Die Eiszeit-Tagebücher - Marie Karolsson - E-Book

Die Eiszeit-Tagebücher E-Book

Marie Karolsson

0,0

Beschreibung

Die Auswirkungen der Eiszeit haben die Erde fest im Griff und werden immer dramatischer. Flüchtlingsströme ziehen in die Äquatorialgenbiete, bringen Compagnies an den Rand des Zusammenbruchs. Eine Künstliche Intelligenz namens Achet von Altelan hat es in der Hand, ob Menschen in den kalten Zonen noch überleben können. Die Atlantiden haben die Erde im Stich gelassen, und der Elitemensch Seymour auch, so scheint es. Mit den Stimmen verschiedener Protagonisten erzählt, schließt sich der Kreis der Ystorica-Saga. Denn die absolute Wahrheit gibt es nicht, und den einzig richtigen Weg über die weißen Pfade in die Zukunft ebenso wenig.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 1204

Veröffentlichungsjahr: 2021

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Die Reisende

Das Ende einer Reise

Ein Manager möchte auf Reisen gehen

Reise sicher, wohin du auch gehst!

Der Weg ist das Ziel

Verschlungene Pfade

Den Weg noch einmal gehen

Die Reise ins Herz der Finsternis

Alle Wege führten nach Rom

Holguin von Heliopolis an Chariklia von Attika

Familienleben

Playlist

Die Eiszeit-Tagebücher

I shut my eyes and all the world drops dead;

I lift my lids and all is born again.

(I think I made you up inside my head.)

The stars go waltzing out in blue and red,

And arbitrary blackness gallops in:

I shut my eyes and all the world drops dead.

I dreamed that you bewitched me into bed

And sung me moon-struck, kissed me quite insane.

(I think I made you up inside my head.)

(…)

I fancied you’d return the way you said,

But I grow old and I forget your name.

(I think I made you up inside my head.)

Sylvia Plath: Mad Girl´s Love Song

Maghreb erlebt derzeit einen noch nie dagewesenen Ansturm an Besuchern aus aller Welt. Heute sind in Ghardaia, der Verwaltungszentrale der Compagnie Maghreb, die Manager der Compagnies Calvi-Corse, Karthago und Heliopolis eingetroffen. Sie alle möchten bei dem großen Fest dabei sein, mit dem einer der am längsten im Amt befindlichen Manager in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet wird: Kearsarge alias Xavier von den Kha´tan. Bis zur Mitte des Monats haben sich noch weitere Manager, Freunde und Weggefährten, Netzwerker, Historiker und Mitglieder der Wanderer angekündigt. Ghardaia hat ein gewaltiges logistisches Problem zu meistern, denn es platzt jetzt schon fast aus allen Nähten. Ob auch Botschafter Van Leyden oder atlantidische Gäste an den Abschiedsfeiern teilnehmen werden, ist noch nicht bekannt, aber alle sind gespannt, ob Van Leyden nach 15 Jahren endlich einmal seinen Elfenbeinturm in der Compagnie Marquesas verlassen wird.

Netzwerker Nefrit von Heliopolis aus Ghardaia

Die Reisende

(She Has No Time)

Ich erinnere mich noch genau daran. Der Tag, der mein Leben von Grund auf veränderte, begann ganz harmlos.

„Tomas!“, rief Petar, mein Stiefvater und momentaner Haushaltsvorstand. Er klang nicht wütend, eher aufgeregt. Er kam aus seinem Raum in unser gemeinsames Wohnzimmer und nahm seine Specs ab.

„Ich habe gerade mit deiner Mutter gesprochen. Bellatrix wird nicht zu den Feierlichkeiten kommen. Aber dafür jemand anderer: Stell dir vor, Madame Anesh Diama´na wird eine Zeitlang bei uns wohnen!“

Mir verschlug es kurz die Sprache. Dann dachte ich, er wollte sich einen Spaß mit mir erlauben. Madame Anesh Diama´na, die Sonne des Roten Planeten. Die wohl berühmteste Frau der letzten 20 Jahre! Bevor sie mit den Wanderern reiste, hieß sie Tatanka Saint-Marie und war Mitglied der bisher ersten und einzigen irdischen Raumschiffcrew gewesen, die je den Hyperraum bereiste hatte. „Buffy“, wurde sie von ihrem Captain genannt, und „Tancey“ vom Botschafter. Wie sie der Elitemensch anredete, weiß niemand außer den beiden.

„Warum sagst du nichts?“, fragte Petar verwundert. Dabei sollte er mich kennen. Ich denke meistens lange nach, bevor ich etwas sage, und wenn ich soweit bin, dass ich eine passende Antwort hätte, ist das Gespräch meist schon an einem ganz anderen Punkt angelangt, und dann halte ich meistens den Mund.

„Wieso?“, fragte ich, um Zeit zu gewinnen. Fast wäre mir ein „Chet!“ über die Lippen gekommen. Chet! Achet! Der schlimmste Fluch unter den Jungen. Achet, das ist der Name der atlantidischen Intelligenz, die ständig auf der Erde lebt und sich in alles einmischt.

„Bellatrix sagt, sie hätte Madame Saint-Marie in Calvi-Corse kennengelernt. Beim Diskutierten, welches Haus des Innehaltens noch zu retten sein könnte und welches dem Eis überlassen werden muss. Und beim Singen und Saufen auch, meine ich.“ Er lachte, denn er kannte meine Genmutter und ihren Hang zu ausgelassenen Festivitäten. Ich habe nichts davon geerbt. Ich bleibe lieber für mich allein. Die Ankündigung, dass Madame bei uns wohnen sollte, ängstigte mich zutiefst.

„Wieso wohnt sie nicht in der Manager-Burg? Sie ist doch … eine Berühmtheit. Eine Legende.“

Tatanka Buffy Tancey Saint-Marie Anesh Diama´na. Allein dieser Name! Ich heiße nur Tomas Lellier, To´ma manchmal, wenn es mein jüngerer Halbbruder Joel, der im selben Haushalt lebte, eilig hatte. Ich war gerade 22 geworden und hatte keine Ahnung, was ich jetzt mit meinem Leben anfangen könnte. Ob ich mich für die Ausbildung zum Sozialagenten bewerben sollte (und wahrscheinlich dabei scheitern würde) oder ob ich mich der Musik widmen und mich so bald wie möglich den Wanderern anschließen sollte, so wie meine Mutter es getan hatte. Aber auch die Wanderer nehmen nicht gern jemanden ohne abgeschlossene Ausbildung auf. Sie sind kein Sammelbecken für junge Leute, die nicht wissen, was sie werden wollen und deshalb ihr Zuhause verlassen.

„Sie wird schon ihre Gründe haben …“, riss mich Petar aus meinen düsteren Gedanken.

„Wann wird Madame kommen?“, fragte ich in der Hoffnung, dass es nicht schon morgen sein würde.

„Sie ist heute mit einem alten Solarsegler von Calvi aus gestartet. Der Eigner heißt Braat und muss ein guter Freund von ihr sein. Sie hätte es wohl schneller haben können, aber so wird sie in zwei bis drei Tagen hier sein.“

Ich konnte seine Begeisterung sehen, aber ich war alles andere als erfreut. „In zwei Tagen wollte ich mit Lale, Beryll und ein paar anderen Jungen eine Wanderung in den Anti-Atlas machen …“, und einige Mädchen würden sicher auch dabei sein, aber das behielt ich für mich.

„Daraus wird wohl nichts werden“, antwortete er, im Tonfall ganz Haushaltsvorstand. „Ich habe es dir noch nicht gesagt, aber die Feiern zur Verabschiedung von Manager Kearsarge werden wohl weit mehr Besucher anziehen, als wir dachten. Um sie alle unterzubringen, zu verköstigen und bei Laune zu halten, muss ich mich auf mehrere Wochen Doppelschicht einstellen. Ihr jungen Leute ab 16 seid von allen schulischen Pflichten freigestellt und werdet quasi eingezogen. Joel wird als Rezeptionist arbeiten, als Fremdenführer und in den Palaveers aushelfen, die mir unterstehen. Deine Arbeitseinteilung wurde gerade geändert. Du bist zur alleinigen Verfügung von Madame Anesh Diama´na abgestellt. Mit dem Trip in die Berge werdet ihr warten müssen. Ein paar Wochen wenigstens.“

Die Neuigkeiten wurden immer schlechter. Petar sah mir den Unmut ins Gesicht geschrieben.

„Schau“, meinte er versöhnlich, „die freiwillige Betreuung einer berühmten Persönlichkeit wie Madame wird sich sehr gut machen in deinem Portfolio, wenn du dich um die Aufnahme in die Ausbildung als Sozialagent bewirbst.“

„Ich weiß noch nicht einmal, ob ich mich überhaupt bewerben möchte“, knurrte ich.

Jetzt reichte es ihm. „Keine Diskussionen mehr. Wir haben unsere Anweisungen. Madame wird im Zimmer deiner Mutter wohnen. So haben sie es ausgemacht, denke ich. Wir haben also noch ein, zwei Tage, um es zu putzen und hübsch herzurichten. Joel wird dir dabei helfen.“ Das war sein letztes Wort in der Sache, das war klar.

Dass wir überhaupt ein leerstehendes Zimmer hatten, war ein Zufall. Unsere Wohnung am Hang über den Ufern des Mesab war deshalb so geräumig, weil wir eigentlich eine größere Familie waren: Meine Genmutter Jordis, jetzt als Bellatrix bei den Wanderern, war erst seit einem halben Jahr fort, und Ana, die Genmutter von Joel und ihr Gefährte Petar, mein Stiefvater und HaVau, waren laut Kontrakt noch immer zusammen, auch wenn sie vor einigen Monaten ausgezogen war, weil sie in Constantine arbeitete. Seit man Häuser wachsen lassen konnte, war das Management auch nicht mehr so erpicht darauf, einem gleich irgendwelche Inwohner zuzuteilen, die zwar nie lange blieben, aber aussuchen konnte man sie sich eigentlich nicht, nur eine Versetzung beantragen wegen Unvereinbarkeit mit der Familienstruktur. Wie waren seit dem Weggang von Jordis und Ana unbehelligt geblieben. So hatten wir eine große Wohnung mit traumhaftem Ausblick für uns drei allein.

Noch am selben Tag begann ich, alles Gerümpel aus Jordis Zimmer zu entfernen, das sich im Laufe einiger Monate dort angesammelt hatte. Dabei stolperte ich als erstes über meine Posaune. Mir war gar nicht bewusst gewesen, dass ich sie dort „zwischengelagert“ hatte. Nachdem mir Joel dabei geholfen hatte, die Besitztümer der anderen Familienmitglieder aus Jordis Zimmer zu entfernen, war er auch schon verschwunden; er hatte behauptet, er müsste zur Einschulung für seinen Job als Rezeptionist. Er fühlte sich anscheinend sehr wichtig, weil er als 16-jähriger Junge mit Managern, Journalisten und anderen Wichtigtuern aus allen Compagnies zu tun haben würde. Ich nahm mir vor, mir einmal die Gästeliste ansehen, wer von Kearsarges Wegefährten kommen würde: Laurent Seabourne von Kypros ganz sicher, Khalil und Sebastian sicher auch. Aber Andre Van Leyden? Wohl eher nicht.

Nachdem ich den Staub gewischt und das Bett neu bezogen hatte, verließ mich die Lust, allein in dem leeren Zimmer weiterzuarbeiten. Ich nahm meine Posaune und ging hinaus auf den Balkon. Felix, der Kater aus der Nachbarwohnung, musterte mich argwöhnisch; er kannte den fremden Gegenstand in meiner Hand nicht. Ich wieder sinnierte darüber nach, dass vor zehn Jahren noch keiner hier in Ghardaia ein Fleisch fressendes Haustier gehabt hatte. Nicht hatte haben dürfen, weil die Nahrungsmittelproduktion nicht viele Überschüsse erwirtschaftet hatte. Aber jetzt, seit es immer mehr atlantidische Energiekonverter gab, traf man auch wieder Luxusgegenstände wie Felix, die nur Fleisch fressen. Oder irgendwelche Proteine, deren Herstellung Energie verbraucht.Herstellung eben Energie verbraucht. Ich fragte mich, ob Felix überhaupt wusste, wie man eine Maus oder gar eine Ratte fing und tötete.

Ich überprüfte den Zug der Posaune, setzte das Mundstück an, kontrollierte meinen Ansatz. Dafür, dass ich sie viele Monate lang nicht gespielt hatte, fühlte es sich gut an. Ich begann mit einer chromatischen Tonleiter. Links nebenan wurde lautstark eine Balkontür geschlossen. Aber ich hatte keine Lust, aufzuhören. Ich ließ die Tonleiter übergehen in ein Musikstück aus der Zeit vor den Großen Veränderungen. Ich hatte vergessen, wer es geschrieben und aufgeführt hatte, aber es enthält viele transponierte Wiederholungen eines einfachen Themas, bis es in Dur endet. Gut zum Üben. Als ich es halbwegs fehlerfrei spielen konnte, hörte ich von unten Applaus. Er kam von Dural, der nach einem schweren Arbeitsunfall noch im Rollstuhl saß. „Bravo, Tomas!“, schallte es herauf. „Schön, dass du wieder spielst!“

Ich fühlte, wie ich rot wurde. Ich konnte noch nie gut mit Lob umgehen. Felix hatte sich verzogen. Anscheinend hatte ihm meine Darbietung nicht gefallen. Ich seufzte.

Wegen der Musik hatte ich schon einmal mit Madame Anesh Diama´na zu tun gehabt, aber das wusste mein Haushaltsvorstand wahrscheinlich nicht, meine Mutter wird es ihm nicht gesagt haben. Gut möglich, dass sie meine erste Begegnung mit Madame schon wieder vergessen hatte, denn sie war kein Ruhmesblatt gewesen.

Damals war ich acht Jahre alt und spielte gerade ein Jahr lang Cello. Deshalb war ich einfach nicht gut genug, dass ich im Jugendorchester bei der Aufführung von Arvo Pärts Cantus for Benjamin Britten hätte mitwirken dürfen. Vor Madame Anesh Diama´na! Nicht als Cellist jedenfalls. Das Glockenspiel musste ich bedienen! Auch wichtig, aber eben nicht das Instrument meiner Wahl. Daraufhin gab ich das Cello zurück und lernte Posaune, nur damit ich nie wieder dieses Pärt-Stück spielen musste. Darin gibt es keine Posaunen. Jordis sparte 3 Jahre lang Zuteilungen, bis sie mir ein eigenes Instrument schenken konnte. Ich wurde ein passabler Posaunist. Aber seit Jordis uns verlassen hatte, verstaubte das Instrument in ihrem Zimmer.

Die Aufführung des Cantus In Memory Of Benjamin Britten hatte Madame damals sehr gefallen. Sie hatte Tränen in den Augen, das konnte ich deutlich sehen. Das Stück musste ihr viel bedeutet haben, sie nahm es immerhin auch in Donovans Songbook auf. In Lees Songbook hätte es nicht reingepasst. Vielleicht ins Songbook von Evaa. Madame hat viel übrig für Musik; vielleicht schloss sie sich auch deshalb den Wanderern an. Mit Hilfe von Laurent Seabournes präglazialer Datensammlung stellte sie die Songbooks zusammen, und es sind musikalische Juwelen aus der Zeit vor den Großen Veränderungen darin. Jeder kennt sie. Jeder hat einen Favoriten. Evaas Songbook ist eklektisch. Das von Lee ist wild und theatralisch. Ich mag am liebsten das Donovan-Songbook. Sehr traurig, sehr elegisch.

Donovan Lee Seymour, der letzte Elitemensch. Ich fragte mich, wo er wohl sein mochte. Ob er zu Kearsarges Abschiedsfest kommen würde? Wohl kaum. Nicht einmal der Botschafter würde kommen, geschweige denn ein Atlantide, davon war ich überzeugt. Keiner war auf der Gästeliste, sagten die Netzwerker. Aber das musste nichts heißen, die Ats ließen sich nicht gern in die Karten schauen.

Madame Anesh Diama´na konnte nichts dafür, dass ich damals so enttäuscht war. Ich hatte keinen Glockenspieleinsatz verpatzt. Aber ich war enttäuscht und traurig, weil ich viel lieber die wunderbaren, endlos langen Streicherthemen gespielt hätte. Ich fragte mich, ob sie sich noch an dieses Konzert erinnern konnte. Wahrscheinlich nicht. Aber ich nahm mir vor, sie danach zu fragen, wenn sich eine Gelegenheit ergab.

Ich packte die Posaune ein und begann, die Nasszelle zu putzen. Es machte mir auch nichts aus, dass sich Joel verdrückt hatte. Unser Heim sollte bereit sein, wenn Madame Anesh Diama´na kam. Meine Angst war in vorsichtige Erwartung übergegangen.

Als ich nach Stunden die Wohnung auf Hochglanz geputzt hatte, legte ich mich zum Ausruhen auf das große, gewachsene Sofa und aktivierte meine Specs. Drei Nachrichten erwarteten mich, alle von meinen Freunden. Sie waren tatsächlich samt und sonders zu kurzfristigen Dienstleistungen eingezogen worden, wie mein HaVau es vorausgesagt hatte, und sie bedauerten, dass jetzt aus unserer Wandertour nichts wurde. Zumindest nicht, bis Maghreb diesen Ansturm verdaut und hinter sich gebracht hatte.

Warum musste Kearsarge auch gerade jetzt sein Amt zurücklegen, dachte ich. Er hatte die Compagnie mehr als 60 Jahre lang tadellos gemanagt. Nie war ihm das Misstrauen des Aufsichtsrates ausgesprochen worden, er hatte fast alle Aufsichtsräte überlebt. Er war eine Institution, eine lebende Legende. Irgendwie dachten wir wohl, er würde nie abtreten oder sterben. Diktator-Allüren hat er auch nie gezeigt, wie etwa Imhotep von Heliopolis.

Während seiner Amtszeit und mit seiner Mithilfe war viel Gutes geschehen. Die Welt war eine andere als vor sechzig Jahren. Er hatte auch vor 20 Jahren die VICTORY-Krise gemanagt. Er ließ sich nichts anmerken, keine Sorge, kein Bedauern, keine Erleichterung, als vor 17 Jahren der Elitemensch die Erde wieder verließ und uns nur Achet und den Botschafter zurückließ.

´Chet! Verflucht sei er!

Dann ließ ich meine Specs nach Bildern von Madame Anesh Diama´na suchen. Ich nahm absichtlich keine Spezifizierung auf neuere Aufnahmen vor, aber ich ließ die Fotoreihe mit den älteren Aufnahmen beginnen. Ich wollte sehen, welche Spuren die letzten 20 Jahre in ihrem Gesicht hinterlassen hatten. Ich wollte verstehen, warum sie so lebte. Warum sie zu uns kam.

Sogar heute noch sehe ich mir manchmal diese Zusammenstellung an. Dann werde ich sehr traurig. Und ich habe es aufgegeben, verstehen zu wollen.

Es gab keine Aufnahmen von ihr aus der Zeit, als sie Pilotin war und von der Elite für das VICTORY-Programm rekrutiert worden war, denn das war alles schrecklich geheim. Ebenso fehlten Aufzeichnungen von der Reise der VICTORY selbst oder den grauenvollen Monaten auf dem Roten Planeten, den Achet verheert hatte. Die ältesten Bilder von Tatanka Saint-Marie stammten aus den Archiven Maghrebs, als die VICTORY im Orbit der Erde erschien und mit Kearsarge Kontakt aufnahm. Da war die erste Aufnahme von ihr: sie im Gruppenbild neben dem Kommandanten, kurzes, struppiges Blondhaar, harter Gesichtsausdruck. Und hinter ihr der Elitemensch. Seymour. Schön. Unergründlich.

Dann zeigten mir die Specs Stills aus den Verhören, die Kearsarge und Van Leyden geführt hatten. Sie: längeres Haar, harter Mund, traurige Augen. Da muss sie etwa 35 gewesen sein.

Es gab viele Aufnahmen von ihr zusammen mit Seymour und Van Leyden: in Vingarden bei den Kavernen der Elite, in den Ruinen von Seymours Haus in Tidikelt, unterwegs in anderen Compagnies. Dann waren auf den Bildern nur noch sie und der Elitemensch zu sehen: als Ehrengäste in Asmara, als Geiseln Imhoteps in Heliopolis. Ihr Gesichtsausdruck wurde weicher und gleichzeitig trauriger.

Es folgten Aufnahmen von der offiziellen Verabschiedung der Expeditionsflotte zu den Marquesas, wo die Vergangenheit des Elitemenschen auf sie wartete und Achet, der Massenmörder. Van Leyden war wieder ab und zu auf den Bildern: Schnappschüsse eines glücklichen Paares aus einem botanischen Garten in Madee´ra. Auch im Gesicht des Elitemenschen konnte man die tiefe Zuneigung lesen, die sie füreinander empfunden hatten. Ich zoomte mir ihr Gesicht heran, aber dadurch wurde auch seines größer. Obwohl er nur im Profil zu sehen war, weil er sich ihr zugewandt hatte, biss sich mein Blick an seinem klassischen Profil fest, an den schönen, fast sinnlichen Lippen, der perfekten Linie des Halses bis zu den Schultern. In meinen Eingeweiden machte sich ein Gefühl breit, das ich nicht deuten konnte. Spürte ich Unzulänglichkeit? Wertlosigkeit? Neid? Löste seine physische Perfektion das aus? Hatten deshalb viele Menschen so auf ihn reagiert wie ich, sogar Van Leyden, der Star unter den maghrebinischen Sozialagenten? War dieses Design ein bewusstes Kalkül der Elite, sodass wir Normalen uns klein und unbedeutend fühlen mussten unter ihren Augen? – Aber diese Frau war seine Gefährtin, bis er ging. Sie war etwas ganz Besonderes. Wie musste sie gelitten haben, als er gegangen war!

Bilder aus Florièda, Haba´na. Nichts aus Vas´pan, wo sie zusammen mit dem Elitemenschen eine Theokratie stürzen half. Wo sie tötete. Eine Aufnahme von ihr aus Pana´ma, bevor der Kanal in die Luft flog. Dann nichts mehr. Was auf Der Insel passierte, bleibt im Wesentlichen ihr Geheimnis.

Auftritt der atlantidischen Bio-Rauschiffe. Die Welt erstarrte in Staunen und Furcht. Van Leyden wurde der Botschafter der Atlantiden, der Mittler zwischen Achet und den Menschen der Erde. Die Atlantiden gaben uns Energiekonverter und überließen uns dann unserem Schicksal und der Gnade Achets. Der Elitemensch bekam so ein atlantidisches Bio-Rauschiff und verschwand in den Weiten des Weltalls. Sie blieb zurück. Ein Bild noch von ihr, vor 15 Jahren, als sie das blaue Tuch der Wanderer umlegte: ihre Augen umschattet, der Gesichtsausdruck unergründlich und leer.

Das aktuellste Bild stammte aus Calvi-Corse, wo sie ein Haus des Innehaltens inspizierte. Da war sie über 50. Wieder das kurze, blonde Haar. Das Gesicht hagerer, die Trauer lauerte noch immer hinter ihren Augen, aber sie hatte ein einnehmendes Lächeln, wenn sie es aufblitzen ließ. Sie wirkte irgendwie viel jünger. Ich dachte mir, dass die Atlantiden wahrscheinlich auch ihr zu länger dauernder Gesundheit verholfen hatten, nicht nur den Managern der ersten Stunde, wie Kearsarge einer war. Der sah am Tage seines Rücktritts auch aus wie 60, war aber sicher weit über 80. Oder noch älter.

Madame Anesh Diama´na, die Sonne des Roten Planeten, die ehemalige Gefährtin eines perfekten Lebewesens, würde diesen nichtswürdigen, einfachen Haushalt beehren. Da konnte ich mich nur schlecht fühlen, klein und unbedeutend. Ausgerechnet ich war ihr zugeteilt als eine Art persönlicher… Diener. Das konnte ja nur schiefgehen.

Als ich die Bilddateien schloss, waren drei neue Nachrichten da. Sie waren an unseren Haushalt gerichtet, aber da mein HaVau sicher keine Zeit hatte, öffnete ich sie, dazu war ich autorisiert. Zwei waren Anfragen von Familien, die den Wanderern nahestanden, und sie wollten Madame Anesh Diama´na zu Abendessen und Gesprächsrunden einladen. Geheim schien ihre Ankunft in Maghreb also nicht gerade gewesen zu sein, zumindest nicht unter den Sympathisanten der Wanderer. Wahrscheinlich war Jordis vor Stolz fast geplatzt, und sie konnte mit der Neuigkeit nicht hinter dem Berg halten. Typisch für meine Mutter!

Ich beantwortete die Nachrichten mit der Mitteilung, dass Madame noch gar nicht eingetroffen sei und nicht bekannt wäre, wann sie uns beehren würde.

Die dritte Nachricht war eine lapidare Mitteilung der maghrebinischen Sicherheit, dass Stimmmuster und Handabdruck von Madame Tatanka Saint-Marie in das Sicherheitssystem unserer Haustür eingespeist worden waren, sodass sie sich für sie öffnen würde. Bis auf Weiteres. Das hieß, auch die Maghrebinische Sicherheit wusste nicht, wann sie kommen und wie lange sie bleiben würde. Sie nannten sie bei ihrem offiziellen Namen, Tatanka Saint-Marie. Anesh Diama´na war ihr Name unter den Wanderern, und die sind so was wie eine geduldete, fast religiöse Sekte. Die Wanderer bauen Häuser des Innehaltens an allen möglichen interessanten Orten, an denen man nachdenken kann, über sich selbst und die Welt. Sie kümmern sich auch um ihre Erhaltung. In Maghreb gibt es zwei solcher Häuser, beide haben einen Zusammenhang mit dem Elitemenschen: eines steht auf der Klippe über dem Strand bei Constantine, wo die VICTORY abgestürzt und zerborsten war, das andere ist das teilweise wieder aufgebautes Haus des Elitemenschen auf dem Plateau von Tidikelt. Madame Anesh Diama´na führte eine Neuerung ein: sie war unermüdlich bestrebt, jedes Haus mit Klangkörpern auszustatten: Sie ließ Glocken, Windspiele und Gongs installieren, damit Besucher verkünden können, dass sie das Haus besuchen. Das klingt einfacher, als es war. Glocken und Gongs werden aus Metall gemacht, einem wertvollen Rohstoff. Den aufzutreiben ist nicht einfach in den Zeiten des Mangels nach den Großen Veränderungen. Aber irgendwie schaffte sie es immer, an Metall zu kommen, vielleicht ließ ihr Achet welches zukommen. In letzter Zeit hatten auch Wanderer-Gemeinden den Kredit aufgebracht, bei den Bergecompagnies Metall für die Häuser des Innehaltens zu erwerben. Natürlich gab es anfangs auch Glockendiebstähle. Metall war eben ein wertvoller Rohstoff. Aber irgendwie tauchte das Diebesgut immer wieder auf. Vielleicht hatte dabei Achet die Finger im Spiel. Wenn er überhaupt Finger hatte.

Mit meinen Recherchen und Gedankenspielen hatte ich viel Zeit vertrödelt. Dabei musste ich noch unsere Vorräte kontrollieren. Petar würde der Madame sicher etwas Besonderes kochen wollen, schließlich war er Koch und Palaveer-Fachmann und sehr gut in seinem Metier. Aber wenn er wegen der Feierlichkeiten länger Dienst hatte und keine Zeit zu kochen, dann, befürchtete ich, würde ich es tun müssen. Ich war nie so gut wie er, aber es würde reichen müssen. Ich hoffte, in diesem Fall würden wir mit Madame in das Palaveer essen gehen, das meinem HaVau unterstand. Wenn sie einverstanden war. Aber ich entschied mich doch, sicherheitshalber ein wenig einkaufen zu gehen und Petar würde dann aus meinem Einkauf ein herrliches Essen zaubern.

Ich machte mich auf zum Zentralmarkt. Es hatte ein wenig zu nieseln begonnen. Es war erst Ende August, aber das Wetter zeigt sich schon herbstlich. Botschafter Van Leyden hatte vor einigen Jahren gesagt, der Höhepunkt der Eiszeit wäre noch nicht erreicht. Auf Maghreb wirkte sich das jedenfalls schon aus. Den Anbau von Wein im Atlas würde man wohl bald aufgeben müssen. Dennoch belastete ich das Haushaltsbudget mit einer Flasche Syrah aus Laghouat als Willkommenstrunk für Madame. Auf dem Markt war nicht viel los, entweder weil es immer stärker zu regnen begann oder weil alle Bewohner Ghardaias für das große Fest arbeiten mussten. Ich kaufte Gemüse für eine Ratatouille, Humus, Oliven, Käse, und bei der alten Madame Briseis einen Arm voll Gladiolen in allen Rottönen.

„Ah, To´ma, endlich einmal verliebt!“, feixte sie. Das war unser altes Spiel, denn sie war der Meinung, mit 22 müsste man schon etliche potentielle Partnerinnen oder Partner gehabt haben. Ich gab vor, dass sie mich ertappt hatte, und sagte verschämt: „Ja, Madame, Ihrem scharfen Auge entgeht nichts. Könnte was werden diesmal!“

„Da wären Rosen aber besser“, meinte sie mit einem Augenzwinkern.

„Nur nicht gleich übertreiben!“, gab ich zurück und bezahlte mit der Familienkreditkarte, was sie nicht kommentierte.

Als ich zu Hause ankam, war ich doch ziemlich durchnässt. „Öffnen“, befahl ich der Tür, und sie schwang gehorsam auf.

Und da stand SIE, mitten in unserem Wohnzimmer.

Madame Anesh Diama´na. Auch durchnässt.

Ich ließ meine Einkaufstasche fallen. Die Flasche schepperte protestierend, und ich hoffte, sie wäre ganz geblieben.

Ich begrüßte Madame auf Art der Wanderer, mit vor der Brust gefalteten Händen und einer leichten Verbeugung, weil mir in der Überraschung und Hektik nichts anderes einfiel. War der alte Solarsegler doch nicht so langsam gewesen.

„Madame…, ich wusste nicht, wann…!“

Sie winkte ab, lächelte kurz. „Tomas Lellier, nehme ich an? Deine Mutter hat mir viel von dir erzählt!“

Das hatte ich befürchtet. Den ganzen Blödsinn, den ich als Kind gemacht hatte, musste sie sich vermutlich anhören. Was mich aber noch mehr erröten ließ als die Geschwätzigkeit meiner Mutter, war die Stimme von Madame. Die Bilder aus dem Netz hatten mich darauf vorbereitet, wie sie aussah, aber nicht auf ihre Stimme. Ich glaube nicht, dass ich sie damals, vor zehn Jahren, sprechen gehört hatte. Sie hat eine dunkle, leicht kratzige Altstimme, bei deren Klang sich mir alle Körperhaare aufstellten. Ich hatte gerade noch so viel Verstand, dass ich die Gladiolen vom Boden aufhob und sie ihr linkisch in die Arme drückte.

„Willkommen, Madame!“

„Danke, dass ihr mich in eurem Haushalt aufgenommen habt“, sagte sie und bewunderte die Blumen. „Ich mag dieses offizielle Getue einfach nicht. Kearsarge und ich waren nie besonders dicke Freunde. Aber er hat es sich nicht nehmen lassen, mir beim Betreten der Compagnie Maghreb das hier mitzugeben.“ Sie fingerte eine Kreditkarte aus einer Jackentasche und überreicht sie mir. Später würde ich feststellen, dass sie einen unlimitierten Kreditrahmen hatte, was Transport, Nahrung, Kleidung, Unterkunft und medizinische Versorgung betraf. Der Manager hatte sich nicht lumpen lassen.

Dann legte sie die Gladiolen vorsichtig auf den Tisch und begann, in ihrem großen Rucksack zu kramen, der ihr einziges Gepäckstück zu sein schien, und holte einen blauen Schal aus Baumwolle heraus. Wanderer-Blau.

„Der ist von mir, deine Mutter meinte, er würde dir gefallen“, sagte sie, und dann zauberte sie noch etwas Kleines hervor und drückte es mir in die Hand. „Sie sagte auch, dass du der Musikalische bist in dieser Familie…“

Es war ein Aypod! Ein Kleinod aus der Vergangenheit, das Bergecompagnies aus einer Endmoräne geholt hatten. Und er funktionierte noch!

Später würde sie mir erklären, wo er gefunden worden war, und ich würde feststellen, dass er die Originaldateien seines ursprünglichen Besitzers enthielt und vier Songbooks: Das von Donovan, von Lee, von Evaa und ein völlig neues von Tatanka, das vor mir noch niemand gehört hatte. Aber an diesem Abend war ich so überwältigt von ihrer unerwarteten, verfrühten Ankunft, ihrer Präsenz, die das Wohnzimmer in Besitz genommen hatte und mich auch. Ich war ihr Diener, solange sie in diesem Haushalt wohnte, und konnte mir auf einmal nichts Schöneres mehr vorstellen.

Ich zeigte ihr das Zimmer meiner Mutter, das ich glücklicher Weise schon vorbereitet hatte, und stellte ihr eine Vase mit den Gladiolen hinein. Ich fragte sie, ob sie Hunger hätte, aber sie verneinte und meinte, sie könne ruhig auf das gemeinsame Abendessen der Familie warten, sie wolle sich frisch machen, ein wenig ausruhen, einige Kontakte pflegen. Mutter Meer, war ich erleichtert, das zu hören!

Als Petar mit Joel nach acht Uhr nach Hause kam, bereitete er tatsächlich noch ein pikantes Gericht aus dem Gemüse zu, das ich eingekauft hatte, mit Couscous dazu, und wir öffneten die Flasche Syrah, die alles heil überstanden hatte. Offenbar hatte ich nichts falsch gemacht.

Madame trug eine alte Tunika von Jordis, und Petar und sie unterhielten sich zwanglos über meine Mutter, über Calvi-Corse, über die dort sichtbaren Spuren der fortschreitenden Vergletscherung, über die Reise mit dem Solarsegler. Joel und ich redeten während des Abendessens keine zehn Wörter, hingen nur an ihren Lippen, während unser Haushaltsvorstand anscheinend ziemlich locker damit umgehen konnte, dass er die wohl berühmteste Frau des Planeten unter seinem Dach beherbergte. Wahrscheinlich muss der Chef von drei Palaveers mit Prominenz umgehen und ein unverbindliches Gespräch am Laufen halten können. Ich war sehr dankbar für seine soziale Kompetenz und knuffte Joel freundschaftlich in die Rippen, weil er Madame mit offenem Mund zugehört hatte, was ein bisschen debil aussah.

Nach dem Dessert aus Karamellpudding, es war inzwischen schon Nacht geworden, aber es hatte zu regnen aufgehört, ging Madame auf die Terrasse und zündete sich eine Hanfzigarette an. Ich begleitete sie, während Joel und Petar den Abwasch machten. Sie bot mir auch eine an, aber ich lehnte höflich ab. Ich musste in ihrer Gegenwart meine Sinne beisammenhalten und das war auch ohne THC schon schwierig genug.

Madame ließ ihren Blick über die Ebene des Mesab schweifen, dessen Lauf man in der Dunkelheit nur erahnen konnte, nur ab und zu erhellten Lichter sein Ufer. Seit wir die Energiekonverter hatten, gab es in Ghardaia auch wieder eine Straßenbeleuchtung.

Sie schwieg und rauchte. Mir kam vor, dass da eine Anspannung zwischen in ihren Schultern war, aber ich wagte nicht, das Wort an sie zu richten. Nach der Zigarette zog sie sich mit einem „War ein langer Tag“ in Jordis Zimmer zurück, das jetzt ihres war.

Ich schlief schlecht, fand erst in der Morgendämmerung wirklich Schlaf. Am Morgen stand Madame wieder auf der Terrasse, während ich mir noch den Schlaf aus den Augen rieb. Ihr Blick war erneut auf den Mesab gerichtet, dieselbe Spannung war in ihrer Körperhaltung wie am Tag zuvor.

„Madame? Kann ich etwas für Sie tun?“, fragte ich bang.

Sie wandte sich zu mir. „Weißt du, Tomas, dass nicht weit von hier, in der gleichen Straße, einst Botschafter Van Leyden ein Haus hatte? Als er noch Sozialagent war und für Kearsarge arbeitete…“

Das hatte ich nicht gewusst. Aber ich fand noch am selben Tag mit Hilfe des Netzes heraus, um welches Haus es sich handelte, von dessen Terrasse aus sie wohl vor langer, langer Zeit auf den Mesab hinabgesehen hatte wie heute am Morgen auch.

Sie nannte mich ganz selbstverständlich Tomas, und Joel und Petar auch bei ihren Vornamen. Aber wie sollte ich sie nennen? Bei Madame Saint-Marie hatte sie abgewunken. Madame Anesh Diama´na klang auch ziemlich lang und umständlich. Sie hatte aber auch nicht gesagt, dass ich sie Tatanka nennen sollte. Das hätte ich ohnehin nicht gewagt, auch wenn sie es mir erlaubt hätte. Also bleiben wir bei Madame, und später, als wir uns bei verschiedenen Einladungen aufhielten, war sowieso klar, wer gemeint war, wenn ich sagte: Ich werde Madame jetzt nachhause begleiten. Manchmal nannte sie mich Messir Lellier, und damit gab sie mir mit einem Augenzwinkern zu verstehen, dass ich wieder einmal versucht hatte, sie zu bemuttern. Das war ja wirklich nicht angebracht.

Als Joel und Petar nach dem Frühstück zur Arbeit gegangen waren, rief ich die Post in meinen Specs auf. Wieder waren fünf neue Einladungen für Madame darunter. Auf meinen Hinweis hin kramte sie hochmoderne Specs hervor und bedeutete mir, die Einladungen weiterzuschicken. Eigentlich sollte ich nicht überrascht sein, denn Wanderer zu sein, heißt nicht, auf moderne Informationstechnologie zu verzichten. Ich wollte mich zurückziehen, um ihr Privatsphäre zu geben, aber sie deutete nur kurz mit dem Daumen, dass ich bleiben sollte. Ich gehorche.

Sie kontaktierte die Familien, die sie eingeladen hatten, und ersuchte sie, sich mit den anderen zu koordinieren und nur drei bis vier größere, gemeinsame Zusammenkünfte zu organisieren. Erfreut schien sie aber über die Einladung zur Probe für das Abschiedskonzert für Manager Kearsarge zu sein, da sagte sie sofort zu. Als sie ihre Specs wieder abgenommen hatte, zeigte sie auf ihre alte Kleidung und meinte gut gelaunt:

„Ich denke, wir müssen einkaufen gehen. Festliche Anlässe verdienen eine entsprechende Kleidung. Gibt es die Manufaktur neben dem Zentralmarkt noch?“

Ich wusste sofort, welche sie meinte, und nickte. Dort kann man auch heute noch halb fertige Kleidung kaufen und sie der eigenen Figur anpassen lassen. Auch ein paar besondere Stücke aus Karthago haben sie immer auf Lager.

Wir machten uns auf den Weg. Ich steckte die Kreditkarte ein, die sie mir gegeben hatte, und fühlte mich damit wie ihr Privatsekretär.

Es regnete nicht mehr. Zielstrebig fand sie die Manufaktur; sie kannte sich in Ghardaia hervorragend aus. Wenn die Angestellten sie erkannt hatten, ließen sie sich professionell nichts anmerken. Es konnte natürlich auch gut sein, dass die maghrebinische Sicherheit sie vorgewarnt hatte. Madame fand auch rasch etwas, das nicht einmal geändert werden musste: eine enge, türkise Hose, dazu eine taubenblaue Tunika und ein wieder türkis gemustertes Schultertuch. Das Ensemble stand ihr ausgezeichnet. Sie fragte mich nicht nach meiner Meinung dazu, sie konnte sie aus meinem Gesicht ablesen. Dann holte sie noch ein weißes Hemd mit kurzem Stehkragen von der Stange. Zuerst dachte ich, sie bevorzugte eben einen eher männlichen Schnitt in ihrer Kleidung, aber sie befahl:

„Probier das an, ich denke, die Größe passt. Damit wirst du mich zu allen Einladungen begleiten.“

Sie sah sicher meine Überraschung und mein Unbehagen. Ich sollte sie zu diesen Veranstaltungen begleiten? Auch zum Konzert? Würde sich jetzt das wiederholen, mit dem Konzert…?

„Ich brauche jemanden, der bei diesen Treffen nach spätestens drei Stunden aufsteht und sagt: Madame hatte einen langen Tag…“ Und dann grinste sie schelmisch.

Geschockt tat ich, was sie mir gesagt hatte. Das Hemd stand mir gut, das sah ich in ihrem Blick.

Madame ließ mir keine Zeit zum Nachdenken. Die erste Einladung, die wir besuchten, war noch am selben Abend. Die Wanderer-Familien hatten sich schnell organisiert. Ich benachrichtigte Petar, dass er sich nicht nach Hause beeilen musste, wir würden auswärts essen.

Die Adresse erreichten wir bequem zu Fuß. Es war eine mittelgroße, biologisch gewachsene Lagerhalle, die erst vor kurzem ihre gewünschte Größe erreicht hatte und noch nicht ihrer Bestimmung übergeben war. Die Familien hatten sie mit bunten Tüchern und geschickter Beleuchtung in einen freundlichen Saal verwandelt. Viele Tische waren aufgestellt, darauf türmte sich Gebackenes, lockten Salate und Häppchen, die man mit den Fingern essen konnte. Viel Fleisch war sicher nicht dabei, aber die Getreidekost von Maghreb ist sehr lecker und auch scharf.

Der Tisch, zu dem Madame geführt wurde, stand etwas erhöht auf einem Podium, aber sonst unterschied er sich nicht von den anderen im Saal, wo bald jeder Stuhl besetzt war. Ich sah mich um und fand in ihrer Nähe keinen freien Platz mehr. Aber Madame sagte leise etwas zu einem unserer Gastgeber, und prompt wurde ein Stuhl für mich herangeschafft, sodass ich bei ihr auf dem Podium sitzen konnte. Das war mir aber auch nicht recht. Eigentlich war es mir peinlich, und ich verzog mich, so gut es ging, in den Hintergrund, versuchte, mich möglichst unsichtbar zu machen. Aber von hinten konnte ich sehr gut in die Gesichter der Menschen sehen, die sich hier versammelt hatten. Was ich darin las? Freude, Bewunderung. Ehrerbietung, für die Frau, die die Gefährtin des Elitemenschen gewesen war. Von dem alle hofften, dass er auf die Erde zurückkehren würde, von wo immer er auch gerade war.

Zur Einstimmung sangen vier Männer und vier Frauen ein Lied, das aus der Zeit vor den Großen Veränderungen stammte. Die Sprache ist längst tot, aber das Lied hatte sehr schöne Harmonien, in denen man sich verlieren konnte. Es lenkte mich so ab und hallte in mir nach, dass ich von den Begrüßungsworten nicht viel mitbekam. Aber sie waren erfreulicherweise sehr kurz. Dann bat man, sich an den Speisen und Getränken zu stärken. Danach würde Madame sprechen.

Als sie ihre Stimme erhob, wurde es schlagartig still im Saal. Sie bedankte sich für die Einladung und für die Gastfreundschaft, man merkte, das war nicht nur eine Floskel, sie meinte es ernst. Sie erzählte von ihren jüngsten Reisen, davon, wie Massili´a und Calvi-Corse gegen das vorrückende Eis bestehen mussten, welche Stätten des Innehaltens aufgegeben werden mussten, wo dafür neue entstanden waren.

Etliche der Anwesenden nahmen ihre Rede mit Specs auf. Ich konnte mich nicht erinnern, dass jemand gefragt hatte, ob es ihr recht war. Es konnten auch genauso gut Leute der maghrebinischen Sicherheit sein, die ihren Auftritt aufzeichneten. Es schien sie nicht zu kümmern. Mit ihrer Stimme und ihrer Ausstrahlung schlug sie alle in Ihren Bann; mich vielleicht am meisten. Ich hätte ihr stundenlang zuhören können. Vor meinem inneren Auge entstanden die Orte, die sie beschrieb, ich sah fast die Häuser des Innehaltens, von denen sie berichtete. Irgendwie begann ich meine Mutter zu verstehen und warum sie für einige Zeit eine der Wanderer sein wollte. Ich dagegen hatte die Compagnie Maghreb noch nie verlassen; aus Spaß reist niemand heutzutage. Ich fand aber immer schon, dass man die Jungen in die Welt schicken sollte, für ein Jahr wenigstens, damit sie sich selbst besser kennen lernen, wissen, wer sie sind und was sie wollen, welche Lebensentwürfe die verschiedenen Compagnies für sie bereithalten. Das sollte mit atlantidischen Energiekonvertern wohl möglich sein. Aber vielleicht fürchtete man in den Compagnies, die kostspielige Investition in die Ausbildung der Jungen zu verlieren, wenn sie sich dann für eine andere Compagnie als Maghreb entscheiden.

Ich musste feststellen, dass ich die letzten Sätze von Madame nicht mitbekommen hatte. Sie war fertig; man bat sie nun um ihre Meinung zu einem geplanten Projekt für ein Haus des Innehaltens auf dem Gelände des Archäologie-Parks in Vingarden. Ich war verblüfft, ich hatte nicht gewusst, dass so ein Bau beabsichtigt war. An die Wand der Halle wurde ein Entwurf projiziert. Das Haus des Innehaltens war kein Haus, eher eine Art schlanker, hoher Turm.

Madame nickte zustimmend. „Der Ort ist gut gewählt; Maghreb hat bisher nur zwei Häuser des Innehaltens, und dieses hier wird an einem Platz stehen, der für die Ereignisse der Vergangenheit von großer Bedeutung ist: zuerst stand hier eine der wichtigsten Zentralen der Elite, hier wurde die Mission der VICTORY geplant, hier wurde der Elitemensch Seymour konzipiert. Hierher kehrten wir zurück, nachdem die Elite untergegangen und die Zentrale schon lange niedergebrannt war. Aber in ihren Kavernen wartet noch Wissen auf uns. Der Turm steht über all dem, und er weist zu den Sternen. Man kann dem Architekten für diesen Entwurf nur gratulieren.“

Der Architekt war eine Frau, die sich mit einem zufriedenen Lächeln leicht vor Madame verneigte. Ein Mann fragte: „Anesh Diama´na, glauben Sie, dass man uns den Turm auch bauen lassen wird?“

Das sollte im Klartext wohl heißen: Werden Sie sich bei Manager Kearsarge dafür verwenden?

Madame lächelte milde. „Ich denke nicht, dass Kearsarge etwas dagegen haben wird. Die Archäologen haben seit mehr als 10 Jahren dort nichts mehr angerührt, nachdem sich die Kavernen der ersten Generation auch mit Seymours Zugangscode und seiner DNS nicht öffnen ließen. Ihr erinnert euch vielleicht, der Versuch, sich gewaltsam Zutritt zu verschaffen, endete mit 17 Toten. Ich bin auch der festen Überzeugung, dass sein Nachfolger, wer immer es auch sein mag, dazu stehen wird, was Kearsarge genehmigt hat.“

Mich beschlich der Gedanke, ob wohl jemand auf die Idee gekommen war, bei Achet und dem Botschafter nachzufragen, ob man die Kavernen nicht mit seiner Hilfe und atlantidischer Technik öffnen könnte. Aber vielleicht blieben manche Geheimnisse am besten vergraben, denn im Nachhinein nützt es oft niemandem mehr, wenn man irgendeine Wahrheit enthüllt bekommt, mit der man nicht gerechnet hat.

Plötzlich fragte eine ganz freche junge Frau: „Anesh Diama´na, wie ist Ihr Verhältnis zu Manager Kearsarge? Sind Sie wegen seines Abschiedsfestes gekommen oder wegen des geplanten Baus in Vingarden?“

Wütendes Gemurmel im Saal. Auch ich fand die Frage sehr ungehörig. Aber meine Madame blieb gelassen. „Es ist kein Geheimnis, dass er und ich oft nicht einer Meinung waren, und seine Entscheidungen bezüglich der Expedition zu den Marquesas haben uns in große Schwierigkeiten gebracht. Aber vom Standpunkt eines Managers aus betrachtet waren sie vermutlich nur logisch. Es ist jetzt 17 Jahre her, dass wir uns von Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden. Ich trage ihm nichts nach, aber er ist auch nicht mein Freund. Ich achte ihn als großen Manager, der geholfen hat, die Welt nach dem Verschwinden der Elite aus dem Chaos herauszuführen, und er hinterlässt nach seiner Demission eine prosperierende Compagnie. Wenn es sich ergibt, werde ich mit ihm über Vingarden sprechen, aber ich werde ihn deshalb nicht eigens aufsuchen. Ich freue mich aber schon sehr auf die große Symphonie, die in einer Woche aufgeführt wird.“

Die Freche wollte noch wissen, ob auch Botschafter Van Leyden erwartet würde. Madame antwortete, sie habe keinen Kontakt zu ihm und wisse nichts von seinen Plänen. Ich merkte, es reichte ihr langsam, und tatsächlich suchte sie meinen Blick. Ich stand auf und schaute mir selber dabei zu, was ich gerade im Begriff war zu tun:

„Werte Versammlung“, sagte ich laut, „es war ein anstrengender Tag für Madame. Bitte haben Sie Verständnis, wenn Sie sich jetzt zurückzieht.“

Enttäuschtes Gemurmel, aber kein Widerspruch. Bravo, To´ma!

Es dauerte dann doch noch fast eine Stunde, bis es mir gelungen war, Madame zum Ausgang zu lotsen, denn jeder wollte noch kurz in ihre Nähe, ein, zwei Worte mit ihr wechseln, einen Blick erhaschen. Sie bekam kleine Geschenke zugesteckt, Blumen überreicht. Kurz vor der Tür stellte sich ihr noch eine Frau entgegen mit einem ziemlich kleinen Baby auf dem Arm. Das hielt sie Madame vor die Nase. „Ich bitte um Ihren Segen, Anesh Diama´na!“

Ich konnte sehen, wie ihr Lächeln gefror. Sie übergab mir die Blumen und die Geschenke. Dann sagte sie zu der Frau so leise, dass keine Specs es aufzeichnen konnten: „Schwester, du hast ein süßes Kind, und ich werde es jetzt kurz streicheln, aber sicher keine Geste machen, die man als Segen interpretieren könnte. Solchen Unfug mache ich nicht!“

„Aber Sie waren die Gefährtin des Wanderers durch die Zeiten!“, protestierte die Frau erschrocken und verwirrt.

„War ich. Und?“ Meine Madame wandte sich ab. Jetzt reichte es ihr endgültig, und ich konnte es gut verstehen. Ich blockte die Frau mit dem Baby wie zufällig mit meinem Körper ab. Nach etwas Gedrängel waren wir dann endlich im Freien. Die Devotionalien hatte ich in einem geliehenen Rucksack verstaut. Für das nächste Mal würde ich selbst einen mitbringen müssen. Dumm von mir, dass ich nicht gleich daran gedacht hatte.

Es regnete nicht mehr, aber die Nacht war mondlos und stockdunkel. Drei Mitglieder der Versammlung wollten uns nach Hause begleiten und den Weg beleuchten, das war ihnen nicht auszureden. Nach ein paar Metern war Madame an meiner Seite und hakte sich wie selbstverständlich bei mir unter. Ich erstarrte fast vor Schreck, aber sie knuffte mich leicht in die Seite und dann flüstert sie, sodass es die Nachtwächter nicht hörten: „Danke! Das war sehr professionell vorhin!“

Mir wurde ganz heiß im Gesicht, aber das konnte zum Glück niemand sehen. Als wir etwa die Hälfte des Weges hinter uns hatten, merkte ich, dass sie mit dem linken Bein leicht hinkte.

Zu Hause erwarteten uns schon Petar und Joel, aber sie hatten so viel Einfühlungsvermögen, dass sie die Müdigkeit hinter den Augen von Madame sahen und sie nicht mit Fragen bedrängten. Petar öffnet eine weitere Flasche aus Laghouat, und mit ein paar Anekdoten aus seinen Erlebnissen als Chef von drei Palaveers und einem guten Glas Wein endet dieser verrückte Tag.

Ich befürchtete, dass der nächste Tag so ähnlich verlaufen würde, aber nun war ich schon etwas besser darauf vorbereitet, was Madame und mich erwartete, das glaubte ich zumindest.

Die nächste Veranstaltung fand am Nachmittag in einem großen Gartenzelt am Ufer des Mesab statt. Dieses Mal gab es nur süße Häppchen, zu Beginn spielte ein kleines Streicher-Ensemble ein Lied aus Donovans Songbook, und während sie brav fiedelten, wurde langsam und majestätisch ein Podest hereingetragen, auf dem ein relativ großer, asiatisch anmutender Gong stand. Die Gemeinde war mächtig stolz darauf, es war der Klangkörper, der im Turm von Vingarden hängen würde, der noch gar nicht gebaut war, ja, noch nicht einmal genehmigt! Dieses unbeirrbare Vertrauen in die Zukunft war mir ein wenig fremd.

Meine Madame wurde gebeten, ihn anzuschlagen, was sie auch tat. Der Gong hatte wirklich einen schönen, vollen Klang, As-Dur, mit vielen Obertönen. Ich fragte mich, wie die Wanderer von Ghardaia bloß das viele Metall für die Legierung aufgetrieben hatten. Von welcher Berge-Compagnie sie es wohl gekauft hatten?

Meine Madame ging in ihrer Rede auch sofort auf dieses Thema ein und lobte die Arbeit der Berge-Compagnies Santan´der, Massili´a, Pannonia, Transsyl und Carnuntum, und wie wichtig es war, dass sie auf einer Welt, die in der Vergangenheit von Gier und Raubbau zerstört worden war, ihre harte Arbeit taten und aus den Endmoränen alles herausholten, was diese an wertvollen Rohstoffen enthielten. Sie erwähnte auch das reibungslose Funktionieren der Zusammenarbeit zwischen Achet, der die atlantidischen Energiekonverter bereitstellte, und den Berge-Compagnies. Da wurde sie plötzlich unterbrochen:

„Und Sie glauben nicht, dass sich so etwas wie in Portland wiederholen wird?“

Der Frager war aufgestanden, er kam aus den hinteren Reihen. Er war relativ jung, mittelgroß und hatte kurzes, rotes Haar, das sich leicht kräuselte wie durch ein afrikanisches Erbe in seinem Genom. Er erinnerte mich an irgendjemanden, aber ich kam beim besten Willen nicht gleich darauf, an wen.

Madame war offenbar an dem Thema interessiert. „Nein“, antwortet sie bestimmt. „Das Management von Portland war aggressiv und benutzte die ihm zur Verfügung gestellten Energiekonverter, um Angriffspläne gegen Seattle zu schmieden. Es wurde gewarnt, es hat nicht zugehört. Sie müssen zugeben, seit diesem Exempel ist die Welt wieder friedlicher, als sie es vor der Portland-Krise war. Santan´der und Massili´a hatten ihre Differenzen, aber mit den großen Konvertern kommen sie an Fundstellen heran, die sie sonst vergessen könnten, wie Bor´doo etwa, und dabei arbeiten sie sogar zusammen. Ich nehme an, die Rohstoffe für diesen Gong stammen von Massili´a…“

Zustimmendes Gemurmel. Aber der von dort hinten war noch nicht zufrieden: „Für Sie ist Achet also kein Massenmörder, der die Welt an der Gurgel hält und sie dazu zwingt, friedlich zu bleiben?“

„Ich habe ihm vergeben für das, was er mir und meinen Freunden auf dem roten Planeten angetan hat“, antwortete Madame ruhig. „Er war damals eine vor Einsamkeit verrückt gewordene künstliche Intelligenz. Ansonsten mag ich die Welt, so wie sie jetzt ist.“

Das Gemurmel klang jetzt wie eine Mischung aus Unglauben und Feindseligkeit. Aber Madame sagte nichts mehr, war nicht gewillt, dem Thema etwas hinzuzufügen und wartet auf die nächste Frage.

„Wann, glauben Sie, wird der Elitemensch zur Erde zurückkehren, wie er es versprochen hat?“ Das hoffnungsvolle Leuchten in den Augen des Mannes in der ersten Reihe hatte fast etwas Religiöses, das mich leicht schaudern ließ.

Madame musterte ihn eindringlich, dann antwortete sie mit einer Gegenfrage: „Was wollen Sie denn von ihm?“

Dem Mann war sichtlich unbehaglich zumute, aber er riss sich zusammen und murmelte etwas wie „… der Einzige, der Achet Einhalt gebieten kann…“

Wieder antwortete sie mit einer Gegenfrage: „Glauben Sie nicht, dass deshalb Van Leyden als Botschafter eingesetzt wurde, und dass er den Job gut macht, weil er es auch kann?“

Da kam dem Unglücklichen der junge Mann aus den hinteren Reihen zu Hilfe: „Das heißt dann, der Botschafter wollte nichts unternehmen gegen den Untergang von Portland, obwohl er es gekonnt hätte?“

Madame musterte ihn genau, und ich sah, wie es ihr dämmerte. Vermutlich hatte sie den Frager identifiziert. „Ich habe keinen Kontakt zu ihm und ich kenne seine Motive nicht“, antwortete sie kühl. „Dieses Kapitel meines Lebens betrachte ich als erledigt.“

Das mochte ja stimmen, aber hatten manche zurückgelassenen Lebenskapitel nicht die unangenehme Eigenschaft, dass man sie immer wieder lesen musste? Ich machte mich bereit, einzugreifen, aber die Gemeindevorständin erledigte das für mich. Sie bat um Höflichkeit und Wahrung der Privatsphäre von Madame Anesh Diama´na. Dennoch war die Gemeinde leicht bis mittelschwer irritiert, dass Madame Achet und Van Leyden in der Portland-Geschichte verteidigt hatte.

Die Vorsitzende lenkt das Gespräch auf die Vorzüge und Schwächen der Kandidaten für die Nachfolge von Kearsarge. Meine Madame meinte, dass man mit dem Nachfolger oder der Nachfolgerin auf alle Fälle Geduld haben müsse, denn jemanden wie Kearsarge, der von den Atlantiden geschult und als Schläfer eingeschleust worden war, könne es einfach nicht mehr geben. Die Atlantiden hätten der Welt am Anfang mit Personal geholfen, jetzt müsse man selbst sehen, was die Erde aufzubieten habe. Der Aufsichtsrat möge weise entscheiden.

Das war relativ unverbindlich, aber fast schon ein dickes Lob für Kearsarge. Oder Xavier von den Kha´tan, wie er eigentlich heißt. Die Gemüter begannen sich zu beruhigen. Kearsarge war bei den Leuten noch immer sehr beliebt, viele bedauerten seinen Rücktritt. Ich konnte mir ein Maghreb ohne ihn eigentlich auch nicht vorstellen. Mehr als 50 Jahre lang hatte er es gemanagt, ohne abgesetzt worden zu sein. Eine unglaubliche Leistung!

Eine musikalische Unterbrechung brachte die Leute auf andere Gedanken. Man spielte ein stark rhythmisch orientiertes Stück aus Evaas Songbook, es heißt „The Lightning Strike“ und dabei wurde von vielen mitgetrommelt und geklatscht. Dann stärkten sich alle an den süßen Häppchen und Getränken. Menschen kamen zu unserem Tisch, glücklich, ein paar freundliche Worte mit Madame wechseln zu können. Sie brachten wieder Blumen und Geschenke. Von der vorhin so angespannten Stimmung war nichts mehr zu bemerken.

Als wir dann gingen, hoffe ich, den jungen Mann mit dem roten Haar aus nächster Nähe sehen zu können. Vielleicht kam ich dann endlich dahinter, wer er war. Aber er ließ sich nicht mehr blicken. Ich wagte nicht, Madame nach ihm zu fragen.

Als sie aufstand und das kleine Podium verlassen wollte, geschah es plötzlich: Ihr linkes Bein gab nach, sie stürzte beinahe, konnte sich gerade noch an mir und einer Sessellehne festhalten. Aber sie biss die Zähne zusammen und sagte: „Es geht schon, es ist nichts…“

Aber es ging nicht; der lange Weg nach Hause hinauf zu unserem Haus war so wohl kaum zu schaffen. Ich setzte meine Specs auf und fordere einen Solarmover an. Als Begründung gab ich „Bewegungseinschränkung nach Unfall“ an, aber der Verteiler wollte ihn mir nicht gleich geben, sondern wollte wissen, wer betroffen war. Madame hatte verstanden und aktivierte ihre Specs. Sie stellte eine Verbindung zu meinen her und übernahm die Auskünfte. Der Verteiler genehmigt den Mover, bestand aber darauf, dass sie einen Termin in einer medizinischen Einrichtung vereinbarte. Sie akzeptierte. In 6 Tagen sollte sie im Medcen 4 sein. Sie bestätigte den Termin, ich konnte das alles auf meinen Specs mit verfolgen. Ich fand, es war eine Schande, dass sie so lange auf medizinische Versorgung warten musste. Sie hätte ihren Zustand nicht herunterspielen sollen. Plötzlich schaltete sich ein menschlicher Gesprächspartner hinzu, offenbar ein junger Arzt eines Medcens. Hatte also doch jemand reagiert auf den Namen Tatanka Saint-Marie. Ihr Termin wurde auf den nächsten Vormittag vorverlegt. Madame grinste humorlos und nahm ihn an. Kearsarge kümmerte sich also doch noch um sie, aber sie war nicht unbedingt erfreut darüber.

Mit dem Solarmover waren wir in zehn Minuten zu Hause. Im Wohnzimmer machte ich ihr einen kalten Umschlag für ihr linkes Knie, und sie sagte wieder „Danke, Messier Lellier!“ zu mir. Aber ich glaube, diesmal wusste sie meine Fürsorge zu schätzen.

Der nächste Morgen gab mir die Gelegenheit, eine kleine Überraschung für sie vorzubereiten. Nachdem sie das Haus für ihren Termin im Medcen verlassen hatte, ohne Mover, stur darauf beharrend, dass sie schon wieder normal gehen könne, begab ich mich ein Stück die Straße hinauf bis zu einem bestimmten Haus und meldete mich bei der Tür an.

Nachdem ich diese Sache zu meiner Zufriedenheit erledigt hatte, fand ich endlich Zeit, mir einige Nachrichten meiner Freunde anzuhören, die eingezogen worden waren, um zu helfen, den Besucheransturm zu Kearsarges Abschiedsfest zu bewältigen. Alle waren sehr aufgeregt, sie berichteten von spannenden Begegnungen mit Compagnie-Managern aus allen Kontinenten und sie wirkten glücklich, wenn auch müde von der vielen Arbeit. Myla hatte gerade frei und wir unterhielten uns ein bisschen über ihren Job als Rezeptionistin und Quartierzuteilerin, und sie wollte unbedingt wissen, wie es mit Madame lief und was für ein Mensch sie privat sei. Ganz normal, unkompliziert, diese Antwort wollte sie nicht hören, das glaubte sie mir nicht, also erzählte ich ihr ein wenig von ihren Ansichten über Achet, Van Leyden und Portland. Es war ohnehin kein Geheimnis, die Aufnahmen von ihren Auftritten in der Öffentlichkeit würden bald im Netz auftauchen. Myla beneidete mich, weil ich Madame an meinem Arm heimführen durfte. Nach 20 Minuten brach sie unser Getratsche ab und meinte, sie müsse sich ausruhen und ein wenig schlafen für die Abendschicht.

Damit ich nicht nachdenken musste, ob meine Überraschung wohl gelingen würde, übte ich danach ein wenig mit der Posaune, bis meine Specs einen eingehenden Ruf signalisierten. Madame wollte am Medcen 4 abgeholt werden, und ich sollte die große Markttasche mitnehmen, sie wollte einkaufen gehen und meiner Familie zur Abwechslung etwas kochen. Ich machte mich sofort auf den Weg und war in 20 Minuten beim Medcen 4, das ist Rekord zu Fuß. Sie kam mir entgegen, und sie hinkte nicht mehr.

„Was hat der Arzt gesagt, Madame?“

Sie verdrehte zwar die Augen, antwortete mir dann aber bereitwillig: „Einriss des linken Meniskus, altersbedingte Arthrose im Kniegelenk. Eine alte Verletzung einer alten Frau. Ich trage einen Stützverband unter der Hose, damit ich nicht leichtsinnig werde, und gegen die Abnützung hat man mir ins Kniegelenk gestochen und ein Medikament gespritzt, das für 3 Monate wirken soll. Wie neu also. – Jetzt gehen wir auf den Markt und kaufen ein, was wir für euer Lieblingsgericht brauchen, und keine Widerrede!“

Als ob ich gewagt hätte, ihr zu widersprechen! Nach kurzer Überlegung fiel mir ein, was wir alle gerne essen, Petar, sogar Jordis, wenn sie hier gewesen wäre: gefüllte, frittierte Teigtaschen. Also kauften wir Kartoffel für den Teig, alles Mögliche an Gemüse, was die Jahreszeit zu bieten hatte, und scharfe Chilischoten für die kalte Joghurt-Sauce dazu. Mit ihrer Kreditkarte erstanden wir auch noch eine 5-Liter-Kanne Bier, das passte gut zu den Teigtaschen. Ich hatte ordentlich zu schleppen, sie trug nur den riesigen, bunten Strauß Rosen, den ihr Madame Briseis geschenkt hatte. Sie wollte dafür absolut keine Bezahlung haben, und mir hatte sie so verschwörerisch zugezwinkert. Was glaubte sie denn?

Auf dem Heimweg durch unsere Straße kamen wir an dem Haus vorbei. Ich blieb stehen, stellte den Einkauf ab.

„Madame, ich habe eine Überraschung für Sie!“

Die Tür öffnete sich für mich. Die Bewohner waren nicht zu Hause, der Mutter Meer sei Dank, dachte ich.

Sie zögerte. Sie hatte das Haus erkannt. In meiner Begeisterung nahm ich ihre Hand und führte sie in das Vorzimmer. Sie folgte mir stumm und ein wenig widerstrebend.

Das Haus war kleiner als unseres. Von der Straße weg ging es hinein in ein Vorzimmer, daneben waren eine Nasszelle und ein begehbarer Schrank. Dann kam man über eine Holztreppe hinunter in ein großes, offenes Wohnzimmer mit Küchenecke, auch eine kleine Terrasse war da wie bei uns. Dann ging es noch einen Stock tiefer in ein Schlafzimmer. Im Wohnzimmer dominierte ein riesiges madee´ranisches Sofa, das aussah, als habe man es zu lange wachsen lassen und zu spät getötet. Eine andere Besonderheit war eine Wand aus lauter kleinen Fächern, in denen allerlei Krimskrams steckte.

Das war das Haus, das Andre Van Leyden bewohnte, als er noch Sozialagent in Maghrebs Diensten war.

Sie kannte es. Sie war oben an der Treppe zum Wohnzimmer stehen geblieben. Ich drehte mich um und wollte ihren überraschten, begeisterten Gesichtsausdruck sehen.

Mutter Meer, überrascht oder begeistert sah sie aber nicht aus! Sie stand da wie versteinert. Dann sank sie auf der obersten Treppenstufe nieder und verbarg ihr Gesicht in ihren Händen.

Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Meine gut gemeinte Überraschung war offensichtlich gar nicht gut angekommen. „Madame, es tut mir so leid, ich wollte nicht…!“

Endlich hob sie den Blick. „Ja, ich weiß, du wolltest mir eine Freude machen. Es ist nur…“ Wieder schloss sie die Augen.

´Chet, das hatte ich gründlich verbockt! Ich hockte mich zu ihr auf die Treppe, aber ich wagte nicht, sie zu berühren.

Auf einmal hörte ich, wie sie scharf einatmete. Ihre Augen standen offen und waren vor Überraschung geweitet. Vor Überraschung, und Schrecken und … Sehnsucht? Sie starrte auf einen Punkt mitten im Raum, auf das hässliche Sofa, aber dort war nichts, zumindest nichts, das ich auch sehen konnte, nur sie vielleicht. Da griff sie nach meiner Hand, drückte sie hart, sodass es fast schmerzte. Ich hörte ein trockenes Schluchzen und sie flüsterte: „Tomas Lellier, halt mich fest. Sonst löse ich mich auf in diesem Labyrinth aus weißen Pfaden…“

Ich wusste, was die weißen Pfade sind, oder zumindest wusste ich, was sie für die Atlantiden sind oder für den Elitemenschen, aber ich hatte noch nie gehört, dass ein normaler Mensch sie auch sehen konnte. Also war sie eben kein normaler Mensch, sie hatte mich durch ihr Verhalten nur glauben lassen, sie wäre einer.

Sie zog mich zu sich, sie klammerte sich an mich. „Halt mich fest! Ich will mich nicht verlieren…“

Ich tat, was sie sagte, aber ich begriff nichts. Denn meine Angst schlug über mir zusammen wie eine Monsterwelle, und ich hatte das Gefühl, dass ich ertrinken müsste, dass ich mich auch auflöste, dass ich sterben würde. Aber mein Wille, Madame zu beschützen, war stärker, und aus dieser Stärke schöpfte ich die Kraft, meine Panik zu besiegen und sie an mich drücken und ihren Körper wärmen, der eiskalt geworden war. Dass ich vergessen hatte zu atmen, merkte ich erst, als sie tief Luft holte und sich langsam von mir löste.

Ich erwartete, dass sie jetzt sehr böse sein würde, wegen dieser ungehörigen Umarmung, wegen meiner Wahnidee, sie würde sich freuen, das Haus ihres ehemaligen Vertrauten wiederzusehen. Aber nichts dergleichen geschah. Sie stand auf, ein wenig mühsam wegen ihres bandagierten Knies, sie ging die Treppe hinunter in das Wohnzimmer und hinaus auf die sonnige Terrasse. Sie winkte mir, ihr zu folgen.

Von hier aus war der Ausblick auf das Tal des Mesab noch schöner als von unserem Haus aus. Aber wie konnte ich nur an die schöne Aussicht denken, wo Madame gerade…

Ja, was eigentlich? Ich hatte keine Ahnung, was da eben passiert war.

Aus Verlegenheit ging ich zurück in die Küche und holte ihr ein Glas Wasser. Sie nahm es an, aber sie trank nicht. Sie sagte: „Tomas, ich schulde dir eine Erklärung.“ Ich schüttelte heftig den Kopf, aber natürlich hatte sie Recht. Ich brannte auf eine Erklärung.

„Ich nehme an, du weißt, was die weißen Pfade sind, denen die Atlantiden durch den Weltraum folgen, und denen Donovan Lee Seymour überall hin folgen konnte und in jede Zeit und in jede Wahrscheinlichkeit… und ich … ich war wohl zu lange mit ihm beisammen, zu eng verwoben mit seinem Schicksal, zu …tief drinnen in allem…ich kann sie auch sehen. Nicht oft. Ich will sie nicht sehen. Ich fürchte mich vor ihnen. Aber dieses Haus ist wie ein… Nexus aus weißen Linien, und beinahe hätte er mich verführt, 18 Jahre in die Vergangenheit zu gehen, nur um ihn wiederzusehen und ihm nahe zu sein… und das wäre nicht richtig gewesen, gar nicht richtig…“

Jetzt nahm sie endlich einen Schluck Wasser. Sie wartete auf eine Reaktion von mir. Die Stimme in mir, die vorgestern gesagt hatte, Madame hatte einen langen Tag…, die sagte jetzt: „Ich kann mir vermutlich nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie sehr Sie ihn vermissen.“

Darauf antwortete sie nicht.

„Aber das bleibt unter uns!“, sagte sie schließlich. Es klang rau, keine Bitte, mehr ein Befehl, eine unumstößliche Tatsache.

Wir gingen zurück in das Erdgeschoß, ich nahm den Einkauf an mich und wir verließen das Haus, in das wir nie wieder zurückkehren würden. Meine Überraschung hatte eine schlimme Wendung genommen. Ich verfluchte mich für meine Gedankenlosigkeit.

Zu Hause tat sie, als ob nichts gewesen wäre. Madame Anesh Diama´na bereitete leckere Gemüsetaschen zu, und als Petar und Joel heimkamen, wurden sie frisch frittiert und mit der scharfen Sauce serviert. Petar war sichtlich froh, dass er einmal nicht kochen musste, und Joel meinte, diese Gemüsetaschen seien viel besser als die meiner Mutter. Aber das sagte er vielleicht nur, weil er Bier mittrinken durfte.

Der missratene Ausflug in Van Leydens ehemaliges Haus wurde nicht erwähnt. Während Madame die Gemüsetaschen vorbereitete, versorgte ich die Rosen. Ich nahm die dunkelroten aus dem Strauß und gab sie in eine eigene Vase, die ich dann in einem unbeobachteten Augenblick in ihr Zimmer stellte. Der restliche Strauß war immer noch groß genug, schmückte unser Wohnzimmer und machte das Abendessen beinahe festlich.

Vielleicht war das mit den Rosen auch wieder so eine unbedachte Idee von mir, aber ich konnte es nicht mehr ungeschehen machen. Leicht beduselt vom Bier und etwas Hochprozentigem aus den Geheimvorräten meines HaVau und schwer aufgewühlt von den Ereignissen dieses Tages wälzte ich mich später in meinem Bett, konnte nicht einschlafen, spürte immer noch ihren Körper an meinen gepresst und die unnatürliche Kälte, die von ihm ausgegangen war. Trotzdem erregte mich die Erinnerung daran. Ich kam einfach nicht herunter von meinem Adrenalin-Trip. ´Chet, was für ein Tag! Meine Hand wanderte nach unten und ich versuchte, mir Erleichterung zu verschaffen. Doch danach war ich noch unzufriedener als zuvor.

Am nächsten Morgen, ich musste spät dann doch noch eingeschlafen sein, schämte ich mich so, dass ich nicht mit den anderen frühstücken wollte. Erst als ich hörte, wie Petar und Joel nach neun Uhr das Haus verließen, wagte ich mich aus meinem Zimmer und hoffte, Madame nicht im Wohnzimmer anzutreffen.

Zu meinem Glück war es ein wunderschöner Spätsommertag, das Haus hatte alle Solarpaneele ausgefahren und Madame lag halb in der Sonne, halb in ihrem Schatten auf der Terrasse und kraulte Felix. Ich sprach sie nicht an, sondern verschwand gleich in der Küche und machte mir ein Müsli mit Äpfeln. Als ich es gegessen hatte, meldeten meine Specs, die ich meinem Zimmer gelassen hatte, laut und lästig einen eingehenden Kontakt.

Es war Jordis, meine Mutter, und sie wollte wissen, wie es uns ginge mit Madame Anesh Diama´na. Kaum hatte ich gut