Die Gambitspielerin - Christiane Baumann - E-Book

Die Gambitspielerin E-Book

Christiane Baumann

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Beschreibung

Der Mord an einem älteren Mann gibt der Berliner Polizei Rätsel auf. Das Opfer begeisterte sich für Sonnenuntergänge. Es hielt sich wenige Wochen vor seinem Tod bei einem Schachturnier in Polen auf. Weil andere Hinweise zur Lösung des Falles fehlen, macht sich Kommissar Jakob Sieben an einem Sommerwochenende auf den Weg an die polnische Ostsee. Unterwegs lernt er die junge Anhalterin Daphne kennen, die ihn zuerst für einen Bodybuilder hält. Sie will Jakob unbedingt bei seiner Arbeit helfen, und sie will ihn. Die Spur führt von Polen zurück nach Berlin, zu einer Schachspielerin, deren Schwester sich in jungen Jahren das Leben nahm. Die Gambitspielerin sitzt vor ihrem Schachbrett und spinnt Fäden aus der Vergangenheit in die Gegenwart. Dann geschieht ein zweiter Mord. Und Kommissar Jakob Sieben bringt sich selbst in Gefahr.

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Seitenzahl: 84

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Christiane Baumann

Die Gambitspielerin

Eine Kriminalerzählung

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

29. Juni 2012: abends an der polnischen Ostsee

Vier Wochen später in Berlin

Impressum neobooks

29. Juni 2012: abends an der polnischen Ostsee

Der Mann saß am Strand, knapp zwei Meter vom Wasser entfernt. Sie hatte ihn nicht sogleich bemerkt, denn ihr Blick war aufs Meer gerichtet, während sie auf dem dünnen Streifen nassen Sandes hin und her gelaufen war. Ihre Hosenbeine waren feucht geworden, deshalb bückte sie sich und krempelte den unteren Rand der Hose hoch. Als sie aufblickte, sah sie ihn, einen älteren Mann, der bewegungslos im Sand hockte und aufs Meer schaute, neben sich eine Tasche. Ansonsten war der Strand menschenleer. Nur sie beide. Plötzlich überkam sie ein ungutes Gefühl, es ging jedoch schnell vorüber, kaum wurde sie sich dessen bewusst. Sie richtete sich auf. Glutrot die Sonne, eine Feuerscheibe, die im Meer ertrank. Dieses Naturschauspiel fesselte sie nicht. Ihre Gedanken waren bereits beim morgigen Spiel. Ein weiterer Sieg und sie konnte dieses Schachturnier mit einer sehr guten Platzierung beenden. Wie immer würde sie mit e4 beginnen, also den Königsbauern zwei Schritte vorziehen. Ihr Gegner hatte ihre Standarderöffnung sicher längst recherchiert. In früheren Spielen hatte er auf e4 seinen Königsbauern mit e5 dagegen gesetzt. Wenn er damit rechnete, dass sie daraufhin in ihr geliebtes, altmodisches und romantisches Königsgambit mit f4 überleitete, verzichtete er möglicherweise auf e5 und spielte wahrscheinlich „sizilianisch“, also c5. Sie wollte dann das Morragambit anwenden. Fünfzig Wertzahlpunkte mehr als sie konnte ihr Gegner vorweisen, das war eine durchaus machbare Angelegenheit.

Der Mann vor ihr kramte in seiner Tasche. Sie war unentschieden, ob sie ihren Spaziergang fortführen oder ins Hotel zurückkehren sollte, um ein Glas Wein in der Bar zu trinken. Vielleicht hätte sie Gesellschaft dabei und traf auf einen Turnierteilnehmer. Die meisten männlichen Spieler waren ohne Frau angereist. Weil sie solo waren, weil sie eine Zeitlang allein sein wollten, weil die Ehefrau sie beim Spiel stören würde oder weil das Weib während der zehn Tage, die das Turnier dauerte, nicht das fünfte Rad am Wagen sein wollte? Darüber könnte sie endlos spekulieren. Sie jedenfalls hatte keinen Partner im Schlepptau. Ob die Männer Single waren oder verheiratet, interessierte sie im Grunde genommen nicht. Auch der einsame Mann am Strand war als solcher belanglos. Er nahm etwas in die Hand, es war eine Kamera. Keines dieser kleinen billigen Teile, die in eine Hosentasche passten, nein, es war eine Profikamera. Ihr wurde klar, warum er regungslos im Sand saß, offensichtlich wollte er den Sonnenuntergang fotografieren. Ein Sonnenuntergang. Da war eine Erinnerung, längst vergessen, jeden Tag gegenwärtig. Sie näherte sich dem Mann und erkannte ihn als jenen Deutschen, der sich an die Gruppe der Turnierteilnehmer gehängt hatte, aber nicht am Spiel teilnahm. Ein Sonderling, und in Claras Augen vor allem ein dicker alter Mann in zu weiten kurzen Hosen. Ein Anblick, auf den sie gern verzichtet hätte.

„Hallo“, sagte er zu ihr. Clara bemühte sich um ein Lächeln und nickte ihm zu. Sie wollte sich von ihm ihre gute Laune nicht verderben lassen. Morgen war das Turnier zu Ende, und übermorgen würde sie nach Berlin zurückfahren. Zuvor, beim abendlichen Abschiedsfest, kam die Ehrung als beste Teilnehmerin auf sie zu, was bei vier Frauen keine besondere Auszeichnung war. Nächstes Jahr könnte sie erneut hier sein, um abermals die Beste zu werden. Nein, überlegte Clara, vielleicht würde sie eher zu einem Turnier in die Schweiz fahren, in die Berge. Seit langem plante sie eine Reise dorthin. Es wurde Zeit, einen Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Fast ein Jahr blieb, sich zu entscheiden.

„Setzen Sie sich“, forderte der Mann und klopfte mit seinen dicken Fingern den Sand platt, nachdem er einige besonders große Steine beiseite geräumt hatte. Clara zögerte. Sie hörte ein Trappeln und Sekunden später rauschte etwas Großes dicht an ihr vorüber.

„So eine Unverschämtheit“, schnauzte der Mann. Er schaukelte in seiner Empörung ein wenig hin und her. Fettwanst, dachte Clara. Sie sah Pferd und Reiter nach. Ein junger Mann mit nacktem, braun gebranntem Oberkörper und wehendem schwarzen Haar. Er verschmolz mit dem Tier zu einem Körper, elegant, schwerelos und zugleich voller Kraft. Clara genoss den Anblick, solange es ging, denn das Pferd preschte sehr schnell am Ufer entlang. Ein Erlebnis, das ihre Stimmung wieder verbesserte. Danke, murmelte Clara dem Reiter hinterher und setzte sich.

„Die Polen, ein Volk, das Krach liebt und sich an keine Regeln hält“, schimpfte der sitzende Mann.

„Ja, das ist doch wunderbar. Was treiben Sie hier?“, fragte Clara.

„Ich fotografiere den Sonnenuntergang, wenn man mich lässt und nicht über den Haufen rennt“, sagte er barsch.

„Sonnenuntergänge gibt es überall. Fahren Sie wirklich deshalb nach Polen? Obwohl Sie Land und Leute schrecklich finden?“

„Die Anwendungen sind billiger, und jetzt ist es zu spät, die Sonne ist untergegangen.“ Beide schauten aufs Meer hinaus. Clara in sich versunken, der Mann missmutig. Er machte sich an seinem Apparat zu schaffen. „Diese Aufnahmen sind von gestern“, drängte er Clara, seine Fotos anzuschauen.

„Sie haben ja nur Sonnenuntergänge fotografiert, interessiert Sie nichts anderes? Gestern war doch ein Brautpaar am Strand und Leute, die tanzten!“

„Was soll ich damit? Nein, gucken Sie die Unterschiede. Gestern war der Himmel um Nuancen bewölkter als heute. Sehen Sie! Deshalb war der Moment, als die Sonne versank, nicht direkt zu fotografieren, er war mehr zu erahnen. Heute ist der Himmel klar, leider haben Sie mich abgelenkt. Morgen ist Ihre Abschlussfeier, deshalb werden Sie abends keinen Strandspaziergang machen können. Aber ich werde hier sein!“

Im Sekundentakt wechselten die Bilder auf seinem Display. Clara war bald gelangweilt. „Oh, ich glaube, mir ist der linke Fuß eingeschlafen“, log sie und stand ungelenk auf. „Bis irgendwann mal“, verabschiedete sie sich und humpelte dem verdutzten Mann eilig davon.

Vier Wochen später in Berlin

Jakob Sieben hoffte, Katja Lang ginge an seinem Schreibtisch vorüber. Er fand die junge Frau unausstehlich, und dieses negative Gefühl der Tochter eines Ermordeten gegenüber war nicht in Ordnung. Jakob setzte eine distanziert-neutrale Miene auf, als Katja vor ihm stehen blieb. Sie war rot im Gesicht, und der Kommissar dachte, sie hätte sich einen Sonnenbrand geholt.

„Ich weiß endlich, was fehlt“, sagte Katja erregt.

Deutlich hörte Jakob ihren Atem, als würde er mühsam aus dem dicken Körper der jungen Frau gepresst. Nein, gerade er durfte keine Vorurteile haben. Er schlug sich ja selbst mit Vorurteilen herum, wenn Fremde ihm das erste Mal begegneten. Sie hielten ihn für einen anderen als er war, weil er nicht dem Klischee entsprach, das sie erwartet hatten. Katja Lang als übermäßig dick zu bezeichnen, war möglicherweise übertrieben, sagte Jakob sich, kräftig gebaut, traf es wohl besser. Er forderte sie auf, Platz zu nehmen.

Katja Lang schüttelte energisch ihren Kopf. „Der Chip aus Polen ist verschwunden, Herr…Kommissar, leider entfällt mir Ihr Name ständig, der Fotochip aus Polen ist weg, das ist es!“

„Sieben. Sieben wie acht“, sagte Jakob.

„Wie bitte?“

„Ach, vergessen Sie es. Sie vermissen also einen Chip von Ihrem Vater. Sind Sie ganz sicher?“

Katja setzte sich. Ihre Arme plumpsten hörbar auf ihre Handtasche. Die Dame produzierte dem Kommissar entschieden zu viele Geräusche.

„Aber ja! Mein Vater fotografiert überall, das habe ich Ihnen ausführlich erzählt. Der Chip mit den Fotos vom Urlaub in Miedzyzdroje von diesem Jahr, der fehlt. Hundertprozentig. Und auf dem Laptop sind die Bilder auch weg. Ich denke mir, der Täter hat den Chip geklaut und die Fotos gelöscht.“

„Auf den Fotos waren…?“

„Sonnenuntergänge.“ Die Antwort kam prompt. Erwartungsvoll sah Katja den Kommissar an. Sie hatte sich beruhigt und schnaufte weniger heftig. „Unternehmen Sie nun endlich etwas?“, fragte sie.

Jakob erhob sich und hoffte, sein unwillkommener Besuch würde seinem Beispiel folgen. „Wir werden alles überprüfen“, wiegelte er ab. Katja blieb sitzen. „Wie wollen Sie überprüfen, was nicht mehr vorhanden ist?“

„Die Polizei kann das“, behauptete er, „ich danke Ihnen für den Hinweis, die Ermittlungen laufen auf Hochtouren.“ Er lächelte freundlich. Katja stand zögernd auf. „Sieht aber anders aus“, meinte sie, „Sie haben ja nicht einmal den kleinsten Verdacht, wer meinen Vater umgebracht haben könnte und warum. Null haben Sie! So geht das seit Wochen. Ich will, dass Sie den Mörder meines Vaters finden!“

Sie standen sich gegenüber. Jakob überragte die Frau um Haupteslänge. Er könnte seine Hände um ihren dicken Hals legen und sie spielend leicht...Nein, warum nur verfiel er in ihrer Gegenwart stets auf abartige Gedanken! „Das wollen wir auch, Frau Lang, glauben Sie mir, wir tun unser Möglichstes. Wir gehen sämtlichen Spuren nach, das dauert eben seine Zeit. Es wäre hilfreich, wenn Sie uns sagen könnten, mit wem Ihr Vater in den Wochen vor seinem Tod Kontakt hatte. Nach unserem Wissensstand lebte er wie ein Einsiedler.“

„Sie täuschen sich. Er war in Polen zu einem Schachturnier. Mein Vater war kein Einsiedler, er hatte seine Hobbys.“

„Schach und Sonnenuntergänge, ich weiß.“

„Am Turnier hat er diesmal nicht teilgenommen.“

„Warum war er dann dort?“

„Erst wollte er spielen, deshalb ist er ja hingefahren. Es ging ihm aber plötzlich ziemlich schlecht, die Wirbelsäule, wissen Sie. Ich hab ihn ein paar Tage besucht, er hatte Schmerzen. Aufs Spielen verzichtete er, weil er sich nicht konzentrieren konnte.“

Als Katja Lang gegangen war, starrte Jakob auf seine Uhr. Diesmal gab er sich zwei Minuten, um ihren Besuch zu vergessen. Eine Minute weniger, als beim letzten Mal. „Warum war sie hier?“, fragte Jasmin Busch, seine Kollegin.

„Setz dich, bitte, und warte...dreißig Sekunden.“

Jasmin folgte seiner Bitte. „Lass den Unsinn, Jakob, du findest sie eben äußerst unsympathisch. Das wirst du mit deiner komischen Hexerei kaum ändern können.“

„Schon klar, deswegen arbeite ich an mir.“

„An deinen inneren Werten? Unnötig. Was wollte Frau Lang?“, fragte Jasmin.