Tod am Arkonaplatz - Christiane Baumann - E-Book

Tod am Arkonaplatz E-Book

Christiane Baumann

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Beschreibung

Der Kriminalroman spielt in der Gegenwart in Berlin-Prenzlauer-Berg. Am Arkonaplatz werden zwei junge Männer getötet: Jonathan Somura und Heiner Mohr. Beide lebten im gleichen Haus am Arkonaplatz, und beide waren kurz vor ihrer Ermordung Gast auf einer Party von Katrin Sommerfels, die ebenfalls dort wohnt. Katrin Sommerfels wird vom Chefermittler verdächtigt, die Männer aus Eifersucht getötet zu haben. Doch eine andere Frau hatte ebenfalls eine enge Beziehung zu einem der Mordopfer, die Frau des Kommissars Edgar Kunze. Obwohl ihre Ehe gescheitert ist, will er ihr helfen und tut alles, um sie aus den Ermittlungen herauszuhalten. Für Edgar Kunze ist die Exfrau des Somura, Yvonne Richter, die Hauptverdächtige. Als seine Frau ihm gesteht, von Heiner Mohr schwanger zu sein, weiß Edgar, dass er von ihr belogen wird. Er ahnt aber lange nicht, wie nah ihm der wahre Kindsvater ist. Edgar verliebt sich in Katrin Sommerfels. Erst als sie dem Kommissar erzählt, was wirklich in der Nacht geschah, als Heiner Mohr starb, kommt die Polizei dem Mörder beider Männer auf die Spur.

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Seitenzahl: 367

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Christiane Baumann

Tod am Arkonaplatz

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Impressum neobooks

Kapitel 1

„Wo ist Friedrich?“, fragte Kriminalhauptkommissar Edgar Kunze Kollegen der Spurensicherung, als er das Haus Nr. 11 in der Swinemünder Straße am Arkonaplatz betrat.

„Am Tatort. Erste Etage links, vor dem Klo“, erhielt er zur Antwort. Ein Kollege reichte ihm einen Schutzanzug, Handschuhe und Mundschutz. Edgar streifte lediglich die Handschuhe über. Er lief die Treppe hoch und las auf dem Namensschild der betreffenden Wohnung: ‚Jonathan Somura’. Auch das noch, ein Ausländer, dachte er spontan.

Sein älterer Kollege und Chef Friedrich Schult winkte Edgar zu sich. „Was für eine Scheiße, Edgar! Es ist zum Kotzen! Diese verdammten...“, er stutzte, „...Vollidioten“, vollendete er seinen Satz.

„Mach keine Mördergrube aus deinem Herzen, Friedrich. Hatte wieder ein Ossi Probleme mit der Völkerverständigung?“

Edgar sah von der Eingangstür aus das Opfer: einen nicht sehr großen, aber kräftig gebauten halbnackten Schwarzen, rücklings auf dem Fußboden, als wäre er aus dem Toilettenraum hinausgefallen: die Beine lagen noch im Bad, der Oberkörper im Flur. Unter dem Körper eine Unmenge Blut.

Friedrich klopfte Edgar auf den rechten Oberarm. „Du bist spät dran, wir sind fast fertig. Komm mit!“ Er zog ihn ein paar Schritte weiter in die Ein-Zimmer-Wohnung hinein.

Edgar schaute über die Leiche hinweg in das winzige Bad, rechts die Toilettenschüssel, geradezu ein kleines Waschbecken wie in einer Gästetoilette.

„Jonathan Somura“, sagte Friedrich, als stellte er Edgar einen guten Bekannten vor.„Gut beieinander, der Mann.“

„Vor allem und hauptsächlich ist er schwarz, Edgar. Ich sehe die Schlagzeilen schon vor mir!“, stöhnte Friedrich.

„Denkst du an Glatzköpfe?“

„In Ostberlin? Nie im Leben“, antwortete Friedrich sarkastisch.

Edgar fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar und strich sich lange Strähnen aus dem Gesicht. Es war nach Mitternacht, und er war müde. Beinahe überhörte er die nächste Bemerkung seines Kollegen: „Da kann man neidisch werden, was?“

Offensichtlich spielte sein Chef auf den beachtlichen Penis des Opfers an. Jeans und Unterhose des Toten waren bis zu den Kniekehlen heruntergelassen. „Wie ist es passiert?“, wollte Edgar wissen.

„Er hat eine Wunde am Hals, sie ist merkwürdig aufgerissen. Die Tatwaffe traf ziemlich genau die Halsschlagader. Ein Gegenstand aus Metall käme in Frage, der eine gewundene Spitze hat. Eventuell war es der Kaminhaken, er ist verschwunden“, gab sein Chef widerwillig Auskunft.

„Ein Kamin in dieser Bude?“, äußerte Edgar ungläubig.

„Natürlich nicht. War nur eine Idee. Weiter…Das Opfer heißt Jonathan Somura, ist deutscher Staatsbürger, 33 Jahre alt. Seine Familie stammt aus Guinea. Der Mann ist geschieden, hat eine kleine Tochter, die bei ihrer Mutter lebt, einer Yvonne Richter. Der Somura arbeitete als Altenpfleger; hier wohnte er seit zwei Jahren, allein. Er wurde von einem Arbeitskollegen gefunden, der sich wunderte, warum Somura heute nicht zum Dienst erschien. Unser Toter soll äußerst korrekt gewesen sein. Ja, und er war Mitglied einer Amateurband, spielte manierlich Gitarre. Das haben sie ja im Urin, die Musik, den Rhythmus.“ Friedrichs letzte Worte klangen eher geringschätzig.

„Hat er sich selbst ausgezogen?“

„Keine Ahnung. Wahrscheinlich wollte er pinkeln, als ihn jemand attackierte. Ich frage mich eher, wieso wurde er im Bad umgebracht? Da drin kann man sich doch kaum bewegen. Nehmen wir an, der Täter war mit dem Somura längere Zeit zusammen in der Wohnung. Dann hat das Opfer sich zumindest sicher gefühlt. Er ist aufs Klo und hat die Tür offen gelassen. Das ist zwar nicht die feine Art, soll aber vorkommen.“

„Er kannte den Täter“, mutmaßte Edgar.

Sein Chef nickte. „Das Ganze funktionierte nur, weil die Badtür zum Flur aufgeht.“

„Ja, sonst wäre der Mann von der Tür erschlagen worden“, versuchte Edgar zu witzeln.

Friedrich ging nicht auf den Ton ein. Er führte Edgar rüber ins Wohnzimmer, damit die Spusi ihre Arbeit ungestört fortsetzen konnte.

„Tatzeit?“, fragte Edgar. „Gestern, also Dienstagnacht, vorsichtig geschätzt zwischen 22. 00 Uhr und 23. 00 Uhr.“

„Spuren eines Einbruchs an der Wohnungstür?“

Friedrich brauste auf und fiel in einen offiziellen Tonfall: „Schluss mit der Abfragerei, ich leite die Ermittlungen! Wenn du weitere Unklarheiten hast, weil du später als jeder Anfänger am Tatort aufkreuzt...“

„Irgendwelche Zeugen?“ Edgar gab sich unbeeindruckt von der Rüge seines Chefs.

Der blinzelte durch seine Brille zu ihm hoch. „Nein“, antwortete Friedrich, immer noch unwirsch, aber ruhiger, „die Nachbarn befragen wir heute Vormittag. Warum eigentlich deine Verspätung? Wo warst du? Renate wusste nicht, wo du bist.“

„Geht’s noch?! Rufst deswegen meine Frau an!“

„Du bist nicht ans Handy gegangen, schließlich hast du Bereitschaft, Edgar, irgendwie musste ich dich auftreiben.“

„Indem du ausgerechnet Renate anrufst!“

„Dein Vorwurf ist nicht logisch, Edgar. Wen, bitte, sollte ich sonst anrufen? Deine Geliebte? Hör einfach auf dein Handy, damit ersparst du dir...“

„Arschloch!“

„Ossi!“

„Ach!“ Verärgert drehte Edgar sich weg von Friedrich. In der Wohnung anwesende Kollegen, die den Schlagabtausch mitbekommen hatte, grinsten sich an. Szenen dieser Art kannten sie von den beiden Ermittlern, die seit sieben Jahren in einem Team arbeiteten. Niemand nahm sie allzu ernst.

Edgar sah sich allein in der Wohnung um. Sie hatte etwa 40 Quadratmeter und bestand aus einem größeren Zimmer, kleiner Küche und winzigem Toilettenraum. Im Zimmer standen ein Doppel- und ein Kinderbett und ein voluminöser Schrank. Die Möbel waren aus hellem Holzimitat gefertigt und schienen allesamt vom Billigdiscounter zu stammen. An einem Stuhl lehnte eine Gitarre. Raub schied wahrscheinlich aus, dachte Edgar angesichts des billigen Mobiliars und der insgesamt spartanischen Einrichtung. Er schielte zu Friedrich hinüber. Sein Chef sprach mit Kollegen und wirkte trotz der fortgeschrittenen Nachtzeit frisch und dynamisch. Edgar beneidete ihn um diese Kondition, denn er fühlte sich erschöpft, als wäre er auch schon fünfzig wie Friedrich.

Edgars Gedanken schweiften ab zu Corinna. Ihr Treffen am Abend war anstrengend gewesen. Seine Geliebte wollte reden. Ein erstes Zeichen, dass ihre Affäre zu Ende ging. Komischerweise fühlte er kein Bedauern darüber. Sie war eh viel zu jung für ihn.

Edgar entdeckte, dass man vom Zimmer auf einen kleinen Balkon hinaustreten konnte. Von dort sah er auf den Arkonaplatz hinunter. Edgar erkannte in der Dunkelheit einen mittelgroßen Platz mit Bäumen, spärlich erleuchteten Wegen und einigen Parkbänken. Diese Gegend um die Bernauer Straße, zwischen Ost- und Westberlin, war ihm ziemlich fremd.

Als Edgar anfing zu frösteln, ging er ins Zimmer zurück. Er öffnete die Schubladen einer Kommode, in denen Spielsachen und Kinderbekleidung untergebracht waren. Neben der Kommode stand das Kaminbesteck, bei dem der Schürhaken fehlte. Wenn der die mögliche Tatwaffe war, musste der Täter im Wohnzimmer gewesen sein, bevor er dem Somura in die Toilette folgte, und er hatte keine Eile gehabt, überlegte Edgar, denn Schaufel und Besen hingen ordentlich am Gestell. Aber wieso wurde der Somura nicht im Wohnzimmer überfallen, wo ein Täter mehr Bewegungsfreiheit gehabt hätte? Das sprach eher für eine spontane Tat als für einen geplanten Mord.

Ein Foto auf einem Regal fesselte die Aufmerksamkeit des Kommissars. Es zeigte ein farbiges Kind, ein Mädchen im rosa Kleidchen.

„Seine Tochter Sina“, erklärte Friedrich, der plötzlich hinter ihm stand.

„Wer fährt zur Ex?“, fragte Edgar.

„Ex-Witwe, meinst du. Oder wie soll man zu ihr sagen? Ich werde Schlesinger mitnehmen. Edgar, fahr nach Hause. Irgendwie habe ich den Eindruck, du bist heute nicht zu gebrauchen. Wir sehen uns morgen, das heißt in ein paar Stunden. Und grüße Renate von mir!“ Zum Abschied klopfte er erneut auf Edgars Arm.

Edgar ärgerte sich über Friedrich, als er sich hinters Lenkrad setzte. Er konnte diese merkwürdige Gewohnheit von ihm, ständig alle Leute anzutatschen, nicht leiden. Überhaupt Friedrich, dieser Schnösel. Sah sogar im Schutzanzug aus wie aus dem Ei gepellt. Mistkerl! Rief Renate an und brachte ihn dadurch in Schwierigkeiten. Das war Absicht gewesen! Wie sollte er sich jetzt seiner Frau gegenüber rausreden?

Er bemühte sich, keinen Lärm zu verursachen. Edgar zog sich im Wohnzimmer aus, machte sich auf der Gästetoilette für die Nacht fertig und stieg mit bloßen Füßen die zu steil geratene, mit Teppichbelag gedämpfte Treppe ins erste Geschoss. Beinahe lautlos legte er sich ins Bett und lauschte auf Renates Atem. Seine Frau hatte ihm den Rücken zugedreht und die Bettdecke bis zu den Ohren hoch gezogen. Gott sei Dank, sie schlief und würde nicht nach seiner Abwesenheit oder Friedrichs Anruf fragen.

In diesem Moment regte sie sich: „Wo warst du?“

„Neuer Fall.“

„War Friedrich auch da?“

„Natürlich.“

Mit dieser spärlichen Auskunft war Renate zufrieden. Das wunderte Edgar zwar, aber ihm war es recht, er wollte schlafen. Morgen musste er ausgeruht sein. Die Fische! Er hatte sie vergessen. „Hast du die Fische gefüttert?“ Edgar langte mit einem Arm zu Renate hinüber.

„Ja“, antwortete sie unwillig und wehrte seinen Arm ab. „Lass mich!“

Edgar drehte sich auf die Seite. Es war stets ein wenig hell im Zimmer, weil eine Straßenlaterne unmittelbar vor ihrem Reihenhaus stand. „Was ist los?“

Renate setzte sich aufrecht und schniefte heftig durch. Er sah ihre Silhouette vor dem Fenster. „Edgar! Ich gehöre nicht zu deinen Toten. Wieso kümmerst du dich auf einmal um mich! Gib Ruhe, oder ich schlafe in meinem Zimmer!“

„He, ich wollte bloß nett sein. Wieso bist du so aggressiv?“

Renate schaltete die Lampe auf ihrem Beistelltischchen an. Sie blinzelten beide ins Licht. Ängstlich schaute sie ihn an. „Entschuldige...Edgar...es ist...ich muss mit dir reden.“Ihre Haare waren strähnig. Die Augen verquollen. Die winzige Narbe unter ihrem linken Auge, die sie seit einem Unfall in der Kindheit hatte, deutlich sichtbar.

„Hast du geheult?“, fragte er.

Sie wich seinem Blick aus. „Ich brauche eine Zigarette.“ Schon war sie aus dem Zimmer gelaufen.

Edgar überlegte, ob er ihr nachgehen sollte. Wenn Renate rauchte, bedeutete es Stress. Und auf Stress folgte Streit. Diese verdammte Qualmerei. Wie oft hatte sie versprochen, damit aufzuhören. Edgar suchte eine bequeme Schlafposition. Ein bisschen Nachtruhe hatte er sich redlich verdient. Renate steckte sich in ihrem Zimmer eine Zigarette an. Sie murmelte leise vor sich hin und lauschte ab und zu, ob Edgars Schritte zu hören waren. Aber er ließ sie allein. So konnte sie noch einmal an ihrem kleinen Geständnis basteln, das sie seit Wochen mit sich herumtrug. Heute Nacht könnte eventuell der richtige Zeitpunkt dafür sein: „Edgar, ich bin schwanger. Es tut mir leid…nein, Quatsch. Ich bin so froh über das Kind. Und ich liebe seinen Vater. An mir hat es nicht gelegen, dass es mit uns nicht geklappt hat. Aber ich mache dir keine Vorwürfe deswegen, du kannst nichts dafür.

Zuerst dachte ich ja, ich sage einfach, das Baby ist von dir, ja, das war mein Plan. Bescheuert, was? Verzeih mir, bitte. Ich will dich nicht mehr anlügen als nötig. Und du hast alles Recht der Welt, auf mich sauer zu sein. Aber du bist vor mir fremdgegangen, ich hätte das nie getan…nein, warum entschuldige ich mich denn? Ich habe mich verliebt in…Soll ich seinen Namen preisgeben? Nein, erst mal abwarten, wie Edgar reagiert.

Wo war ich? Ja, ich habe mich verliebt und bin gleich schwanger geworden. In meinem Alter, mit fast vierzig! Nein, das mit dem Alter ist blöd, das werde ich nicht sagen. Es geht allein um das Baby. Ich habe es gewollt. Nichts habe ich mehr gewollt in meinem Leben!“

Renate drückte die Zigarette aus. Im Schlafzimmer setzte sie sich vorsichtig auf Edgars Seite. „Ich bin endlich schwanger, Edgar“, flüsterte sie. Auf eine Reaktion ihres Mannes wartete sie vergebens; er schlief tief und fest.

Kapitel 2

Edgar stand hinter der Scheibe des Verhörzimmers und beobachtete von dort aus Yvonne Richter, die Exfrau des getöteten Jonathan Somura. Die Frau war mittelgroß, mit breiten Schultern, muskulösen Armen und langem blondem lockigem Haar. Sie trug eine rosa Bluse zur schwarzen Jeans. Yvonne Richter weinte; dünne Rinnsale schwarzer Schminke liefen ihr über die Wangen. Friedrich sprach beruhigend auf sie ein.

Einige Minuten später setzte Edgar sich neben seinen Chef. Friedrich stellte der Richter seinen Kollegen vor. Yvonne nahm jedoch keine Notiz von ihm, sie schluchzte in ein Papiertaschentuch.

Friedrich fuhr mit seiner Befragung fort: „Wann haben Sie Ihren Ex-Mann zuletzt lebend gesehen?“

Yvonne Richter drückte das Taschentuch an ihren Mund. „Habe ich Ihnen gestern Nacht schon gesagt, das war vor ungefähr zwei Wochen und ein paar Tagen“, nuschelte sie.

„Sprechen Sie bitte lauter“, forderte Edgar sie auf. Die Frau sah ihn erstaunt an.

„Ist wegen der Aufnahme, man hört Sie schlecht“, erklärte er.

Friedrich räusperte sich. „Also, vor mehr als zwei Wochen haben Sie Jonathan Somura das letzte Mal gesehen. Hatten Sie seitdem anderweitig Kontakt? Haben Sie telefoniert?“

„Er rief häufig an, wegen Sina. James war sehr fürsorglich.“

„James?“

„Ja“, Yvonne atmete tief durch, „alle nannten ihn so, ist leichter zu sprechen.“

„Hatten Sie Streit mit Herrn Somura?“

„Ja, oft. Wegen Sina.“

„Worüber stritten Sie genau?“

„Wie jetzt? Wegen Sina haben wir gestritten“, wiederholte sie.

Edgar starrte Yvonne Richter ununterbrochen an, um sie zu verunsichern. Das glückte bei fast jeder Frau. „Und worum stritten sie beide im Einzelnen?“, fragte er.

Yvonne schaute Hilfe suchend zu Edgars Chef. Sie wusste immer noch keine Antwort.

Friedrich versuchte es anders: „Dass es bei den Streitigkeiten um Sina ging, ist uns klar.

Geben Sie uns einfach ein Beispiel.“

„James nervte. Er fragte alles ab, wo Sina war und so. Über jeden Pups sollte ich ihm Bescheid geben. Und dauernd sollte ich sie zu ihm bringen.“ Yvonne wirkte froh, eine Erklärung gefunden zu haben.

„Sein Interesse an seiner Tochter störte Sie?“

„Sina ist meine Tochter. Sie braucht mich. James hat sie nur verwöhnt.“

„Das ist doch kein Grund, um zu streiten“, sagte Edgar, „Ihr Ex-Mann hat sich um ihr gemeinsames Kind bemüht. Darüber wäre jede andere Mutter glücklich. Worüber stritten Sie wirklich?“

Yvonne zuckte mit den Schultern. Sie begann, in ihrer Tasche herum zu kramen und wich den Blicken der Kommissare aus.

„Lassen Sie das“, forderte Friedrich sie auf, „beantworten Sie die Frage meines Kollegen!“

„Ich will nach Hause!“ Yvonne funkelte Edgar wütend an.

Er war zufrieden. Offensichtlich war Yvonne Richter leicht in Rage zu bringen. Vielleicht schlug sie ebenso schnell zu?

Edgar konfrontierte sie direkt mit seinem Verdacht: „Ihnen passte nicht, dass Herr Somura Kontakt zu seiner Tochter suchte. Sie wollten Sina für sich allein, der Vater sollte aus ihrem Leben verschwinden. Haben Sie Jonathan Somura deswegen umgebracht?“

„Ich habe James nicht getötet!“

„Ihre ständigen Streitereien, die Sie ja zugeben. Ein Streit eskalierte, und Sie sind ausgerastet. Sie sind Ihrem Ex-Mann auf die Toilette gefolgt und haben zugeschlagen, in einer Situation, in der er sich kaum wehren konnte“, sagte Friedrich.

„Ich war das nicht!“

„Geben Sie es zu! Ein Geständnis wird Ihnen helfen!“, drängte Edgar sie.

„Nein! Ich bin unschuldig! Ich will gehen, bitte!“

„Hat Herr Somura Sie geschlagen?“

„Nein, niemals!“ Yvonne steckte das Taschentuch weg. Sie schien sich plötzlich besser zu fühlen. „James war schon lieb und konnte keiner Fliege ein Bein ausrupfen. Er war melancholisch, spielte gern diese Lieder auf der Gitarre, die einen zum Heulen brachten.“

„Warum sind Sie dann geschieden?“

Yvonne lehnte sich entspannt im Stuhl zurück. „James war kein richtiger Mann, wenn Sie verstehen. Ein Mann muss sich auch mal durchsetzen, oder? James war sehr weich.“

Edgar dachte sofort an Impotenz, Friedrich ging das Wort ‚Frauenversteher’ durch den Kopf. „Was meinen Sie mit ‚weich’?“, fragte er nach.

„Habe ich doch gesagt. Er war zu…sanft“, erklärte Yvonne.

Ein Weichei, dachte Edgar. „Und das störte Sie? Haben Sie Herrn Somura deswegen getötet? Weil er kein Kerl war in Ihren Augen?“

„Niemals habe ich das getan! Wo denken Sie hin! Ich bin unschuldig! James ist der Vater von Sina. Niemals habe ich das getan!“, empörte sie sich.

„Wo waren Sie Dienstagnacht zwischen zehn und elf?“

„Zuhause, ich habe geschlafen.“

„Allein?“

„Ja, ich lebe allein. Mit Sina natürlich.“

„Haben Sie einen Schlüssel zur Wohnung Ihres Ex-Mannes?“

Yvonne verneinte.

„Wir fanden ein Kaminbesteck bei Herrn Somura im Zimmer“, übernahm Friedrich, „war es vollständig? Mit Schürhaken?“

Yvonne zuckte unschlüssig mit den Schultern.

„Die Wohnung Ihres Ex wird zentral beheizt. Wofür hatte Ihr Ex-Mann dieses Gerät?“ Wieder gab Yvonne den Kommissaren nur durch ihre Miene zu verstehen, dass sie es nicht wüsste.

„Antworten Sie, bitte. Das Kaminbesteck gehörte in seine Wohnung, richtig?“, hakte Friedrich nach.

„Ja. Er hatte manchmal so einen Spleen. Ein Kaminbesteck! Ja, das musste es dann sein. Wahrscheinlich hat er es auf einem Flohmarkt gekauft, der Spinner.“ Sie lächelte, bis ihr einfiel, worum es in dem Gespräch ging. Um die Aufklärung eines Mordes. Yvonne kramte ein neues Taschentuch hervor. „Ich möchte nach Hause. Ich muss arbeiten. Sonst verliere ich meinen Job.“

„Sie arbeiten als Kassiererin in einem Supermarkt, verdienen also entsprechend wenig. Zahlte James Unterhalt?“, fragte Friedrich.

„Ja, natürlich. Für Sina tat er alles.“  

„Warten Sie bitte.“ Friedrich nickte Edgar zu, und beide verließen den Raum.

„Was denkst du?“, wollte Friedrich die Meinung seines Kollegen wissen.

„Für mich ist sie verdächtig, diese ständigen Streitereien mit dem Somura, und dann hat sie kein überzeugendes Alibi“, sagte Edgar.

Friedrich blieb stehen und hielt Edgar am Arm fest. „Uns fehlt leider die vermutete Tatwaffe, dieser Kaminhaken, und wir haben keine verwertbaren Spuren. Dass wir ihre Fingerabdrücke in der Wohnung fanden, ist logisch, sie hat die Tochter hingebracht und abgeholt. Werden wir die Befragungen der Nachbarn abwarten müssen. Schlesinger überprüft gerade die Bandmitglieder. Könnte sich eventuell eine andere Ermittlungsrichtung auftun.“

Edgar bekam seinen Arm aus Friedrichs Griff. „Jedenfalls hat die Richter es nicht weit zur Wohnung Ihres Ex. Sie wohnt in der Brunnenstraße, er in der Swinemünder, liegt praktisch nur der Arkonaplatz dazwischen. Wie lange läuft sie zu ihm? Zehn Minuten oder weniger? So lange kann sie ihr Kind nachts ohne Probleme allein lassen.“

„Wenn wir Zeugen unter den Nachbarn finden würden, dass sie ihre Wohnung nachts verlassen hat...“, unterbrach Friedrich ihn.

„Weiter! Sie klingelt, er öffnet ihr arglos die Tür. Ein neuer Streit. Sie kennt seine Angewohnheit, beim Pinkeln die Toilettentür nicht zu schließen. Wartet, bis er zum Klo geht, Überraschungsmoment, Friedrich! Sie nimmt den Schürhaken, schleicht sich an und während er beim Pinkeln ist, schlägt sie zu. Die kann zuschlagen, glaube mir. Sie könnte es gewesen sein. Ihr traue ich das zu.“ Edgar strich über den Arm, den Friedrich berührt hatte, als ob dort ein Fussel zu entfernen wäre. Friedrich beobachtete ihn dabei. „Ist etwas?“

„Nein.“

„Und wenn er nicht aufs Klo gegangen wäre?“, fragte Friedrich.

„Vielleicht hatte er eine schwache Blase, und sie wusste davon“, spekulierte Edgar, „egal, Friedrich, sie lügt. Das hast du gemerkt, ja? Sie gibt zu, was vermutlich sowieso jeder weiß, dass sie sich ständig wegen des Kindes gestritten haben. Sind diese Streitereien ausreichend für ein Tatmotiv? Fraglich, oder? Wie wäre es mit Eifersucht auf eine mögliche neue Freundin von dem Somura?“

„Müsste dann nicht diese Freundin tot sein?“, mutmaßte Friedrich, „wir haben aber einen toten Ex-Mann.“

Edgar überlegte kurz: „Die Richter fühlte sich vom Somura betrogen, auch nach der Scheidung. Soll es geben, Friedrich.“

„Keine voreiligen Schlüsse, bitte. Wir ermitteln in alle Richtungen. Und bisher haben wir keine Freundin vom Somura auftreiben können, da werden wir dranbleiben.“ Friedrich verstummte, kniff seine Augen zusammen und sah konzentriert geradeaus. Edgar kannte diesen Gesichtsausdruck. Friedrich entwarf einen Tathergang, behielt jedoch für sich, zu welchem Schluss er gekommen war. „Soll die Richter ein Weilchen schmoren. Ich rede nachher erneut mit ihr.“

„Könnte ich auch machen, aber allein.“ Edgar hätte die Richter gern etwas härter verhört. Jetzt wäre der beste Zeitpunkt dafür, weil sie offensichtlich emotional aufgewühlt war, unsicher und leicht zu provozieren. Falls Yvonne Richter die Täterin war, hatte sie sich noch nicht an den Gedanken gewöhnt, einen Menschen ermordet zu haben, ihren ehemaligen Geliebten, den Vater ihres Kindes.

Friedrich ignorierte Edgars Vorschlag, als wäre er nicht ernst gemeint. „Wir müssen das Umfeld des Somura genau kennenlernen und die letzten Tage in seinem Leben rekonstruieren. Übrigens, wo leben eigentlich seine Eltern? Sind sie informiert? Kannst du dich darum kümmern, bitte.“

Sie gingen schweigend weiter. Im Büro wartete Michael Schlesinger auf sie. Er war ein jüngerer Kollege, beinahe so groß gewachsen wie Edgar, dafür jedoch wesentlich hagerer und im Gegensatz zu seinem Kollegen mit kürzerem blondem Haar, das in wirren, nicht zu bändigenden Büscheln vom Kopf abstand. Schlesinger saß mit halbem Hintern auf seinem Schreibtisch, die Füße hatte er auf seinen Stuhl gestellt. Er studierte Berichte und knabberte an einer Tafel Schokolade.

„Hast du Neues?“, fragte Friedrich.

Hastig sprang Schlesinger vom Schreibtisch und verstaute sein Naschwerk in einer Schublade. „Mit den Bandmitgliedern bin ich durch. Sie haben ein gemeinsames Alibi: Auftrittsprobe. Das Opfer war beliebt, glaube ich, wird als zuvorkommend und höflich geschildert. Die Leute in dem Altenpflegeheim, in dem er arbeitete, haben geweint. Sie können sich die Tat nicht erklären; es sind auch keine Drohungen wegen seiner Hautfarbe bekannt.“

Edgar fühlte sich bestätigt. Einen rassistischen Hintergrund konnten sie vorerst ausschließen. Blieb nur ein privates Motiv. „Eine Hausdurchsuchung bei der Richter“, schlug er als nächsten Schritt vor.

„Auf welcher Grundlage? Weil sie seine Exfrau ist und in der Tatnacht allein mit Kind zu Hause war? Das ist ein bisschen dürftig.“

Typisch Friedrich. In Edgars Augen war sein Chef, wie immer, ein Zögerer. Sie müssten alle relevanten Berichte der Spurensicherung und der KTU abwarten. Außerdem wäre es wichtig, die Tatwaffe zu finden.

Friedrich wollte sein zweites Gespräch mit Yvonne Richter allein durchführen. Es fand eine Stunde später statt.

Zuerst wiederholte Friedrich einige Fragen und erhielt ähnliche Antworten von ihr. Unvermittelt wechselte der Kommissar das Thema: „War Ihre Mutter einverstanden, dass Sie Herrn Somura heirateten?“

„Ja, war sie.“

„Ihre Mutter heißt Irmtraud Zimmermann. Sie heißen Richter, Ihr Exmann Somura. Wie kommt das?“

„Richter hieß mein erster Ehemann. Ich habe den Namen nach der Scheidung von James wieder angenommen.“

„Warum?“

Yvonne zuckte mit den Schultern. „Ist eben so.“

„Wie ist das Verhältnis zu Ihrer Mutter?“

„Einwandfrei, wir helfen uns gegenseitig. Ich bin ohne Vater aufgewachsen. Er ist vor meiner Geburt gestorben.“

„Sina ist oft bei Ihrer Mutter?“

Yvonne nickte.

„Ihre Mutter arbeitet als Kellnerin?“

„Ja, in meiner Nähe. Sie wohnt auch über der Kneipe. Wir sehen uns fast täglich.“

„Ihre Mutter sah kein Problem darin, dass Sie einen Schwarzen heirateten?“

„Sind Sie Rassist?“

„Ich bin Polizeibeamter. Sie haben doch sicher vor der Eheschließung mit Ihrer Mutter über Ihre Absicht gesprochen, und sie hatte keine Bedenken?“

„Sie sind ein Blödmann! Sie können mich mal! Ich habe James nicht umgebracht. Niemals! Suchen Sie lieber den Mörder!“

„Damit sind wir gerade beschäftigt“, entgegnete Friedrich, „und Ihnen, Frau Richter, rate ich, sich im Ton zu mäßigen. Ich kann sehr ungemütlich werden!“

„Ich will nach Hause! Ich habe es satt! Ich habe ein farbiges Kind, was denken Sie, was ich mir anhören muss!“ Sie fing erneut an zu weinen.

Friedrich verließ den Raum und stellte sich zu Edgar, der hinter der Scheibe des Verhörzimmers der Befragung gefolgt war. „Ich lasse sie gehen“, verkündete der Chefermittler. Das kam für Edgar nicht überraschend, denn sie hatten keine Beweise oder Indizien gegen die Richter.

Beide beobachteten Yvonne, die hemmungslos schluchzte. Edgar versuchte, sich in die Frau hineinzudenken. „Sie hatte seit Jahren keinen Mann mehr“, sinnierte er, „das sind schlechte Karten, Friedrich. Alleinstehende Frau mit Kind ist schon schlecht, aber eine alleinstehende Yvonne Richter mit farbigem Kind…?“

„Tut sie dir etwa leid? Ich denke, du verdächtigst sie.“

„Sie hat die Arschkarte, Friedrich.“

„Allerdings, so ist es.“ Schlesinger gesellte sich zu ihnen. Er freute sich, wie immer, wenn er etwas herausgefunden hatte. „Wusstet ihr, dass sie bereits zum zweiten Mal geschieden ist? Der erste Mann ist ihr davon gelaufen, nach nur einem halben Jahr Ehe. Da wird Frau doch ganz schön sauer auf Männer, oder?“

„Ist längst bekannt, Schlesinger. Denkst du, ich schlafe während der Arbeit!“, schnauzte Friedrich ihn an und rauschte aus dem Raum.

„Er musste unsere einzige mögliche Verdächtige nach Hause schicken, das ärgert ihn“, entschuldigte Edgar Friedrichs Verhalten. Ihm fiel eine neue Aufgabe für seinen jungen Kollegen ein. „Könntest du dich um die Eltern vom Somura kümmern? Sie sollen irgendwo in Afrika leben.“

„Sehr präzise Ortsangabe“, bemerkte Schlesinger. Sein Handy klingelte. Schlesinger lauschte, nickte und sagte ‚ja’, bevor er den Aus-Knopf drückte. „Observation der Richter“, informierte er Edgar, „ich hänge mich gleich an sie dran. Du sollst mich am Abend ablösen.“

Edgar wollte Renate mitteilen, dass es bei ihm spät würde. Weil er sie nicht erreichte, hinterließ er Nachrichten auf dem Anrufbeantworter und ihrem Handy mit der Bitte um Rückruf.

Der Supermarkt, in dem Yvonne Richter arbeitete, lag in unmittelbarer Nähe des Arkonaplatzes. Nach einer halben Stunde war Edgar im Auto eingeschlafen. Als er aufwachte, war es kurz vor 22 Uhr. Edgar musste eine weitere halbe Stunde ausharren, bevor Frau Richter auftauchte. Sie eilte an seinem Auto vorbei, ohne einen Blick hinein zu werfen. Über ihrer rosa Bluse trug sie nun eine dunkelbraune Steppjacke. Sie lief Richtung Arkonaplatz, und Edgar, der ihr mit Abstand folgte, dachte, sie wolle direkt zu ihrer Wohnung in der Brunnenstraße, doch Yvonne blieb vor einem vollständig eingerüsteten Haus in der Ruppiner Straße stehen. Yvonne Richter wollte offensichtlich jemanden besuchen. Einen Komplizen? Den geheimen Freund oder die beste Freundin?

Edgars Handy klingelte. Es war Friedrich, der sich nach dem Stand der Dinge erkundigte. Edgar berichtete, Yvonne Richter würde gerade im Haus Nr. 49, Ruppiner Straße, verschwinden.

Edgar musterte die Fensterfront, zwei Wohnungen waren hell erleuchtet. Mit wem nahm Yvonne Richter Kontakt auf? Es könnte eine Person sein, die Einiges über die verdächtige Ex-Frau und ihre Beziehung zu dem Toten wusste.

Die Haustür der Nummer 49 war abgeschlossen. Edgar entzifferte die wenigen beschrifteten Schilder. Danach schlenderte er um die Häuserecke. Er entdeckte einen Durchgang im Nebenhaus in der Anklamer Straße und gelangte über einen kleinen Hof zur Rückseite der Nummer 49, die ebenfalls eingerüstet war. Es gab einen unverschlossenen Hintereingang. Langsam und so leise wie möglich stieg Edgar die Treppen hoch. Er las die Namensschilder an den Wohnungstüren und lauschte, ob er irgendwo Yvonnes Stimme hörte, fand aber keinen Hinweis, wo sie abgeblieben war.

Enttäuscht ging Edgar wieder in den Hof hinunter. Erneut betrachtete er die hintere Hausfront. Und da sah er sie hinter einem großen einglasigen Fenster, vor dem ein kleiner schmaler Gegenstand herunter baumelte. Ansonsten war das Fenster weder durch Rollo noch durch Gardine verhängt. Die Küche, mutmaßte der Kommissar. Yvonne stand neben einer anderen Frau, sie gestikulierte, und die Unbekannte bewegte sich kaum. Sie war größer als Yvonne, hielt ein Glas in der Hand, den Kopf hatte sie leicht zurückgelehnt, als schaute sie in den Nachthimmel, als wäre sie allein und würde Yvonne ignorieren.

Edgar suchte hinter den Büschen Schutz, die im Hof wuchsen. Zweiter Stock rechts, prägte er sich ein. Eine Stunde später kam Yvonne Richter aus dem Haus heraus. Sie lief zu der kleinen Eckkneipe gegenüber, in der ihre Mutter arbeitete, und blieb dort für zehn Minuten. Danach nahm sie den direkten Weg zu sich nach Hause in der Brunnenstraße. Edgar folgte ihr zu Fuß. Als das Licht in ihrer Wohnung anging, brach er die Observation ab und fuhr nach Hause.

Kapitel 3

Am Freitagmorgen referierte Schlesinger in der Teambesprechung die Erkenntnisse der KTU und der Spurensicherung. An der Wohnungstür des Jonathan Somura fanden sich keine Spuren, die auf einen Einbruch schließen ließen. Das Opfer hatte seinem späteren Mörder die Tür offensichtlich selbst geöffnet. Mit Hilfe von Yvonne Richter wurde festgestellt, dass seine persönlichen Sachen vollständig waren, Computer, Fotoapparat, Handy oder TV-Gerät waren an ihren Plätzen, auch das Geld lag in der dafür bestimmten Schachtel.

Die Leiche wies keine Abwehrspuren auf; offenbar hatte der Somura sich nicht gegen seinen Angreifer gewehrt. Als Tatwaffe wurde der fehlende Schürhaken aus Somuras Kaminbesteck angenommen. Der damit ausgeführte Schlag traf die Halsschlagader, wahrscheinlich eher zufällig. Der Somura war innerhalb kurzer Zeit verblutet.

Der Todeszeitpunkt wurde konkretisiert und für Dienstag, den 15. September 2012, zwischen 22. 00 und 22. 30 Uhr festgelegt. Das Waschbecken in der Toilette wies Beschädigungen und Partikel auf, die von einem Metallgegenstand herrühren konnten. Daraus schlossen die Kollegen der Kriminaltechnik, dass der Schürhaken oder ein anderes Werkzeug aus Metall nach dem Schlag auf das Opfer ins Becken geworfen worden war. Der Täter musste versucht haben, den Haken unter fließendem Wasser zu säubern.

„Es gab keine Drogen in der Wohnung oder sonst auffällige Substanzen. Somuras Finanzen entsprechen seinem Einkommen, und er zahlte regelmäßig den Unterhalt für seine Tochter. Die Telefonliste seines Handys ist angefordert, sollten wir noch heute kriegen.“ Schlesinger schaute zu Friedrich, in Erwartung eines Einwurfes, dies müsse alles schneller gehen. Doch sein Chef schwieg und hörte zu. „Nach den Angaben seiner Freunde, der Bandmitglieder, lebte Jonathan, der von allen James genannt wurde, wie wir wissen, allein. Er hatte auch kein Auge auf jemanden geworfen, wenn ich mal so sagen darf. Seine Streitereien mit Frau Richter, seiner Ex, sind in seinem Umfeld hinlänglich bekannt, ging wohl seit der Trennung vor zwei Jahren in dieser unschönen Weise. Zusammengefasst könnte man sagen, der James war ein lieber Kerl, den alle mochten, bis auf seine Ex. Es gibt keine Hinweise auf ein rassistisches Motiv für die Tat, weder im Freundeskreis noch in seinem privaten Umfeld.“ Schlesinger verstummte kurz. „Ach ja“, fuhr er fort, „hatte er Geschwister? Schwierig zu sagen. Seine Familie lebt in Guinea. Wir fanden Briefe von Verwandten in der Wohnung. Die Benachrichtigung der Eltern läuft über die Botschaft.“ Schlesinger wechselte einen Blick mit Edgar, der uninteressiert tat.

„Weiter?“, fragte Friedrich.

„Etliche Fingerabdrücke in der Wohnung, außer den bekannten von Frau Richter und ihrer Tochter. Das dauert sicher einige Tage, sie zu identifizieren. Und gestern, wie in meinem Bericht vermerkt, ist Frau Richter von uns aus direkt zur Arbeit gefahren. Sie hat mehrmals mit ihrer Mutter, Frau Irmtraud Zimmermann, telefoniert. Die Mutter passt nachmittags auf Sina auf, wenn sie keine Schicht hat. Sie wohnt direkt über der Kneipe, in der sie arbeitet.“

„Und wenn die Oma zur gleichen Zeit arbeiten muss wie die Richter?“, fragte Edgar.

„Dann gibt’s ein Babyphone oder die Kleine wird in einem hinteren Raum in der Kneipe untergebracht.“

„Möglich, dass der Somura Einwände gegen diese Art der Kinderbetreuung hatte und dies der eigentliche Grund für die häufigen Streits mit seiner Ex war“, meinte Edgar.

„Schlesinger prüft das noch einmal“, ordnete Friedrich an. Die Observation der Richter wurde eingestellt, denn Leute für diese Aufgabe würden fehlen. „Hast du noch was, Edgar?“

Dieser schilderte seine gestrige Beobachtung. Yvonne Richter hätte nach der Arbeit eine Frau in der Ruppiner Straße 49 aufgesucht, sie hieße Katrin Sommerfels, und zu ihr würde er jetzt mit Friedrichs Einverständnis fahren.

Edgar nahm gleich den unverschlossenen Hintereingang. Er wollte es vermeiden, durch den Lautsprecher an der vorderen Haustür sein Anliegen einer unbekannten Person erklären zu müssen. Die ungewöhnlich hohen Treppenstufen bereiteten ihm Mühe, schnell kam er außer Atem. Der Kommissar hielt inne, bevor er klingelte, denn ein nach Luft schnappender Polizist machte auf niemanden einen guten Eindruck. Unwillkürlich musste er an seine Frau Renate denken, die seit einigen Monaten regelmäßig einmal in der Woche vor der Arbeit schwimmen ging. Sie wolle ihre Fitness verbessern, war ihre Begründung gewesen. Edgar hatte ihr daraufhin vorgeschlagen, mit dem Rauchen aufzuhören. Ihre Aufforderung, mit ins Schwimmbad zu kommen, hatte er ignoriert. So früh am Morgen durchs Wasser zu pflügen, war für ihn eine Zumutung.

Die Wohnungstür wurde von einer hoch gewachsenen, schlanken jungen Frau in Jeans und übergroßem Kapuzenshirt geöffnet. Das Erste, was dem Kommissar an ihr auffiel, war ihr sehr blasses Gesicht, das von dunkelbraunen langen Haaren umrahmt wurde. Edgar zeigte seinen Ausweis vor. „Hauptkommissar Edgar Kunze, Kripo Berlin. Sind Sie Katrin Sommerfels?“

Die Frau starrte ihn sekundenlang mit verschleiertem Blick stumm an und hielt sich dabei mit einer Hand an der Tür fest. Mit der anderen wischte sie sich Tränen weg.

Vielleicht ist sie krank, jedenfalls hübsch, trotz ihrer Blässe, waren Edgars Gedanken. Er lächelte übertrieben, weil er annahm, er hätte der Frau einen Schrecken eingejagt. Das passierte ihm ab und zu. Für Fremde sah er manchmal aus wie jemand, der sich gern prügelte. „Kommen Sie rein“, krächzte die junge Frau nach seiner Bitte, ihr ein paar Fragen stellen zu dürfen.

Edgar trat in einen kleinen Flur, von dem vier Türen abgingen, zwei rechts, zwei links. Vorn links war das Wohnzimmer, in das beide gingen. „Leben Sie allein?“, fragte er. Sie nickte.

Edgar schaute sich im Zimmer um, es war geschmackvoll eingerichtet, mit kleinen Holzschränkchen und einer mächtigen Vitrine, die wegen ihrer ovalen Form auffiel. Auf ihr waren vier Blumensträuße angeordnet, einmal dunkelrote Rosen, die anderen Sträuße waren der Herbstzeit entsprechend bunt.

Katrin Sommerfels kümmerte sich nicht weiter um ihren plötzlichen Besuch, sie nahm auf dem Sofa Platz, hob eine Bierflasche vom Boden auf, goss sich ein Glas ein und trank.

Edgars Blick wanderte zu einem größeren Farbfoto, das als einziger Wandschmuck eingerahmt über dem Sofa hing. Es zeigte einen lachenden, dicklichen Mann gereiften Alters mit einem Lämmchen auf dem Arm.

Immer noch stehend erklärte der Kommissar, weshalb er gekommen sei: Er wolle wissen, in welchem Verhältnis sie, Katrin Sommerfels, zu Yvonne Richter und Jonathan Somura stand. Dabei rekapitulierte Edgar für sich die wenigen Angaben, die er über die Mieterin herausgefunden hatte: 33 Jahre alt, kinderlos, unverheiratet, Einzelkind, Arbeit in einem Filmarchiv. Es gab keine Vorstrafen oder anderweitige Auffälligkeiten in ihrem bisherigen Leben, die zu polizeilichen Ermittlungen geführt hätten. Ein unbeschriebenes Blatt, dachte Edgar, eine typische Singlefrau, die er wesentlich jünger geschätzt hätte. Dass sie bereits am Morgen Bier trank, war wahrscheinlich eine Ausnahme. Keineswegs wirkte sie wie eine Alkoholikerin. Dafür war auch ihre Wohnung zu ordentlich und sie zu gepflegt, trotz ihrer zur Schau gestellten Lässigkeit.

„Wie ich zu Yvonne stehe? Jedenfalls habe ich kein Verhältnis mit ihr. Das steht fest. Wo denken Sie überhaupt hin! Yvonne ist doch...“ Katrin verstummte und wich seinen Augen aus.

„Was ist mit Frau Richter?“, hakte Edgar nach.

„Von ihr weiß ich, dass James tot ist.“ Erneut trank sie. Den Polizisten schien sie nicht richtig wahrzunehmen, schaute durch ihn hindurch wie am gestrigen Abend, als sie neben Yvonne Richter in den Sternenhimmel gestarrt hatte.

Weil sie ihn behandelte wie einen dummen Jungen, wurde Edgar ungehalten. „Darf ich mich setzen?“, fragte er lauter als nötig.

Katrin nickte. Edgar nahm einen der Holzstühle, die im Halbrund vor der Couch angeordnet waren. „Erzählen Sie mir genau, was hat Frau Richter Ihnen über den Tod von Herrn Somura gesagt?“

„James wurde ermordet! Ich kriege es nicht in meinen Kopf, verstehen Sie. Deshalb auch das Bier. Heute muss es sein, ist eine Ausnahme. Ich kann nicht zur Arbeit gehen.“

„Sind Sie mit Yvonne Richter befreundet?“

Katrin beugte sich vor, als wolle sie Vertrauliches preisgeben. „Sie kommen wegen Yvonne und ich dachte wegen James.“

„Ich bin vor allem wegen Ihrer Antworten hier, Frau Sommerfels. Ist Frau Richter Ihre Freundin?“

„Nein. Wir kennen uns, weil Yvonnes Mutter in der Kneipe gegenüber arbeitet. Irmi mag ich, also ihre Mutter. Sie betuttelt mich ein bisschen, und ihr zuliebe gebe ich mich mit Yvonne ab. Hört sich fies an, ich weiß.“

Katrin musterte den Kommissar, er war ziemlich groß, selbst im Sitzen. Aber nicht zu muskulös. Sein Gesicht eher grob geschnitzt, mit einer sich nach links neigenden Nase und einem Mund, der sich schief stellte, wenn er sprach. Dazu volles schwarzes Haar, das an den Schläfen grau wurde und bis in den Nacken reichte. Seine Augen von großer Intensität. Irgendetwas irritierte Katrin an ihm, es war eine Ähnlichkeit, auf die sie partout nicht kam. Zumal sie ständig James Gesicht vor sich sah. Sie hatte James abgewiesen, knapp eine Woche war es her, doch dies würde sie für sich behalten. Der Gedanke, nun mit einem Toten ein Geheimnis zu teilen, ließ Katrin erschauern.

Edgar ließ ihre Musterung schweigend über sich ergehen. Er wollte der Frau Zeit geben, um sich zu konzentrieren. Ihr Blick verweilte bei seiner linken Hand, dessen kleiner Finger extrem abstand. Eine Anomalie, auf die er längst nicht mehr achtete.

Als Katrin aufschaute, lächelte sie vorsichtig. Es war, als ginge ihr ein Licht auf. „Ich glaube, Yvonne hat von Ihnen erzählt. Sie haben sie verhört, ist das richtig? Ja, sie fand Sie überhaupt nicht nett. Ist wiederum keine Kunst bei Yvonne, sie nörgelt an jedem Mann rum.“

„Weswegen nörgelte Yvonne Richter an Herrn Somura herum?“

„Sie können ruhig James sagen, machen alle. Tja, ich vermute, es war hauptsächlich die Tatsache, dass er ein Mann war.“

Die Frau hat vielleicht ein Glas zu viel getrunken, um vernünftige Aussagen zu machen, dachte Edgar, trotzdem fragte er weiter. „Yvonne Richter kann also prinzipiell Männer nicht ab? Sie war doch zweimal verheiratet.“

Katrin nickte. „Schwierig zu erklären. Manchmal denke ich, ich bin so nah dran, es zu verstehen…“, sie zeigte Edgar mit zwei Fingern einen kleinen Abstand, „aber dann ist alles weg. Ich mochte James.“

„Woher kennen Sie ihn?“

„Woher ich ihn kenne? Er hat hier gewohnt, im Haus, ganz unten neben dem Rotkohl. James und Yvonne waren verheiratet. Als sie sich trennten, zog zuerst Yvonne mit Sina aus und wenig später James. Er wollte eine billigere Wohnung.“

„Wie war Ihr Kontakt zu Herrn Somura seit seinem Auszug?“

„Ging gegen Null.“

„Er wohnte auf der anderen Seite vom Arkonaplatz, nicht weit weg. Und sie beide sahen sich nie?“

„Na ja, vielleicht schon mal. Auf ein paar Worte so auf dem Weg, verstehen Sie? Aber wir haben uns nicht getroffen oder verabredet oder so.“

„Was für eine Art Mensch war Herr Somura?“

Sie zögerte mit ihrer Antwort und trank ihr Glas aus. Dann hob sie die Flasche vom Boden auf, sie war leer. „James war hilfsbereit und freundlich. Ich würde sagen, er war ein guter Mensch, auch wenn es kitschig klingt.“ Katrin strich sich über die Augen.

Sie hat die Nacht wachgelegen und an James gedacht, vermutete Edgar. „Wo waren Sie am 15. September, zwischen 22. 00 und 23. 00 Uhr?“

„Ich muss ein Alibi haben?“

„Besser wär’s.“

„Bestimmt war ich daheim, ja. Um halb elf gehe ich gewöhnlich ins Bett. Ich war allein, falls das interessiert.“

„Wann haben Sie James das letzte Mal gesehen?“, fragte Edgar.

„Sie sind wirklich sehr genau. Yvonne hat Recht, Sie sind hartnäckig. James war am Samstag bei mir…und Yvonne“, an dieser Stelle sah Katrin zu den Blumensträußen, „und all die anderen. Wir haben ein bisschen gefeiert.“

Edgar hatte ihren Blick bemerkt. „Die Blumen haben Sie am Samstag erhalten? Eine Geburtstagsfeier?“

Sie lächelte. „Der eigentliche Geburtstag ist eine Weile her. Ich wollte ihn ignorieren. Aber Heiner, ein Freund aus dem Haus, der hat mich zur Feier überredet. Für ihn war es ein Grund, seine Tussis...“, sie unterbrach sich, „James ist einfach so aufgetaucht.“

Eine Feier mit James am Samstag, die von Yvonne Richter bei ihrer Vernehmung unterschlagen worden war. Weil auf der Feier irgendetwas zwischen ihr und dem Somura passiert war, was sie verdächtig machen würde? Edgar wollte von Katrin wissen, wer auf der Feier war und wie sie ablief. Sie beantwortete seine Fragen zunehmend widerwillig und genervt. Mehrmals behauptete sie, sich nicht erinnern zu können, und erst, als der Kommissar erklärte, sie würden im Rahmen ihrer Ermittlungen mit allen Teilnehmern ihrer verspäteten Geburtstagsfeier sprechen, erteilte sie ausführlichere Auskunft.

Edgar hatte schließlich eine Namensliste und eine grobe Vorstellung von der Party. Es waren junge Leute in Katrins Alter gewesen, bis auf eine ältere Nachbarin, Regine Herzig, die über Katrin wohnte, und mit ihr befreundet war. Frau Herzig hatte die Party als erste wieder verlassen, weil ihre Tochter Jessica zu den Gästen gehörte. „Jessi war die Anwesenheit ihrer Mutter peinlich“, sagte Katrin. James hätte seine Gitarre mitgebracht. „Er spielte sehr schön traurig.“

James und Yvonne wären sich auf der Feier aus dem Weg gegangen. Einmal hätte Yvonne in der Küche geweint, und sie, Katrin, fände für diesen Gefühlsausbruch auch im Nachhinein keine Erklärung. Es hätte keinen Streit gegeben, weder zwischen James und Yvonne noch zwischen den anderen. Sie hätten getrunken, Musik gehört, getanzt und gequatscht. „Alles völlig harmlos, Herr Kommissar“, meinte sie.

Edgar hielt Katrins Schilderung ihrer Feier in einigen Punkten für unglaubwürdig, vor allem was ihre Rolle betraf. Sie war das Geburtstagskind und die Gastgeberin gewesen, sicher hatte sie geflirtet, und James oder jemand von den anderen Kerlen würde versucht haben, in ihr Bett zu kommen.

„Haben Sie den James vielleicht doch zu Ihrer Feier eingeladen?“

„Wie? Nein. Ich habe ihn nicht eingeladen, wie ich sagte, er tauchte einfach so auf.“

„Und blieb bis zum Schluss?“

„Im Prinzip schon. Er und zwei, drei Freunde haben hier übernachtet.“

„Yvonne Richter auch?“

„Nein, Yvonne ist irgendwann früher gegangen. Die anderen schliefen im Zimmer auf dem Fußboden, James auch. Ich habe für solche Fälle eine zusätzliche Matratze und so. Man kann es für ein paar Stunden aushalten.“

„James war also über Nacht bei Ihnen, obwohl er es ja zu sich nicht weit hatte…“

„Ja, wo Sie es sagen.“ Sie lächelte Edgar an.

„Und Sie? Wo schliefen Sie?“, fragte er.

„Nebenan, in meinem Bett natürlich.“

„Allein?“

„Muss ich das beantworten? Das ist privat, finde ich.“

„Jetzt reden Sie schon! Ich habe nicht ewig Zeit!“

„Ja, allein.“

„Sie lassen die Leute, Ihre Freunde, auf dem harten Fußboden liegen, und machen es sich selbst in einem superbreiten Bett gemütlich?“

Sie staunte. „Woher wissen Sie, wie breit mein Bett ist?“

Edgar grinste. Er ließ die Frau nicht aus den Augen und verunsicherte sie damit. Prompt lenkte sie ein. „Okay, mein Bett ist groß genug für vier Leute. Trotzdem habe ich allein geschlafen.“

„Und Ihre Freundin Yvonne, wo schlief die?“

„Hören Sie doch zu! Yvonne ist nicht meine Freundin. Und zu dem Zeitpunkt war sie längst abgehauen. Außerdem schlafe ich nie mit Frauen in einem Bett.“

Das hörte sich sympathisch an, fand Edgar. Und sie hatte abgestritten, mit Yvonne befreundet zu sein. Ein Mädchen wie Katrin hatte sicherlich ansehnlichere Freundinnen als Yvonne es war. Wie sollte er sich die Beziehung der beiden Frauen vorstellen? Hielt Katrin Kontakt mit Yvonne, weil es deren Mutter so wollte? Frau Richter hatte dann wohl eine andere Vorstellung von dieser Freundschaft, sie war immerhin nach ihrer Arbeit spät abends extra zu Katrin gegangen, um sie über James Tod zu informieren. „Aber ein Strauß Blumen von denen da, die sind von Yvonne Richter“, vermutete er.

Katrin seufzte.

„Die Rosen?“, fragte er.

Katrin war die Sache sichtlich peinlich, und sie redete schnell drauflos. „Okay. Yvonne ist auf eine Art hartnäckig, sie klebt an mir. Nun wohne ich dummerweise so in ihrer Nähe. Ständig belagert sie mich. Ich glaube, sie hat keine weiteren Freunde.“

„Und James?“, fragte er, „wo schlief er am Samstag? In Ihrem Bett?“

„Sie fragen alles doppelt, Herr Kommissar. James war nicht in meinem Bett. Mit ihm hätte ich niemals geschlafen.“

„Weil er schwarz war?“

„Blödsinn! Nein, ich würde unter keinen Umständen was mit jemandem anfangen, der mit Yvonne verheiratet war. Das ist der Punkt. Und wenn er der einzige Mann auf der Welt gewesen wäre, ob weiß oder schwarz oder grün. Und überhaupt, James verhielt sich in diesen Dingen wie eine naive Frau, wenn Sie verstehen. Er dachte, wenn man mit ihm schläft, liebt man ihn auch. Aus diesem Grund allein hätte ich niemals...Sie verstehen?“ Edgar verkniff sich ein zustimmendes Nicken.

„Sie hatten Angst, James würde sich in Sie verlieben? Gab es dafür Anzeichen?“

„Was weiß ich“, antwortete Katrin unwillig. Sie zog den Reißverschluss ihres Kapuzenshirts hoch und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust.

Fragestunde beendet, dachte Edgar. Es machte wahrscheinlich wenig Sinn, weiter in sie zu dringen. „Ich brauche Ihre Fingerabdrücke zum Vergleich. Seien Sie morgen um acht im Präsidium. Und nüchtern, bitte.“ Er legte seine Karte auf den Couchtisch und stand auf. Katrin stand ebenfalls auf. „Ich darf nicht mal frühstücken?“

„Aber natürlich, Sie haben mich falsch verstanden. Ich meinte, ohne zuvor ein Bier zu trinken. Sie sollten eine Freundin anrufen, die sich um sie kümmert, oder sich schlafen legen. Ist besser, als Trost im Alkohol zu suchen.“

Der Elektroofen rechts neben der Couch erregte seine Aufmerksamkeit. „Womit heizen Sie eigentlich? Mit diesem Gerät dort?“

Katrins Miene hellte sich auf. „Ja, wir leben hier halt in der Steinzeit.“

„Wie bitte?“

„Nebenan steht ein Kachelofen. Die Wessis kriegen sich gar nicht mehr ein, wenn sie ihn sehen. Ist wie mit der Toilettenspülung. Aber nun wird ja bald saniert und alles fein gemacht. Ich ziehe sowieso weg.“ Sie ging an ihm vorüber zur Wohnungstür, um sie für ihn zu öffnen.

„Wohin wollen Sie?“