DIE EWIGEN. Die Mönche vom heiligen Berg - Chriz Wagner - E-Book

DIE EWIGEN. Die Mönche vom heiligen Berg E-Book

Chriz Wagner

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Beschreibung

"Mein Name ist Simon. Ich lebe ewig. Solange ich zurückdenken kann, bin ich auf der Erde. Ich habe außergewöhnliche Dinge gelernt, auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage: Wer bin ich? Ich kann nicht sterben. Ich darf nicht lieben. Ich bin Simon." Byzanz, 963 n. Chr.: Nachdem Lepra auf einer Klosterbaustelle am heiligen Berg Athos ausgebrochen ist, erhält Simon den Auftrag, einen von Gott gesegneten Heiler herbeizuschaffen. Dabei läuft er dem irrwitzigen Einsiedler Diogenis und seinem Hund Iraklis in die Arme. Simon ahnt nicht, dass er ohne Umwege auf eine Falle zu läuft. Unter den Mönchen von Athos kann ihm nur noch ein Wunder helfen. DIE EWIGEN: eine Serie von Geschichten vor den Kulissen der Weltgeschichte. Zu allen Zeiten finden sich Mystery, Horror und ein Hauch Liebe.

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Seitenzahl: 90

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Chriz Wagner

DIE EWIGEN

Die Mönche vom heiligen Berg

Folge 6

Wagner, Chriz: DIE EWIGEN. Die Mönche vom heiligen Berg. Folge 6, Hamburg, acabus Verlag 2017

Originalausgabe

epub-ISBN: 978-3-86282-546-2

PDF-ISBN: 978-3-86282-545-5

Lektorat: Lisa Reim, acabus Verlag

Cover: © Annelie Lamers, acabus Verlag

Covermotiv: #126739448, a magic crystal ball on blue astrology background © starblue, fotolia.com; pixabay.com

eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Der acabus Verlag ist ein Imprint der Diplomica Verlag GmbH, Hermannstal 119k, 22119 Hamburg.

© acabus Verlag, Hamburg 2017

Alle Rechte vorbehalten.

http://www.acabus-verlag.de

Ein Buch für einen Hund.

Für Ira, weil sie Licht in unsere Herzen bringt.

Thyri und Simon sind unsterblich. Auf ihrer Reise durch die Jahrtausende verloren sie sich aus den Augen. Ihre Geschichten führen uns vorbei an mystischen Orten und magischen Begebenheiten auf der Suche nach dem Grund für ihr ewiges Leben.

Mein Name ist Simon.

Ich lebe ewig.

Solange ich zurückdenken kann, bin ich auf der Erde.

Ich habe außergewöhnliche Dinge gelernt auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage:

Wer bin ich?

Ich kann nicht sterben. Ich darf nicht lieben.

Ich bin Simon.

Die Mönche vom heiligen Berg

I

Athos, Byzanz im Jahr 963 nach Christus

Eigentlich hatte ich es eilig, als mir der sonderbare Mann begegnete. Ich hatte den Auftrag, den Heiler aus Acrothooi so schnell wie möglich zum Kloster zu schaffen. Er würde von einer höheren Macht beschützt, sagte man. Und er hätte die Fähigkeit, den Klostervorsteher vom Aussatz zu befreien. Allerdings war mein Hintern von dem Getrampel des Maultiers schon grün und blau geritten. Und ich war froh, mir die Füße vertreten und die Muskeln lockern zu können.

Seit Stunden kämpfte ich mich über karges Felsgestein und sandigen Boden. Staub und Dreck verfingen sich in den Poren meiner Tunika. Ich trug meinen alten römischen Kriegsgürtel. Jetzt rieb mir der Schmutz darunter die Haut an der Hüfte wund. Unvorhersehbare Windstöße wehten Sandkörner in meine Augen und dörrten meine Lippen aus.

Da saß dieser Mann. Ich war überzeugt, dass der Kerl tot war. Mit der flachen Hand schirmte ich die gnadenlose Sonne ab. Heißer Schweiß rann über meine Finger und mein Gesicht. Er hockte mit dem nackten Rücken an der Felswand, die knochigen Arme rechts und links baumelnd, das Kinn auf die Knie gelegt. Seine Augen konnte ich unter dem filzigen, struppigen Haar nicht erkennen. Nur die Nasenspitze lugte daraus hervor.

Ich verzog angewidert das Gesicht. Offenbar war der arme Bursche verhungert. Und dem Gestank nach zu urteilen war das schon länger her. Das bestätigte meine Meinung von dem, was ich über die Eremiten und den Berg Athos gehört hatte: eine Horde lebensmüder Spinner, die sich im Ödland verkrochen, um auf ein göttliches Licht zu warten, das niemals kommen wird.

Richtig ernst wurde der Spuk im Jahr 883 nach dem Erlass des Kaisers Basileos I., der verfügte, seine Soldaten dürften die eremitischen Mönche nicht mehr belästigen. Bis dahin hatten sich nur vereinzelt ein paar Herumtreiber in der Gegend aufgehalten. Ich selbst glaubte eine lange Zeit, es steckten nur Ammenmärchen dahinter – Geschichten, um vorlaute Kinder zu erschrecken: Pass auf, was du sagst. Sonst holen dich die bösen Männer vom Berg und fressen dich auf.

Nach dem Erlass strömte das faule Pack in Scharen auf den Berg Athos: Ehebrecher, Diebe, Mörder und jeder, der sich sonst nirgends mehr blicken lassen konnte.

Und das war daraus geworden: ein verhungerter Landstreicher am Wegesrand. Der beißende Gestank nahm mir die Luft zum Atmen. Ich hustete in meine Faust.

Da drückte etwas die Beine des Leichnams, die wie zwei aneinander gelehnte Knochen aussahen, auseinander. Schwarze Nase und weiße, spitze Zähne. Das Ding knurrte boshaft, sodass Zozo – mein Maultier – kehrt machte und erst nach ein paar Schritten wieder zum Stehen kam. Genau genommen waren es neun Schritte. Warum ich das so haargenau weiß? Dazu komme ich später.

Misstrauisch kniff ich die Augen zusammen und beobachtete den schnüffelnden Zinken. Auf der Suche nach dem Grund für meine Unsterblichkeit, anderen Wesen meiner Art und meiner Familie hatte ich Geschichten von Teufelswesen gehört, die sich durch die Leichen armer Seelen fraßen. Aber dass mir so einer in der Abgeschiedenheit dieser kargen Landschaft begegnen würde, wollte ich nicht so recht glauben. Es gab Straßenräuber, die einem die Ohren abschnitten, ja. Doch die verkrochen sich nicht hinter verstorbenen Eremiten. Sicherheitshalber trat ich einen Schritt zurück.

Die Beinknochen des Toten bewegten sich weiter. Und nach und nach erkannte ich, dass die schwarze Nase das vorderste Ende eines braunen Fellkopfes darstellte. Ich sah Schnurrhaare, eine Stirn und schließlich treue Hundeaugen, die mich vorsichtig von unten herauf ansahen. Und das boshafte Knurren verwandelte sich in ein behutsames Winseln.

Dann plumpste der Schädel des Eremiten zwischen seine Beine. Der Hund machte einen erschrockenen Satz und bellte. Zozo wieherte aufgeregt, schlug mit den Hinterläufen aus und trabte davon.

„Zozo, nein!“, befahl ich. „Hiergeblieben.“

Das war dem Tier egal. Das sonst so faule Vieh galoppierte, als sei der Teufel hinter ihm her. Die beiden Taschen hüpften auf und ab. Ein Apfel flog aus dem Beutel, klatschte auf den Staubboden und rollte vor meine ausgetretenen, römischen Marschstiefel.

Ich wollte hinterherrennen, meinen Proviant einfangen, da rief eine Stimme: „Iraklis, aus!“

Das Bellen erstarb.

Entsetzt sah ich den vermeintlich toten Eremiten an. Und er blickte zurück. Der Mann hatte seinen zerzausten Haarschopf angehoben und die leichenblassen Augen auf mich gerichtet. Wieder kamen mir diese Teufel in den Sinn. Nur ein Ammenmärchen, da war ich mir sicher.

Und in derselben Sekunde sprach er zu mir: „Dieses verflixte Muli hätte mich sowieso aus dem Gleichgewicht gebracht.“ Seine Stimme klang dünn und fein, wie auf rauem Faden gespielt.

„Du warst tot“, murmelte ich verdutzt.

„Das wüsste ich“, sagte er und schüttelte das verknotete Kopfhaar nach hinten. Sein Gesicht war vernarbt, die Haut dunkelbraun und glänzend, wie gespanntes Pergament. „Oder wüsste ich es nicht?“, fragte er. „Bemerkst du eigentlich selbst, was für einen Unsinn du sprichst?“

Ich sah ihn erstaunt an.

Er redete einfach weiter: „Der Satz ‚Du warst tot‘ ist ebenso unmöglich wie ‚Ich lüge gerade‘ oder ‚Rasiert sich der Barbier, der genau diejenigen rasiert, die sich selbst nicht rasieren?‘ Hätte ich also bemerkt, dass ich tot war, dann hätte ich diesen Umstand gar nicht wahrnehmen können.“

„Dein Köter hat meinen Zozo verjagt“, sagte ich, was ihn nicht zu interessieren schien.

„Daraus schließe ich, dass du mich mit deinem Gerede – tot oder nicht tot – schlicht und ergreifend aus dem Gleichgewicht bringen wolltest. So wie dein Muli mit neun Schritten rückwärts das getan hat. Kein Wunder, dass Iraklis ihn verscheucht hat.“ Er zählte die Schritte eines Tieres?

„Ohne Zozo bin ich verloren.“

„Er kommt wieder“, sagte er. „Und vielleicht erinnert er sich daran, dass ihm ein zehnter Schritt gutgetan hätte.“

„Kann dein Kläffer nicht mein Maultier suchen?“ Es war ein Hoffnungsschimmer. Hunde haben eine feine Nase. Ohne Proviant, vor allem ohne meine Wasservorräte, würde ich es nicht bis nach Acrothooi schaffen. Nicht bei dieser Hitze.

„Wo denkst du hin? Iraklis würde niemals einem Vieh folgen, dessen Satteltaschen so ungleich beladen sind wie deine.“ Das klang wie ein Vorwurf – wenn auch ein unsinniger.

Langsam machte mich der Typ mit seinem Gerede wütend. „Was soll das heißen?“

„Angenommen das Tier läuft vierzigtausend Schritte am Tag. Nicht viel für ein Biest dieser Größe, das als Lasttier täglich unterwegs ist. Aber schließlich darf man nicht vergessen, dass die Gegend steinig und hügelig ist.“

Mir wurde sein Gelaber zu viel. Ich verdrehte ungeduldig die Augen.

„Und angenommen die Taschen sind nur um einen einzelnen Apfel ungleich gefüllt“, sagte er und hob den Zeigefinger.

Ich wollte seinen Redeschwall unterbrechen. Deshalb hob ich die Hand zum Gruß. „Simon ist mein Name.“

Er stellte sich auf die Beine. Außer einem undefinierbaren Stofffetzen als Lendenschurz sowie ausgelatschten Sandalen war er nackt. Eine Handvoll Fliegen erhob sich in die Luft, drehte eine Runde und setzte sich wieder irgendwo auf seinem Körper ab. Wo genau, wollte ich lieber nicht wissen.

„Und angenommen er läuft nur auf einer ebenen Fläche, einem Tal oder ähnlichem … und hier ist kein Tal. Oder hast du eines gesehen, Simon? Nein. Und angenommen …“

Ein heißer Luftschwall wehte seinen Gestank zu mir. Ich wandte mich ab und verzog das Gesicht.

„… angenommen das Vieh würde gerade Schrittzahlen laufen, was es aber nicht tut, was sehr schade ist – für das Tier, für dich und für mich.“

Ich warf die Arme in die Luft. „WAS?!“, rief ich. „Was ist dann?“

„Dann sind das vierzigtausend Äpfel, die den Körper deines Maultiers an nur einem Tag zur Seite ziehen. Glaube mir: Zozo merkt es. Nachvollziehbar, dass er ungleiche Schrittfolgen läuft.“

„Herrje, er ist ein Muli!“, entgegnete ich.

Der Eremit deutete dem verschwundenen Maulesel mit dem ausgestreckten Finger hinterher. „Das ist der Grund, weshalb das Tier weggelaufen ist: Deine ungleichgewichtige Lebensweise.“

Jetzt platzte mir der Kragen. „Dein Hund hat Zozo verscheucht!“, schimpfte ich. „Ich verlange Ersatz. Proviant. Ein Reittier. Irgendetwas, womit ich von hier wegkomme.“ Mit Zozo wäre ich in ein paar Stunden da gewesen. Ohne ihn war’s ein Tagesmarsch.

„Glaube mir: Er kommt zurück.“

„Woher willst du das wissen?“

„Er ist ein Maultier. Die kommen immer zurück.“

Wie zur Zustimmung bellte sein Hund – zweimal. Eine gerade Zahl. Damals erschien es mir unwichtig.

„Und was soll ich tun, bis sich das Vieh entschließt, hierher zurückzukommen? Mich an die Wand lehnen und tot spielen?“

Der Eremit überlegte kurz. Dann schoss er mir eine entschlossene Antwort entgegen: „Ja.“

„Ich sag dir was“, schnauzte ich ihn an. „Du hast doch mit Sicherheit irgendwo in der Gegend eine Höhle. Ein dunkles Drecksloch, in das du dich verkriechst, wenn die Nacht hereinbricht, oder?“

„Möglich“, sagte er beleidigt.

„Ich weiß, was wir jetzt machen.“ Er guckte in die Luft, als hörte er mich nicht. „Du zeigst mir deine Stinkerhöhle und gibst mir Wasser und etwas Essbares. Klar soweit?“

Keine Antwort.

Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn. Es war besser, die Nacht bei diesem Idioten zu verbringen, als allein in der Dunkelheit. Und vielleicht hielt sein Gestank die wilden Tiere fern.

„Und morgen verschwinde ich von hier.“

„Das Maultier wird uns nicht finden.“

Zozo wird niemals zurückkommen, dachte ich. Ich sah ihn verdurstet und von Wölfen angefressen hinter einem Hügel liegen, umringt von meinem Proviant. „Weißt du was? Wie heißt du?“

„Diogenis“, sagte er mit erhobenem Zeigefinger.

„Weißt du was, Diogenis? Ich nehme mir nur so viel, dass ich über den Tag komme. Und wenn mein Maulesel zurückkommt, gehört er dir. Mit allem, was auf seinem Rücken festgebunden ist.“

Er musterte mich wie ein altes Möbelstück, das man eigentlich nicht in die Wohnung stellen wollte. Wie auf Kommando hockte sich der kleine Hund mit einem Mal auf den Po, machte Männchen und bellte ihn an – zweimal.