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Die Anwesenheit der zwei Wächter des Redwood-Rudels in Wabasca wirft Hanish aus seiner Komfortzone. Nicht nur dass Aaron sich an Emma heranmacht, die potenziellen Verbündeten weihen sie auch in die Machenschaften des DarKing-Rudels ein. Als dann Emma auch noch für eine Mission ins verfeindete Territorium aufbricht, ist ihr Schutz Hanishs wichtigste Aufgabe. Schließlich kennt der Falke sich mit dem Krieg aus. Das hält Emma jedoch nicht davon ab, sich seinen Anweisungen zu widersetzen, sich in Gefahren zu stürzen und ihn damit in den Wahnsinn zu treiben. Der Krieg zwingt Hanish zu einer Entscheidung, die ihn mit seiner Vergangenheit konfrontiert und sein Leben, das er sich aufgebaut hat, infrage stellt.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Fortsetzung folgt …
Danksagung
Copyright: © 2023 Sophia Beli
Eine Portion Liebe
Coverfoto:
© Coverhexe (Alannah Kottenstede) unter Verwendung von Motiven von Adobe Stock und Creative Fabrica
Korrektorat:
Veros Wa(h)re Worte – Veronika Schlotmann-Thiessen
Sophia Beli
c/o Sebastian Münch
Rechtsanwalt / Steuerberater
Großenbaumer Weg 8
40472 Düsseldorf
Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nachdrücklich nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet. Sämtliche Personen in diesem Text sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig.
Für alle,
die den Mut haben,
ihre Liebe auszuleben.
Seit ich die Akte gelesen hatte, die wir über Aaron angelegt hatten, wusste ich, dass er Ärger bedeutete. Alles an ihm störte mich. Sein Aussehen, seine Lebensart und seine Stellung. Der einzige positive Punkt in seinem Steckbrief war sein Wohnort. Die Westküste lag eine gute Tagesfahrt mit dem Wagen von meiner Wahlheimat Wabasca entfernt.
Das hatte sich vor wenigen Minuten geändert, als er und eine weitere Wölfin auf unsere Einladung hin im Riverstar-Rudel für einen Besuch angekommen waren. Am liebsten wäre ich in dem Moment in die Luft gestiegen, hätte sie weit unter mir gelassen und damit auch meine Gefühle.
Im Gegensatz zu meinem Bedürfnis nach Ruhe standen nun zu viele Personen im Besprechungsraum unserer Höhle. Rees schüttelte erst Ciara, danach Aaron die Hand, weshalb ich ihn innerlich feierte. Unser Anführer scherte sich nicht um die guten Sitten, wie es in Rudeln so üblich war. Er hatte sich vor langer Zeit selbst Regeln auferlegt, diese waren sein Credo. Da seine Werte mit den meinen übereinstimmten, war das für mich okay. Vielleicht lag es zum jetzigen Zeitpunkt auch an Aarons gehobener Augenbraue.
»Willkommen.« Rees’ Stimme war dunkel, in seiner Mimik kein Funke Freude zu erkennen. Ihm bescherte es vermutlich ebenso wie mir Unbehagen, Wölfe eines fremden Rudels temporär bei uns wohnen zu lassen.
»Danke für die Einladung.« Aarons Lächeln wirkte aufrichtig.
»Möchtet ihr etwas trinken?« Emmas Frage überraschte mich. Ich hatte angenommen, dass wir ihnen so schnell wie möglich ihre Bleibe zeigten.
Ciara sah sie ebenfalls verwundert an. »Gerne, wenn du ein Wasser für mich hättest?«
»Klar. Was kann ich dir bringen?«
Ich erkannte das Funkeln in Aarons Augen. »Habt ihr einen Kaffee?« Er fuhr mit der Hand durch seine Locken, sah Emma zerknirscht an. Schauspieler! »Eine meiner größten Schwächen.«
Sie lachte auf. »Wer’s glaubt.« Damit verschwand sie aus dem Raum, aber ich wagte nicht, ihr nachzusehen.
»Setzt euch.« Rees’ Bitte klang mehr nach einem Befehl, als er mit einer einladenden Geste auf die Stühle rund um den Tisch deutete.
Aaron sah sich um. »Du hast jede Menge verändert.«
Überrascht verschränkte ich die Arme vor der Brust, während ich die Muskeln anspannte. Wir prahlten nicht mit den Veränderungen in unserer Heimat, zogen Treffen anderenorts vor und ließen alle in dem Glauben, dass wir Hinterwäldler seien.
Rees zuckte mit der Schulter. »Liam hat erzählt, dass wir im Disput mit dem DarKing-Rudel aus Montreal stehen, nicht wahr?«
Aarons Miene verlor das Grinsen. Obwohl er seine lässige Körperhaltung beibehielt, registrierte ich seine Aufmerksamkeit.
»In den letzten Tagen hat es sich immer mehr zugespitzt.«
Dieses Mal hob der andere Wolf lediglich eine Augenbraue.
Durch die Glastür erkannte ich Emma, die ein Tablett mit Getränken trug. Eilig erhob ich mich, öffnete ihr. Sie schenkte mir einen dankbaren Blick, ehe sie die Tassen und Gläser verteilte. Mein Magen zog sich zusammen, als ich vor mir einen Cappuccino mit zwei Stück Zucker bemerkte.
Gerade als sie sich an Rees’ Seite setzte, hob sie abrupt ihren Kopf, ihre Atmung ging erschwert. In den Augen unseres Anführers glomm Freude auf. Kurz runzelte ich die Stirn, ehe ein Heulen in die Luft drang. Es schwoll immer weiter an, bis es eine wunderschöne Symphonie ergab. Da verstand auch ich es. Er war zurück, Liams Wolf war wieder bei ihm.
Emma räusperte sich. »Ich gehe zu ihm.«
»Worauf wartest du?« Rees wies mit dem Kopf in Richtung Tür.
Die beiden Fremden wechselten einen Blick.
»Darf ich dich begleiten?« Ich hatte damit gerechnet, dass Aaron Interesse an Emma haben würde. Dennoch gelang es ihm mit dieser Frage, meine vorhandene Abneigung gegen ihn weiter zu steigern.
»Sehr gerne.« Ihre Reaktion fühlte sich wie eine Messerklinge an, die in meiner Brust steckte und die sie langsam umdrehte.
Ciara setzte sich aufrechter hin, musterte uns aufmerksam.
Ich beobachtete, wie Rees sie taxierte, über seine Optionen nachdachte. »Dann bringe ich dich auf den neusten Stand.«
Aaron nickte zustimmend, ehe er ebenfalls den Raum verließ.
Ich rührte im Cappuccino, sah dem Zucker zu, wie er unter der Milchschaumkrone versank. Währenddessen lauschte ich Rees’ Bericht.
»Die DarKings haben also ein Serum, dass unsere Wölfe abtötet?« Ciara sah uns mit gehobenen Augenbrauen an.
»Nicht nur das. Sie haben auch ein Mittel, um Menschen in Wandler zu transformieren.« Rees’ Stimme klang ruhig, obwohl ich wusste, welche Wut in ihm tobte.
Auf Ciaras Gesicht zeichnete sich Entsetzen ab. Die gleiche Regung, die ich empfand, wenn ich das Ausmaß dieser Technik überdachte.
Ich deutete mit dem Daumen in Richtung Straße. »Du hast Sam kennengelernt. Sie hat diese Experimente überstanden.«
Ciara lehnte sich zurück. »Was verlangen sie von euch?«
Rees’ Gesichtszüge verdunkelten sich. »Sie bestehen darauf, dass wir ihnen Alaya ausliefern.«
»Wieso?«
»Das wissen wir nicht«, erwiderte ich. »Die Erklärung suchen wir immer noch. Es stellt sich als schwerer heraus, als wir gedacht hätten, da wir keinerlei Anhaltspunkte haben, wieso Isabell sie will.«
Ciara überdachte die neuen Informationen. »Zu Devrans Rudel hatten wir nie intensiven Kontakt. Sein Vater hatte den Handel von Ressourcen forciert, er nicht. Zwei Jahre nach seinem Aufstieg zum Alpha verlängerte er die Verträge nicht mehr.« Sie zuckte die Schultern. »Wir haben uns andere Lösungen überlegt. Das war eine harte Zeit. Und unter Isabells Führung hatten wir bisher keinerlei Kontakt zum DarKing-Rudel.«
Rees nickte verstehend. »Sie ist ja auch noch nicht lange die neue Alpha.«
Im Gegensatz zu unserem Anführer verstand ich als Falke die Zwischentöne nicht, kannte nicht die genauen Geschichten, die dahintersteckten.
»Es ist gut, dass euer Alpha euch diese Reise erlaubt hat. Vielleicht finden wir eine Basis, auf der wir zusammenarbeiten können.« Rees trank einen Schluck, während er Ciara über den Tassenrand musterte.
»Jules hält sich aus den Disputen anderer heraus, das solltest du wissen.«
Rees stellte die Tasse ruhig ab. »Es betrifft längst nicht mehr uns exklusiv. Mit diesen Mitteln haben sie die Macht, das Weltgefüge zu verändern. Das ist deinem Alpha hoffentlich klar, wenn er sich zurücklehnt. Ich verstehe, dass ihr abgelegen lebt und euch kleine Streitereien nicht tangieren. Dennoch solltet ihr in Betracht ziehen, dass auch Nichtstun eine Reaktion ist. Nur trägt das Redwood-Rudel erst später die Konsequenzen, sobald Jules das Zepter übergeben hat. Das wäre ein hartes Los für Aaron.«
Sie presste die Zähne aufeinander, ehe sie nickte. »Ich gebe das so weiter.«
Rees strich sich durch den Bart, als überdächte er die ungesagten Worte. Plötzlich richtete sich sein Blick auf mich. »Hanish, bring Ciara zum Gästehaus und zeig ihr, wo sie alles findet.«
Innerlich seufzte ich, äußerlich erhob ich mich schweigend. Abwartend sah ich die Wölfin an. Sie schob den Stuhl zurück, stand auf, während ich bereits zur Tür lief. Zu meiner Verwunderung blieb sie einen Moment am Tisch stehen. »Ich freue mich für dich, dass Alaya wieder da ist.«
Rees nickte knapp, erwiderte jedoch nichts darauf.
Aus den Gesprächen, die ich in der Stadt mitbekommen hatte, waren alle froh über Layas Heimkehr. Doch sie hatte sich wohl verändert. Es hieß, dass sie früher kaum zu bändigen gewesen war, vor Energie nicht stillgehalten und jeden in ihren Bann gezogen hatte. Für mich sprachen sie von einer Fremden. Selbst ich erkannte, dass die Frau, die man auf diese Weise beschrieb, verschwunden war.
Bei ihrem ersten Barbesuch hatten wir uns auf Anhieb verstanden. Wir hatten uns angesehen, dabei hatte ich den Schmerz in ihr wahrgenommen, den ich in meinen Augen sah, wenn ich in den Spiegel schaute. Sie hatte Grausames überlebt. Ebenso wie ich. Wir hatten unsere Liebsten verloren.
Ciara kam mit wiegenden Hüften auf mich zu, ein verführerisches Lächeln auf den Lippen. »Dann zeig mir mal mein Bett.«
Ich runzelte die Stirn.
Sie tätschelte meinen Oberarm. »Hoffentlich kennst du den Weg auch heute Nacht.«
Ein Geräusch, das verdächtig nach einem amüsierten Schnauben klang, hörte ich aus dem Besprechungszimmer, ehe ich mit Ciara an meiner Seite das Treppenhaus betrat. Sie war mir viel zu nah, weshalb ich sie mit einer Geste bat, voranzugehen.
»Du bist ein geheimnisvoller Mann, Hanish.« Es war ein Lockruf, das verstand ich. Dafür war ich oft genug mit Liam in Bars unterwegs, um irgendwelche Bettgefährtinnen aufzugabeln. Wobei es seit einigen Monaten mehr Show als echtes Verlangen war, das mich dazu brachte. Aber da Sam in Liams Leben getreten war, konnte ich die Farce nun auch beenden.
»Ach?«
Sie lachte leise. »Man findet über dich kaum Informationen, erst recht keine Fotos.«
Da es sich um eine Tatsache handelte, bedurfte es keinerlei Reaktion.
Wir traten aus dem Haus und an den Kofferraum des Land Rovers.
Der Schrei eines Adlers rüttelte an jedem meiner Sinne. Ich sah hoch, erkannte eine schimmernde Gestalt am Himmel kreisen. Dass Sams Seele diesen Vogel gewählt hatte, verstand ich als Zeichen meiner Ahnen. Er stand für Kraft und Mut. Das wiederum beschrieb diese Frau treffsicher.
»Sie hat es endlich geschafft«, flüsterte ich ehrfürchtig.
»Wer?« Ciara folgte meinem Blick. »Wer ist das?«
»Sam.«
»Die Menschenfrau, von der du gesprochen hast?«
Ich sah wieder auf die Wölfin hinab, grinste sie an und unterdrückte den Wunsch, zu Sam in die Luft zu steigen. »Ja.«
»Gab es bei der Wandlung Probleme?«
»Das Serum muss mehrfach injiziert werden, sonst stößt der Körper es ab.«
Ciara hob die Augenbraue, stemmte die Hände in die Hüften. »Ihre Federn schimmern merkwürdig oder ist das eine Lichtreflexion?«
»Keine Ahnung. Wie gesagt, ich kenne ihre Gestalt nicht. Es ist ihre erste Wandlung in Wabasca.«
Sie sah mich an, ehe sie neben mich trat. Mit einer geschmeidigen Bewegung zog sie die rote Reisetasche aus dem Kofferraum heraus.
»Wir haben euch außerhalb der Stadt untergebracht. Liam dachte, dass es euch dann leichter fällt, euch wohlzufühlen.«
»Das war sehr umsichtig von ihm. Wenn ich ein bisschen mehr Stadtleben genießen möchte, schlafe ich einfach bei dir.« Sie sah mich mit einem neckischen Augenaufschlag an.
Amüsiert schüttelte ich den Kopf. »Ich gebe dir den Schlüssel, sobald ich auswärts übernachte.«
»Autsch.« Sie grinste.
Aarons Gepäck war ein Armeerucksack, der schwer befüllt war. Ich schulterte ihn und führte Ciara durch die Straßen.
»Euer Gelände ist nicht in einer Stadt angelegt?«
Meine Frage brachte sie zum Lächeln. »Unser Territorium liegt in einem Waldgebiet.«
Ich verzog gequält den Mund.
»Das entspricht nicht ganz deinem bevorzugten Gebiet.« Sie nickte, als überdachte sie gerade die Vor- und Nachteile für mich.
Lässig hob ich eine Schulter. »Ich präferiere die Weite.«
»Um die Flügel auszubreiten?«
Verwundert musterte ich sie.
»Sieh mich nicht so fragend an. Die Sehnsucht war überdeutlich in deinem Gesicht abzulesen, als wir Sam gesehen haben.«
Ciara war aufmerksamer, als ich es ihr zugetraut hatte.
»Was bist du? Ebenfalls ein Adler?«
Ich schnalzte mit der Zunge.
Sie rollte übertrieben mit den Augen. »Ihr Federtiere seid aber auch empfindlich.«
Überrascht von ihrer saloppen Art, stieß ich amüsiert die Luft aus. Da kam das Gästehaus am Ende der Straße in Sicht. »Da vorne wohnt ihr. Die Anbindung zum Wald ist gegeben.«
»Du gibst einen ziemlich guten Makler ab. Welche Qualitäten hast du noch?« Sie lächelte mich herausfordernd an.
Ich schwieg.
»Stress dich nicht«, sagte sie mit einem Seufzen. »Wir finden uns zurecht. Solange wir nicht für immer hier wohnen, kommen wir auch mit Asphalt und Beton klar.«
Ich öffnete die Tür zum Haus, bedeutete Ciara voranzugehen. Sie blieb vor mir stehen, sah zu mir auf. Sie sagte nichts, sah mich schweigend an. Es war eine unverhohlene Musterung, als versuchte sie zu ergründen, was in mir vorging.
»Was ist?«
Sie schüttelte den Kopf, eine wölfische Reaktion, wie ich von den anderen wusste. »Ich weiß nicht genau. Du kommst mir vertraut vor.«
»Spar dir die Worte. Ich habe wirklich kein Interesse.«
Sie lachte auf. »Das war kein weiterer Versuch, dich in mein Bett zu bekommen.« Damit trat sie ein, ich folgte ihr.
Das Haus war hell und freundlich eingerichtet. Ein Strauß Nelken stand auf dem Esstisch. Ich legte den Rucksack daneben ab. »Es gibt zwei Schlafzimmer. Am besten wählst du das, das den besseren Ausblick hat, solange Aaron unterwegs ist.«
»Mache ich. Du bist hiermit von der Last des Herumführens befreit. Steige in die Luft, um mit deinem Rudel zu feiern. Liam ist wieder vollständig.«
Nun grinste ich. »Dazu werden wir heute Abend mehr als nur eine Gelegenheit bekommen.«
»Ein Fest?«
»Als ob wir einen Grund auslassen würden.« Ich zwinkerte ihr zu, ehe ich den Rückzug antrat.
Sobald ich aus dem Haus lief, schlug ich die Richtung zum See ein. Ich beeilte mich, um in eine geschützte Region zu gelangen. Dort entkleidete ich mich, bevor ich mich wandelte. Meine Sinne änderten sich, ich schmeckte die Sprache der Natur und den Schnee, der morgen fallen würde.
Mit mehreren Flügelschlägen stieg ich in die Luft, stieß einen Schrei aus. Eine hellere Antwort drang zu mir. Innerlich lächelte ich. Sam. Tatsächlich. Sie hatte es geschafft. Ich folgte dem Laut und erkannte aus einiger Entfernung, dass sie sich von Liams Wolf verabschiedete. Sie kämpfte sich noch unbeholfen in die Höhe, bis sie neben mir flog.
Gemeinsam zogen wir unsere Kreise, wobei ich mich deutlich mehr anstrengte. Sams Adler war riesig und ihr lag es im Blut, sich wie eine Schraube zu drehen, während ich eher den filigraneren Tanz bevorzugte.
Obwohl wir unterschiedlich waren, war es schön, endlich mit jemandem zusammen in der Luft zu sein, den Wind in den Federn zu spüren und den Lockruf des Himmels zu hören. Vielleicht hatte Sam zu Beginn Schwierigkeiten, all das zu verstehen, aber ich würde mein Wissen mit ihr teilen und ihr die Zeichen der Natur erklären.
Ich blickte zum Ufer des Sees. Dort erkannte ich die zarte Gestalt einer Wölfin, die zu mir hinaufsah.
Mir drehte sich der Magen um. Es war furchtbar. Sie war so jung gewesen.
Wie gebannt sah ich auf das Bild, das ein Mädchen zeigte. Ihre blonden Locken kringelten sich bis über ihre Schultern und ihre Zahnlücke unterstrich ihr Alter einmal mehr.
»Und, Emma?« Rees betrat den Raum.
Ich sah zu ihm auf.
Sein Gesichtsausdruck nahm einen weichen Zug an. »Du hast sie gefunden.«
»Trish«, bestätigte ich. »Sie war zur falschen Zeit am falschen Ort. Dieses Kind hat nichts verkehrt gemacht.« Immer wieder schüttelte ich den Kopf. Trauer hatte sich in mir eingenistet. Hartnäckig wie Kletten im dichten Unterfell.
Er trat neben mich, legte mir eine Hand auf die Schulter, wodurch er mir alles schenkte, was er nicht in Worte fasste. Rees hatte ein gutes Gespür, was seine Mitglieder benötigten. Dabei ging er anders vor als sein Vorgänger. Das war gut, aber es war sein Geheimnis, wie er es machte.
»Finde heraus, wo die Verbindung liegt. Devrans Vater hatte eine Beziehung zu Sams Familie, da bin ich sicher. Welche war das? Hatten sie gemeinsame Ziele?«
Ich zog die Augenbrauen zusammen. »Ihre Eltern habe ich bei ihrer Überprüfung ausgeklammert, weil sie vor langer Zeit verstorben sind.«
Rees nickte wissend.
»Das war anscheinend ein Fehler.«
»Im Gegenteil. Die Notwendigkeit war nicht gegeben. Jetzt liegt sie vor und wir holen unser Versäumnis nach. Du hast dich richtig verhalten.«
Scham stieg in mir auf. Ich hatte Sam überprüft, als wir meinen Bruder losgeschickt hatten, um nach ihr zu suchen. Der Irrtum lag wohl bei mir, egal, was Rees mir einzureden versuchte.
»Ich weiß, dass du dich am liebsten verkriechen würdest. Unten feiern alle. Lass dir vom DarKing-Rudel nicht die Freude nehmen.«
Ich schloss kurz die Augen. »Ich komme gleich.«
»Nimm dir den Moment, den du benötigst. Sieh aber auch das Geschenk, dass du Trishs Familie machst.«
Frustriert stieß ich die Luft aus. »Dass ihre Tochter tot ist?«
Rees musterte mich einen Augenblick schweigend. »Du hast sie nicht umgebracht. Du bringst sie nach Hause.«
Er drückte ein letztes Mal meine Schulter, ehe er den Raum verließ.
Ich atmete tief durch, um das Schluchzen zu unterdrücken, das kurz davor war, aus mir herauszubrechen. Es gelang mir nur teilweise. Das gequälte Geräusch riss mich jedoch aus dem Strudel der Empfindungen, der mich zu verschlucken drohte. Abrupt erhob ich mich, nutzte ein Tastenkürzel, um mein Baby in den Schlummer zu schicken. Erst als das Anmeldefeld auf dem Screen angezeigt wurde, trat ich um den Schreibtisch herum.
Für drei, vier Atemzüge legte ich den Kopf in den Nacken und atmete durch. Dabei schloss ich die Augen und lauschte. Meine Atmung, mein Herzschlag und das Surren der Computerlüftung waren die dominantesten Geräusche.
Immer wieder sagte ich mir, dass ich nichts verbrochen hatte. Ich hatte dieses Mädchen nicht umgebracht. Trish. Sie war ermordet worden, um Monas Entführung geheim zu halten. Sams Schwester und dieses ahnungslose Kind waren im gleichen Alter gewesen, hatten eine ähnliche Größe besessen. Eigenschaften, die niemand beeinflusste. Trish war gestorben, nur weil ihre körperlichen Merkmale mit Monas übereingestimmt hatten.
Ich schüttelte die Arbeit von mir ab. Wortwörtlich. Langsam wandte ich den Kopf von links nach rechts. Danach bewegte ich im Schildkrötentempo meine Arme, bis ich immer schneller bei den Händen angelangte. Dabei stellte ich mir vor, wie alle negativen Gefühle und Gedanken von mir abfielen. Wie Schlamm, der getrocknet war.
Als ich die Augen öffnete, fühlte ich mich besser. Ich spürte die fragile Erleichterung, die Schatten der Selbstvorwürfe warteten nur auf die nächste Gelegenheit, wieder zuzuschlagen.
Dennoch wagte ich mich aus meinem Reich, schloss die Tür hinter mir und lief über den Flur. Es war leise, alle waren schon auf dem Festplatz. Bereits im Treppenhaus nahm ich das Gelächter wahr, registrierte das Gemurmel von Gesprächen und erkannte das Schimmern der farbenfrohen Lampions durch die Milchglasscheibe. Es fühlte sich wie eine Blase an, in der ich mich befand. Als wäre ich geschützt oder gefangen.
Sobald ich die Tür aufstieß, toste der Lärm auf mich ein. Ich blieb ein paar Sekunden lang stehen, ließ die Eindrücke wirken. Alle lächelten, freuten sich am Leben, während in mir alles nach Einsamkeit und Ruhe verlangte.
»Emma«, rief Alaya und winkte mir zu.
Ich zwang mir ein Lächeln auf die Lippen, drückte die Schultern durch und gab mir einen Ruck. Mit federnden Schritten lief ich auf die Gruppe zu. Hanish stand bei ihnen, musterte mich. Ich spürte es, obwohl ich es vermied, ihn anzublicken.
»Aaron behauptet, dass du ihm heute das komplette Territorium gezeigt hast.« Layas Stimme klang ungläubig.
Jetzt lachte ich tatsächlich. »Der kleine Spaziergang? Träum weiter.«
Besagter Mann reichte mir eine Bierflasche, die ich dankend annahm. Wir stießen die Flaschen aneinander. »Auf Erwartungen und dass sie überboten werden.«
»Was immer du damit ausdrücken willst.«
Aaron zwinkerte mir mit einem breiten Grinsen zu, ehe er mit mehreren Schlucken sein Bier leerte. Dafür legte er den Kopf zurück und seine Halsmuskulatur arbeitete.
»Ist mit dem Haus alles in Ordnung?«, erkundigte ich mich, um mich endlich von der Traurigkeit zu befreien.
»Definitiv.« Ciara nickte.
»Nein, sie hat sich das größere Zimmer ausgesucht.«
Hanish stieß die Luft durch die Nase aus, dann drehte er sich um und ließ uns zurück.
Laya lachte verhalten.
Aaron sah fragend in die Runde. Sobald sich unsere Blicke trafen, zuckte ich mit den Schultern.
Alaya beugte sich zu mir. »Was ist los?«
Ich schüttelte den Kopf. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um wieder an Trish zu denken. Die Traurigkeit nistete sich heute sonst nur tiefer in mir ein. Ich würde mich darin verlieren. Ob ich dann an den kommenden Tagen in der Lage war, mich davon zu erholen, bezweifelte ich.
»Hat jemand Liam gesehen? Ich möchte meinen Bruder gerne in den Arm nehmen.«
Ciara deutete ans gegenüberliegende Ende des Platzes.
Ich folgte ihrem Fingerzeig. Sobald ich meinen Bruder sah, fühlte ich mich leichter.
Sie beugte sich zu mir. »Wer ist der andere Wolf, der bei ihm steht?«
»Das ist Ethan. Ihm gehört die Bar in Wabasca. Kommt ihr mit oder bleibt ihr hier?« Ich sah neugierig in die Runde.
Aaron trat neben mich. »Ich begleite dich.«
Laya und Ciara wechselten einen Blick, ehe sie zustimmend nickten. Gemeinsam liefen wir quer über den Festplatz. Sam stand an Liams Seite. Sie strahlte eine tiefe Ruhe aus. Als wäre sie nicht erst vor ein paar Tagen dem Tod entkommen.
Als sie uns sah, hob sie grüßend eine Hand. Mein Bruder drehte sich um. Er grinste schief, als er uns entgegenblickte. Ich rannte zu ihm und schmiegte mich an ihn. Er legte seine Arme um mich, hüllte mich in seinen typischen Geruch ein. Allerdings hatte er wieder eine andere Note angenommen. Er roch nach Lagerfeuer. Seit Sam in unser Rudel aufgenommen worden war, verstand ich endlich den Grund dafür. Es lag in ihr verborgen. In ihr loderte ein Feuer.
»Auch noch einmal jetzt: Ich freue mich so sehr für dich«, flüsterte ich mit emotional flatternder Stimme.
»Danke.« Er küsste mir die Wange.
»Bruder müsste man sein.« Aarons Gemurmel riss mich aus der Zweisamkeit, sodass Liam mich freigab.
Lachend sah ich den Wolf des Redwood-Rudels an. »Möchtest du auch in den Arm genommen werden?« Während ich die Unterlippe vorschob, setzte ich einen treuherzigen Blick auf.
Er breitete die Arme aus. »Definitiv.«
Zwischen Belustigung und Angespanntheit gefangen, trat ich mit einem Augenrollen und einem Lächeln auf den Lippen zu ihm, tätschelte ihm dabei den Rücken. Er zog mich an sich. Seine Nähe fühlte sich überraschend gut an. Nicht aufdringlich. Ich hörte das amüsierte Gelächter um uns herum, blendete es aber aus. Auf gewisse Weise zog ich sogar Kraft aus der Umarmung. Um die Regung vor den anderen zu verbergen, löste ich mich mit gehobenen Augenbrauen. »Und? Besser?«
Er grinste mich schief an, ließ seine Hände auf meinen Oberarmen liegen. »Lässt auf mehr hoffen.« Erst als er mir zugezwinkert hatte, gab er mich frei.
Mit einem Kopfschütteln sah ich weg, doch das Grinsen konnte ich nicht unterdrücken. Als ich aufschaute, begegnete ich Hanishs Blick. Er stand in einiger Entfernung und sprach mit Frederik und Maria. Obwohl uns etliche Meter trennten, erkannte ich eine Falte zwischen seinen Augenbrauen. War er verärgert?
Laya rempelte mich mit der Schulter an und lachte. Damit riss die Verbindung zu diesem verbohrten Falken ab und ich fiel in ihr Lachen mit ein. »Ich hätte nicht gedacht, dass der Besuch des Redwood-Rudels so interessant werden würde.«
»Ich auch nicht.« Als ich wieder in Hanishs Richtung schaute, war er verschwunden. Eine merkwürdig benommene Emotion überfiel mich. Waren es Schuldgefühle? Nein, dafür fehlte der Anlass. Ihm gegenüber war ich zu nichts verpflichtet, das hatte er mehr als deutlich gemacht.
Ciara sah Ethan an. »Und du besitzt eine Bar?«
Liam stellte sich neben mich, als Laya mit Sam redete. Er beugte sich zu meinem Ohr hinunter. »Du trägst keine Schuld an Trishs Schicksal.«
Ich presste die Zähne aufeinander. Er hatte mit Rees gesprochen. »Das weiß ich.«
»Dein Herz auch?«
Er kratzte mit seinen Nachfragen in einer eiternden Wunde. Daher stieß ich ihn leicht tadelnd an. »Kaum hast du eine Gefährtin, wirst du sentimental?«
Anstatt auf meine Provokation einzugehen, legte Liam mir einen Arm auf die Schulter. Er grinste wissend, bevor er mir den Scheitel küsste. Ich genoss seine Nähe. Obwohl ich es so vehement abstritt, litt meine Seele. Das war mehr als deutlich. Anscheinend hatte das selbst mein Bruder verstanden.
Als hätte Sam unsere Gefühlslage erkannt, sah sie zu mir. Ihr Blick war forschend, als sie nach meinem Oberarm griff und sanft zudrückte. »Danke.«
Mit einem schmalen Lächeln nickte ich. Zwar hatte ich keine Erklärung, weshalb mir die Dankbarkeit zustand, doch auf mögliche Antworten auf mein Nachfragen hatte ich weitaus weniger Lust.
Die Zeit verging überraschend schnell, bis ich mein letztes Bier leerte. Zum Abschied hob ich die Hand und winkte in die Runde. »Ich verschwinde jetzt.«
»Bringst du mich zu unserem Haus?« Aarons Frage überraschte mich.
»Klar.«
Nebeneinander schlenderten wir vom Platz. »Feiern könnt ihr definitiv.«
Ich sah zu ihm auf. »Hattest du Zweifel daran?«
»Ehrlich gesagt habe ich mir nie Gedanken darüber gemacht.«
»Wie ist das Leben bei euch?«
Seine Augen verengten sich leicht. »Anders.«
Die Beziehung zwischen unseren Rudeln war filigran, wenn man überhaupt von einer »Beziehung« sprechen konnte. Daher hakte ich nicht nach, überließ es Aaron, seine Einschätzung zu erläutern oder es bei diesem Wort zu belassen.
Er schwieg.
»Hier war es nicht immer so. Rees hat das Rudel verändert.«
Nun nickte er zustimmend. »Er hat Schneid.«
Amüsiert stieß ich die Luft aus. »Klar, aber ich habe etwas anderes gemeint. Er geht auf seine Leute ein. Ich weiß zwar nicht, wie er das macht, trotzdem verliert er niemals den Überblick. Er kennt die Bedürfnisse eines jeden Einzelnen.«
»Bei unseren Recherchen war ich überrascht, als ich von seiner Vergangenheit erfahren habe.«
Ich lächelte. »Die gehört zu ihm, hat ihn geprägt und ihn zu dem Alpha gemacht, der er heute ist. Daher möchte ich nicht, dass sie anders verlaufen wäre. Egal, wie grausam es klingt.«
»Ist er emotional stabil?«
Das Lachen brach aus mir heraus. Rees war in den letzten Wochen mehr als wankelmütig gewesen. Aber jedes Rudelmitglied verstand ihn. Seine Gefährtin war zurückgekehrt, obwohl wir alle gedacht hatten, dass wir sie verloren hatten. »Wer ist das schon?«
Aaron stimmte brummend zu, als wir vor dem Gästehaus ankamen. »Danke fürs Bringen.«
Es überraschte mich, dass er mich nicht hineinbat. »Sehr gerne. Schlaf gut.«
»Du auch, Emma.«
Ein letztes Mal hob ich die Hand, als ich mich umdrehte und in Richtung meines eigenen Hauses schlenderte.
Bilder des Abends flogen mir durch meine Gedanken, verharrten bei Hanish. Natürlich. Er hatte kein Recht auf Falten zwischen den Augenbrauen. Er hatte es schließlich nicht anders gewollt.
Letzte Nacht hatte ich nicht eine Minute Schlaf gefunden. Es machte mich wütend. Da unser Fokus besonders in den kommenden Tagen und womöglich Wochen auf der Sicherheit unseres Rudels liegen sollte, brauchte ich einen geschärften Verstand. Dennoch suchte ich an diesem Tag Konzentration vergebens.
Ich stieß einen Schrei aus, der durch die Weite hallte, der Frust benötigte ein Ventil. Der Wind spielte mit jeder Feder, streichelte über mich, als wäre ich sein verängstigtes Kind. Dabei wünschte ich mir, dass es eine andere Art der Liebkosung wäre. Und zwar kundige Finger, die mich schon einmal in den Wahnsinn getrieben hatten. Wie von allein legte ich mich in die Luft, folgte den Strömungen und übergab mich deren Führung. Solange ich mich im Fluss der Natur bewegte, gab es keinerlei Widerstände.
War es im Leben anders?
Als wäre ich in der Zeit zurückgereist, sah ich Emma gemeinsam mit Aaron den Festplatz verlassen. In die gleiche Richtung. Wie das geendet hatte, stellte ich mir besser nicht vor. Das hatte ich bereits, als sie sich grundlos umarmt hatten. Sie hatten jedes Recht dazu. Jedoch hatte niemand gesagt, dass ich es gutheißen musste.
Ein Schrei riss mich aus den Überlegungen, überraschte mich. Ich drehte den Kopf, erkannte Sam in den Luftströmungen ihre Kreise segeln. Ihr Federkleid schimmerte im Licht in warmen Farben, die im krassen Gegensatz zu dem tristen Herbstwetter standen. Die Wolken hingen schwer am Himmel, ich roch Schnee. Es war nur eine Frage von Stunden, bis die ersten Flocken fielen.
Um zu fliegen, war das Wetter von Bedeutung. Bei Sturm und Windböen war es gefährlicher in die Luft zu steigen, bei Schnee beinahe unmöglich.
In stummer Absprache bewegten Sam und ich uns aufeinander zu, drehten dichtere Kreise und flogen im Gleichklang. Es war schön, nicht mehr allein durch die morgendliche Luft zu segeln und eine Verbindung zu jemandem zu haben, der verstand, was es bedeutete. Sie kannte nun die Sehnsucht, wenn ein Teil der Seele nach Freiheit dürstete und dich aus dem Bett trieb.
Ich verlor mich im Flug, übergab mich der Intuition und schwelgte in der Ruhe. Die stand im krassen Gegensatz zu meinen Gedanken, die mich bedrängten und folterten. Dabei achtete ich bewusst darauf, nicht an den vergangenen Abend zu denken.
Ein weiterer Schrei, ein Abschied. Sam reduzierte die Höhe in rasanter Geschwindigkeit und überließ sich ihrem Adler, als hätte sie das bereits unzählige Male gemacht. Wahrscheinlich schmunzelte sie in diesem Moment, genoss das Tempo.
Unter uns reflektierte die Wasseroberfläche das triste Grau der Wolken. Ich verlor mich in dem Anblick der unendlichen Weite. Bäume, Wasser und das herrliche Gefühl von Freiheit.
Als ich meinen Blick wieder zum Boden richtete, hatte sich Sam mittlerweile angezogen, schlenderte zurück zu Liams Haus. Das Paar hatte eine schwere Zeit hinter sich gebracht. Dennoch hatten sie all die Schicksalsschläge überstanden. Vielmehr noch, sie hatten sich darüber gefunden.
Ich gönnte es ihnen von Herzen. Mein Freund hatte es verdient. Der gehetzte Ausdruck in seinen Augen war von dem Zeitpunkt an verschwunden, als er Sam nach Wabasca gebracht hatte.
Abermals dachte ich an Emma, wie ihre Lippen schmeckten.
Die Erinnerungen schmerzten.
In meinem Leben hatte ich mich niemals selbst belogen. Niemals. Ehrlichkeit war für mich von Bedeutung. Sie hatte mich nach Lösungen suchen lassen, als ich alles verloren hatte. Hätte ich damals die Augen vor den Tatsachen verschlossen, wäre ich meinen Liebsten gefolgt. Doch ich lebte, hatte weitergemacht und genoss mittlerweile mein Dasein. Ich hatte einen Ort gefunden, der mir guttat. Rees hatte mich aufgenommen. Ihm verdankte ich, dass ich Ruhe empfand und nicht mehr ziellos durch Kanada irrte, auf der Suche nach einer bezahlten Aufgabe.
Ich legte mich im Flug auf die linke Seite, reduzierte die Höhe im gleichmäßigen Tempo. Es war wie das langsame Lösen einer Umarmung, wozu man noch nicht bereit war, obwohl man schon wusste, dass die Zeit gekommen war.
Abermals sprossen Bilder von Emma und Aaron in meinem Geist auf. In diesem Moment beneidete ich die Wölfe für ihre Fähigkeit zu knurren. Wie gerne wäre ich auf diese Weise all den Frust losgeworden.
Einen Meter über dem Waldboden wandelte ich mich, federte den Aufprall mit den Beinen ab. Meine Brust hob und senkte sich schnell, während ich zu dem Klamottendepot ging, um mich zu bedecken. Ich schlüpfte in eine Trainingshose, drehte mich in Richtung Heimweg.
Ein Wolf trat aus dem Unterholz, stellte sich mir in den Weg.
Stöhnend zog ich das Shirt an. Der hatte mir gerade noch gefehlt. Ich hörte, wie die Kiste ein weiteres Mal geöffnet wurde, wartete einen Moment, ehe ich mich umdrehte.
»Ein Falke also«, begrüßte mich Aaron.
»Schon auf den Beinen? Ich habe gedacht, dass du beschäftigt bist.«
Er grinste und strich sich durch die Haare. »Gut zu wissen, dass ich deine Gedanken beherrsche.«
Abermals wäre ein Knurren eine Befreiung gewesen. Vor ihm unterließ ich den Versuch, damit hätte ich mich lächerlich gemacht.
Er blickte auf den See hinaus, sodass ich die Unterhaltung als beendet ansah. Ich lief zum Uferbewuchs, der den See von unserer Stadt abgrenzte. Liam hatte mir einmal erzählt, wieso sie nicht näher an das Wasser gezogen waren. Im Nachhinein war es selbsterklärend, sodass ich mich fragte, warum ich etwas anderes angenommen hatte. Aus Rücksicht auf die Natur. Das Ufergebiet bot unzähligen Tieren, Insekten und Pflanzen eine Heimat, die das Riverstar-Rudel nicht zu zerstören beabsichtigte. Aus diesem Grund hatte Rees die Gebäude sogar umbauen lassen und unterstützte alle Mitglieder darin, ihren Rückzugsort an die Umgebung anzupassen und damit den genommenen Platz zurückzugeben. Wenn ich an die Veränderungen dachte, die in den letzten Jahren das Bild von Wabasca prägten, war es ihm mehr als geglückt.
Er war ein junger Alpha. Doch er arbeitete jeden Tag daran, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Das gefiel mir. Obwohl ich mich fragte, wie er das Tempo durchhielt. Woher nahm er die Energie, immer an seinen Träumen zu arbeiten? Neue Ideen setzte er um oder plante sie so lange akribisch, bis er sie in naher Zukunft umsetzen konnte. Er war ein Macher.
»Warte auf mich.«
Bei Aarons Bitte seufzte ich innerlich, während ich das Tempo beibehielt.
Er joggte zu mir. »Sag mal, Emma ist nicht vergeben, oder?«
Ich unterdrückte das Seufzen. »Nicht, soweit ich weiß.«
Er schwieg einen Moment, sodass ich ihn anschaute. Ich verstand, was sie in ihm sah. Obwohl das die Tatsache nicht besser machte.
»Seit wann bist du Teil des Rudels?«
Ich furchte die Stirn. »Das geht dich nichts an.«
Aaron lachte ungläubig auf. »Ich dachte, wir wären Verbündete.«
»Nein, wir beschnuppern uns erst einmal.«
»Eine sehr wölfische Beschreibung.«
Ich zuckte mit den Schultern, blieb stehen und musterte den Mann. »Was willst du von mir?«
Er hob die Hände. »Ein Gespräch.«
»Wozu?« Ich verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn weiterhin fragend an.
»Du gehörst zu ...« In Aarons Augen flackerte einen Moment lang ein Glitzern auf, das ich nicht zu deuten wusste. »Du gehörst zu Emmas Familie.«
Er hatte etwas anderes sagen wollen. Dabei verstand ich nicht einmal, aus welchem Grund ich zu der Überzeugung kam. Nachdenklich schwieg ich.
»Woher kommst du?«
Eilig überlegte ich, ob ich einer Antwort erneut ausweichen konnte. Es war meine Vergangenheit. »Baffin Island.« Die Worte schmeckten fad in meinem Mund.
»Wie ist es dort?«
»Ruhig.«
Er lachte. »Alles andere hätte mich auch gewundert. Ich finde es sehr faszinierend, dass ausgerechnet ein Falke sich einem Wolfsrudel anschließt.«
Kurz überdachte ich Aarons Beschreibung. Klar, sie waren Wölfe und ich nicht. Aber so hatte ich das nie gesehen. Rees und seine Familie hatten mir niemals das Gefühl gegeben, anders zu sein. Jeder hatte seine Stärken. Mir fehlte der scharfe Geruchssinn, wohingegen meine Sehstärke ihre weit übertraf. »Leben in eurer Gemeinschaft keine anderen Rassen?«
Er stieß die Luft aus. Dabei war für mich unklar, ob er überrascht oder amüsiert war. »Jules gehört der alten Schule an.«
»Du bist sein Nachfolger?«
»Er hatte niemals eigene Kinder.«
»Was ist mit Ciara? Welche Stellung hat sie inne?«
Nun grinste Aaron breit. »Es freut sie sicherlich zu hören, dass du dich nach ihr erkundigst.«
Abwehrend hob ich die Hände. »So war das nicht gemeint.«
Er brummte, grinste jedoch weiterhin. »Sie ist die Erste Soldatin unseres Rudels. Keine leichte Aufgabe, da man von ihr mehr verlangt.«
»Wieso?«
Aaron zuckte mit den Schultern. »Jules wollte nicht, dass man Frauen zu Kriegern ausbildet.«
»Wie kam es, dass er seine Meinung geändert hat?«
Der Wolf überdachte meine Frage kurz. »Ich habe einen Kampf vorgeschlagen. Zwischen einer unausgebildeten Ciara und einem ranghohen Soldaten.«
»Und?«
Er hob leicht seinen Mundwinkel, blickte in die Ferne. »Sie hat den Gegner stark verletzt, ehe er sie besiegt hat.«
»Sie hat verloren?« Das überraschte mich. »Wieso hat euer Alpha dann seine Meinung geändert?«
Aaron strich sich das Haar zurück, reagierte jedoch nicht auf meine Frage.
Etwas an seiner Art irritierte mich, weckte gleichzeitig meine Neugierde. Da lag ein wesentlicher Schlüssel, um das Machtgefüge im Redwood-Rudel zu verstehen. Da war ich mir sicher.
»War Sams Wandlung von ihr gewünscht?«
»Sie hat sich aus freien Stücken für das Experiment gemeldet, dennoch war sie eine Gefangene. Ob man da von Freiwilligkeit sprechen kann, ist Ansichtssache.«
»Kannte sie die Risiken?«
Verwundert über diesen abrupten Themenwechsel verschränkte ich die Arme. Mir gefiel nicht, worauf er hinauswollte. »Sie wusste, dass sie bei der Wandlung sterben könnte. Ob man mit ihr alle Nebenwirkungen besprochen hat und ob man die bei den fragwürdigen Experimenten überhaupt kennt, bezweifle ich.«
»Es lässt ihre Wandlung immerhin in einem anderen Licht dastehen, meinst du nicht?«
»Sam ist ein Zeichen. Sie verdeutlicht, zu was das DarKing-Rudel bereit und auch imstande ist. Wenn sie keine Scheu haben, eine Gefangene zu wandeln, machen sie es vielleicht irgendwann mit der gesamten Menschheit.«
Aaron lachte ungläubig. »Und dann?«
Ich hob die Augenbraue und sah ihn erstaunt an. »Sie könnten die zweite Injektion zurückhalten, um sie teuer zu verkaufen oder um alle von sich abhängig zu machen.«
Nun verschränkte er die Arme vor der Brust. »Also müssen sie das Serum injizieren?«
»Soweit ich weiß.«
»Wie sollte ihnen das bei der kompletten Menschheit gelingen?«
»Du weißt, was ich meine. Ein solches Mittel in den Händen von gefährlichen Leuten zu wissen, beruhigt mich nicht. Im Gegenteil.«
Er blickte zu Boden, seine Stirn war gefurcht. »Du hast recht. Sie werden zu einer Bedrohung.«
»Nein, das sind sie schon längst.«
Es lag eine unerklärliche Schwere auf mir.