Die Eisfrau - Eva Maaser - E-Book
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Die Eisfrau E-Book

Eva Maaser

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Beschreibung

Wenn die kalte Hand des Todes nach dir greift: Der packende Kriminalroman »Die Eisfrau« von Eva Maaser – jetzt als eBook bei dotbooks. Ganz still steht sie da, die leicht bekleidete Frau am Ufer des Steinfurter Bagnosees, den Blick starr geradeaus gerichtet – denn sie ist mit Eis überzogen und zu einer ebenso kunstvollen wie erschreckenden Statue gefroren … Kommissar Rohleff und sein Team ermitteln auf Hochtouren, doch der Fall gibt ihnen etliche Rätsel auf: War das Motiv Ausländerfeindlichkeit, da die Tote aus einer türkischen Familie stammt – oder ist sie das Opfer eines Freundes geworden, der vor Eifersucht die Beherrschung verloren hat? Und schließlich gerät sogar ein Kollege von Rohleff in Verdacht, der mehr über den Fall zu wissen scheint, als er zugibt … Wird es Rohleff gelingen, das Netz aus Lügen und Heimlichkeiten zu entwirren, ehe er sich vollkommen darin verfängt? »Spannende Lektüre mit lokalem Bezug: Es brechen schwere Zeiten an für Donna Leon, Elisabeth George & Co.« Der Steinfurter Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der fesselnde Kriminalroman »Die Eisfrau« von Eva Maaser, auch bekannt unter dem Titel »Tango Finale«, ist der zweite Band ihrer Regiokrimi-Reihe um Kommissar Rohleff, der auch unabhängig von den anderen Bänden gelesen werden kann. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 285

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Über dieses Buch:

Ganz still steht sie da, die leicht bekleidete Frau am Ufer des Steinfurter Bagnosees, den Blick starr geradeaus gerichtet – denn sie ist mit Eis überzogen und zu einer ebenso kunstvollen wie erschreckenden Statue gefroren … Kommissar Rohleff und sein Team ermitteln auf Hochtouren, doch der Fall gibt ihnen etliche Rätsel auf: War das Motiv Ausländerfeindlichkeit, da die Tote aus einer türkischen Familie stammt – oder ist sie das Opfer eines Freundes geworden, der vor Eifersucht die Beherrschung verloren hat? Und schließlich gerät sogar ein Kollege von Rohleff in Verdacht, der mehr über den Fall zu wissen scheint, als er zugibt … Wird es Rohleff gelingen, das Netz aus Lügen und Heimlichkeiten zu entwirren, ehe er sich vollkommen darin verfängt?

»Spannende Lektüre mit lokalem Bezug: Es brechen schwere Zeiten an für Donna Leon, Elisabeth George & Co.« Der Steinfurter

Über die Autorin:

Eva Maaser, geboren 1948 in Reken (Westfalen), studierte Germanistik, Pädagogik, Theologie und Kunstgeschichte in Münster. Sie hat mehrere erfolgreiche Krimis, historische Romane und Kinderbücher veröffentlicht.

Bei dotbooks erschienen bereits Eva Maasers Kriminalromane »Der Clan der Giovese« sowie die Rohleff-Reihe mit »Das Puppenkind«, »Die Eisfrau«, »Das Schwanenmädchen« und »Der Purpurjunge«. Kommissar Rohleffs erster Fall »Das Puppenkind« ist auch im Sammelband »Tatort: Deutschland« erhältlich.

Eva Maaser veröffentlichte bei dotbooks außerdem ihre historischen Romane »Krone der Merowinger – Das Schicksal der Königin«, »Krone der Merowinger – Die Herrschaft der Königin«, »Der Moorkönig«, »Der Paradiesgarten« und »Die Astronomin«.

Zudem erschienen bei dotbooks Eva Maasers Kinderbuchserien um Leon und Kim: »Leon und der falsche Abt«, »Leon und die Geisel«, »Leon und die Teufelsschmiede« und »Leon und der Schatz der Ranen«, »Kim und die Verschwörung am Königshof«, »Kim und die Seefahrt ins Ungewisse« und »Kim und das Rätsel der fünften Tulpe«

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eBook-Neuausgabe März 2021

Dieses Buch erschien bereits 2002 unter dem Titel »Tango Finale« bei Aufbau und 2014 bei dotbooks.

Copyright © der Originalausgabe 2002 by Aufbau Taschenbuch Verlag GmbH, Berlin

Copyright © der Neuausgabe 2014 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Stock EU

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-95520-722-9

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Eva Maaser

Die Eisfrau

Kommissar Rohleffs zweiter FallKriminalroman

dotbooks.

21. Februar, Samstag

Rohleff gelang es nicht, ein leichtes Schnaufen zu unterdrücken, immerhin hatte sich noch kein Seitenstechen eingestellt, dafür liefen sie wohl zu langsam. Vor ihm trabte Patrick Knolle, lässig in den Knien federnd, sein Feuerkopf leuchtete unter der noch dunstigen Sonne auf, ein Farbfleck in einer unwirklichen Traumlandschaft aus Eis.

Der Bagno, der ehemals fürstliche und jetzt öffentliche Park von Burgsteinfurt, war über Nacht in einem Eisregen erstarrt, der jeden Busch, jeden Stein, jeden Baum mit glitzernder Schönheit überzogen hatte, eine monströse, sehr verspätete Weihnachtsdekoration, ein eigenartiger Karnevalsscherz des Wetters. Rohleff wäre bei dem Gefunkel andächtig zumute gewesen, wenn ihn nicht der Hintern geschmerzt hätte, fast mehr noch als der Kopf, und er sich nicht auf dem Weg zu einer Leiche befunden hätte.

Sein Steißbein hatte gelitten, als er auf seinen Gummisohlen ausgeglitten war, kein Wunder, hatte sich doch jeder Weg in eine Eisbahn verwandelt. Die Autos hatten sie unweit des Parkeingangs auf dem Parkplatz stehenlassen, bei diesen Verhältnissen gab es für normal bereifte Fahrzeuge kein Durchkommen über die Forstwege. Die Straßen hatte man wenigstens schon gestreut.

»Komm hoch, Alter«, hatte Knolle nach dem Sturz mild ironisch geäußert und ihn hilfreich unter die Arme gefaßt, er hatte sich wirklich wie ein Greis aufhelfen lassen und leider auch noch mitbekommen, wie Knolle einen Blick mit Harry Groß wechselte, dem Mann für die Spurensicherung. Es war ganz offensichtlich, daß sich die beiden jungen Kollegen amüsierten. Hauptkommissar Karl Rohleff war am Tag zuvor vierundfünfzig geworden. Obwohl er dagegen ankämpfte, wurmte ihn die Anrede »Alter«.

Die Kälte biß höllisch in die Ohren, und es zuckte ihm in den Fingern, sie mit den Händen zu reiben, darüber vergaß er sein wehes Hinterteil.

Ein von vornherein verfluchter Tag. Er fragte sich, an welcher Art Baum die Leiche ...

Der Anruf hatte ihn aus dem Schlaf gerissen, der ohnehin nicht sonderlich erquicklich gewesen war, nichts Besonderes seit Weihnachten, nur diesmal erschwerte der Restalkohol noch zusätzlich das Wachwerden. Keine Nacht mehr ungestört, Rohleff begriff nicht, warum Stillen und Windelnwechseln nicht leiser vor sich gehen konnten, er vermutete, daß Sabine diese Dinge extra so geräuschvoll handhabte, damit er seinen Teil von allem abbekam, die Kinderaufzucht sollte eine Gemeinschaftsleistung sein, wie die Erledigung der Notwendigkeiten, die zur Erzeugung des Kindes geführt hatten.

Das Baby schrie nicht einmal so laut, daß er unbedingt davon aufwachen mußte. Flüchtig glitt ein Bild des Kindes durch seine Gedanken, das flaumige Köpfchen an der milchweißen üppigen Brust der Mutter, die dunklen Haare seines Sohnes.

Am Telefon hatte sich der Fledermauswärter gemeldet, genauer sein Vertreter, der Mann war vor Aufregung kaum zu verstehen gewesen. Auf einer Insel im Bagnosee erhob sich eine pittoreske Ruine, in der Fledermäuse hausten, einige sollten recht raren Arten angehören – Rohleff waren sie allesamt egal. Diese Population jedenfalls wurde von einem eigens damit beauftragten Fachmann gehütet. An diesem Morgen hatte jemand anders das Geschäft übernommen, weil der Wächter mit einer Grippe daniederlag. Beim Fledermäusezählen war dann auch eine Leiche angefallen.

Hin und wieder war bereits der See zu sehen, sie hatten ihn halb zu umrunden, um an den Fundort zu kommen, nun lag er vor ihnen ausgebreitet, eine stille hellgraue Fläche, von makellosem Eis bedeckt, das einen tückischen Weg über das Wasser zur Fledermausinsel schuf, der sich die tote Frau, die aufrecht an einer schlanken weißhäutigen Birke lehnte, zuwandte.

Sabine! Ein scharfer Schmerz klumpte Rohleffs Herz zusammen, einen langen Moment stockte ihm der Atem, dann ließ er mit einem Pfeifen die Luft aus den Lungen. Nicht Sabine. Unzweifelhaft saß sie jetzt im Bett, das Baby in der Armbeuge, den gierigen kleinen Mund an der Brust. Rohleff kniff die Augen zusammen, um ganz klar die Frau vor ihm zu sehen, eine Eisprinzessin.

Wieder eine schöne Leiche, dachte er, aufs äußerste beunruhigt, sogar schlagartig deprimiert, der Fall des »Puppenkinds« spukte ihm im Kopf herum, das ausgestopfte Baby, das einer sehr schönen Puppe geglichen hatte. Vor knapp eineinhalb Jahren hatten sie es gefunden.

Vorübergehend wurde er abgelenkt, ja beinahe aufgeheitert, als er Groß kotzen sah. Groß beugte sich vor und kotzte dennoch auf die Schuhe, edle Schuhe, wahrscheinlich sogar handgenähte, eine säuerliche Gestanksfahne stieg von ihnen auf, ein warmer, ekelhafter, aber doch menschlich wirkender Dampf, der die bizarre Szenerie vor ihnen ins Alltägliche rückte.

Groß spie anscheinend mit seinem Mageninhalt all seine Würde aus, selbst der feine Tuchmantel – Kaschmir vermutlich – bekam ein paar Kleckse ab, der Dicke konnte sich gar nicht so weit vorbeugen, wie es nötig gewesen wäre. Rohleff bedachte den jüngeren Kollegen mit einem geradezu liebevollen, wohlmeinenden Blick, es tat ihm selbst sehr gut, den anderen derart jämmerlich zu sehen, jetzt konnte er ihm den letzten Abend, seinen Geburtstagsabend, mühelos verzeihen, zumindest für den Augenblick. Groß, die Schwuchtel, übergibt sich beim Anblick einer schönen, wenn auch toten Frau, beinahe genüßlich ließ er sich den Gedanken durch den Kopf gehen und beging damit seinen ersten Fehler.

»Du hättest ihm gestern abend nicht den Kognak aufdrängen sollen; diesen Fusel, den du im Schrank hortest, verträgt ein so feiner Mensch wie Harry nicht.« Knolle war nahe an Rohleff herangetreten, um nicht laut werden zu müssen.

Groß verstand ihn trotzdem. Er zog die Schultern zusammen und richtete sich langsam auf. Mit zwei Fingern nestelte er ein Schnupftuch aus der Manteltasche und begann methodisch den Mantel zu säubern, das besudelte Tuch ließ er fallen und trat darauf, dabei war es ein besonders gutes aus Stoff.

Zunächst kam es darauf an, den bereits angerichteten Schaden zu begrenzen. Sie waren, abgesehen von dem Fledermauswächter, nicht die ersten am Tatort, und die anderen – überwiegend Kollegen – hatten etwaige Spuren am Boden zertrampelt – schon die erste Schlamperei, die Rohleff hätte voraussehen müssen, auch wenn die Witterungsverhältnisse eine besondere Situation schufen.

Nur an die Leiche war noch niemand direkt herangetreten, die seltsame Tote hielt alle auf Abstand.

Mit ein paar Schritten schloß Groß in den Halbkreis auf, der sich um die Birke gebildet hatte. Der bis dahin beinahe perfekte Kreis verschob sich aber sofort, und eine Lücke klaffte, die Groß für sich allein besetzte, so konnte er unbehelligt von den Kollegen die Tote eingehend betrachten, soweit der kalte Klumpen, zu dem sich sein Magen zusammengekrampft hatte, das zuließ.

Das Weiß der Augen im Gesicht der Toten leuchtete um das Kohlschwarz, in dem Pupille und Iris wie in tiefen Löchern verschwammen. Die langen Haare fielen über die Schultern, eine dunkle glatte Lohe mit einem irisierenden Funkeln, das die Sonnenreflexe auf der Eisschicht hervorriefen, die die Frau von Kopf bis Fuß einhüllte wie eine überfrorene Brunnenfigur. Die Haut war blaß, soweit sich das unter der Eisglasur feststellen ließ, aber nicht weiß, ein Schimmer von Oliv tönte sie, der auf den nackten Schultern, über die schmale Träger liefen, erstaunlich deutlich hervortrat. Ein schlichtes, enges schwarzes Kleid modellierte den Körper nach. Ein Unterkleid. Seide oder etwas Ähnliches, das sich auf bloßer Haut sehr glatt anfühlen mußte. Keine Unterwäsche, kein Gummi, das ins Fleisch schnitt und die perfekten Konturen verderben konnte. Hier hatte jemand bei der Inszenierung an jedes Detail gedacht.

Die Tote lehnte aufrecht am Baum, aber so, daß der recht dünne Stamm weniger als Stütze, sondern eher als Hintergrund diente. Die Hüften hatten eine Vierteldrehung vollzogen, bei der sich die linke ein wenig vorschob, auf ihr lagen die Finger der linken Hand, ohne sich regelrecht aufzustützen. Der rechte Arm hob sich anmutig über den Kopf und berührte den Stamm der Birke, der Winkel des Arms wiederholte sich in dem des linken Beins, dessen Fuß leicht auf die Spitze gestellt war. Der andere Fuß stand fest auf der Erde. Eleganz teilte sich mit, Vollendung der Haltung, die keinerlei Mühe zu bereiten schien, Feuer, trotz der frostkalten Luft.

Mit dem Gleiten der Blicke hatte sich ein Rhythmus eingestellt, der über drei Takte lief, die langen Noten dehnten sich, die kurzen neigten zu Synkopen, in Groß' Füßen zuckte es unwillkürlich, und der wehe Schmerz in seinem Inneren flammte so auf, daß er hätte schreien können. Knolle stapfte auf ihn zu und brachte ihn zur Besinnung, bevor er das ganze Ausmaß seines Elends verraten hätte.

»Stehenbleiben!« Groß drehte sich halb um seine Achse und breitete die Arme aus. »Alle zwei Schritte zurück, Patrick, du auch.«

Sogar Rohleff gehorchte.

»Daß mir keiner unkontrolliert um den Baum herumlatscht, bevor ich fertig bin.« Groß ignorierte das amüsierte Funkeln in Knolles Blick und wandte sich wieder der Toten zu, er mußte sich ihr Bild einprägen, weil er wußte, daß es nur von kurzer Dauer sein würde, die Sonne begann bereits mit ihrem Zerstörungswerk. Ein Tropfen bildete sich an der Nasenspitze.

»Mach zu, Harry, wir wollen hier nicht festfrieren.« Rohleff hatte sich neben ihn gestellt. Groß schaute ihn ungnädig an und verschränkte die Arme über der Brust, die Bewegung ließ den Kotzgestank wieder aufleben, aber Rohleff zuckte nur leicht zusammen und zog dann ein Diktiergerät aus der Hosentasche.

»Keine Fußspuren um den Stamm der Birke ...«

Groß verhielt sich still und beobachtete, wie Rohleff mit seinem Sermon fortfuhr und dazwischen Anweisungen gab: Abriegelung des Tatorts. Rotweiße Plastikstreifen ringelten sich auf dem Boden, jemand nahm sie auf. Der Fotograf näherte sich von einem der Waldwege der Ermittlungsgruppe, ein Stativ auf der Schulter, der Gang des Mannes war sehr unsicher.

Bevor er herangekommen war, ging Groß in die Hocke, eine kleine Hochleistungskamera im Anschlag. Er bog sich weiter hinunter, das Gesicht geriet in unangenehme Nähe zu seinen stinkenden Schuhen, dann schrammten seine Knie über den vereisten Boden, und er begann mit den Aufnahmen. Von oben spiegelte das Sonnenlicht sämtliche Unebenheiten weg, er hätte Rohleff einen Vortrag über die Gesetze der Optik halten können, dachte aber nicht im entferntesten daran, denn er hatte sich in seinen Überlegungen bereits ganz von der übrigen Ermittlung abgekoppelt. Dies war sein Fall. Die Vergrößerungen der Fotos würden noch stärker herausbringen, was er jetzt selbst sehen konnte. Vertiefungen, vermutlich Abdrücke. Er rutschte in zwei Metern Abstand um die Tote herum, kam beim zweitenmal ganz dicht heran und richtete sich dann langsam auf. Betrachtung der Toten von hinten, mit bloßem Auge und durch die Kameralinse. Knolle wirkte nicht mehr amüsiert.

Die übrigen Aufnahmen von der Toten überließ er dem Kollegen. Einige Beamte aus seinem Team mußten auf dem Boden herumkriechen, sie sollten jedes eiserstarrte Grasbüschel in einem gewissen Radius um die Birke nach Gegenständen durchsuchen, dem ersten bluteten schon nach ein paar Minuten die Finger. Groß schnappte Fragen auf, während er die Männer dirigierte. Was hielt die Leiche aufrecht und in dieser ungewöhnlichen Stellung? Einer bezweifelte sogar, daß es sich um eine Tote handelte, ein begreiflicher Gedanke. Groß betrachtete sie noch einmal. Bald würde sie nur noch eine Tote sein, die ihre Geheimnisse bewahrte, die sich ganz in sich zurückzog, unerreichbar für immer, für jeden.

Rohleff hatte offensichtlich beschlossen, das Auftauen durch die Sonne nicht abzuwarten, zwei Waldarbeiter mit einer Kettensäge schoben sich durch den ersten Ring von Schaulustigen heran.

Ganz verloren am Ufer des Sees, hart an der Wasserkante, als wäre er dorthin zurückgedrängt worden, stand ein Mann und schien auf etwas Bestimmtes zu warten. Groß rekapitulierte, was Rohleff über den Mann gesagt hatte, und wußte gleich, daß sein Chef nur die Hälfte verstanden hatte. Er näherte sich dem Mann, als die Säge losdröhnte, deshalb mußte er ein bißchen schreien.

»Kommen Sie mit, wir sollten uns unterhalten.«

Dankbar nickte der Mann, es war wohl eine Erlösung für ihn. Daß sich endlich jemand um ihn kümmerte, wog mehr als der Gestank, den Groß noch immer verbreitete. Sie gingen ein Stück am Ufer entlang, aber nur so weit, daß sie das Geschehen noch im Auge behalten konnten.

»Sie haben die Leiche gefunden und angerufen.« Es war eine Feststellung, keine Frage.

»Joachim Torkelt, ja ...« Torkelt holte tief Luft, und Groß nutzte die Pause.

»Was war mit den Fledermäusen?«

Hörbar knackte der Kiefer des anderen, als er etwas abrupt den Mund schloß, die Frage überraschte ihn offenbar. »Die Fledermäuse?« Die Stimme klang zaghaft.

Groß nickte streng.

»Also, heute morgen, als ich die Bescherung mit dem Eisregen sah, dachte ich mir ...« Torkelt äugte unruhig zu der Gruppe um Rohleff und zu den Forstmännern, von denen scharfe Kommandos herüberklangen. »... da muß ich doch mal nachsehen gehen, wo ich im Moment die Verantwortung habe, ich bin ja gestern erst angerufen worden, dabei ist der Kollege schon seit Montag krank.«

Aus den Augenwinkeln beobachtete Groß, wie der Stamm der Birke zwei Handbreit über dem Kopf der Toten sacht abknickte. »Weiter!« drängte er, als die Krone herabrauschte. »Also, ich war im Eiskeller. Darf ich Ihnen das denn überhaupt erzählen, ich weiß doch gar nicht, wer Sie sind.«

Mit einer ungeduldigen Geste zog Groß seinen Polizeiausweis heraus und hielt ihn dem Mann dicht vor die Augen.

»Harry Groß, Mordkommission.«

Torkelt trat einen Schritt zurück. »Ja, dann. Mitten im Wald gibt es den alten Eiskeller vom Fürsten, der liegt einen Kilometer von hier aufs Schloß zu unter einem Hügel, wenn man weiß, wo, ist er gut zu finden. Dadrin überwintern auch eine Menge Fledermäuse, nicht nur in der Ruine auf der Insel. War gar nicht so schwer, die Tür aufzukriegen, hatte ich mir nach letzter Nacht irgendwie schlimmer vorgestellt. Aber der Keller friert ja nie ganz zu, und deshalb hat ihn der Naturschutzbund als Winterquartier für die Viecher eingerichtet, wo der Keller für das Eis ja nicht mehr gebraucht wird, seit die im Schloß Kühlschränke haben wie wir auch.«

»Mögen Sie Fledermäuse?«

»Gott, ja, die schlafen jetzt fest und können einem nicht in die Haare flattern oder so, und ich bin ja Naturfreund. Sind ganz seltene dabei, die hier heimisch geworden sind, wir tun für sie auch so allerhand.« Ein Anflug von Eifer stahl sich in das Gesicht des Mannes.

Groß schätzte ihn auf Mitte Sechzig, sicher ein Rentner, der sich über eine Verantwortung freute, die seinem Dasein einen Schimmer von Bedeutung verlieh. Er schielte an ihm vorbei, denn zwischen Rohleff und Knolle hatte sich eine Diskussion entsponnen.

»War alles in Ordnung mit den Mäusen?«

»Den Fledermäusen, ja. Der Spalt in der Eisentür, durch den sie raus und rein können, war nicht so zugefroren, wie ich dachte, ich hab aber das Eis ganz weggekratzt, Luftzirkulation ist wichtig. Ich wollte dann gleich wieder nach Hause, bin aber doch erst noch zum See, um wenigstens einen Blick zur Insel rüber zu werfen. Über das Eis kann man ja nicht, das trägt nicht, zum Glück, muß ich sagen. Wenn die Schlittschuhläufer auf dem See rumflitzen, wird's gefährlich für die Tierchen auf der Insel. Es gibt immer Jungs, die sie stören. Stochern rum und so.«

Gern hätte Groß den Mann wegen seiner Weitschweifigkeit angeraunzt, er beherrschte sich aber. »Also nur ein prüfender Blick vom Ufer, und da ...«

Torkelt neigte bekümmert den Kopf, in seinen Augen spiegelte sich Entsetzen, auch Anteilnahme an einem plötzlichen Unheil, einem zu frühen Tod.

»Kennen Sie die Tote?«

»Bei uns laufen jetzt so viele Ausländer rum. Alle diese jungen Mädchen mit den langen Haaren, pottschwarz.«

Auf einmal lächelte Groß erfreut. »Kommissar Rohleff, der, mit dem Sie schon am Telefon gesprochen haben, wird Sie noch vernehmen, sagen Sie ihm das, es wird ihn interessieren.«

»Was soll ich ihm sagen?«

»Daß Sie das Mädchen für eine Ortsansässige halten, eine Türkin oder Kurdin vielleicht?«

Torkelt sah ihn zweifelnd an. »Meinen Sie? Die haben es schwer genug, solche Mädchen, sich hier zurechtzufinden. In dieser Freiheit, bei dem ganzen Sex im Fernsehen. Die ist doch tot, nicht? Ich kann's gar nicht glauben, so wie die dasteht. Wir hatten mal eine Putzfrau, auch so ein junges Ding, sah ihr direkt ähnlich, aber mit der Verständigung klappte es nicht, war wohl noch nicht lange genug hier, und untereinander sprechen die ja sowieso nur ihre Sprache.«

Groß erwog die Möglichkeit, daß der Mann den Trottel nur spielte, wollte aber den eingeschlagenen Kurs nicht aufgeben.

»Ist schon auffallend, so eine Ähnlichkeit, nicht?«

Inzwischen hatte Knolle die Säge ergriffen und setzte sie kurz über dem Boden an, es mußte schwierig sein, die Füße der Toten nicht in Mitleidenschaft zu ziehen. Groß zuckte zusammen, als er die Maschine im Holz kreischen hörte. Sehr langsam neigte sich der Stamm und wurde vorsichtig mit seiner seltsamen Last zu Boden gelassen.

Groß hatte noch Fragen. »Sind Sie um den Baum herumgelaufen?«

Torkelt schüttelte vehement den Kopf. »Nee, erst hab ich gerufen, kam mir doch komisch vor, so ein Mädchen mit nackten Füßen und so wenig an in der Kälte, war ja nicht normal. Und dann hab ich gleich die Polizei verständigt, hatte mein Handy zufällig mit.« Er hielt das Gerät hoch.

Knolle hatte die Säge beiseite gelegt und kam mit langen Schritten auf Groß zu.

»Seit wann machst du Zeugenbefragung?« schnauzte er ihn an, als er heran war.

Betont auffällig schaute sich Groß suchend um. »Seit du dich auf deine handwerklichen Begabungen besonnen hast. Wo bleibt Lilli?« Während er sich langsam entfernte, nahm er noch wahr, wie Torkelt eine Hand in Knolles Ärmel krallte.

»Ich weiß nicht, wer die Tote ist, sie sieht aber meiner ehemaligen Putzfrau verflixt ähnlich, die war Kurdin, frisch aus der Türkei, so ein Mädel halt, das kaum deutsch sprach.«

Nach einigen Metern warf Groß einen Blick zurück auf die Schuhe von Torkelt, reichlich massive Dinger mit kräftigen Sohlen, deren Profil Muster in den langsam weich werdenden Untergrund getreten hatten, er folgte den Spuren, bis sie sich nicht weit von dem Birkenstumpf am Rand des Sees im flach getretenen Gras verloren, bald würden sie nicht mehr zu sehen sein.

Am Himmel waren in der letzten halben Stunde Wolken aufgezogen, ein Graupelschauer setzte ein und überpuderte das Eis auf dem See und den Wegen und würde sich mit den grauen Schneeresten mischen, die fleckenhaft den Boden bedeckten. Groß ging in Richtung Schloß durch den Wald davon.

Im Eingangsbereich der Kreispolizeibehörde drängten sich Leute in fremden Uniformen, Niederländer, flüchtig dachte Rohleff an das Karnevalsfest, das abends stattfinden sollte. Die Kollegen aus Enschede waren dazu mit ehelichem oder sonstigem Anhang eingeladen, ein Akt der Völkerverständigung, der Europäisierung, wie man das jetzt nannte.

In Rohleffs Dienstzimmer machte sich Mattigkeit breit, es ging schon auf Mittag zu. Lediglich Harry Groß strahlte eine gewisse Dynamik aus, er hatte sich inzwischen umgezogen und prangte in einer farbigen Weste und einem distinguierten dunklen Anzug, trotzdem wehte Rohleff etwas Säuerliches an, das an den Gestank vom Morgen gemahnte, nur ein Hauch unter Harrys herbem Duftwasser. Vielleicht spielte ihm auch nur die Einbildung einen Streich. Das war ja das Dumme an gewissen Eindrücken, manche fuhren sich fest, und man wurde sie auf lange Sicht nicht mehr los.

Trotz der frischeren Verpackung wirkte Groß beinahe etwas aggressiv, und das verstand Rohleff nun gar nicht, schlecht werden konnte jedem mal, wenn er zuviel gesoffen hatte.

Lilli Gärtner hatte sich dem Team angeschlossen, am Morgen war sie nicht zu erreichen gewesen, hausfrauliche Pflichten mochten sie schon früh aus dem Haus getrieben haben, denn neben dem Beruf oblag ihr die Versorgung zweier Töchter in schulpflichtigem Alter, um die sich an den Nachmittagen allerdings der Ehemann kümmerte, er war Realschullehrer.

Lilli reichte Kaffee in Plastikbechern herum, ein Indiz dafür, daß sie ihre Emanzipation abgeschlossen hatte und das Kaffeeverteilen als geschlechtsneutrale Menschenfreundlichkeit begriff. Die erste Dienstbesprechung im Fall der Eisprinzessin konnte beginnen.

»Wer ist die Tote?« sagte Rohleff und blickte in die träge Runde, zu der außer seinen drei engsten Mitarbeitern auch zwei Männer von der Wache gehörten, die beim Einsatz am Tatort dabeigewesen waren.

»Die Fotos kriegen wir gleich, die sind noch nicht fertig«, meldete der eine von ihnen.

»Hab ich das gefragt?« knurrte Rohleff.

»Hast du nicht, Chef«, schnarrte Knolle, »sollen wir heute aufzeigen, wenn wir was sagen wollen, oder dürfen wir wie sonst frei Schnauze reden?«

Rohleff wurde unbehaglich zumute, als sich alle Blicke auf ihn richteten, nicht mal unfreundlich, nur abwägend, lediglich Groß grinste hämisch, Rohleff fuhr sich mit einer Hand verlegen durch sein drahtiges graues Stoppelhaar.

»Du hast mit Torkelt gesprochen, Patrick.« Er bemühte sich, nur noch amtlich-sachlich zu klingen.

»Torkelt meint, es könnte seine ehemalige Haushaltshilfe sein, ein Mädel aus Kurdistan.«

»Verdammt!« Rohleff hieb mit der Faust auf den Tisch. »Das sagst du hier so locker, als hielten wir einen Philosophenkongreß ab. Weißt du eigentlich, was das bedeutet? Wir müssen ...«

Groß lehnte sich zurück und schlug entspannt die Beine übereinander, als Knolle theatralisch die Hand hob.

»Bevor du vom Boden abhebst, Chef, es ist nicht die Kleine aus Kurdistan, das haben wir bereits überprüft. Das Mädel ist putzmunter und lernt jetzt Deutsch. Hörte sich schon ganz manierlich an.«

»Ich weiß nicht, ob sich Kurden und Türken äußerlich sehr voneinander unterscheiden, aber etwas scheint doch klar zu sein«, sagte Lilli Gärtner bedachtsam.

Rohleff seufzte. »Daß wir ein scheiß Ausländerproblem am Arsch haben.«

»Und das heute, wo die Holländer kommen«, warf der andere von der Wache ein.

»Wo ist da das Problem?« Groß wippte mit dem freihängenden Fuß. »Die Herren Kollegen aus Enschede sind schon da, zumindest ein paar von ihnen, und auch in unserem blitzsauberen Nachbarländle werden nicht nur calvinistische Ureinwohner abgemurkst.«

»Die hatte doch gar kein Kopftuch um«, begann wieder der eine Wachmann, und Lilli fiel ihm scharf ins Wort.

»Ach, sind wir jetzt bei der Kopftuchfrage?«

»Mal langsam, Lilli«, schaltete sich Knolle ein, »so ein Kopftuch, das die Stirn bedeckt und keine Locke sehen läßt, vorzugsweise krankenschwesternweiß und häßlich, wäre immerhin ein eindeutiges Indiz, was die Klärung der Herkunft unserer Toten betrifft.«

Rohleff hob bedächtig die Hand und wartete, bis Stille herrschte. »Möchte noch jemand etwas Ausländerfeindliches, Antisemitisches oder sonstwie Volksverhetzendes loswerden, damit er den inneren Schweinehund zufriedenstellen und heute abend vor den Gästen den Mund halten kann, die könnten so was falsch auffassen.«

Einen Augenblick herrschte Ruhe.

»Wie ich das sehe, hat Torkelt doch nur gemeint, daß die Tote eine aus Burgsteinfurt sein könnte«, Groß sprach betont ruhig, beinahe unbeteiligt, »bis auf Lilli hat jeder von uns einen Blick auf das Mädchen geworfen, und der Gedanke, daß sie eine Türkin oder Kurdin ist, scheint ja nicht ganz abwegig, oder ist jemand anderer Ansicht? Hätten wir das jetzt geklärt?«

Knolle beugte sich vor und lächelte freundlich. »Geht's wieder, Harry? Kein Bauchgrimmen mehr, und hast du dich schön ein Stündchen auf dem Sofa erholt, während wir uns draußen noch ein bißchen die Eier abgefroren haben? Apropos, was hat Torkelt dir erzählt? Mir hat er einen ausführlichen Vortrag über die langohrige Unterspezies einer Fledermausart gehalten, die sich exklusiv bei uns niedergelassen hat, aber bei Mädels kann der alte Hecht eine Kleine nicht von der anderen unterscheiden, ist schon eigenartig.«

»Steht Torkelt unter Verdacht?« fragte Lilli rasch.

Rohleff schlug wieder auf den Tisch, diesmal jedoch sachter. »Wir kommen so nicht weiter. Halten wir erst einmal fest: die Tote ist eventuell aus Burgsteinfurt, wahrscheinlich Türkin oder Kurdin. Die Identitätsfrage übernimmt Lilli mit Patrick. Ich will nicht, daß da was schiefgeht, wenn wir in ausländischen Familien recherchieren müssen, deshalb macht Lilli die Befragungen.« Rohleff winkte ab, als Knolle auffahren wollte. »Jetzt zu Punkt zwei, und da kommen wir wieder auf Torkelt. Harry, du bist jetzt gefragt. Bei Gelegenheit verrätst du mir, warum du dich ohne ein Wort aus einer Untersuchung davonmachst, nicht einmal deine Leute wußten, wo du abgeblieben warst. Daß mir das nicht noch mal vorkommt. Also, Beobachtungen zu Todeszeitpunkt und Todesursache, soweit sie in deinen Bereich fallen, irgendwelches Zeug am Fundort, Spuren? Ist der Fundort der Tatort?«

»Darf ich mir noch ein bißchen was aufsparen, zum Beispiel, wer's war, oder willst du das auch sofort wissen?« Groß schaute Rohleff herausfordernd an.

»Fang an«, knurrte Rohleff.

»Ich hab den Arzt gerade noch kommen sehen, was hat der festgestellt?«

Knolle antwortete nach einem Blick auf seine Unterlagen. »Todeszeitpunkt nicht feststellbar, Todesursache nicht feststellbar, alles, was er herausgefunden hat, ist, daß die Tote brettsteif gefroren war.«

»Ist ja 'ne Überraschung.«

Rohleffs Handy piepte, mit einem knappen »Ja!« meldete er sich, lauschte, gab ein, zwei Bemerkungen von sich und schaltete das Gerät ab.

»Das war die Gerichtsmedizin.« Seine Stimme klang düster. »Dr. Lamash hat den Fall übernommen.«

Knolle stöhnte unbeherrscht auf, und Rohleff starrte einen Augenblick irritiert vor sich hin. Er hatte den Leuten von der Gerichtsmedizin, die die Tote samt anhängendem Birkenstamm abgeholt hatten, sehr dringend aufgetragen, den Fall in die Hände von Dr. Sybille Overesch zu legen, der schönen und kompetenten Pathologin, die seine Phantasien nicht nur in kriminalistischer Hinsicht zu beflügeln vermochte. Ungefähr der letzte, den er zur Aufklärung haben wollte, war Dr. B. Lamash, von dem niemand wußte, wofür das B stand, und der sich eher ungern etwas die Dinge Voranbringendes entreißen ließ, bevor er sich nicht hundertfünfzigprozentig seiner Sache sicher war, und dafür brauchte er Zeit. Gelegentlich hatte Rohleff der Verdacht beschlichen, der Mann verzögere extra die Untersuchungen, warum, verstand er nicht.

Während er noch telefonierte, hatte jemand nach kurzem Klopfen die Tür aufgerissen und dem am nächsten Sitzenden einen Packen Fotos in die Hand gedrückt, die nun zu kreisen begannen.

Wieder fiel Rohleff die vage Ähnlichkeit der Toten mit Sabine auf, seiner Frau. Die Tote war allerdings kaum älter als ein Mädchen, Sabine hatte dagegen die Mitte der Dreißig überschritten. Der Eindruck einer Ähnlichkeit begann zu verblassen, je länger er sich die Fotos anschaute, auch die übrigen Zuordnungen traten hinter dem Bild einer allgemeinen Schönheit zurück, einer, die über Zeiten, Moden, Rassen hinauswies. Das verdammte Eis war schuld, das einen verfremdenden Zauber schuf, der die Tote, so unglaublich das laut ausgesprochen klingen mochte, in den Rang eines Kunstwerks erhob, wie die Werke eines Michelangelo.

Tatsächlich lag ein marmorhafter Schimmer auf ihrem Gesicht. Es kostete ihn Mühe, den Blick zu lösen, aufschauend begegnete er einem spöttischen, wissenden Grinsen von Groß. Dabei erinnerte er sich an etwas.

»Sind die Fotos, die du gemacht hast, dabei?« Rohleff ließ den Packen, der sich vor ihm auf dem Tisch angesammelt hatte, noch einmal schnell durch die Hände gleiten.

»Kommen noch.« Harry Groß hielt es nicht für nötig, der Erklärung etwas hinzuzufügen. Er hatte beobachtet, wie die meisten der Anwesenden, genau wie Rohleff, die Bilder verschlungen hatten, als stammten sie aus Herrenmagazinen, er selbst schenkte es sich, sie zu betrachten, es genügte ihm, die Lider zu senken, und schon sah er die Frau vor sich, er konnte sie vor seinem inneren Auge sogar beliebig hin und her drehen, immer blieb der Eindruck vollkommen klar, wie eingraviert, wie mit Nadeln nachhaltig und schmerzvoll in seine Seele gestochen.

Er dachte gar nicht daran, seine eigenen Fotos der Ermittlerrunde vorzulegen, zumindest nicht alle. Wegen dieser Fotos hatte er sich nur rasch den besudelten Mantel heruntergerissen, Hemd und Hose in die Badewanne gefeuert, samt den Schuhen, und war, statt zu duschen, in Unterwäsche in die Kammer gestürmt, die Rohleff und Knolle bei ihrem überraschenden Besuch vor vierzehn Tagen nicht entdeckt hatten, obwohl sie sonst jeden Winkel seiner Wohnung inspiziert hatten, auch das Badezimmer, selbst das Schlafzimmer, das vor allem.

In der Kammer hatte er ein kleines Fotolabor eingerichtet. Leider hatte die Zeit nicht gereicht, gleich die ersten Abzüge herzustellen.

Als er in ein frisches Hemd und eine andere Hose schlüpfte, dachte er an den ehemaligen Eiskeller, das jetzige Fledermausdomizil, und an die Spuren, auf die er dort gestoßen war. Auch diese würde er erst einmal aus der offiziellen Ermittlung heraushalten. So ganz klar erschien ihm das alles noch nicht, es gab genügend Unwägbarkeiten und Zweifel.

Ein Foto nahm er jetzt doch auf, und die Zweifel gewannen sogar die Oberhand. Möglich, daß er sich irrte, und wenn er ausspräche, was er mutmaßte, konnte er sich am Ende noch mehr der Lächerlichkeit und dem Spott preisgeben.

Auf dem Foto sah die Tote eindeutig fremd aus, das mochte an der Unbewegtheit, der Starrheit, der Eisglasur liegen. Groß holte tief Luft, und ein säuerlicher Geruch stieg ihm in die Nase. Er hätte doch duschen sollen.

»Wann krieg ich deine, hast du wenigstens den Film im Labor abgegeben?« Leider ließ Rohleff nicht locker.

»Du hast vorhin etwas über den alten Torkelt gesagt, wie steht's mit dem? Ist schon wichtig, den mal näher zu betrachten, das ganze Gerede über Fledermäuse hörte sich zwar nach mittlerem Dachschaden an, aber so ohne weiteres sollten wir ihm den Blödmann nicht abkaufen. Darüber hätte ich gern was gehört, bevor ich ins Detail gehe.« Groß hoffte, daß Rohleff auf die Ablenkung einging.

Folgsam legte Rohleff die Fotos aus der Hand. »Macht Patrick.« Er wandte sich Knolle zu. »Alibi und so weiter, knöpf dir den Kerl wieder vor, befrag seine Ehefrau, laß dir alles noch mal erzählen, den ganzen Hergang, wie er die Tote gefunden hat.«

Groß runzelte die Stirn, das wieder ging ihm viel zu weit, aber zu seinem Glück hatte Knolle ebenfalls andere Vorstellungen.

»Ich denke, ich soll mich um die Identitätsfrage kümmern, da wär's wohl angebrachter, ich geh die Vermißtenmeldungen durch, und dann muß ich gleich zur Generalprobe, wir wollen uns ja nicht blamieren vor den holländischen Kumpels.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Hat schon angefangen. Die Fräcke müssen wir auch noch holen.«

Einer der Wachmänner war die letzte halbe Stunde bereits unruhig auf seinem Stuhl herumgerutscht, hob jetzt eine Hand, allerdings nur ein Stückchen, und räusperte sich zaghaft.

»Noch anderweitige Einwendungen?« blaffte Rohleff.

»Ich müßte auch weg wegen der Probe. Die sind nur zu viert, wenn wir fehlen.« Der Wachmann schaute unsicher um sich.

»Und ich«, Lilli ließ sich keinerlei Verlegenheit anmerken, »ich hab meinem Mann versprochen, die Mädchen zum Gemeindehaus zu bringen, sie haben dort eine Karnevalsfeier mit ihrer Jugendgruppe, und Detlev holt sie nachher ab. Außerdem«, fuhr sie hastig fort, als Rohleff den Mund aufmachte, sein Gesicht lief verdächtig rot an, »hab ich mir gedacht, wir sollten uns an den Ausländerbeirat wenden, das könnte ich auf dem Rückweg erledigen. Einer von ihnen wohnt bei uns nebenan, dem zeig ich ein Foto von der Toten.«

»Gute Idee mit dem Ausländerbeirat.« Groß nickte Lilli anerkennend zu. »Da kriegen die mal was zu tun, wenn es eine von denen betrifft.«

»Könnte die richtig aufmöbeln«, fiel Knolle ein, »die leiden ohnehin an vermindertem kollektivem Selbstbewußtsein, weil die in Fragen der Politik nichts zu sagen haben, die fragt erst gar keiner. Sind mehr so ein dekoratives Element insgesamt.«

»Feigenblatt für die örtlichen Politiker?« Rohleff sprach beherrscht, hielt aber die Augen zu Schlitzen zusammengekniffen.

»Du willst doch bestimmt keine Fahndungsfotos mit den üblichen Nachfragen in der Zeitung sehen, bevor wir nicht die Sache auf anderem Wege abgeklopft haben. Du selbst hast von einem scheiß Ausländerproblem gesprochen.« Groß legte eine Pause ein, Rohleff starrte an die Decke. »Tatzeit, Tatort, da waren wir vorhin stehengeblieben.« Groß blätterte geschäftig in einer Kladde, die er sich aufs Knie gelegt hatte. »Als Tatzeit können wir zunächst annehmen, daß ein Zeitpunkt vor dem Eisregen in Betracht kommt, d. h. letzte Nacht vor ein Uhr, da hat laut Wetterbericht der Eisregen eingesetzt. Statt Tatort möchte ich, solange wir die Todesursache nicht kennen, Leichenfundort sagen. Kein Einschußloch, kein Blut, auch auf dem Boden nicht. Was die Tote am Baum festhält, ist unter der Eisschicht nicht ersichtlich, muß was verdammt Raffiniertes sein.«

»Keine Nylonfäden?« fragte Knolle.

»Auch keine Tesastreifen, falls du das noch fragen wolltest.«