Die Fremde - Inga Voigt - E-Book

Die Fremde E-Book

Inga Voigt

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Beschreibung

Wir leben mit vielen und lieben Menschen zusammen und glauben sie zu kennen. Aber kennen wir sie wirklich? Oder tragen sie nur eine Maske? Oder verstecken wir uns hinter einer Maske? Ist das Leben vielleicht ein einziger Maskenball? Wir alle halten unser Leben in beiden Händen und wollen immer nur das Beste. Das ist natürlich und verständlich aber nicht immer einfach. Wenn sich die Gelegenheit bietet etwas zu ändern, dann sollten wir die Chance ergreifen aber bitte im Rahmen der Legalität. Und dann lebe dein Leben, denn ein zweites Leben bekommst du nicht.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 Sweet home

Kapitel 2 Das Café

Kapitel 3 Tiergarten

Kapitel 4 In den Arkaden

Kapitel 5 Im Liebesnest

Kapitel 6 Das Wiedersehen

Kapitel 7 Die Annäherung

Kapitel 8 Die Wohnung

Kapitel 9 Erste Schritte

Kapitel 10 Die Probe

Kapitel 11 Rollentausch

Kapitel 12 Annäherung

Kapitel 13 Überraschung

Kapitel 14 Die Folgen

Kapitel 15 Das Komplott

Kapitel 16 Im Wald

Kapitel 17 Der Zeuge

Kapitel 18 Paul

Kapitel 19 Die Kündigung

Kapitel 20 LKA

Kapitel 21 Der Besuch

Kapitel 22 Gerichtsmedizin

Kapitel 23 Paul

Kapitel 24 Der unbekannte Tote

Kapitel 25 Im LKA

Kapitel 26 Das Verhör

Kapitel 27 Marayzeile

Impressum

Die Fremde

Ein Zwilling zu viel

v. Inga Voigt

Kapitel 1 Sweet home

Es ist Sommer in Berlin, August 2013. Heiß, trocken, fast schon schwül. Vielleicht hängt irgendwo im Osten bereits ein Regengebiet. Noch ist es nicht zu sehen aber es ist so drückend, dass man es beinahe greifen kann. Oder ist es eher der Wunsch, DASS es endlich regnet? Laura ist sich nicht sicher, ob es der Wunsch nach Regen ist, der sie all das denken läßt oder woran es liegt, dass sie diese Gedanken hat.

Laura und Hannes Dunst wohnen in Berlin Spandau, in einer kleinen Seitenstraße, in einem schmucken Einfamilienhaus, Flachbungalow. Sie haben schon fürs Alter vorgesorgt, keine Stufen vor oder im Haus, alles ebenerdig. Besonders stolz sind sie auf ihren selbstgebauten Kamin.

Obwohl sie keine Kinder haben, haben sie sich für vier Zimmer entschieden, sie gönnen sich einfach den Luxus. Ein Wohnzimmer und ein Schlafzimmer war Minimum, dazu ein Gästezimmer und ein Büro. Ein PC auf einem Schreibtisch paßt weder ins Wohnzimmer, noch ins Schlafzimmer. Da genug Platz vorhanden ist, gibt es neben dem Bad noch ein Gäste-WC.

Sie schwang die Beine aus dem Wasserbett und schlurfte ins Bad. Hannes war schon zur Bank gefahren, er hatte heute sehr früh eine Konferenz anberaumt und so brauchte Laura kein Frühstück machen, sondern nur eine Tasse Tee für sich allein.

Hannes war Filialleiter einer berliner Bank in Spandau. Er hatte sich hier vor drei Jahren um den Posten als Filialleiter beworben und war auf Anhieb angenommen worden. Dieser Job war der reinste Glücksgriff, war er doch jahrelang bei der Konkurrenz über die Stelle als Anlagenberater nicht hinausgekommen.

Und ihre eigene Berufswahl? Sie hatte sich zur Fremdsprachensekretärin ausbilden lassen und arbeitete nun seit zwei Jahren bei BMW, in der Geschäftsleitung. Auch ihr Verdienst konnte sich sehen lassen, immerhin reichten ihre Gehälter für den Bau dieses schmucken Häuschens. Eine Putzfrau oder einen Gärtner hatten sie zwar nicht, aber das war ok.

Laura ließ noch einmal das vergangene Wochenende vor ihrem inneren Auge Revue passieren. Diesmal war es schon ein wenig heftig gewesen, erst die Putzerei und dann noch die Grillparty. Heute würde sie es ruhiger angehen lassen als gestern.

Gestern hatte sie genug geackert.

Gestern - waren Hannes Eltern zum Grillen bei ihnen und es war anstrengend. Laura hatte tolle Steaks besorgt und die Salate alle selbstgemacht aber das war nicht gut genug. Ständig hatte Hannes Vater etwas zu nörgeln. Mal war das Fleisch zu blutig oder das Bier zu kalt. Er sei schließlich magenkrank und das habe wohl seine Schwiegertochter vergessen und so weiter und so weiter. Und Hannes Mutter mäkelte entweder am Garten herum, die Blumen stehen zu eng, die brauchen mehr Luft. Oder Kind du bist zu dünn, du mußt mehr essen, Hannes reißt sich ja noch Splitter ein. Gott sei Dank, war der Nachmittag dann irgendwann zu Ende und sie fuhren schließlich wieder nach Hause.

Egel. Es ist Montagmorgen und endlich ist das Wochenende vorbei.

Hannes und sie galten in ihrer Wohngegend als ein Vorzeigepaar. Beide verdienten gutes Geld, hatten sich ein Häuschen gebaut, alles sauber und ordentlich. Die Ehe galt als harmonisch und auch sonst verbreiteten sie immer und überall gute Laune. Kinder hatten sie allerdings keine. Warum eigentlich nicht? Die Nachbarn waren sich einig: die beiden würden hervorragende Eltern abgeben. Nachbarn sind eben so. Sie tratschen gerne. Laura wünschte sich, sie wären nicht immer so neugierig aber sie und Hannes hielten die Nachbarn stets ein wenig auf Abstand und das war gut so und klappte meistens auch ganz gut.

In der Küche angekommen warf sie einen Blick auf den Terminkalender für 2, hier hatte man auf einen Blick den ganzen Monat im Blick – eine Terminspalte für Laura und eine Spalte für Hannes. Jeder schrieb hier seine Verabredungen ein und so hatten sie ihre Termine und Verpflichtungen immer im Blick.

Was stand denn diese Woche so an? Ah, Hannes mußte von Mittwoch bis Freitag nach Frankfurt /Main fliegen zu einem Meeting der Geschäftsleitungen der Commerzbank. Stimmt, er sprach davon, daß sie Planungen vorsehen, mehrere Filialen zusammenzulegen. Nun mußte eine Lösung herbeigeführt werden, was mit dem Personal geschehen soll. „sozialverträgliche“ Kündigungen oder Umverteilungen.

Hannes würde also drei Tage außer Haus sein. Das klang doch gut. Laura könnte mal wieder etwas für sich machen. Shoppen. Solarium – oder…

Sie hatte ihren Tee ausgetrunken, zog die Lippen mit einem Lipgloss nach und verließ das Haus. Bis zu BMW am Julius-turm war es nicht weit aber sie fuhr trotzdem mit ihrem Mini Cooper zur Arbeit. Es gab immer ausreichend Parkplätze vor dem Werk und sie konnte nach der Arbeit auch schneller noch etwas einkaufen, wenn es erforderlich war. Laura wählte die kürzeste Strecke und so brauchte sie nur die Mareyzeile zu durchqueren, weiter durch die Wilhelmstr. und schon war sie - nach nur 17 Minuten Am Juliusturm. Es gab noch andere Wege aber da wäre sie dann schon mal 20 Minuten und mehr unterwegs, so war das gerade noch ok.

***

Ganz andere Sorgen hatte Marie. Marie Morgan lebte seit 20 Jahren auf der Straße. Sie sagte zwar immer, sie habe ein festes Dach über dem Kopf aber das war stark übertrieben, sie wohnte unter der Charlottenbrücke, nahe den Sportbootanlagen. Am Tag war sie in Spandau und Siemensstadt unterwegs und erbettelte sich ein paar Cent für einen Kaffee oder auch für ein Brötchen. An manchen Tagen lief es gut, an anderen weniger. Meistens saß sie in Spandau, in der Fußgängerzone vor der Charlotten-Apotheke. Der Apotheker war zwar nicht sehr begeistert eine Pennerin vor der Tür zu haben aber er duldete sie, weil er Mitleid mit ihr hatte.

Die meisten Menschen gingen achtlos an ihr vorüber, schauten sie nicht einmal an. Daran gewöhnt man sich. Wenn aber gar niemand ein paar Cent in ihren Becher warf und der Hunger unerträglich wurde, der Magen immer lauter knurrte, dann verließ sie auch schon mal ihren sicheren Platz und sprach die Menschen direkt an. „Haben Sie nicht ein paar Münzen, bitte? 20 Cent wären schon sehr viel für mich.“ Oder sie wurde ganz direkt: „Bitte, ich habe Hunger, könnten Sie mir etwas Geld geben?“

Daß die Menschen NICHTS gaben war schon grausam genug aber dass sie sie völlig ignorierten, den Blick abwendeten und so taten, als ob sie gar nicht da war – das schmerzte noch viel mehr. Diese Missachtung. Manchmal war sie richtig froh wieder unter ihrer „Brücke“ zu sein. Heute war mal wieder ein richtig guter Tag gewesen, ein Passant hatte ihr ein Brötchen geschenkt, ein Heringsfischbrötchen aus dem Fischladen „Nordsee“, ein paar Häuser weiter, ebenfalls aus der Charlottenstraße, wo sie immer saß. Heute Abend hatte sie jedenfalls keinen knurrenden Magen. Marie saß auf ihrer Isomatte, schaute über die Havel auf die eleganten Boote gegenüber, die in der Sportbootanlage vor Anker lagen und träumte von einem weißen Hausboot, mit dem sie über die Havel oder den Wannsee schippern würde und darüber schlief sie langsam ein. Aber dies würde immer nur ein Traum bleiben, ein schöner, zugegeben. Morgen würde sie mal zu den „Arkaden“ gehen und dort ihr Glück versuchen, vielleicht gab es da mehr zu holen.

Am nächsten Morgen wurde sie durch das Martinshorn der Berliner Feuerwehr geweckt, mit lauten Tatütata rasten sie über die Charlottenbrücke über Maries Kopf. Marie drehte sich aus ihrem Schlafsack, reckte sich kräftig und schlenderte runter zum Wasser. Sie hatte noch einen kleinen Schluck Wasser in ihrer Trinkflasche, das würde gerade noch zum Zähneputzen reichen. Die Flasche könnte sie ja dann wieder auf der Damentoilette in den Arkaden nachfüllen. Nein, sie hatte es nicht eilig. Die Arkaden öffneten erst um 10 Uhr, da haben es die Kunden nur eilig in die Geschäfte zu gelangen und würden an ihr nur vorbeigehen. Also plante Marie ein, nicht vor 12 oder 13 Uhr sich dort zu positionieren. Die Chancen standen einfach besser, wenn die Kunden eingekauft hatten und zufrieden die Arkaden wieder verließen, dann waren sie eher bereit ein paar Cent abzugeben. Was aber sollte sie bis 12 Uhr machen? Sie könnte ja mal nach Paul und Willy gucken. Sie hatte die beiden schon ein paar Tage nicht mehr gesehen. Vielleicht könnte sie hier noch ein Bier oder eine Zigarette schnorren.

Marie packte ihre Habseligkeiten zusammen und machte sich auf den Weg. Das letzte Mal hatte sie die beiden vor einem Supermarkt in Siemensstadt getroffen. Sie schlenderte zur U-Bahn und fuhr mit der U7 nach Siemensstadt. Einen Fahrschein hatte sie nicht und eine Kontrolle war ihr Gott sei Dank auch nicht über den Weg gelaufen. In der U-Bahn hatte sie die Fahrgäste angesprochen und um ein paar Cent gebettelt. Entweder stellten sich die Fahrgäste schlafend, waren mit ihren Smartphones beschäftigt oder lasen in ihren E-Books. Mit anderen Worten: sie ignorierten sie wieder einmal. Marie hatte noch genau 5€ in der Tasche, immerhin reichte es noch für eine Cola und es blieb noch etwas übrig.

In Siemensstadt angekommen, schlenderte sie über den kleinen Parkplatz, vor dem Einkaufszentrum und sah schon von weitem Paul auf einer Bank hocken, vor ihm lag sein Hund Willy. Paul hatte den Mischling vor einem Monat halb verhungert auf einem Baugelände gefunden. Paul hatte ihm seine letzte Stulle gegeben und ihm wahrscheinlich damit das Leben gerettet. Seitdem wich der Hund Paul keinen Schritt mehr vom Leib. Willy war undefinierbar, scheinbar eine Mischung von allen Hunderassen dieser Welt. Stullen bekam er jetzt keine mehr, er wurde sogar besser genährt als sein Herrchen, sein Fell war glatt und glänzte sogar etwas.

Marie ging auf die beiden zu und wurde sofort stürmisch von Willy begrüßt, er sprang an ihr hoch und versuchte ihr Gesicht abzuschlecken. Paul hob nur den Kopf, drehte ihn dabei in ihre Richtung und murmelte kaum hörbar „Hi, Süße“. Marie setzte sich zu ihm auf die Banklehne, legte kurz den Arm um ihn und drückte ihn. „Hast du mal‚ ne Kippe?“ Er reichte ihr die zerdrückte Packung und steckte mit seiner Zigarette die andere Zigarette an. So saßen sie schweigend eine Weile nebeneinander.

In der „Domäne“ hinter ihnen, einem etablierten Geschäft, in dem es alles zu kaufen gibt, was die gute Hausfrau braucht oder auch nicht, sogar Möbel und Kekse, lief das Geschäft schon auf vollen Touren. Marie und Paul wollten noch zu Ende rauchen und dann versuchen ein paar Münzen zu erbetteln und später dann gemeinsam nach Spandau fahren.

Kapitel 2 Das Café

Im Café Am Neuen See in Tiergarten saßen heute kaum Gäste, die Tische waren nicht einmal zur Hälfte besetzt. Die Kellnerinnen hatten mäßig zu tun, die wenigen Kaffeedurstigen waren meistens Stammgäste, die Touristen trafen erst am späten Nachmittag ein.

So saß unter einem Vordach ein einzelner Mann, seiner Kleidung nach konnte man ihn weder als Tourist, noch Einheimischen zuordnen. Er trug eine Sonnenbrille, gegen die Mittagssonne, blaue Jeans und ein Poloshirt, dazu dunkle Turnschuhe. Ganz normal. Eines allerdings unterschied ihn jedoch schon von den übrigen Gästen: sein Blindenstock, der zusammengeklappt und quer auf seinen Oberschenkeln abgelegt wurde, sobald er Platz genommen hatte.

Er kam jeden Tag um dieselbe Zeit, pünktlich um 16 Uhr erschien er und wenn möglich setzte er sich auch immer an denselben Tisch. Die Kellnerinnen kannten ihn alle und so war es für sie selbstverständlich, ab 15 Uhr ein Schild auf diesen Tisch zu stellen: Reserviert. Für ihn. Er war ein gern gesehener Gast, stets nett, gut gelaunt und freundlich. Man merkte ihm schon an, daß er eine gute Ausbildung hatte, sein Benehmen war ausgesprochen vorbildlich, nie nörgelte er herum oder war ungehalten, wenn er etwas warten mußte.

Auch heute hatte wieder Susanne Dienst und brachte ihm die Speisekarte, daß dies völlig unsinnig war, wußte sie. Es war ein Ritual, Jonas Kaufmann bestand darauf. Er schlug die Karte jedesmal auf, und fragte dann welchen Kuchen sie heute empfehlen könne, der nicht auf der Karte stehe. Jonas Kaufmann ließ sich mit seiner Entscheidung immer etwas Zeit „schaute“ wieder in die Speisekarte und entschied sich letztendlich für den Kuchen des Tages. Susanne betrachtete ihn in der Zwischenzeit und fragte sich zum x-ten Mal “Warum er? Warum war er blind?Ein so gut aussehender Mann?„ Sie schätzte ihn auf ungefähr 31 Jahre und mindestens 2m Größe. Man könnte schon sagen: ein Traummann, wenn da nicht…

Von diesen Gedanken ahnte Jonas Kaufmann natürlich nichts, er bestellte artig seinen Kaffee und Kuchen und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen.

Später würde er in seine kleine 1-Zimmerwohnung zurückkehren und den restlichen Abend auf dem Balkon verbringen. Er hatte es nicht weit bis nach Hause, sie war gleich hier in der Nähe, in der Thomas-Dehler-Str., das war sehr praktisch, alles zu Fuß erreichbar. Gut, zu seinem Arbeitsplatz, den Blindenwerkstätten wurde er jeden Tag mit dem Auto abgeholt und wieder nach Hause gebracht. Was er zum täglichen Leben benötigte, kaufte er in seiner Mittagspause ein, er brauchte ja nicht viel. Er lebte mit seinen 31 Jahren immer noch allein, er brauchte niemanden zu versorgen. Seine Eltern waren damals bei einem Autounfall ums Leben gekommen, er selbst, er war seinerzeit 10 Jahre alt, kam schwer verletzt ins Krankenhaus. Das Auto seiner Eltern war mit einem Mercedes zusammengestoßen, Jonas selbst war durch die Windschutzscheibe geflogen. Er hatte u.a. eine schwere Gehirnerschütterung, diverse Knochenbrüche, lag mehrere Wochen im Koma und war seitdem blind. So wuchs er bei seinen Großeltern auf und als sie starben, mußte er zum ersten Mal in seinem Leben allein zurechtkommen. Das war verdammt schwer aber heute gute 21 Jahre später, hatte er sein Leben im Griff und kam gut zurecht.

Eine Frau in seinem Leben hatte er bisher nicht vermißt, wie auch? Wie sollte das auch gehen: ein Blinder und eine Sehende? Bei einem Blinden müssen alle Gegenstände IMMER an derselben Stelle liegen. Die Stühle immer an derselben Stelle stehen. Die Türen immer offen sein.

Was wäre, wenn sie sich im Schlafzimmer (sofern man mehrere Zimmer hat) hinlegt, die Tür schließt und schläft? Er, Jonas, würde dies nicht erkennen und mit vollem Karacho gegen die geschlossene Tür rennen! Welch‘ eine Horror-Vorstellung! Ein Blinder bewegt sich in seiner Wohnung ebenso selbstsicher, wie ein Sehender in seiner Wohnung.

Vorausgesetzt, alles steht oder liegt, wie er es deponiert hat. Das ist schwer vorstellbar aber Tatsache. Wer Jonas bei sich zu Hause beobachten könnte, würde nie merken, daß er blind ist. Jonas bewältigt seinen Haushalt allein, bekocht sich und er sieht genauso Fernsehen, wie jeder andere auch. Darauf ist Jonas sogar sehr stolz. In den Blindenwerkstätten wird am nächsten Tag genauso heftig über ein Fußballspiel des Vorabends diskutiert, wie über einen Krimi. Einen Fußballkommentator liebte er besonders: Werner Hausch. Leider hat er sich mittlerweile schon zur Ruhe gesetzt und frönt dem Rentnerdasein, leider. Aber der war richtig gut und witzig.

Und eine Frau, die dasselbe Handicap hätte, wie er? Bisher hat sich noch nichts ergeben, auf seiner Arbeitsstelle sind die meisten Frauen verheiratet oder – pardon – zu alt.

Jonas ließ seine Gedanken weiter schweifen, wenn es etwas gäbe, das er vermißt, so wären es die langen Spaziergänge im Grunewald. Hier war er sehr oft mit seinen Eltern, irgendwo am Hüttenweg.

Sie hatten immer auf dem Parkplatz dort geparkt und waren dann in den Wald gegangen, vorbei an einer großen Eiche und dann an einem Feld mit vielen Farnen. Jonas hatte sich hier immer versteckt und seine Eltern mußten ihn dann suchen, ja, er kannte sich ganz gut hier aus.

Heute wäre dies, zumindest ohne Begleitung, undenkbar.

***

Laura Dunst saß an ihrem Schreibtisch und las die Korrespondenz auf dem PC nun schon zum dritten Mal durch, es durfte keinen Fehler geben, den sie übersah. Von diesem Auslandsauftrag hing ein Großgeschäft über mehrere Millionen ab. Sie hatte nicht mitbekommen, daß sich die Tür hinter ihr öffnete. Ganz langsam spürte sie, wie ein Finger über ihren Hals, vom Haaransatz zur Schulter, strich. Sie bekam eine Gänsehaut. Hinter ihr stand Chris Bergmann und küßte sanft ihren Hals. „Wie weit bist du? Schaffst du es bis zur Mittagspause?“ Laura grinste „Bin gleich fertig, dann können wir gehen.“

Chris Bergmann war Lauras direkter Vorgesetzter, 42 Jahre alt, ledig und leitender Angestellter bei BMW.

Er liebte sie abgöttisch, ihr Verhältnis dauerte zwar erst 1 Jahr, oder schon 1 Jahr? Je nachdem, wie man es betrachtete. Sie achteten streng darauf, daß es ihr Geheimnis blieb und auch bleiben sollte. „Ich habe eine Überraschung für dich.“ Laura sah ihn geheimnisvoll an und lächelte verschmitzt. „Ich sag’s dir beim Essen.“ Chris ging schon mal vor in die Kantine, damit er einen Tisch aussuchen konnte und sollte ihm ein Mitarbeiter noch ein Gespräch aufdrängen, könnte er es beenden, bevor Laura zum Essen käme.

---ENDE DER LESEPROBE---