Die Erben des Traian Strigoi - Antony Almond - E-Book

Die Erben des Traian Strigoi E-Book

Antony Almond

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Beschreibung

Der zweite Teil des Erfolgromans „Die Schriften des Traian Strigoi“. Nach zehn Jahren kehrt Michael, inzwischen ein angesehener Archäologe, an den Ort zurück, an dem sein Professor und vier andere Menschen unter mysteriösen Umständen verschwunden sind. Zusammen mit Kollegen stellt er eigene Nachforschungen an und stößt schon bald auf ein Jahrhunderte altes Geheimnis, das für alle Beteiligten zur tödlichen Gefahr wird …

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Inhaltsverzeichnis

I

Antony Almond

Die Erben des Traian Strigoi

Roman

Antony Almond - Die Erben des Traian Strigoi - Roman

Alle Rechte liegen beim Autor

Copyright ©Antony Almond

I

Michael Frankenheimer hob sein Sektglas und verbeugte sich leicht vor Professor Helmholtz, der gerade eine kleine Lobrede auf seinen letzten Artikel im World History Magazine gehalten und ihm so zu seinem vierzigsten Geburtstag gratuliert hatte.

„Auf Michael!“ sagte der Professor laut, und die Umstehenden wiederholten den Toast.

Alle nahmen einen Schluck aus ihren Gläsern und lächelten Michael anerkennend zu, bevor sie sich dem small talk widmeten. Michael zog sein Jackett aus und legte es über die Lehne eines Sessels. Unter dem hellblauen T-Shirt zeichnete sich ein gut trainierter Oberkörper ab. Die dunkelblonden, halblangen Haare waren noch feucht von der Dusche, die er vor einer halben Stunde genommen hatte, nachdem er ein paar Kilometer am Neckar entlanggelaufen war. Die Anstrengung hatte ihm gutgetan und dafür gesorgt, dass er den Kopf ein wenig frei bekam vom Universitätsalltag.

Er hatte nur die engsten Kollegen und Freunde eingeladen, da seine Zwei-Zimmer-Wohnung ohnehin zu klein war, um eine größere Zahl von Menschen zu beherbergen. Das Wohnzimmer, das sich an eine amerikanische Küche anschloss, war zwar geräumig und bot vom Balkon aus einen Blick auf den Neckar, aber die Sitzgelegenheiten waren beschränkt, nahmen doch der Schreibtisch und die Regale an den Wänden den meisten Platz in Anspruch. Professor Jürgen Helmholtz, ein drahtiger Mittfünfziger mit kahlgeschorenem Kopf, nahm seine Frau Helga an der Hand und ging auf Michael zu.

„Dein Artikel ist bei Historikern und Archäologen auf sehr viel positive Resonanz gestoßen,“ sagte er. „Das gelingt nicht jedem.“

„Im Grunde ist der Artikel ja nur ein Auszug aus meiner Habilitation,“ erwiderte Michael. „Ein Nebenprodukt sozusagen.“

„Du bist zu bescheiden. Das war bereits der vierte Artikel, den du aus der Habilitation ausgegliedert hast. Du wirst eine Bereicherung für unseren Studiengang!“

„Wenn ich rechtzeitig fertig werde …“.

Helmholtz zog die Augenbrauen hoch. „Höre ich da Zweifel?“

Michael lächelte. „Nein. Ich denke, ich schaffe es in sechs Monaten.“

Helmholtz nickte zufrieden. „In einem Jahr wird die Professorenstelle frei. Die wartet auf dich!“

„Da ist ja immer noch das Auswahlverfahren.“

„Ach, das ist doch ein Klacks für dich!“ Helmholtz winkte ab. „Die Fakultät wäre bescheuert, so jemanden wie dich an eine andere Universität abwandern zu lassen. Du gehörst nach Heidelberg.“

Eine Frau mit rot geränderter Brille, die zu ihrem rotblonden Haar passte, gesellte sich zu ihnen und hakte sich bei Michael unter. „Mach´ ihm nicht zu viel Druck!“ scherzte sie mit Helmholtz. „Sonst verdirbst du ihm noch die Lust darauf, bei uns zu bleiben. Und andere Universitäten würden ihn mit offenen Armen empfangen.“

„Ich brauche ihm gar keinen Druck zu machen, meine liebe Carola. Im Gegenteil,“ verteidigte sich der Professor. „Ich muss ihn ja manchmal sogar bremsen, damit er mal durchatmet – und sich Zeit für seine Liebste nimmt.“ Er wandte sich mit einem Augenzwinkern an Michael. „Hab´ ich dir nicht schon werweißwieviele Male gesagt, du musst dir auch mal Zeit für dich und euch nehmen?!“

Michael lächelte. „Das stimmt. Wenn ich in meine Arbeit vertieft bin, vergesse ich allzu oft mein Privatleben. Selbst Carola. Das liegt wohl daran, dass ich ständig versuche, die verlorene Zeit aufzuholen.“

„So solltest du nicht denken,“ widersprach Helmholtz. „Du hast dir eine Auszeit gegönnt und danach eine Doktorarbeit geschrieben, die sich sehen lassen kann. Wenn es nicht so tragisch wäre, würde ich sagen, dass ich Glück hatte, als du mich gebeten hast, deine Arbeit zu betreuen – anstelle von Professor Schumann, nachdem er … na ja … verschwunden ist.“

Michael presste die Lippen zusammen. „Drei Jahre Auszeit waren vielleicht ein wenig zu viel,“ sagte er dann und schaute Carola an. „Andererseits hätte ich dann Carola wahrscheinlich gar nicht kennengelernt.“

„An diesem wunderschönen Strand auf Kreta, wo du in einer einfachen Hütte wie ein Eremit gelebt hast,“ ergänzte Carola und lächelte ihn an.

„Und heute ist dieser Eremit ein Liebling der Archäologen,“ sagte Helga Helmholtz.

Michael, Carola und Helmholtz arbeiteten an der Universität Heidelberg und kannten einander seit Jahren. Aus den Kollegen waren inzwischen Freunde geworden, die sich oft privat trafen und auch schon den einen oder anderen gemeinsamen Urlaub miteinander verbracht hatten. Helga war drei Jahre zuvor an die Universität gekommen und lehrte Germanistik. Seit einem Jahr war sie mit Helmholtz verheiratet.

„Und?“ sagte plötzlich eine Männerstimme hinter Michael. Michael wandte den Kopf. Konrad Mannesmann trat mit einem breiten Grinsen zu ihnen. „Wie sind deine Pläne? Ausgrabungen in Rumänien?“

Michael zuckte die Achseln. „Ich glaube nicht, dass es geklappt hat“, erwiderte er und machte Platz, damit Konrad in ihre kleine Runde treten konnte. „Die Stiftung hat dieses Jahr ihre Mittel reduziert. Da fällt eine kleine Feldforschung wie unsere wohl durch das Auswahlverfahren.“

„Kann man nichts machen,“ sagte Konrad und nahm einen Schluck aus der Bierflasche in seiner Hand. Er stand breitbeinig zwischen ihnen, die andere Hand in der Hosentasche, und machte seinem Spitznamen Macho-Mann alle Ehre. „Ansonsten hätte ich dich gerne in Rumänien besucht. Soll ja eine interessante Gegend sein.“

„Ist es auch,“ sagte Michael. „Vor einem Jahr hat man dort die Grabungen nach dem Heiligtum des Liber Pater wieder aufgenommen. Ich habe mich früher schon damit befasst.“

„Mit dem römischen Weingott? Da gibt es weit unangenehmere Themen …“. Konrad nahm wieder einen Schluck Bier.

Ein Telefon klingelte. Instinktiv fasst Michael sich an die rechte Hosentasche, doch begriff er in derselben Sekunde, dass das Klingeln aus Richtung der Küche kam.

„Ich geh´ schon ran,“ sagte Carola und klopfte ihm leicht auf die Schulter. Sie ging zum Tresen, der Küche und Wohnzimmer trennte, und nahm den Hörer des Telefons ab, das an der Wand neben dem Tresen hing. Michael blickte zu ihr, konnte aber nicht verstehen, was sie sagte. Dann kam sie mit dem Telefon in der Hand zu ihm zurück.

„Für dich,“ sagte sie und gab ihm den Hörer. „Und ich glaube nicht, dass dir jemand zu Geburtstag gratulieren will.“

Michael runzelte die Stirn und hielt den Hörer ans Ohr. „Michael Frankenheimer,“ sagte er in die Muschel.

„Stiftung Archäologie und Geschichte,“ meldete sich am anderen Ende der Leitung eine Männerstimme. „Professor Brügge hier. Entschuldigen Sie bitte die späte Störung …“.

„Moment,“ unterbrach Michael den Professor, wandte sich um und bahnte sich mit einem entschuldigenden Lächeln einen Weg zur Balkontür. „Ich gehe nur zu einem ruhigeren Platz …“.

„Selbstverständlich,“ erwiderte Professor Brügge und wartete.

Michael öffnete die Balkontür und trat in den milden Abend hinaus. Der Winter ging zu Ende, es war dunkel, doch die Temperaturen waren erträglich, auch wenn eine Atemfahne vor Michaels Gesicht entstand.

„So,“ sagte er schließlich und lehnte sich an die Balkonbrüstung. „Guten Abend, Professor Brügge. Entschuldigung, es sind ein paar Gäste hier …“.

„Ihr Geburtstag, wenn ich nicht irre.“

„Ja, stimmt …“.

„Meinen herzlichen Glückwunsch,“ sagte Brügge freundlich. „Und auch meinen Glückwunsch zur Finanzierung der Feldforschung!“

„Oh!“ entfuhr es Michael. „Vielen … Dank! Für beides! Ich dachte schon …“.

„Ja, es hat etwas länger gedauert, und ehrlich gesagt, war ihr Vorschlag zunächst abgelehnt worden. Aber aufgrund eines anderen Ausfalls ist das Projekt nun doch bewilligt worden – wenn auch mit reichlich Verspätung. Daher rufe ich Sie an, damit sie nicht noch länger auf den Bescheid warten müssen und entsprechend planen können.“

„Das ist äußerst freundlich von Ihnen, Professor Brügge! Ich freue mich sehr darüber! Und die Studenten werden aus dem Häuschen sein!“

Brügge lachte. „Das kann ich mir vorstellen. Der offizielle Bescheid geht morgen raus und sie haben ihn in zwei, drei Tagen. Nun will ich nicht länger stören. Feiern Sie schön Ihren Geburtstag!“

„Und die Finanzierung des Projekts gleich mit! Vielen Dank!“

„Keine Ursache.“

Michael ging wieder zurück ins Zimmer. „Das war die Stiftung,“ sagte er und wog den Telefonhörer in der Hand.

„Und was sagen sie?“ fragte Carola.

„Sie haben die Finanzierung für die Feldforschung doch noch genehmigt.“

„Das ist ja wunderbar,“ sagte Carola laut und umarmte ihn. „Ein tolles Geburtstagsgeschenk!“

„Gratuliere,“ sagte Konrad, hob die Bierflasche und trank.

„Das sind gute Nachrichten,“ sagte Helmholtz und hob die Augenbrauen. „Und nicht so gute.“ Er trank den Rest des Sekts in seinem Glas.

„Nicht so gute Nachrichten?“ fragte Michael überrascht.

„Na ja, wird es dich nicht zu sehr von deiner Habilitation abhalten?“

Michael schüttelte den Kopf. „Das habe ich im Griff. Die Betreuung der Studenten wird nicht so viel Zeit in Anspruch nehmen. Ich werde zwar vor Ort sein, aber weiter an meiner Habilitationsschrift arbeiten.“

„Dann bin ich ja beruhigt. Obwohl ich nicht wirklich verstehe, warum du ausgerechnet wieder in Rumänien graben willst.“

„Es ist eine gute Gelegenheit für die Studenten, nachdem die Grabungen nach dem Heiligtum des Pater Liber wieder aufgenommen wurden.“

„Aber für dich ist es doch nun wirklich kein Gewinn.“

Michael wog den Kopf. „So kann man das nicht sagen. Ich habe das Gefühl, dass ich da noch ein offenes Kapitel abschließen muss.“

„Du meinst, wegen des Verschwindens von Schumann? Und diesem anderen Professor …“.

„Es waren drei. Schumann, Springsteen und Woratsch. Und zwei Studenten. Nachdem sie verschwunden waren, haben wir Alba Iulia Hals über Kopf verlassen. Die Grabungen wurden eingestellt.“

„Und jetzt willst du das begonnene Projekt von damals abschließen,“ schlussfolgerte Helmholtz und zuckte die Achseln. „Kann ich nachvollziehen, aber es wird dir nicht viel Ruhm einbringen.“

Michael widersprach nicht, obwohl er etwas Anderes gemeint hatte, als er davon sprach, ein offenes Kapitel abschließen zu wollen. Nur Carola ahnte, dass hinter der Feldforschung mehr steckte als einigen Studenten die Gelegenheit zu geben, ihre theoretischen Kenntnisse in der Praxis auszuprobieren.

Später, als die Gäste gegangen waren und Michael und Carola die Wohnung aufräumten, setzte sich Carola noch einmal an den Tisch und goss sich einen Schluck Wein ein. Sie nippte am Glas und schaute Michael zu, wie er den Geschirrspüler einräumte. Als er fertig war und ins Schlafzimmer gehen wollte, zog sie ihn an der Hand zu sich.

„Du willst nicht nur eine Feldforschung durchführen, nicht wahr?“ sagte sie und lächelte ihn verständnisvoll an.

Michael seufzte. „Ich muss noch einmal dorthin. Ich muss mit eigenen Augen sehen, dass dort alles in Ordnung ist.“

„Diese Geschichte hat dich nie losgelassen.“

„Ich habe drei Jahre gebraucht, um wieder in ein normales Leben zurückzukehren. Und ich weiß bis heute nicht, was wirklich dort geschehen ist. Was real war und was nicht.“

„Du warst ziemlich konfus, als ich dich kenngelernt habe. Wie ein Hippie, der ständig auf dem Trip ist. Und du hast mir nie die ganze Geschichte erzählt.“

„Weil es sich vollkommen absurd anhört,“ sagte Michael und nahm einen Schluck Wein aus Carolas Glas. „Drei Professoren und zwei Studenten verschwinden spurlos, und irgendwie passte alles mit den Schriftrollen zusammen, die wir in diesem Sarkophag gefunden hatten. Entweder hat ein Serienmörder die Informationen als Drehbuch für seine Morde benutzt oder …“.

„Oder?“ Carola schaute ihn erwartungsvoll an.

„Oder wir sind damals einfach … durchgeknallt. Vielleicht hat man uns ja tatsächlich Drogen unters Essen gemischt.“

Carola leerte ihr Glas und stand auf. „Es gibt für alles eine Erklärung,“ sagte sie und zog Michael mit sich. „Aber bevor wir uns an die Detektivarbeit machen, bekommst du noch ein ganz besonderes Geburtstagsgeschenk von mir …“.

„Eine Überraschung?“ fragte Michael lächelnd und ahnte bereits, was dieser laszive Blick Carolas bedeutete. Aber er musste sich noch einige Minuten gedulden, bevor Carola aus dem Badezimmer trat, eingeschnürt in eine enge, rote Ledercorsage mit passendem Slip. Unter der Augenmaske lächelte ihn ein blutroter Mund an.

„Bereit?“ hauchte Carola. Sie war schlank und sportlich und war genau dort mit kleinen Pölsterchen ausgestattet, wo Michael es mochte.

„Mehr als bereit,“ erwiderte Michael und streckte die Arme auf dem Bett aus. „Mach mit mir, was du willst.“

„Darauf kannst du dich verlassen …“.

II

Michael verließ den Seminarraum und war guter Laune. Er hatte seinen Studenten mitgeteilt, dass die Feldforschung genehmigt worden war. Obwohl nur sechs von ihnen die Reise nach Rumänien antreten würden, hatten sich auch die übrigen gefreut in der Erwartung, im nächsten Jahr an der Reihe zu sein.

Michael ging in die zweite Etage in sein Büro, schloss die Tür und ließ sich in den Stuhl vor seinem Schreibtisch fallen. Er atmete tief durch und dachte einen Moment lang nach. Dann griff er zum Telefon und wählte eine Nummer in New York. Nach einer halben Minute meldete sich eine Männerstimme.

„George?“ fragte Michael.

„Bist du das, Michael?“ fragte die Männerstimme.

„Ja, ich bin´s. Hast du eine Minute?“

„Für dich immer,“ erwiderte George. „Wie geht es dir?“

„Danke, recht gut. Und dir?“

„Kann nicht klagen. Viel Arbeit. Dieses Semester habe ich so viele Studenten wie noch nie! Ich weiß gar nicht, warum sich plötzlich so viele für Archäologie interessieren.“

„Sei doch froh! Dann wird Colombia so schnell nicht pleitegehen,“ scherzte Michael.

„Die Colombia Universität wird nie pleitegehen, mein Freund! Deshalb versuche ich ja auch schon seit Jahren dich zu überreden, zumindest mal als Gastprofessor bei uns zu unterrichten. Mit einem sehenswerten Gehalt!“

„Ich muss erst meine Habilitation fertigstellen. Danach sehen wir weiter.“

„Ich nehme dich beim Wort!“ sagte George. „Aber deshalb rufst du bestimmt nicht an …“.

„Nein, es geht um die Feldforschung in Rumänien.“

Am anderen Ende der Leitung war es einen Moment lang still. „Bekommst du die Finanzierung?“ fragte George dann.

„Ich hatte schon gar nicht mehr damit gerechnet,“ sagte Michael und tat einen Seufzer. „Aber ja, ich habe die Finanzierung bekommen. Und ich rufe an, um dich zu fragen, ob du noch dabei bist.“

George atmete hörbar aus. „Puh, das kommt jetzt ein wenig … aus heiterem Himmel.“ Er räusperte sich. „Ich hatte auch schon gedacht, dass es nicht klappt. Ich müsste ein paar Dinge verschieben, umorganisieren …“.

„Ist das ein Ja?“

„Du kennst mich jetzt seit über zehn Jahren. Habe ich dich jemals hängen gelassen?“

„Nicht, dass ich wüsste.“ Tatsächlich waren George und Michael schon mehrmals füreinander eingesprungen, wenn es um Vorträge bei Kongressen oder Symposien ging und einer von ihnen trotz Zusage verhindert war. Sie konnten sich aufeinander verlassen. Angefangen hatte ihre Freundschaft vor über zehn Jahren bei den Grabungen in Rumänien, und die damaligen Ereignisse hatte sie zusammengeschweißt. Lange Zeit hatten sie darüber gerätselt, was passiert war, bis George entschieden hatte, die ganze Sache auf sich beruhen zu lassen und sich auf seine Arbeit zu konzentrieren.

„Und außerdem kann ich mir eine solche Chance doch nicht entgehen lassen,“ fuhr George fort. „Wir werden eine Menge Spaß haben! Und eine Menge Bier trinken!“

„Und vielleicht ein wenig Licht ins Dunkel bringen,“ ergänzte Michael.

Wieder räusperte sich George. „Vielleicht,“ sagte er. „Aber wo willst du da anfangen? Glaubst du wirklich, dass wir nach all den Jahren etwas finden? Die Polizei hat monatelang nach den Verschwundenen gefahndet und nichts gefunden. Und jetzt sollen ausgerechnet wir den Fall … aufklären?“

„Die Polizei hat kaum etwas getan, sondern mehr an die Legenden geglaubt als an die Fakten. Und von Aufklärung kann keine Rede sein. Aber vielleicht finden wir einen Hinweis, eine Spur …“.

„Ich sag dir was, Michael,“ unterbrach George ihn. „Wir gehen mit unseren Studenten nach Rumänien, lassen sie graben, leiten sie an, diskutieren mit ihnen, archivieren die Fundstücke … Und wenn sich eine Gelegenheit bietet, ein wenig Sherlock Holmes zu spielen, dann machen wir das. Aber unsere Grabung hat Priorität!“

„Machst du dir denn keine Gedanken mehr darüber, was damals passiert ist? Beunruhigt dich das nicht?“

„Natürlich denke ich manchmal daran, aber ich versuche, es so weit wie möglich aus meinem Leben auszublenden. Und ich bin überzeugt, dass es für die Vorfälle eine Erklärung gibt.“

„Das sagt Carola auch.“

„Na bitte!“ lachte George. „Kommt sie mit nach Rumänien?“

„Sie begleitet mich, wird aber nicht Teil des Grabungsteams sein.“

„Na wunderbar! Vielleicht kann sie sich dann ja etwas mehr der Detektivarbeit widmen.“

„Wir werden sehen,“ sagte Michael. „Jedenfalls bin ich froh, dass du dabei sein wirst.“

„Ist mir doch eine Ehre!“

Michael saß noch eine Weile in seinem Büro, den Kopf auf die Hände gestützt, und starrte die Wand an. Er erinnerte sich an seine Zeit als Professor Schumanns Doktorand, an die Ausgrabungen bei Alba Iulia, an den Sarkophag, der plötzlich aufgetaucht war und sein Leben auf den Kopf gestellt hatte. Die Ereignisse hatten ihn noch lange verfolgt und ihm Albträume beschert, so dass er sich entschloss, nach Kreta zu gehen und dort das Leben eines Gelegenheitsarbeiters zu führen. Es war eine Flucht vor einer unbestimmten Bedrohung, doch das einfache Leben mit einfachen Menschen wie den Fischern, die Fahrten aufs Meer, die Gespräche über Wind, Sonne und die Gezeiten halfen ihm dabei, sich langsam von dem Erlebten zu erholen. Und als er nach fast drei Jahren Carola traf, wusste er, dass es Zeit war, in das Leben zurückzukehren, für das er zuvor so hart gearbeitet hatte.

Es blieb nicht viel Zeit für die Vorbereitung der Reise nach Rumänien, denn der verspätete Finanzierungsbescheid war verknüpft mit einem pünktlichen Start der Feldforschung. Und die sollte in drei Wochen beginnen.

Michael rief Nicolina Popescu an, die an der Universität Cluj die Verantwortung für die Grabungen bei Alba Iulia trug. Er und Nicolina kannten sich lediglich per Telefon, und nach den ersten Gesprächen hatte sich herausgestellt, dass sie die Nichte von Professor Woratsch war. Daher verband beide ein wenig mehr als nur die Tatsache, Kollegen zu sein.

„Es freut mich sehr, dass die Finanzierung geklappt hat,“ sagte Nicolina in fast akzentfreiem Deutsch, nachdem Michael ihr die Neuigkeit mitgeteilt hatte. „Und es freut mich noch mehr, Sie endlich persönlich kennenzulernen.“

„Ich freue mich auch,“ entgegnete Michael. „Und ich hoffe, dass wir die Partnerschaft unserer Universitäten dadurch vertiefen können.“

„Ganz bestimmt! Wann werden Sie denn hier eintreffen?“

„Schon in etwa zwanzig Tagen,“ sagte Michael. „Und ich wollte sie bitten, eine Reservierung in einem Hotel in Alba Iulia zu machen.“

„Das kann ich veranlassen. Aber wir haben auch ein Gästehaus angemietet, in dem viele der Ausgräber untergebracht sind.“

Michael zögerte einen Moment. „Ich denke, ein Hotel oder eine Pension wären angemessen,“ sagte er dann. „Das wird durch das Budget der Feldforschung abgedeckt.“

„Wie Sie wünschen. Schicken Sie mir doch eine Liste mit den Namen, Kopien der Pässe und den Wünschen der jeweiligen Personen. Einzelzimmer, Doppelzimmer … Sie wissen schon …“.

„Werde ich Ihnen sobald wie möglich zusenden.“

Am folgenden Wochenende begann Michael damit, seine Koffer zu packen. Er hatte die Angewohnheit, schon zwei oder drei Wochen vor einer längeren Reise seine Sachen zu packen, weil er fürchtete, irgendetwas zu vergessen, das er dann schmerzlich vermissen würde. Das konnten Kleinigkeiten sein, etwa ein Schweizer Messer, eine kleine Taschenlampe, ein Hut – oder sein Lieblingswhisky. Er legte Kleidung und Schuhe zurecht, wählte Bücher aus und suchte in Ordnern nach Material, das er nicht elektronisch gespeichert hatte, aber mitnehmen wollte. Als er eine Schublade öffnete, in der er zwei externe Festplatten aufbewahrte, fiel sein Blick auf ein dickes Schreibheft, das darunter lag und vom vielen Gebrauch ganz abgegriffen war.

Michaels Arbeiten – Aufsätze, Artikel, seine Doktorarbeit, seine Habilitationsschrift, selbst Emails oder Skizzen – waren allesamt in der Cloud gespeichert. Zur Absicherung hatte er alles auch auf die externen Festplatten kopiert. Er vertraute der virtuellen Welt noch nicht ganz. Aber dieses Schreibheft war nirgends elektronisch gespeichert. Es schien wie ein Relikt aus einer anderen Zeit. Wie ein historischer Zeuge.

Michael nahm das Heft in die Hand und schlug es auf. Er hatte schon lange nicht mehr hinein geschaut. Seit er aus Kreta zurückgekommen war.

Er seufzte, als er die Seiten überflog und sich über seine eigene Schrift wunderte. Es war eine nervöse Schrift, mal mit Kugelschreiber aufs Papier gebracht, mal mit Bleistift. Fahrig und nachlässig geschrieben, als ob es nicht wichtig wäre, dass jemand es lesen konnte.

Aber das Geschriebene war wichtig! Für Michael. Er hatte das Heft auf Kreta vollgeschrieben. Rekapituliert, was nun vor mehr als zehn Jahren in Rumänien geschehen war, zwischen den Zeilen Nachträge eingefügt, Details beschrieben, Vermutungen angestellt. Eine Erklärung für das Geschehene gesucht. Wäre er nicht Carola begegnet, säße er vielleicht immer noch auf der Insel und würde weiter suchen.

Er klappte das Heft zusammen und legte es auf die T-Shirts, die er neben einem der Koffer gestapelt hatte. Er würde alles noch einmal lesen, vielleicht auf dem Flug, vielleicht an einem ruhigen Abend. Und dann?

Er hatte keine Ahnung, wie er vorgehen sollte. Er hatte keinen Anhaltspunkt, wo er mit seinen Nachforschungen beginnen sollte.

Michael schüttelte den Kopf, als wollte er seine Gedanken herausschütteln. Er war Archäologe, sagte er sich. Er wusste, wie man die Vergangenheit freilegte. Systematisch, Schicht für Schicht, mit Vorsicht und Geduld. Manchmal genügte ein kleiner Hinweis.

III

Carola öffnete den Schrank in ihrem Schlafzimmer und betrachtete die an Bügeln aufgehängten Kleider. „Soll ich eher Kleider oder Hosen mitnehmen?“ fragte sie, ohne sich umzusehen.

„Nimm das mit, worin du dich wohl fühlst,“ entgegnete Michael, der hinter ihr stand. „Für dich sind es eher Ferien als Arbeit.“

„Ganz so bequem wird es nicht werden,“ sagte Carola. „Ich werde einen Aufsatz schreiben und habe also auch zu tun.“ Sie drehte sich zu Michael um. „Denk nicht, dass ich nur die brave Hausfrau sein werde!“

„Denke ich nicht! Wir werden im Hotel wohnen, da gibt es keine Hausarbeit. Weder für dich noch für mich.“

„Umso besser. Ich glaube, ich werde mehr Hosen mitnehmen. Wenn ich dich nicht bei den Grabungen begleite, erkundige ich die Gegend. Ich habe mir mal die Region im Internet angeschaut. Viel Natur. Und nicht weit von der Grabungsstelle gibt es auch eine alte Burg.“

„Burg Gabor,“ erklärte Michael. „Stammt noch aus dem Mittelalter. Ist aber nicht bewohnt.“

„Huh.“ Carola machte große Augen. „Eine alte Burg mitten in den Wäldern. Hört sich geheimnisvoll an. Dahin können wir mal nachts einen Ausflug machen.“

„Warum nachts?“

Carola zuckte die Achseln. „Nur so. Vielleicht ein wenig Gänsehaut bekommen.“

Carolas Wohnung war etwas großzügiger als Michaels. Sie hatte zwar keinen Balkon, aber ein Arbeitszimmer. Das Wohnzimmer war entsprechend aufgeräumt, die zwei Regale an den mintgrünen Wänden waren mit Literatur und Kunstbüchern gefüllt.

Seit einem Jahr waren sie auf der Suche nach einer gemeinsamen Wohnung. Vier Zimmer sollten es sein, besser noch fünf, denn zwei Kinder sollten noch dazu kommen. Aber die bisherigen Angebote waren nicht das, was Michael und Carola sich vorstellten, also lebten sie noch getrennt, obwohl sie fast jede Nacht miteinander verbrachten.

Michael räusperte sich. „Ich … möchte, dass du einen Blick hier rein wirfst,“ sagte er und streckte Carola das alte Schreibheft entgegen.

„Was ist das?“ fragte Carola.

„Das habe ich auf Kreta geschrieben. Es enthält alle … Erinnerungen an das, was damals in Rumänien passiert ist. Außerdem …“.

„Du meinst die Sache mit dem Verschwinden Schumanns und der anderen?“ Carola nahm das Heft und schlug es auf.

„Ja, und alles, was vorher war. Der Sarkophag, die Schriftrollen, die merkwürdigen … Ereignisse … Außerdem meine vergeblichen Versuche, eine Erklärung für das alles zu finden.“

„Interessant! Hört sich an wie ein Krimi.“

„Carola, du musst wissen, was damals passiert ist,“ sagte Michael und setzte sich auf den Bettrand. „Es war nicht nur das Verschwinden von fünf Menschen. Nachdem wir den Sarkophag geöffnet hatten, geschahen plötzlich merkwürdige Dinge. Dieser Tote, Traian, war der Legende nach ein Untoter, ein … Vampir. Und eine Studentin, die sich an seinem Gebiss verletzt hatte, hat sich … verändert. Und dann verschwand sie einfach.“

„Wow!“ Auf Carolas Gesicht zeigte sich ein fast begeistertes Lächeln. „Das hört sich ja fantastisch an! Ich wollte schon immer mal einen Vampir kennenlernen.“

„Nimm das bitte ernst! Vielleicht läuft dort in der Gegend ein Serienmörder herum. Ich möchte nur, dass du vorsichtig bist. Und wenn du die Gegend erkundigen willst, mach´ es bitte nicht alleine!“

„Keine Sorge, mein Schatz! Ich werde vorsichtig sein.“ Carola las ein paar Zeilen in Michaels Heft. „Das kann man ja kaum lesen …“.

„Ich war ziemlich durch den Wind, als ich das aufgeschrieben habe. Es verging kaum eine Nacht, in der ich nicht durch Albträume aufgewacht bin.“

„Das alles hat dich sehr mitgenommen, nicht wahr? Schumann und du, ihr habt euch sehr gut verstanden.“

Michael nickte. „Er hatte die gleichen Pläne mit mir wie Jürgen, obwohl ich mir damals noch nicht einmal eine Habilitation vorstellen konnte. Aber er hielt mich für gut genug.“

„Und er hat Recht gehabt. Bald bist du selbst Professor für Byzantinische Archäologie.“

Carola beugte sich zu ihm hinunter und gab ihm einen Kuss. „Ich werde deine Aufzeichnungen lesen. Vielleicht finde ich ja einen Hinweis auf eine Erklärung für alles.“

Wieder nickte Michael, auch wenn er nicht daran glaubte, dass Carola eine Erklärung finden würde. Er schlug sich mit beiden Händen auf die Knie. „Ich werde auch weiter packen,“ seufzte er und erhob sich.

„Bist du immer noch nicht fertig?“

„Mir fällt immer wieder etwas ein, das ich mitnehmen sollte. Besser ein bisschen zu viel als zu wenig.“

„Auch Knoblauch?“

„Wie bitte?“ Michael runzelte die Stirn.

„Nimmst du auch Knoblauch mit?“ flüsterte Carola nun und tat geheimnisvoll. „Gegen die Vampire?“

Michael lächelte. „Ich glaube, die rumänische Küche ist reich an Knoblauch. Da müssen wir uns keine Sorgen machen.“

Er verabschiedete sich und fuhr mit dem Fahrrad zu seiner Wohnung.

---ENDE DER LESEPROBE---