Die geheime Macht der Ratingagenturen - Horstmann Ulrich - E-Book

Die geheime Macht der Ratingagenturen E-Book

Horstmann Ulrich

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Beschreibung

Die Urteile der Ratingagenturen gleichen zuweilen dem kaiserlichen "Daumen runter", nur wiegen sie ungleich schwerer: Sie besiegeln das Schicksal ganzer Volkswirtschaften. Überfallartig, willkürlich, fatal – so erscheinen die Urteile der drei großen amerikanischen Oligopolisten Standard & Poor's, Moody's und Fitch. Gerade diese drei Ratinggiganten aber haben die Finanzkrise entscheidend mitverursacht. Dafür sind sie bis heute nicht zur Verantwortung gezogen worden. Stattdessen agieren sie weiter im Schatten, sind niemandem rechenschaftspflichtig und realisieren astronomische Gewinnmargen, die jedweder Grundlage entbehren. Der Eindruck, einem elitären Geheimzirkel willkürlich ausgeliefert zu sein, ist nicht nur subjektives Vorurteil, sondern wird durch Fakten und Recherche objektiv bestätigt. Ulrich Horstmann bringt Licht in das dunkle Gebaren und die undurchsichtigen Machenschaften der Ratingagenturen. Der langjährige Analyst im Bankengewerbe kennt die tägliche Arbeit der Ratingagenturen so gut wie kaum ein anderer. Er analysiert die Bonitätsherabstufungen, die ganzen Volkswirtschaften abrupt den Boden entziehen, nennt Gewinner und Verlierer dieser verheerenden Politik und prangert das fatale Anreizsystem an, mit denen Ratingagenturen belohnt werden.

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Seitenzahl: 356

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1. Auflage 2013

© 2013 by FinanzBuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Jana Stahl

Korrektorat: Bärbel Knill, Landsberg am Lech

Umschlaggestaltung: Marco Slowic, München

Umschlagabbildung: unter Verwendung von iStock-Bildern

Satz: Georg Stadler, München

ISBN Print 978-3-89879-793-1

ISBN E-Book (PDF) 978-3-86248-423-2

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86248-422-5

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.finanzbuchverlag.de

Inhalt
Vorwort
Prolog: Krisenszenario eines Finanzkollapses 2013/20 aufgrund von nacheinander folgenden Abstufungen Spaniens, Italiens und der USA durch die »Großen Drei«
Geschichte der Ratingagenturen und ihre aktuelle Marktstellung
Vorbemerkungen
Early Starter und Marktführer: S&P
Der zweite Anbieter am Markt: Moody’s
Der späte Starter: Fitch
Historische Entwicklung der Großen Drei
Andere Anbieter außerhalb des Trios: Dagong und andere
Aktuelle Marktstellung der Ratingagenturen anhand von wirtschaftlichen Kennzahlen
Wem gehören die Ratingagenturen?
Exkurs: Woher kommt der Trend zum Oligopol?, welche Versuche zur Neugründung von Ratingagenturen gab es und warum sind sie immer wieder gescheitert?
Das Spielfeld: Kapitalmärkte, Staat, Unternehmen und die Ratingagenturen
Die Teilnehmer auf dem Spielfeld
Eigentümerstruktur und das Prinzipal-Agent-Problem
Wie arbeiten eigentlich Ratingagenturen, und auf welche Daten stützen sie sich?
Die Ratingagenturen als Spielmacher des Finanzkapitalismus – Wie konnten sie so mächtig werden?
Der Auslöser: Das veränderte Umfeld für die Ratingagenturen durch die Finanzialisierung
Beginn des verhängnisvollen »Kettens« an die Ratingurteile
Fehlende Haftung für Fehlurteile
Notenbanken mit Mindeststandards
Investoren (Banken/Versicherungen) mit Mindeststandards
Ratingagenturen einmal aus der Sicht eines Profiinvestors
Wer reguliert und prüft eigentlich, was Ratingagenturen so treiben?
Kritik an den Ratingagenturen – insbesondere im Hinblick auf ihre Rolle in den bisherigen Krisen
Hauptkritikpunkte gegenüber den Ratingagenturen und ihre Historie
Pleiten einige Jahre vor der Finanzkrise: Enron, Worldcom und Parmalat
Fehleinschätzungen in der ersten Phase der Finanzkrise 2006–2008
Fehleinschätzungen in der Schuldenkrise ab 2009
Wege aus der Abhängigkeit
Eigene Beurteilung der Investoren
Unabhängigkeit von politischen Entscheidungsträgern und bessere Ratingkriterien
Transparenzerfordernis
Aufbrechen des Oligopols – mehr Wettbewerb
Lösung von starren Ratingregeln
Ausblick: Überarbeitung der Regulierungen
Schlussfolgerungen
Anhang
Chronologische Übersicht zu Ratingveränderungen und dem politischen Prozedere in der Eurozone seit Beginn der Finanzkrise
Ausgewählte Literatur und Quellenangaben
Glossar
Endnoten

Möge dieses Buch allen Gutgläubigen und Geschädigten dazu verhelfen, sich dem Mysterium Ratingagenturen nicht weiter auszuliefern und wieder selbst zu überprüfen, ob die von ihnen getätigten Geschäfte »wirklich« sicher sind.

Vorwort

Die Arbeit der Ratingagenturen ist erstmalig im Zuge der Finanzkrise 2007 in das Bewusstsein außerhalb der Banken- und Börsenwelt und dabei insbesondere bei Betroffenen von Fehlentscheidungen in die Kritik geraten. Aber selbst fünf Jahre nach der Finanz-, Euro- und Schuldenkrise sind viele Fragen offen, gar nicht gestellt oder beiseitegeschoben: Sind die Ratingagenturen vielleicht nur ein Sündenbock, da nur passiv beteiligt, oder waren sie gar als Spielmacher des Finanzkapitalismus, und damit höchst aktiv, Krisen verstärkend involviert? Wie konnten dabei die sogenannten »Großen Drei«, Standard & Poor’s (S&P), Moody’s Investors Service (Moody’s) und Fitch Ratings (Fitch) immerhin eine monopolartige Stellung erringen? Warum können sich Ratingagenturen erlauben, so gut wie intransparent zu agieren, ähnlich dem Orakel von Delphi? Warum werden diese Orakel bedenkenlos akzeptiert, obwohl die Grundlagen der Entscheidungsfindung gar nicht bekannt sind? Wie verzahnen sich Finanzmärkte, Regierungsstellen und Ratingagenturen, und liegt hier der Schlüssel, wie sie sich finanzieren? Warum sind schließlich trotz der scheinbar »staatstragenden Funktion« die führenden Ratingagenturen mit kommerziellen Interessen privatwirtschaftlich organisiert und keine Behörden mit klaren staatsrechtlichen Regulierungsvorgaben? Aus diesem Fragenkatalog lassen sich dann gleich Prüfansätze ableiten, wie »Was läge nach alldem näher, als die Finanzanalyse von kommerziellen Interessen zu befreien?« Um hier mehr Klarheit zu gewinnen, ist weiter zu klären, wem die Ratingagenturen gehören, und welche Interessen die Eigner verfolgen. Profitieren sie eventuell sogar von der Ausweitung der Krise?

Fragen über Fragen, auf die dieses Buch Antworten sucht. Viele Antworten konnten dank der besonderen fachlichen Unterstützung meiner Kollegin Asja Hossain sowie meiner Kollegen Miraji Othman und Rainer Gross gefunden werden.

Trotz der Vielfalt an Informationen und der sich ständig »bewegenden Materie« den Überblick zu behalten, und im Zuge der sich anschließenden Bewertungen ein Manuskript zu erstellen, erwies sich erneut als schwierig. Umso mehr bin ich der Lektorin Claudia Strauf für die (wie bei meinen Büchern »Die Währungsreform kommt!« und »Womit wir morgen zahlen werden«) kritische Begleitung des Manuskripts in diesen Phasen dankbar. Danken möchte ich auch meinem früheren Kollegen Dr. Thomas Rehermann, der inzwischen in den USA lebt. Er warnte vor der Finanzkrise weit früher als andere. Auch mein Bruder, Dr. Michael Horstmann, obwohl beruflich in einem ganz anderen Bereich tätig, erwies sich immer wieder als kreativer »Ratgeber gegen den Strom«, aber auch als kritischer Kommentator des Marktgeschehens. Dies gilt ebenso für meinen langjährigen Freund Dr. Knut Meyer, er recherchierte unermüdlich, wie auch bei meinen früheren Büchern, zur Thematik gut passende Literatur. Dank schulde ich auch Marie-Louise Rubner, die das Projekt jederzeit unterstützte. In gemeinsamen Diskussionen motivierte sie mich, wie schon bei meinen letzten Büchern, leserfreundlich zu schreiben und Informationen zu liefern, die nützlich sind, anstatt thematische Nebenaspekte zu sehr auszubreiten.

Dem Verlag schulde ich Dank für das Vertrauen, erneut ein Buch von mir zu publizieren sowie für das professionelle Lektorat durch Jana Stahl und die begleitende kreative Unterstützung, zuletzt insbesondere im Rahmen anregender Diskussionen mit Georg Hodolitsch.

Geschichte der Ratingagenturen und ihre aktuelle Marktstellung

Die Geschichte der Kredit-Ratingagenturen ist eine Geschichte des kolossalen Versagens.

Henry Waxman, US-Kongressabgeordneter der Demokratischen Partei5

Vorbemerkungen

Ratingagenturen schätzen und beurteilen das Risiko eines Zahlungsausfalls von Unternehmen, Finanzprodukten sowie ganzen Staaten mithilfe von sogenannten Ratings, die man auch als Benotung anhand eines standardisierten Risiko- und Bonitätsbeurteilungsmaßstabs interpretieren kann. Die Internationale Organisation der Wertpapieraufsichtsbehörden (International Organisation of Securities Commissions, IOSCO) wählte folgende Definition für Kreditratings, die hier im Buch im Vordergrund stehen6:

»Ein Rating ist eine Meinung über die Bonität eines Unternehmens, einer Kreditzusage, einer Anleihe oder ähnlicher handelbarer Wertpapiere oder eines Emittenten von solchen Verpflichtungen, ausgedrückt mithilfe eines festgelegten und definierten Ranking-Systems.«7

Es geht dabei also nicht um Kauf- oder Verkaufsempfehlungen, sondern es wird lediglich – und das betonen Ratingagenturen immer wieder – eine Meinung zur Kreditnehmerbonität abgegeben. In der US-Kreditratingagenturreform 20068 werden unter anderem folgende Aspekte zur Beschreibung von Kredit-Ratingagenturen genannt:

1. Erstellen von Kreditratings mit oder ohne Gebühr, die über das Internet oder andere Vertriebswege angeboten werden.2. Verwendung eines quantitativen oder qualitativen Modells oder beider Varianten, um das Kreditrating zu bestimmen.3. Gebühren können von Emittenten, Investoren oder anderen Marktteilnehmern bzw. in Kombination daraus erhoben werden.

Dieser sehr weiten Auslegung wird hier gefolgt, wobei sich Marktusancen herausgebildet haben, wie zum Beispiel die Bezahlung durch Emittenten. Nach wie vor gelten die Ratings nur als Meinungsäußerungen und sind daher weitgehend vor zivilrechtlichen Haftungsansprüchen geschützt. Ratingagenturen verwenden in der Regel eine mehrstufige Skala von AAA (beste Einstufung) bis C (schlechteste Einstufung). Im Detail gibt es allerdings zum Teil Abweichungen der Ratingsymbole der einzelnen Agenturen.

Gesellschaft

Gründung

Historie

Standard & Poor’s

1868

Henry Varnum Poor veröffentlichte 1868 das »Manual of the Railroads of the United States«, in dem Anlegerinformationen zu den Eisenbahngesellschaften gesammelt wurden. 1941 kam es zur Verschmelzung der Poor’s Publishing Company und der Standard Statistics Company zu Standard & Poor’s. Das Rating von Standard & Poor’s oder kurz S&P reicht von AAA (»Triple A«, exzellente Bonität, praktisch kein Ausfallrisiko) über BBB (befriedigend) bis D (in Zahlungsverzug, keine Bonität).

Moody’s

1909

Moody’s wurde 1909 von John Moody gegründet. Zunächst lieferte die Agentur Ratings zu den stark schwankenden Eisenbahn-Anleihen gegen Bezahlung an Investoren.

Anmerkung am Rande: Die Finanzkrise im gleichen Jahr löste zur Stabilisierung die Gründung der Federal Reserve aus, die 1914 ihre Tätigkeit aufnahm. 1914 entstand auch die Gesellschaft Moody’s Investor Services. Da während des Börsencrashs 1929 keines der von Moody’s als erstklassig eingestuften Unternehmen zusammenbrach, stiegen das Ansehen der Gesellschaft und die Zahlungsbereitschaft der Kunden.

Die Bewertungen von Moody’s reichen von AAA über BAA1 bei einer durchschnittlich guten Anlage bis C (bei Zahlungsausfall).

Fitch

1924

Fitch Ratings, der dritte im Bunde, entstand 1924 in New York aus der Fitch Publishing Company von John Fitch. Das Rating reicht von AAA bis CCC (bei Zahlungsausfall: D).

Historie und Ratings der drei führenden Ratinggesellschaften

Jeder einzelnen Ratingstufe kann eine durchschnittliche historische Ausfallwahrscheinlichkeit zugeordnet werden. Wirtschaftlich bedeutend sind die Ratings für die Emittenten dadurch, dass höhere oder niedrigere Ratings niedrigere oder höhere Kapitalbeschaffungskosten nach sich ziehen. Eingebettet ist die Geschichte der Ratingagenturen in die wechselhafte und friktionsreiche Finanzierungshistorie, wie die Übersicht gegenüber zeigt.

Von der weltweiten Expansion der Finanzmärkte profitierten die Ratingagenturen also und konnten durch die Verankerung mit den staatlichen Regelwerken eine enorme Marktbedeutung entfalten, auf die später im Buch noch eingegangen wird. Für eine kurze Einführung mag dies genügen, zumal die Ratingagenturen, so wie wir sie heute kennen, ursprünglich noch nicht existierten. Als frühere »Familienbetriebe« boten sie »auf dem freien Markt« Dienstleistungen zur Einschätzung von Aktien- oder Rentenpapieren für interessierte Anleger an11. Nachdem sich mit der Finanzierung des US-Unabhängigkeitskrieges (1775–1783) durch Anleihen zunehmend ein professioneller Markt für Wertpapiere in den USA entwickelte, schufen 24 Broker im Jahr 1792 mit dem Buttonwood Agreement die Plattform für einen regelmäßigen Handel an der Wall Street.

Damit war die »Spielwiese« für die Beurteilung von Aktien und Anleihen eröffnet, das »Spielfeld« wurde dabei im Zuge der Industrialisierung immer größer. Ein früher Vorläufer der Ratingagenturen mit einer allerdings begrenzten Verwandtschaft zu den Gesellschaften, wie wir sie heute kennen, wurde von einem ehemaligen Sträfling in Frankreich gegründet. Eugène-François Vidocq selbst wurde ein Geheimagent, der unter der Befehlsgewalt der Polizeipräfektur stand. Er gründete 1833 das erste Büro, um unabhängig wirtschaftsfinanzielle Informationen zu sammeln. Seine Mission war das Erkennen unehrlicher Unternehmer und Firmen mit zweifelhafter Zahlungsfähigkeit.12Informationen über die ausreichende Zahlungsfähigkeit von Unternehmen waren nur rudimentär vorhanden, es gab auch noch keine breit kommunizierte Klassifizierung des Ausfallrisikos. Trotz des angeschlagenen Rufs der großen drei Ratingagenturen waren und sind sie nicht dem kriminellen Milieu zuzuordnen wie Monsieur Vidocq.

Erster Weltkrieg/Staatsanleihenfinanzierung (1914–1918)

Anleihenfinanzierung des Krieges mit der Folge der Überschuldung der Krieg führenden Staaten. »Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts«.

Weigerung, die Schulden aus der Zarenzeit zu zahlen (1918)

Die neue Sowjetregierung bediente die Schulden des russischen Reiches nicht mehr.

Hyperinflation (1923)

Führte insbesondere in Deutschland zu einer Destabilisierung.

Börsencrash (1927–1929)

Kurseinbrüche in Europa und ab 1929 in den USA nach einer spekulativen Überhitzung der Preise.

Zweiter Weltkrieg (1939–1945)

Erneute Verschuldung der Krieg führenden Staaten, die wie nach dem Ersten Weltkrieg – unterstützt durch einen kräftigen wirtschaftlichen Aufschwung – wieder abgetragen werden konnte.

Real Estate Investment Trusts (Reits), Investors Overseas Services (IOS) und das OPEC-Geld (Ende der 60er- bis 70er-Jahre)

Neuer Enthusiasmus an den Märkten durch die Einführung der Finanzinnovation REITs, IOS und die Rückschleusung des Geldes der OPEC-Staaten durch Großbanken, die Kredite an südamerikanische Schuldenstaaten und Polen weiterreichten9.

Börsenkrach (1987)

Finanzinnovationen wie Junk Bonds und eine neue Generation von Spezialisten im LBO-Geschäft begünstigen schuldenfinanzierte Übernahmen10.

LTCM-Pleite und russische Staatsanleihenkrise (1998)

Die Kapitalabflüsse aus Russland durch wirtschaftliche Probleme führten zur Spreadausweitung bei den Staatsanleihen, die zur Pleite des Hedgefonds LTCM beitrug, aus der keine Lehren gezogen wurden.

Euro-Einführung (2000)

Politisches Projekt, Europa zusammenzuführen. Ziel der Schaffung einer »Politischen Union«.

New-Economy-Blase (2000)

Platzte im März 2000 nach einer maßlosen Überbewertung von sogenannten Dotcom-Aktien.

Finanzkrise (2007)

Ab dem Jahr 2007 nach dem Platzen der US-Immobilienblase mit der Folge einer Banken- (Lehman) und Überschuldungskrise.

Geschichtliche Finanzierungswegmarken seit 1914

Oder doch? Was sich bis heute nicht verändert hat, ist das staatliche Interesse an Informationen zur Bonität von Unternehmen. Indem die Obrigkeit diese Aufgabe auf Privatunternehmen übertragen hat, waren sie »embedded«, also Teil des Regulierungssystems, das das Monitoring und Controlling wesentlicher ökonomischer Leistungsträger des Landes umfasste. Die Privatunternehmen selbst hatten ein Interesse, auf den Staat als Regulierer einzuwirken, damit er ihnen ein sicheres, am besten monopolartiges Geschäft einräumte. Eine Hand wäscht die andere, damals wie heute.

Vor dem Hintergrund einer entdeckten Marktlücke hinsichtlich der soliden Informationsbeschaffung und –aufbereitung von Daten zur Bonität von Unternehmen gründete Lewis Tappan (lebte von 1788 bis 1873), im Jahr 1841 in New York die »Mercantile Agency«, die erste Kredit-Rating-Servicegesellschaft der USA. 1849 baute John M. Bradstreet in Cincinnati im US-Bundesstaat Ohio ebenfalls eine mit der Beurteilung kommerzieller Kredit-Ratings befasste Firma auf, ab 1851 wurde ein Handbuch herausgegeben. 1859 wird die »Mercantile Agency« von Benjamin Douglass, einem Angestellten von Tappan, der die Agentur 1849 übernahm, an seinen Schwager Robert Graham Dun übergeben. Unter dem neuen Firmennamen »R.G. Dun & Company« expandierte das Unternehmen, das ähnlich wie das von Eugène-François Vidocq oder das 1872 von Wilhelm Schimmelpfeng in Frankfurt gegründete Büro oder die 1927 gegründete Schufa Auskünfte über die Sicherheit von Krediten erstellte. Diese Vorläufer-Rating­agen­turen, damals wie gesagt noch unbedeutende, mehr oder minder kompetente Familienbetriebe, waren sicher noch nicht so umstritten wie heute.

Wenn der Rat der Analysten nicht aufging, traf die Kritik allenfalls spezielle Personen, deren Urteil sich im Nachhinein als falsch erwies. Heute stehen die Ratingagenturen dagegen im Fokus einer zunehmend verunsicherten Öffentlichkeit, denn nicht nur die Kritik an der Macht der Finanzmanager und Analysten, sondern auch an den führenden Ratinginstituten eskalierte im Zuge der Finanzkrise: Die drei führenden Ratingagenturen Standard & Poor’s, Fitch und Moody’s sitzen in den USA und prägen das »finanzielle« Bild der von ihnen bewerteten Gesellschaften. Moody’s und Standard & Poor’s bilden fast schon ein Duopol, Fitch ist dagegen deutlich kleiner. Die drei Agenturen sollen weltweit Schätzungen zufolge einen Marktanteil von circa 95 Prozent erreichen, wovon je 40 Prozent auf Standard & Poor’s und Moody’s entfallen und circa 15 Prozent auf Fitch. Wie konnten sie so mächtig werden? Wie sind sie entstanden?

Early Starter und Marktführer: S&P

Beginnen wir mit der ältesten der drei großen Agenturen, mit Standard & Poor’s, die in der Regel nur mit der Abkürzung S&P publiziert.

Den Startschuss für die Ratingagenturen heutiger Prägung löste Henry Varnum Poor aus, der als früherer Finanzanalyst und Gründungsvater von S&P die Geschichte der Ratingorganisationen wesentlich beeinflusste. Er lebte vom 8. Dezember 1812 bis zum 4. Januar 1905. Zu seinen Lebzeiten stiegen die USA zu einer führenden wirtschaftlichen Macht auf, die Großbritannien zunehmend überflügelte. Henry Varnum Poor wurde in Andover im US-Bundesstaat Maine geboren. Seine Eltern betrieben eine Farm, in der er wie seine Geschwister mitarbeitete, bis er sich auszahlen ließ und ab Herbst 1831 das Bowdoin College besuchte. Im Gegensatz zu heutigen Studiengängen war die Spezialisierung noch gering, umfasste aber auch eine für damalige Verhältnisse wohl schon breite ökonomische Ausbildung.

Insbesondere die Vorlesungen von Samuel P. Newman, einem Anhänger der Lehren des Moralphilosophen und des als Urvater des Kapitalismus geltenden Adam Smith, sollen ihn stark geprägt haben13. Nachdem er 1835 seine Ausbildung im Bowdoin College abschloss, arbeitete er in der Rechtsanwaltskanzlei seines Onkels, Jacob McGaw, in Bangor im US-Bundesstaat Maine. Dort wohnte er bei seinem älteren Bruder, John Alfred Poor, mit dem er auch beruflich eng kooperierte. Während der Zeit in Bangor knüpfte Henry Varnum Poor neue Kontakte. So wurde der Kirchen- und Literaturforscher Frederic Henry Hedge ein enger Freund von ihm, der ihm die Bedeutung einer sorgfältigen Analyse und einer kritischen Bewertung von Unternehmensdaten nähergebracht haben soll14. Die Grundstückspreise zogen in Bangor in dieser Phase deutlich an. Mit der Erschließung Nordamerikas explodierten die Holzpreise, und Wohnraum wurde zunehmend knapp. Der Boom hielt nur wenige Jahre an. 1837 platzte die Blase mit Vorankündigung, denn nach einer Phase überhitzter spekulativer Geschäftsausdehnung setzte mit dem Ende der Second Bank of the United States 1833 eine galoppierende Inflation ein. Zur Eindämmung der Krise wurden von den Banken nur noch Zahlungen in Gold- und Silbermünzen akzeptiert15. Eine dramatische Deflationsphase setzte ein. Dem damaligen Präsidenten Andrew Jackson (1829–1837) wurde vorgeworfen, dass die Regierung Grundstücke für Banknoten von zweifelhaftem Wert verkauft hatte.

Auf die Panik 1837 folgte eine fünfjährige Baisseperiode, also eine Zeit des Fallens der Börsenkurse und Preise, die mit einer Rekordarbeitslosigkeit und einer Banken-Vertrauenskrise einherging. Diese dramatische Baisseerfahrung dürfte Poor’s Skepsis hinsichtlich emotionaler Überschwänge anderer Marktteilnehmer verstärkt haben, die ihn in den 1850erjahren und nach dem Bürgerkrieg in den USA vorsichtig agieren ließ. Früh faszinierten ihn die Eisenbahngesellschaften, denen er sich wie sein Bruder John Alfred mehr und mehr widmete. Sie waren der »Motor« bei der Entwicklung vor allem des Westens Nordamerikas. Es war die große Zeit der Pioniere, das wirtschaftlich aufstrebende Land wurde mit einem immer engmaschigeren Netz von Eisenbahnen erschlossen. Frühe Wall-Street-Glücksritter suchten ihr Heil in Wertpapieren amerikanischer Eisenbahnfirmen, die nicht selten im Zuge des Gründungsfiebers bankrottgingen. Die Gläubiger gingen dabei oft leer aus. Henry Varnum Poor und sein Bruder hatten von Anfang an mit rechtlichen Fragen dieser Eisenbahngesellschaften zu tun, wodurch ihnen auch frühzeitig die immensen geschäftlichen Risiken aufgezeigt wurden.

1848 verließ Poor die Provinzstadt Bangor und zog nach New York. Bereits damals war die größte Stadt an der Ostküste das Zentrum der US-Finanzwelt, die sich von der Krise des Jahres 1837 inzwischen wieder erholt hatte. Und dort wurde schon seit 1832 das American Railroad Journal veröffentlicht, dessen Herausgeberschaft ab 1849 Poor übernommen hatte16. Poor erwies sich auch hier als guter Geschäftsmann, nachdem er bereits in der Holzwirtschaft in Bangor in den Jahren 1845 bis 1847 erfolgreich agiert hatte. Die erneute Krise 1848 ließ aber die Holzpreise purzeln, sodass Poor über geschäftliche Alternativen nachdachte und auch zunehmend bereit war, Bangor zu verlassen. Der bisherige Eigner des Eisenbahnmagazins, D. Kimball Minor, verkaufte es in einer Phase geschäftlicher Schwierigkeiten, außerdem lockten ihn die Verdienstmöglichkeiten im Zuge des kalifornischen Goldrausches. Minor verfügte über geringere Erfahrungen im Eisenbahngeschäft als die Poors. Zunächst übernahm der Bruder John Alfred das Verlagsgeschäft für 2500 US-Dollar von ihm und reichte es dann an seinen Bruder Henry Varnum weiter. Poor sanierte das Eisenbahnmagazin, wobei ihm die wirtschaftliche Erholung nach der Krise des Jahres 1948 zugutekam ,und erhöhte die Werbeeinnahmen. In einem Brief an seine Frau wird seine Freude über die neue Aufgabe deutlich17:

»Ich bin jetzt in meinem Büro in der Wall Street. Wir haben zwei Büros, die miteinander verbunden sind. Sie sind sehr schön gelegen, hinter der Straße, sodass ich auch in diesem großen Babel nicht mehr Lärm und Tumult als in meinem Büro in Bangor habe … Das Verlagsbüro liegt ganz in der Nähe der Druckerei. Meine Aufgabe ist es, die Kopien für die Drucker vorzubereiten, außerdem bin ich der Geschäftsführer des Journals … Meine neue Tätigkeit gefällt mir außerordentlich gut und entspricht meinem Wunsch, mich beruflich zu verändern. Ich denke auch, dass ich jede Aussicht auf Erfolg habe. Alle versichern mir, dass ich das gut schaffen kann. Die Abonnenten-Liste hat sich schnell erweitert, seit ich hier bin und ich erhielt Lob von Leuten, deren Meinung ich schätze. Ich glaube, ich kann bis zum Ende des Jahres mindestens 1200 zu fünf US-Dollar neben Werbeeinnahmen in Höhe von 1200 US-Dollar pro Jahr erzielen. Ich genieße die neue Tätigkeit erheblich mehr als meinen früheren Rechtsanwaltsberuf.«18

Die Investitionen in Eisenbahngesellschaften waren äußerst riskant. Dies zeigte sich erneut 1857: Bis dahin boomte die Eisenbahnindustrie durch die sich ausweitende Westwanderung in Nordamerika. Im Zuge der steigenden Gewinne der Bahnbetreiber vergaben die Banken immer höhere Darlehen. Mit dem plötzlich eingetretenen erneuten Landpreisverfall wurde die Migration in den Westen gebremst, die Umsätze und Gewinne entwickelten sich dementsprechend negativ und die Eisenbahn-Wertpapiere verloren dramatisch an Wert. Es zeigte sich, dass Krisenphänomene sich, auch durch die verbesserten Transportsysteme, zunehmend international auswirkten. Informationen über das Geschäft und die Finanzlage von Bahngesellschaften wurden vor diesem Hintergrund wichtiger denn je. So erschien 1860 Poor’s grundlegendes Werk »History oft the Railroads and Canals«. Es blieb nicht dabei. Ein neues Informationsmedium war geschaffen worden, das den Bedarf nach einer Aktualisierung für interessierte Anleger weckte. In der jährlichen Veröffentlichung seines damals bahnbrechenden »Handbuchs der Eisenbahnen der Vereinigten Staaten« (»Manual of the Railroads of the United States«) ab 1868 wurde die finanzielle Situation der risikoträchtigen (bei unsicherem Ausgang viel Kapital fordernden) Unternehmen systematisch und im Detail aufgelistet, wodurch die Transparenz für die Investoren deutlich stieg.

Die damaligen Analysen waren noch nicht wie heute quartals-, sondern jahresbezogen und enthielten noch keine Wertungen, vor allem keine zukunftsgerichteten Aussagen. Die sorgfältige statistische Aufbereitung der Vergangenheitsdaten stand im Vordergrund. Technische und finanzielle Aspekte der Eisenbahngesellschaften wurden aufgezeigt. Angegeben wurden für die Eisenbahnfirmen ihr Sitz, das Datum der nächsten Hauptversammlung, die Namen der Geschäftsführer/Direktoren, die bisher gebauten Strecken und die Geschäftsentwicklung, das eingesetzte Kapital mit umfassenden Jahresbilanzen (inkl. GuV), eine Auflistung der geschäftlichen Vermögensgüter, statistische Verkehrsangaben und bereits detaillierte Ertragsstatistiken, zum Beispiel Kosten und Ergebnisse je Meile nach Jahren beim Betrieb der Bahnen.

Dieses umfangreiche und gut aufbereitete Datenmaterial sollte einen Anleger aber auch damals nicht daran hindern, selbst die Originalquellen zu studieren, worauf Benjamin Graham und David Dodd 1934 hinwiesen19. Das Kompendium über die Bahnbetreiber und ihre finanzielle Verfassung, das er jährlich aktualisierte, wurde zu einem unerlässlichen Informanten und einem Standardwerk für immer mehr zahlende Kunden. Bereits die erste, 442 Seiten umfassende Ausgabe, führte nach kurzer Zeit zu einer Auflage von 2500 Büchern, die für fünf US-Dollar verkauft wurden20. Das war damals viel Geld und entspricht heute einem Preis von etwa 60 US-Dollar. Die wachsende Kundschaft war bereit, die Preise zu zahlen. Insbesondere spätere Abschwungphasen, welche die zu hohen Risiken, auf die sich Investoren eingelassen hatten, offen legten, ließen den Bedarf an objektiven Analysen weiter steigen. So gab es vor dem Ersten Weltkrieg weitere Finanzkrisen, wie 1890 zum Beispiel die Pleite der Baring ­Brothers, die durch die argentinische Schuldenkrise hervorgerufen wurde. Bei der nächsten Bankenkrise im Oktober 1907 fielen die Kurse an der Wall Street um 50 Prozent im Vergleich zu ihren Höchstständen im Vorjahr. J.P. Morgan soll zur Rettung der gefährdeten Trust Company of America öffentliche und private Gelder in Anspruch genommen und die New Yorker Geistlichkeit gebeten haben, Vertrauen und Mut zu predigen21. Als Stabilitätspuffer gegen derartige Krisen wurde danach die Federal Reserve Bank gegründet.

Henry Varnum Poor war zu dieser Zeit bereits verstorben, die Firma H.V. und H.W. Poor Co. wurde von seinem Sohn, Henry William, fortgeführt. 1906 gründete der 30-jährige »self-made«-Geschäftsmann Luther Lee ­Blake das Standard Statistics Bureau, das finanzielle Informationen über Nicht-Eisenbahngesellschaften erstellte. Standard Statistics stellt den zweiten Ursprungszweig der heutigen führenden Ratinggesellschaft S&P dar, daher hier ein kurzer historischer Abriss auch über diese weit jüngere Neugründung: Bis 1913 kaufte Luther Lee Blake das »Babson Aktien- und Anleihenkartensystem« von Edward Shattuck und Roy W. Porter (siehe Internetseite von S&P). Das Karteikartensystem veröffentlichte finanzielle Berichte über Aktien und Anleihen in ähnlicher Form wie Standard Statistics dies bereits tat. Blake integrierte ein Jahr später die neu erworbene Gesellschaft. Die Innovation, statt einem jährlich erscheinenden Buch wie bei Poor eine Loseblattsammlung im Fünf-mal-sieben-Zoll-Format zu führen, bewährte sich durch die größere Flexibilität und verbesserten geschäftlichen Verwertungsmöglicheiten.

Die Agentur wuchs damit über die bisherige vorrangige Produktion eines Handbuchs hinaus. Die Blätter oder Karteien über die analysierten Gesellschaften wurden jetzt laufend, statt nur einmal jährlich, aktualisiert. Darüber hinaus wurde einmal jährlich eine Ausgabe in gebundener Form veröffentlicht. Standard Statistics war mit 70 Angestellten damals vermutlich bereits die größte Ratingagentur22. Die Aktien- und Rentenmärkte expandierten insbesondere in den USA mit dem Aufstieg zur führenden Wirtschaftsmacht. Während Holland schon im 17. Jahrhundert und später Großbritannien nennenswerte Aktien- und Anleihenmärkte schufen, die zunächst noch klein und eng mit der Bonität der Königshäuser als Mitfinanzierer von Seefahrtsexpeditionen verbunden waren, entwickelte sich nach der Erfindung der Dampfmaschine mit der Industrialisierung in den Vereinigten Staaten ein neuer und noch viel größerer Markt.

Die schnell wachsenden Eisenbahngesellschaften waren wie bereits gesehen Ausdruck dieser revolutionären Entwicklung. Dabei expandierte der US-Rentenmarkt in einer Weise, durch die anderen entwickelten Staaten in Europa deutlich übertroffen wurden. 1920 boomten die Investmentbanken und das Aktien- und Anleihengeschäft. Bereits in den 1920er-Jahren werden von den damaligen Konkurrenzfirmen Standard Statistics und Poor Firmenanleihen (Corporate Bonds) und Kommunalobligationen (Municipal Securities) analysiert. Das sogenannte Rating machte bereits Aussagen zur relativen Kreditwürdigkeit und den »Erfolgschancen« von Firmen und Kommunen.

Damit war ein großer Schritt in Richtung der uns heute bekannten modernen Ratinginstitute getan. 1941 schlossen sich Poor’s und Standard Statistics zusammen. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg war ein neuer Anbieter und ein Konkurrent für die Gesellschaften H.V. und H.W. Poor Co. und Standard Statistics am Markt, Moody’s.

Der zweite Anbieter am Markt: Moody’s