Die Wandlung des Adlers - Sophia Beli - E-Book
SONDERANGEBOT

Die Wandlung des Adlers E-Book

Sophia Beli

0,0
2,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 2,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Sam hat alles verloren. Ihre Familie, ihren besten Freund und ihren Verlobten. Doch davon hat sie sich ihre positive Einstellung nie nehmen lassen. Als sie eine folgenschwere Entscheidung trifft, sieht alles anders aus. Denn plötzlich ist sie eine Gefangene des gefährlichen DarKing-Rudels. Sobald Sam von den Experimenten erfährt, die die Wölfe an Menschen durchführen, erinnert sie sich an einen längst vergessenen Kindheitstraum: Sie wollte als Adler durch die Lüfte segeln. Sam ahnt nicht, dass dieser Entschluss nicht nur ihren Körper verändert, sondern auch ihr Gefühlsleben komplett auf den Kopf stellt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



DIE WANDLUNG DES ADLERS

SOPHIA BELI

INHALT

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Fortsetzung folgt …

Danksagung

Copyright: © 2023 Sophia Beli

Eine Portion Liebe

Coverfoto:

© Coverhexe (Alannah Kottenstede) unter Verwendung von Motiven von Adobe Stock und Creative Fabrica

Korrektorat:

Veros Wa(h)re Worte – Veronika Schlotmann-Thiessen

Sophia Beli

c/o Sebastian Münch

Rechtsanwalt / Steuerberater

Großenbaumer Weg 8

40472 Düsseldorf

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nachdrücklich nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet. Sämtliche Personen in diesem Text sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig.

Für das Leben,

mit allen positiven und negativen Erfahrungen.

Durch sie wurden wir zu den Menschen,

die wir heute sind.

Das sollten wir feiern!

KAPITEL 1

Ich legte den Kopf in den Nacken und heulte.

Es war der Gesang meines Herzens. Die einzige Liebe, die mich jemals gefunden hatte. Vermutlich war es die einzige, die ich bis zum Tod fand. Die Liebe zur Natur und die tiefe Verbundenheit zu dem Kreislauf, zu dem wir gehörten.

Die Antworten schallten aus dem Territorium zurück, weit verteilt über den gesamten Wald, von den wichtigsten Grenzpunkten.

In geschmeidigen Bewegungen trabte ich an die Stadtgrenze und wandelte mich. An dieser Stelle befand sich das Umkleidehaus unseres Rudels, damit nicht alle Mitglieder nackt durch die Straßen liefen. Wobei das bei der einen oder anderen nicht schlimm gewesen wäre. Bloß fragte mich ja keiner nach meiner Meinung.

Mein Haar war feucht, als ich frisch geduscht aus dem Gebäude trat. Aber ich spürte das angenehme Gefühl von der Arbeit. Gerade war ich die kompletten Grenzen des Territoriums abgelaufen. Es hatte mich einige Zeit gekostet, dennoch wusste ich, wie notwendig es war. Besonders nach dem, was in Ottawa geschehen war. Ich war nicht bereit, es als Fehler zu betiteln, jedoch brachte es das Riverstar-Rudel in eine alarmierende Situation. Wir konnten nicht einschätzen, wie der Nachfolger von Devran King reagierte. Eine Unwägbarkeit, die mich beunruhigte.

»Liam, hast du einen Moment?«, rief Frederik. Ich drehte mich zu ihm um. Er war einer der ältesten Soldaten, die in unserer Gemeinschaft lebten. Mittlerweile war er in die Jahre gekommen, das erkannte man an seinen Augen. In letzter Zeit hatte er jede Menge Mist gesehen, zu viel Leid ertragen. Trotzdem hatte er niemals aufgegeben, an die Zukunft des Rudels zu glauben. Er war es gewesen, der Rees geholfen hatte, der seine Stärke herausgekitzelt hatte, als ihn die meisten abgeschrieben hatten. Ihm war es zu verdanken, dass Rees heute der Mann war, der die ganze Zeit in ihm geschlummert hatte. Ein Anführer.

»Was gibt es? Ich muss dringend zum Boss.«

Frederik legte mir die Hand auf die Schulter, lehnte sich zu mir. »Es entsteht Unruhe zwischen den Rekruten.«

Ich runzelte die Stirn. »Wie kommt es?«

Frederik seufzte. »Ich denke, es hat mit Alayas Rückkehr zu tun.«

Ich nickte, verstand auch ohne Worte, was er meinte. »Ich rede mit Rees. Halte mich auf dem Laufenden, wenn es weitere Probleme gibt.«

Er klopfte mir erneut auf die Schulter, ehe er mich zurückließ. Ich sah ihm nach, seiner aufrechten Gestalt, die vor Energie immer noch strotzte. Diesen Mann bewunderte ich.

Plötzlich registrierten meine Instinkte einen Hinterhalt. Ein Grinsen stahl sich auf meine Lippen. Jack, ein junger Wolf, sprang mich von der Seite an. Ich lachte auf, als ich ihn auf den Arm nahm, um ihm durchs Fell zu streicheln.

»Hab ich dich.« Mit geschickten Bewegungen drehte ich den kleinen Körper auf den Rücken und kitzelte ihn am Bauch. Er strampelte mit den Beinen, während ich die Freude in seinem Wesen erkannte. »Wo ist deine Mom? Und dein großer Bruder?«

Er deutete in die Richtung, in der der Spielplatz lag.

Mit dem Fellknäuel auf den Armen lief ich dorthin und bemerkte die Frauengestalt auf der Parkbank von Weitem. Die Tränen roch ich, bevor ich an der gebeugten Körperhaltung erkannte, was los war.

»Hey du«, begrüßte ich Renée leise.

Erschrocken fuhr sie zusammen, wischte sich verstohlen über die Wangen.

»Was ist los?«, erkundigte ich mich, als ich mich neben sie auf die Bank setzte. Ich sah Brian in Menschengestalt auf dem Gerüst klettern, geschickt und höchst konzentriert.

Sie seufzte, schwieg jedoch.

»Ist es wegen Rees?«

Dieses Mal bekam ich ein Schluchzen als Antwort.

»Es tut mir leid«, gab ich zu.

»Es fühlt sich falsch an.«

»Was?«

»Dass ihr euch über ihre Rückkehr freut.«

Ich brauchte nicht zu fragen, wen sie damit meinte. »Das verstehe ich. Du kennst sie nicht.«

Renée senkte den Blick auf ihre Finger, knetete das benutzte Taschentuch. Sie schwieg so lange, dass ich glaubte, dass unser Gespräch beendet war. »Ich wusste die ganze Zeit, dass er niemals aufgehört hat, sie zu lieben. Als er nach Ottawa aufbrach, verstand ich nicht, was los war. Er wirkte so angespannt, hat aber kein Wort gesagt. Du weißt, wie er ist, das ist nichts Neues. Dennoch war es anders.«

Ich brummte zustimmend.

»Als ich die beiden gesehen habe, begriff ich es sofort.« Abermals verfiel sie in Schweigen, driftete in ihre Gedankenwelt ab.

»Woran hast du es bemerkt?«

»An der Art, wie er sich verhalten hat.«

»Dir gegenüber?«

Sie stieß die Luft aus. »Nein, er ist bemüht, sich nichts anmerken zu lassen. Er kommt zu mir, ist jedoch abwesend. Auf der Party hat sich Rees zu sehr angestrengt, sie nicht anzuschauen. Wenn er es dann tat, lag eine Art Sanftmut in seinem Blick, die ich bis zu diesem Zeitpunkt nicht an ihm kannte. Als hätte er den Frieden gefunden. Allein ihre kurze Anwesenheit hat etwas bewirkt, das ich niemals geschafft habe und auch in unzähligen Jahren nicht hätte bewirken können.«

»Wovon redest du?«

»Sie heilt seine Wunden.«

Das tat sie. Was ich Renée allerdings verschwieg, war die Tatsache, dass sie auch neue Verletzungen verursachte. Meine Loyalität galt dem Rudel, nicht einer Frau, die Liebeskummer hatte. So grausam es klang, meine Priorität lag immer bei der Gemeinschaft. Renée würde es verstehen, wenn sie nicht so verletzt wäre. Rees’ Wolf war aufgebracht. Das spürte sie mit Sicherheit auch. Seine Gereiztheit war ein Widerhall, als ob jemand unser Fell gegen den Strich streichelte. Er nahm wahr, dass sich alles geändert hatte. Alaya war zwar zurück, dennoch war sie nicht mehr das Mädchen, das er vor acht Jahren verloren hatte. Das war ein Problem. Sie war eine Fremde in Gestalt einer Vertrauten. Sein Wolf verstand das nicht, da er zu lange an der Oberfläche gelebt hatte. Er hatte Rees beschützt, als seine Seele am liebsten alles vergessen hätte.

»Trotzdem bist du wichtig. Du warst für ihn da.«

»Aber es hat niemals gereicht.«

Ich nickte, während ich auf Jack schaute, der sich auf meinem Schoß zusammengerollt hatte und schlief. Mit den Fingern fuhr ich immer wieder durch sein Fell, schenkte ihm die Zuneigung, die er brauchte.

»Geh mit Rita aus, eine der Mütter kümmert sich gerne um deine Jungs.«

»Ich weiß nicht«, gab sie zu. »So weit bin ich nicht.«

»Es geht nicht darum, dir einen anderen Mann zu suchen. Amüsiere dich einfach, hab Spaß und genieße das Leben. Du hast es verdient.«

»Ich denke darüber nach.«

»Das ist mehr, als ich gehofft hatte.« Ich grinste sie an, was sie zaghaft erwiderte.

Vorsichtig hob ich Jack auf. »Hier, ich habe eine Besprechung.« Der junge Wolf blinzelte verschlafen, als ich ihn auf Renées Schoß bettete und ihn noch einmal streichelte. »Glaub mir, du findest dein Glück.«

»Danke, Liam.« Sie schaute mich mit großen Augen von unten an.

Ich zwinkerte ihr zu, ehe ich den Spielplatz verließ.

Jetzt kam ich zu spät. Aber dieses Gespräch war wichtig. Ebenso wie die Unterredung, die vor mir lag.

Mit langen Schritten ging ich zu unserer Höhle. Sie befand sich im Stadtkern, unweit des Platzes, an dem wir Feierlichkeiten ausrichteten. Das Haus, das dem ursprünglichen Begriff einer Höhle nicht unähnlicher sein konnte, hob sich mit seinen fünf Stockwerken von den restlichen Gebäuden ab. Allerdings hatten wir eine begrünte Fassade gewählt, damit sich das Haus zwar in der Höhe unterschied, aber doch in die Umgebung einfügte. Es hatte eine Backsteinfassade, die nur noch selten zwischen den bewachsenen Flächen hervortrat.

Zwei Stufen auf einmal nehmend lief ich in die fünfte Etage. Dort betrat ich Rees’ Büro. Er saß an seinem Schreibtisch, starrte auf die Papiere in seinen Händen. Ich kannte ihn. Seine Gedanken beherrschten ihn.

Leise schloss ich die Tür hinter mir, während er zu mir aufsah.

Wie lange hatte der Mistkerl nicht mehr geschlafen? Die Schatten unter seinen Augen berichteten von unzähligen Stunden mit Grübeleien.

»Was gibt es?«

Ich musterte ihn. »Ich weiß, dass es eine schwere Zeit für dich ist.«

Er zog die Augenbrauen fragend in die Höhe.

Frustriert stieß ich die Luft aus. »Deine Gefährtin ist zurück und ist doch eine andere Person als die, die wir vor all den Jahren verloren haben.«

»Komm auf den Punkt.«

»Dein Wolf braucht einen Ausgleich. Die Jungspunde wissen nicht wohin mit ihrer Energie. Sie zetteln grundlos Streitereien an.«

Er verschränkte die Arme vor der Brust.

»Wir spüren dein Unbehagen. Es ist wie unser eigenes. Du bist der Alpha. Von deiner Gefühlswelt hängen unser aller Empfindungen ab. Du weißt all das. Nur erkennst du es gerade nicht. Die Unerfahrenen suchen sich ein Ventil, indem sie Ärger stiften.«

»Kommt damit zurecht, dass es momentan so ist. Es ist nicht zu ändern.«

»Alter, ich verstehe, dass du an eurer Beziehung nichts übereilen willst, aber du brauchst einen Ausgleich.«

Rees stieß ein Grollen aus.

»Du weißt, dass ich recht habe. Nimm dir eine Pause, geh in den Wald und suche Abstand. In der Ruhe findest du vielleicht etwas, das dir hilft.«

»Du hast keine Ahnung.« Er sprang auf, stemmte die Hände auf den Tisch, während er mich schnell atmend anfunkelte.

Ich tat es ihm gleich, stellte mich ihm entgegen, dabei fixierte ich ihn. »Du beruhigst dich besser, sonst ist dieses Rudel in kürzester Zeit völlig zügellos.«

»Willst du meine Führungsqualität infrage stellen?«

»Momentan ja«, erwiderte ich. Dabei machte ich mich auf einen Faustschlag gefasst.

Rees atmete tief ein, funkelte mich wütend an. Zu meiner Überraschung stieß er sich vom Schreibtisch ab. Er fuhr sich durchs Haar. »Du hast recht.«

»Natürlich habe ich das.«

»Treib es nicht zu weit, Liam.« Ein Flüstern, das einem Versprechen glich.

»Komm schon! Gönn mir die Freude.« Ich grinste ihn an, während ich die Hände einladend ausbreitete.

»Wann übernimmst du?«

Mein Lächeln wurde eine Spur breiter. »Sobald du losziehst.«

»Dann bin ich in fünf Minuten weg.«

Ich nickte und sah ihn mit gerunzelter Stirn an. Wenn Rees so schnell der Forderung zustimmte, stand es schlechter um ihn, als ich vermutet hatte. Ein ungutes Gefühl beschlich mich.

»Ist noch was?« Er sah mich nicht einmal bei der Frage an.

»Falls du reden willst, bin ich da.«

»Kein Bedarf.«

Super, wie ich seine Art, die Dinge mit sich allein auszutragen, liebte. Mit einem Kopfschütteln verließ ich den Raum. Sarkasmus half nicht. Alaya war zurück. Es war wie ein Wunder. Wer gehofft hatte, dass plötzlich die Vergangenheit vergessen wäre, hatte sich geirrt. Was war ich bloß für ein Idiot gewesen!

Hanish kam mit großen Schritten auf mich zu. Sein Gesicht eine ausdruckslose Maske. »Gehen wir heute Abend aus?«

»Geht nicht. Ich vertrete Rees, außerdem habe ich diese bescheuerte Wette mit Em.«

Er seufzte. »Gut.«

Okay, mein anderer gesprächiger Freund hatte es also auch bemerkt. »Hoffen wir mal, dass es hilft. Aber als dein bester Kumpel kannst du auf mich zählen. Abgemacht?«

Er nickte, ehe er weiterlief.

Auf dem Weg zur Küche lief ich an Ems Höhle vorbei. Das Klappern ihrer Tastatur war lauter als gewohnt.

Ich steckte den Kopf durch einen Türspalt. »Warum bist du aufgebracht?«

»Bin ich das?« Sie hob die Augenbrauen. In diesem Moment wusste ich, dass ich etwas falsch gemacht hatte.

Ergeben hob ich die Hände, betrat ihren Raum. »Was habe ich wieder angestellt?«

»Nichts«, fauchte sie.

»Okay.« Ich zog das Wort in die Länge, während ich ihre verschlossene Miene musterte. »Woran arbeitest du?«

Sie seufzte, dann rollte sie auf ihrem Bürostuhl zurück. »Seit meine Stolperfallen im Netz Alarm geschlagen haben und Rees Alaya zurückgebracht hat, sträubt sich mir das Nackenfell. Ich weiß nicht wieso. Das macht mich wahnsinnig.«

»Folge dem Instinkt.«

»Danke für diesen tollen Tipp, Mister Unerbetene-Ratschläge-Erteiler.« Sie stieß frustriert die Luft aus.

»Komm schon, Em! Was ist los?«

»Nichts. Wirklich. Hab morgen einfach Spaß!«

Ah, daher wehte der Wind. »Begleite uns. Wir waren lange nicht zusammen aus.«

»Mal sehen.« Sie mied es, mich anzusehen.

»Hat Laya mit dir geredet?«

»Nicht über … die Zeit bei Devran. Aber ich weiß, dass sie sich seit ihrer Rückkehr nicht mehr gewandelt hat.«

Überrascht hob ich die Augenbrauen. »Bist du sicher?«

»Definitiv.«

»Du bist die Beste, Schwesterherz!« Ich rannte zurück in Rees’ Büro.

»Ich habe noch eine Minute.«

»Wieso wandelt sich Laya nicht?«

Er sah auf. In seinen Augen lag eine Dunkelheit, die mich verstörte. Es war ein Hauch Panik darin zu erkennen, den ich an ihm nicht kannte. Er nickte mir zu. Ich trat ein, warf die Tür hinter mir zu, ehe ich die Arme vor der Brust verschränkte.

»Devran hat uns ein Mittel verabreicht, das unsere Wölfe verstummen ließ.«

Mein Fell stellte sich auf. »Also betäubt?«

Rees schüttelte den Kopf. »Nein, das Tier in uns war ausgelöscht.«

Übelkeit überkam mich. »Was?«

Er zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, welches Zeug das ist. Aber wir sind wieder vollständig. Daher weiß ich auch nicht, warum sie sich nicht wandelt.«

»Angst?«

Er drehte sich um, verschränkte die Arme und sah hinaus auf den großen Dorfplatz.

»Soll ich mit ihr in den Wald, eine Runde drehen?«, schlug ich aus diesem Grund vor.

Ein Grollen stieg aus Rees’ Brust auf. »Nein!«

Ich hob die Hände, um ihm zu zeigen, dass von mir keine Gefahr ausging. »In deinem Zustand bist du nicht die beste Gesellschaft für sie.«

»Als ob ich Laya etwas antue.« Er wandte sich raubtierhaft zu mir.

Ich grinste. »Vielleicht will sie ja, dass du ihr etwas antust.«

Er grollte erneut.

»Ach, komm. Als ob dir nicht aufgefallen wäre, dass …«

»Sie braucht Zeit.« Seine Miene hatte sich verschlossen.

»Dann lass mich mit ihr in den Wald. Sie hat ihn nötig, damit sie wieder in ihr Herz findet.«

Rees schüttelte den Kopf und schloss erschöpft die Augen. »Gut.«

»Gut, was?« Meine Verwirrung war komplett.

»Geh mit ihr raus. Ich will meine Laya zurück.«

Ich grinste. »Du bist nicht mehr der gut aussehende Junge von damals.«

»Verschwinde!« Doch ein Lächeln zuckte an seinem Mundwinkel. Eine Regung, die eine Seltenheit bei ihm geworden war.

KAPITEL 2

Sie hatte sich wie eine Katze vor einem Bad gesträubt. Dabei registrierte ich, wie sehr es Alaya mit jeder Minute besser gefiel. Sie beschleunigte ihre Schritte, lief vor, während sie einer Fährte folgte, die nur sie kannte. Vielleicht riefen Umgebung gepaart mit Bewegungen Erinnerungen von früher hervor. Ich fragte nicht nach, ließ ihr die Ruhe und trieb meinen Körper an. Die zusätzliche Anstrengung glich einer sanften Folter, die ich für unser Rudel nur zu gerne auf mich nahm.

Suchend schaute ich mich um, registrierte ihre Anwesenheit etwa hundert Meter vor mir, als ich beschloss, zu ihr aufzuschließen. Ich beschleunigte die Schritte, bis ich sie sah. Alaya war eine Schönheit. Ihr Wolf besaß einen unglaublich warmen Farbton und lud geradewegs dazu ein, sie zu berühren. Ihr sandfarbenes Fell glänzte selbst im Zwielicht des Waldes. Selten hatte eine Gestaltwandlerin mich in beiden Erscheinungen auf diese Weise angesprochen.

Ich schluckte, dachte an Rees’ aufgebrachtes Verhalten und den Schmerz in seinen Augen, den er vor mir versteckte. Nicht gut, aber er war bemüht.

Layas Ausstrahlung war von Trauer und ungeweinten Tränen getrübt. Ich folgte ihrem Blick, versuchte herauszubekommen, was diese Regung in ihr ausgelöst hatte. Doch ich fand nichts, weshalb ich glaubte, die Ursache in der Vergangenheit zu finden.

Tröstend schmiegte ich mich an sie, was sie aufknurren ließ. Ich grinste in mich hinein, gab ihr jedoch den Raum, den sie für sich beanspruchte. Dafür lief ich eine Runde um das Gebiet, auf das sie blickte. Plötzlich erkannte ich den Ort, sah die Trümmer von längst vergessenen Bauten. Enttäuscht schloss ich die Augen.

Wie hatten wir es dazu kommen lassen? Warum hatten wir diesen Ort nicht beschützt?

So schmerzhaft die Antworten auf diese Fragen auch war, kannte ich sie alle.

Wir hatten die Hoffnung verloren.

Nach all den Jahren hatte niemand mehr daran geglaubt, dass wir Alaya jemals wiedersahen. Nun rannte ich mit ihr gemeinsam durch den Wald, suchte weiter die Spuren der Vergangenheit. Lediglich um festzustellen, dass wir sie aufgegeben hatten. So wirkte es vermutlich auf sie.

Ein Knacken verriet mir, dass Alaya auf mich zukam. Ich sah ihr entgegen, erkannte die Traurigkeit, die an ihr haftete wie ein ekelerregender Parasit.

Sie setzte sich neben mich, schaute auf das Trümmerfeld ihrer Kindheit. Ich deutete es als gutes Zeichen, dass sie meine Nähe suchte. Nicht als Liebhaber, das war mir bewusst. Die Stellung eines Freundes war sogar kostbarer.

Es gab wenige Menschen, mit denen es mir leichtfiel zu schweigen. Gleichermaßen hasste und liebte ich die Stille, wenn ich nicht allein war. Aber ich spürte, dass Laya es brauchte. Sie hatte die Anwesenheit ihres Rudels bitter nötig. Für ihre nahe Zukunft hatte sie zu lernen, was ihre Rückkehr bedeutete. Bei uns. Hier war niemand einsam. Wir standen füreinander ein.

Daher schwieg ich. Für sie.

Alaya starrte auf das Dickicht, betrachtete die Trümmer des Baumhauses. Lucas, ihr Vater und unser früherer Alpha, hatte es für seinen Wirbelwind gebaut. Bei den Erinnerungen perlte Freude in mir auf, erfüllte mich von der Spitze meiner Schnauze bis zum Schwanz.

Als hätte dieser Gedanke den Verschluss gelockert, schwappten Bilder über mich hinweg. Wie wir alle gemeinsam dort herumgeturnt waren. Wie Laya mit Spuren von Dreck im Gesicht oder zerrissenen Strumpfhosen ihre Mutter in den Wahnsinn getrieben hatte. Wie Emma und sie sich angeschaut hatten, während sie sich die Bäuche vor Lachen gehalten hatten.

Alaya wagte einige Schritte vor, trat dichter auf die zerbrochenen Planken zu. Sie hob den Kopf in den Nacken. Ich erwartete ihr Heulen. Doch die Stille, die darauf folgte, war viel erschreckender. Sie setzte mir zu, berührte mein Herz.

Auch diese an meinen Nerven kratzende Ruhe ertrug ich, bis sie sich schließlich zu mir umdrehte. Sie nickte mir zu.

Seite an Seite liefen wir in Richtung Hauptzentrum zurück. Ich wandelte mich, sobald ich vor dem Ankleidehaus stand, und schlang mir ein Handtuch um die Hüften.

»Laya.«

Sie wirbelte überrascht zu mir herum, als hätte sie meine Anwesenheit nach den Minuten des Schweigens komplett verdrängt. Sie grollte, ehe sie sich wieder umdrehte und weiterhin in Wolfsgestalt einige Schritte in Richtung Dorf zurücktrabte.

»Rees hat niemals aufgegeben, dich zu suchen.«

Laya stoppte abrupt, verharrte regungslos auf der Stelle.

»Er hat immer gesagt, dass seine Seele dein Herz spüren kann.«

Sie schnaubte abfällig und ich lachte leise.

»Glaub mir ruhig. Wir haben ihn alle für verrückt erklärt.«

Ich spürte die Veränderungen in der Luft. Ihre Trauer verschwand, von Wut abgelöst.

Innerlich schenkte ich mir ein High five, lobte mein taktisches Kalkül. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie sich äußerte. Laya hatte es damals nie ertragen, wenn sie ihre Meinung nicht kundgetan hatte. Darauf baute ich, auf das Mädchen von früher, das den Dreck auf dem Kleid mit einem Lächeln abtat.

Ich wusste so gut wie nichts von ihren letzten Jahren. Wie auch? Sie schwieg sich dem gesamten Rudel gegenüber darüber aus. Das war toxisch. Für den Anfang akzeptierte ich das, auf Dauer allerdings nicht. Rees war, was Laya betraf, nicht objektiv. Er war einfach nur überglücklich, sie wiedergefunden zu haben. Dabei vergaß er, dass sein Leid unsere komplette Gemeinschaft infizierte. Seine Gefühlsbasis war der Grundstock eines jeden Individuums.

Wir hatten Glück, dass Frederik es damals geschafft hatte, in Rees‘ suchtkrankes Gehirn durchzudringen. Er hätte sich und das Rudel damit zugrunde gerichtet.

Ich knetete meine Hände. »Ich habe es ihm immer wieder gesagt. Wieso nach jemandem suchen, der uns auf eigenen Wunsch verlassen hat?«

Laya grollte.

Tja, ich war eben ein Genie.

»Deinen Vater brachte dieses Wissen um.«

Drei, zwei, …

»Devran hat mich entführt! Das weißt du genau.« Ich hielt ihr kommentarlos ein Handtuch hin, das sie schützend um ihren Körper schlang.

»Tue ich das?« Ich grinste sie breit an, sobald sie bedeckt war.

»Du bist ein Mistkerl, Liam. Wirklich!«

»Dann verrate mir, wie King es zu uns geschafft hat. Wie ist er an den vielen Wachen vorbeigekommen?«

Sie schwieg, dabei funkelte sie mich an.

»Du hast keinerlei Erklärung, da du ihm freiwillig in die Arme gelaufen bist. Ich mache dir keinen Vorwurf. Du warst jung, verliebt und wolltest aus Wabasca weg.«

»Spinnst du?« Sie wirbelte herum, während sie ihr Handtuch bis zur Taille rutschen ließ. Sie zeigte mir ihren Rücken. Ich zuckte zurück, als ich die zahlreichen Narben sah. »Glaubst du, dass ich all dieses Leid beabsichtigt habe?«

Ich schluckte, während ich spürte, wie sich meine Selbstsicherheit winkend verabschiedete. Züchtig bedeckt drehte sie sich wieder um, kampfbereit und mit der Absicht, mir ihre Meinung ins Gesicht zu brüllen. Davon war ich überzeugt. »Das wusstest du ja nicht, als du dich in seine Arme gestohlen hast.«

Sie schüttelte den Kopf und senkte verletzt den Blick.

»Wie hat er es geschafft, Laya? Ich bin Sicherheitschef des Rudels. Eine solche Unkenntnis über eine Sicherheitslücke ist inakzeptabel für uns. Du riskierst durch dein Schweigen die Sicherheit aller hier lebenden Wölfe. Wenn du mit dieser Schuld leben kannst, dann bleib weiterhin stumm.«

»Er hat keinen Eigengeruch.«

»Verarsch mich nicht. Jeder hat eine Witterung.«

Alaya schüttelte den Kopf. »Er nicht.«

»Wie ist das möglich?«

Hilflos zuckte sie mit den Schultern. »Es ist so. Als ich noch nicht wusste, wer er war, hat mich das die gesamte Zeit irritiert.«

Ich wischte mir durchs Gesicht, überdachte die Information. »So ist er hier eingedrungen?«

»Ja, er stand plötzlich vor meinem Bett. Gerade als ich schreien wollte, hat er irgendetwas gemacht, sodass ich das Bewusstsein verlor. Also glaub mir, dass das alles nicht in meiner Absicht lag. Ich habe ihn nicht einmal als Partner gesehen. Für mich war das immer …«

»Was wird das hier?« Rees’ Grollen war tief. Ich erkannte die unterdrückte Wut aus seiner Frage, die eindeutig mir galt.

Ich lächelte ihn an. »Nennen wir es einen Informationsaustausch.«

Alaya stieß die Luft durch die Nase aus, als würde ich mir die Wahrheit zurechtbiegen.

Unser Alpha musterte mich. »Das war nicht das, worum ich dich gebeten habe.«

»Das stimmt. Da du nicht mit deiner Gefährtin redest, dachte ich, dass ich es für dich übernehme.«

Er knurrte mich an, weil ich eindeutig eine Grenze überschritten hatte. Schließlich hatten sie sich bisher nicht aneinander gebunden. Aber wir wussten alle, dass es nur eine Frage der Zeit war. Wir sprachen von Alaya und Rees. Für uns waren sie Gefährten, seit sie klein waren. Jeder erkannte die Verbindung, die zwischen ihnen herrschte.

Laya verschränkte mit einem breiten Grinsen ihre Arme vor der Brust. Miststück! Sie genoss es, dass ich Ärger bekam.

»Bekommt es in den Griff, dann mische ich mich auch nicht mehr ein«, blaffte ich deshalb ihnen beiden entgegen.

Rees atmete tief ein, als strapazierte ich seine Nerven.

»Alles klar, ich lass euch besser mal allein.« Dabei deutete ich mit dem Daumen auf die Umkleide.

»Warte kurz.« Alayas Stimme überraschte mich.

Mit hochgezogenen Augenbrauen sah ich zu ihr.

Sie rieb sich die Hände, als wäre ihr kalt. »Ich wollte dich um einen Gefallen bitten.«

»Mich?« Verwunderung schwang in meiner Frage mit.

Einer ihrer Mundwinkel zuckte. »In Ottawa hatte ich eine Freundin. Sam. Sie hat mir gesagt, dass sie sich bei mir meldet. Allerdings hat sie es nicht getan. Bei mir war in den ersten Tagen so viel los, dass ich es vergessen habe. Sie reagiert weder auf Anrufe noch auf Nachrichten.«

»Vielleicht braucht sie Ruhe.«

Sie schüttelte entschieden den Kopf. »So ist Sam nicht.«

Ich runzelte die Stirn. »Woher, sagtest du, kennst du sie?«

»Das ist gleichgültig.«

»Aber du kennst sie gut?« Ich verengte die Augen, um zu ergründen, was Laya verschwieg.

Die Verärgerung über meine Nachfragen stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. Sie zögerte kurz, was mir genug verriet. »Ich mag sie. Sie hat mich einfach am Straßenrand aufgegabelt, als ich völlig hilflos war.«

Ich schüttelte ungläubig den Kopf. »Okay. Dann weißt du nichts über diese Person. Was soll ich deiner Meinung nach jetzt machen? Zu ihr fahren und fragen, warum sie dir nicht antwortet?« Ich zog einen Schmollmund.

»Liam«, raunte Rees mahnend.

»Was? Wo wohnt diese Sam überhaupt? In Ottawa?«

Alaya atmete tief durch. »Nein, irgendwo an der Westküste.«

»Also weißt du das nicht einmal? So gut wart ihr demnach befreundet? Dann rede lieber mal mit Em, sie kann ihre Magie wirken lassen und Informationen über deine beste Freundin herausbekommen.«

»Mir wäre es wirklich wichtig, dass du nach ihr schaust.«

Ich lachte auf. »Wieso?«

»Weil meine Wölfin unruhig ist.«

»Na, das ist natürlich ein schlagkräftiges Argument«, erwiderte ich sarkastisch, stemmte die Hände in die Hüften. Was glaubte sie denn, was die Aufgabe eines Sicherheitschefs war? Kindermädchen zu spielen?

»Heißt das, dass du es nicht machst?«

»Nein, ich habe definitiv Besseres zu tun, als wegen eines schlechten Gefühls irgendwelchen Frauen nachzustellen.«

Alaya nickte, als hätte sie nichts anderes von mir erwartet, ehe sie in die Umkleide stampfte.

Als ich ihr bereits folgte, hielt Rees mich am Arm zurück.

»Bitte, sieh nach dieser Sam. Laya scheint es wichtig zu sein.«

»Und das Rudel zurücklassen? Ihr habt Devran King ermordet. Wir müssen unsere Sicherheit verstärken, uns auf einen Vergeltungsschlag gefasst machen.«

»Darum kümmere ich mich.«

Ich lachte freudlos auf. »Entschuldige, dass ich daran zweifle. Momentan scheinst du nicht einmal in der Lage zu sein, auf dich selbst zu achten.«

»Vorsicht, Liam!« Rees trat dichter an mich heran. »Du bist mein Kumpel, aber das bedeutet nicht, dass ich dir alles durchgehen lasse.«

»Der Wahrheit schaust du besser ins Gesicht. Sonst passiert ein Unglück.«

Seine Nasenlöcher blähten sich auf, als hätte er Mühe, seine Wut zu zügeln. »Ich kümmere mich darum. Hanish vertritt dich so lange und bekommt von mir die Anweisung, dich sofort nach Hause zu beordern, sollte ich unzurechnungsfähig sein.«

»Sehr beruhigend.«

»Mehr bekommst du nicht.«

»Also ist das ein Befehl?« Angespannt presste ich die Zähne aufeinander.

»Nein, eine Bitte als Freund.«

»Alter, du treibst mich in den Wahnsinn.«

Er klopfte mir auf die Schulter. »Du bist nicht der Erste, der das sagt.«

Daran zweifelte ich keine Minute.

KAPITEL 3

Wenn ich ehrlich zu mir war, hasste ich Alaya ein kleines bisschen. Wegen ihr war ich nicht bei unserem Rudel. Und das zu einem Zeitpunkt, in dem die Gefahr niemals größer gewesen war.

Sie machte sich Sorgen. Das fand ich ja in Ordnung. Das gehörte dazu. Aber dass sie einen der fähigsten Kämpfer der Gemeinschaft an einen anderen Ort brachte, war unlogisch, wenn nicht sogar fahrlässig.

Klar, Rees hatte keinen Befehl ausgesprochen, aber erkannte Alaya denn nicht das Dilemma, in das sie mich gestürzt hatte? Kam ich ihrer Bitte nicht nach, war ich ein schlechter Freund. Rächte sich das DarKing-Rudel in meiner Abwesenheit, war ich der Idiot, der alle im Stich gelassen hatte und unfähig war, seine Leute zu beschützen.

Mit der geballten Faust schlug ich auf das Lenkrad ein, bis ich ein schmerzhaftes Pochen in der Hand wahrnahm. Das brachte nichts.

Jetzt war ich hier, nur wenige Fahrminuten vom Hafen entfernt, in dem Sam laut meiner Schwester Emma, dem Computergenie, arbeitete.

Ich parkte den Wagen auf einem Touristenparkplatz. Als ich die dunklen Wolken am Himmel vorbeiziehen sah, zog ich die Lederjacke über. Außerdem verdeckte das Leder meine Gestalt, damit ich mehr wie ein Kumpel als eine Bedrohung wirkte.

Zielstrebig lief ich zur Promenade. Das Touristengeschäft war in die Jahre gekommen, die Fassade schien alt zu sein, nicht mehr so einladend wie auf den Bildern der Homepage.

Ich öffnete die Eingangstür und ein Glöckchen verriet meine Ankunft. Eine langbeinige Schönheit betrat den Verkaufsraum. Sie hatte eine schwarze Kurzhaarfrisur. Allerdings wusste ich, dass es nicht Sam war. Emma hatte mir Fotos gezeigt, auf denen eine junge Frau ernst in die Kamera schaute. Führerscheinfotos eben.

Die Schwarzhaarige riss die Augen auf, ihr gefiel anscheinend, was sie sah. Sie strahlte mich an. »Kann ich etwas für dich tun?«

»Hoffentlich. Ist Sam zu sprechen?«

»Samantha?« Überraschung zeichnet sich auf ihrem Gesicht ab.

Ungeduld breitete sich in mir aus. Für einen solchen Blödsinn hatte ich keine Zeit. Nicht, wenn mein Rudel in Gefahr war. Sam war eine geläufige Abkürzung, Laya nannte sie so. Obwohl ich meinen Unmut am liebsten herausgeschrien hätte, zwang ich mich zur Ruhe, lächelte sie milde an.

»Nein.« Vielleicht hatte ich in meinem früheren Leben auch irgendetwas verbrochen, dass ich mit Menschen bestraft wurde, die kaum die Zähne auseinanderbekamen.

Tief atmete ich ein. »Kann mir jemand sagen, wo ich Sam finde? Dein Chef?«

Sie schaute über ihre Schulter zu einem Hinterzimmer, sodass ich wenigstens heute noch die Antwort bekam, die ich benötigte. Als sie mich fragend ansah, nickte ich ihr auffordernd zu.

»Roland, kommst du mal bitte?«

Ein Grummeln ertönte aus dem Zimmer, ehe der Gerufene den abgrenzenden Vorhang beiseiteschob. Ein untersetzter Mann betrat den Verkaufsraum. Er trug einen Pullunder, darunter ein beiges Hemd. Sein Haaransatz war nach hinten gewandert. »Was gibt es? Ich sitze gerade über dem Online-Shop.«

»Dieser Mann fragt nach Sam.«

Roland musterte mich mit hochgezogenen Augenbrauen. »Wir wüssten auch gerne, wo sie sich aufhält. Erst haut sie ab, um ihre Tante zu pflegen, und als sie wieder da ist, arbeitet sie zwei Tage, ehe sie erneut wortlos verschwindet.«

»Habt ihr versucht, sie telefonisch zu erreichen?«

Der Mittvierziger lachte freudlos. »Wir haben Besseres zu tun, als ihr nachzulaufen.«

»Ist sie denn eher der unzuverlässige Typ?«

»Sagte ich doch. Sonst wäre sie nicht einfach abgehauen.«

Innerlich seufzend hob ich eine Hand. »Danke.« Ich drehte mich um, trat wieder hinaus auf die Promenade. Der Wind peitschte um mich herum und ich inhalierte den Geruch nach Meer. Manchen Menschen gefiel es ja. Ich konnte den Wassermengen nichts abgewinnen. Es war mir zu suspekt, dass meine Instinkte verstummten, sobald ich im Wasser schwamm.

»Moment«, rief jemand. Überrascht wandte ich mich zu der Verkäuferin um. »Ich wollte nur …« Sie reichte mir einen Zettel.

Zögernd nahm ich ihn entgegen.

»Also, Sam ist nicht so. Sie ist eine zuverlässige Person.«

»Ja?«

Sie nickte und deutete auf das Papier zwischen meinen Fingern. »Das ist ihre Adresse.«

»Danke.« Ich musterte sie. »Wieso hast du nicht nach ihr gesehen?«

»Ich ... Nun ja … ich hatte keine Zeit.«

Innerlich rollte ich mit den Augen. Entweder war mir jemand wichtig genug, dass ich mir Gedanken um ihn machte oder es interessierte mich nicht. »Verstehe.«

»Das Haus liegt etwas zurückgestellt. Bieg am roten Briefkasten auf den Schotterweg ein, dann fährst du geradewegs darauf zu.«

Mit gehobenen Augenbrauen öffnete ich das Papier, ehe ich mich von der Verkäuferin verabschiedete und zurück zum Wagen lief.

Mein Ziel lag nicht weit entfernt. Innerhalb der nächsten halben Stunde fand ich die beschriebene Einfahrt. Bäume verdeckten die Sicht, aber als ich die Kurve hinter mir ließ, fuhr ich tatsächlich auf ein kleines Haus zu. Es sah verwunschen aus. Als ich den Motor ausstellte, hörte ich das Kläffen von Hunden.

Sie war also da.

Ich stieg aus dem Auto, sah mich um. Windspiele hingen in den Ästen, gaben Geräusche von sich. Hier roch man nur noch leicht das salzige Meer. Das Bellen drang nun lauter herüber.

Unwillkürlich ließ ich meinen Wolf näher an die Oberfläche, sah mich um und suchte Spuren, die nicht hierhergehörten. Wachsam trat ich an die Tür, klopfte gegen das Holz. Ich hörte, wie im Inneren die Tiere dagegensprangen, vernahm die Panik. Bildete ich es mir ein?

Ich drehte am Türknauf, doch es war verschlossen. Hier war niemand eingestiegen und hatte diese Sam entführt.

Nachdenklich lief ich um das Haus herum, schaute durch die Fenster ins Wohnzimmer. Nichts. Außer die Hunde. Wobei … War das überhaupt ein Hund?

Als ich an der Hintertür ankam, war auch diese verriegelt. Durch die Gläser, die in die Tür eingelassen waren, erkannte ich jedoch das Chaos in der Küche, die hinter der Tür lag. Nun fackelte ich nicht mehr lange, schlug mit dem Ellenbogen eine der kleinen Scheiben ein, um die Tür von innen zu öffnen. Die Spitzen von Zähnen bohrten sich abgeschirmt durch die Lederjacke in meinen Arm. Ich zuckte zurück und hörte ein Jaulen, als ich mich instinktiv bewegt hatte. Ich knurrte, versprach Konsequenzen. Die darauffolgende Stille zeugte von dem Respekt, der mir galt. Mir war klar, dass es ein Angstbiss gewesen war, der mich durch die Lederjacke nicht verletzt hatte. Daher ließ ich es auf sich beruhen, war jedoch wachsam, als ich die Tür öffnete. Ich stand zwei Hunden gegenüber, einem Rottweiler und einem haarlosen Etwas, das nur am Kopf sowie Schwanz behaart war.

»Wer hat dir das denn angetan?«

Der Geruch nach Fäkalien stieg mir in die Nase. Kurz schloss ich die Augen, um mich gegen den Gestank zu wappnen. Ich hockte mich hin, begrüßte die zwei Vierbeiner, ehe sie an mir vorbeiliefen und sich im Freien erleichterten.

* * *

Hatte Alaya gesagt, dass Sam sich um ihre Tiere kümmerte?

Vorsichtig betrat ich das Haus. Hier war der Gestank stärker. Mit zusammengezogenen Augenbrauen musterte ich das Chaos in der Küche. Gepaart mit dem penetranten Geruch erzählte es eine ganz andere Geschichte. Die Hunde hatten sich selbst verpflegt.

Wie lange war diese Sam schon verschwunden? Wann hatte Laya sie zum letzten Mal gesehen? Wieso hatte ich nicht gleich ihren Chef gefragt, zu welchem Zeitpunkt sie Sam zuletzt gesehen hatten?

Den Unrat ignorierte ich, ehe ich den nächsten Raum betrat. Es war das Wohnzimmer.

»Hallo?«, rief ich. Doch die Stille war Antwort genug. Das Klacken von Krallen verriet mir, dass ich nicht mehr allein war. Ich sah auf die Rottweilerhündin hinab. »Na, weißt du, wo Sam ist?«

Sie winselte, als hätte sie jedes meiner Worte verstanden.

»Warte hier.« Ich tätschelte ihr den Kopf, ehe ich die anderen Räume betrat. Nichts. Keine Spur. Alle Schränke waren voll mit Kleidung, auch weitere Indizien fehlten dafür, dass Alayas Freundin geplant hatte, zu verreisen. Von der Anwesenheit der Hunde ganz zu schweigen.

Ich wischte mir nachdenklich über die Augen, ignorierte das Zucken im rechten Augenlid. Es machte mich wahnsinnig.

Sobald ich das haarlose Etwas sah, spürte ich Mitleid in mir aufkeimen. In der Küche öffnete ich die Schränke, bis ich das Futter für die Tiere fand, und stellte jedem eine Schüssel unter die Nase. Das Schmatzen begleitete mich, als ich die Trinknäpfe säuberte und mit frischem Wasser befüllte.

Dann setzte ich mich auf einen Stuhl am Tisch, überdachte die Optionen.

KAPITEL 4

Der Laut, als das Tablett mit Essen auf dem Betonboden abgestellt wurde, klang wie ein Echo durch meinen Kopf. Es war dröhnend. Vielleicht lag die Empfindlichkeit aber auch daran, dass ich seit Stunden nichts als Stille wahrgenommen hatte. Keine Geräusche, nicht das rege Treiben, das bei der Ankunft hier geherrscht hatte. Als hätte man mich vergessen.

Dabei war für mich die ganze Zeit unklar, was ich besser fand. Die Einsamkeit, oder dass in der Trostlosigkeit endlich etwas geschah.

»Iss«, befahl die Frau mit der Narbe quer über dem Gesicht.

»Kein Hunger!«

Sie schüttelte den Kopf, sah mich mit einem milden Blick an. »Trotz bringt dich nicht weiter. Du brauchst deine Kraft bald. Sieh zu, dass du fit genug bleibst.«

»Was bedeutet das?« Ich erhob mich und spürte das Zittern, das meine Beine durchlief. Wie lange war es her, dass ich zum letzten Mal etwas zu mir genommen hatte?

Die Härte war zurück in ihrem Gesichtsausdruck. »Mach mit dieser Information, was du willst.«

»Könnten Sie bitte jemanden zu mir schicken? Meine Hunde leiden sicherlich.« Mit jedem Wort, das ich aussprach, sprangen mich die Vorstellungen wie lauernde Dämonen an. Die Szenarien, was Princess und Zerberus alles ertrugen, raubte mir den Atem. Hatte ein Nachbar ihr Bellen gehört? Hatten Lisa oder Roland nach mir geschaut? Vermisste mich überhaupt jemand?

Die Narbenfrau sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren. »Glaub mir, die Köter sind deine geringste Sorge.«

Ängstlich schluckte ich. »Warum ich?«

Die Frau schob mit der Schuhspitze das Tablett in meine Richtung. »Iss.« Damit öffnete sie die Tür und verschwand aus dem kleinen Raum, der nicht einmal ein Fenster besaß. Daher waren die Mahlzeiten das einzige Indiz für die Dauer des Aufenthaltes. Beinahe eine Woche war ich nun hier. Sieben Tage, in denen die blanke Glühbirne an der Decke die ganze Zeit flackerte. Es war wie eine Hypnose, in der ich zwischen Traumland und Wachzustand wechselte, ohne es zu merken. Die ärztlichen Untersuchungen waren das Aufregendste, was diesen Trott zerstörte. Niemand verriet mir, warum sie das taten.

Ich stütze mich an der Wand ab, als ich mit zittrigen Beinen zum Tablett trat.

---ENDE DER LESEPROBE---