Die Freundinnen von Cloud's Hill - Cathy Kelly - E-Book
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Die Freundinnen von Cloud's Hill E-Book

Cathy Kelly

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Beschreibung

Zwischen alten Träumen und neuen Anfängen: Der irische Wohlfühlroman »Die Freundinnen von Cloud’s Hill« von Cathy Kelly jetzt als eBook bei dotbooks. Im irischen Städtchen Carrickwell müssen drei Freundinnen plötzlich feststellen, dass das Chaos unbemerkt Einzug in die Idylle gehalten hat … Für Mel kommt der Job immer an erster Stelle, die Liebe kann sich ruhig etwas gedulden – bis sie plötzlich einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand hält! Cleo hingegen würde am liebsten ganz für ihre Familie da sein, doch ein unerwartetes Angebot stellt alles auf den Kopf, worüber sie sich sonst so sicher war Und Daisy? Die hat ihr Leben mit dem perfekten Mann fest durchgeplant – aber übersieht sie dabei vielleicht, wonach sie sich am meisten sehnt? In dem kleinen Wellness-Hotel »Cloud’s Hill« hoffen die Freundinnen, ihre Gedanken ordnen zu können, zumal Leah, die Besitzerin, immer guten Rat zu wissen scheint. Dabei hat Leah ihre ganz eigenen Geheimnisse mit nach Carrickwell gebracht … »Das ultimative Wohlfühl-Buch!« Woman's Own Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der berührende Irlandroman »Die Freundinnen von Cloud’s Hill« der Bestsellerautorin Cathy Kelly – perfekt für Fans von Maeve Binchy und Manuela Inusa. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 820

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Über dieses Buch:

Im irischen Städtchen Carrickwell müssen drei Freundinnen plötzlich feststellen, dass das Chaos unbemerkt Einzug in die Idylle gehalten hat … Für Mel kommt der Job immer an erster Stelle, die Liebe kann sich ruhig etwas gedulden – bis sie plötzlich einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand hält! Cleo hingegen würde am liebsten ganz für ihre Familie da sein, doch ein unerwartetes Angebot stellt alles auf den Kopf, worüber sie sich sonst so sicher war Und Daisy? Die hat ihr Leben mit dem perfekten Mann fest durchgeplant – aber übersieht sie dabei vielleicht, wonach sie sich am meisten sehnt? In dem kleinen Wellness-Hotel »Cloud’s Hill« hoffen die Freundinnen, ihre Gedanken ordnen zu können, zumal Leah, die Besitzerin, immer guten Rat zu wissen scheint. Dabei hat Leah ihre ganz eigenen Geheimnisse mit nach Carrickwell gebracht …

»Das ultimative Wohlfühl-Buch!« Woman's Own

Über die Autorin:

Cathy Kelly arbeitete als Redakteurin, Filmkritikerin und »Kummerkastentante« bei der Dubliner Sunday World, bevor sie sich ganz dem Schreiben von Romanen widmete, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden und regelmäßig die Bestsellerlisten erobern. Am liebsten schreibt sie warmherzige, einfühlsame Geschichten über ihre irische Heimat. Cathy Kelly lebt mit ihrer Familie und ihren drei Hunden in County Wicklow.

Bei dotbooks veröffentlichte Cathy Kelly ihre Romane:

»Heimkehr nach Irland«

»Der Duft von irischem Lavendel«

»Eine irische Hochzeit«

»Die irischen Freundinnen«

»Der Glanz von irischem Klee«

»Wie küsst man einen Iren?«

»Wie angelt man sich einen Iren?«

»Wie heiratet man einen Iren?«

»Die Schwestern von Ballymoreen«

»Die Frauen von Ardagh’s Crown«

Die Website der Autorin: www.cathykelly.co.uk/

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eBook-Neuausgabe Februar 2023

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 2005 unter dem Originaltitel »Always and Forever« bei HarperCollins Publishers, London. Die deutsche Erstausgabe erschien 2006 unter dem Titel »Da hilft nur noch Schokolade« bei Blanvalet.

Copyright © der englischen Originalausgabe 2005 by Cathy Kelly

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2006 by Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Covergestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mw)

ISBN 978-3-98690-475-3

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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In diesem eBook begegnen Sie möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. Diese Fiktion spiegelt nicht unbedingt die Überzeugungen des Verlags wider.

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Cathy Kelly

Die Freundinnen von Cloud’s Hill

Roman

Aus dem Englischen von Uta Hege

dotbooks.

Prolog

Die Frau stand so still wie die Berge, die sie umgaben, und nahm den Anblick von Mount Carraig House mit seinen windzerzausten, wild wuchernden Gärten und dem schmalen Pfad aus naturbelassenen Steinen, über den man den kleinen Bergsee erreichte, in sich auf. Hinter ihr erhob sich der Mount Carraig. Rob, der Immobilienmakler, hatte ihr erklärt, Carraig wäre das irische Wort für Fels, und genau das war der Mount Carraig auch: ein spektakulärer Fels, der die kleinere Bergkette mit dem Namen Vier Schwestern, die sich nach Südwesten erstreckte, wie eine Reihe sanfter Hügel erscheinen ließ.

Zu ihren Füßen erstreckte sich Carrickwell, der geschäftige Marktflecken, dessen Name von dem Berg stammte. Neben dem silbernen Band des Flusses Tullow, der die Ortschaft teilte, konnte sie die sanft gewundene Hauptstraße mit ihren hübschen Wohnhäusern, Geschäften, Parks und Schulen sowie genau im Zentrum die mittelalterliche Kathedrale des kleinen Städtchens sehen.

Ein Vierteljahrhundert zuvor war Carrickwell noch ein verschlafenes Nest gewesen, trotz der guten Erreichbarkeit von Dublin eine kleine, ländliche Gemeinde. Zwar hatten die Zeit und die steigenden Preise für Häuser in der Stadt der Ortschaft neues Leben eingehaucht, immer noch jedoch lag eine Atmosphäre wunderbarer Ruhe über dem gesamten Ort.

Einige behaupteten, es läge an alten, magischen Kraftströmen, die das Städtchen kreuzten. Druiden, frühe Christen, aufgrund ihrer Religion Verfolgte – sie alle waren nach Carrickwell gekommen und hatten sich im gütigen Schatten des Mount Carraig eingerichtet, denn er hatte ihnen nicht nur reines Quellwasser gespendet, sondern auch ein gewisses Gefühl von Sicherheit verliehen.

An einem Abhang links des Berges lagen die Ruinen eines Zisterzienserklosters, das inzwischen ein Anziehungspunkt für Touristen, Hobbymaler und Gelehrte war. Außerdem gab es noch die Überreste eines Rundturms, in den sich die Mönche über Strickleitern geflüchtet hatten, wenn ein Trupp von Invasoren erschienen war.

Am anderen Ende der Stadt, unweit des hübschen, wenn auch leicht verfallenen Willow-Hotels, gab es einen kleinen Steinkreis, von dem Archäologen glaubten, dass er die Umrandung einer alten Druidensiedlung war.

Mystische Feuer, ein kleiner Laden in der Stadt, in dem es alle möglichen alternativen Artefakte von Kristallen und Tarot-Karten bis hin zu Traumfängern und Anstecknadeln in Form von Engeln zu kaufen gab, machte um Mittsommer herum mit Büchern über die Druiden ein bombastisches Geschäft.

In der Weihnachtszeit wandten sich die Besucher unbewusst von Mystische Feuer ab und kauften stattdessen in dem Laden Heiliges Land, einer kleinen christlichen Buchhandlung, Aufnahmen von gregorianischen Gesängen, Gebetbücher, zarte Hummel-Brünnchen mit geweihtem Wasser oder die Spezialität des Lädchens, Rosenkränze aus Perlmutt.

Die Besitzerinnen der beiden Geschäfte, zwei reizende Damen von inzwischen über siebzig, waren zwar ihrem jeweiligen Glauben eng verbunden, hatten jedoch kein Problem mit diesem steten Hin und Her.

»Das Rad des Schicksals dreht sich in seinem eigenen Tempo«, stellte Zara von Mystische Feuer regelmäßig fest.

Und »Gott weiß, was für uns das Beste ist«, stimmte Una aus Heiliges Land der Konkurrentin fröhlich zu.

All die mystischen Vibrationen und das Gefühl von Frieden, das in der kleinen Ortschaft deshalb herrschte, zogen die Menschen magisch an.

Genau diese Aura hatte auch Leah Meyer an einem kalten Morgen im September in die Stadt gelockt.

Trotz des dicken Wollpullovers, den sie unter ihre alte Skijacke gezogen hatte, spürte Leah deutlich, wie ihr die Kälte in den Körper kroch. Sie war die trockene Hitze Kaliforniens gewöhnt, in der man unter Kälte 20 Grad Celsius und die daraus resultierende etwas spärlichere Verwendung von Sonnenschutzmitteln verstand. Hier war das Klima völlig anders, und aufgrund der ungewohnten Frische taten ihr alle Knochen weh. Langsam spüre ich mein Alter, sagte sie sich bibbernd, auch wenn es ihr eindeutig nicht anzusehen war.

Sie hatte im Verlauf der Jahre gut auf sich geachtet, doch die Zeit war natürlich nicht aufzuhalten, letztendlich gab es keine Creme, die verhinderte, dass sie ihre Spuren hinterließ. Ein diskretes Lid- und Augenbrauenlifting hatte ihr vor ein paar Jahren das fein gemeißelte Gesicht zurückgegeben, mit dem sie auf die Welt gekommen war. Heute konnte man mit sechzig problemlos aussehen wie vierzig – wenn man den richtigen Schönheitschirurgen hatte, fügte sie mit einem leisen Lächeln hinzu.

Die schmerzenden Glieder hielt sie eine Zeit lang klaglos aus, denn endlich hatte sie den Ort gefunden, nach dem sie schon seit Jahren suchte. Mount Carraig House und Carrickwell waren für den Bau des von ihr geplanten Wellnesszentrums geradezu perfekt. In ihrer Euphorie empfand sie den Wind, der ihr entgegenwehte, plötzlich nicht mehr als kalt, sondern als pure, reinigende Kraft.

»Ruhe«, meinte sie und wandte sich dem Immobilienmakler zu, der sich höflich im Hintergrund gehalten hatte. »Genau nach diesem Wort habe ich die ganze Zeit gesucht. Verspüren Sie nicht auch eine wunderbare Ruhe, sobald Sie hier oben stehen?«

Rob blickte auf die verfallene Ruine, die Mount Carraig House inzwischen war, und überlegte, wer von ihnen beiden wohl eine Schraube locker hatte – er selbst oder die elegante amerikanische Besucherin, mit der er hierher gekommen war. Alles, was er sah, war ein verfallenes Gemäuer in einer völlig verwilderten Umgebung, an dem in den vier Jahren, seit es von ihm angeboten wurde, niemand jemals ernsthaft interessiert gewesen war.

Ein paar Leute waren gekommen, um das Anwesen in Augenschein zu nehmen, denn die lyrische Beschreibung einer ehemaligen Angestellten, die das Talent besessen hatte, aus dem sprichwörtlichen Kieselstein einen Diamanten zu schleifen, hatte sie angelockt.

»Dieses elegante Herrenhaus aus dem achtzehnten Jahrhundert, früher einmal das Heim der berühmten Delaneys von Carrickwell, wurde im prachtvollen klassischen Stil erbaut. Die Räume haben die für jene Zeit typischen, beeindruckenden hohen Decken, und die elegant geschwungene Kiesauffahrt und der großartige Säulengang erinnern an die romantische Ära, in der man noch in Pferdekutschen fuhr. Die üppigen, durch hübsche Steinmauern vor der frischen Brise aus den Bergen gut geschützten Rosengärten bedürfen einzig der Hand eines erfahrenen Gärtners, und schon erblühen sie wieder in ihrer alten Pracht. Über einen vor über hundert Jahren angelegten, herrschaftlichen Rhododendronweg gelangt man zu dem majestätischen Lough Enla, und von dem gesamten Anwesen aus genießt man einen einzigartigen Blick auf die wilde Schönheit des Mount Carraig und das sich zu Füßen des Anwesens erstreckende liebreizende Tal.« Soweit der Werbetext.

Die schmeichlerischen Worte hatten ihre Wirkung bei der guten Mrs Meyer offensichtlich nicht verfehlt, denn sie hatte das Haus auf der Webseite seines Büros entdeckt, war extra aus Amerika gekommen, und nun stand sie hier und war tatsächlich vollkommen entzückt.

Rob wusste genau, wenn seine Kunden von einem Haus begeistert waren. Sie vergaßen völlig, dass er in der Nähe war, und stellten sich versonnen ihre Möbel in den Räumen und das Gelächter ihrer Kinder, die durch den Garten tobten, vor. Auch Mrs Meyer schien bereits völlig in Tagträume versunken zu sein.

Obwohl sie in ihren Jeans, ihrer etwas abgetragenen, dick wattierten blauen Jacke, den schlichten, weichen cremefarbenen Pumps und ohne jeden Schmuck nicht wie eine Millionärin aussah, wusste er, sie hatte Geld. Schließlich hatte ein uniformierter Fahrer sie in einer eleganten schwarzen Limousine vom Flughafen hierher nach Carrickwell chauffiert.

Allerdings war schwer zu sagen, wie alt die Kundin war. Rob teilte die Dinge und die Menschen gern nach ihrem Alter ein.

Herrenhaus aus dem achtzehnten Jahrhundert; Bungalow aus den Siebzigern; reicher Geschäftsmann von vielleicht Mitte vierzig. Das Alter dieser Frau jedoch war ihm ein Rätsel. Mit ihrer schlanken Figur, ihrem weich schimmernden, kastanienbraunen Haar und ihren großen, dunklen Augen konnte sie alles zwischen dreißig und sechzig sein. Ihre seidig weiche, olivfarbene Haut war völlig faltenlos, und sie wirkte durch und durch zufrieden mit sich selbst. Also vielleicht Anfang vierzig, überlegte er.

»Ich liebe dieses Haus«, erklärte Leah; weil es völlig sinnlos wäre, redete sie nicht lange um den heißen Brei herum. »Ich werde es nehmen.« Lächelnd gab sie Rob die Hand. Nun, da sie sich entschieden hatte, empfand sie plötzlich ein Gefühl vollkommenen Friedens.

Sie war so lange erschöpft gewesen, jetzt aber hätte sie am liebsten sofort die Ärmel hochgekrempelt und sich ans Werk gemacht. Mount Carraig Wellnesszentrum? Wellnesszentrum auf dem Felsen? Der richtige Name fiele ihr schon ein.

Ein Name, der Geborgenheit und Wohlbehagen suggerierte und keinen Ort, an dem gelangweilte Frauen sich die Zehennägel lackieren lassen konnten, während ihre Männer hofften, dass sich durch ein paar Bahnen im Pool dem Alterungsprozess ein Schnippchen schlagen ließ.

Nein. Ihr Zentrum wäre darauf ausgerichtet, den Menschen von innen heraus ein neues Wohlempfinden zu vermitteln. Es würde ein Ort sein, an den die Menschen kämen, wenn sie erschöpft und ausgepowert wären und einfach nicht mehr wüssten, wo neue Kraft zu finden war. Sie könnten im Schwimmbad ihre Runden drehen und alles andere vergessen; sie könnten auf der Massagematte liegen und würden direkt spüren, wie mit den körperlichen Schmerzen auch ihre Probleme aus ihnen herausgeknetet wurden. Von dem frischen, klaren Wasser aus dem Berg, das direkt an diesem Haus vorbeifloss, und der ruhigen Atmosphäre dieses kleinen Städtchens würden sie nicht nur revitalisiert, sondern vielleicht sogar geheilt.

Dank des Zaubers eines solchen Ortes hatte auch sie selbst vor vielen Jahren Frieden und Gelassenheit zurückerlangt. Cloud’s Hill, Wolkenhügel, hatte er geheißen, nach dem alten indianischen Namen für den Hügel, auf dem er gestanden hatte, und plötzlich wurde ihr bewusst, dass der Name auch für das von ihr geplante Zentrum passend war.

Das andere Cloud’s Hill, wo sie gelernt hatte, das Leben wieder zu genießen, war eine Welt von hier entfernt, doch hatte Carrickwell genau denselben Zauber, das spürte sie deutlich. Mit diesem Wellnesszentrum könnte sie endlich anderen Menschen geben, was ihr in dem ursprünglichen Cloud’s Hill gegeben worden war. Es wäre eine Möglichkeit, sich zu bedanken. Obwohl sie lange nicht den Mut dazu besessen hatte, hatte sie bereits seit Jahren von der Gründung eines solchen Ortes geträumt. Wenn sie sofort mit der Arbeit anfing, müsste sie in einem, spätestens anderthalb Jahren fertig sein ...

»Sie ... Sie meinen, Sie wollen das Haus kaufen?«, fragte Rob, von der Plötzlichkeit ihrer Entscheidung ein wenig irritiert.

»Ja«, erklärte Leah ihm mit ruhiger Stimme und sah ihn lächelnd an.

»Darauf müssen wir anstoßen«, antwortete Rob und hoffte, dass ihm die Erleichterung, den alten Kasten endlich los zu sein, nicht allzu deutlich anzumerken war. »Kommen Sie, ich lade Sie ein.«

Kapitel 1

Januar, anderthalb Jahre später

Mel Redmond ließ ihre unechte italienische Lederaktentasche unsanft auf den Boden der Kabine fallen, klappte krachend den Toilettendeckel herunter, setzte sich und riss an der Zellophanverpackung der graphitfarbenen Seidenstrumpfhose herum. In der Eile allerdings bekam sie das Paket nicht sofort auf. Verdammt. War eigentlich inzwischen alles kindersicher gemacht?

Endlich gab die Hülle nach, und die Strumpfhose ergoss sich wie ein langer, teurer Seidenstrang über ihre Hand. In dem Drogeriemarkt direkt neben dem Gebäude der Lorimar-Krankenversicherung waren sämtliche schwarzen und graphitfarbenen Seidenstrümpfe ausverkauft gewesen. Da der Laden inmitten des Bürobezirks von Dublin lag, war das kein Wunder, und so musste Mel in die teure Boutique am Ende der Straße neben der Bank rennen und dort unverschämte 16 Euro für das Ding bezahlen. Ausgerechnet an dem Tag, an dem der Chef der Firma eine Rede vor der gesamten Belegschaft halten würde, hatte sie plötzlich eine Laufmasche in ihrer Strumpfhose.

Nach Jahren in der PR-Abteilung kannte Mel eine der Hauptregeln für arbeitende Frauen: Wenn du fantastisch aussiehst, nehmen dich die Leute wahr; wenn du aber schlampig durch die Gegend läufst, sehen die Leute nur deine Defizite, sei es verrutschter Eyeliner, bröckeliger Nagellack oder oh mein Gott, sieh dir nur ihre grauen Haaransätze an!

Auf alle Fälle würde Hilary, die Leiterin der Werbe- und Marketingabteilung und Mels direkte Vorgesetzte, unter ihrer Elizabeth-Arden-Grundierung wahrscheinlich kreidebleich, falls Mel das Verbrechen beginge, mit zerrissener Strumpfhose bei der Besprechung zu erscheinen.

Mel pflegte immer scherzhaft zu erklären, wenn sie einmal groß wäre, wollte sie so sein wie Hilary: immer perfekt organisiert, statt sich nur darum zu bemühen, organisiert zu wirken, und stets mit einem Notfallvorrat an Kopfschmerztabletten, Strumpfhosen und Parfüm in ihrer Aktentasche, die natürlich aus echtem italienischen Leder war.

Mels Tasche aus Kunstleder enthielt ihre eigenen Reserven für den Notfall, die aus einem halben Schokoriegel, einem Tampon, dessen Plastikhülle bereits angerissen war, einer aufgeweichten Paracetamol, mehreren Kugelschreibern, denen ausnahmslos die Deckel fehlten, und einer kleinen Dose mit Rosinen, die inzwischen jedoch derart hart waren, dass sie aussahen wie Fundstücke aus Tutenchamuns Grab, bestanden. Rosinen waren nach Aussage der Fachleute für die Fütterung von kleinen Kindern ein wunderbarer Snack, Mel jedoch hatte festgestellt, dass Schokolade das deutlich wirksamere Mittel zur Vorbeugung von kleinkindlichen Wutanfällen in Supermärkten war.

»Was sicher wieder mal ein Zeichen dafür ist, was für eine grauenhafte Mutter ich doch bin«, hatte Mel Vanessa, ihrer Kollegin in der Marketingabteilung, spaßeshalber erklärt. Sie beide machten häufig Witze darüber, was für schlechte Mütter sie doch waren, hätten jedoch jede andere Person, die das behauptete, eigenhändig erwürgt.

Als arbeitende Mutter musste man ganz einfach Scherze darüber machen, wovor man sich am meisten fürchtete, erklärte Mel. Ihr Leben war der Aufgabe gewidmet, dafür zu sorgen, dass die zweieinhalbjährige Carrie und die vierjährige Sarah nicht darunter litten, dass sie arbeiten ging. Wenn sie es verhindern könnte, würde niemand je behaupten können, dass sie nicht alle ihre Aufgaben hervorragend miteinander in Einklang zu bringen verstand.

Sie liebte ihren Job bei Lorimar, war hochkonzentriert und motiviert und hatte sich einst geschworen, mit vierzig wäre sie eine der Leiterinnen der Publicity-Abteilung.

Zwei Kinder hatten das verhindert. Oder vielleicht hatte Mel sich auch einfach verändert, seit sie Mutter war. Wie bei der Frage nach dem Huhn und dem Ei konnte sie nicht mit Bestimmtheit sagen, was erst gekommen war.

Inzwischen war sie vierzig, die Leitung der Publicity-Abteilung war, statt näher zu kommen, in weite Ferne gerückt, und sie musste kämpfen, damit keiner der Bälle, mit denen sie jonglierte, auf die Erde fiel. Nicht nur ihr straffer Busen, sondern auch ihr Ehrgeiz war mit der Mutterschaft erschlafft.

»Wenn ich einmal groß bin, möchte ich eine Geschäftsfrau mit einem eigenen Büro und einer schicken Aktentasche sein«, hatte die elfjährige Mel in einem Schulaufsatz geschrieben.

»Was bist du doch für ein schlaues Mädchen«, hatte ihr Vater sie gelobt, als sie mit dem Preis für den besten Aufsatz heimgekommen war. »Seht euch das nur an.« Voller Stolz hatte er auf dem nächsten Familientreffen den in Mels ordentlicher, großer Handschrift verfassten Aufsatz herumgezeigt. »Ganz der Vater, unsere kleine Melanie. Sie ist wirklich unglaublich intelligent.«

Mels Dad hätte studieren sollen, nur hatte das Geld in der Familie dafür nicht gereicht. Deshalb hatte er sich so besonders über das Potenzial der Tochter gefreut.

»Willst du denn nicht heiraten?«, hatte Mels Großmutter sie überrascht gefragt. »Wenn du heiratest, kannst du ein hübsches Heim und Babys haben und sehr glücklich sein.«

Mel, die im Geschichtsunterricht besonders die Stunden geliebt hatte, in denen Mädchen, statt sich brav um Haus und Herd zu kümmern, aktiv etwas unternommen hatten, hatte schlicht zurückgefragt: »Warum?«

Diese Antwort fand ihr Vater immer noch zum Schießen, und er wartete noch heute regelmäßig mit der Anekdote von seiner Melanie auf, die schon als Kind Karriere machen wollte.

Mel liebte ihn dafür, dass er so stolz auf seine Tochter war, doch inzwischen war ihr die Geschichte regelrecht verhasst. Als Kind hatte sie angenommen, dass man, wenn man intelligent war, alles haben konnte. Inzwischen war ihr klar, dass diese Vorstellung etwas naiv gewesen war.

Heute hatte sie zwei Jobs, als Mutter und im Büro, und auch wenn alle anderen dachten, dass sie gut damit zurechtkam, hatte sie doch häufig das Gefühl, als würde sie keiner dieser beiden Aufgaben auch nur annähernd gerecht. Sie hatte immer schon extrem hohe Ansprüche an sich gehabt.

Den dritten Job – die Ehe – zählte sie nicht einmal mehr auf.

»Woher weiß eine arbeitende Mutter, dass ihr Partner einen Orgasmus hatte?«, hatte ihr vor kurzem eine alte Collegefreundin gemailt. »Er ruft sie im Büro an, um es ihr zu erzählen.«

Etwas Lustigeres hatte Mel seit langem nicht gehört, lustig auf dieselbe hysterische Art wie der Witz von dem Rettungsboot mit Loch. Aber sie konnte diesen Witz niemandem erzählen, schon gar nicht ihrem Mann, denn vielleicht käme dann von ihm ja die Bemerkung, wie zutreffend er war.

Seit sie Kinder hatten, nahm bei ihnen Sex ungefähr denselben Raum ein wie die Zeit, die sie allein miteinander verbrachten, und die Zeit, die sie sich für lange Bäder mit Aromatherapieprodukten zur Stressreduzierung nahm – in beiden Fällen null.

Mel hoffte voller Inbrunst, dass, wenn sie sich nicht beschwerte und ihre Familie fröhlich lächelnd auch weiterhin bei Laune hielt, niemand merken würde, an welchen Stellen ihre Konzentration und Liebe zu wünschen übrig ließ.

»Delegieren Sie, nehmen Sie sich Zeit für sich, und lassen Sie nicht zu, dass Ihre Familie erwartet, Sie wären Superfrau«, rieten Zeitschriftenartikel, in denen es um den Stress arbeitender Mütter ging.

Mel, die im Rahmen ihrer Arbeit jahrelang mit Journalisten umgegangen war, wusste, dass es zwei Arten von Verfasserinnen solcher Artikel gab: glamouröse junge Frauen, die jeden Morgen pünktlich im Büro erschienen und für die der Gedanke an Kinder noch etwas völlig Fremdes war. Oder freiberuflich arbeitende Mütter, die hektisch ein paar Zeilen am Küchentisch verfassten, bevor sie ihre Kinder von der Schule holen mussten, und denen längst bewusst war, dass man nicht alles gleichzeitig schaffen konnte, die aber ordentlich damit verdienten, dass sie anderen Leuten suggerierten, dass es möglich war.

Zeit für sich? Woher zum Teufel sollte sie die nehmen? Und wie konnte man die Hausarbeit oder den wöchentlichen Einkauf an zwei noch nicht fünfjährige Mädchen und einen Gatten delegieren, der nicht mal wusste, wo man auf den Dosen die Angaben über den Salzgehalt oder über Benzoate fand?

Eilig riss sie die zerrissene Strumpfhose herunter, stopfte sie in ihre Tasche und kämpfte sich in die neue Strumpfhose hinein. Nach einem letzten Zerren an den beiden Strümpfen, die eng wie Aderpressen um die Schenkel lagen, strich sie über den Rock ihres pflaumenfarbenen Kostüms – letzte Saison Zara mit einem Schnitt, der aussah wie letzte Saison Gucci –, rannte aus der Kabine Richtung Spiegel und fuhr sich eilig mit den Fingern durch das kurz geschnittene blonde Haar. Der graue Haaransatz hatte die Grenze des guten Geschmacks inzwischen deutlich überschritten, und auch wenn noch nicht ganz klar war, ob dies als Zeichen zunehmender Reife oder vielleicht doch einfach als sträfliche Nachlässigkeit gewertet werden sollte, musste sie eindeutig dringend zum Frisör.

Zumindest sah sie noch nicht aus wie vierzig, was wirklich praktisch war, denn für irgendwelche Botox-Spritzen hatte sie weder Zeit noch Geld.

Mit achtzehn war es grauenhaft gewesen, vier Jahre jünger auszusehen und immer ihren Schülerausweis vorlegen zu müssen, damit sie im Kino in die Erwachsenenfilme kam. Nun, zwei Kinder und unzählige schlaflose Nächte später, war es ein reiner Segen, dachte sie.

Mel hatte von Natur aus ein etwas spitzes Kinn, blasse Haut und hübsch geschwungene Brauen über mandelförmigen Augen in dem klaren Blau des Himmels nach einem Gewitter, das leicht ins Violette überging, je näher man ihren Pupillen kam. Dank Maybelline New York hatte sie dichte schwarze Wimpern, und der kussfeste kirschfarbene Lippenstift hielte sicher selbst einem atomaren Angriff stand. Um den Mund herum hatten sich mit den Jahren unzählige Lachfältchen gegraben, doch hielte sie den Schmerz bei der Entfernung ganz bestimmt nicht aus. Nach der Geburt von Carrie hatte sie eine ganze Woche auf einem Gummiring gesessen, und der Gedanke, irgendwann noch mal, wenn auch noch so vorsichtig, genäht werden zu müssen, rief helle Panik in ihr wach.

Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. Fünf nach zehn. Verdammt, verdammt, verdammt. Für den Fahrstuhl war es eindeutig zu spät. Während sie noch den Lippenstift aus ihrer Tasche zerrte, galoppierte sie schon los.

Edmund Moriarty, Vorstandsvorsitzender der Lorimar-Krankenversicherung, hatte schon am Kopfende des großen Konferenztisches Platz genommen, da sich alle anderen jedoch noch leise miteinander unterhielten, gelang es Mel, sich unbemerkt zu einem freien Stuhl zu schleichen, wo sie mit einem Seufzer der Erleichterung Platz nahm. Als eine der größten Versicherungsgesellschaften des Landes war Lorimar zwanzig Jahre Marktführer gewesen, inzwischen aber waren viele neue internationale Firmen auf dem Markt erschienen, und die Geschäfte gingen schlecht. Auf der heutigen Versammlung würde es darum gehen, mit welchen Strategien sich der wachsenden Gefahr durch die Konkurrenz begegnen ließ.

Normalerweise wurden Strategiebesprechungen nur mit hochrangigen Angestellten der Firma durchgeführt, und Mel wäre sicher nicht dabei gewesen, da sie nur eine von vier Kräften in der Publicity-Abteilung des Unternehmens war. Dieses Treffen war aber als Aufmunterung gemeint, denn es sollte ihnen allen deutlich machen, »dass wir noch immer an der Spitze stehen«, wie Hilary erläutert hatte, weshalb neben den großen Tieren auch das Fußvolk eingeladen worden war.

Insgeheim war Mel der Ansicht, dass die Belegschaft ihres Unternehmens einzig durch eine Erhöhung der Gehälter und durch die Einstellung des Calvin-Klein-Unterwäsche-Modells als Botenjunge aufgemuntert werden konnte, doch sie dankte Gott, dass für heute nur eine Besprechung und nicht wie im Vorjahr eine Paintball-Schlacht mitten in der Wildnis zur Stärkung des Teamgeistes vorgesehen war. Diese blöden Kugeln, die sie damals getroffen hatten, hatten höllisch wehgetan.

Edmund Moriarty klopfte gegen sein Mikrofon, und sofort wandten sich ihm alle zu.

»Wie machen wir weiter? Das ist die große Frage«, setzte er mit ernster Stimme an. »Bisher ist Lorimar der Marktführer auf dem Gebiet der Kranken- und Unfallversicherungen hier in Irland, aber die zunehmende Konkurrenz bedeutet, dass wir uns noch mehr Mühe geben müssen als bisher.«

Die siebzig anwesenden Personen hörten ihm aufmerksam zu. Mel zog einen Block aus ihrer Aktentasche und drehte den goldbesetzten Füller aus Onyx auf, den sie von ihren Eltern zum vierzigsten Geburtstag bekommen hatte. Obwohl sie ordentlich das Datum auf den obersten Zettel schrieb und ihren Boss nicht aus den Augen ließ, war sie in Gedanken bereits bei dem zweiten Blatt Papier. Das erste Blatt war dazu da, ein paar weise Worte ihres Bosses zu notieren, damit es ja so wirkte, als höre sie ihm zu. Auf das zweite schrieb sie eine Liste all der Dinge, die heute noch erledigt werden mussten – auch wenn Edmund die Zeit dafür immer mehr verkürzte, indem er sich in aller Länge über Sachen ausließ, die sie alle bereits wussten, überlegte sie.

Rede für den Publicity-Forum-Lunch, fing ihre Liste an.

Fotos für die Broschüre retuschieren.

Journalisten vom Sentinel anrufen wg. Psychiatrie-Fall. Windeln, feuchte Tücher, Gemüse, Hühnchen, Bohnen und Kinderjoghurts kaufen. Nicht vergessen!

Mit Adrian wegen Samstag reden? Seine Mutter? Meine kann ich nicht fragen.

Strumpfhosen kaufen!!!

Feenkostüm – wo gibt es so etwas zu kaufen?

Inzwischen wusste Mel, weshalb Frauen zum Multi-Tasking fähig waren – damit sie harte Jobs in einer von Männern dominierten Industrie behalten und gleichzeitig dafür sorgen konnten, dass zu Hause alles halbwegs lief.

Es machte tatsächlich den Eindruck, als lauschten sämtliche Kolleginnen mit größtmöglicher Konzentration auf das, was Edmund von sich gab. Hilarys Gesicht hatte einen ernsten Ausdruck, der besagte, dass sie ihn nicht nur hörte, sondern völlig seiner Meinung war, Vanessa aber starrte mit leicht glasigen Augen in Moriartys Richtung und gab gleichzeitig verzweifelt eine Nachricht in ihr Handy ein. Vanessa hatte einen dreizehnjährigen Sohn, Conal, und offensichtlich waren Jungen dieses Alters noch schwieriger zu kontrollieren als zwei kleine Mädchen unter fünf.

Vanessa war geschieden und Mels beste Freundin in dem Unternehmen. Sie waren fast gleich alt, hatten denselben Sinn für Humor und gestanden sich gegenseitig heimlich ein, dass der Balanceakt zwischen ihren Jobs und dem Familienleben zehnmal schwerer als die tatsächliche Arbeit für die Firma zu bewältigen war.

»Wenn die Firmenleitung wüsste, wie gut wir darin sind, vier Dinge gleichzeitig zu tun – wie, dafür zu sorgen, dass die Waschmaschine repariert wird, die Freizeitaktivitäten der Kinder zu organisieren, daran zu denken, Lebensmittel einzukaufen und gleichzeitig gegen diverse Brände in der Firma anzukämpfen, würden wir beide im Handumdrehen befördert«, hatte Mel erst letzte Woche noch gesagt, als sie ihren einmal im Monat stattfindenden Mittagsausflug in das thailändische Restaurant mit den attraktiven jungen Kellnern genossen hatten.

»Ja, aber wenn wir befördert würden, müssten wir abends noch länger in der Firma bleiben und hätten noch größere Schuldgefühle als bisher. Weshalb also sollten wir auch nur versuchen, die Karriereleiter, tut mir Leid, die Schuldbewusstseinsleiter weiter zu erklimmen?«, hatte Vanessa in Erinnerung an einen alten Scherz gefragt.

Sie beide waren zu dem Schluss gekommen, dass das größte Hindernis für einen beruflichen Aufstieg arbeitender Mütter ihr stetes Schuldbewusstsein war.

»Und, wie sagt man doch so schön, es ist nicht alles Gold, was glänzt. Wahrscheinlich ist also auch die tolle Karriereleiter nicht aus echtem Gold gemacht, sondern nur vergoldet«, hatte Mel nachdenklich hinzugefügt. »Sieht toll aus, ist aber nicht echt. Wie falsche Brüste.« Sie hatte auf ihren eigenen, merklich geschrumpften Busen hinabgesehen. »Dabei fällt mir ein – ich wünschte, ich hätte das Geld und den Mut, um mir meine Brüste machen zu lassen.«

»Ach, hör doch auf«, hatte Vanessa sie stöhnend gebeten. »Dein Busen ist doch prima, wie er ist.«

»Ja, wenn prima bedeutet, dass er bis auf die Knie runterhängt, dann ist er vollkommen okay.« Trotzdem hatte Mel gegrinst. »Allerdings ist es nicht allzu ratsam, das Wort prima zu benutzen, denn weißt du, was das heißt? Paranoid, rechtschaffen erledigt, instabil, mäkelig und ganz einfach arm dran.«

»Scheint direkt auf mich gemünzt zu sein«, hatte Vanessa gut gelaunt erwidert. »Wenn ich also das nächste Mal gefragt werde, wie es mir geht, antworte ich einfach prima, und alles ist gesagt.«

Vanessas Geschichten von dem steten Kampf mit ihrem Sohn riefen ein gewisses Mitleid in Mel wach. Sie hatte mit dem Kinderkriegen gewartet, bis sie etwas älter gewesen war, mit fünfunddreißig war sie für die Mutterschaft bereit gewesen. Hingegen hatte Vanessa bereits mit vierundzwanzig Bekanntschaft mit dem doppelten blauen Streifen im Schwangerschaftsteströhrchen gemacht.

Außerdem hatte sie selber einen Ehemann, der alles mit ihr teilte. Vanessa hatte einen abwesenden Exfreund mit einer neuen Frau, einer neuen Familie und ohne wirkliches Interesse an den Fehlern seiner Jugend, abgesehen davon, dass er ein wahrer Meister im Zurückhalten des Unterhalts für seinen Erstgeborenen war.

Sicher, die Waschmaschine und der Trockner waren für Adrian Bücher mit sieben Siegeln, und er schien noch immer davon auszugehen, dass allnächtlich irgendwelche guten Feen durch ihr Küchenfenster flogen und ihren Kühlschrank füllten, davon abgesehen aber war er da, und es war einfach angenehm, die Last der Elternschaft mit einem anderen Erwachsenen zu teilen, dachte sie. Niemand, der ihn jemals mit Carrie hatte puzzeln oder Knetgummi-Dinosaurier mit Sarah hatte formen sehen, hätte leugnen können, dass er ein brillanter, unglaublich geduldiger Vater war. Die von Mel kreierten Dinosaurier sahen immer wie riesige Schnecken aus.

Auch mit der Kindertagesstätte hatte sie wirklich Glück gehabt. Das direkt neben dem Abraham-Park an einer der hübschesten, baumbestandenen Straßen von Carrickwell gelegene Haus der kleinen Tiger war für Kinder ein wunderbarer Ort. Mel hatte regelrechte Horrorgeschichten von anderen Kindertagesstätten gehört: Babys mit Kuhmilchallergie bekamen einfach wie alle anderen Milch, Kleinkinder trugen riesengroße Bisswunden von anderen Kleinkindern davon. Derartige Probleme gab es bei den kleinen Tigern nicht. Aber wie würde es, wenn Carrie in die Schule ging? Mel beschloss, darüber erst in ein paar Jahren nachzudenken.

Sie hatte wirklich Glück. Sicher würden jede Menge Frauen einen Mord begehen, um das zu haben, was sie alles besaß – einen tollen Job, einen tollen Ehemann und wunderbare Kinder.

Okay, sie hatte kaum eine Minute für sich selbst, aber das war nicht weiter schlimm. Und wie sie sich bereits vor langer Zeit geschworen hatte, ging sie trotz der Kinder weiter einer geregelten Arbeit nach. Also lebte sie den Traum jeder modernen Frau oder etwa nicht?

Eine Stunde später hatte Edmund Moriarty noch immer nicht alles gesagt. »Wir sind ehrlich interessiert«, predigte er jetzt. »Das ist die Botschaft, die wir jedem einzelnen von unseren Kunden rüberbringen müssen. Lorimar ist ehrlich an seinem Wohlergehen interessiert.«

Wie alle anderen nickte auch Mel zustimmend mit dem Kopf. »Wir sind interessiert – die Botschaft ist angekommen, großer Führer.«

Nachdem Edmunds Laserblick wie die Suchscheinwerfer in einem Gefangenenlager an ihr vorbeigeglitten war, kritzelte sie eifrig weiter auf die zweite Seite ihres Blocks und zog dabei, wie sie es bei ihrem einmaligen Besuch des Pilates-Kurses gelernt hatte, den Beckenboden an. Wenn sie schon hier sitzen musste, nutzte sie die Zeit am besten aus.

Anspannen und zehn Sekunden halten. Pilates war der gesundheitliche Weg nach vorn, und selbst die Gesundheitswebseite des Unternehmens – die Mel mit entworfen hatte – pries dieses sanfte Fitnesstraining an. Mel wünschte sich noch immer, sie hätte nach der Geburt der Mädchen häufiger zur Rückbildungsgymnastik gehen können, aber schon ein Vierteljahr nach der Geburt von Sarah und bereits acht Wochen, nachdem Carrie auf die Welt gekommen war, hatte sie wieder hinter ihrem Schreibtisch Platz genommen und einfach keine Zeit dafür gehabt. Ihr Beckenboden musste ebenso schlaff bleiben wie ihre herabhängende Brust.

Irgendwann kam Edmund endlich zum Schluss seiner Rede, und Mel flüchtete zurück in ihr Büro. Sie hatte siebzehn Nachrichten auf ihrer Mailbox, und nur die letzte war privat. »Hi, Mel, hier ist Dawn von den kleinen Tigern. Ich wollte Sie nur daran erinnern, dass morgen Sarahs Zootag ist und dass sie deshalb extra warme Kleider anziehen soll. Falls Sie möchten, kann auch Carrie mitfahren, aber wenn es regnet, lassen wir die Kleinen hier. Ich weiß, es ist nicht gerade die allerbeste Jahreszeit für einen solchen Ausflug, aber die sibirischen Tiger sind nur noch eine Woche da, und wir haben den Kindern versprochen, sie ihnen noch zu zeigen. Der Ausflug kostet für beide Kinder fünfzig Euro beziehungsweise für Sarah alleine fünfundzwanzig. Zusätzliches Geld brauchen die Kinder nicht, weil außer der Busfahrt und dem Eintritt auch das Mittagessen in dem Preis enthalten ist. Wir sehen uns dann heute Abend. Tschüss.«

Mel fügte ihrer Liste noch einen Punkt hinzu. Zootag der Mädchen. Geld für Adrian hinlegen.

Mittwochmorgens brachte Adrian die beiden Mädchen zu den kleinen Tigern. Mel fuhr an den anderen vier Tagen, bevor sie den Zug von Carrickwell nach Dublin nahm, mittwochs allerdings trafen sich die Leute aus der Marketing- und der Publicity-Abteilung zu einem Arbeitsfrühstück, und deshalb musste sie dann etwas früher in der Firma sein.

Sie erinnerte sich daran, als sie es noch fürchterlich gefunden hatte, mittwochmorgens aufzustehen, weil sie den Wecker auf sieben stellen musste und nicht wie an den anderen Tagen auf halb acht. Damals war sie noch kinderlos gewesen und hatte noch nicht in Carrickwell gelebt. Heutzutage schlief sie nie bis sieben, denn Carrie wurde jeden Morgen schon um sechs Uhr wach.

»Huhu, Mami«, lispelte sie fröhlich, wenn Mel in das dunkle, mit einer Winnie-Puh-Tapete geschmückte Kinderzimmer eilte, noch verschlafen, aber zumindest frisch geduscht. Allerdings war ihre morgendliche schlechte Laune immer wie verflogen, wenn die Kleine lächelnd zu ihr aufsah, wenn ihre Augen in Erwartung des anbrechenden Tages vor Freude leuchteten und sie mit ihren kleinen, dicken ausgestreckten Händen zeigte, dass sie von Mel aus dem Kinderbettchen gehoben werden wollte. Trotz ihrer zweieinhalb Jahre kletterte sie immer noch nicht gern alleine aus dem Bett, anders als ihre große Schwester, die bereits mit zwei alleine aufgestanden war. Bald aber wäre es bestimmt so weit.

Der frühe Morgen war Mels liebste Tageszeit. Die reine, ungetrübte Freude über das Zusammensein mit ihren Kindern, über die feuchten Schmatzer, mit denen sie ihr beide hallo sagten, über ihr kindliches Vergnügen an jedem neuen Tag. Dies war es, was Mel die Kraft für die Bewältigung ihres enormen Arbeitspensums gab.

Kein Parfüm der Welt duftete so herrlich wie die wunderbare Mischung aus Babyhaut, Kleinkindkeksen, Kindershampoo und frisch erwachtem kleinen Menschen. Carrie liebte es zu kuscheln und ließ sich immer erst anziehen, nachdem sie fünf Minuten von Mel gestreichelt worden war. Mel war immer hin und her gerissen zwischen ihrem gleichermaßen ausgeprägten Wunsch, die Kleine auf dem Schoß zu haben, und dem Wissen, dass die Zeit verflog.

Sarah war ein Morgenmensch und bestürmte ihre Mutter schon beim Frühstück mit unzähligen Fragen.

»Warum ist Barney lila?«, war ihre momentane Lieblingsfrage, und Mels Aufgabe bestand darin, sich möglichst amüsante Gründe auszudenken, während sie bei der Frühstücksvorbereitung hektisch durch die Küche sprang.

»Weil er in eine Schüssel mit lila Pudding gefallen ist und den so lecker fand, dass er ihn nicht wieder abgewaschen hat. Und jetzt läuft er eben immer mit einem lila Pudding-Anzug rum.«

»Das glaube ich dir nicht!« Trotzdem hatte Sarah gut gelaunt gekichert, und Carrie, die die große Schwester abgöttisch liebte, hatte fröhlich eingestimmt.

Mel strich über das gerahmte Foto von Adrian, Sarah und Carrie, das vor ihr auf dem Schreibtisch stand. Die drei Menschen, die sie am meisten liebte auf der Welt. Die drei Menschen, für die sie alles tat.

Die folgenden zwei Stunden arbeitete sie an der Webseite des Unternehmens und genehmigte sich dabei zwei Tassen Kaffee und ein Twix. Mittagessen war für Leute, die entweder die Zeit hatten, um sich morgens noch zu Hause ein paar Brote zu belegen, oder die vermögend genug waren, um die sündhaft teuren Sandwiches des Typen zu erstehen, der immer um die Mittagszeit mit seinem Rollwagen bei Lorimar erschien.

Während sie die zweite Tasse Kaffee an den Mund hob, blickte Mel auf ihre Liste und kreiste gedankenverloren das Wort »Zootag« ein. Sie und Adrian waren zum ersten Mal mit Sarah in den Zoo gegangen, als sie zwei gewesen war. Seinen Kindern echte Tiger und Elefanten zeigen zu können, die sie bisher nur aus Bilderbüchern kannten, war einer der so genannten Meilensteine jeder Elternschaft. Doch wie viele Eltern hatten heute noch die Möglichkeit dazu? Wie viele Mütter konnten ihre Kinder nicht selber in den Zoo begleiten und lasen stattdessen im Bericht einer Erzieherin: »Carrie hat Löwen, Seehunde und Ferkel im Streichelzoo gesehen. Sie hat ein Eis gegessen und angefangen zu weinen, weil die Affen so laut gewesen sind. Sie war ein braves Mädchen!«

Mel stellte ihre Kaffeetasse fort, rief die neuesten Artikel für die Webseite auf dem Computer auf und ging sie mit Adleraugen durch. Im letzten Monat war ihnen ein Riesenfehler unterlaufen, denn ein Absatz über neue Verfahren der Hüfterneuerung war versehentlich in einen Artikel über Erektionsstörungen gerutscht.

Sie alle hatten laut geprustet, denn in dem Absatz hatte es geheißen: »Durch innovative Arthroskopie bei örtlicher Betäubung bleibt dem Patienten der schmerzhafte operative Austausch erspart, und er ist innerhalb von nur vierundzwanzig Stunden wieder voll einsatzbereit.«

»Ich würde sagen, dass eine Menge männlicher Kunden bei der Lektüre dieses Satzes geschworen haben, nie wieder zum Arzt zu gehen«, hatte Otto aus der Buchhaltung gewitzelt, als er mit den Gehaltsschecks gekommen war. »Schließlich sind wir Männer nicht unbedingt auf einen Austausch unseres besten Stücks erpicht.«

Mels Vorgesetzte Hilary hingegen hatte sich nicht im Geringsten amüsiert gezeigt. Mels Erklärung, dass sich dieser Fehler auf geheimnisvolle Weise eingeschlichen hatte, als der Webdesigner mit der Seite befasst war, hatte niemanden interessiert. Mel trug die Verantwortung für diesen Lapsus, Ende der Geschichte.

»Was für ein grauenhafter Fehler.« Ihre Chefin hatte nicht getobt, sondern einen Ton kalter Enttäuschung angeschlagen, der noch viel beängstigender war. Hilary war eine wahre Meisterin darin, den Menschen das Gefühl zu geben, dass sie Versager waren. Das hatte sie jahrelang geübt. »Vielleicht hat sich tatsächlich einer von den Designern einen jungenhaften Streich erlaubt, aber Sie hätten es entdecken müssen. Ich verwette meinen nächsten Bonus darauf, dass dieses Zitat in sämtlichen Sonntagszeitungen erscheinen wird.«

Hilary hatte nicht gesagt, dass auch Edmund Moriarty, dem nie etwas verborgen blieb, zweifelsohne Mel die Schuld an diesem Fehler geben würde und dass es sich in ihrer Akte sicher nicht gut machte, dass sie derart schlampig gewesen war. Das hatte Mel auch so gewusst. Und Einträge in den Akten arbeitender Mütter wurden automatisch mit zehn multipliziert.

Eine arbeitende Frau war bei Lorimar gebrandmarkt. Sobald eine Angestellte Kinder hatte, musste sie sich vorsehen, egal, wie ausgezeichnet ihre Leistung vorher auch gewesen war. Ein Kind wurde als Zeichen der Achtlosigkeit gewertet, zwei hingegen forderten das Schicksal regelrecht heraus.

Es war nicht die geringste Hilfe, dass Hilary selber sogar Mutter dreier Söhne war. In all den Jahren, in denen sie Mels Vorgesetzte war, war sie niemals wegen irgendeines Notfalls früher aus der Firma heimgefahren oder hatte auch nur einen Tag wegen eines kranken Kindes freigemacht.

»Wie stellt sie das nur an?«, hatte Vanessa Mel gefragt, als sie im September neue Schulbücher und eine neue Uniform für Conal kaufen und deshalb immer einmal wieder ihre Mittagspause überziehen musste, während Hilary die ganze Zeit an ihrem Schreibtisch gesessen und mit Argusaugen Ausschau nach Kolleginnen gehalten hatte, denen mangelnder Einsatz für das Unternehmen vorzuwerfen war.

»Sicher hat sie keine Kinder, sondern Roboter«, hatte Mel beschlossen. »Das ist die einzige Möglichkeit.«

»Oder ist es vielleicht so, dass ihr Mann zu Hause arbeitet und sie obendrein ein Kindermädchen hat, das mehr als der Vorstandsvorsitzende von Microsoft von ihr bezahlt bekommt?«

»Kann natürlich auch sein«, hatte Mel ihr zugestimmt.

Bis fünf hatte Mel sämtliche Anrufe erledigt und setzte schnell noch ein paar Briefe auf. Sie müsste noch den Bericht über die Aktivitäten der Publicity-Abteilung während des letzten Monats für ihre Chefin schreiben, aber wenn sie nicht um Viertel nach das Haus verließ, würde sie den Zug verpassen und käme zu spät in der Kindertagesstätte an. Also nähme sie die Arbeit besser einfach mit und setzte den Bericht während der Zugfahrt auf.

Zwanzig Minuten später tauschte Mel die hochhackigen Pumps gegen bequeme, flache Schuhe, füllte frischen Kaffee in die Thermoskanne und stürzte hinaus in die Kälte. Mit etwas Glück wäre sie um sieben Uhr zu Hause.

Es wurde zehn nach sieben, bis Mel den Wagen in der Einfahrt parkte, Sarah und Carrie beim Aussteigen half und das Gepäck vom Rücksitz nahm. Wie immer war es eine Erleichterung, dass sie endlich zu Hause war.

»Carrickwell ist einfach ein wunderbarer, ruhiger Ort«, hatten ihre Freunde ihnen zugestimmt, als sie ihre Wohnung in Christchurch aufgegeben hatten, um aufs Land zu ziehen. Von Sarah hatte man zu jener Zeit nur eine kleine Rundung unter Mels Schwangerschafts-T-Shirt mit dem Aufdruck »im Bau« gesehen. »Perfekt, um Kinder großzuziehen. Und auch die Schulen sind fantastisch.«

Mel und Adrian hatten genickt, einander angesehen und nicht gesagt, wie schwer diese Entscheidung ihnen gefallen war.

Sie beide waren in der Stadt geboren und auch aufgewachsen, weshalb sie der Gedanke an ein Leben in ländlicher Idylle nicht so begeistert hatte, wie anscheinend von den anderen angenommen wurde. Ausschlaggebend für ihren Entschluss waren andere Faktoren gewesen.

Mels Eltern waren zehn Jahre zuvor aus der Stadt in ein kleines Häuschen zwischen Dublin und Carrickwell gezogen, was hieß, dass Mels Mutter in der Nähe wäre, um ihnen bei der Versorgung des neuen Familienmitgliedes zu helfen.

In Dublin hätten sie sich niemals eine Doppelhaushälfte mit vier Schlafzimmern in einer hübschen Straße leisten können, und vor allem dachten sie, dass es gut für ihre Kinder wäre, auf dem Land zu leben, denn die dortige Umgebung wäre beispielsweise für Familienpicknicks geradezu perfekt. So weit die Theorie. In der Praxis allerdings war alles, was Mel von der Umgebung mitbekam, das, was sie auf der Fahrt zur Arbeit und zurück durchs Fenster ihres Zuges sah.

Auch hinsichtlich der guten Schulen, derentwegen sie hauptsächlich nach Carrickwell gezogen waren, hatten sie den Anschluss offenbar von vornherein verpasst. Sarah und Carrie waren an den besten Schulen angemeldet, doch die einheimische Mami-Mafia hatte ihnen deutlich zu verstehen gegeben, dass die beiden schon als Embryonen hätten angemeldet werden müssen, damit es Plätze für sie gab. Ganz zu schweigen davon, dass das Bedienen eines Kassettenrekorders bei den kleinen Tigern nicht auf dem Lehrplan stand. Wirklich gute Mütter ließen ihre Vierjährigen Bachkassetten hören, weil sie dachten, dass das einen guten Eindruck auf die Jury machte, die über die Aufnahme an der Carnegie-Grundschule entschied. Sarah kam inzwischen ziemlich gut mit der Fernbedienung ihres Fernsehers zurecht, Mel aber hegte die Vermutung, dass das nicht ganz das Gleiche war.

Am Schluss war es der große Garten des Hauses Nummer zwei in der Goldsmith Lawn, dem das Paar verfiel.

»Wir könnten Apfelbäume pflanzen«, hatte Adrian beim Anblick der langen, schmalen Rasenfläche mit dem baufälligen, grün gestrichenen Schuppen im Katalog des Immobilienmaklers versonnen gemurmelt.

»Wir könnten eine Schaukel an den Kirschbaum hängen«, hatte Mel verträumt geseufzt.

Sie hatten einander lächelnd angesehen, sie hatte sich glücklich auf den Bauch geklopft und praktischerweise kurzfristig vergessen, dass sie beide nicht mal einen Nagel in die Wand zu klopfen verstanden, ohne dass sofort der ganze Gips herunterkam.

Jetzt, fünf Jahre später, hatten sie noch immer keinen Apfelbaum gepflanzt, und hinten vor dem Schuppen hatten Gras und Unkraut ihre Unabhängigkeit erklärt, doch hatten sie zumindest eine Plastikschaukel an einem Ast des Kirschbaums aufgehängt. Sarah liebte dieses Spielgerät.

Jetzt rannte sie vor ihrer Mutter Richtung Haustür und hielt mit beiden Händen ihren pink-weiß getupften kleinen Rucksack fest, während Mel sich ihre Aktentasche, Carrie sowie Carries unzählige Sachen auf die Arme lud.

Die Tür war schimmernd grün gestrichen und wurde von zwei Zwergkoniferen in passenden grünen Holzkästen flankiert. Nach ihrem Einzug hatten Mel und Adrian mindestens acht Wochenenden auf die Anlage eines wartungsfreien Vorgartens, der zu den wunderbaren Gärten ihrer Nachbarn passen sollte, verwandt. Sie hatten den schmalen Rasenstreifen durch beigefarbenen Kies ersetzt und hier und da ein wenig Ziergras sowie an beiden Enden ein paar kleine Büsche eingepflanzt. Es wirkte sorgfältig gepflegt, war aber im Grunde nichts als eine Illusion.

Kaum hatte Mel die Haustür aufgemacht, kehrte sie in die Wirklichkeit zurück. Die abblätternde Farbe und der ausgetretene Holzboden des Flurs hätten einen begeisterten Heimwerker gebraucht. Ihr gesamtes Haus bedurfte dringend einer Überholung – aber tun wir das nicht alle?, dachte Mel erbost. Und vor allem, wann sollten sie bitte etwas an ihrem Häuschen tun? Adrian war bei einem dreißig Fahrminuten von Carrickwell entfernt gelegenen Softwareunternehmen angestellt, und da er nebenher noch ein Magisterstudium absolvierte, blieb ihm für etwas derart Nebensächliches wie Streich- und Tapezierarbeiten einfach keine Zeit.

»Hi«, rief Mel, während sie einfach alles auf den Boden fallen ließ, küsste Carrie zärtlich auf die Stirn und stellte sie vorsichtig auf ihren beiden Knubbelbeinchen ab.

Keine Antwort. Durch die geschlossene Tür der Küche hatte Adrian sie sicher nicht gehört.

Juchzend rannten beide Mädchen in ihr Spielzimmer hinüber. In der Überzeugung, dass man einen Raum für all die Kindersachen brauchte, damit nicht das gesamte Haus von ihnen übersät war, hatte Mel das Esszimmer zum Spielzimmer erklärt, den Esstisch an die Wand geschoben und das gesamte Spielzeug beider Mädchen in riesengroßen pinkfarbenen und violetten Plastikboxen verstaut. Dem strengen Kinderfarbkodex folgend, war für kleine Mädchen alles in grellem Pink und Violett gehalten, während es für kleine Jungen nicht minder grelle rote und blaue Töne gab. Mel sehnte sich danach, dass endlich irgendein Pastellton in Mode kam.

»Die Spülmaschine ist kaputt«, verkündete ihr Gatte düster, als sie mit den Turnbeuteln der beiden Mädchen voller schmutziger Wäsche aus der Kindertagesstätte in die Küche kam.

Er hob den Kopf von seinen Büchern und sah sie mit einem müden Lächeln an. Mit seinem kurzen blonden Haar, den hellblauen Augen und einer Haut, die derart schnell auf die Sonne reagierte, dass sie immer goldfarben schimmerte, wirkte er wie ein Skandinavier, während Mel von ihrem Typ her eher keltisch war. Sarah und Carrie hatten beide seine blonden Haare und seine helle Haut, dafür aber die feinen Knochen und die wunderbaren Augen ihrer Mum. Außerdem war Carrie gertenschlank. Auch Adrian war früher mal so dünn gewesen. Als Mel ihn kennen gelernt hatte, hatte er, obwohl seine Ernährung hauptsächlich aus Essen vom Chinesen und Pizza bestanden hatte, die Figur eines Marathonläufers gehabt. Im Verlauf der Jahre aber hatten ein Mangel an Bewegung und eine Vorliebe für ungesundes Essen ihn deutlich kräftiger gemacht.

Knuddelig, wie sie es nannte.

»Ich müsste mal ins Fitnessstudio gehen«, pflegte Adrian gutmütig zu erwidern. Als hätten sie das Geld für das teure Abonnement.

Auf dem Weg zur Spülmaschine tätschelte ihm Mel liebevoll den Arm.

»Bist du sicher, dass das Ding kaputt ist?«

Das hieße, dass sie jemanden bestellen müsste, der zu einer Zeit käme, in der jemand zu Hause war, um das Teil zu reparieren, was ungefähr so einfach war wie die Choreografie von Schwanensee auf Eis.

»Das Geschirr war nach dem Spülen schmutziger als vorher«, antwortete ihr Mann und zeigte Richtung Spüle, wo ein mit Speiseresten verklebter weißer Becher stand.

»Bist du sicher, dass nicht vielleicht nur ein Löffel im Rotor steckt?«, fragte Mel mit hoffnungsvoller Stimme.

»Fürchte, nein.«

Sie stellte die Waschmaschine an, leerte dann Trinkbecher und Brotdosen der Töchter und ging in Gedanken alles durch, was noch vor dem Zubettgehen erledigt werden musste. Dann schob sie die Hühnchenbrust für ihre Kinder in die Mikrowelle, stellte einen Topf für Nudeln auf den Herd, holte einen neuen Wischlappen und warf den alten schwungvoll in den Wäschekorb.

»Kannst du ein Auge auf die Mädchen haben, während ich mich umziehe?« Während sie dies fragte, war sie schon halb zur Tür hinaus.

»Ja«, kam die geistesabwesende Replik.

Oben riss sich Mel die Bluse und den Rock vom Leib, stieg in eine graue Jogginghose und einen roten Fleecepullover, legte schnell die Ohrringe zur Seite – Carrie liebte es, an Ohrringen zu ziehen, und nachdem Mel diese Woche bereits beinahe einen wirklich hübschen Silberohrstecker verloren hätte, nahm sie sie lieber ab –, war nach drei Minuten wieder unten und stellte das Essen für die Kinder auf den Tisch.

Die beiden Mädchen saßen bereits auf dem Schoß des Vaters und erzählten ihm von ihrem Tag.

»Ich habe ein Bild für dich gemalt, Daddy«, erklärte Sarah ernst. Sie war ein echtes Papa-Kind und käme mit jedem kindlichen Trauma zurecht, solange sie im Arm des Vaters lag.

»Das ist aber nett«, antwortete Adrian mit liebevoller Stimme und küsste sie zärtlich auf das blonde Haar. »Zeig es mir. Oh, das ist ja wunderbar. Bin das etwa ich?«

Sarah nickte stolz. »Und das ist Carrie, und das ist Oma Karen, und das bin ich.«

Von ihrem Platz am Herd, wo sie die Nudeln rührte, blickte Mel herüber. Wie alle Bilder ihrer Ältesten war es eine Orgie in Pink, Orange und Lila und stellte drei große, lächelnde Personen dar. Carrie, der Sarah nie wirklich verziehen hatte, dass sie auf die Welt gekommen war, wirkte daneben wie ein Zwerg. Mel war nirgendwo zu sehen.

»Und wo ist Mami?«, wollte Adrian denn auch wissen.

Mel, die jede Menge über Trennungsängste gelesen hatte, hätte diese Frage nie gestellt, wartete jedoch mit angehaltenem Atem auf die Antwort.

»Sie ist auf einem anderen Blatt. Bei der Arbeit«, meinte Sarah, als wäre es das Natürlichste der Welt, und zog ein zweites Bild hervor, auf dem ein großes Haus und darin ihre Mutter mit ihrer Aktentasche zu sehen waren. Zwar war die Tasche fast so groß wie Mel, doch hatte Sarah ihre Haare auf alle Fälle richtig hinbekommen: halb braun, halb blond und hoffnungslos zerzaust. »Oh«, entfuhr es Adrian.

Mel spürte, dass er sie über Sarahs blonden Schopf hinweg mitfühlend ansah, und verzog den Mund zu einem Lächeln, das besagen sollte, dass alles prima war. Und das war es tatsächlich, denn schließlich war sie ganz eindeutig paranoid, rechtschaffen erledigt, instabil, mäkelig und ganz einfach arm dran.

»Aber Mami ist doch nur manchmal im Büro. Sonst ist sie immer hier und kümmert sich um uns. Sie ist eine tolle Mami«, erklärte Adrian der Tochter. »Sie sollte deshalb die Hauptperson auf dem Bild von unserer Familie sein, nicht wahr?«

Sarah nickte, schmiegte sich an ihren Vater und strich mit einem ihrer zarten Finger über das leuchtend gelbe Haar der Oma. Oma hatte einen Platz in ihrem Bild von der Familie, Mami aber nicht.

Abermals verspürte Mel eine gewisse Bitterkeit.

Wenn eines der Mädchen krank war und sie keinen Urlaub nehmen konnte, sprang immer ihre Mutter, Karen Hogen, für sie in die Bresche und nahm sie jeden Abend mit einer Bemerkung darüber, wie die beiden Kleinen nach ihrer Mum gejammert hatten – oder aber auch nicht –, bereits an der Haustür in Empfang.

Nicht, dass Karen die Entscheidung ihrer Tochter, trotz der Kinder weiterzuarbeiten, nicht stützte. Das tat sie durchaus. Ohne sie würde es nicht laufen, und Mel konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass das einfach nicht richtig war. Sie und nicht die Großmutter sollte die Verantwortung für ihre Töchter haben, überlegte sie. Das hatte auch Carries Mandelentzündung letzten Monat ihr gezeigt. Mel war am Wochenende mit ihr zum Notdienst ins Krankenhaus gefahren, aber als die Kleine montags immer noch gejammert hatte, hatte Oma Karen mit ihr den Kinderarzt besucht.

»Der Arzt meinte, ihr solltet überlegen, ob ihr nicht die Mandeln rausnehmen lassen wollt«, hatte ihre Mutter ihr an jenem Morgen am Telefon berichtet, während sie in einer Konferenz des Gesundheitsforums gesessen hatte und vor Sorge um die Kleine fast vergangen war. »Er sagt, dass du, wenn du mal Zeit hast, zu ihm in die Praxis kommen sollst.«

Wenn du mal Zeit hast, hatte Mel erbost gedacht. Wer hatte Freitag die ganze Nacht an Carries Bett gesessen? Wer war am Samstagabend mit ihr ins Krankenhaus gefahren und hatte zwei geschlagene Stunden Lieder von Bob, dem Baumeister, gesungen, bis endlich ein Doktor frei gewesen war?

»Wie kann er es wagen ...?«, hatte sie geschnauzt. »Ich wette, er braucht nie zu überlegen, wie er seinen Job und seine Familie am besten unter einen Hut bringt. Er hat sicher eine Frau zu Hause, die die ganze Arbeit für ihn macht.«

»Mel, Schätzchen, so hat er es sicher nicht gemeint«, hatte ihre Mutter abgewehrt. »Du bist eine wunderbare Mutter, das wissen wir alle.«

Wussten sie das wirklich, überlegte Mel. Und wer war überhaupt wir?

»Er wollte damit nur sagen, dass ihr darüber reden solltet, ob es nicht vielleicht besser ist, Carrie die Mandeln rausnehmen zu lassen, solange sie noch klein ist. Inzwischen ist sie alt genug für die Operation, und es wäre besser, nicht allzu lange damit zu warten. Je älter die Kinder werden, umso unangenehmer wird es.«

Ihre Mutter wusste einfach alles. Woher hatte sie nur diese mütterliche Weisheit, hatte sich Mel gefragt. Und wäre sie selbst je so weise?

»Das ist ein wunderschönes Bild, Sarah«, stellte sie jetzt mit ruhiger Stimme fest. »Sollen wir es an den Kühlschrank hängen?«

Sarah nickte glücklich, und Adrian blickte sie lächelnd an.

Wieder hatte sie eine Klippe umschifft. Anscheinend hatte alle Welt den Eindruck, sie käme wunderbar mit ihrer Doppelrolle als Karrierefrau und Mutter klar. Was würden sie wohl sagen, wenn sie jemals offen eingestünde, dass sie manchmal den Eindruck hatte, sie käme kaum zurecht?

Das Bad der beiden Kinder dauerte an diesem Abend eine halbe Ewigkeit. Carrie liebte es zu baden und spielte immer mit der Plastikente, die am Rand der Wanne hockte, als hätte sie sie nie zuvor gesehen. Ein ums andere Mal goss sie ihr Wasser in den Kopf, das unten wieder herauslief und sie währenddessen mit den Plastikflügeln schlagen ließ.

»Mama!«, juchzte sie begeistert, während die Flügel immer schneller flatterten. »Mama!«

Auch Mel fing an zu lachen, und endlich ließ die Anspannung des Tages etwas nach. Kleine Kinder waren einfach etwas Wunderbares – immer aufgeregt und stets bereit, glücklich zu sein. Hingegen hockte Sarah so unglücklich, als hätte man sie ausgesetzt, in dem Lavendelschaum und sah ihre Mutter traurig aus ihren großen blauen Augen an.

»Kommst du morgen mit uns in den Zoo, Mami?«, wollte sie von ihrer Mutter wissen, während Carrie fröhlich planschte.

Mels Herz zog sich zusammen. Arme Sarah.

»Du weißt, dass ich nicht kann«, erklärte sie der Tochter mit aufmunternder Stimme. »Mami muss zur Arbeit, aber sie wäre lieber mit euch beiden im Zoo.«

»Ich will aber, dass du mitkommst.« Sarah warf mit einem der bunten Plastikfische ihrer kleinen Schwester nach der Ente, doch er landete auf ihrem eigenen Fuß, und sie schrie vor Schmerz und Überraschung auf. Gleichzeitig fingen ihre Lippen gefährlich an zu zittern.

»Möchtest du am Wochenende mit Mami und Daddy auf den Bauernhof?«, flötete Mel verzweifelt. Beide Kinder liebten diesen ein paar Kilometer von Carrickwell entfernt am Fuße des Mount Carraig gelegenen Hof, auf dem es neben Ziegen und Schafen sogar ein paar Shetland-Ponys gab. Natürlich hatte Mel den Bauernhofbesuch bisher nicht eingeplant, aber wenn sie statt am Samstag schon am Freitagabend die Einkäufe erledigte, fänden sie dafür sicher Zeit.

»Will nicht auf den Bauernhof.« Sarah schüttelte energisch ihren feuchten Kopf. »Will mit Mami in den Zoo.« Immer, wenn sie müde oder schlecht gelaunt war, drückte sie sich wie ein Kleinkind aus.

Mel wusste, sie hätte eine bessere Begründung dafür abgeben sollen, weshalb sie es nicht schaffen würde, mit in den Zoo zu fahren, doch sie hatte dafür ganz einfach nicht mehr die erforderliche Energie.

»Sarah, ich kann euch nicht begleiten. Aber Dawn fährt mit, und du hast Dawn doch gern.«

Während eines kurzen Augenblicks begegneten sich ihrer beider Blicke, und Mel hatte das Gefühl, dass die Kleine so alt und wissend aussah, als nähme sie die Schuldgefühle und die Müdigkeit in ihren Augen wahr und wüsste ganz genau, dass Mel alles dafür täte, um an zwei Orten gleichzeitig zu sein, nur damit Sarah glücklich war.

Dann war der Moment vorbei, und Sarahs Miene drückte nichts als Unverständnis aus, weil Mami die Arbeit wieder einmal wichtiger war als sie. Mel fragte sich, weshalb ihr Mann behauptet hatte, dass sie eine tolle Mutter war. Sie war eine Versagerin, sonst nichts.

»Du warst aber lange weg«, erklärte Adrian, als sie endlich um zehn nach acht, die Arme voller Schmutzwäsche, nasser Handtücher und einem halb gegessenen, auf dem Teppich am Treppenabsatz zertretenen Zwieback, wieder herunterkam.

»Sarah wollte nicht schlafen«, murmelte sie, warf die Wäsche in den wieder einmal überfüllten Korb und machte in der Hoffnung auf ein Gläschen Wein den Kühlschrank auf. Es war keine offene Flasche da. Und hatte sie sich nicht erst letzte Woche vorgenommen, nicht mehr jeden Abend ein Glas Wein zu trinken, weil das bestimmt nicht gut war? Ach verdammt, wo hatte sie den Korkenzieher hingelegt?

Die alkoholischen Getränke standen im Esszimmer in einem abgeschlossenen Schrank. Sie nahm eine Flasche des teuren Chablis heraus, den Adrian so liebte, und reichte ihm ein Glas, das er, ohne auch nur den Kopf zu heben, wortlos entgegennahm. Neben seinen Büchern stand ein Teller mit einem halb gegessenen Toast.

Seine Prüfung war im Mai, und er arbeitete hart.

»Köstlich«, murmelte er geistesabwesend und wandte sich schon wieder seinen Büchern zu.

»Mmm«, antwortete sie und trank einen möglichst großen Schluck. Besser als die Flaschen mit den blöden Schraubverschlüssen, mit denen sie sich begnügen mussten, bevor sie beide gute Jobs gefunden hatten. Irgendeinen Vorteil musste es ja haben, wenn man täglich zur Arbeit ging.

Plötzlich kam ihr ein Gedanke: War das etwa alles, worum es ihr bei ihrer Arbeit ging – ging es ausschließlich ums Geld? Fuhr sie etwa jeden Morgen ins Büro und bezahlte andere Menschen für die Erziehung ihrer Kinder, damit sie und Adrian sich teure Weine leisten konnten?

Sie aß ebenfalls einen Toast mit Bohnen und wartete Zeitung lesend darauf, dass die Wäsche endlich fertig würde, damit sie die nächste Ladung in die Trommel geben könnte, als Adrian plötzlich sagte: »Oh, ich habe ganz vergessen, dir zu sagen, dass Caroline angerufen hat, als du im Badezimmer warst. Sie wollte dich daran erinnern, dass ihr euch am Donnerstag halb neun in Pedros Weinbar trefft und dich gleichzeitig fragen, ob du sie, falls du fährst, vielleicht abholen kannst.«

»Oh, verdammt«, murmelte Mel. »Das ist so ungefähr das Letzte, wozu ich diese Woche Lust habe. Außerdem sollte sie wissen, dass ich nicht mit dem Auto zur Arbeit fahre.« Caroline war eine alte Freundin, die in einem Dubliner Vorort lebte, und die Zusammenkunft in Pedros Weinbar wäre das verspätete Weihnachtstreffen mit einer ganzen Gruppe alter Freundinnen, das so oft hatte verschoben werden müssen, dass sie beschlossen hatten, bis Januar zu warten, weil es dann terminlich besser war. Caroline und Mel hatten einmal zusammengewohnt, für dieselbe Firma gearbeitet, abends Dublin unsicher gemacht, Männer miteinander verglichen und Pläne dafür geschmiedet, wie sie die Welt verbessern würden, wenn erst ihre große Zeit gekommen wäre. Inzwischen war Caroline hauptberuflich Mutter dreier Söhne und ging ganz in dieser Arbeit auf.

Sie machte ihren Job fantastisch, das gaben Mel und alle anderen unumwunden zu. Die Rolle der Mutter und nicht das Kippen dreifacher Martinis in irgendwelchen schummerigen Kneipen war ihre wahre Berufung, hatte Mel schon oft gescherzt.

Die Freundin hatte ihren Söhnen als Babys niemals irgendwelche Gläschennahrung vorgesetzt. Hätte Caroline kein derart ausgeprägtes Taktgefühl besessen, hätte Mel deswegen sicher grauenhafte Schuldgefühle gehabt. Ihr Plan, ihre Töchter mit selbst zerdrückten Bio-Karotten großzuziehen, war daran gescheitert, dass sie nach der Rückkehr an ihren Arbeitsplatz erkennen musste, was für ein enormer Aufwand mit dem Einkauf und der Herstellung gesunder Speisen verbunden war, während es zugleich doch jede Menge Gläschen mit hübschen Bildchen für die lieben Kleinen gab. Außerdem hatten die beiden Mädchen die Nahrung aus den Gläschen immer viel lieber gemocht als ihr mühsam selbst zerdrücktes Zeug.