4,99 €
Du bist ein ehrlicher und aufrichtiger Mensch, richtig? Sag mir, daß Du noch nie gelogen hast, sag mir, daß Du noch nie betrogen hast und ICH sage Dir - Du lügst! Jeder auf dieser Welt behauptet von sich ein Gutmensch zu sein. Aber das wahre Leben sieht anders aus, ganz anders. Bei manchen beginnt es bereits in der Wiege. Babys sind satt, haben eine saubere Windel an und trotzdem brüllen sie. Eigentlich sollten sie zufrieden sein. Sind sie aber nicht. Später macht so manch einer Komplimente - gut siehst du aus. In Wirklichkeit denkt er/sie: ist ihr Fön explodiert? Siehst Du, das kennt jeder, oder?
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2016
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1 Kindheit
Kapitel 2 LKA Berlin
Kapitel 3 Die neue Wohnung
Kapitel 4 Alltag
Kapitel 5 Nachts in Berlin
Kapitel 6 Nele’s Leben
Kapitel 7 Entdeckungen
Kapitel 8 Ein neuer Fall
Kapitel 9 Jens Verlust
Kapitel 10 Erste Untersuchungsergebnisse
Kapitel 11 Jens Suche
Kapitel 12 Der Einkauf
Kapitel 13 Venus von Milo
Kapitel 14 Der Notruf
Kapitel 15 In der Gerichtsmedizin
Kapitel 16 Das Verhör
Kapitel 17 Die Gerichtsverhandlung
Zu guter Letzt
Impressum
Sophie
von Inga Voigt
Sophie lag in ihrem Bett, umgeben von hohen Gitterstäben, ihre Pampas war schon seit Stunden durchnäßt. Sie starrte an die Zimmerdecke und beobachte die Schatten, die sich dort formten, wann immer ein Auto auf der Straße vorüberfuhr. Stand dort jemand vor dem Fenster? Versuchte jemand ins Zimmer zu steigen?
Sophie hatte Angst, unvorstellbare Angst. Sie nahm ihren Teddy in den Arm und drückte ihre Tränen in sein Fell. Leise schluchzte sie, sie rief nach ihrer Mami – niemand hörte sie. Sie war allein, ganz allein. Sophie lebte mit ihrer Mutter in einer 2 Zimmerwohnung, einen Vater gab es nicht.
Sie hörte aus dem Nebenzimmer Geräusche, heftige Atemstöße, Stöhnen und dann einen unterdrückten Schrei. Nicht ängstlich aber was war es dann? Mami war nicht allein. Sophie starrte zur Tür, sie stand einen Spalt offen und dort sah sie, daß jemand mit ihrer Mami zusammen im Bett lag. Er lag auf Mami aber was machte er da? Er bewegte sich auf ihr und Mami stöhnte ein wenig.
Wie gerne hätte sie sich jetzt an sie gekuschelt, an ihren armen Körper und hätte sich trösten lassen. Stattdessen grapschte der fremde Mann an Mami herum. Am Ende würde er Mami wieder etwas Geld schenken und dann verschwinden, wie alle Männer, die Mami besuchten.
Sophie wurde älter und größer.
Sie machte eine Berufsausbildung zur Apothekenhelferin und fand eine gutbezahlte Stelle in Spandau. Ihr Leben verlief in ruhigen Bahnen.
Als sie 18 Jahre alt wurde, erklärte ihr ihr Frauenarzt, Dr. Rubens, daß sie Unterleibskrebs habe. Es folgten Operationen, Chemotherapien, Medikamente und Kuraufenthalte. Die Metastasen wurden zwar entfernt aber sie bekam auch nach den Kuren jede Menge Tabletten, die sie ein Leben lang nehmen mußte. Ihr waren nach der Chemo sämtliche Haare ausgegangen und auch die Wimpern und Augenbrauen. Na ja, zwei bis drei Wimpern hatte sie noch aber mehr nicht.
Alles ertrug sie, alles wurde gut. Nach 3 Jahren war sie wieder „gesund“, nur Kinder, die würde sie nie bekommen, sagte der Arzt. Aber das war nicht so wichtig, sie lebte und konnte das Leben in die Hand nehmen.
Nach ihrer Entlassung aus der Reha, kaufte sie sich eine schicke kastanienrote, kurze Echthaarperücke und klebte sich falsche lange Wimpern an. Die Augenbrauen ließ sie sich als Permanent Make-up stechen. Noch etwas Make-up ins Gesicht, Lippenstift und Glos drauf – fertig. Sie war wieder eine hübsche junge Frau, der man die Qualen der letzten Jahre nicht ansah.
Dann kam Jens. Er überragte Sophie um einen Kopf, hatte dunkelblonde Haare und blaue Augen, mit dichten Wimpern und schönen schlanken Hände. Jens ging 3 x die Woche in ein Fitneßstudio und hatte eine tolle Figur. Jeden Abend holte er sie von der Apotheke ab, dann fuhren sie über die Havelchaussee zur Spinnerbrücke, DEM Motorradtreff in Berlin. Das Leben konnte so schön sein.
An Sophie’s 25. Geburtstag fragte Jens, ob sie seine Frau werden wolle. „Ja, ich will.“, mehr konnte sie nicht hervorbringen, ihr Glück war vollkommen. Von seinem Gehalt als KFZ-Mechaniker konnten sie gut leben, er verdiente sich noch nebenbei ein paar Scheine, indem er die Fahrzeuge seiner Freunde und Bekannten reparierte.
Die Hochzeit fand im engsten Familienkreis statt. Sophie’s Mutter war nicht eingeladen. Für eine Hochzeitsreise reichte es jedoch leider nicht.
Sie richteten sich in der Miraustr.47, in Berlin Reinickendorf eine kleine 2 1/2-Zimmer-Wohnung ein und hatten auch einen kleinen Balkon, auf dem sie am Wochenende gemütlich frühstücken konnten. Jens konnte mit dem Motorrad zur Arbeit fahren uns Sophie hatte noch einen kleinen Peugeot. Zur Not konnten sie auch die BVG nutzen, die Haltestellen waren gut zu fuß erreichbar.
Sophie und Jens waren nun schon 2 Jahre verheiratet und immer noch hing der Himmel voller Geigen. Sophie stand immer als Erste auf und machte das Frühstück. So auch heute. Aber was war das? Ihr war schwindelig. War das letzte Glas Rotwein gestern zuviel? Wieviel hatte sie eigentlich getrunken? Egal, sie rannte ins Bad und übergab sich. Sie schwor sich, nie wieder 4 Gläser Rotwein zu trinken und schon gar keinen Grappa dazwischen.
Auch am Montag ging es ihr nicht besser und auch nicht am Dienstag. Vielleicht doch auch eine kleine Magen-Darmverstimmung? Jedenfalls am Mittwoch war alles wieder vorbei.
Der Sommer neigte sich seinem Ende zu und läutete bereits den Herbst ein. Sophie schlüpfte in ihre lange Hose – oh nein - die Hose ließ sich nicht mehr schließen, der Reißverschluß sperrte um 10 cm.
Sie ging zum Spiegel. Hatte sie zugenommen? Sie stellte sich auf die Waage. Tatsache. Sie wog 7 kg mehr. Im Sommer war es ihr nicht aufgefallen, die Sommerkleider waren alle weit geschnitten, aber die Hosen nicht. Sie nahm sich vor, zwei oder drei Kilo abzunehmen, dann ginge es auch wieder.
Aber die Kilos wurden nicht weniger, eher mehr.
„Geh‘ doch mal zum doc.“ Riet ihr Jens. „Heute ist aber Mittwoch und da brauche ich erst gar nicht anrufen. Ist sowieso zu.“ Jens gab sich geschlagen und trollte sich.
Am Donnerstag erreichte sie jemanden in der Praxis und bekam tatsächlich noch am Freitag einen Termin um 17 Uhr.
„Tja, Frau Claasen, da muß ich sie wohl zu einem Gynäkologen überweisen. Ich bin mir zwar nicht sicher, aber ich vermute, sie sind schwanger.“
„Das ist ganz unmöglich. Das geht gar nicht.“ Sophie geriet in Panik. Hatte ihr nicht damals Dr. Rubens erklärt, daß sie nie Kinder haben kann? Deshalb verhütete sie natürlich auch nicht.
Drei Tage später saß sie beim Frauenarzt. „Herzlichen Glückwunsch, ja, es besteht eine Schwangerschaft. Sie sind im 3. Monat.“ Dr. Sonntag stich sich einige Haarsträhnen, die schon an den Spitzen leicht grau wurden, aus der Stirn und strahlte Sophie an. Sophie war im siebenten Himmel, damit hatte sie nie im Leben gerechnet.
Jens war außer sich vor Freude, nun werden sie doch noch eine richtige Familie sein. Sie begannen die Babyausstattung zusammenzustellen und besorgten eine Kinderwiege, einen Wickeltisch und einen kleinen Teddybären. Die Wohnung wäre für die ersten zwei bis drei Jahre groß genug und später würden sie sich eben eine Größere suchen.
Ihr Glück sollte noch bis zum Dezember anhalten. Zwei Tage vor Weihnachten bekam Sophie Bauchschmerzen, sie war jetzt im 5. Monat schwanger. Also, Wehen konnten es keine sein. Sie schleppte sich ins Bad und sah, wie sich unter ihr eine große Blutlache ergoß. Ihr wurde schwarz vor Augen und sie brach bewußtlos zusammen. Wie lange sie dort gelegen hatte, vermochte sie später nicht mehr zu sagen.
„Sophie, ich bin wieder daaahaa.“ Jens kam nach Hause und fand seine Frau zusammengekrümmt im Bad. Er rief sofort die Feuerwehr an und Sophie kam umgehend in die Charité. Sophie lag in einem 3-Bett-Zimmer, hatte aber nur eine Zimmernachbarin. Ihr wäre es lieber gewesen, ganz alleine zu sein, denn die Mutter von bereits 3 Kinder, redete ununterbrochen und ging hier tierisch auf die Ketten.
Am nächsten Morgen, bei der Visite erklärte ihr Chefarzt Dr. Martin, daß sie ihr Kind verloren hat, es war bereits tot, als sie es im Bad verloren hatte. Aus medizinischen Gründen mußte man leider auch ihre Gebärmutter entfernen und somit könne sie nunmehr tatsächlich keine Kinder mehr bekommen.
Für Sophie brach eine Welt zusammen, sollte ihr soviel Glück doch nicht zustehen? Hatte sie ihr Glück überzogen? Wieviel Glück steht einem denn überhaupt zu? Sophie bekam Manische Depressionen, hatte Selbstmordgedanken und sollte in eine geschlossene Psychiatrie überwiesen werden. Sie flehte Jens an: „Ich reiße mich zusammen, nein, ich nehme die Medikamente. Ich will nur bei dir bleiben.“ So kam es, daß Sophie nicht in eine Klinik eingewiesen, sondern nach Hause entlassen wurde. Noch war ja nichts geschehen, sie hatte sich noch nicht selbst verletzt.
Kriminalhauptkommissarin Nele Horst saß im 3. Mordkommissariat am Schreibtisch und durchforstete die eingegangenen Mord- und Totschlagsmeldungen der vergangenen Nacht. Vor ihr stand ein großer Pott Kaffee, schwarz und ohne Zucker. Sie nahm einen Schluck, verbrannte sich prompt die Lippen und fluchte „Mist.“ Sie blickte über den Tassenrand und sah daß ihr Mitstreiter, KHK Justus von Kleist, das Büro betrat. „Wie siehst du denn aus? Ist bei euch der Fön explodiert oder ist die Gartenlaube abgebrannt?“ Justus von Kleist war heute früh schon mit seiner Tochter Pia zusammengerasselt und hatte absolut keine Lust auf Streit. „Nee, Pia, war heute wieder mal ausgesprochen liebenswürdig. Was steht auf ‚Tochtermord im Affekt‘?“. Nele grinste, das war es also. „Wie lange will sie eigentlich immer noch bei euch wohnen?“
„Die Chancen stehen gut, daß sie bald auszieht“ meinte Justus v. Kleist. „Sie sucht schon nach einer Wohnung. Und bei dir – gibt es neue Tote oder ‚Totgeglaubte‘?“ Justus v. Kleist versuchte ein schelmisches Grinsen, was aber kläglich scheiterte. Nichts Neues für uns dabei. „Wollen wir frühstücken gehen?“ Nele zögerte aber warum nicht? „OK, laß uns zu Marie gehen, dort gibt es so herrliche Croissants.“ Und so zogen sie los.
Marie hatte ein kleines Bistro an der Ecke und ihre Kunden kamen überwiegend vom Polizeidezernat. Man kannte sich eben. „Na, ihr 2. Wie immer, Justus?“ Sie bestellten sich jeder einen Croissant und Milchkaffee dazu. Justus v. Kleist biß herzhaft in sein 2. Frühstück, Nele nippte am Kaffee. „Ich weiß nicht, was mit Pia los ist. Neuerdings ist sie schnippisch und gegen ihr Outfit darf man schon gar nichts sagen.“ „Wieso?“ Nele runzelte die Stirn. „Na ja, ich bin ja nur der Vater aber so wie sie rumläuft - die Röcke werden immer kürzer und die Bluse zeigt mehr, als sie versteckt.“ „Kann es sein, daß du alt wirst? Seit wann stört dich so was?“ Nele grinste. Justus von Kleist fühlte sich ertappt, er war zwar erst knapp über 50 Jahre alt aber gemessen an seiner Kollegin, die rund 15 Jahre jünger war, war er vielleicht doch schon ein wenig verknöchert. Mitten in ihrem Gespräch klingelte Justus von Kleists Handy. „Wie war die Adresse, wiederhol‘ noch mal – Hubertusstr. 10, in Waidmannslust. Bei Sabine Lorenz. Ok, wir fahren hin.“ „Los, Nele – Einsatz.“
Sie ließen den halben Milchkaffee stehen, stopften sich die restlichen Croissants in den Mund und warfen das Geld auf den Tisch.
Die Pflicht rief. Sie sprangen in ihren Dienstwagen und schleusten sich durch den morgendlichen Berufsverkehr. Nach 25 Minuten hatten sie den Einsatzort erreicht, was genau sie erwartete hatte die Leitstelle nicht mitgeteilt. So wußten sie lediglich, daß es ein Frauenmord ist.
Das Opfer, Sabine Lorenz, wohnte in einen typischen berliner Altbau, vier Etagen, ohne Aufzug.
Die Wohnung von Sabine Lorenz lag im Hochparterre, rechts. Zwei Zimmer, eine Küche und ein kleines Bad. Nele Horst und Justus v. Kleist bot das Wohnzimmer einen chaotischen Anblick. Sämtliche Schubladen waren herausgerissen und deren Inhalt auf dem Boden verstreut. Die Tote war nur sehr spärlich bekleidet mit einem schwarzen Spitzen-BH, einem schwarzen Tanga und darüber ebenso schwarzen Strapsen. Sabine Lorenz lag rücklings auf dem Bett, die Arme und Beine weit vom Körper ausgestreckt. Unter ihrem Kopf und Oberkörper breitete sich eine riesige Blutlache aus, die aus zwei Halswunden ausgetreten war. Dazu kamen diverse Stichverletzungen von einer Brust zur anderen und 2 Linien, die sich in ihrem Intimbereich trafen.