Die Frau des Täuferkönigs - Michael Wilcke - E-Book
SONDERANGEBOT

Die Frau des Täuferkönigs E-Book

Michael Wilcke

4,6
8,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 2,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Amalia und die Wiedertäufer.

Im Jahr 1534 trifft in Osnabrück eine Gruppe Gaukler ein, die sich beim Jahrmarkt ein gutes Geschäft erhoffen. Ihr Anführer ist Emanuel Malitz, der einen Handel mit gefälschten Reliquien betreibt. Doch alles geht schief. Everhard Clunsevoet, ein Gutsherr aus Rheine, dem sie das Haus angesteckt haben, nimmt sie gefangen und stellt sie vor die Wahl. Entweder befreien sie seine Tochter Amalia aus Münster, wo die Wiedertäufer die Macht an sich gerissen haben, oder er lässt die Gaukler grausam töten. Malitz bleibt nichts anderes übrig: Er muss sich auf dieses Himmelfahrtskommando einlassen. Dann erfährt er, dass Amalia mittlerweile eine der Ehefrauen von Jan Bockelson, dem selbsternannten König der Wiedertäufer, geworden ist ... 

Ein packendes Epos über die Zeit der Wiedertäufer. Vom Autor des Bestsellers „Hexentage“.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 366

Bewertungen
4,6 (18 Bewertungen)
13
3
2
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



MICHAEL WILCKE

Die Frau des

TÄUFERKÖNIGS

HISTORISCHER ROMAN

Impressum

ISBN 978-3-8412-0687-9

Aufbau Digital,

veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, November 2013

© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin

Die Originalausgabe erschien 2013 bei Aufbau Taschenbuch, einer Marke der Aufbau Verlag GmbH & Co. KG

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlages zulässig. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das öffentliche Zugänglichmachen z. B. über das Internet.

Umschlaggestaltung Mediabureau Di Stefano, Berlin

unter Verwendung eines Motivs von Frank Warda/Bilderbuch Münster und zwei Motiven von iStockphoto: © RusN und Duncan Walker

E-Book Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, www.le-tex.de

www.aufbau-verlag.de

Inhaltsübersicht

Cover

Impressum

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Epilog

Historische Anmerkung

Nachwort

Informationen zum Buch

Informationen zum Autor

Wem dieses Buch gefallen hat, der liest auch gerne …

PROLOG

Ich bin auf den Namen Emanuel getauft worden. Meine Mutter hat das einst so entschieden, weil dieser Name eine Bedeutung hat: Gott ist mit dir.

Gewiss hatte meine Mutter mit diesem Namen nur das Beste für mich im Sinn. Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, muss ich aber feststellen, dass der Allmächtige mir selten nahe war. Eigentlich habe ich mich ihm immer gegenüber fremd gefühlt. Mit den Jahren begann ich daran zu zweifeln, dass Gott tatsächlich in der Lage ist, in unser Leben einzugreifen. Nicht zuletzt deshalb, weil ich so häufig zum Zeugen merkwürdiger religiöser Ausschweifungen wurde.

Ich will hier einen Bericht über ein Ereignis ablegen, das meine Ernüchterung besser nachvollziehen lässt. Das Geschehene liegt lange zurück. Damals war ich ein Mann von noch nicht ganz dreißig Jahren. Doch trotz all der Zeit, die seitdem vergangen ist, haben sich die Vorkommnisse so tief in meine Erinnerung eingegraben, dass ich mich in der Lage sehe, diese Geschichte wahrheitsgetreu wiederzugeben. Ich werde erzählen, was mir im Jahr 1534 in der Stadt Münster widerfahren ist. Münster wurde zu dieser Zeit von den Landsknechten des Bischofs Franz von Waldeck belagert. Die Stadt befand sich in der Gewalt der Wiedertäufer, einer Gemeinschaft christlicher Sektierer. Sie hatten sich in Münster verschanzt, um dort ein Neues Jerusalem zu errichten. Diese Menschen waren davon überzeugt, dass Gottes reinigendes Strafgericht schon bald über die Welt hereinbrechen und nur die aufrechte Gemeinde Christi verschonen würde – die sich nach Ansicht der Täufer in Münster versammelt hatte.

Ich war zugegen in diesem Neuen Zion, in dem sich der ehemalige Hurenwirt Jan Bockelson zum Propheten und bald darauf zum König erhob, um seine Gemeinde nach der Apokalypse in die von der Sünde befreite neue Welt zu führen. Um das zu erreichen, predigte der Prophet Besitzlosigkeit, trug aber am eigenen Leib die kostbarsten Gewänder. Er ließ seine Anhänger aufgrund geringer moralischer Verfehlungen hinrichten, erlaubte jedoch die Vielehe und heiratete selbst sechzehn Weiber.

Schon damals gelangte ich zu der Überzeugung, dass der Himmelsvater nicht in der Lage ist, in das Treiben seiner Schöpfung einzugreifen. Ansonsten wäre dem Bockelson während seiner Königskrönung gewiss ein gewaltiger Blitz in den Arsch gefahren, und die Erde hätte sich aufgetan, um ganz Münster in den Abgrund zu reißen.

Ich selbst betrat die Stadt erst, als das Täuferreich schon ins Leben gerufen worden war, und ich hatte sie bereits verlassen, als das Neue Zion nach einer monatelangen Belagerung unter den Lanzen und Schwertern der blutgierigen Landsknechte ein schreckliches Ende nahm. Doch die Zeit, die ich in der Gemeinschaft der Wiedertäufer verbrachte, reicht gewiss aus, um Zeugnis über diese groteske Komödie ablegen zu können.

Böse Zungen mögen behaupten, ich sei ein Betrüger und Aufschneider, aber ich schwöre jeden Eid darauf, dass meine Worte der Wahrheit entsprechen – so unglaublich sie auch klingen mögen.

KAPITEL 1

Die Geschichte, die ich hier erzählen will, nimmt ihren Anfang nicht in Münster, sondern in Osnabrück, einer westfälischen Bischofsstadt, die sich im Nordwesten der deutschen Länder als wichtiger Handelsplatz für Leinenstoffe hervorgetan hat. Auch das übrige Handwerk florierte in Osnabrück. Vor allem das Brauwesen nahm hier eine Sonderstellung ein. Im Gegensatz zu anderen Städten galt das Brauen in Osnabrück als freies Gewerbe. Jedem Bürger war es gestattet, in seinem Haus Bier zum eigenen Gebrauch herzustellen. Und in den Tavernen wurde ein Kräuterbier ausgeschenkt, das die Osnabrücker Grüsing nannten. Dieses würzige Gebräu mundete nicht jedem. Mir jedoch schmeckte es vorzüglich. Wann immer ich Osnabrück einen Besuch abstattete, führte mich mein Weg stets in die Schankwirtschaften, damit ich mich an diesem Höllentrunk laben konnte.

Natürlich war das Kräuterbier für mich nicht der eigentliche Grund, nach Osnabrück zu reisen. Es waren vielmehr besonders lohnende Feierlichkeiten, die mich lockten. Im Oktober des vergangenen Jahres hatte ich mich mit meinen Begleitern beim Fest zu Ehren von Crispin und Crispinian, den Schutzheiligen des Osnabrücker Domes, in der Stadt aufgehalten. Nun, im August des Jahres 1534, statteten wir Osnabrück erneut einen Besuch ab. Unsere Gemeinschaft bestand damals aus mir, meiner Tochter Mieke, dem Medikus Reynold sowie meiner Gefährtin Jasmin, die mich darin unterstützte, den Bürgern mehr oder minder nützliche Reliquien zu verkaufen.

Über eine holprige Handelsstraße schaukelte unser Wagen auf Osnabrück zu. Ich trieb die betagte Stute Brunhilde lautstark voran, doch das Tier blieb stur, setzte gemächlich einen Huf vor den anderen und hob zudem ihren Schweif, um mir trotzig einen übelriechenden Wind entgegenzuschleudern. Pferde, so sagt man, haben das Furzen zu einer hohen Kunst entwickelt. Brunhildes rege Verdauung erwies sich als überzeugender Beweis für diese Behauptung.

Unter Fanfaren aus dem Pferdearsch erreichten wir also Osnabrück, wo wir uns auf dem Platz vor dem südlich gelegenen Johannistor niederließen. Viel Beachtung schenkte man uns nicht, denn die Bürger waren damit beschäftigt, diesen Platz für das Fest des Vogelschießens herzurichten. Inmitten einer Reihe von mit bunten Girlanden verzierten Zelten und Bretterbuden thronte ein großer Holzvogel, der an einem hohen Mast befestigt worden war. An ihm würden sich die Schützen der Stadt messen. Gewiss waren auch Männer aus den umliegenden Ortschaften nach Osnabrück gekommen, um bei diesem Wettstreit das letzte Stück des Vogels herunterzuschießen und als König der Schützen einen Preis zu erhalten.

Doch nicht nur junge Burschen mit ihren Armbrüsten und Hakenbüchsen lockte dieses Fest in die Stadt, auch zahlreiche Händler, Musikanten, Schausteller und Gaukler fanden sich in Osnabrück ein, darunter auch meine Gefährten und ich. Wir hatten vor, eine knappe Woche hier zu verweilen, danach würden wir zur nächsten Stadt weiterziehen.

Menschen wie uns nennt man Fahrende. Böse Zungen bezeichnen uns hingegen als Parasiten, Schmarotzer oder Strolche. Doch seien wir ehrlich: Was wären die Jahrmärkte und Volksfeste ohne die heitere Schar der Possenreißer, Taschenspieler, Kunstreiter oder Tänzer? Wohl nichts als eine Ansammlung halsstarriger Kaufleute und zerknirschter Bürger, die doch insgeheim allesamt nach Zerstreuung suchen.

Jedermann erfreut sich an unserem bunten Treiben, bestaunt das artistische Geschick und kichert über die frechen Reime der Komödianten. Ist es da im Grunde nicht verwunderlich, dass man uns Fahrende zu den verfemten Berufen zählt? Man stellt uns auf eine Stufe mit unehrenhaften Gesellen wie Abdeckern, Totengräbern, Hundeschlägern und Henkern und spricht uns jegliche Rechte ab. Überführt man uns einer geringen Verfehlung, so müssen wir mit den schlimmsten körperlichen Züchtigungen rechnen. Doch wird uns Ehrlosen ein Unrecht zugefügt, braucht der Übeltäter keine harte Strafe zu befürchten.

Vor einiger Zeit berichtete mir ein Taschenspieler, dass sein Weib bei einem Aufenthalt in Erfurt von einem wohlhabenden Zunftmeister geschändet worden war, als sie in seinem Haushalt einige Arbeiten verrichtet hatte. Der Taschenspieler erstattete Anzeige beim Rat, und tatsächlich wurde seiner Klage stattgegeben. Daraufhin wurde der Zunftmeister angewiesen, sich vor eine sonnenbeschienene Wand zu stellen, und der Taschenspieler erhielt die Erlaubnis, dem Schatten des Verurteilten dreimal an den Hals zu schlagen. Damit war die Schuld abgegolten.

Aber ich will nicht über dieses Unrecht jammern. Im Grunde gefällt mir mein Leben als Verfemter. Was bleibt mir auch anderes übrig? Ich habe kein Handwerk erlernt, und meine einzige Begabung ist es, die Menschen galant mit Worten und Gesten zu umschmeicheln, so dass es mir häufig gelingt, ihnen jeglichen Unrat für eine gute Münze zu verkaufen.

Ein Trost ist es mir, dass meine Begleiter in keinem besseren Licht stehen. Reynold, der rund zwanzig Jahre älter ist als ich, bezeichnet sich als Arzt, doch ich habe niemals miterlebt, dass er einem Kranken helfen konnte. Zumeist verkauft er auf den Jahrmärkten nur seinen als alchemistische Universalarznei angepriesenen Theriak – ein nutzloses Gebräu aus Wasser, Anis und Kümmel. Oder er bietet den Männern und Frauen gegen ihre Leiden absonderliche Mittel zur Vertreibung der Krankheitsdämonen an, die er aus unappetitlichen Bestandteilen wie gedörrten Kröten, verbrannten Maulwürfen, Ziegenkot oder Schlangenfett zusammenmischt.

Sein äußeres Erscheinungsbild weckt nicht unbedingt Vertrauen. Da ihm ein Ohr fehlt, zieht er zumeist eine Gugel über seinen Kopf. Die hässlichen gelben Zahnstümpfe und sein fauliger Atem lassen sich allerdings nicht so leicht verbergen. Zudem bringt ihn sein loses Mundwerk immer wieder in arge Schwierigkeiten. Ich bin mit diesem Kerl gewiss nicht immer einer Meinung, aber Reynold begleitet mich, seitdem ich vor nunmehr zehn Jahren mehr oder minder freiwillig den Entschluss gefasst habe, als Vagant über das Land zu ziehen. Trotz unserer häufigen Streitigkeiten ist er für mich immer ein Vertrauter und Freund geblieben.

Auch meine Gefährtin Jasmin weist kein besonderes Talent auf. Dennoch ist sie mir beim Verkauf meiner Reliquien eine wertvolle Hilfe. Dies ist vor allem dem Umstand zu verdanken, dass in Jasmins Adern ein Anteil orientalisches Blut fließt und ich sie den Schaulustigen darum als Prinzessin aus dem Heiligen Land präsentiere. Wenn sie nicht auf unserer Bühne steht, gibt sie allerdings keineswegs das Bild einer wohlerzogenen Dame ab. Sie spuckt ungeniert auf den Boden, und ihre Wortwahl ist beizeiten so derb, dass es selbst einem hartgesottenen Landsknecht die Schamesröte ins Gesicht treibt.

Wenn es aber darum geht, den Schaulustigen auf den Jahrmärkten meine Reliquien aufzuschwatzen, verwandelt sich Jasmin in eine schillernde Gestalt aus dem fernen Morgenland. Auf der Bühne trägt sie ein seidenes, mit Glöckchen und Bändern geschmücktes Kleid sowie eine kupferne Krone. Mit etwas Schminkpulver lasse ich den bronzefarbenen Ton auf ihren Wangen deutlicher hervorstechen. Alles in allem kann ich der staunenden Menge so eine überzeugende orientalische Prinzessin präsentieren, die angeblich unter den widrigsten Umständen eine weite Reise auf sich genommen hat, um eine Truhe mit heiligen Reliquien aus dem fernen Jerusalem auf diesen Markt zu schaffen. Es erstaunt mich immer wieder, dass nur selten einer der Umstehenden laut seine Zweifel daran äußert, dass eine Dame aus dem Morgenland solche Anstrengungen unternommen hat, nur um auf einer morschen Bretterbühne in Osnabrück, Minden, Warendorf oder anderen recht unbedeutenden Orten diese wundersamen Schätze zum Verkauf anzubieten.

Wahrscheinlich zieht Jasmins Anblick die Menschen ganz einfach in ihren Bann. Wenn sie der Menge dann noch einige fremdartig klingende Wörter zuruft, die sie im Kindesalter von ihrer orientalischen Mutter aufgeschnappt hat, dauert es zumeist nicht lange, bis die ersten Neugierigen herantreten und mir ihre Münzen für den nutzlosesten Tand überlassen.

Wenn es ein Mitglied unserer kleinen Gemeinschaft gibt, das tatsächlich mit einer besonderen Begabung gesegnet ist, dann ist da wohl meine zehnjährige Tochter Mieke zu nennen. Das Mädchen besitzt die geschicktesten Diebesfinger, die mir je zu Augen gekommen sind. Flink und unbemerkt greift sie in die Taschen der reichen Pfeffersäcke und hat auf diese Weise schon einige Münzen ergattert, die uns an so manchen Abenden vor dem Hunger bewahrt haben. Hin und wieder plagt mich die Sorge, dass es irgendwann einmal ein schlimmes Ende mit meiner Tochter nehmen wird, doch im Grunde macht es mich auch stolz, dass sie diese Fertigkeit besitzt.

Das also waren die Gefährten, mit denen ich in Osnabrück auf dem Festgelände vor dem Johannistor eintraf. Bedauerlicherweise kamen wir zu spät an, um einen der begehrten Plätze im Schatten des Stadtwalles zu ergattern, was einen Nachteil für uns bedeutete, denn die meisten der Schaulustigen würden sich in der brütenden Sommerhitze nicht lange in der Sonne aufhalten. Zumindest aber konnten wir unseren Wagen und damit unsere Bühne so aufstellen, dass sie den vorüberziehenden Männern und Frauen sofort ins Auge fiel.

Am Vortag hatten wir die letzten Vorräte aufgebraucht. Mit leeren Mägen machten wir uns nun daran, alles für die Vorstellung vorzubereiten, die am Nachmittag beginnen sollte und uns hoffentlich genügend Münzen für eine sättigende Abendmahlzeit einbringen würde.

An der Seite des Wagens klappte ich eine Plattform aus, die ich mit mehreren Stangen befestigte, so dass sie als Bühne benutzt werden konnte. Jasmin und Mieke spannten sogleich bunte Leinentücher auf, die dieses Podest schmückten – auch wenn sie zum größten Teil bereits recht verschlissen wirkten und die Farben verblasst waren.

Ich schaute mich um, um abzuschätzen, welche Schausteller in der Nähe uns das Geschäft verderben konnten. Uns gegenüber war eine Bühne aufgebaut worden, auf der ein Jongleur seine Kunststücke einübte und ein junger Bursche auf Händen lief. Daneben befand sich bislang nur ein einziger Wagen, aus dem ich ein dumpfes Brummen und mehrere kreischende Schreie vernahm. Wahrscheinlich handelte es sich um die Vorführung fremdartiger Kreaturen, womöglich Affen und ein Bär, den man auf Befehl tanzen ließ. Das alles störte mich nicht. Artisten und Bärenführer würden die Bürger herbeilocken, und solange sich kein anderer Reliquienhändler oder fahrender Medikus hier niederließ, würden wir gute Geschäfte machen.

Nachdem wir also die Bühne hergerichtet hatten, machten wir uns hinter dem Wagen an die weiteren Vorbereitungen. Reynold füllte einen übelriechenden Sud in kleine Flaschen ab, und Jasmin kramte das Seidenkleid hervor, das sie später bei der Vorstellung tragen würde.

Mieke war verschwunden. Wahrscheinlich streifte sie neugierig über den Markt. Ich hoffte, dass sie ihre Diebesfinger beherrschte und sich keinen Ärger einhandeln würde.

Während ich die Holztruhe mit den Reliquien vom Wagen hievte, fiel mein Blick auf Jasmin, die das Kleid in den Händen hielt und so verächtlich darüber die Nase rümpfte, dass ich befürchtete, sie würde es jeden Moment in Fetzen reißen.

»Was ist?«, fragte ich.

»Es macht mich zu einer Puppe«, knurrte sie.

»Unsinn«, versuchte ich sie zu besänftigen. »Du schaust darin aus wie eine Prinzessin.«

»Ich spucke darauf. Es widert mich an, wie ein dressierter Papagei auf dieser Bühne herumzustolzieren.«

In den vergangenen drei Jahren hatte Jasmin wohl weit mehr als einhundert Auftritte in diesem Kleid hinter sich gebracht, ohne sich auch nur ein einziges Mal über diese Ausstaffierung zu beschweren. Mir war klar, dass sie nur deshalb diese Laune an den Tag legte, weil sie wütend auf mich war. Ich wollte ihr gut zureden, doch unglücklicherweise kam mir Reynold zuvor, der Jasmin mit einem seiner grotesken Vergleiche neckte.

»Ein Bauerntrampel, den man mit Honig bestreicht, stinkt trotzdem nach der Gosse«, sagte er, zog seine Gugel zur Seite und kratzte sich an seinem verstümmelten Ohr. »Mich wundert es, dass überhaupt jemand auf diese billige Maskerade hereinfällt.«

»Wen nennst du einen Trampel?« Zwischen Jasmins Augen bildete sich eine tiefe Zornesfalte. Sie richtete einen Finger auf Reynold und fauchte: »Halt besser dein Maul, oder du verlierst auch noch das andere Ohr.«

Reynold schnitt eine Grimasse in Jasmins Richtung. Sie hingegen blickte uns beide mit ihren dunklen Augen so zornig an, dass sie mir wie eine Furie erschien. Auch wenn Jasmin und ich uns in der Vergangenheit sehr nahe gekommen waren – und das nicht nur körperlich  –, gab es immer wieder Momente, in denen mich ihre Launen regelrecht abschreckten.

»Schluss damit!«, schimpfte ich. »Bereitet euch endlich auf die Vorstellung vor, oder wollt ihr nur faul herumsitzen und heute Abend trockene Baumrinde fressen?«

Die Androhung einer hungrigen Nacht sorgte für Ruhe zwischen den Streithähnen. Jasmin brummte weiter vor sich hin, doch Reynold lachte nur, und damit war der Hader fürs Erste beigelegt. Ich hatte einen wackligen Frieden erreicht, der bei der nächsten falschen Bemerkung rasch wieder zu neuem Zank führen konnte.

Aufmunternd klatschte ich in die Hände. »Wohlan! Die Münzen der Osnabrücker warten nur darauf, in unsere Taschen zu wandern.«

»Tun sie das?«, vernahm ich hinter mir eine energische Stimme. Ich wandte mich um. Ein Mann in vornehmer Kleidung und mit kantigem Gesicht trat auf mich zu. Er zwirbelte seinen Oberlippenbart und ließ seinen Blick von unserem Wagen zu Jasmin und Reynold wandern. Dann schaute er mir mit einer gewissen Häme in die Augen und sagte: »Ich frage mich, ob ihr für das Geld unserer Bürger auch eine Gegenleistung erbringen könnt.«

»Wer will das wissen?«, erwiderte ich.

»Mein Name ist Jost Lüders. Ich stehe in den Diensten des Rates, der mir die Aufgabe übertragen hat, das Marktgeschehen zu überwachen.«

»Und was wollt Ihr von uns?« Der Besuch dieses Amtmannes machte mich unruhig.

Lüders ging zwei Schritte und stellte sich neben die Reliquien-Kiste. An seiner rechten Hand trug er einen breiten Silberring, mit dem er zweimal auf den Holzdeckel klopfte.

»Aufmachen!«, wies er mich an.

Ich zögerte kurz ob seines herrischen Tons. Es widerstrebte mir, mich dem zu beugen. Dennoch wollte ich den Amtmann nicht gegen mich aufbringen. Ich öffnete die Kiste.

»Die Heiligtümer aus dem fernen Jerusalem.« Lüders lachte leise und nahm einige Gegenstände in die Hand. Er betrachtete ein zerkratztes Eisenstück, das nicht größer als mein Daumen war, und runzelte die Stirn.

»Ein Stück des Rostes, auf dessen Glut der heilige Laurentius gemartert wurde«, erklärte ich ihm. »Es bewahrt seinen Besitzer vor dem Aufflammen der Begierden.«

»Wer hätte das für möglich gehalten?«, bemerkte Lüders. »Und dieser Strohhalm hier?«

»Der stammt aus der Krippe des Jesuskindes«, behauptete ich und bemühte mich, überzeugend zu klingen. »Wirksam gegen Schlaflosigkeit und Haarausfall.«

»Sieh mal einer an«, knurrte Lüders. »Und worum handelt es sich bei diesem seltsamen Kleinod?« Er bezog sich auf das schmale Holzstück, das er nun zwischen Daumen und Zeigefinger hielt.

»Ein Splitter aus der Arche Noah«, sagte ich.

»Schützt vor …?«

»Hochwasser und Fußschweiß.«

Lüders brummte abfällig und warf alles zurück in die Kiste. »Ich war im vergangenen Herbst bei eurer Vorstellung zugegen«, sagte er, »als ihr auf dem Jahrmarkt hier in Osnabrück eure angeblichen Reliquien feilgeboten habt.«

»Von deren heiliger Kraft ihre Besitzer gewiss auch heute noch einen Nutzen ziehen«, erwiderte ich.

»Unsinn!« Der Ton des Amtmannes nahm an Schärfe zu. »Ihr betreibt eine billige Posse. Der Tand, den ihr verkauft, ist ebenso ein Betrug wie diese Frau, die ihr als orientalische Prinzessin vorstellt. Ohne ihre Verkleidung ist sie nur eine gewöhnliche Vagantin.«

Jasmin holte tief Luft, doch bevor sie den Amtmann Lüders beleidigen konnte, hielt ich sie mit einem Fingerzeig auf und wandte ein: »Ich betrachte mich als ehrlichen Geschäftsmann. Was kann ich dafür, dass Ihr nicht an diese Wunder glauben wollt.«

»Wie auch immer«, sagte Lüders. »Im Grunde habe ich euch nicht wegen dieser zweifelhaften Reliquien aufgesucht.«

»Weshalb dann?«, wollte ich wissen.

Lüders deutete auf Reynold. »Gegen diesen Quacksalber sind zahlreiche Beschwerden beim Rat eingegangen. Während eures letzten Aufenthaltes hat dieser selbsternannte Medikus einigen leidgeprüften Bürgern seinen Theriak verkauft, durch den diese nur noch heftiger erkrankten.«

»Dabei muss es sich um einen Irrtum handeln«, protestierte Reynold.

Lüders nahm eine der Flaschen zur Hand und klopfte mit dem Silberring darauf. »Ich weiß nicht, was du in deine Tränke mischst, aber jeder Einzelne, der ihn zu sich genommen hat, litt anschließend an heftigem Erbrechen und Durchfällen. Eine Frau, die von einem Hühnerauge geplagt wurde, wäre fast gestorben, nachdem sie von dem Theriak getrunken hat.«

»Ich bin kein Scharlatan.« Reynold verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. »Man kennt und schätzt mich als Meister der Medizin, der stets um das Wohl der Menschen besorgt ist.«

»Du bist eine Gefahr für die Bürger dieser Stadt«, schimpfte Lüders. »Und deine einzige Sorge gilt deiner Geldbörse.« Er blickte in die Runde. »Ihr alle seid Lügner und Betrüger.« Der Amtmann ging zum Wagen und klopfte mit seinem Ring auf das Holz. Anscheinend gefiel ihm diese Geste.

»Ich weise euch hiermit im Namen des Rates an: Packt eure Sachen zusammen, und verlasst diesen Markt!«

»Aber unsere Vorstellung«, hob ich an.

»Die wird es nicht geben.«

»Und wenn wir uns weigern zu gehen?«

»Dann schicke ich die Büttel aus und lasse jeden von euch vor Gericht stellen«, erwiderte Lüders. »In unserem Gefängnisturm findet sich gewiss noch Platz für dich, deine falsche Prinzessin und diesen Giftmischer.«

Für den Amtmann schien die Angelegenheit damit beendet zu sein. Er wollte gehen, stieß jedoch gegen meine Tochter Mieke, die in diesem Moment herbeigelaufen kam. Kurz sah es so aus, als würden beide zu Boden stürzen, doch sie hielten sich schwankend auf den Beinen.

»Geh mir aus dem Weg, du ungeschicktes Balg!«, grollte Lüders und stieß Mieke rüde zur Seite. Die wartete ab, bis er davongestapft war, dann öffnete sie ihre Hand, betrachtete kurz den silbernen Ring und schob ihn unter den Saum ihres Hemdes.

Ich zwinkerte ihr zu und konnte es ihr nicht übelnehmen, dass sie dem aufgeblasenen Amtmann diesen Streich gespielt hatte.

Trotzdem fühlte ich mich ernüchtert. Ich zweifelte nicht daran, dass Lüders seiner Drohung Taten folgen lassen würde, wenn wir seine Anweisung missachteten. Und auch wenn ich ihn in Gedanken die Blattern und die Pest an den Hals wünschte, änderte das nichts daran, dass heute kein einziger Heller in unsere Taschen wandern würde.

KAPITEL 2

Zähneknirschend befolgten wir die Anweisung des Amtmannes, verstauten unser Gepäck auf dem Wagen und verließen den Platz vor dem Johannistor. Lüders hatte uns eine Strafe angedroht, wenn ich auf der Bühne meine Reliquien anpreisen oder Reynold öffentlich seinen Theriak verkaufen würde. Er hatte allerdings nicht angeordnet, dass wir uns von der Stadt fernzuhalten hätten. Also schoben wir den Wagen durch das Tor und zogen durch die Neustadt bis in die südliche Altstadt. Hier hatte fünf Jahre zuvor ein großes Feuer gewütet, und noch immer zeugten in diesem Teil Osnabrücks zahlreiche rußgeschwärzte Ruinen von dem Unglück. Einige der Häuser waren – verstärkt mit dicken Brandmauern – bereits neu errichtet worden, doch dieses Viertel blieb ein trauriger Ort, und darum begaben wir uns in die Nähe der Kirche St. Marien, wo wir uns auf einem schattigen Platz zwischen dem Rathaus und der neuerbauten Stadtwaage niederließen. Hier überlegte ich, was wir unternehmen sollten, um unsere Mägen zu füllen. Unsere Vorräte waren auf eine Handvoll Stockfische und einen halben Krug Dünnbier zusammengeschrumpft. Das reichte nicht einmal aus, um ein Kind wie Mieke davon satt zu bekommen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!