Die Eltern als Fundament, Säule und Rückhalt im Werdegang jugendlicher Athleten und Athletinnen - Peter Kirschner - E-Book

Die Eltern als Fundament, Säule und Rückhalt im Werdegang jugendlicher Athleten und Athletinnen E-Book

Peter Kirschner

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  • Herausgeber: Freya
  • Kategorie: Lebensstil
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
Beschreibung

"Sie behandeln meinen Sohn falsch", sagte ein Vater zu einem Spitzentrainer. Der Trainer baute die Informationen des Vaters gezielt in die Trainingspraxis ein. Der Schüler wurde später Sieger der Vierschanzentournee. Eltern spielen eine entscheidende Rolle in der Entwicklung und Begleitung jugendlicher Spitzenathlet_innen. Im Spitzensport stehen das Leistungsprinzip und die Leistungsoptimierung im Vordergrund. Der Mensch in seiner Ganzheit und Individualität wird in diesem fordernden System nicht berücksichtigt. Aktuelle Konzepte in der Sportpsychologie belegen jedoch, dass bei sportlichen Höchstleistungen immer der Mensch als Gesamtheit in Betracht gezogen werden muss. Eltern sind in diesem Zusammenhang deshalb ein wichtiges Bindeglied zu den Ausbildnern, weil sie in der Regel ihr Kind am besten kennen.

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Seitenzahl: 474

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Widmung

Für meine Familie und allen Elternvon Kindern im Spitzensport

Dr. Peter Kirschner

Die Eltern als Fundament, Säule und Rückhalt im Werdegang jugendlicher Athleten und Athletinnen

Dank und Anerkennung:

Ich danke an dieser Stelle allen interessierten und hilfsbereiten Menschen, welche an der Entstehung und Vollendung dieses Werkes beteiligt sind. Mein besonderer Danke gilt Stephanie Mattersberger und Magdalena Graber für das Korrekturlesen sowie Arnd Meusburger und Flatz Michael für die fachliche und menschliche Beratung.

eISBN 978-3-99025-352-6

Alle Rechte vorbehalten

2017 © Dr. Peter Kirschner

Freya Verlag GmbH

4020 Linz, Austria

www.freya.at

Layout: freya_art

Lektorat: Mag. Dorothea Forster

Coverfoto und U4: EXPA Pictures

printed in EU

Inhalt

Vorwort

1. Denkanstöße

2. Fragen von Eltern jugendlicher Spitzensportler_innen

3. Welche Personen und Hilfestellungen benötigen Kinder und Jugendliche im Spitzensport?

4. Fallbeispiele zum Verhalten der Eltern in Krisensituationen

5. Die Perspektive der Athleten_innen

6. Angst bei jugendlichen Hochleistungssportlern_innen

7. Die Stimmen der Eltern als Eltern-Ich

8. Beziehungspädagogik als wichtige Säule in der Eltern-Kind-Beziehung

9. Bewertungen von Eltern, Schülern_innen

10. Resilienz

11. Das Angebot der Sportpsychologie

12. Verschiedene Perspektiven und Sichtweisen

12.1. Die Schüler_innenperspektive

12.2. Die Trainer_innenperspektive

12.3. Die Athleten_innenperspektive

13. Burnout-Gefahr

13.1 Fallbeispiele aus der Praxis

13.2. Eltern brauchen Information und Hilfe

13.3. Erschöpfung bei Eltern

13.4. Ratsuchende Eltern

14. Sportpsychologie in Tirol

14.1 Was macht den_die erfolgreiche_n Nachwuchssportler_in aus?

14.2. Sportpsychologische Beratung im Gesamtsystem

15. Authentische Menschen als Begleiter_innen

15.1. Welche Rolle spielen Eltern im Sport für Kinder und Jugendliche?

15.2. Fallbeispiele aus der Praxis

16. Relevante Aspekte und Beispiele aus Eltern- und Trainer_innensicht

17. Elternarbeit als wichtige Säule in der Sportpsychologie

17.1. Elternarbeit in der Internatsschule für Skisportler_innen

17.2. Elternwünsche

17.3. Fragen des Verfassers

18. Perspektiven im Coaching jugendlicher Spitzenathleten_innen

18.1. Eltern im Sport

18.2. Persönlichkeitsentwicklung im Leistungssport

18.3. Persönlichkeitsentwicklung jugendlicher Leistungssportler_innen

18.4. Sportler_innenbiographien

19. Ressourcen und Potenziale von Eltern nutzen

20. Persönlichkeitsentwicklung an Sporteliteschulen

20.1. Ziele der Internatsschule für Skisportler_innen in Stams

21. Elternarbeit in Schulen mit dualer Ausrichtung

21.1. Helikopter-Eltern

21.2. Schulmediationen

22. Welche Komponenten sind für den Entwicklungsprozess von Kindern und Jugendlichen im Spitzensport wichtig?

23. Elternarbeit

23.1. Der Blick von Jugendlichen im Spitzensport auf die Eltern

24. Aufbau von Selbstvertrauen, Selbstwirksamkeit und Selbstkonzept bei jugendlichen Spitzensportlern_innen

25. Die Frage nach dem Sinn

25.1. Elternstress

25.2. Stress bei Kindern und Jugendlichen

26. Motive von Eltern hochbegabter Kinder und Jugendlicher im Spitzensport

27. Methoden der Mentalberatung in der Elternarbeit

27.1. Mit mentalem Training zum Erfolg – Eine Einführung für zukünftige Spitzensportler_innen

27.2. Motiviert, konzentriert und richtig aktiviert sein, wenn es darauf ankommt

27.3. Bewegungsabläufe verbessern durch mentales Training

27.4. Gelassen bleiben, auch wenn es mich ärgert

27.5. Positive Kommunikation mit Team und Trainer_innen

27.6. Wettkämpfen lernen – vorbereiten, durchziehen, auswerten

27.7. Ich als Elternpersönlichkeit

28. Synergien im System bündeln

28.1. Was Eltern sich für ihre Kinder und Jugendlichen auf ihrem Weg zum Spitzensport wünschen

28.2. Welche Bezugspersonen sind für Kinder und Jugendliche im Spitzensport wertvoll?

28.3. Pädagogen_innen als Unterstützer_innen

28.4. Das Sportgymnasium Mals

29. Kompetenzorientierung in sportlichen Eliteschulen

29.1. Menschliche Kompetenzen sind gefragt

29.2. Menschen benötigen Sozialkompetenz

29.3. Welche Impulse ergeben sich aus dieser Perspektive?

29.4. Kooperation von Trainern_innen, Lehrern_innen und Eltern im Spitzensport

30. Die Eltern als entscheidender Rückhalt

31. Anregungen und Wünsche aus dialogischer Perspektive

31.1. Impulsfragen für Eltern und Sportler_innen

31.2. Fragenkatalog für Eltern und jugendliche Spitzensportler_innen

31.3. Ziele für Eltern

31.4. Statements von Eltern

32. Das Konzept Eltern stärken – Ermutigung zum Dialog

32.1. Dialogische Lernkultur

32.2. Der Dialogprozess

32.3. Eltern im Dialog

33. Konklusionen

34. Wann haben Kinder und Jugendliche sicheren Halt?

35. Praktische Fallbeispiele

35.1. Fallbeispiel 1

35.2. Fallbeispiel 2

35.3. Fallbeispiel 3

35.4. Fallbeispiel 4

35.5. Fallbeispiel 5

35.6. Fallbeispiel 6

36. Wie sehen Eltern ihre Aufgaben im Spitzensport?

36.1. Anliegen von Müttern und Vätern zum Wohle ihres Kindes im Spitzensport

36.2. Welche Bezugspersonen sind für Talente im Spitzensport wichtig?

36.3. Folgende Fragen zum Wohl Jugendlicher im Spitzensport sind zu klären

36.4. Nichtförderliches Verhalten

36.5. Förderliches Verhalten – Ressourcen stärken

37. Motive für den Spitzensport am Beispiel jugendlicher Hochleistungssportler:

38. Das Leitbild von Stams

38.1. Störfaktorentraining

38.2. Zentrale Störfaktoren bei jugendliche Spitzenathleten

39. Wertschätzung als prioritäre Währung im Coaching

40. Die ethische Aufgabe des_er Trainers_in

41. Wertschätzende Elternbeziehungen

42. Externe Vertrauenspersonen

42.1 Menschlichkeit verbindet

43. Elternkritik

44. Die Bedeutung von Mentaltraining

45. Kinder und Jugendliche im Hochleistungssport

46. Eltern im Gespräch mit Sportpsychologen_innen

47. Studien

48. Spannungsfeld Eltern – Trainer_innen – Athlet_innen:

49. Authentische Vertrauenspersonen für Jugendliche im Hochleistungssport

50. Die Eltern-Kind-Beziehung am Beispiel Sport

51. Die Eltern-Trainer_innen-Beziehung im Sport

52. Mehrfachbelastungen im Hochleistungssport Jugendlicher

53. Was benötigen Kinder und Jugendliche im Spitzensport?

53.1 Existenzielle pädagogische Grundlagen im Spitzensport

53.2. Geforderte Kompetenzen der Eltern

53.3. Welche Werte sind im Spitzensport zu vermitteln?

53.4 Wie können die zehn Gebote des systemischen Denkens für den Coachingprozess fruchtbar

54. Eltern und Mentaltraining

55. Das Dialogkonzept

56. Die Aufgabe der Schule

57. Erfahrungen des Verfassers in der Elternarbeit im jugendlichen Spitzensport

Fragebogen: Eltern

58. Rückblick und Ausblick:

Literaturverzeichnis

Vorwort

Das Schreiben an diesem Buch hat deswegen Parallelen mit einem Mentaltraining, weil:

ich in einem speziell auf dieses Thema abgestimmten mentalen Routentraining aus verdeckter Wahrnehmungsperspektive aufgeregt durch Schlüsselstellen klettere, dabei Knotenpunkte markiere, bei Bedarf die Lage mit Experten_innen erkunde und sorgfältig die zu wagenden Schritte prüfe. Ich versuche, achtsam zu sein, lege Ruhepausen ein, übe mich in Geduld, bewahre und lasse los, ankere und sortiere sinnvolles und für mich wertvolles Gedankengut, und begegne in diesem Prozess interessanten und wertvollen Menschen. Ich bleibe fokussiert, arbeite mit Affirmationen und versuche, wenn schon nicht in einen flow zu gelangen, die Kraft und Magie einiger weniger Augenblicke zu nützen. Ich spüre, dass ich im und am Schreibprozess lernen durfte, mich nolens volens vielen Herausforderungen stellen musste, fachlich und vor allem menschlich viel dazulernen durfte und dabei nie das Ziel aus den Augen verlor. Im inneren Team der Stimmen reüssierte schließlich der helfende, seelsorgliche, pastorale Stimmenchor. In diesem Prozedere war der Weg das Ziel. Am Top angekommen, hoffe ich das Werk aus der Außen- und Innenperspektive zufrieden betrachten zu können. Eine neu sich ergebende Routenwahl wird wieder andere Schritte und Episoden zu erzählen wissen.

Das vorliegende Buch ist in ausgewählten Teilen das Ergebnis der mentalen Praxis des Verfassers an der Internatsschule für Spitzensportler_innen in Stams und gibt einen Einblick in die Erfahrungen vornehmlich aus der Elternperspektive und der psychosozialen Säule des Mentaltrainings.

1. Denkanstöße

„Wenn Du weißt, was Du tust, kannst Du tun, was Du willst.“

(M. Feldenkrais)

Wenn Du weißt, was Du liebst, spürst Du, was Du willst. Liebe ist die Voraussetzung für Alles. Frieden und Liebe mögen immer Deine Begleiter sein.

Das erkenntnisleitende Interesse für dieses Buch besteht darin, zu ergründen, was sich Eltern denken, wie sie fühlen, was sie beachten sollen, welche Schritte sie setzen bzw. unterlassen sollen, welche Stärken sie einbringen können und sollen und wie sie in ein duales Ausbildungssystem mit spitzensportlichem Schwerpunkt integriert werden können.

Die Arbeit beinhaltet sportpsychologische Befragungen und Interventionen mit dem Ziel, ein dichtes und engmaschiges familiäres Netz um die Athleten_innen im Alter von 14 bis 19 Jahren aufzubauen.

Es ist mir als in der Praxis arbeitender Sportpsychologe sehr wichtig, auch das soziale Umfeld der Sportler durch sportpsychologische Interventionen systemisch zu erfassen.

Das Buch möchte unter anderem in Anlehnung an die Erfahrungen des Verfassers im Spitzensport Eltern vermitteln, dass Höchstleistungen zu erbringen nicht andauernd möglich ist. Erholungsphasen sind unverzichtbar im Leben von Menschen mit hohem Druck und hoher Leistungserwartung.

Die Psychologie der Achtsamkeit und der Buddhismus lehren uns: Auch im alltäglichen Tagesablauf sollte gelten: Gehen sie immer Schritt für Schritt vor, in Achtsamkeit und Aufmerksamkeit als Voraussetzung für Entschiedenheit.

„Leben wir im Grunde nicht alle von dem Vertrauen, wenn es drauf ankommt, auch ohne Vorleistungen akzeptiert zu werden? Wann aber können wir das wirklich von Grund auf glauben? Muss unsere Existenz erst einmal als berechtigt erwiesen werden durch Tüchtigkeit und Züchtigkeit, durch Tauglichkeit und Tugendhaftigkeit, durch Redlichkeit und Rechtlichkeit, so sind wir im Grunde Verlorene.“ (Drewermann, 2007: 62f.)

Mentalarbeit mit Kindern, Jugendlichen und Eltern im Spitzensport wird im Buch durch konkrete Fallbeispiele belegt. Die Biographie der handelnden Personen ist anonymisiert.

Dieses Buch ergab sich gleichsam als Folgewerk zum Ganzheitlichen Mentaltraining im Spitzensport (Kirschner, 2014) insofern, als verantwortungsvoll gelebte Elternschaft eine große Bedeutung für die sportliche Entwicklung ihres Kindes hat.

„Sie behandeln meinen Sohn falsch“, sagte ein Vater zu einem Spitzentrainer. Der Trainer hörte aufmerksam den Worten des Vaters zu. Er baute die Informationen des Vaters gezielt in die Trainingspraxis ein. Der Schüler wurde später Sieger der Vierschanzentournee.

In vielen Eltern-, Trainer_innen- und Erziehergesprächen reifte im Verfasser die Erkenntnis, wie Eltern die (Mental)Arbeit mit jungen Talenten unterstützen können und in welcher Form sie im Coaching hilfreich sein können.

Wann sollen Eltern loslassen?

Wann aktiv eingreifen?

Wann und wie fordern?

Wann und wie fördern?

Ein weiterer Beweggrund für die Entstehung dieses Buches sind Elternsprechtage und außerschulische Begegnungen mit Eltern zum Beispiel in Dialogseminaren. In diesem Kontext – sowohl interpersonell als auch intrapersonal – zu optimieren, kann eine große Herausforderung für den_die in der Praxis arbeitenden Sportpsychologen_innen sein.

„Winning is not enough“, sagt J. Stewart, ohne meine Eltern im Hintergrund hätte ich es nicht geschafft. In manchen Fällen von Elternschaft gibt es eine Ähnlichkeitshemmung bei bestimmten Persönlichkeiten, in einigen Fällen ist das älteste Kind betroffen. Wenn das „Double“ versagt, ist es meist noch schlimmer für den Elternteil, als wäre er_sie selbst erfolgreich gewesen. Nahezu jede freie Minute wird in das Kind investiert. Das Kind gehorcht in den meisten Fällen. „Was blieb mir anderes über, berichtet ein Ausnahmeathlet im persönlichen Interview. Mein Vater gab alles vor, ich und Mutter hatten zu gehorchen. Widerspruch wagten wir des heimischen Friedens willen nicht.“, berichtet ein Weltcupgesamtsieger im persönlichen Interview.

„Manche Mütter erfahren ihre Kinder als Erweiterungen ihrer selbst, das hat mit Liebe nichts zu tun, es erstickt Individualität. Oft erwarten diese Mütter von ihren erwachsenen Kindern, dass die sofort herbeieilen, wenn sie rufen, und sie akzeptieren nicht, dass diese vielleicht eigenen Pläne hatten. Die Kinder sind von Schuld geplagt und denken unterbewusst, dass sie kein eigenes Leben verdienen.“ (Forward, 1990: S. 14)

In den sensiblen Lebensabschnitten ist es besonders wichtig, Menschen an der Seite zu haben, die imstande sind, den Rücken anderer Menschen zu stärken. Dazu gehören Menschen, die fest im Leben stehen, beziehungsfähig sind, in der entsprechenden Situation Mut zeigen und dadurch richtig handeln. (vgl. Längle, 2016: S. 14)

Im Regelfall sind die Eltern die wichtigsten und stabilsten Partner_innen der Kinder. Sie sind es auch, welche bei internen Befragungen Jugendlicher in Stams (2015/16) an erster Stelle genannt werden.

Welche Fragen jedoch sollen sich Eltern stellen?

Was verändert sich bei den Eltern durch den Eintritt ihres Kindes in eine sportliche Eliteschule?

Wie sehe ich mich selbst als Elternteil im Spitzensport? Als: Motivator-Unterstützer-Informator-Führer-Katalysator-Vertrauensperson oder als Pusher?

Wie kann ich erspüren, worum es geht?

Wann setze ich welche Methode ein?

Wann und wie bringe ich welche Prozesse in Gang?

„Ein Mensch ist immer mehr als das, was ein anderer oder er selbst von sich wissen kann.“

(K. Jaspers)

Die hohen Belastungsspitzen eines dualen Schulsystems mit spitzensportlicher Ausrichtung zeigen sich in unterschiedlichen psychosozialen Auswirkungen, wie z. B.:

Erschütterung des Grundvertrauens

Verletzung des Grundwertes

Verletzung des Selbstwertes

Verlust der Sinn- und Zukunftsorientierung

Wesentlich zur Abklärung der Fragen in der Betreuung, ist in diesem Kontext die Frage nach dem Menschenbild der Eltern:

Wie gehe ich mit meinem Kind um, was will ich durch Erziehung bewirken, wie bin ich selbst orientiert?

Wie ist es um das Humanum, das Humanethos bei den Eltern bestellt?

Was bedeute für mich Vater bzw. Mutter zu sein?

Wie will ich als Elternteil „bilden“?

Nutze ich Angebote der Elternbildung?

Was macht den Menschen letztlich aus?

Eine existenziell ausgerichtete Erziehung, die der ganzheitlichen Bildung des Menschen verpflichtet und im Leitbild der Internatsschule von Stams verankert ist, ist insofern immer in Bewegung, als sie am Menschen, nicht an Fehlerlosigkeit und Perfektionismus orientiert ist.

„Wollen wir wirklich nichts weiter von uns, als dass wir im Konkurrenzkampf die Fittesten ermitteln? Dann Gnade uns Gott – oder hol uns der Teufel! Beides wird dasselbe sein. Wir sind dann aber nicht wirklich Menschen.“

(E. Drewermann)

Wie ist es bestellt um?

Ganzheitlich existenzielle und personorientierte Erziehung ist orientiert an Wert-schätzung, Einzigartigkeit, Subjektivität und Würde jedes Menschen. Diese humanistische Pädagogik ist ausgerichtet an der Personalität der Athleten_innen.

Wertschätzung als Währung des Lebens kann als wichtige Maxime im Coachingprozess und generell im Umgang mit Menschen gelten.

Der Mensch ist wichtig, weil es ihn gibt – unabhängig von seiner Leistung.

V. Satir ist es wichtig, Eltern die Fähigkeit zu vermitteln, ihre Kinder und sich selbst zu Menschen mit tragendem Selbstwertgefühl unter dem Aspekt Achtung und Liebe heranreifen zu lassen, all ihre Gefühle bewusst wahrzunehmen und mit eigenen Kräften und Ressourcen wie den Gegebenheiten der Umwelt kreativ und positiv umzugehen. (vgl. Satir, 2011: S. 8)

2. Fragen von Eltern jugendlicher Spitzensportler_innen

„Erziehe Dich selbst, bevor du Kinder zu erziehen trachtest.“

(J. Korczak)

Erfolg hat viele Väter und Mütter. Welche spezifische Rolle spielen Väter und Mütter in der mentalen, psychosozialen Begleitung ihrer Talente, speziell bei Eintritt in neue schulische Ausbildungssysteme? Weil Eltern ihre Kinder in der Regel gut kennen, sind sie einzubinden in die Balance aus Regeneration und Belastung, welche individuell zu gestalten ist. Es ist für die Eltern von großem Vorteil, eine gute Vertrauensbasis mit allen im System Schule Arbeitenden zu schaffen und auch geheime Lehrpläne der Schule zu kennen. Eltern sind aufgerufen, aktiv am Schulgeschehen zu partizipieren und sich zum Wohle ihres Kindes ständig auch über Neuerungen zu informieren.

Fallbeispiel:

„Und plötzlich war mein Kind draußen“, berichteten besorgte und traurige Eltern nach zwei Jahren Schule und Spitzensport ihrer Tochter. Ich wusste nach 30 Sekunden, ohne eine Silbe gesprochen zu haben, dass meine Tochter diese Schule verlassen wird. Wir fühlten uns als Eltern so minderwertig, klein und hilflos. Was sollten wir tun? Alles war plötzlich so kalt. Wir sind so enttäuscht! Dieser Sport bedeutet alles für unser Kind.“ (Interview mit einer Mutter einer Athletin; 2013)

Der Wechsel ihres Kindes in eine Schule mit leistungssportlicher Ausrichtung bedeutet auch eine Zäsion und eine große Herausforderung für die Eltern. Viele Bereiche des bisherigen Lebens wie zum Beispiel das gesamte Zeitmanagement ändern sich und bedürfen einer neuen Klärung, welche für alle Betroffenen nicht immer einfach ist und mitunter externer Hilfe bedarf. Welche Ratgeber sind in dieser Situation hilfreich? Auch Eltern haben einen Spagat auf unterschiedlichen Ebenen zu vollziehen.

„Entscheidend für eine günstige Entwicklung ist das soziale Umfeld von Kindern und Jugendlichen, wobei insbesondere den Eltern in dieser Hinsicht eine Schlüsselfunktion zu kommt: Erfahrene stetige Unterstützung in der Bewältigung der anstehenden Aufgaben, das Gefühl emotionaler Sicherheit im engen sozialen Umfeld und eine damit verbundene erlebte Verlässlichkeit innerhalb der Familie, der Freunde und Betreuer, sind hierbei von hervorgehobener Bedeutung. Alle Beteiligten sollen sich in ihren Zielsetzungen dabei immer vor Augen führen, dass eine Karriere als Spitzensportler nur einigen wenigen Athleten vorbehalten bleibt – und dass auch deren Karriere irgendwann (früher als im „normalen“ Berufsleben) zu Ende gehen wird.“ (Schweer, 2011: S. 14)

Folgende Fragen sind von Eltern zu klären:

Wie kann ich dazu beitragen, dass mein Kind mit unterschiedlichen Situationen in Wettkämpfen umgehen lernt?

Wie kann mein Kind seine kindliche Freiheit wiedergewinnen?

Wie kann jungen Menschen im Umgang mit störenden Gedanken und verschiedenen Belastungen geholfen werden?

Wie gelingt es mir als Elternteil immer wieder ein Stück Heimat und Geborgenheit in das Leben meines Kindes zu bringen?

Liebe ich das Kind im Leistungssport mehr als meine anderen Kinder?

Wie empfinden die Geschwister von Leistungssportlern?

„Ein ganz wichtiges Mittel, um glücklich zu sein, besteht darin, sich genau zu überlegen, ob man hinter der Entscheidung, die man trifft, wirklich steht. Und wenn man das tut, inklusive aller Schwierigkeiten. Die lohnen sich dann für diese Liebe, für diesen Menschen, für dieses Ziel. Und es gibt nichts mehr zu bedauern oder zu betrauern.“ (Drewermann, 2002: S. 71)

Auf dem Weg zur Vermittlung der dialogischen Haltung zur Stärkung der Eltern im Hochleistungssport ist es naheliegend, durch Fragen eigene Antworten der Befragten anzuregen. Begegnung im Dialogischen Sinne entsteht dort, wo wir uns unmittelbar und als ganzer Mensch einem anderen Menschen von „Wesenskern zu Wesenskern“ zeigen.

„Aus existenzialistischer Perspektive ist es sehr spannend zu beobachten, wie innere Prozesse der Auseinandersetzung in mentalen Prozessen und Erfahrungen im Dialog zwischen Athleten/Innen und Eltern spürbar ist. Wem die eigene Entwicklung ein Anliegen ist, wird von der Existenziellen Erziehung profitieren. Erziehung ist ja auch deswegen besonders spannend und herausfordernd, weil sie nicht eine Tätigkeit „außerhalb“ des Menschen ist, sondern ihn zu sich selbst zurückführt. In wenigen Berufsfeldern wird der Mensch so sehr auf seine Person zurückgeworfen, steht seine Person so sehr am Prüfstand wie in der Erziehung. „Im Kern geht es in der Existenziellen Erziehung darum, beim Anderen und bei sich selbst zu sein, von sich selbst weg- und gleichzeitig auf sich selbst zurückkommen.“ (Waibel, 2011: S. 15)

Für eine gesunde Entwicklung des Jugendlichen können Eltern folgende Fragen reflektieren:

Welche Menschen in meinem Entwicklungsprozess haben bereits Spuren hinterlassen und mich beeindruckt?

Welche prägenden Eindrücke haben meine Eltern hinterlassen?

Führen diese Spuren auch wirklich mehr zu mir hin?

Hat mich die Spur anderer Menschen in irgendeiner Weise verletzt oder aufgerichtet?

Welche Spuren im Umgang mit mir selbst hinterlasse ich?

In welcher Form verletze ich meinen Selbstwert, indem ich mich abwerte?

Wie gehe ich mit mir um, wenn ich aus meiner Sicht (vermeintlich) versage?

Welche Menschen sind für die Erfahrung meines Selbstwertes wichtig?

Wer kann mir helfen, meinen Selbstwert zu entdecken und zu bergen?

Von welchen Menschen werde ich in meinem Wert, meiner Einzigartigkeit und

Kostbarkeit wahrgenommen?

Welche Menschen helfen mir beim Entwurf und der Gestaltung meines Lebens?

Welches Selbstverständnis prägt mich?

In diesem Zusammenhang ist es für jeden Menschen wichtig, zu spüren, dass der Selbstwert nicht in dem gründet, was er leistet, sondern in dem, was er ist. So ist das Ergreifen des eigenen Selbstwertes, der man ist, der Beginn für ein beziehungsreiches Leben.

Auch der Mensch selbst ist für die Entdeckung und Bergung seines Selbstwertes verantwortlich. Indem ich von einem Menschen in meiner Kostbarkeit und meinem Wert wahrgenommen und erkannt werde, ergreife ich mich selbst und entwerfe mich in die Welt und in das Leben hinein.

„Eltern, die ihrem Kind entwicklungsfördernde Unterstützung geben, fühlen sich zuständig und stellen sich den Aufgaben, die mit Erziehung und Beziehung verbunden sind. Sie sind bereit, ihren Lebensentwurf mit dem des Kindes zu verbinden und Veränderungen in ihrem eigenen Leben zu akzeptieren, ja diese sogar als individuelle Entwicklungschancen zu verstehen.“ (Tschöpe-Scheffler, 2015: S. 39)

M. Buber betont im Dialogprinzip stets die innere Haltung und Achtsamkeit unter dem Aspekt der Zuwendung und des Geschenkes der reinen Aufmerksamkeit.

„Die Welt ist dem Menschen zwiefältig nach seiner zwiefältigen Haltung. Die Haltung des Menschen ist zwiefältig nach der Zwiefalt der Grundworte, die er sprechen kann. Die Grundworte sind nicht Einzelworte, sondern Wortpaare. Das eine Grundwort ist das Wortpaar Ich-Du. Das andere Grundwort ist das Wortpaar Ich-Es; [...] Somit ist auch das Ich des Menschen zwiefältig. Denn das Ich des Grundworts Ich-Du ist ein andres als das des Grundworts Ich-Es.“ (Buber, 2008: S. 3)

Auf den Sport bezogen bedeutet der dialogische Ansatz: Individualbetreuung unter dem Aspekt Achtsamkeit und Aufmerksamkeit als Voraussetzung für Entschiedenheit.

Zwei Olympioniken und WM Teilnehmer berichten im Interview 2016:

„Je älter Sportler werden und sich in ihrer Individualität ausprägen, desto wichtiger wird es, auf sie einzeln einzugehen, bestimmte Situationen mit ihnen im Nachhinein aufzuarbeiten und zu diskutieren. Menschen bzw. Sportler wollen ernst genommen werden und müssen auch so behandelt werden. Das heißt auch, dass man Strukturen schaffen muss, welche eine Individualbetreuung ermöglichen. An der Schaffung solcher Strukturen, gemeinsam mit dem Schulsystem, den Eltern, dem Sportler selbst und dem Trainer, muss laufend gearbeitet werden, weil nur sie einen Raum ermöglichen, in dem sich Sportler und Sportlerinnen als Persönlichkeit entwickeln können.

Wenn Sportler gezielt benachteiligt werden, tragen dies Menschen mit sich herum, fühlen sich unverstanden und nicht respektiert. Es ist bemerkenswert und macht gleichzeitig traurig, wenn man aus eigener Erfahrung spüren muss, wie tiefgründig solche Konflikte sein können, und wie lange man daran leidet und mit sich herumträgt.“ (Interview mit Raich & Stecher; Ethik Grundkurs Innsbruck 2016)

In solch einem Umfeld ist es schwierig, Leistungen abrufen zu können. Manchmal ist mitunter bei Lehrern_innen in Schulen oft ein gewisses Unverständnis gegenüber den Bedürfnissen und Problemen von jugendlichen Athleten vorzufinden. Dies kann sich in verschiedenen Bereichen negativ auswirken: Sportler leiden unter schulischem Misserfolg oder ungerechter Behandlung. Wie erwähnt, sind Strukturen, in denen sich junge Sportler bewegen, sei es schulischer oder vereinsspezifischer Natur mitunter sehr komplex und haben unterschiedliche Einflussfaktoren auf die Psyche des Menschen. „Nur wenn die unterschiedlichen Systeme gut und synergetisch aufeinander abgestimmt sind, kann eine gesunde psychosoziale Entwicklung erfolgen. Soziale Medien haben diesen Druck verstärkt. Der Sportler soll sich häufig präsentieren, muss sich ein Image schaffen, und an diesem laufend arbeiten. Bei medial aufbereiteten Erfolgen oder Misserfolgen soll umgehend reagiert werden. Um diesem Druck standzuhalten, sind junge Sportler frühzeitig einzuschulen und auf den richtigen Umgang mit Medien vorzubereiten.“ (Interview mit Raich & Stecher; Ethik Grundkurs Innsbruck 2016)

Eltern, Lehrer_innen und Bildungsreform:

Kaum ein anderes Thema bewegt in der österreichischen Bildungspolitik in jüngster Vergangenheit die Menschen so sehr wie der Zustand unserer Schulen. Die Schule bestimmt die Zukunft und soll für unsere Kinder und Jugendlichen den sozialen Aufstieg garantieren. Dagegen stehen Klagen über Lehrer_innenmangel, Unterrichts-ausfall, große Klassen und knappe Finanzmittel. Von Schülern_innen wird über Leistungsdruck und Gewalt berichtet, und Eltern sind in Fragen der Schullaufbahn ihrer Heranwachsenden verunsichert. Dazu kommt der demographische Wandel, wonach es künftig in unserer Gesellschaft weniger junge Menschen mit einem wachsenden Anteil aus Zuwandererfamilien geben wird.

Im Buch von J. Schmalohr, „Klassenzimmer als Bildungsgipfel“, wird der Ansatz bei den „Ursachenzuschreibungen“ auf Fragen von Lehrern_innen, Schülern_innen und Eltern angewendet und mit der Zielsetzung seelische Gesundheit in den Rahmen von Aufgaben der Bildungsreform gestellt.

Im Klassenzimmer entscheiden sich Erziehung und Bildung der Heranwachsenden für den Start ins Leben.

Nach Erfahrungen von Rost komme es in der Schule darauf an, dass der_die Lehrer_in individuell differenzieren kann und unterschiedliche Lernwege nicht nur zulässt, sondern auch fördert. „Noch so viel Hilfe von außen und noch so viel Beurteilung von außen können nicht mithalten mit der Erkenntnis, die der einzelne Hochbegabte selbst gewinnt. Wir können dem einzelnen noch so oft sagen, das hast du gut gemacht. Ob er es wirklich gut gemacht hat und ob er am Ende seines Leistungsvermögens angekommen ist, das weiß nur er selbst. Er weiß, ob er genug dafür getan hat, ob er noch mehr hätte erreichen können, etwa mit mehr Einsatz, und ob er dann zu einer Leistung kommt, zu der er aus seiner inneren Sicht ‚ja’ sagen kann.“ (Rost, 1995: S. 41)

Schüler_innen haben ihre eigene Sicht von der Schule, wenn es um die Aufgaben des Lernens und die Beziehungen zum_zur Lehrer_in und den Mitschülern_innen geht. Sie bewegen sich dabei zwischen Elternhaus und Schule, wobei Eltern und Lehrer_innen ihnen helfen, in die bestehende Kultur und Gesellschaft hineinzufinden. Das Dreieck Lehrer_innen-Schüler_innen-Eltern bedarf in den verschiedenen Interessenlagen zunächst der Klärung, welche am besten in gemeinsamen Sitzungen unter der Leitung eines_einer außenstehenden Mediators_Mediatorin (Vermittler_in) gelingt.

An vielen Schulen sind Vertrauenslehrer_innen tätig, an manchen auch Schulpsychologen_innen und Schulsozialarbeiter_innen. Der Erfolg des Eingreifens hängt nicht zuletzt davon ab, ob es dem_der Mediator_in gelingt, von den Konfliktparteien als faire_r Vermittler_in anerkannt zu werden. Dazu hat er_sie darauf zu achten, dass nicht der Anschein erweckt wird, er_sie würde sich auf eine Koalition mit einem oder zwei der Kontrahenten einlassen. Dafür sind die sechs Kommunikationsregeln hilfreich, die auf einem Plakat in einem „Mediatoren-Raum“ an einer Realschule zur „Streitschlichtung“ aufgeführt sind:

Entspanne dich, sorge für Abkühlung, wenn die Gefühle kochen.

Sprich immer konkrete Situationen bzw. Verhalten an.

Beschränke dich auf das aktuelle Problem.

Sprich von deinen Gefühlen, Wünschen, Interessen.

Sprich von dir selbst („ich“), vermeide Verallgemeinerungen („man“).

Höre dem anderen aufmerksam zu und sei Dir der drei Säulen des Selbstvertrauens bewusst:

01. Fähigkeiten02. Verantwortung03. Anerkennung

Es kommen in beinahe jedem Mentaltraining Kompetenzen wie Selbstvertrauen, Selbstwert, Selbstwirksamkeit und Selbstbewusstsein zur Sprache. Wertschätzung und Selbstachtung sind weitere wichtige Säulen in der Mentalberatung. In diesem Kontext kommen immer auch die Eltern zum Vorschein.

„Fragen, was es heißt, ein guter Vater zu sein, (Fröbel) oder wie Eltern selbst mit ihren Kindern recht umzugehen haben, sind heute wie damals ebenso aktuell wie die Auseinandersetzungen mit pädagogischen Themen, wie sie Comenius im „ Informatorium der Mütterschul“ beschreibt oder Ideen zu einer speziellen Mütterbildung bei Pestalozzi. Hierzu gehören auch die Ausführungen zur Förderung von Selbsterziehung und Selbstreflexion der Erzieher (Salzmann, Rousseau, Korczak) als Voraussetzung für jede Erziehung.“ (Tschöpe-Scheffler, 2006: S.11)

Elternsein als Entwicklungsaufgabe:

Die Eltern schaffen mit ihrer Erziehung die Grundlagen für die Bildung und Erziehung in der Schule und begleiten ihre Kinder und Jugendlichen in ihrer Schullaufbahn.

„Ehrgeizige Eltern versuchen, ein solches Kapital für ihre Kinder so früh wie möglich anzulegen. Sie lassen sie mit fünf oder sechs Jahren ein Musikinstrument lernen, weil Hirnforscher sagen, das sei gut für die Synapsen. Sie schleppen sie durchs Museum, weil das die Sensorik mobilisiert. Sie geben ihnen Bücher oder Tablets, weil das die Lesekompetenz erhöht. Es geht dabei nicht um Musik, Bilder oder Geschichten. Deren Innenleben erschließt sich nämlich erst dort, wo sie mehr sind als eine Verfügungsmasse, wo sie einen eigenen Sog und Zauber entfalten, die Aufmerksamkeit gefangen nehmen, Zeit und Stunde vergessen lassen – also eine Haltung der Hingabe, des Innehaltens, des Verweilens hervorrufen, die bei effizienter Kompetenzgenerierung nur stört.“ (Türcke, 2016: S. 143f.)

Ihre Sorge für das Kind, es zu fördern und ihm zu helfen, seine Kräfte zu entwickeln, setzen sie im Schulalter fort und arbeiten mit dem_der Lehrer_in zusammen. Sie erleben ihr Elternsein dann als Position zwischen ihrem Kind, das in die neue Rolle des_der Schülers_in hineinfindet, und dem_der Lehrer_in, der_die die Anforderungen der Gesellschaft in Form des Schullernens verkörpert.

„Denn wir alle haben (wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß) gelernt, uns in andere Menschen hineinzuversetzen und zu verstehen, was diese motiviert und diese brauchen. Durch die Analogsetzung von Innenwelt und Außenwelt können wir dieses Verständnis auf den Umgang mit uns selbst übertragen. Wenn wir innere Anteile, mit denen wir es schwer haben, als Personen begreifen, die wie äußere Personen von Gefühlen bestimmt werden und die vor dem Hintergrund ihrer eigenen Biografie handeln – dann wird es uns leichter fallen, nachzuvollziehen, warum diese sich manchmal auf eine Weise verhalten, die uns ganz und gar nicht gefällt.“ (Kumbier, 2013: S. 19)

„Überall lernt man nur von dem, den man liebt.“

(J. W. von Goethe)

Fast das gesamte Privatleben von jugendlichen Athleten_innen im Spitzensport hat sich nach Trainings- und Wettkampfplänen bzw. Schule auszurichten. „Talent“ zu haben allein genügt bei der Dichte im heutigen Spitzensport nicht mehr, um ganz an die Spitze zu gelangen. Ein enormer Trainingsaufwand ist zusätzlich zu bewältigen und muss sehr sorgfältig unter bewegungswissenschaftlichen, trainingswissenschaftlichen, biomechanischen und sportpsychologischen Parametern vorbereitet und geplant werden.

Eine gezielt, strukturiert geplante Sportkarriere zeigt auch, dass diese von unterschiedlichen Einflüssen und Bemühungen anderer Menschen gesteuert ist:

Leistungssport verlangt von Kindern und Jugendlichen sehr viel ab – tägliches Training, gezielte Ernährung und mentale Stärke sind wichtige Säulen für den Erfolg. Der Rückhalt durch die Familie hilft, Rückschläge und Niederlagen besser zu bewältigen und Resilienz aufzubauen. Es stellt sich aus menschlicher, psychologischer, pädagogischer, medizinischer und sportwissenschaftlicher Sicht die Frage, ob im Kindes- und Jugendalter die Präferenz pro Hochleistungssport die richtige Entscheidung ist. Welche Menschen sind an diesem Entscheidungsprozess beteiligt?

Den Anforderungen des Spitzensports zu genügen und gleichzeitig die Schule zu schaffen, stellt die Athleten_innen vor eine große Herausforderung. (vgl. Kirschner, 2014: S. 29f.) Im Spitzensport geht es in der Hauptsache um das Erbringen von wettkampfbezogenen, körperlichen Leistungen und wesentlich darum, Wettkämpfe zu gewinnen. Sieg oder Niederlage ist für das Handeln im Spitzensport von höchster Bedeutung. Im Leistungssport geht es um die Steigerung der eigenen sportlichen Leistung und darum, eine bessere Leistung als der Gegner zu erzielen. Das Erbringen von Leistung ist identisch mit dem sozialen Status.

Schule und Leistungssport sind zwei verschiedene Systeme mit unterschiedlichen Zielen und struktureller Koppelung mit beiden Systemen. Die Athleten_innen werden von diesen zwei Systemen stark beansprucht. (vgl. Mayer, 1995: S. 22)

Den sportleistungsorientierten Jugendlichen stehen folgende Wege offen, um Schule und Sport zu vereinen:

„Ich will Olympiasieger werden. Diesem großen Ziel ordne ich alles unter.“ (16-jähriges Nachwuchstalent, 2016)

01.Die Jugendlichen entscheiden sich dafür, ihre sportliche Karriere zu Lasten der schulischen Ausbildung zu bestreiten. Sie sind bereit, schlechte schulische Leistungen in Kauf zu nehmen und diese durch sportliche Erfolge zu kompensieren.

02.Die leistungssportlichen Jugendlichen setzen eine höhere Priorität auf einen optimalen Schulabschluss. Diese Jugendlichen investieren nebenbei Zeit und die Bereitschaft in Training und Wettkämpfe. Die im Sport erbrachte Leistung ist ohne Spitzenwerte zu erreichen und die schulische Leistung ist überdurchschnittlich.

03.Die hochtalentierten Heranwachsenden engagieren sich stark in der Schule und erzielen einen adäquaten Bildungsabschluss. Mit der gleichen Bereitschaft widmen sie sich ihrem Training und ihrer Teilnahme an Wettkämpfen. Sie nehmen dafür in Kauf, dass ihr Alltag sich fast ausschließlich um Schule und Sport dreht und zeitlich so geformt ist, dass für Freizeit und andere Interessen nur noch wenig Zeit bleibt.

Ein Lösungsversuch zur Verknüpfung von Bildungs- und Sportkarriere stellt die sogenannte „Sportbetonte Schule“ dar. In diesem System geht es in erster Linie um eine optimale Verbindung von Schule und Leistungssport. Eine erfolgreiche Kooperation zwischen Schule und Sport ist vor allem davon abhängig, in welchem Maß es gelingt, solche Bedingungen in der Schule zu schaffen, die es den jungen Athleten_innen erlauben ihre sportlichen Leistungen zu erfüllen und gleichzeitig die schulischen Pflichten gerecht zu werden. Aufgrund der strukturellen Möglichkeiten einer „Sportbetonte Schule“, ist sie in der Lage die Doppelbelastung, die durch die Anforderung von Schule und Sport entstehen, zu mindern.

Aus Untersuchungen zum Sozialklima in Schulklassen geht hervor, dass die Rolle der Lehrer_innen bei der Betreuung für die Unterstützungsqualität und die Bewältigung der Belastungen einen hohen Stellenwert hat. Schüler_innen von „Sportbetonten Schule“ wünschen sich zutiefst ein harmonisches Lehrer_innen-Schüler_innen-Verhältnis und eine große Zufriedenheit und hohe Beziehungsqualität im Unterricht.

Trotz der höheren Belastungssituationen im Hochleistungssport kann es gelingen, an „sportbetonten oder Eliteschulen des Sportes“ bzw. an Schulsportleistungsmodellen ein positives Sozialklima zwischen Schüler_innen und Lehrer_innen und auch innerhalb der Kassengemeinschaft zu schaffen.

Jugendliche, die Hochleistungssport betreiben, haben enorme Belastungsumfänge und Belastungsspitzen zu bewältigen. Zu den 30 Stunden Unterricht in der Schule kommen in Abhängigkeit von der Sportart, dem Alter und des sportlichen Entwicklungsstandes, Trainingsumfänge, mit ungefähr 20 Stunden pro Woche dazu. Zum wöchentlichen Training und Unterricht sind auch die Fahrzeiten zu addieren. Insgesamt hat dieser Jugendliche eine „Arbeitswoche“ von 60 bis 80 Stunden zu bewältigen. In der Internatsschule für Skisportler sind im Durchschnitt 55 Stunden pro Woche zu absolvieren.

Nicht nur der große Trainingsumfang, sondern auch die Doppelbelastung – Training und Schule – stellen eine große Herausforderung für den_die Athleten_in dar. Empirische Studien belegen, dass die jungen Leistungssportler_innen wegen der geringen freien Zeit, die sie haben, selbstständig, ökonomisch und sinnvoll mit der freien Zeit umgehen. (vgl. Güllich, 2001: S. 89) Nach erfolgreicher Absolvierung der Schule berichten Athleten_innen von exakter Strukturierung des Alltages und Durchhaltevermögen; Parameter, welche sie in diesen Schulen erlernt haben und sich im späteren Leben in verschiedenen Transferwirkungen zeigen können. In diesem Zusammenhang spielen soziale Bezugspersonen eine entscheidende Rolle für den Karriereverlauf eines_einer jungen leistungssportlichen Athleten_in. Sie besitzen unterschiedliche Funktionen im Rahmen des sozialen Handelns und des Leistungsverhaltens der Sportler_innen. Den Bezugspersonen kommen unterschiedliche Aufgaben und Funktionen zu.

Die Schule wird meist als ein Ort von Anforderungen und als Belastungsquelle gesehen. Schule kann aber auch als ein Ort der Begegnung von unterschiedlichen Menschen angesehen werden, welcher unterstützend und fördernd wirken kann im Hinblick auf die Persönlichkeitsentwicklung. Ein Netz von sozialer Unterstützung sind z. B. die Mitschüler_innen mit ähnlichen Interessen. Schulkollegen_innen können helfen, Probleme abzufangen und Stresserleben zu reduzieren. Durch emphatische Pädagogen_innen erfahren die Jugendlichen Wertschätzung, persönliche Fürsorge und Respekt, erhalten Unterstützung und Anerkennung. Das eigene Selbstbild wird dadurch geprägt und gestärkt.

Die Unterstützung besonders der Eltern, der Freunde und der Trainer_innen ist ein wichtiger Schutzfaktor zur Abfederung unterschiedlich ausgeprägter negativer Effekte. Kinder und Jugendliche, die den Leitungssport anstreben, benötigen elterliche Unterstützung in höchstem Ausmaß, weil Eltern in den meisten Fällen die größte Bedeutung für die Entwicklung und Sozialisierung ihrer Kinder im Sport haben. Darüber hinaus üben Eltern unterschiedliche Rollen aus:

Welches Elternverhalten jedoch ist wirklich förderlich, wie funktioniert die Kooperation zwischen Trainern_innen und Eltern, wie nehmen jugendliche Athleten_innen das Verhalten ihrer Eltern wahr? Jugendliche Athleten_innen sind nolens volens in mehrere soziale Systeme mit unterschiedlichen Anforderungen eingebettet.

Nach A. Güllich belegen Studien, dass der_die junge Athlet_in vor allem dann positive Unterstützung erfährt, wenn die Erwartungen der Eltern hinsichtlich der Erfolge im Sport und in der Schule realistisch und ausgeglichen sind.

Andererseits können Risiken auftreten, besonders dann, wenn Erwartungen enttäuscht werden. Zu erwünschtem Elternverhalten zählen Kinder keine taktischen und technischen Hinweise, da diese im Aufgabenbereich der Trainer_innen liegen. Des Weiteren sollten Eltern sich eher auf Einstellungen und Submodalitäten in ihren Sprachrückmeldungen konzentrieren, als auf unreflektiertes Bewerten von Wettkämpfen ihrer Kinder. Darüber hinaus wird auch das Anfeuern, welches in deskriptiven Studien als positiv kategorisiert wurde, von Kindern unter anderem als negativ und störend gewertet. Diese Ergebnisse zeigen, dass Kinder die Aussagen ihrer Eltern durchaus differenziert bewerten und klare Vorstellungen darüber besitzen, welches Verhalten für sie hilfreich wäre. „Wenn mein Vater sich nicht immer in relevante Aspekte der Technik und der Sportpsychologie einmischen würde, wäre mir schon sehr geholfen.“ (Interview mit einer Teilnehmerin; Ethik Grundkurs Innsbruck 2016)

In erster Linie haben die Trainer_innen die Aufgabe, die Leistungsentwicklung der jungen Sportler_innen zu organisieren und zu gestalten. Verantwortungsvolle Trainer_innen sind darüber hinaus auch bemüht, die sozialen Bezugspersonen der jungen Sportler_innen in ein erweitertes Team zum Wohle des_der Sportlers_in zu integrieren. Der_die Trainer_in sollte stets Freude am Sport vermitteln und dessen Werte auch für andere Lebensbereiche fruchtbar machen können. Zusätzlich kann er_sie durch die Förderung von sozialen, emotionalen und persönlichen Kompetenzen auch das Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein jugendlicher Sportler_innen fördern.

Die Trainer_innen jugendlicher Spitzensportler_innen sollen demzufolge auch soziale und pädagogische Kompetenzen im Umgang mit ihren Schützlingen aufweisen. Befragungen junger Athleten_innen belegen, dass speziell in Ballsportarten große Defizite in diesem Kompetenzbereich gegeben sind. Die jungen Athleten_innen vermissen bei nicht wenigen Trainern_innen Rücksichtnahme im schulischen Bereich ebenso wie bei Freizeit-bedürfnissen. Andererseits erhalten Trainer_innen eine hohe Anerkennung und Wertschätzung, wenn es sich um die fachlichen Kompetenzen – für eine systematische Entwicklung der sportlichen Leistung – handelt. Bei einer Untersuchung über die Tragfähigkeit sozialer Netzwerke in der Zeit nach dem Sport wurden 23 Dropout-Fälle befragt, ob und in welchem Umfang die jeweiligen Trainer_innen an der Bewältigung der Zeit der Sportbeendigung Anteil nahmen. Die Trainer_innen stellten für den Großteil der Athleten_innen keine_n bereitwillige_n oder offene_n Gesprächspartner_in dar. (vgl. Güllich, 2001: S. 88)

Das leistungssportliche Engagement im Kindes- und Jugendalter kann viele soziale Erfahrungen miteinschließen. Die Beziehungen und der Kontakt zu gleichaltrigen oder auch älteren Trainingspartnern_innen, älteren sportlichen Vorbildern, die Beziehung zu Trainern_innen und Betreuern_innen kann ein soziales Klima bilden und reifen lassen.

Die jugendliche Entwicklung und Sozialisation der heranwachsenden Leistungssportler_innen vollzieht sich einerseits unter den Bedingungen eines nicht zu unterschätzenden Belastungspotentials, andererseits können die jungen Sportler_innen auf ein soziales Netz zurückgreifen. Als Messinstrument für die Entwicklung der Persönlichkeit im Jugendalter dient das Selbstkonzept.

Das Selbstkonzept ist das Bild, das Menschen von sich selbst im Hinblick auf wichtige Kapitel des eigenen Lebens und der eigenen Person haben. Dieses Konzept beinhaltet mehrere, unterschiedliche Facetten und typische Entwicklungsaufgaben im Jugendalter.

Es können ein intellektuelles, ein soziales, ein emotionales, und ein körperliches Selbst-konzept unterschieden werden. Daraus resultiert schließlich das Selbstwertgefühl, das dazu beiträgt, wie ein Mensch bestimmte Situationen aufnimmt.

Die Befundlage der Sozialisation und Selbstkonzeptentwicklung junger Leistungssportler_innen zeigt, dass sich keine Hinweise auf ein Risikopotenzial des Hochleistungssports beobachten lassen und dass kein einziger Bereich der Selbstwahrnehmung ungünstig ist.

Trotz der enorm hohen Belastungen in sportlicher und schulischer Sicht, erreichen die jungen hochleistungssportlichen Athleten_innen ähnliche Ergebnisse wie ihre Altersgenossen und entwickeln auch ein entsprechendes vergleichbares intellektuelles Selbst-bild. Auch im Hinblick auf geringere soziale Beziehungen und Kontakte aufgrund der hohen zeitlichen Belastungen, lassen sich keine empirische Bestätigung finden. Das soziale Selbstkonzept der Sportler_innen weist keinerlei soziale Isolierung auf. Die Befunde im Bereich des emotionalen Selbstbildes – der Indikator für psychische Beeinträchtigungen, fallen ebenfalls nicht negativ aus im Vergleich zu gleichaltrigen Jugendlichen. Das gleiche kann man nun auch auf das körperliche Selbstbild der jungen Athleten_innen beziehen. Diese empirischen Ergebnisse zeigen, dass die Wirkung hochleistungssportlicher Aktivitäten auf die psychosoziale Entwicklung keinen negativen Einfluss nimmt. (vgl. Güllich, 2001: S. 90)

3. Welche Personen und Hilfestellungen benötigen Kinder und Jugendliche im Spitzensport?

Jugendliche Spitzensportler_innen benötigen im komplexen System des Leistungssportes emphatische und fachlich bestens geschulte Persönlichkeiten als Baustein der Persönlichkeitsentwicklung. Sie sollen in diesem Netzwerk Ansprechpartner_innen für Probleme sein. Es sind in dieses Handlungsfeld mehrere Ebenen, wie z. B. Eltern, Trainer_innen, Erzieher_innen, Therapeuten_innen, Sportpsychologen_innen … einzubinden.

Die Eltern sind zwar im Hintergrund, aber immer im Bewusstsein des Kindes als unsichtbare Größe präsent. Eltern als gute Geister, zwischen Schutzengeln und Dämonen, zwischen Mentaltrainern_innen, Gurus und energetischen Heilern_innen. Eltern als Antreiber. Eltern sollen Brücken bauen, nicht Mauern. Eltern sind die ersten Menschen, die ihren Kindern mentale Stärke vermitteln sollen.

„Denn im entscheidenden Moment findet Alles zwischen den Ohren und den Augen statt, also im Kopf, wo Erfolge und Niederlagen passieren. Von Eltern geht mitunter eine bedrohende Gewalt im Kopf aus.“

(T. Bernhard)

Kinder und Jugendliche haben allein nicht die Kraft, sich dieser Gewalt zu entziehen. Überehrgeizige, mitunter fanatische Eltern geraten mitunter in die Narzissmusfalle. Speziell in Wettkampfsituationen konnte der Verfasser in verschiedenen Reaktionen von Elternteilen narzisstische Tendenzen festmachen. Elternteile zeigten plötzlich eine ganz andere Seite von ihnen, nämlich die narzisstische. Andere Eltern wurden z. B. beschimpft, die eigene Tochter bedroht. Es gibt Beispiele, in denen nach Wettkämpfen Schweige-pausen zwischen Elternteil und Kind wegen ihrer schlechten Performance eintreten. „Im narzisstischen Hochgefühl des Herrschens […] lebt der Mensch manche Seite aus, die er sonst wohl zu verbergen weiß: Egozentrizität, Anspruchshaltung, Hochheben der eigenen Fähigkeiten, Verachtung und Entwertung der anderen.“ (Haller, 2013: S. 84)

In Elterngesprächen ist im Sinne von R. Haller auch eine bunte Narzisstengalerie zu erkennen. In Supervisionen und Intervisionen eigene Narzissmen sowie den Alltagsnarzissmus zu entdecken, lohnt sich, zumal dieses Phänomen in unserer Leistungsgesellschaft im Zunehmen begriffen ist. Will nicht jeder Mensch unbedingt anerkannt und bewundert werden? Wird die eigene Bedeutung mitunter nicht maßlos überschätzt? Was jedoch steckt hinter dieser Fassade? Warum verfallen überehrgeizige Eltern im Bereich des Sports in Rücksichtslosigkeit und entwerten andere Menschen? Wie ist es um den Selbstwert der Eltern bestellt, wenn sie sich maßlos überschätzen und ihre Erfolgsvorstellungen in ihre Kinder projizieren. „Der Narzisstenspiegel weist sie aber auch auf die positive Kraft von Ich-Stärke und Selbstliebe hin. Er spiegelt Ihnen die unangebrachten Zweifel und Minderwertigkeitsgefühle, Ihre unnötigen Komplexe, die Ängste und Depressionen. Wie im Spiegel des Narren geht es um die nackte Wahrheit, um nichts sonst. Blicken Sie hinein in diesen Psychospiegel, erblicken Sie das Gesicht der modernen Gesellschaft, sehen Sie unsere Welt. Erkennen Sie das Wesen der Menschen, erkennen Sie sich selbst.“ (Haller, 2013: S. 15)

E. Fromm berichtet in „die Antwort der Liebe“ von vielen Masken des Narzissmus. „Da die narzisstischen Anteile bei jeder Persönlichkeit unterschiedlich gewichtet sind und von jedem Menschen anders ausgelebt werden, gibt es so viele Narzissmustypen, wie es Menschen gibt. Allerdings lassen sich einige Grundformen erkennen, in denen die vier Hauptelemente des Narzissmus – Egozentrizität, Empfindlichkeit, Empathiemangel, Entwertung – in mehr oder weniger einheitlichen Konstitutionen verteilt sind.“ (Haller, 2013: S. 189)

Eine Voraussetzung für die Erfahrung von Selbstwert ist die Vermittlung der Erfahrung von Kostbarkeit und Einmaligkeit und erfolgt primär durch die Eltern. Die Eindrücke, welche Bezugspersonen, vornehmlich die Eltern, im Leben ihrer Kinder hinterlassen, sind Prägungen, welche das Kind fördern oder verletzen können. Als Mentalbegleiter jugendlicher Spitzensportler fühle ich mich menschlich verpflichtet, gemeinsam mit dem Athleten_innen an der Entdeckung und Bergung seines_ihres Selbstwerts mitzuwirken und sie auf ihrem Weg der Selbstverwirklichung und Selbstwirksamkeit zu begleiten. In diesem Kontext sind die Begegnung und der Austausch mit deren Eltern unerlässlich für ein gelingendes Coaching. Der_die Sportpsychologe_in begleitet Menschen immer auch in Sinnfragen.

„In der Interaktion mit den Eltern und anderen nahen Bezugspersonen lernen Kinder, eigene Gefühle wahrzunehmen und diese voneinander zu unterscheiden. Entscheidend dafür ist, dass die Eltern die Gefühle ihrer Kinder angemessen wahrnehmen und adäquat darauf reagieren.“ (Kumbier, 2013: S. 138)

4. Fallbeispiele zum Verhalten der Eltern in Krisensituationen

Eine Mutter berichtet:„Ich lerne jedes Wochenende mit meinem Sohn, den Lernstoff, welchen er während der Woche nicht aufnehmen und verarbeiten konnte. Wir schaffen es bald nicht mehr und brauchen Hilfe in diesem beinharten Getriebe Leistungssport und Schule. Sowohl ich als auch mein Sohn suchen Inseln der Ruhe und sehnen uns nach Geborgenheit und Menschlichkeit. Wenn mein Sohn am Sonntag Richtung Schule fährt, zählt er schon am Tag davor die Stunden zu Hause. Wenn er fährt, weint er immer. Diese Situation stellt auch eine Belastung für unsere Partnerschaft dar. Es war erforderlich mit Hilfe eines Therapeuten, unsere Beziehung völlig neu zu definieren und auch zu gestalten. Wir sind voll gefordert und wollen lediglich, dass unser Kind glücklich wird. Wann wird das aufhören?“

Wenn sich Eltern ungebührlich massiv in den Sport ihrer Kinder einmischen oder gar einnisten, kann das für die jugendlichen Sportler_innen

a)hemmend sein, weil sie mit dem aufgelasteten Druck der Elternteile nicht fertig werden oder auch

b)enervierend, weil sie immer wieder in Konflikt mit Teamkollegen_innen und dem_der Trainer_in kommen können.

Kinder sollen immer ihren eigenen Weg (auch im Sport) gehen dürfen. Leider ist Eltern manchmal nicht bewusst, was sie mit ihren Haltungen und Interventionen bewirken und welchen Einfluss sie damit auf ihre Kinder ausüben. Mitunter haben es Trainer_innen im Umgang mit den Eltern der ihnen anvertrauten Kindern und Jugendlichen sehr schwer. In Teamsportarten sind auch Neid- und Protektionsvorwürfe festzumachen.

Vor allem bei jenen Eltern, welche selbst an einer erfolgreichen Sportkarriere gescheitert sind und versuchen, dies durch ihre Kinder zu kompensieren und in dieser Weise aufzuleben zu lassen. In den meisten Fällen gehen diese Wünsche ins Leere und sind insofern auch kontraproduktiv, weil dadurch nicht wenige Kinder die Lust am Sport verlieren, manchmal sogar aufhören oder die Sportart wechseln. Eine wichtige Aufgabe des_der Trainers_in neben der Aneignung und Vertiefung von Sachkompetenz ist es, unermüdlich den Dialog mit den Eltern zu führen.

Auch heute noch agieren einige Trainer_innen wie Diktatoren_innen. Lediglich ihre Meinung zählt, alle Athleten_innen haben nach ihrer Pfeife zu tanzen, Widerrede ist unerwünscht. Mittlerweile hat sich auch das Trainer_innenbild nicht zuletzt durch den Paradigmenwechsel in unserer Gesellschaft verändert. Manche Trainer_innen sind kommunikativer im Umgang mit den Athleten_innen als z. B. noch vor 20 Jahren, bauen sie gezielt in die Trainingsplanung ein und wirken motivierend auf die Athleten_innen mit dem Ziel, diese ohne Druck und Einschüchterung an ihren Leistungszenit heranzuführen.

Mittlerweile können Trainer_innen, welche am Puls der Zeit agieren, dank der Entwicklungen und hohen Standards in den Sportwissenschaften Überbelastungen im Sport weitgehend vermeiden. Entscheidend ist, dass im Umkehrschluss auch Athleten_innen mit den Trainern_innen den Dialog suchen. Wertschätzende Kommunikation verbindet und ist immer hilfreich.

Elternproblematiken im Sport aufgezeigt an unterschiedlichen Beispielen:

Beispiel Eiskunstlauf:

Im Eiskunstlauf gibt es Beispiele, in denen aufgezeigt wird, dass Eltern mehr wollen als ihre Kinder.

»„Ich finde es vor allem bedenklich, wenn die Eltern auch noch in Fragen der Ernährung „mitmischen“. Eine Trainingspartnerin von mir hatte so eine Mutter, die ständig meinte „sie solle auf das Gewicht aufpassen“. Es ist zwar leider so, dass im Eiskunstlauf das Gewicht bei den Sprüngen eine große Rolle spielt, aber wenn man nicht mehr isst verliert man Muskelkraft und am Ende kann man schlechter Springen als zuvor. Das Mädchen, damals ca. 13 Jahre alt, war eine gute Läuferin und konnte auch gut Springen. Sie war vom Körperbau sehr athletisch, hatte kaum Fett sondern viel Muskulatur. Leider wurde sie magersüchtig. Ich denke, dass dies nicht nur durch ihre Mutter verursacht wurde, aber mit verursacht. Bemerkenswert ist, dass im Eiskunstlauf eher Mädchen zur Magersucht neigen“, berichtet eine Mutter.

Veraltete Trainingsmethoden:

Leider gibt es im Eiskunstlauf Trainer_innen, vorwiegend aus dem ehemaligen Ostblock, welche nach „veralteten Trainingsmethoden“ arbeiten. Dazu fällt mir eine 16-jährige Läuferin ein. Das Mädchen ist klein und dünn, eine gute Läuferin und Springerin. Es gibt einen Sprung, vor dem sich das Mädchen fürchtet, weil es dabei immer auf den Trochanter Major fällt. An dieser Stelle hat sie aufgrund der Vielzahl an Stürzen einen Bluterguss, welcher sich eingekapselt hat und nicht mehr selbstständig resorbiert. Ich habe von anderen Läufern erfahren, dass die Ärzte gesagt hätten, der Bluterguss sei operativ zu entfernen. Das Mädchen nahm bei einem Wettkampf teil. Man sieht bereits beim Anlauf, dass dieser misslingen wird, weil das Mädchen fürchtet, wieder auf dieselbe Stelle zu stürzen. Dies passierte dann auch.

Die Trainerin ignorierte dies sowohl im Wettkampf als auch im Training. Sie vertritt folgende Meinung: „Ein starker Athlet hält die Belastungen aus.“ Außerhalb des Eises weint das Mädchen aufgrund ihrer Schmerzen und der Unerträglichkeit der Gesamtsituation.

Was denken sich die Eltern? Wäre das mein Kind, hätte ich…was unternommen?

In der Disziplin Eiskunstlauf wird häufig die Meinung vertreten, dass „gute Trainer_innen“ eigene Erfolge aufzuweisen hätten.

Beispiel Triathlon:

Welche Rolle spielen meine Eltern bei meiner Entscheidung für Triathlon?

»„Meine Eltern spielen keine große Rolle bei meiner Entscheidungsfindung für diesen anspruchsvollen Sport. Meinen Vater habe ich erst als Jugendliche kennengelernt und verloren. Zu meiner Mutter habe ich kein gutes Verhältnis, weil sie meinen Sport nicht schätzt.

Neben dem Studium, der Arbeit und der Beziehung zu meiner Mutter ist es für mich schwierig, für mein Training Zeit und Energie für die Belastungen aufzubringen.

Aufgrund meiner Sponsorenverträge muss ich meine Leistungen im Wettkampf zeigen. Ich spüre, dass meine Konzentration leidet und ich „Anfängerfehler“ im Wettkampf mache. So habe ich zum Beispiel in der Wechselzone mein Fahrrad nicht gefunden, den Helm zu früh geöffnet und schließlich meinen Wechselbeutelplatz vergessen. Ich mache Fehler, die Strafen zur Folge haben. Auch beim Training kann ich meine Leistungen nicht steigern, denn ich bin mit meinen Gedanken nicht bei der Sache.

Weder meine Mutter noch mein Vater unterstützen mich bei meinem Traum, Profiathletin zu werden. Ich musste mir alles selber erarbeiten, finanzieren, organisieren und planen. Meine Mutter kann meine Leidenschaft für diesen Sport nicht nachvollziehen. Im Kreis der Triathleten fühle ich mich wohl, in meiner Familie leider nicht.

Ich habe für mich meine Sportart gefunden. Jetzt bin ich schon zwei Jahre mit dieser Sportart verbunden und werde dafür kämpfen und das letzte Energiepotential aus mir herausschöpfen, um Profi zu werden. Bei meinem ersten Triathlon, wurde ich Tiroler Meisterin und wusste, dass ich es mit intensivem Training und guter Vorbereitung schaffen kann. Ich trainierte viel und stellte von heute auf morgen mein ganzes Leben um. Sport steht für mich an erster Stelle. Dann kommt das Studium, meine Familie und Freunde. Zu Beginn war es für mich eine schwere Entscheidung, Sport oder Leben. Ab diesem Zeitpunkt wurde ich zur Einzelkämpferin.

Unterstützung und Zuspruch erhalte ich von meinen Großeltern. Sie sind für mich der Mutter und Vater-Ersatz. Ich fühle mich immer wohl, wenn ich im Kreise meiner Großeltern bin. Ich erzähle

Ihnen viel über meinen Sport und sie hören mir zu. Sie freuen sich immer, wenn ich einen Wettkampf erfolgreich absolviert habe und sie meine Preise und Zeitungsartikel sehen und lesen dürfen. Sie sind stolz auf mich und unterstützen mich finanziell. Ich denke, wenn meine Mutter mehr Verständnis für meinen Sport hätte, dann wäre es auch für mich leichter, klare Gedanken im Wettkampfund Training zu fassen. Meine Geschwister begleiten mich bei jedem Wettkampf.

Zusammenfassend kann ich sagen, dass die momentane Situation sehr schwierig ist. Es ist eine schwierige Situation, welche ich jedoch meistern werde“, berichtet eine Triathletin.

Eltern im Rodelsport:

„Ohne aktive Mithilfe der Eltern ist die Disziplin Rennrodeln kaum zu bewältigen. Einerseits zur Betreuung an der Bahn, wo nach jedem Lauf die Rodel an den Start getragen werden muss, andererseits in der Materialpflege der Laufschienen.

Bezüglich Spannungsfeldes Eltern-Kind durfte ich in 20 Jahren im Rodelsport vielfältige und durchaus skurrile Erfahrungen machen bezüglich „Betreuereltern“:

»Elternteil & Kind ergeben ein eingespieltes Team (Vater meist bis in A-Kader Betreuer)

»Elternteil & Kind wären gern ein eingespieltes Team, streiten aber ständig (Trennung Eltern-Athlet im System Rennsport oft sobald Athlet Führerschein hat und Material selbstständig präparieren kann)

»Kind gibt den Ton an und diktiert Elternteil

»Elternteil will an seine eigene (vergangene) Karriere anschließen und „benutzt“ Kind dazu

»Elternteil ist überfürsorglich und gluckenhaft, lassen Kind kaum eigene Erfahrungen machen (ständig beschützen)

»Kind betreibt Sport Elternteil zu liebe, hat eigentlich kein Interesse (Dropout relativ früh)

»Elternteil ist faktisch nicht anwesend, interessiert sich kaum für Sportart (funktioniert nur, wenn Trainierperson vielfache Rollen übernimmt)“ (Interview mit einem Rennrodler; Ethik Grundkurs Innsbruck 2016)

Veraltete Trainingsmethoden:

Wissenschaftliche Publikationen über die Disziplin Rennrodeln sind kaum vorhanden. Obwohl in der DDR und in Russland über das Kunstbahnrodeln relativ viel geforscht wird, gibt es wenig Publikationen zu dieser Disziplin. Noch trister ist der Befund in der Disziplin Rennrodeln auf der Naturbahn, weil es keine wissenschaftlichen Publikationen dazu gibt. Daher existieren auch keine Rahmentrainingspläne mit Trainingszyklen und Anforderungsprofilen.

„Ein Jugendtrainer hatte große Mühe, mit Kindern zu arbeiten, weil Athleten_innen zwischen Holzscheiten Slalom fahren mussten und der Trainer den Abstand bewusst eng wählte. Holzscheite bereiten Schmerzen, der knappe Zwischenraum war nicht altersgerecht gewählt, der Umgangston des Trainers war hart, herrisch und autoritär. Mittlerweile ist in Österreich ein Umdenken erfolgt und es wird in den Trainingswissenschaften systematisch geforscht.

Naturbahnrodeln:

»Die Eltern spielen für die sportliche Entwicklung des Kindes in dieser Disziplin eine bedeutende Rolle. Es zeigt sich auch in dieser sportlichen Disziplin, dass sich Eltern zu sehr in den Sport der Kinder „einmischen“, da sie oft selbst in ihrer früheren Karriere gescheitert sind. Dies ist meist der falsche Schritt, um Kinder für diese Sportart zu begeistern. Die Kinder fühlen sich häufig unter Druck gesetzt und verlieren den Spaß.

Manchmal ist auch zu beobachten, dass die Situation im Jugendalter zum Problem wird, dass Teenager wegen Interessenskonflikten die Freude am Training verlieren und sich auch gegen die Vorstellungen der Eltern wenden.“ (Interview mit einem Rennrodler; Ethik Grundkurs Innsbruck 2016)

Im alpinen Skilauf ist manchmal zu beobachten, dass ehrgeizige Elternteile zu früh beginnen, ihr Kind mit Top-Material auszustatten und auch bereit sind, viel Geld dafür zu bezahlen.

Diese Problematik konnte ich deutlich beobachten: Der Vater war überehrgeizig, was dazu führte, dass sein Sohn die sportliche Laufbahn beendete, bevor sie begann.

„Ich für meinen Teil kann mit Fug und Recht behaupten, dass ich zu meinem Vater aus sportlicher Sicht eine besondere Beziehung hatte. Er hat mich von Beginn meiner Rodelkarriere bis zum 25. Lebensjahr immer als Trainer begleitet; vom Kindesalter bis ins Nationalteam. Dies gelang deshalb, weil mein Vater ein ausgeglichener Mensch ist, der sich nie in den Vordergrund drängt und jede sportliche Entscheidung mir überlassen hat. Eine gute Eltern-Kind-Beziehung kann im Sport hilfreich, aber in bestimmten Fällen für die Betroffenen und das Umfeld (Teamkollegen_innen, Trainer_innen …) störend und mitunter belastend sein. Wichtig für Athleten_innen ist es, die Interessen, Haltungen und Einstellungen früh genug zu erkennen und das Gespräch mit vertrauenswürdigen Personen zu suchen.“ (Interview mit einem Rennrodler; Ethik Grundkurs Innsbruck 2016)

Manche Eltern hoffen auf hilfreiche Informationen von Mentalberatern_innen und Sportpsychologen_innen, weil sie in diesem Feld kaum geschult sind. Manche Eltern hingegen glauben in fast allen Bereichen Experten_innen zu sein. In der Praxis des Spitzensportes geht es darum, das Miteinander im System: Lehrer_in, Erzieher_in, Trainer_in, Physiotherapeut_in, Sportpsychologe_in und Athlet_in zu beleuchten, um auftretende Schwierigkeiten gezielt meistern zu können. Einen Perspektivenwechsel zu vollziehen, im Sinne eines Einfühlens in den anderen Menschen, ist für die Trainer_innen von großer Bedeutung. Den Spagat Schule Sport, Training und Wettkampf zu bewältigen, ist ein durchgängiges Dilemma im Nachwuchsleistungssport. Sind sich die Athleten_innen bewusst, dass eine fundierte schulische Ausbildung eine hohe Bedeutung für ihr Leben nach dem Hochleistungssport haben kann?

„Junge Athleten haben durch ihre Doppelbelastung Sport – Schule nicht zwangsläufig schlechtere Noten. Entscheidend für eine günstigere Entwicklung ist das soziale Umfeld von Kindern und Jugendlichen, wobei insbesonders den Eltern in dieser Hinsicht eine Schlüsselfunktion zukommt: Erfahrene stetige Unterstützung in der Bewältigung der anstehenden Aufgaben, das Gefühl emotionaler Sicherheit im engen sozialen Umfeld und eine damit verbundene erlebte Verlässlichkeit innerhalb der Familie, der Freunde und Betreuer, sind hierbei von hervorgehobener Bedeutung.“ (Schweer, 2011: S. 14)

Aus zwanzigjähriger Erfahrung im Mentalcoaching jugendlicher Spitzensportler ist vom Verfasser anzumerken:

Jugendliche Spitzensportler_innen benötigen in erster Linie Menschen mit Herzensbildung und Interesse am Gelingen ihres Lebens. Der Verfasser erlebt sich als Mentalcoach im Spitzensport einerseits als Tutor, mit der Funktion eines Katalysators, andererseits als Zugbegleiter, der nach einer bestimmten Zeitreise bei einer von dem_der Athleten_in bestimmten Station aussteigt, Vergangenes loslässt, um seine_ihre Grenzen weiß und auch delegieren kann. Die professionelle Distanz eines_einer Sportpsychologen_in besteht darin, die mentale Betreuung im Rahmen des institutionellen Auftrages zu verrichten, sich nicht vereinnahmen zu lassen, die zu betreuenden Sportler_innen nicht zu vereinnahmen, gegenwärtig achtsam zu sein und im richtigen Moment loszulassen zu können. Die sportpsychologische Praxis kann das eigene Leben bereichern, die Aufmerksamkeit schärfen und eigene Ressourcen bergen. Wenn Spitzensportler_innen in höhere Kader aufsteigen, sind mit den veränderten Rahmenbedingungen auch neue Trainingsbedingungen in mentaler Hinsicht gegeben. Geordnete Übergänge für Athleten_innen und Trainer_innen wäre für alle im System Arbeitenden sinnvoll, erfolgen jedoch in der Realität eher selten. So verfügt z. B. der österreichische Skiverband über einen eigenen Trainerstab für die unterschiedlichen Trainingsgruppen. Die Athleten_innen werden übernommen und in einen neuen Trainerstab integriert. Aus diesem Grund stehen die Sportler_innen mitunter vor der Entscheidung eines Wechsels.

In der Entwicklungsphase Jugendlicher mit hohen sportlichen Belastungsspitzen verläuft das Leben relativ schnell.

Typische Probleme zeigen sich speziell in den ersten Klassen in der Doppelbelastung von Schule und Spitzensport als eine klassische Form von Überbelastung. Eigentlich ist es keine Doppelbelastung, sondern eine Mehrfachbelastung, die zu bewältigen ist. Nicht zuletzt aus diesem Grund suchen Schüler_innen Menschen, die ihnen ein Stück Heimat in diesem veränderten Biotop geben.

Folgende Stressoren treten durch die Doppelbelastung in Erscheinung: Schlafmangel, falsche Ernährung, instabile Familienverhältnisse, fehlendes Vertrauen in die Eltern-Kind-Beziehung.

Welche Veränderungsschritte waren für Stams Athleten_innen in diesem Zusammenhang wichtig? Welche Menschen waren in diesem Prozess wie hilfreich? Für den Aufbau von Selbstvertrauen, Selbstwirksamkeit und Selbstverwirklichung kann z. B. mit Hilfe eines_einer Sportpsychologen_in oder eines_einer Dialogbegleiters_in ein schrittweises Umstrukturieren unter Einbezug der Eltern erfolgen.

5. Die Perspektive der Athleten_innen

Meine Eltern sagten zu mir:

„Wir unterstützen Dich in jeder Hinsicht. Zieh das Optimum aus dieser Institution und nütze alle Dir gebotenen Möglichkeiten. Besuch das Mentaltraining und achte darauf, wer mit dir das Zimmer teilt. Nimm die Schule ernst, weil eine sportliche Eliteschule im Rahmen der dualen Ausbildungsschiene ein hohes schulisches Anforderungsprofil hat.“

Wie laufen die Gespräche zwischen Eltern und Kindern bei einem Schulwechsel ab?

Was denken sich Kinder, wenn sie von Eltern bezüglich eines Schulwechsels informiert und instruiert werden?

Wie informieren sich Eltern ihrerseits?

In welcher Form erfolgte die Entscheidungsfindung für den Wechsel in ein Internat, z. B. in alpine Skizentren wie Neustift, Saalfelden, Bad Gastein oder Stams?

Welche Form der Kommunikation zwischen Eltern und Kind findet statt?

Welches für das Kind relevante Umfeld befragt und in die Überlegungen miteinbezogen?

Wie erfolgte die Trennung von den Eltern?

Eltern sollen darauf achten, dass sie sich und ihren anderen Kindern ausreichend Aufmerksamkeit schenken und den Spitzensport nicht überbewerten.

Wie viel Liebe und Aufmerksamkeit wird den anderen Geschwistern geschenkt?

Wie sehen sich die Geschwister selbst?

Wie kompensiert der weniger prominente Geschwisterteil?

In welcher Form wird das in der Familie besprochen?

Wie sind die Überlegungen der Eltern vor dem Eintritt in Schule und Internat bis zum Wechsel in das Profigeschäft?

So wechselte z. B. der österreichische Spitzenskispringer und Vizeweltmeister im Team 2015, M. Poppinger, von der fünften Gymnasialklasse in die erste Handelsschule nicht zuletzt aus dem Grund, weil er sich dadurch mehr Zeit für die Ausübung „seines Sportes“ erwartete. Wie denkt M. Poppinger jetzt darüber?

„Ich bereue diesen Schritt überhaupt nicht, weil ich jederzeit die Matura oder die Studienberechtigungsprüfung machen kann. Meine bisherigen Erfolge geben mir recht.“

Eltern sind mitunter nicht zimperlich, wenn es um den Erfolg ihres Kindes geht. Es ist zu beachten, dass gezielte Anschuldigungen eines Elternteiles, eines_einer Kollegen_in – wie symbolisch in Schillers Ballade „Der Eisenhammer“ vermittelt – sehr leicht auch auf den Denunzianten zurückfallen und ihm Unannehmlichkeiten auf verschiedenen Ebenen bereiten kann.

Der Gang nach dem Eisenhammer:

„[…]

Und als er rauchen sieht den Schlot

Und sieht die Knechte stehn,

Da ruft er: „Was der Graf gebot,

Ihr Knechte, ist‘s geschehn?“

Und grinsend zerren sie den Mund

Und deuten in des Ofens Schlund:

„Der ist besorgt und aufgehoben,

Der Graf wird seine Diener loben.“

Die Antwort bringt er seinem Herrn

In schnellem Lauf zurück.

Als der ihn kommen sieht von fern,

Kaum traut er seinem Blick:

„Unglücklicher! wo kommst du her?“ -

„Vom Eisenhammer.“ - „Nimmermehr!

So hast du dich im Lauf verspätet?“ -

„Herr, nur so lang, bis ich gebetet.

„Denn, als von Eurem Angesicht

Ich heute ging, verzeiht!

Da fragt‘ ich erst, nach meiner Pflicht,

Bei Der, die mir gebeut.

Die Messe, Herr, befahlt sie mir

Zu hören; gern gehorcht‘ ich ihr

Und sprach der Rosenkränze viere

Für Euer Heil und für das ihre.“

In tiefes Staunen sinket hier

Der Graf, entsetzet sich:

„Und welche Antwort wurde dir

Am Eisenhammer? sprich!“ -

„Herr, dunkel war der Rede Sinn,

Zum Ofen wies man lachend hin:

Der ist besorgt und aufgehoben,

Der Graf wird seine Diener loben.“ -

„Und Robert?“ fällt der Graf ihm ein,