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Rees’ Leben als Alpha des Riverstar-Rudels hätte perfekt sein können, würden ihn die Zweifel nicht ständig heimsuchen. Dabei hat er seine große Liebe Alaya vor mehreren Wochen aus den Fängen des brutalen DarKing-Rudels befreit. Doch sie ist nicht mehr das unschuldige Mädchen, das er einst liebte. Ihre Vergangenheit zieht Schatten bis in die Gegenwart und immer wieder sieht er sich mit ihren Dämonen konfrontiert. Als er ihr einen Ort zum Trauern erschaffen möchte, macht er eine folgenschwere Entdeckung, die die Vergangenheit in ein gänzlich anderes Licht rückt. Gefangen zwischen seinem tiefen Kontrollbedürfnis und dem Drang nach Rache, muss Rees etwas zulassen, das er vor langer Zeit verloren hat: Vertrauen.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Die Heilung des Wolfs
Danksagung
Copyright: © 2024 Sophia Beli
Eine Portion Liebe
Coverfoto:
© Coverhexe (Alannah Kottenstede) unter Verwendung von Motiven von Adobe Stock und Creative Fabrica
Korrektorat:
Veros Wa(h)re Worte – Veronika Schlotmann-Thiessen
Sophia Beli
c/o Sebastian Münch
Rechtsanwalt / Steuerberater
Großenbaumer Weg 8
40472 Düsseldorf
Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nachdrücklich nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet. Sämtliche Personen in diesem Text sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig.
Für alle,
die wie ich lernen müssen,
dem Leben zu vertrauen.
Ich war wütend. Mehr als das. Am liebsten hätte ich auf etwas eingeschlagen. Stattdessen lief ich Furchen in den Boden meines Büros, während ich das Päckchen zwischen den Fingern drehte. Es erdete mich sonst immer auf ungesunde Weise, das war mir klar. Nur nicht jetzt.
»Rees?«
Alayas Stimme ließ mich innehalten, ich schloss die Augen. Manchmal kam es mir wie ein Traum vor, dass sie wieder bei uns lebte. An guten Tagen wagte ich zu hoffen, dass die Jahre, die einem niemals endenden Albtraum geglichen hatten, nichts an unserer Verbindung geändert hatten. Dass wir uns fanden, irgendwann. An schlechten sah ich sie an und erkannte die Leere, die mir selbst so vertraut war, und lachte die Hoffnung aus, die sich in meinem Herzen eingenistet hatte.
Bewusst langsam verstaute ich die kleine Plastiktüte in der Hosentasche.
Als Alaya nichts weiter sagte, drehte ich mich fragend zu ihr um. Sie strahlte eine tiefe Traurigkeit aus, die für mich beinahe zum Greifen war. Sie legte den Kopf zur Seite, musterte mich. Doch sie machte keinerlei Anstalten, mir körperlichen Trost zu schenken.
»Rede mit Calie. Sie leidet sehr unter Frederiks Verlust.« Ihre Stimme klang sanft, ohne Vorwurf.
Wer nicht? Dieser Wolf war für mich einer Vaterfigur gleichgekommen. Er hatte mir in meinen schwärzesten Tagen beigestanden, hatte mich zur Rechenschaft gezogen und mir geholfen. Ihm verdankte ich alles. Gleichzeitig war ich an seinem Tod schuld. Wie sollte ich mit dieser Schuld weiterleben?
Ich strich mir durchs Haar. Die Erinnerungen von damals, als ich an meinem persönlichen Tiefpunkt gewesen war, waren so erdrückend, dass ich nicht einmal wusste, was ich in diesem Moment fühlte. Ein Fluchtgefühl bedrängte mich, lockte mich von der Verantwortung fort und versprach mir Erleichterung, wenn ich meine Verpflichtungen einfach aufgab. Unser Rudel hatte mehr verdient. Einen Anführer, der sie beschützte.
Alaya trat auf mich zu. »Sieh mich an.«
Verwirrt runzelte ich die Stirn.
»Wo bist du?«
»Hier.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, Dunkelheit umgibt dich. Dir ist klar, dass du Frederik und die anderen nicht umgebracht hast, oder?«
»Ich habe nicht die Hand gehoben und es ausgeführt, aber ich habe das DarKing-Rudel hierhergeführt. Natürlich trage ich die Verantwortung. Ich werde all unsere Toten rächen, jeden einzelnen.«
Laya schluckte. »Darin verlierst du dich, Rees.«
Zorn erwachte in mir. »Ist das nicht egal? Es geht um unsere Familie«, fuhr ich sie an.
Sie zuckte nicht einmal mit der Wimper, reckte ihr Kinn herausfordernd und sah mich provozierend an. Gerade als sie Luft holte, um mich in die Schranken zu weisen, betrat Emma mein Büro.
»Störe ich?«
Ich trat einen Schritt zurück, suchte Abstand und schenkte Alaya keinerlei weitere Beachtung. Natürlich verstand ich genau, was sie mir zu sagen versuchte, ich wollte es nur nicht hören.
»Was ist los?«, überging ich Emmas Frage, richtete meinen Fokus auf sie.
Sie sah von mir zu Laya, unsicher, ob es wirklich in Ordnung war, dass sie störte. Dass sie erst eintrat, als Alaya nickte, wurmte mich. Dennoch wusste ich tief in meiner Seele, dass mich das mit Stolz erfüllt. Sie erkannte die Frau bereits auf eine Weise an, als wären wir Gefährten.
Schmerz brandete durch meine Brust und erinnerte mich daran, dass ich weiterhin lebte. Auch wenn ich, als wir vor ein paar Stunden die Leichen nach dem verheerenden Angriff aufgebahrt hatten, geglaubt hatte, dass ich gestorben wäre.
Emma tänzelte von einem Fuß auf den anderen.
»Ich lass euch mal allein.« Laya sah mich eindringlich an, als erklärte sie unser Gespräch für nicht beendet.
»Erzähl schon.« Ich nickte Emma auffordernd zu. Für aufwendige Analysen meiner Psyche hatte ich keine Zeit, ich brauchte ein Ventil.
Sie überreichte mir drei Ausdrucke. Kurz warf ich einen Blick darauf. Es waren Zeitungsberichte über die Bergung des Kindes, das in Monas Grab gelegen hatte. Es zeigte nochmals das Familienfoto, bei dem ein blondgelocktes Mädchen zwischen ihren Eltern in die Kamera strahlte.
Langsam ließ ich die Papiere sinken. »Was ist das?«
Ein vorsichtiges Lächeln zupfte an Emmas Lippen. »Ich habe es nicht gesehen, weißt du?«
»Was?«
»Dass wir der Familie Frieden schenken. Natürlich trauern sie um ihr Kind, aber sie sagen in einem Interview, dass sie einen Ort haben, wo sie ihr kleines Mädchen besuchen können.«
»Gut gemacht, Ems.«
Sie nickte.
Ich verengte die Augen, musterte sie. »Was gibt es außerdem?«
Sie knetete ihre Finger. »Ich habe eine Transaktion von einem der Konten des DarKing-Rudels an Devran gefunden.«
Seinen Namen zu hören, löste in mir den Wunsch aus, ihn gleich nochmals umzubringen. Was er Alaya angetan hatte, war kaum in Worte zu fassen. Dabei war mir bewusst, dass diese sture Wölfin nichts davon aussprach. Doch die Träume, die sie Nacht für Nacht heimsuchten, zeigten es überdeutlich.
»Das bedeutet, du kannst ihn weiter durchleuchten.«
Sie nickte. »Endlich.«
»Was versprichst du dir?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Es ist eine leise Stimme, die mich antreibt weiterzumachen.«
»Lausche ihr, befolge ihre Anweisungen.«
»Deshalb stehe ich vor dir und erzähle dir davon. Außerdem könnte ich eine Aufstellung von allem machen, was ich finde. Wenn Alaya es sich irgendwann überlegt, ihr persönliches Erbe von den DarKings einzufordern, könnte das hilfreich sein.«
Die Vorstellung hatte die Macht, meine Organe zu Eis gefrieren zu lassen. Die Möglichkeit zeigte mir einmal mehr, zu was er sie alles gezwungen hatte. Dieser Mistkerl hatte weder vor körperlicher noch vor seelischer Vergewaltigung zurückgeschreckt.
Mit all meiner Kraft schob ich jeden dieser Gedanken beiseite, sonst würde ich mich darin verlieren. »Gerne. Allerdings bezweifle ich, dass ein Anwalt aus deiner Aufstellung Nutzen zieht. Die Wege, wie du an die Informationen gelangt bist, sind nicht für offizielle Ohren bestimmt.«
Emma lächelte mich breit an. »Mit etwas Glück schubsen wir ihn in die entsprechende Richtung.«
Ich nickte, woraufhin sie sich umdrehte. Im Türrahmen blieb sie stehen, sah zu mir. »Du hast wunderschön gesungen.«
»Es bringt sie trotzdem nicht zurück.«
»Nein, aber es zeigt uns Überlebenden, dass unser Rudel eine Zukunft hat.«
Ich drehte ihr den Rücken zu. Sie musste die Selbstvorwürfe nicht sehen, die mich zerfraßen, von den Zweifeln einmal ganz abgesehen.
Alayas Worte kamen mir wieder in den Sinn, sodass ich auf den Absatz kehrtmachte. Eilig verstaute ich den Plastikbeutel in dem verschließbaren Fach im Schreibtisch und verließ die Höhle. Allerdings nahm ich hierfür den Weg durch den Krankentrakt, damit ich nicht auf meine Rudelmitglieder traf, die noch immer auf unserem Festplatz zusammenstanden und der Toten gedachten.
Der Geruch nach Desinfektionsmittel schlug mir entgegen, ich schloss die Augen. Die Wut auf Isabell, Devran und die Welt im Allgemeinen überrollte mich erneut. Sie zog mich hinab. Ich hatte Mühe, die Lider zu öffnen, weiterzuatmen und den nächsten Schritt zu machen. Kurz blieb ich an Renées Zimmer stehen. Es schmerzte mich, sie so zu sehen. Ein Schlauch steckte in ihrem Mund, Maschinen ermöglichten ihr, am Leben zu bleiben. Ihre Jungs hatten sich neben sie gekuschelt, schliefen.
In letzter Zeit war ich viel zu oft auf der Krankenstation gewesen, hatte den Angehörigen Beistand gespendet oder um Tote getrauert. Ich wusste, dass es meine Aufgabe war, meinen Rudelmitgliedern Kraft und Trost zu schenken, ihnen den Blick in eine gesicherte Zukunft zu geben, doch es gelang mir nicht. In diesem Moment fand ich keinen Funken Hoffnung in mir, den ich mit ihnen teilen konnte.
Sobald mir die kalte Novemberluft entgegenschlug, war ich froh, ein Wolf zu sein. Mir machten die Temperaturen nicht viel aus. Dennoch zog ich mich eilig aus, verstaute die Kleidung in einem Regal hinter der Höhle und wandelte mich einen Wimpernschlag später. Euphorie und Vollkommenheit beruhigten meine Sinne und schenkten mir eine Offenbarung an Eindrücken.
In Wolfsgestalt holte ich tief Luft, ehe ich auf den Wald zuhielt. Es war die Weite, die mich lockte. Die Einsamkeit, die nach mir verlangte.
Ich beschleunigte meine Schritte, jagte in immer schnellerem Tempo durch das Dickicht, duckte mich unter Ästen und verfolgte Fährten von heimischen Tieren. Ein Teil meiner Seele drängte nach noch mehr Abgeschiedenheit, nach völliger Ruhe. Doch darin lag eine Gefahr. Manche von uns verirrten sich im Alleinsein, verloren den Anschluss zu dem Rudeltier und wurden wild. Für mich war diese Empfindung nicht fremd.
Als ich auf einem Vorsprung stoppte und auf die Weite der Wasseroberfläche starrte, verharrte ich eine ganze Weile so. Plötzlich fing ich eine Nuance auf, die sich wie Balsam auf meine Seele legte.
Doch ich kämpfte gegen das Gefühl an. Das hatte ich nicht verdient.
Ärger entfachte sich in mir. Schließlich war ich nicht für irgendeine Form der Anteilnahme hierhergekommen. Um meinen Unmut kundzutun, hob ich die Lefzen, während ein Knurren in meiner Brust anschwoll. Mit aller Kraft schluckte ich es zurück und wartete …
Die Wölfin mit dem hellen Fell trat nach einer Weile neben mich. Sie beachtete mich nicht, sah zum See und setzte sich. Ich schnappte in die Luft und drehte ihr demonstrativ den Rücken zu, bevor ich Schutz im Unterholz suchte. Doch Alaya war schnell, das war sie auch früher schon gewesen. Und gerissen. Das hatte sie als junges Mädchen bereits einzusetzen gewusst. Nur heute sehnte ich mich danach, allein zu sein. Was sie vermutlich wusste und dennoch ignorierte.
Ich beschleunigte meinen Sprint, rannte durch den Wald. Immer weiter entfernte ich mich aus Wabasca. Ihrer Anwesenheit war ich mir weiterhin bewusst. Obwohl sie sich in einiger Entfernung aufhielt, gelang es mir nicht, sie auszublenden. Meine Seele schrie mich an, bettelte geradewegs darum, zu ihr zu gehen. Wir waren zu lange getrennt gewesen, um jetzt auch nur eine kostbare Sekunde zu verschwenden.
Als ich an der nördlichen Grenze unseres Territoriums ankam, wandelte ich mich und zog Kleidung aus einer der Kleidungsboxen an. Dann wartete ich, bis die helle Wölfin aus dem Unterholz trat. Sie musterte mich mit schief gelegtem Kopf, weshalb ich sie mit einem Nicken aufforderte, sich umzuziehen.
Ich drehte mich um und lauschte. Als ich das Klicken des wasserfesten Verschlusses hörte, lief ein Schauer durch meinen Körper. Mir war überdeutlich bewusst, dass Alaya nackt hinter mir stand. Wie oft hatte ich mir vorgestellt, wie es wäre, sie zu berühren? Ihre Haut unter meinen Fingerspitzen zu fühlen.
»Wie kann ich dir helfen?« Ihre sanfte Stimme durchdrang die Stille, ihre warme Hand legte sich zwischen meine Schulterblätter. Als ich mich zu ihr umdrehte, stieß ich schnaubend die Luft aus. Alaya trug sicherlich drei Pullover übereinander und hatte die Schultern hochgezogen. Sie sah mich aus großen Augen an, ihre Haare hingen wild herab. In diesem Moment erinnerte sie mich wieder an das Mädchen, das sich in weißen Strumpfhosen hinter einem Busch versteckt hatte, bis ich sie gefunden hatte.
Ich schluckte. »Du hast recht, ich muss zu Calie. Alle anderen brauchen meine Nähe ebenfalls.«
Sie gab einen Laut der Zustimmung von sich. »Warum bist du dann hier?«
»Ich wollte mich vergewissern, dass alle Posten an ihrem Platz sind.«
Sie nickte, aber ich erkannte, dass sie mir kein Wort glaubte.
»Außerdem kann ich an diesem Ort gut nachdenken«, schob ich hastig hinterher.
»Worüber?«
»Ems hat mir einen Zeitungsbericht über die Bergung des Mädchens gezeigt, das in Monas Grab lag.«
»Weiß Sam schon Bescheid?«
»Ich denke, Emma hat es ihr erzählt.«
Nachdenklich brummte sie. »Das ist gut. Aber worüber denkst du nach?«
»Hanish hat mir angeboten, dass er unsere Kameraden aus dem Banff-Nationalpark bergen würde.«
Alaya sah mich an. »Wirklich? Ist das nicht zu gefährlich?«
Ich zuckte hilflos mit den Schultern. »Das war auch mein erster Gedanke.«
»Was hat sich geändert?«
»Was ist, wenn es das Risiko trotzdem wert ist? Wäre es nicht für unsere Familie hilfreich, ihre Toten bei sich zu wissen?«
Sie dachte einen Moment über den Vorschlag nach. »Stimmt, es könnte ihnen helfen, den Verlust zu verarbeiten.«
Ich fuhr mir durch den Bart.
»Was? Was hält dich ab?«
Ich schwieg. Einerseits war ich nicht bereit, das Angebot laut auszusprechen. Andererseits wollte ich Hanish nicht einer unnötigen Gefahr aussetzen. Wir wussten schließlich nicht, ob Isabell und ihre Leute nicht weiterhin zwischen den Bäumen lauerten und auf unsere Rückkehr warteten.
»Könnte es sein, dass Isabell uns erneut in eine Falle lockt?«
Laya schluckte. »Das wissen wir nicht. Wir könnten die Bergungsmission mit dem eigentlichen Auftrag kombinieren.«
»Und wenn wir damit die Aufmerksamkeit erst recht auf uns ziehen?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Dann müssen wir dieses Mal besser sein als sie. Weitere Verluste verkraften wir nicht.«
So viel Wahrheit lag in ihren Worten, dass sie mich wie ein Fausthieb in den Magen trafen. Beinahe schmerzlich erkannte ich, dass sie recht hatte.
»Komm.« Dieses Mal nickte sie in Richtung Heimat. »Ich habe für Fynns Familie sowieso einen Auflauf vorbereitet, den kann ich ihnen auch jetzt vorbeibringen.«
Sie hatte es gespürt und wusste, dass ich mich drückte.
»Das brauchst du nicht.«
»Ich weiß.« Sie schenkte mir ein beruhigendes Lächeln. »Jetzt komm, hier ist es eisig.«
Sie hätte niemals auf diese Weise frieren dürfen. Wir waren Gestaltwandler, das Tier in uns wärmte uns. Vermutlich … Devran hatte ihr womöglich auch im Wald zugesetzt. Wahrscheinlich war es die Angst, die sie zittern ließ.
Dieser Gedanke tobte durch mich hindurch, ohne dass ich ihn stoppen konnte.
Als wir kurz darauf in Wolfsgestalt in gemächlichem Tempo zurücktrabten, sah ich immer wieder zu ihr. Die Vorstellung, dass Devran ihr die Freude am Wald genommen hatte, ließ mich an ihrer Seite bleiben und das Heulen hinabschlucken, das bereits meine Kehle hinaufgeklettert war.
Elissa und Tamoh waren reizende Mädchen, die ihrem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten schienen. Fynn war ein attraktiver Mann gewesen, ebenso wie seine beiden Kinder, die zu wunderschönen Frauen heranwachsen würden.
Schwere lag auf mir, als wir aus dem Haus traten. Rees’ Anwesenheit spürte ich, obwohl wir uns nicht berührten. Sie glich einer tröstenden Umarmung. So war es immer mit ihm. Egal wie sehr ich mich gegen unsere Verbindung wehrte, war jeder meiner Sinne dennoch auf ihn ausgerichtet. Ich wusste, dass meine Zukunft bei ihm lag. Meine Wölfin fühlte es. Doch ich hatte Angst davor, mich fallen zu lassen.
Ich drehte mich um, senkte den Blick und ging in Richtung Höhle.
»Es sollte mich nicht überraschen, dass sie Fynn in Wabasca haben wollen.«
Ich sah auf. Rees blickte zu Boden, wie ich es getan hatte. Doch in diesem Moment wirkte er auf mich, als würde er ein schweres Gewicht mit sich herumtragen. Vermutlich tat er das auch.
»Wie kann ich helfen?«
Er sah zu mir. In seinen Augen lag eine kühle Distanziertheit. »Danke, aber das ist meine Aufgabe. Ich rede gleich mit Hanish.«
»Ich erkenne die Notwendigkeit der Bergung, Rees, aber wähle jemand anderen. Er ist der Prinz der Falken. Du kannst ihn nicht dieser Gefahr aussetzen. Das weißt du genau.«
Er stieß abschätzig den Atem aus der Nase. »Nein. Er will es so, sonst hätte er es nicht angeboten. Sein Status ändert nichts an ihm als Kamerad. Er ist Teil unserer Gemeinschaft und als dieser engagiert er sich auch für die Allgemeinheit. So wie jeder von uns. Für mich ist nicht fraglich, ob ich ihn schicken kann, Laya. Es geht mir um die generelle Frage.«
»Er hat sich erst vor Kurzem an Emma gebunden.«
»Ist es dir lieber, wenn andere Mitglieder unseres Rudels sterben? Hanish ist wenigstens ein erfahrener Krieger, der sich im Ernstfall zu wehren weiß.«
Das ungute Gefühl hatte sich in mir eingenistet, seitdem Fynns Frau uns mit Tränen in den Augen angesehen und uns darum gebeten hatte, ihren Gefährten nach Hause zu holen.
»Du weißt, was ich meine. Die Distanz wird ihn unaufmerksam werden lassen, er könnte ausbrennen.«
»Sie sollte ihn begleiten.«
Ich sah ihn fassungslos an. »Ist das dein Ernst? Emma kann sich nicht gegen Isabells Leute verteidigen. Wir hätten sie beinahe bei ihrer letzten Mission verloren.«
Er verschränkte die Arme vor der Brust und funkelte mich finster an. »Daran musst du mich nicht erinnern.«
»Dann schlag so etwas nicht mehr vor. Das ist doch Wahnsinn.«
Er machte einen Schritt auf mich zu, sodass ich hochschauen musste, und blickte auf mich herab. Ich sah, wie seine Kiefermuskeln sich bewegten. »Ich bin der Alpha. Es sind meine Entscheidungen und auch die Last, die ich mit den Konsequenzen tragen muss, obliegt mir allein.«
»Du bist verrückt.« Ich schüttelte den Kopf.
Sein Blick glitt über mein Gesicht, suchte nach etwas, das ich ihm nicht zu geben bereit war. Ich machte einen Schritt zurück.
Rees stieß missmutig die Luft durch die Nase aus. »Glaub mir, solche Entschlüsse fälle ich nicht leichtfertig.«
»Das weiß ich. Ich habe nur …«
»Angst?« Er sah mich herausfordernd an. »Denkst du, mir geht es anders? Aber wir müssen Zeichen setzen, dass man mit uns nicht machen kann, was man will. Wir sind Wölfe und niemand greift unser Rudel ungestraft an.«
Ich kannte jedes seiner Argumente, fühlte sie ebenso wie er. Doch in mir nagten Zweifel. Wann würde dieser schreckliche Krieg enden? Was musste noch geschehen, dass wir wieder mit Freude den Kindern im Freien beim Spielen zusehen konnten?
Es frustrierte mich, seufzend nahm ich den Rückweg zur Höhle erneut in Angriff. Rees lief neben mir, hatte seine Hände zu Fäusten geballt und nachdenklich den Blick gesenkt.
»Wen willst du mit ihm losschicken?« Dass er sich von der Idee abbringen ließ, daran glaubte ich nicht mehr.
»Die Wahl treffe ich mit Hanish gemeinsam.«
Einerseits störte es mich, dass er mich dabei ausschloss. Andererseits war mir bewusst, dass er mich schützte. Mir wäre allerdings lieber, er würde die Last mit mir teilen.
Ich schaute über meine Schulter zu Fynns Haus zurück.
»Denkst du, dass Hanish klarkommt?« Bei den Bedenken zog sich mein Herz zusammen.
»Es ist für uns alle nicht leicht, jeder findet seine eigenen Wege, mit diesen Tragödien klarzukommen.«
Ich schluckte und sah zu ihm. Rees’ Gesichtszüge waren verschlossen, er hatte sich hinter seinen Schutzmauern in Sicherheit gebracht. Das konnte ich ihm nicht verübeln, im Gegenteil. Wenn nicht ich, wer sollte ihn sonst verstehen?
»Wie sieht deiner aus?« Er sah mich verständnislos an. »Dein Weg. Wie gelingt es dir, das alles zu verarbeiten?«
Er stieß die Luft aus und für einen Moment dachte ich, er lachte. Doch die Traurigkeit in seinem Blick ließ mich den Gedanken verwerfen. »Ich suche ihn noch.«
»Rede mit mir«, bat ich leise.
Er blieb still und ich stöhnte frustriert.
Kurz vor der Höhle hielt ich an und sah Rees auffordernd an.
»Was?« Seine Gereiztheit war kaum auszuhalten.
»Wenn du dich mir nicht anvertrauen willst, dann suche dir eine Person, der du dich öffnen kannst.«
Seine dunklen Augen fixierten mich und ich erkannte abermals die Leere darin. Ich verstand, dass er sich schützte, doch das war der falsche Weg.
»Mit wem sprichst du?« Sein herausfordernder Blick war reiner Selbstschutz.
»Mit Liam.« Ich reckte das Kinn ein Stück nach vorne.
Er zuckte zusammen, als hätte ich ihn geschlagen. Sobald er seinen Stand verändert hatte, die Arme vor der Brust verschränkt, mahlte sein Kiefer. »Ach ja? Weiß er, was Devran dir angetan hat, wenn niemand zugeschaut hat? Hast du ihm verraten, dass du jede Nacht aufwachst, weil dich die Erinnerungen an diese Zeit noch immer wecken?«
Ich schnappte nach Luft, taumelte und spürte meinen Herzschlag bis in den Hals. Erschreckenderweise wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Mit aller Kraft kämpfte ich gegen die Tränen, die in mir aufzusteigen drohten.
»Laya«, flüsterte Rees, hob die Hand, um mich zu berühren. Ich zuckte zurück, sodass er mich noch finsterer ansah. Für einen langen Moment blickten wir uns einfach an und versuchten zu ergründen, was gerade zwischen uns geschah. »Wirst du irgendwann erkennen, dass ich nicht das Monster bin, das dir das angetan hat?«
Ich spürte seine Enttäuschung, schmeckte meine Angst auf der Zunge und erkannte den Schmerz über meine Reaktion in seinen Augen.
Egal wie sehr ich mir wünschte, anders zu reagieren, in diesem Augenblick war ich in mir gefangen. An einem Ort, den ich mir vor langer Zeit geschaffen hatte. Es war mein Paradies, schützte meine Seele vor der Realität.
Als eine Antwort von mir ausblieb, trat Rees einen Schritt von mir fort. »Wie soll ich mich dir anvertrauen, wenn du selbst alles für dich behältst?« Damit drehte er sich um und verschwand. Ich blickte ihm wie betäubt nach. Mein Herz klopfte noch immer wie verrückt und mein innerer Kern schrie verzweifelt auf.
Ein Geräusch ließ mich zusammenfahren. Hektisch schaute ich mich um. Ich schluchzte auf und realisierte, dass ich den Laut zuvor ebenfalls verursacht hatte.
Eilig rannte ich zu meiner neuen Wohnung, warf die Tür hinter mir zu und sank kraftlos auf den Boden. Weitere geräuschvolle Atemzüge zerrissen die Stille, während ich die Hände vor mein Gesicht schlug und den Gefühlen freien Lauf ließ.
Ich hasste ihn, diesen Zustand der Hilflosigkeit.
Heiße Tränen rannen zwischen meinen Fingern hindurch, ich schüttelte den Kopf.
Ich wusste nicht, wieso mich Rees’ beabsichtigte Berührung derart aus der Fassung brachte. Es war ein Reflex gewesen, den ich nicht ausschalten konnte. Mein Verstand und mein Herz spürten, dass Rees grundlegend anders war als Devran. Er neigte weder zu Gewalt, auch wenn sich unser Rudel gerade im Krieg befand, noch zu Grausamkeiten. Das Riverstar-Rudel war der beste Beweis. Niemand scheute vor unserem Alpha zurück.
Ich stockte.
Doch. Ich.
Diese Erkenntnis ließ mich stärker schluchzen. Dabei drückte ich mir die Fingerkuppen ins Haar, ehe ich die Hände zu Fäusten ballte.
Ich hasste Devran von ganzen Herzen. Für das, was er mit mir gemacht und zu welchem Menschen er mich geformt hatte. Eine Frau, die nicht einmal die Liebe eines Mannes zulassen konnte. Ja, ich wusste, was Rees für mich empfand. Ich hoffte so sehr, dass ich irgendwann bereit war, seine Zuneigung anzunehmen.
»Ich hasse dich«, rief ich in die Stille meiner Wohnung hinein und stellte mir vor, wie ich es meinem verstorbenen Ehemann ins Gesicht brüllte.
Mein Herz schmerzte, als ich an den Tag dachte, an dem er mich gezwungen hatte, ihn zu heiraten. Er würde keinen Bastard großziehen, hatte er mir ins Ohr gezischt, ehe er seinen Handrücken auf mich hatte niedersausen lassen.
Ich zuckte zusammen, als hätte er mich ein weiteres Mal getroffen.
Vor Wut raufte ich mir fester das Haar, bis ich schmerzhaft an den Strähnen zog. Das Gefühl war mir ebenso vertraut wie die Hilflosigkeit. Ich war Devran zu viele Jahre ausgeliefert gewesen. In dieser Zeit hatte er mir alles genommen, wofür es sich zu leben lohnte. Luke. Sein Geburtstag jährte sich morgen. Vermutlich lag meine Dünnhäutigkeit daran. Nur wusste das niemand. Ja, ihnen war klar, dass ich ein Kind geboren hatte. Aber war der Tag für sie von Bedeutung?
Als ich die Kälte in mir wahrnahm, die mir mittlerweile viel zu bekannt war, schloss ich die Augen und besann mich. Auf vier einatmen, sieben Sekunden lang die Luft anhalten, auf acht ausatmen. Das wiederholte ich mehrmals, bis ich bemerkte, wie betäubt ich mich fühlte. Entschlossen lockerte ich den Griff um mein Haar, erhob mich und stand danach hilflos im Wohnraum. Das Gefühl von Sicherheit war noch vorhanden. Das hatten sie mir nicht nehmen können, obwohl Rees darauf bestanden hatte, dass ich die Wohnung wechselte, bis wir Näheres über den Einbruch wussten.
Auf der Couch lag ein getragenes T-Shirt von ihm. Langsam trat ich davor, strich mit den Fingerspitzen darüber. Vermutlich hatte er heute Morgen vergessen, es mitzunehmen.
Ehe ich mich daran hindern konnte, nahm ich den Stoff zwischen die Hände, betastete ihn. Er war so weich. Eine Brise von Rees’ Geruch stieg mir in die Nase, den ich nur zu gern inhalierte.
Sandelholz. Danach roch er seit seiner Kindheit. Es war der Duft, der von ihm ausging.
Das Kribbeln in den Fingern verriet mir die Sehnsucht, ebenso wie das Flattern im Bauch. Beides ergab einen Lockruf, der mir einen Schrecken einjagte.
Als hätte ich mich daran verbrannt, warf ich das Shirt zurück auf die Couch, drehte mich um und lief in die Küche, um mir einen Kaffee zu machen. Dennoch wisperte eine Stimme in mein Ohr, dass ich nur zugreifen und meine Nase darin vergraben müsste, um mich weniger allein zu fühlen.
Meine Konzentration war mal wieder hochmotiviert. Leider beschäftigte sie sich nicht mit dem Wust an Entscheidungen, den ich zu treffen hatte. Vielmehr spulte mein Gehirn Alayas Reaktion in Endlosschleife ab. Es war die schlimmste Folter, die ich jemals erlebt hatte.
In diesem Moment fühlte ich die Sehnsucht so stark, dass ich wie von allein das Schloss der Schreibtischschublade öffnete. Aus Gewohnheit nahm ich das Päckchen heraus und betastete es. Ich lehnte mich zurück, senkte die Lider und ließ währenddessen meine Finger über die glatte Oberfläche gleiten.
Der Hauch von Kaminfeuerduft drang mir in die Nase, noch ehe ich Liam hörte. Er lachte verhalten über irgendetwas, das Hanish zu ihm gesagt hatte – wie seine Witterung ihn verriet.
Eilig legte ich das Päckchen ab und sah meinen beiden Vertrauten entgegen.
»Du wolltest uns sprechen?« Der Falke betrat mein Büro, stellte sich breitbeinig hin und sah mich abwartend an.
Liam rollte mit den Augen, trat an ihm vorbei und fläzte sich in den Stuhl, der vor meinem Schreibtisch stand. Diese zwei Männer waren zu meinen besten Ratgebern geworden. Sie nahmen die Welt und die damit verbundenen Beziehungen auf ganz andere Weise wahr als ich. Es war ein Geschenk, dass sie an mich glaubten. Ebenso wie Emma. Ihr verdankte ich, dass Alaya wieder zu Hause war. Sie hatte das Flüstern im digitalen Kosmos wahrgenommen. Sie war leichenblass zu mir gekommen und hatte mir davon erzählt. Danach hatte es kein Halten mehr für mich gegeben. Ich hatte mich vergewissern müssen. Als ich dann in Ottawa aus meinem Wagen gestiegen war, hatte ich sie gerochen. Es hatte mir die Beine weggezogen. In dem Moment hatte ich so stark gezittert, dass ich nicht einmal gewagt hatte, einen weiteren Schritt in Menschengestalt zu tun. Doch als ich mich gewandelt hatte, war der Duft noch so viel intensiver gewesen, dass ich nicht mehr an ihrer Existenz gezweifelt hatte.
Wärme breitete sich in meinem Bauch aus.
»Anscheinend hat Rees endlich mal gute Nachrichten für uns.« Liam verschränkte die Arme hinter seinem Kopf und hatte die Beine weit von sich gestreckt, als nähme er ein Sonnenbad.
Ich blinzelte, tauchte wieder in die Gegenwart ein. »Äh, nein, ich war heute bei Branda. Ich habe sie gefragt, ob es ihr helfen würde, wenn wir Fynn nach Hause holen.«
Liam setzte sich aufrechter hin, ehe er sich vorbeugte und seine Ellenbogen auf den Knien abstützte. »Das war sehr umsichtig von dir.«
»Er hatte die Idee.« Ich deutete auf Hanish, sah zu ihm. »Mir ist bewusst, dass es ein schlechter Augenblick ist. Du bist erst genesen und deine Bindung mit Emma ist auch frisch … Wenn du nur das leichteste Gefühl hast, auszubrennen, dann …«
»Es ist mir eine Ehre.« Er reckte das Kinn vor.
»Stell dir ein Team zusammen.«
Er hob den Finger, als hätte er eine Idee. »Lass mich kurz mit den Bären telefonieren.« Mit diesen Worten verließ er mein Büro.
Irritiert sah ich ihm nach, ehe ich Liam anschaute. »Was haben die damit zu tun?«
Er zuckte mit den Schultern, seufzte. »Reden wir auch über den Elefanten im Raum?«
»Was meinst du?«
»Du schickst den Prinzen der Falken in diesen Hexenkessel?«
Ich stieß frustriert die Luft aus. »Lass uns das mit ihm direkt klären. Er würde sich nicht davon abhalten lassen.«
Liam schüttelte den Kopf, sah zu Boden, ehe er erneut aufschaute und mich fixierte. »Solange wir allein sind, würde ich mit dir gerne noch über Laya reden.«
Ich versteifte mich, während sofort wieder die Bilder in mir aufstiegen, wie sie vor mir zurückgezuckt war. »Was ist mit ihr?«
Er rang mit den Händen. »Habe ich dir erzählt, dass ich einmal die Woche zu einem Therapeuten gehe?«
Überrascht von dieser Information blinzelte ich. »Nein, das ist neu für mich.« Ich lauschte meinem Wolf, der zu einem Klagelied ansetzte. Er hätte Liam am liebsten all seinen Schmerz abgenommen, doch dazu waren weder Tier noch Mann in der Lage. »Das ist ein guter Schritt.«
Er nickte, nicht verwundert von meiner Reaktion. »Die Stunden bei Dr. Rosso helfen mir, meine Vergangenheit in einem anderen Licht zu sehen. Denkst du, dass es auch Alaya Erleichterung verschaffen würde?«
Kurz überlegte ich, ob ich nach weiteren Informationen fragen sollte. Liam würde sich mir anvertrauen, wenn er bereit dafür war. Er wusste, dass ich ihn nicht verurteilte. Das war mir wichtig und unser Gespräch bewies es mir einmal mehr.
»Sprich mit ihr«, bat ich ihn. »Ich bin nicht in der Position, ihr eine Therapie vorzuschreiben.«
»Auf dich hört sie eher.«
Ich stieß frustriert die Luft durch die Nase aus, als ich an Laya und meine Unterhaltung von vorhin dachte. »Davon sind wir weit entfernt. Ich denke, dass sie deinen Schmerz instinktiv erkannt hat und sich dir aus diesem Grund anvertraut.«
Jetzt runzelte er die Stirn. Die Tür öffnete sich in dem Moment, als Liam ansetzte, das zu kommentieren.
Hanish lehnte sich an das geschlossene Türblatt und sah uns an. »Die Bären haben geländetaugliche Liegen, die wir für den Transport der Leichname nutzen dürfen. Sie deponieren zwei an einem Ort, an dem wir sie auf dem Weg zum Nationalpark abholen können.«
»Gute Idee. Sprich Rico meinen Dank aus, wenn du ihn das nächste Mal hörst.«
Hanish nickte bestätigend.
»Also stell ein Team für die Bergung zusammen. Außerdem wollte ich mit euch besprechen, ob wir damit auch unsere ursprüngliche Mission wieder aufrollen.«
Liam verengte ein Auge.
Hanish kratze sich nachdenklich am Kinn. »Klar, wir müssen ja weiterhin herausfinden, wieso Isabell diesen Ort aufsucht und was sie dort ausheckt. Entweder wir nehmen erst die Bergung vor, dann könnten die Soldaten, die später zu den uns bekannten Koordinaten vordringen, zuerst diejenigen schützen, die die Sicherung vornehmen.«
»Oder wir teilen uns auf.« Liam erhob sich.
Ich fuhr mir durch den Bart. »Erinnere dich, mit welcher Grausamkeit unsere Familie abgeschlachtet wurde. Wir brauchen geballte Muskel- und Feuerkraft. Wenn einer von Isabells Leuten in unser Visier kommt, gehen wir keine Kompromisse ein.«
Hanish schaute in Richtung Decke, schloss kurz die Augen. »Rees, du weißt, dass ich immer deiner Meinung war.«
Mir entging die Zeitform nicht. »Aber?«
»Wir müssen aus dem Kreislauf aussteigen. Es hat keinen Sinn, dass wir uns gegenseitig abschlachten.«
»Das ist lediglich Vergeltung für unsere Toten.« Ich schüttelte den Kopf, während Wut und Entsetzen jede Zelle meines Körpers einnahmen. »Soll ich dir ihre Namen nennen?«
»Du verstehst mich falsch. Ich finde auch, dass wir die Gründe herausfinden sollten, wieso dort alle Fäden zusammenlaufen. Aber nicht auf Teufel komm raus.«
Fassungslos sah ich zu Liam.
Er hob die Hände, als würde ich eine Waffe auf ihn richten. »Sieh mich nicht so an.«
»Wie denkst du darüber?«, knurrte ich.
Er warf Hanish einen raschen Blick zu. »Ich bin ebenfalls der Meinung, dass wir lieber wie Schatten durch die Wälder huschen sollten.«
Ich schüttelte missbilligend den Kopf. »Das kann nicht euer Ernst sein.« Doch ihre Gesichter verrieten, dass ich bei ihnen keinen Zuspruch für meinen Rachedurst bekam. Plötzlich fühlte ich die Erschöpfung in jeder meiner Zellen. »Lasst uns morgen weiterreden.«
Sie nickten mir zu und ließen mich ohne ein Wort des Abschieds allein. Ich starrte auf die geschlossene Tür.
War das zu fassen? Ich bewegte meine Finger, ehe ich auf die verschlossene Schublade blickte. Nein!
Eilig verließ ich mein Büro und betrat kurze Zeit später die Etage, auf der die Wohnungen lagen. Vor Alayas blieb ich stehen.
Die Schwere zermürbte mich. Hatte es überhaupt einen Sinn? Sie zuckte vor mir zurück.
Erschöpft massierte ich meine Nasenwurzel, ehe ich das Kinn hob und entschlossen gegen die Tür klopfte. Während ich auf das Holz starrte, schlug mein Herz wie bei einem Schuljungen, der sich ein Lächeln seiner Angebeteten erhoffte, viel zu schnell. Ich war verloren.
Alaya öffnete, sah mich mit schief gelegtem Kopf an. Ihre Augen waren von dunklen Schatten umgeben, die Haut zierte eine unnatürliche Blässe. Sie trug Leggins und einen übergroßen Pullover, der ihr beinahe bis zur Mitte ihrer Oberschenkel reichte.
Als sie einen Schritt zur Seite trat, wurde mein Herz leichter. Erst da realisierte ich, wie viel Angst ich vor einer weiteren Ablehnung ihrerseits gehabt hatte.
»Rees, ich …«
»Nicht«, bat ich sie leise. »Entschuldige dich nicht.«
Sie senkte den Kopf und ich ahnte, dass sie einen Kampf mit sich ausfocht.
»Lass uns einfach schlafen gehen, in Ordnung?«
Laya musterte mich kritisch. »Ist etwas passiert?«
Ich holte schwer Atem. »Nein, nichts.«
Sie betrat ihr Schlafzimmer, sah auffordernd über die Schulter, sodass ich ihr folgte. Ich schaute auf mein Bett.
Alaya hatte es aufgebaut, weil sie Mitleid mit mir gehabt hatte.
Ich drehte ihr den Rücken zu, als ich den Pullover auszog, faltete und auf den kleinen Nachttisch legte. Das Rascheln ihrer Decke verriet mir, dass sie sich bereits hingelegt hatte. Ich löste die Knöpfe meiner Hose, stieg heraus und zog die Socken gleich mit aus. Als ich meine Bettdecke zurückschlug, stutzte ich.
Verwundert richtete ich mich auf und sah mich suchend um. Alaya hatte sich zusammengerollt, mit dem Blick in die andere Richtung. »Hast du mein Schlafshirt gesehen?«
Ich hörte sie schlucken. »Nein. Wo hast du es ausgezogen?«
»Keine Ahnung. Ich dachte, ich hätte es im Bett gelassen.«
Sie sah mich über die Schulter hinweg an. »Merkwürdig.« Sie machte Anstalten, sich zu erheben.
»Bleib liegen. Dann schlafe ich ohne und bringe morgen ein frisches mit.«
Sie lächelte leicht, ehe sie sich zurück auf die Matratze sinken ließ. »In Ordnung. Schlaf gut, Rees.«
»Du auch.« Ich schaltete das Licht aus, ehe ich ins Bad ging, um mir die Zähne zu putzen.
Als ich das Schlafzimmer wieder betrat, atmete Laya schon schwerer. Ich legte mich hin, streckte ein Bein unter der Decke heraus. Die winterlichen Temperaturen strichen sanft über meine Haut und ich schloss die Augen.
Wenn ich hier lag, ihrem Herzschlag ebenso wie ihrer Atmung lauschte, konnte ich der Hoffnung Raum geben. Ich stellte mir vor, dass wir ein Bett teilten und uns lediglich eine winzige Bewegung davon trennte, uns anzufassen. Die Sehnsucht, die sich jedes Mal bei diesen Träumen in mir einnistete, war die reinste Qual.
Sie seufzte leise, als ginge es ihr wie mir.
Eine Berührung am Arm riss mich aus dem Schlaf. Mit rasendem Herzschlag öffnete ich die Augen, da bemerkte ich die Rauheit hinten im Hals. Ich hatte geschrien. Schon wieder.
»Entschuldige«, flüsterte ich.
»Es ist okay.« Er strich ein weiteres Mal über meinen Oberarm und ich schluckte. »Versuch, einzuschlafen. Es ist zu früh.«
Ich ließ mich zurücksinken und Rees deckte mich zu, als wäre ich ein Kind, das schlecht geträumt hatte. Luke. Ein Wimmern entkam meiner Kehle, ohne dass ich es verhindern konnte.
»Alaya, alles in Ordnung?« Ich spürte die männliche Präsenz. Er war so dicht, stand neben dem Bett. Ich bräuchte nur meine Hand auszustrecken, um ihn zu berühren. Am liebsten hätte ich ihn gebeten, sich zu mir zu setzen.
»Nein«, gestand ich und überraschte mich damit selbst.
Rees wartete. »Was ist los?« Seine Stimme klang rau, er war verschlafen.
»Heute vor sechs Jahren …«
Ich hörte, wie er Luft holte.
»Vergiss es.«
»Es tut mir leid, daran hätte ich denken müssen.«
Ich schnaubte. »Wie denn? Du wusstest es nicht.«
»Natürlich. Ich stand an seinem Grab, schon vergessen?«
Das hatte ich tatsächlich.
»Es ist okay, Rees. Danke, dass du mich geweckt hast.«
Trotz der Dunkelheit im Schlafzimmer erkannte ich seine Zerrissenheit. Er wollte mir beistehen, wusste anscheinend jedoch nicht, welche Art die beste war. Als er sich in Bewegung setzte, durchfuhr mich Enttäuschung.
Mit angehaltenem Atem hörte ich, wie er seine Decke bewegte. Bewusst lautlos holte ich Luft, lauschte weiterhin auf seine Anwesenheit. Es dauerte nicht lange, bis seine Atemzüge wieder tiefer wurden. Dann erst erlaubte ich mir, dem Schmerz in meiner Brust nachzugeben.
Die Bilder von Luke waren so präsent, als wären sie die Gegenwart. Ich fühlte die Körpertemperatur, die in meinen Armen immer kälter wurde.
Lautlos rollten mir die Tränen über die Wangen, tropften auf die Matratze und versickerte. Er war wie meine Liebe zu diesem perfekten Wesen. Obwohl man ihn nicht sah, existierte er weiterhin. Wie meine Liebe war auch er unauslöschlich.
Rees’ Decke raschelte und ich hörte, wie er sich erhob.
Ich presste die Zähne genauso fest aufeinander, wie ich auch die Lider zukniff.
Erst als sich die Matratze unter seinem Gewicht bewegte, schreckte ich auf.
»Sssch«, gab er leise von sich, setzte sich ans Kopfende des Bettes und zog mich an sich. Sandelholz hüllte mich schützend ein, schloss die Wirklichkeit aus und schenkte mir Kraft.
Tränen rannen mir ungebremst aus den Augen, tropften auf Rees’ nackte Haut, während er mich hielt. Eine Vielzahl von Schluchzern drang über meine Lippen, ohne dass ich sie zurückhielt. Der Schmerz in meiner Brust war einfach zu übermächtig, rauschte durch mich hindurch wie ein Waldbrand im Hochsommer.
»Möchtest du von ihm erzählen?« Rees’ Stimme war Balsam für meine geschundene Seele, ebenso wie seine Nähe.
»Ich hatte zu wenig Zeit mit ihm.« Ich schniefte, war nicht einmal verschämt deswegen. Die nächtliche Dunkelheit hatte das Gefühl vertrieben. In diesem Moment gab es nur Raum für Ehrlichkeit.
»Und deine Schwangerschaft?«
Abermals rollten mir Tränen die Wangen hinab, ehe ich lächelte. »Als ich bemerkte, dass ich schwanger war, war ich unbeschreiblich glücklich. Ich hoffte …« Zittrig holte ich Luft. »Ich hoffte, dass Devran mich damit in Ruhe ließ, aber …«
Rees zog mich näher zu sich, obwohl das unmöglich war. Dabei spürte ich genau, wie sich seine Muskeln anspannten, ich strich darüber, um ihn zu besänftigen.
»Devran empfand es als Einladung, zelebrierte die Veränderungen an meinem Körper.« Ich unterdrückte den Schauer, der mir zusetzte. »Im fünften Monat zwang er mich, ihn zu heiraten. In diesem Augenblick war ich davon überzeugt, dass ich ihn niemals stärker hassen könnte.« Ich stieß geräuschvoll die Luft aus. »Er hat mich wieder einmal eines Besseren belehrt.«
»Was hat er getan?«
Unter meiner Handfläche spürte ich Rees’ rasenden Herzschlag. Ich ahnte, wie viel Selbstbeherrschung es ihn kostete, ruhig neben mir zu liegen.
»Ich war im neunten Monat. Lukes Bewegungen waren für mich Grund genug, aus der Realität so oft wie möglich zu entfliehen. Ich liebte es, mir die Hände auf den großen Bauch zu legen und für ihn zu singen.« Trauer fraß sich durch mich hindurch, wütete schmerzlich in mir. »Bis dahin hatte ich das mit Devran niemals geteilt. Klar, er hat gespürt, dass das Baby sich bewegt, aber diese Augenblicke, wenn ich mir die Hände auf die pralle Kugel legte und für ihn sang, waren Lichtfunken in der Dunkelheit, verstehst du?«
Rees brummte zustimmend, während er unablässig über meinen Arm strich. Ob er damit mich oder sich beruhigen wollte, mochte ich nicht zu erahnen. Es war auch gleichgültig.
»An dem Tag tauchte Devran völlig überraschend auf, sah mich an und rastete aus. Er schrie herum und tobte, wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Er warf mir vor, dass ich ihm seinen Sohn vorenthalten würde, dass ich ihn schon zum damaligen Zeitpunkt gegen ihn aufwiegelte. Dabei wusste ich nicht einmal, wie er darauf kam. Bis … Er hielt mir vor, dass ich ihn von da an nicht mehr so lieben würde.« Ich stieß ein Geräusch aus, das einem Lachen nahekam. Er hatte immer ausgeblendet, dass ich niemals solche Gefühle hätte für ihn empfinden können. »Ich versicherte ihm, dass er der einzige Mann in meinem Leben wäre.« Bei diesen Worten versteifte sich Rees. Doch das war Teil meiner Vergangenheit. Es war wichtig, dass er alles erfuhr. Beruhigend strich ich über die Stelle, unter der sein Herz kraftvoll pochte. »Er wollte davon nichts hören. Dann schlug er mir ins Gesicht. Ich taumelte, ging zu Boden. Devran hatte sich allerdings derart in Rage geschrien, dass die Wut wie Lava aus einem Vulkan aus ihm hervorbrach. Schläge und Tritte trafen mich immer wieder, bis ich das Bewusstsein verlor. Als ich aufwachte, überrollte mich die erste Wehe.«
»Laya.« Rees’ Stimme war rau vor Emotionen.
»Schon in Ordnung. Du konntest es nicht verhindern.«
Ich spürte seine Wut auf die Vergangenheit.
»Nein, ich hätte meine Suche nach dir niemals einstellen dürfen. Alle hielten mich bereits für verrückt. Sie warfen mir vor, dass ich den Zugang zur Realität verloren hätte. Es verging so viel Zeit, irgendwann glaubte ich ihnen.«
Die Hitze, die er ausstrahlte, stand im krassen Gegensatz zu der Kälte, die von mir Besitz ergriffen hatte. Luke. Aber jetzt wollte ich nicht weiter über ihn reden, weil ich nicht wusste, ob ich den Schmerz ertragen konnte.
Ich räusperte mich. »Du weißt, dass ich niemals freiwillig verschwunden wäre, oder?«
Er schwieg einen Moment und ich ahnte, dass er meinen Themenwechsel wohl durchschaut hatte. Innerlich appellierte ich an seine Empathie, mir das durchgehen zu lassen. »Jetzt ja. Es gab Jahre, in denen es anders war. Alle Beweise sprachen dagegen.«
Erleichterung flutete mich. »Wieso hast du Emma trotzdem weiter nach mir suchen lassen?«
Er strich über meinen Arm und drückte seine Nase in mein Haar, als müsse er sich daran erinnern, dass ich echt war.