Durch den Wandel haftete kein Blut mehr an mir, dafür nahm ich es überdeutlich in meiner Umgebung wahr. Den kupferhaltigen Geruch, der das Leben sowie den Tod bedeutete. Die Unendlichkeit des Gleichgewichtes, das über die Zukunft entschied.
Ich schnupperte erst in die Luft, dann an den feuchten Laken.
Es war menschlich!
War ich verletzt?
Ich spürte in mich hinein, obwohl ich es bereits wusste. In lädiertem Zustand, bei der Menge an Blut wäre es mir unmöglich gewesen, meine Gestalt zu wandeln.
Also ging die Gefahr von mir aus?
Die Tatsachen ließen keinen anderen Rückschluss zu. Wenn die feuchte Flüssigkeit nicht von mir stammte, hatte ich jemandem eine Verletzung zugefügt. Nur wem? Wo war er? Oder war es eine sie?
Vorsichtig erhob ich mich, schüttelte das goldene Fell und sprang von der Matratze. Die Landung war beinahe lautlos.
Ich schlich durch den Raum, während ich schnupperte. Die Blutaromen lagen schwer in der Luft, sodass ich nur diese wahrnahm. Keinerlei Anzeichen, dass sich eine weitere Person hier an diesem Ort befand. Aber das lediglich anhand des Geruchs auszuschließen, wäre fahrlässig. Damit gab ich mich nicht zufrieden.
Warum war ich an einem Ort, den ich nicht kannte? Wie war ich hergekommen?
Ich verbot mir, dem festen Knoten der Sorge im Bauch Beachtung zu schenken. Er lähmte mich. Dabei brauchte ich den gesamten Verstand und all meine Muskelkraft. Zuerst musste ich verstehen, was geschehen war.
Als ich die geschlossene Zimmertür mit der Schnauze öffnete, erhoffte ich mir wenigstens einen Funken des Wiedererkennens. Vergebens! Nichts!
Man hörte die Krallen auf dem grobgezimmerten Holz klicken, als ich vorsichtig vorwärts schlich.
Eine Wolldecke lag säuberlich zusammengefaltet auf einem abgewetzten Ledersofa. Die Küchenzeile wirkte abgegriffen. Davor lag ein fleckiger Teppich, der von einem längst vergangenen Leben zeugte. Auch wenn die Räume schlicht eingerichtet waren, standen nirgendwo Fotos oder andere private Gegenstände.
Durch das trübe Fenster sah ich hinaus. Bäume versperrten mir die Sicht auf die nähere Umgebung. Ich befand mich in einer Holzhütte mitten im Wald. Das verstand ich jetzt. Aus einem Impuls heraus rannte ich zur Tür und war erleichtert, als ich sie öffnete.
Ich war frei. Nur wo war ich?
Die erdigen Gerüche nach Forst, Freiheit, Wildtieren sowie Pflanzen umarmte mich. Ich inhalierte sie so stark, dass mir die Lungen beinahe barsten. Die Weite vertrieb die beklemmende Enge des Blutgeruchs. Das Gewicht auf meiner Brust reduzierte sich. Ich bekam wieder Luft.
Als ich unter den Pfoten den weichen Waldboden spürte, nahm ich Äste und Blattfasern wahr. Sie waren nicht so zart wie im Traum. Es war eine Illusion gewesen, nicht real. Ein Spiel des Geistes, womöglich ein Hilferuf.
Wovor beschützte er mich? Was war geschehen?
Je mehr ich mich bemühte, den Nebel über den Erinnerungen zu verscheuchen, umso undurchdringlicher wurde er.
Ich schüttelte den Kopf und versuchte, die Verdichtung des Schleiers zu verhindern. Es misslang.
Langsam trabte ich los, bewegte mich zwischen den Bäumen wie im Traum. Dieses Mal war es die Realität. Oder? Es war gleich und doch anders. Mein Gehirn bemühte sich, die Eindrücke zu vergleichen. Es gelang mir nicht. Bildete ich mir die Geschehnisse ein? Was war ein Gebilde aus Fantasie? Was war echt? Träumte ich oder war das hier die Wirklichkeit?
Die Bäume zogen schnell an mir vorbei. Mit jedem Atemzug strengte ich mich mehr an, floh vor der Situation und den Wahrscheinlichkeiten, die daraus entsprangen.
Im Gegensatz zum Traum wirkte hier alles fremd auf mich. Nichts war vertraut.
Ein Knacken hinter mir ließ mich erstarren. Folgte mir jemand?
Ich sog die Luft ein, analysierte die Gerüche, nahm nichts als Weite sowie Freiheit wahr. Es fühlte sich gut an. Ich war allein. Das sagte ich mir zumindest. Es gab keine Anzeichen, vom Gegenteil auszugehen.
Allerdings stieg in mir eine Unruhe auf, die meine Wölfin wie in einem Käfig herumtigern ließ.
Es war lächerlich. Ich war verwirrt, mehr nicht. Erst der Traum, dann das ganze Blut und nun vermutete ich überall einen Hinterhalt.
Meine Brust hob sich heftig, ich blickte in die Richtung, aus der ich gekommen war.
Was sollte ich tun? Bot mir der Wald genug Schutz? Vielleicht wäre es an einem mir bekannten Ort so gewesen. Aber hier? Nein, ich musste zurück. Dort lag der Ursprung. Allein bei dem Gedanken schnürte sich mir die Kehle zu. Ich wollte nicht dorthin. In welcher Richtung lag die nächste Stadt?
Erneut sah ich mich um, hielt die Nase in die Luft und witterte.
Die Aromen der Natur überlagerten alles andere. Danach konnte ich mich nicht orientieren.
Abermals schaute ich zu den Pflanzen, die ich gerade hinter mir gelassen hatte.
Allein die Vorstellung, wieder in den Raum mit all dem Blut zurückzukehren, wühlte mich auf. Welche andere Option hatte ich? Keine.
Zögerlich trabte ich los, nahm mir Zeit, dieses Mal die Umgebung in mich aufzunehmen. Die Bäume, die in einem Wettstreit um das beste Licht kämpften. Die Büsche, die sich zu ihren Füßen mit den Resten der Sonnenstrahlen zufriedengaben. Die Kleintiere verharrten in ihren Bewegungen, spürten meine Anwesenheit und die Gefahr, die von mir ausging.
Hier war ich stark. Ich war eine Wölfin, von mir ging die Bedrohung aus.
Der Gedanke beruhigte mich, ließ mich entschlossener in Richtung Holzhütte laufen.
Hatten die Wesen im Unterholz recht, dass sie mich fürchteten? Bedeutete ich Gefahr? Oder war ich das Opfer in diesem Wirrwarr?
Je näher ich der Hütte kam, umso weniger registrierte ich die Aromen der Natur.
Als das Gebäude aus Holz nach einigen Minuten in mein Blickfeld kam, stoppte ich alle Bewegungen.
Aus dieser Entfernung begrüßten mich die Nuancen von Blut und Tod. Abermals spürte ich die Klänge in mir. Die Rufe, die vom Lebenselixier ausgingen, damit einen ursprünglichen Teil in mir lockten. Es war eine Qual, ihnen zu widerstehen. Hier draußen auszuharren, bedeutete, dass ich stark war.
Ich schloss die Lider, registrierte die Frequenz meines Herzschlages, den Rhythmus der Atmung. Hier und jetzt war ich sicher. Es lauerten weder Schatten zwischen den Bäumen noch böse Gestalten, die auf eine schutzlose Frau warteten.
Innerlich schüttelte ich den Kopf. Dennoch versicherte ich mich, schaute mich suchend um. Das Kribbeln im Nacken blieb aus. An diesem Ort war ich allein. Nur ich und der Wald. Ich war beschützt, ein Teil von allem, geliebt.
Die Wandlung überkam mich, aus dem Funken eines Gedankens entsprungen. Schmerz und Wonne ebenso wie Eindimensionalität. Das gewohnte Gefühl von Beschränkungen. Die Gestalt eines Menschen war jedes Mal nach der Transition beengend, beinahe zu klein für die große Wolfsseele. Als würde ich meine wahre Natur in ein Korsett zwängen und es immer fester zuschnüren, bis ich kaum mehr Luft bekam.
Die toten Ästchen auf dem Boden stachen mir in die empfindlichen Laufsohlen. Das Blut an den Händen war mittlerweile getrocknet, sodass es spannte.
Ich schüttelte den Kopf.
Nein, so konnte ich niemanden um Hilfe bitten. Mit all den Rückständen auf der Haut sah ich sicherlich zum Fürchten aus.
Mit großen Schritten eilte ich zurück ins Haus. Ich fühlte mich weniger schutzlos, als ich die Tür hinter mir zuzog. Unsicher, dennoch entschlossen trat ich in den Türrahmen zu dem Raum, in dem ich aufgewacht war. Die blütenweiße Bettwäsche sah mit den Blutflecken furchtbar aus. Als hätte man sie für ein Ritual missbraucht.
Schluckend wagte ich mich ins Zimmer vor. Mein Blick war fest auf das Blut geheftet. Ich verstand nicht, was hier los war. Wieso erinnerte ich mich nicht an die Geschehnisse?
Eine Bewegung aus dem Augenwinkel ließ mich herumfahren. Weit aufgerissene Augen sahen mir entgegen, der blutverschmierte Mund und die hohlen Wangen waren von langen, verklebten Haaren eingerahmt. Der blasse Teint unter all dem Rot trat hervor wie der Kontrast auf dem Bett. Ich hob die Hand, stoppte jedoch, ehe ich mich berührte.
Eine mir unbekannte Frau starrte mich an.
Der Spiegel zeigte die nackten Tatsachen, die unschönen Wahrheiten und die Lügen.
Irritiert von diesen Gedanken, wandte ich mich ab. Auf dem Absatz machte ich kehrt, lief zur Küchenzeile und drehte das Wasser auf. Mit ruppigen Bewegungen wusch ich mir die Zeichen der Geschehnisse von der Haut. Erst die Hände, dann das Gesicht.
Es musste weg. Schrubbend fuhr ich mir über jede beschmutzte Stelle. Immer wieder.
Als ich glaubte, alle Reste von dem Blut von mir gespült zu haben, trat ich zurück vor den Spiegel. Meine Atmung beschleunigte sich, der Herzschlag passte sich ihm an. Doch die Stimme der Erinnerungen blieb stumm.
Dunkle Schatten unter den Augen erzählten von Strapazen. Die Lippen waren zu einem schmalen Strich zusammengepresst. Das blonde Haar war jedoch noch immer vom Blut verklebt.
Der Knoten der Angst weitete sich aus, übernahm sämtliche Zellen meines Körpers, als ich meinen eigenen Blick suchte.
Wer war die Frau, die dort stand?
Eine Fremde.
Was war ihr geschehen?
Ein Albtraum.
Wie lautete ihr Name?
Auch der war fortgespült, wie die roten Spuren auf meiner Haut.
Wer war die Frau, die darunter hervorgekommen war? Was hatte ich gemacht?
Die unbekannten Antworten verängstigten mich.
Nachdem ich eine Dusche in der Hütte gefunden hatte, betrat ich sie. Ich öffnete den Duschhebel und stieß einen Schrei aus. Das Wasser war eisig! Der Drang, endlich das letzte Blut von mir zu spülen, war jedoch stärker als jedweder Fluchtgedanke. Mit zusammengepressten Zähnen stellte ich mich meinem Schicksal, schrubbte über die Haut und wuschelte mir durch das Haar.
Zitternd drehte ich den Wasserhahn zu. Augenblicklich bemerkte ich den Fehler. Ich besaß weder Handtücher noch Kleidung, weshalb ich vor Nässe triefend in den Wohnraum tapste. Die Nacht war inzwischen hereingebrochen, ich sah meine eigene Hand kaum noch. Nur aus den Erinnerungen orientierte ich mich.
Eine tiefe Kälte hatte von mir Besitz ergriffen. Von Natur aus fröstelte meine Spezies seltener. Dieser Vorteil gehörte ebenso zu mir, wie die animalische Gestalt. Trotzdem klapperten meine Zähne.
Die allumfassende Eiseskälte war mir unbekannt. Wobei das wenig verwunderlich war, da ich mich an nichts erinnerte, nicht einmal an meinen eigenen Namen. Allerdings war ich nicht völlig ahnungslos. Immerhin wusste ich, was eine Hütte war. Oder dass ich mein Gesicht anschaute, auch wenn ich es nicht kannte, während ich die Augen im Spiegel musterte und verzweifelt war. Die Worte gaben Sinn, fügten sich zu Sätzen und Fragen in mir zusammen. Es war eine Symphonie, deren Noten wie von allein auf der Klaviatur landeten. Irgendjemand hatte dieses Lied geschrieben, die Zusammenstellungen vorgenommen. Es waren die klaren Erinnerungen, die mir fehlten.
Entschlossen schob ich die Überlegungen zur Seite. Darüber hatte ich mir bereits unter dem Wasserstrahl den Kopf zerbrochen. Vergebens.
Mit klappernden Zähnen und leicht zuckenden Bewegungen riss ich alle Schubladen auf, um den Inhalt zu befühlen. Reißzwecken, Klebeband, ein Hammer. In den Schränken neben dem Ledersofa fand ich eine Hose und einen zu weiten Pullover. Ich schlüpfte in die kurze Cargohose, die mir augenblicklich wieder über die Hüften rutschte. Daher widmete ich meine Aufmerksamkeit dem Pulli. Ich zog ihn an, stopfte den überschüssigen Stoff in den Hosenbund als Anti-Rutsch-System. Nützte nichts.
Ich schüttelte den Kopf, während ich mit einer Hand am Bund nachdachte.
Das Klebeband!
Zurück im Schlafzimmer zog ich die Schublade auf. Fahrig griff ich nach der Rolle. Ein Schmerz durchzuckte meinen Zeigefinger, als die Reißzwecke die Haut durchstach.
Siehst du, was passiert, wenn du nicht aufpasst. Die Geräusche der Vergangenheit brachte mich beinahe zum Wimmern. Wie durch Watte hörte ich die Stimme eines Mannes, deren sanfter Klang mir seine Zuneigung verriet.
Jemand vermisste mich! Er suchte nach mir – ganz bestimmt.
Ein Schluchzen voller Erleichterung brach aus mir heraus, bevor ich die Lippen zu einem Lächeln zusammenpresste. Mehrmals schluckte ich gegen den Kloß im Hals an. Dafür hatte ich auch später Zeit.
Ich lutschte kurz den Blutstropfen von der Fingerspitze, ehe ich mich auf mein Vorhaben konzentrierte. Mit der Kleberolle setzte ich mich auf das Sofa. Ich zog eine Armspannenlänge ab und biss in die Klebefolie, um sie abzureißen. Dann schlug ich sie längsseits zur Hälfte um, klebte sie mit sich selbst zusammen. Kein Gürtel, aber besser als nichts.
Sobald ich das Meisterwerk in die Gürtelschlaufen geschlungen und es mit einem Knoten festgezurrt hatte, hielt auch die Hose.
Die Kälte blieb.
Ich schaute in den Kamin, der neben den Eingang stand. Brennholz befand sich draußen. Langsam blickte ich über die Schulter. Der Stoff mit den letzten Blutspuren musste verschwinden. Durch den penetranten Geruch sowie die damit einhergehenden Fragen konnte ich nicht denken.
Da es eine Feuerstelle gab, fand ich hoffentlich auch ein Feuerzeug.
Entschlossen suchte ich abermals alle Schubladen ab, ehe ich eines in der Küchenschublade neben Kerzenstümpfen betastete. Es war ein klobiges Ding, das mir schwer in der Hand lag.
Mit einer fließenden Bewegung ließ ich den Deckel zurückschnappen und drehte am Reibrad.
Die Feuerzunge zischte auf. Der Geruch nach Benzin legte sich in die Luft.
Siehst du, Baby, Feuer kann schmerzhaft sein.
Geflüsterte Worte der Vergangenheit, sodass ich zurückzuckte. Mein Herz setzte aus, weil ich glaubte, den dazugehörigen Atem auf der Wange zu spüren.
Die Flamme leckte mir über die Haut. Schmerz durchzuckte mich und beinahe hätte ich das Feuerzeug fallen gelassen.
Ich schüttelte den Kopf, besann mich auf die Gegenwart. So schlimm war es nicht gewesen, ich hatte weitaus Grausameres ertragen.
Dennoch nagte diese Erkenntnis in meinen Eingeweiden.
Wenn Erinnerungsfetzen zu mir drangen, warum nicht auch Bilder? Ich war schon eine Weile bei Bewusstsein. Wie lange musste ich noch warten? Irgendjemand vermisste mich. Zu diesen Worten gehörte eine Person, die mich liebte. Sie sorgte sich und hatte die Suche aufgenommen. Ganz bestimmt. Oder sollte ich lieber zur Polizei gehen? Konnte sie mir helfen?
War das sein Blut, das an den Laken klebte, in denen ich aufgewacht war?
Ich warf das zugeschnappte Feuerzeug auf den Tisch, raufte mir das nasse Haar. Dann lief ich zur Küchenzeile und zurück.
Ich schaute wieder in die Richtung, aus der der einnehmende Geruch drang.
So funktionierte das nicht!
Aus einem Impuls heraus rannte ich ins Zimmer, zog die Laken vom Bett und stopfte sie in die kleine Öffnung des Kamins im Wohnbereich. Mit der gleichen fließenden Bewegung ließ ich den Deckel erneut aufschnappen und hielt die Flammen an den Stoff. Der gewünschte Effekt blieb aus. Kein Puff und das Ding löste sich auch nicht in Luft auf. Es glomm.
Ich zog meine Hand zurück.
Okay, womöglich war das ein Zeichen.
Vielleicht sollte ich zur Polizei gehen und mit ihnen reden, ihnen erklären, dass ich nicht wusste, wer ich war.
Und wenn sie sich nach dem Ort erkundigten, wo ich das Bewusstsein wiedererlangt hatte? Diese Hütte mit all dem Blut konnte ich schlecht erklären. Sie würden mich verhaften und ich würde im Gefängnis landen.
Meine Lungen krampften sich zusammen, als hätte ich giftige Gase eingeatmet. Dabei wurden meine Beine schwach, sodass ich auf die Knie sank. Währenddessen hielt ich eine Hand auf den Brustkorb gepresst, wiegte mich wie zur Beruhigung eines Kleinkindes. Ein Kloß im Hals machte es schwerer für mich. Ich schloss die Augen.
Es war eine Panikattacke und ich musste mich entspannen. Entschlossen konzentrierte ich mich auf die Atmung. Auf vier einatmen, sieben Sekunden lang anhalten und dann auf acht ausatmen. Ich wiederholte das. Bei der dritten Wiederholung spürte ich, wie sich mein Körper entkrampfte. Erschöpft sank ich auf den Boden und rollte mich zu einer Kugel zusammen.
Woher kannte ich solche Tricks? Wieso ließ ich das Feuerzeug aufschnappen, als hätte ich das zigmal gemacht? All das bedeutete etwas. Nur was?
Eine Träne kitzelte mich auf ihrem Weg über meine Wange und ich wischte sie weg, bevor sie hinabtropfte. Weinen half mir nicht, man rief nur durch Taten Veränderung herbei. Vielleicht war dieses Quartier ein gefährlicher Ort. Ich sollte ihn verlassen und einen Weg für mich finden. Hier in der Hütte zu bleiben und wie ein Baby zu heulen, brachte mich definitiv nicht weiter. Das hatte es schließlich nie.
Ich stutzte.
Dieser Impuls verriet vieles und auch nichts. Zumindest besaß ich die Überzeugung, dass Tränen mich nicht weiterbrachten. Das war immerhin ein Anfang.
Ich schaute zum Kamin, in dem das Laken zusammengeknüllt lag. Wütend sprang ich auf, zerrte an dem blutbesudelten Stoff, ehe ich ihn davor zu Boden warf. Danach rannte ich in die Küche und kramte eine Kerze heraus, die ich mit dem Feuerzeug entfachte. Den Stumpf setzte ich mitten auf den Tisch. Die Flammen lockten die Schatten aus den Ecken hervor, die lauernd über die Wände zuckten, als stünden sie kurz vor einem Angriff.
Ich riss die Blockhüttentür auf, blickte in die Nacht hinaus. Das Kerzenlicht reichte nicht bis hierher. Es war wie ein Glühwürmchen, das vergeblich versuchte, ein ganzes Stadion zu beleuchten.
Seufzend drückte ich die Schulter durch.
Ich war allein mit der Natur. Egal wie bedrohlich die Dunkelheit hier draußen auf mich wirkte, befand sich niemand in meiner Nähe. Dessen war ich mir sicher. Dennoch konnte ich das Gefühl der Angst nicht unterdrücken, rannte eilig zwischen die Bäume, wo ich Totholz und trockenes Gras zusammenklaubte.
Mein Herz raste, als ich ängstlich wie ein Kaninchen zurücklief und die Tür mit dem Fuß zustieß. Erleichtert atmete ich auf, ehe ich das Holz in der Feuerstelle stapelte und die vertrockneten Pflanzen seitlich hineinschob. Sobald ich die Flamme daran hielt, zischte das Gestrüpp wie Zunder und erlosch.
Nachdem ich weiteres Brennmaterial von draußen geholt hatte, gelang es mir, ein Feuer zu entfachen. Die Wärme küsste mich, sodass ich wohlig die Augen schloss und vor dem Kamin sitzen blieb.
Seufzend öffnete ich die Lider. Fasziniert starrte ich in die Feuerzungen, bestaunte deren Tanz, zuckte jedoch bei jedem Knacken. Das war gut. Sowie ich das erste Mal Holz nachgelegt hatte und die Feuerzungen nach mehr lechzten, biss ich eine Kerbe in den Saum, ehe ich Streifen vom Laken abriss. Nach und nach warf ich sie hinein.
Mit einer gewissen Erleichterung beobachtete ich, wie der Stoff entflammte und zischend brannte, bevor er zu Asche zerfiel.
Als alle Blutflecken verbrannt waren, atmete ich auf. Nicht nur, dass damit die letzten Zeugen eines Unglücks aus dem Weg geräumt waren, der penetrante Geruch ebbte ebenfalls ab.
Mein Magen zog sich zusammen und ließ mich knurrend wissen, dass die vergangene Mahlzeit bereits länger zurücklag.
Müde schlang ich die Arme um die angezogenen Beine, während ich ins Feuer starrte. Eine anziehende Faszination ging davon aus, die mich schläfrig machte. Ein erneutes Magenknurren erklang. Ich erhob mich seufzend. Wenn ich hungrig war, schlief ich sowieso nicht ein.
Wider besseres Wissen trat ich in die Küche, wo ich alle Schränke öffnete. Außer ein paar Utensilien verhöhnte mich die Leere darin.
Ich hatte nicht die letzten Stunden damit verbracht, mich aus diesem Bett aufzuraffen, mich zu wärmen, um mich von Hunger entmutigen zulassen. Ich griff nach einem Topf und befüllte ihn. Danach betrachtete ich den Herd. Meine Hoffnung galt der Gasflasche und deren Füllung. Nachdem ich das Feuerzeug vom Wohnzimmertisch geholt hatte, entzündete ich mit der Flamme das Gas, stellte den Topf aufs Feuer. Hunger konnte ich für eine begrenzte Zeit mit Trinken zum Stillschweigen bringen. Flüssigkeit brauchte mein Körper ohnehin.
Sobald das Wasser kochte, nahm ich es von der Feuerstelle und füllte es in einen Becher. Die Keramik leitete die Hitze sofort durch, sodass ich mich verbrannte. Doch es war ein guter Schmerz, er vertrieb die Kälte. Es war ein Anfang.
Wenn ich aufgewärmt war, konnte ich nachdenken, wie es weitergehen sollte.
Die Nacht hatte ich in Wolfsgestalt vor dem Kaminofen geschlafen. Ich hatte es einfach nicht über mich gebracht, zurück in das Bett zu steigen, in dem ich aufgewacht war. Außerdem befanden sich trotz meiner Aktion weiterhin Blutreste dort. Obwohl die Matratze weich war, hatte all das Blut seine Spuren in mir zurückgelassen. Diese wollte ich nicht zu einem Pfad ausbauen, ihn lieber wieder mit losem Blattwerk verschütten. Die Ungewissheit machte mir Angst. Daher war es wie ein tiefes Bedürfnis, die Gedanken an all die roten Flecken irgendwie zu vertreiben. In mir wuchs das Bild, wie ich Samen darüber verstreute, um eine Blumenwiese auf den Erinnerungen auszusäen und die Dämonen unter schönen Dingen zu vergraben.
Diese Vorstellung hatte mich wachgerüttelt und die Zweifel von mir gewaschen.
Eines wusste ich mit Gewissheit: Ich war nicht gewalttätig. Entweder war ich angegriffen worden oder es gab einen anderen Grund für all das Blut. Vielleicht war ich nicht besonders fantasievoll und fand deshalb keine Erklärung. Doch sie existierte, da war ich mir sicher. Mir blieben blanke Vermutungen, nichts, was mir weiterhalf.
Durch diese Erkenntnis hatten sich Sorgen in mir eingenistet. Die Wahrscheinlichkeit, dass mich jemand in diese Hütte gebracht hatte, war hoch.
Diese Überlegungen hatten mich angetrieben, den Unterschlupf so schnell wie möglich zu verlassen und Schutz in einer Stadt, vielleicht sogar bei der Polizei zu suchen.
Das war der Weg, der vor mir lag.
Aber in die Nacht hatte ich nicht hinausgewollt. Die Hilflosigkeit, die ich beim ersten Versuch gespürt hatte, war noch zu präsent.
Eine innere Unruhe hatte mich noch vor der Morgendämmerung geweckt. Ich war in Wolfsgestalt durch die Räume gelaufen, hatte mich von meiner Sicherheit überzeugt. Doch ich war allein gewesen. Erst danach hatte ich mich gewandelt.
Mittlerweile hatte ich alles zurückgeräumt und selbst die Asche aus dem Kamin gefegt. Es lag nicht in meiner Absicht, die ungewollte Gastfreundschaft zu überstrapazieren. Daher die Ordnung und das mulmige Gefühl im Bauch, als ich die Tür hinter mir zuzog.
Argwöhnisch blickte ich zu den Bäumen und wartete auf einen Schatten, der sich bewegte und Unheil versprach. Als diese Vorstellung weiterhin eine Fantasiegestalt blieb, atmete ich erleichtert aus, bevor ich die geliehene Kleidung auszog. Die Kühle des Morgens leckte mir über die Haut, sodass ich fröstelte, und die Kälte des Vortages in mir weckte. Eilig verstaute ich die Hose in den Pullover und verknotete alle Öffnungen, damit es mir gelang, die Behelfskleidung in Wolfsgestalt mitzunehmen.
Euphorie und Schmerz veranstalteten einen Tanz, ehe mich die allumfassende Erleichterung der Wandlung übermannte und ich die ersehnte Weite der Vollkommenheit spürte.
Schüttelnd lockerte ich das Fell, genoss die frische Brise, die wie eine sanfte Liebkosung hindurchstrich. Als ich die Nase hob, vergewisserte ich mich nochmals mit meinen tierischen Instinkten, dass ich allein war.
Die nächtlichen Überlegungen hatten größeren Schaden angerichtet. Wie es schien, litt ich an Paranoia.
Vorsichtig hob ich die Kleidung mit der Schnauze auf und hätte mir am liebsten augenblicklich die Nase gerieben. Der Rauch war tief in die Fasern eingedrungen, sodass ich all meine Willenskraft aufbrachte, um sie nicht einfach liegenzulassen und in Wolfsgestalt in die Stadt vorzudringen. Mir war bewusst, wie erschreckend ich wirken konnte. Es wäre besser, wenn ich wüsste, wo ich mich befand. Dann könnte ich abschätzen, ob man öfter mit Wölfen in ihrer wahren Gestalt zu tun hatte. Wobei mir nicht klar war, wieso ich all dieses Wissen besaß, aber jegliche Informationen über mich selbst vergessen hatte.
Ich hatte mich im Vorfeld entschlossen, in Richtung Süden zu gehen. So lief ich mit dem Sonnenstand und hatte im Zweifel länger Licht. Obwohl es womöglich ein Trugschluss war, hatte mir der Entschluss geholfen. Dadurch hatte ich mich weniger hilflos gefühlt.
Zielbewusst trabte ich los, fühlte den Einklang mit der Natur und mein Herz erfüllte sich mit Hoffnung. Das war es: zwischen den Bäumen, unter freiem Himmel zu sein und die Sonne in jeder Zelle bedeutete für mich Heimat.
Tief in mir wusste ich, dass alles gut werden würde. Ja, ich fand einen Weg heraus aus dieser Lage. Ich würde mich erinnern und zurück in den Alltag finden.
Mit weiterer Zuversicht beschleunigte ich die Schritte, konnte kaum erwarten, in ein Leben voller vergessener Bilder zurückzufinden. Das hier war der Entschluss, eine freie Kriegserklärung gegen mein Gehirn, niemals aufzugeben, bis ich alle Erinnerungen aufgedeckt hatte.
Ich war eine Wölfin, entschlossen und bereit, bis ans bittere Ende zu kämpfen.
* * *
Die Sonne stand am Zenit, als ich eine Pause einlegte. Jeder Muskel schmerzte, was mich irritierte. Die Ausdauer der tierischen Hälfte war im Normalfall ausgeprägter. Warum schwächelte der Körper so massiv? War ich früher faul gewesen, sodass ich mich kaum bewegt hatte?
An einem Bach legte ich die stinkende Kleidung auf den Boden ab und trank das erfrischende Nass. Ich genoss das Gefühl der Kühle, die mir die Kehle hinabrann.
Ich hatte Hunger, sehr großen sogar.
Entweder jagte ich ein Kleintier oder ich wartete auf die Stadt, in der ich … was? Ich besaß weder Geld noch eine Bleibe und ich erinnerte mich an niemanden, den ich um Hilfe bitten konnte.
Sollte ich bei der Polizei vorstellig werden, gaben sie mir vielleicht irgendetwas Essbares, ganz bestimmt. Alle Gedanken kreisten immer schneller um einen von Käse triefenden Auflauf, an Spaghetti, sogar einen Kürbis-Pie. Was würde ich tun, um etwas davon auf der Zunge zu schmecken? Schnaubend stieß ich die Luft durch die Nase aus, als mir die Antwort bewusst wurde. Selbst für einen Krümel würde ich verdammt viel machen.
Ein Knacken dicht an meinem Rastplatz ließ mich herumschnellen. Ich studierte die Umgebung, witterte allerdings nichts als Natur und Freiheit. Es war weder ein anderes Tier noch ein Mensch. Doch ich wusste in einem ursprünglichen Teil, dass dieses Geräusch niemals ein Laut des Waldes gewesen war. Es war ein Knistern, das böse Absichten preisgab und den Standort von Verfolgern enthüllte.
Das Poltern von innen gegen meinen Brustkorb animierte alle Sinne, sich zu schärfen.
Eine unnatürlichen Stille umschlang, verhöhnte und ärgerte mich gleichermaßen.
Ich fletschte die Zähne und stieß ein Grollen tief aus der Kehle aus.
Es war die Ruhe, die ich selbst verursachte, sobald ich auf der Jagd war. In dem Moment, wenn ich mich auf der Pirsch befand und der Fährte folgte, verstummten die Zeugen des Waldes, um nicht auf sich aufmerksam zu machen.
Mir stellte sich das Nackenfell auf und ich grollte erneut.
Ich war die Beute!
Jede Zelle meines Körpers war angespannt, für einen Kampf bereit und entschlossen, diesen als Sieger zu beenden.
Eine Hupe ertönte und ich ruckte mit dem Kopf in die Richtung. Der Laut war etwas weiter entfernt, aber immerhin bedeutete er, dass ich mich menschlicher Zivilisation näherte, und dort bekam ich Hilfe.
Jetzt oder nie!
Ich warf einen letzten Blick zu der Bedrohung, hob die Lefzen und zeigte, was einen Angreifer erwartete, bevor ich mir die Kleidung schnappte und lossprintete. Aus Angst, dass sich das Lebenszeichen als Halluzination herausstellte, beschleunigte ich den Lauf. Hetzte durch den Wald und spitzte die Ohren, um jedes Geräusch aufzuschnappen.
Ein erneutes Knacken verriet den Verfolger und ich trieb die Schritte voran. Dabei schaute ich jedoch nicht über die Schulter. Das war ein Fehler, den Anfänger begingen. Die Bäume wichen mir nicht aus und auf eine innige Umarmung mit einem von ihnen, verzichtete ich gerne.
Die nächtlichen Sorgen kamen ohne Ankündigungen zurück, schlugen mir ihre Krallen in den Nacken und spornten mich an. Mein Herzschlag beschleunigte sich im selben Tempo und ich legte noch einmal an Geschwindigkeit zu.
Ich musste hier weg.
Als der Wald plötzlich eine Schnellstraße ausspuckte, kam ich rutschend zum Stehen. Die Gefahr im Rücken spürend warf ich die Kleider zu Boden und gab dem Körper den Befehl zum Wandel. Dieses Mal registrierte ich ganz bewusst, wie schwach ich in dem Frauenkörper war. Eilig streifte ich mir die Kleidung über, ehe ich auf den Seitenstreifen trat und weiterlief. Manche Fahrer gaben hupend ihren Unmut kund – Fußgänger auf Fernstraßen sah man nicht gerne.
Der Drang übermannte mich. Mit wildklopfendem Herzen schaute ich zurück. Mit etwas Fantasie erkannte man den Umriss, der in den Schatten lauerte. Ein Wolf.
Ich stolperte und fiel auf die Knie, wodurch ich mir die Haut aufriss. Zischend sog ich die Luft ein. Langsam erhob ich mich, betrachtete die Wunde.
»So ein Mist!«, fluchte ich und erschrak. Meine Stimme klang, als hätte ich mich entweder vergangene Nacht quer durch die Karte einer Bar getrunken oder als wäre ich Tage stumm geblieben.
Erneut schaute ich zum Waldrand. Von der Wolfgestalt war keine Spur mehr zu sehen, sodass ich erleichtert die Augen schloss.
Ich hatte mir die Bedrohung eingebildet. Nicht wahr?
Erst da nahm ich mir die Zeit und pulte die Steinchen aus der frischen Wunde. Humpelnd schleppte ich mich weiter, lief auf dem Seitenstreifen und erkannte in der Ferne ein Straßenschild, auf dem Ottawa angeschlagen stand.
Wohnte ich in der Stadt? Wieso fühlte es sich falsch an? Nein, ich kam nicht von hier. Oder war es Einbildung?
Ich lief weiter. Eine Polizeistation fand ich am besten in zivilisierter Umgebung, nicht in einem Wald!
Und zurück ging ich bestimmt nicht mehr.
Irgendetwas sagte mir, dass dieser Wolf mich in das blutbeschmierte Bett gelegt hatte. Vielleicht sprach aber auch die Angst aus mir.
Das blutige Knie schmerzte ebenso wie jeder Muskel und ich war einmal mehr kurz davor, meine Gestalt zu wandeln. Gleichgültig, welches Entsetzen meine Erscheinung auslöste.
Mittlerweile lief ich schon über eine Stunde diese Landstraße entlang, wenn nicht länger, und ich war müde.
Ein roter Wagen scherte vor mir ein und hielt mit aufleuchtenden Warnblinkern.
Hoffnung und Angst übermannten mich gleichermaßen. Mein Herzschlag beschleunigte sich und ich beschloss, unbeirrt weiterzugehen. Im Gegensatz dazu hob die Wölfin in mir wachsam den Kopf.
Als ich auf Höhe des Tankdeckels des Autos ankam, erkannte ich unzählige, silberne Armreifen um ein zierliches Handgelenk baumeln. Eine Frau beugte sich über den Beifahrersitz und kurbelte das Fenster einen Spalt herunter.
»Hey. Sollen wir dich mitnehmen?«
Ich bückte mich, blickte in ein mit Sommersprossen übersätes Gesicht. Die Fahrerin sah mich an, lächelte und musterte mich ebenso aufmerksam, wie es meine bessere Hälfte bei ihr tat. Das Haar der Fremden hatte die Farbe von Henna und einige grauweiße Perlen hatte sie darin eingeflochten. Sie rundeten ihre Erscheinung ab, obwohl ich nicht genau wusste, woher diese Überzeugung stammte.
»Fährst du in die Stadt?«
Ein Kläffen verriet mir eine gewisse Unsicherheit ihres Begleiters. Ich schaute auf die Rückbank. Dort lag ein riesiger Rottweiler völlig entspannt und irgendetwas Nacktes, das zwischen einem kahlgeschorenen Meerschweinchen und einem haarlosen Murmeltier alles sein könnte. Nur der Kopf schien mit Haaren bedeckt zu sein. Wenn ich mich anstrengte, erkannte ich zwei Augen und süße Reißzähnchen, die merkwürdig krumm aus dem Maul lugten, sobald er zu einem weiteren nervtötenden Gekläffe ansetzte.
»Ja.« Die Fahrerin bemerkte meinen Blick. »Hast du Angst vor Hunden?«
Ich schmunzelte. »Nein, ich weiß allerdings nicht, wie sie auf mich reagieren.«
»Ach? Was bist du?« Sie sah mich erfreut an und ich atmete erleichtert auf, dass ich nicht auf Ablehnung stieß. Nicht jeder akzeptierte unsereins, sie sorgten sich, dass wir ihnen überlegen waren. »Ein Adler, eine Katze oder ein ganz anderes Wesen?«, bohrte sie weiter, als ich sie nur ansah.
»Ein Wolf«, teilte ich ihr notgedrungen mit.
Sie winkte ab. »Ein Kätzchen hätte für Probleme gesorgt, du nicht. Princess ist tiefenentspannt und Zerberus besitzt ein größenwahnsinniges Selbstwertgefühl.« Sie lachte und dieses Geräusch verleitete mich dazu, sie anzulächeln.