Die Geige im Feuer - Harald Wieczorek - E-Book
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Die Geige im Feuer E-Book

Harald Wieczorek

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Beschreibung

Eine unsterbliche Liebe in einer grausamen, unmenschlichen Zeit. Josef, ein junger jüdischer Musiker, und Lisa, eine arische Fabrikantentochter. Als die Deportation beginnt, gelingt Josef auf dem Transport ins KZ zweimal die Flucht und er findet den Weg zurück zu seiner Liebe, zu Lisa. Doch das Glück währt nicht lange. Durch Verrat landet er letztendlich im KZ. Dort rettet ihm sein Status als Geigenspieler das Leben. Josef wird KZ-Musiker. Es werden die schlimmsten Jahre seines Lebens, doch die unbändige Liebe zu Lisa spendet ihm Kraft und Hoffnung. Getragen von dem Verlangen, sie einst wiederzusehen, wartet er auf die Gelegenheit, aus den grausamen Fängen der SS zu fliehen. Gelingt ihm ein weiteres Mal die Flucht? Wird er seine große Liebe wiedersehen? Eine wahre Geschichte von Liebe und Hass, Zusammenhalt und Verrat, Menschlichkeit und Grausamkeit.

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Seitenzahl: 180

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Impressum

Harald Wieczorek

Die Geige im Feuer

ISBN 978-3-95655-238-0 (E-Book)

ISBN 978-3-95655-237-3 (Buch)

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

© 2020 EDITION digital Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.edition-digital.de

Mein besonderer Dank gilt meiner lieben Frau Monica und meinem Sohn Konstantin, die maßgeblich an der Fertigstellung des Romans beteiligt waren.

Kapitel 1

1941

Obwohl es Tag war, ein Sommertag, konnte man die Sonne nicht sehen. Dunkelgraue bis schwarze Wolken zogen von Ost nach West, von Nord nach Süd über den Himmel. Aber es waren keine natürlichen Wolken, die von einem mäßigen Wind in alle Richtungen verteilt wurden.

Diese Wolken reizten Haut, Augen und Lungen. Wie eine riesige Eisenwalze brachen Hunderte, Tausende deutsche Panzer, unterstützt von Artillerie, durch die sowjetischen Panzereinheiten, die brennend in der zerbombten und zerschossenen Landschaft standen und zusammen mit den explodierenden Granaten die dunkle, giftige Wolkendecke bildeten.

Überall auf diesem kilometergroßen Gelände lagen neben ihren brennenden Panzern und zerstörten Geschützen tote und schreiende, verletzte russische Soldaten. Zu Tausenden wurden Gefangene zusammengetrieben. Wer sich nicht ergab, starb im gnadenlosen MG-Feuer. Und weiter walzte der deutsche Panzer-Koloss durch die sowjetischen Linien. Immer dunkler wurde der schwarze, stinkende Wolkenteppich.

Eine kleine Stadt in Schlesien – Juni

Die schon im Westen stehende Sonne verbreitete noch die angenehme Wärme eines Sommertages. Der Marktplatz war überfüllt von feiernden Menschen. Überall hingen die meterlangen Fahnen mit Hakenkreuzen. Aus Lautsprechern ertönte die blecherne Stimme eines Propagandasprechers und verkündete den Sieg der deutschen Panzer in der Sowjetunion. Deutsche Soldaten, die ein paar Tage Heimaturlaub hatten, tranken und sangen Soldatenlieder. Im Zentrum des Marktplatzes stand ein Podest, auf dem eine fünfköpfige Kapelle musizierte. Davor tanzten fröhlich Paare, Zivilisten und Soldaten, zur Musik.

Trotz der feiernden Menschen war die Atmosphäre angespannt. Links und rechts neben dem Musikpodest waren in Reihen Biertische und Bänke aufgebaut. Während an den meisten Tischen Freude und Spaß hervorherrschte, ging es am Rand des Marktplatzes mit zwei Bankreihen und Tischen eher ruhig zu. Alle Menschen an diesen Tischen trugen gelbe Sterne auf ihrer Kleidung. Auffällig war auch, dass keine Bedienung an diese Tische kam. Auch auf der Tanzfläche sah man nur Menschen ohne Stern.

Die Musikanten standen den Tanzenden an Fröhlichkeit in nichts nach. Bis auf einen jungen Mann. Der Geigenspieler. Obwohl er seine Geige hervorragend beherrschte und leidenschaftlich spielte, lächelte er nur. Es war ein hübsches Lächeln, so hübsch wie der junge Mann selbst. Sportlich, schlank und stattlich, knapp ein Meter achtzig groß, mit dunkelbraunen Haaren und schönen braunen Augen, die sein freundliches Wesen unterstrichen. Mit siebzehn Jahren war er der Jüngste unter den Musikern. Noch etwas unterschied ihn von den anderen Musikern. Auf die Brusttasche seiner Jacke war ein gelber Stern genäht. Sein Lächeln galt nur einer einzigen Person. Lisa, ein junges, hübsches, blondes Mädchen, das am Rand vor dem Podest stand, sich rhythmisch bewegte und das Lächeln des Musikers erwiderte. Sie war nicht nur hübsch, auch ihr Gesicht strahlte Freundlichkeit aus und ihre Sommersprossen verliehen ihr etwas Freches, Sympathisches. Für ihre siebzehn Jahre hatte sie eine ansprechende, schon frauliche Figur.

„Lisa, was stehst du da vorne und tanzt allein?“ Ein kräftiger, junger Mann, mit auffallend roten Haaren und in der Uniform der Hitlerjugend, nahm Lisas Arm und drehte sie zu sich herum. Berthold, ebenfalls siebzehn Jahre, war größer und kräftiger gebaut als Josef, der junge Musiker. Seine Muskeln formten das Uniformhemd, das er sich extra eine Nummer kleiner besorgt hatte, sichtbar aus. Dann fiel sein Blick auf den jungen Geiger. „Und du, Judenlümmel, halte dich zurück. Dein Gekratze stört den Rhythmus.“

Lisa schüttelte seinen Arm ab. „Was soll das, Berthold? Josef ist unser Freund. Warum redest du so mit ihm?“ Wütend wandte sie sich von Berthold ab und tanzte demonstrativ wieder allein vor der Kapelle.

Berthold stellte sich zwischen sie und das Podest. „Unser Freund!?“ Sein Gesicht war vor Zorn gerötet. „Er ist ein Judenschwein! Mir wird jetzt noch übel, wenn ich daran denke, dass ich mit ihm in einem Klassenzimmer gesessen habe.“ Lisa wich einen Schritt zurück. „Hör doch auf! Du bist einfach nur gemein, so gemein!“

Inzwischen hatte die Musik aufgehört und eine Pause eingelegt. Sofort war wieder die Propagandastimme aus dem Lautsprecher zu hören. Josef, der junge Geiger, hatte seine Geige abgelegt und sprang vom Podest. Vor Lisa und Berthold blieb er stehen und lächelte beide an. „Na, ihr zwei – warum habt ihr nicht getanzt?“ Berthold wurde rot vor Zorn. Er sah jetzt aus, als hätte er einen Sonnenbrand. Mit geballten Fäusten stand er neben Lisa vor Josef. „Kommst dir richtig toll vor mit deinem Geigen-Gequietsche. Judenlümmel.“ Josef hob beschwichtigend die Hände und lächelte immer noch. „Wenn du möchtest, dann bringe ich dir auch das Geigespielen bei. So wie früher, als ich dir auf dem Sportplatz gezeigt habe, wie man Tore schießt.“

Auf und um den Fußballplatz ist Hochbetrieb. Zwei Jugendmannschaften spielen gegeneinander. Der junge Berthold in seinem weißen Trikot und den leuchtend roten Haaren rennt Richtung gegnerisches Tor. Josef führt an der Mittellinie den Ball und sieht Berthold. Er schießt einen genauen Pass in seinen Lauf. Berthold zieht sofort ab und schießt das Siegestor.

Berthold wirkte jetzt wieder lockerer, lächelte aber hinterhältig und sagte scharf zu Josef: „Das gehört Gott sei Dank der Vergangenheit an, als ihr Gesindel, ihr Judenschweine, frei und unerkannt unsere Luft verpestet habt. Jetzt haben wir andere Zeiten. Ihr Judenpack seid enttarnt und für jedermann erkennbar.“ Er deutete auf den Judenstern auf Josefs Brust. „Steht dir gut. Muss nur mal gereinigt werden“ Er spuckte Josef auf den gelben Stern. „Deutschland säubert die Welt“, er deutete auf den Lautsprecher. „Hörst du das, Jude? Erst die Pollacken, dann die Russen, dann das Judenpack!“ Berthold drehte sich um und wollte gehen, blieb aber nochmal stehen und blickte böse lächelnd Josef in die Augen. „Schon bald, Jude. Schon bald.“

Wie ein Soldat machte Berthold auf dem Absatz kehrt und verließ den Platz, bewusst militärisch durch die Menge marschierend.

Lisa hatte ihr Taschentuch hervorgeholt und wischte Bertholds Spucke vom Stern. „Er ist ein Idiot.“ Josef schaute an Lisa vorbei, Berthold hinterher. „Er ist verbohrt. Die ganze Familie ist in der Partei. Außerdem ist sein Vater Bürgermeister oder Stadthauptmann, wie er sich jetzt nennt.“ Josef strich mit der Hand nachdenklich über den gelben Stern. „Erst haben sie uns beschimpft und gemieden, wenn man uns erkannt hatte, jetzt haben sie uns gebrandmarkt.“ „Ho, Josef!“ Ein Musiker war an den Rand des Podestes getreten. „Komm hoch, wir spielen weiter.“ Elegant sprang Josef auf das Podest.

„Josef!“, rief ihm Lisa nach „sehen wir uns später im …“ Josef legte den Finger auf die Lippen. „Lass dich nicht beobachten.“ Dann nahm er seine Geige und nach der letzten Propagandadurchsage begannen die Musiker wieder zu spielen.

Es war schon nach 19 Uhr und die untergehende Sonne färbte den Himmel rosarot. Josef schlich außerhalb der Ortschaft durch eine Gartenanlage. Immer wieder sah er sich um und beobachtete die Gegend. Dann sprang er über ein niedriges Holztor. „Lisa“, rief er leise. „Lisa, ich bin es. Josef.“ Die Holztür eines kleinen Gartenhäuschens öffnete sich und Lisa schaute heraus. Sie winkte ihn herein. Josef trat eilig ein und Lisa schloss hinter ihm die Tür. Da es im Raum schon dunkel wurde, zündete sie eine Kerze an. Der schwache Schein drang nicht nach draußen, die Fensterläden waren geschlossen. Das wenige Licht der Kerze erhellte das Innere nur notdürftig. Man sah den Tisch, auf dem die Kerze stand, sowie eine Bank und zwei Stühle. Im Eck befand sich eine Schlafcouch, darüber hing ein großes Landschaftsgemälde. Ein bewaldeter Berg, von dem ein schmaler, langer Wasserfall in einen sprudelnden Fluss herabstürzte. Neben dem Wasserfall war ein aufrecht stehender, stolzer Hirsch zu erkennen. Sogar ein eiserner Ofen für kalte Abende, hinter dem gehacktes Holz gestapelt war, stand in der Ecke. Alles in allem ein kleines, gemütliches Gartenhäuschen. Josef nahm Lisa in die Arme und küsste sie. Lisa streichelte seine Wangen. „Ich kann nicht lange bleiben, Vater wartet mit dem Abendessen. Ich hab ihm gesagt, dass ich noch kurz Gisela besuche.“

Josef lächelte sie an. „Na, dann nenn mich Gisela.“ Lisa musste lachen. Sie zog Josef zum Sofa und sie setzten sich. „Lisa, ich mach mir Sorgen wegen Berthold. Seitdem du mit ihm Schluss gemacht hast, ist er nur noch misstrauisch.“ „Ich habe nicht mit ihm Schluss gemacht!“, erwiderte Lisa leicht ärgerlich. „Ich war nie mit ihm zusammen. Wir waren ein paar Mal aus. Als ich mich in dich verliebt hatte, war auch das vorbei.“ Josef küsste sie. „Berthold sieht das anders und er darf nie, niemals von uns erfahren!“

Lisa hatte sich zurückgelehnt und betrachtete träumerisch das Flackern der Kerze. „Nachts bevor ich einschlafe, schaue ich durch mein Fenster in den Sternenhimmel. Auch wenn er noch so schön ist, macht mir die Zeit Angst, in der wir leben. Dann denke ich an dich, an uns und schlafe ein und meistens träume ich etwas Schönes. Wenn ich morgens wach werde und durch mein Fenster in den Tag sehe, dann ist auch die Angst wieder da.“ Josef hatte sich auch zurückgelehnt „Ja, mir geht es ähnlich. Nur ist die Angst um meine Familie, um meine Freunde und um uns auch noch da, wenn ich schlafe.“

Lisa nahm Josef in die Arme. Engumschlungen küssten sie sich. Dann löste sie sich sanft. „Ich muss jetzt gehen.“ Josef stand auf, ging zur Tür, öffnete sie und spähte hinaus, drehte sich um, nahm Lisa in die Arme und küsste sie nochmal innig. „Ich gehe zuerst. Warte noch fünf Minuten. Wenn ich nicht zurückkomme, ist die Luft rein“ Josef verschwand durch die Tür.

Lisa lief hastig durch eine kleine Allee auf das schöne Herrenhaus derer von Weidenfels zu. Es war schon dunkel und aus den großen Fenstern des Hauses drang warmes Licht. Sie war schon auf der Treppe vor dem Eingang, als sie eine Stimme hörte. „Reichlich spät!“ Erschrocken fuhr Lisa herum. Unterhalb der Treppe stand im Licht der Fenster Berthold. „Reichlich spät“, wiederholte er. „Das Fest ist lange vorbei.“ Sie ging die Treppe hinunter und baute sich wütend vor Berthold auf. „Erstens, erschreck mich nie wieder. Zweitens, war ich bei meiner Freundin und drittens, geht es dich nichts an.“ Auch Berthold war jetzt wütend. „Mit dir stimmt doch was nicht. Du gehst mir aus dem Weg, bist freundlich zu diesem Schweine-Juden …“ „… das ist kein …“ Lisa sprach das Wort nicht aus. „Das ist Josef. Ein Freund.“ „Nicht meiner. Nicht meiner“, seine Stimme wurde lauter. „Und du solltest, was den Juden angeht, mit dem Wort Freund vorsichtiger sein.“ „Ach ja? Ohne Josef könntest du heute nicht mehr deine Angeber-Uniform spazieren tragen.“

Ein herrlicher Sommer-Samstag. Viele Buben und Mädchen tummeln sich an einem Baggersee. Josef, Lisa und auch andere Kinder sitzen am Ufer und schauen den Badenden zu. Etwas weiter, im See, ragt der rote Schopf von Berthold aus dem Wasser. Plötzlich beginnt Berthold mit den Händen zu rudern und schreit: „Mein Bein, mein Bein. Ich kann nicht mehr schwimmen.“ Ein paar Mal geht er unter und kommt nach Luft schnappend wieder hoch. Josef springt auf und schaut sich um. Er entdeckt ein langes Brett, hebt es auf und rennt zum Wasser, dann wirft er es mit voller Wucht fast bis zu Berthold, springt hinterher und schwimmt in dessen Richtung. Als er das Brett erreicht, schwimmt er damit weiter, bis er bei Berthold, der gerade wieder untergegangen war, ankommt. Josef erwischt mit einer Hand den roten Schopf und zieht Berthold zu sich.

„Halte dich an dem Holz fest, dann gehst du nicht unter.“ Prustend und Wasser spuckend klammert sich Berthold daran. Er hat immer noch einen Krampf im Bein. Gemeinsam schaffen sie es an den Rand des Baggersees und bleiben erschöpft im Sand liegen.

„Ich hatte einen Krampf im Bein und der hatte sich bereits wieder gelöst. Ich hätte es also auch alleine geschafft.“ Seine Stimme wurde lauter. „Der verdammte Jude wollte sich nur wichtigmachen.“

„Was ist hier los?“ Herr von Weidenfels hatte die Tür geöffnet und sah von seiner Tochter zu Berthold. Von Weidenfels war ein sehr großer, stattlicher Mann. Sein schlanker Körper wirkte durch seine Größe fast dünn. Seine dunklen Haare waren an den Schläfen bereits ergraut, was ihm ein herrschaftliches, gräfliches Aussehen verlieh und durch einen schmalen Schnurrbart unterstrichen wurde. Eine echte Respektperson. Doch seine blauen Augen zeugten von einem freundlichen, umgänglichen Mann. „Nichts, Papa. Berthold wollte sich nur von mir verabschieden.“ Berthold nahm militärische Haltung an und wirkte fast lächerlich in der Uniform der Hitlerjugend.

„Ich habe mir Sorgen um Ihre Tochter gemacht, Herr von Weidenfels. Sie steht in letzter Zeit so oft bei diesem Juden Josef Zweig.“ Von Weidenfels blickte nachdenklich auf Lisa. „Wir kennen uns doch schon seit unserer Kindheit. Es gibt keinen Grund, zu Josef nicht freundlich zu sein.“

„Genau. Das ist es“, ging Berthold dazwischen „Die Zeiten haben sich geändert. Und allzu freundlich zu einem Juden stehen ist gefährlich.“ Wütend wandte sich Lisa von Berthold ab und rannte an ihrem Vater vorbei ins Haus. „Danke, dass du dir Sorgen machst, Berthold.“

Weidenfels drehte sich um und ging zur Tür. „Das ist meine deutsche Pflicht, Herr von Weidenfels.“ Der Angesprochene drehte nur kurz den Kopf. „Gute Nacht, Berthold, und grüße deinen Vater.“ „Heil Hitler, Herr von Weidenfels“, den rechten Arm gehoben, stand Berthold in Pose.

Von Weidenfels ging ins Haus und schloss die Tür. In einem herrschaftlichen Wohnzimmer saß Lisa. Es war ein großer, respekteinflößender Raum, in dessen Mitte ein langer Eichentisch mit gedrechselten Beinen stand. Darauf, in der Mitte, ein Kerzenständer sowie eine kunstvolle Blumenvase. Um den Tisch elegante Biedermeierstühle, an den Wänden Gemälde von Caspar David Friedrich. Im offenen Kamin brannten grobgehackte Holzstücke und verbreiteten eine angenehme Wärme. Seitlich davor stand ein großer Ohrensessel, in der Mitte des Raumes hing von der Decke ein pompöser Kronleuchter herab.

Ihr Vater kam an den Tisch und blieb vor ihr stehen. „Stimmt das, was dieser kleine Möchtegern-Hitler da sagt? Ich meine, gibt es da eine Freundschaft zwischen dir und dem jungen Zweig?“ Er verschränkte die Arme. „Papa, wir kennen uns schon seit unserer Kindheit. Ich habe bei seinem Vater Klavierunterricht genommen.“ „Das weiß ich, Lisa.“ Nervös ging von Weidenfels im Zimmer auf und ab. „Wir haben jetzt andere Zeiten. Deutschland ist seit Jahren im Krieg.“ Er zündete sich eine Pfeife an, legte das Streichholz in den Aschenbecher und blies den Rauch in den Raum. „Die Juden sind seit Jahren in Deutschland zum Feindbild geworden, was seit kurzem auch noch durch den gelben Stern sichtbar gemacht wurde.“ Er zog an seiner Pfeife. „Wir haben das Glück, dass unser Betrieb Uniformen herstellt. Das verleiht uns ein besonderes Ansehen.“ „Aber bei uns arbeiten doch auch Juden“, erwiderte Lisa. Weidenfels blies den Rauch aus. „Das, mein Kind, ist auch eine meiner Sorgen. Erst vor ein paar Tagen hat mir der Bürgermeister ein Schreiben geschickt. Ich soll dort eintragen, welche unserer jüdischen Arbeiter unentbehrlich sind.“

Josef lächelte bei dem Gedanken an Lisa und lief auf dem Gehsteig in Richtung seiner elterlichen Wohnung. Über dem Hauseingang hing ein Schild „Musikschule Zweig“, darunter war „JUDE“ mit weißer Farbe in Großbuchstaben geschrieben. Sein Lächeln verschwand, als er ins Haus ging. Er lief die Treppen bis in den zweiten Stock hinauf. Von den Türspalten der Mitbewohner des Hauses drang Licht heraus. Man konnte leise, besorgte Stimmen hören.

Etwas außer Atem kam Josef in die Wohnung. Sie war stilvoll und gemütlich eingerichtet: Die Handschrift einer Frau mit Gefühl für Schönheit und Geschmack. An einem alten Eichentisch, unterhalb der Öffnung zur Küche, saßen seine Eltern und Klara, seine kleine Schwester, beim Abendbrot. Die Mutter muss mal eine schöne Frau gewesen sein, die durch die schweren Jahre einer schlimmen Zeit an Glanz verloren hatte. Sein Vater war ein eher unscheinbarer Mann mit grauen Haaren und stets nachdenklichem Gesichtsausdruck und Klara ein eher schüchternes Mädchen mit dicken Zöpfen. Vorwurfsvoll blickte ihn sein Vater an. „Du kommst spät. Das Fest ist doch längst vorbei.“ Josef setzte sich an den Tisch, nahm sich eine Scheibe Brot und fing an, sie mit Butter zu bestreichen. „Es ist so ein schöner Sommerabend. Ich war noch ein bisschen spazieren.“

„Mit der Lisa?“, fragte seine Mutter. Josef konnte seine Mutter nicht anlügen. „Ja.“ Er begann sein Brot zu essen. Sein Vater war aufgestanden. Er schüttelte den Kopf. „Das ist nicht richtig!“ „Warum? Wir mögen uns“, antwortete Josef trotzig. „Warum?!“ Der Vater blieb vor Josef stehen. „Weil du uns damit in Gefahr bringst. Deine Eltern, deine kleine Schwester und dich selbst.“ „Vater hat recht“, betonte seine Mutter. „Die Zeit ist furchtbar und ich meine nicht nur den Krieg. Wir sind Geächtete.“ Hans Zweig setzte sich seinem Sohn gegenüber. „Seit Jahren werden wir wie Dreck behandelt. Man beschmiert unsere Geschäfte.“ Er deutete auf Josefs gelben Stern. „Man markiert uns. Viele von unseren Freunden und Bekannten sind verschwunden. Einige haben sich auch schon umgebracht und andere haben sich ins Ausland abgesetzt oder wohin auch immer.“

„Vielleicht sollten wir das auch tun, solange es noch geht“, warf die Mutter ein. „Nein!“ Es klang wie ein Aufschrei von Josef. „Aha.“ Der Vater war wieder aufgestanden und stellte sich neben Josef. Er legte ihm die Hand auf die Schulter. „Martha, bring Klara ins Bett.“ „Ich will aber nicht“, protestierte das Mädchen. „Doch, meine Süße.“ Die Mutter war nun auch aufgestanden und nahm Klara an die Hand. Widerwillig folgte das Mädchen ihrer Mutter. „So ist das also mit dir und der kleinen Weidenfels.“ „Ja, ich mag sie sehr … und sie mag mich.“ „Junge, du bringst nicht nur uns, wie Mutter sagte, in Gefahr, sondern auch das Mädel. Wenn das rauskommt, sind wir und die Weidenfels erledigt.“ Josef hatte sein Gesicht in die Hände vergraben und fing an zu weinen. „Was soll ich nur tun?“ Sein Vater blickte ihn traurig an.

Familie Zweig saß am Frühstückstisch. Es war morgens, kurz vor acht. Martha brachte Kaffee und für die kleine Klara eine Tasse heiße Milch. Dem Mädchen ging es nicht gut. Sie war in diesem Jahr eingeschult worden und seitdem war sie öfter krank. Die Eltern vermuteten, dass das mit den neuen Verordnungen zu tun hatte, denn auch die Kleinen mussten einen Stern tragen. „Na schön, wenn du nicht in die Schule kannst, dann trinkst du brav die Milch und legst dich wieder ins Bett.“

Josef und sein Vater standen auf und verließen die Wohnung. Hans Zweig schloss seinen Laden auf, während Josef die Arbeit des Tages vorbereitete.

Der Vater trat auf die Straße und betrachtete sein Schild und das große, in weißer Farbe geschriebene „JUDE.“ Er wollte gerade wieder in den Laden gehen, als er einen Mann den Gehsteig herunterkommen sah. Der Mann erblickte Hans Zweig, zögerte und ging demonstrativ auf die andere Straßenseite. Als er auf Höhe von Hans war, rief dieser ihm zu „Guten Morgen, Herbert. Deine Tochter Susanne kommt nicht mehr zum Klavierspielen. Ist sie krank?“ Der Mann schüttelte nur den Kopf und ging weiter. Mit einem Seufzer wandte sich Hans ab und ging in den Laden. Die Ladenglocke klingelte, als er die Tür öffnete und wieder hinter sich zumachte. Er blieb stehen und schloss die Augen, holte tief Luft und genoss den Duft der neuen Instrumente. Nachdem er seine Augen wieder geöffnet hatte, fiel sein Blick auf den dunklen Bechstein-Flügel, direkt am Fenster. An den Wänden hingen Gitarren, Geigen und verschiedene Blasinstrumente. Seufzend setzte er sich an den Flügel und begann, Mozart zu spielen, ein trauriges Stück, das ihm bisher bei aller Traurigkeit immer Trost gespendet hatte.

Kapitel 2

1942

Die Kriegsmaschine der Wehrmacht war ins Stocken geraten. Das Schlachtfeld bot wieder ein furchtbares Bild. Doch diesmal brannten auch die deutschen Panzer. Die sowjetischen Verbände waren mit einer gewaltigen Streitmacht zum Gegenangriff angetreten und im Minutentakt heulten die Stalinorgeln. Es war der Beginn der größten Niederlage der deutschen Wehrmacht, die mit dem Stopp auf Moskau begann und mit dem Untergang der 6. Armee in Stalingrad endete.

Überall auf dem riesigen Kampfgelände der Front schlugen die Granaten der deutschen und russischen Kanonen in die Erde ein und hinterließen riesige Krater. Die Landser sprangen hinein, um kurzzeitig Schutz vor dem feindlichen MG-Feuer zu suchen, bevor sie weiterstürmten. Der Dreck der aufgerissenen Erde fiel auf ihre geschundenen Körper. Ein Obergefreiter saß erschöpft an den Kraterrand gelehnt, sein Gewehr auf den Oberschenkeln. Es war ein alter, erfahrener Landser. Ein junger, frisch von der Ausbildung gekommener Jäger sprang neben ihn und musste kotzen. Dann fiel auch er gegen den Rand des Granatlochs und wischte sich mit dem Ärmel der Kampfuniform das Erbrochene aus den Mundwinkeln. Der alte Landser griff in seine Brusttasche, holte einen kleinen Tabakbeutel und ein Blättchen heraus. Mit einer Hand füllte er das Blättchen, rollte es zusammen, leckte kurz daran, steckte es zwischen die Lippen und zündete die Zigarette mit seinem Sturmfeuerzeug an. In diesem Moment sprang ein junger Leutnant in das Loch. Er war sehr groß, fast zwei Meter, auch er war völlig erschöpft. „Die in Berlin haben doch den Arsch auf“, sagte der Obergefreite, während er den Rauch aus den Lungen blies. „Was?“, fragte der junge Leutnant. „Was soll das heißen?“ Der Landser nahm wieder einen tiefen Zug von seiner Zigarette. „Was das heißen soll, Herr Leutnant? Nun, was denken Sie? Wir waren doch schon auf direktem Weg nach Moskau, als dieser unsinnige Befehl kam, uns einzugraben und abzuwarten.“ Abermals zog er an seiner Zigarette. „Auf was? Was abwarten? Dass die Russen, die wir schon am Arsch hatten, sich neu aufstellen und zurückkommen?“ Er deutete nach vorne über den Kraterrand. „Das hat ja gut geklappt!“ Der Leutnant erhob sich, blieb aber wegen seiner Größe gebückt stehen. „Vorsicht mit dem, was Sie sagen. Es könnte …“ „Was könnte das? Mich bestrafen? Will man mich etwa nach Russland an die Front schicken?“ Nachdenklich blickte ihn der Leutnant an. „Auf Männer, es geht weiter. Da vorne ist der Feind.“ Dann sprang er aus dem Graben und lief gebückt davon. Der alte Soldat nahm noch einen kräftigen Zug und warf die Zigarettenkippe auf die Erde. „Wenn der den Krieg überlebt, hat er einen Rückenschaden“, sagte er, während er den Rauch ausblies. „Auf Junge, du hast gehört, was der Lange gesagt hat.“ Beide kletterten aus dem Loch und liefen los, mitten in das Gefechtsgetöse.

In der kleinen schlesischen Stadt – Januar

Es schneite immer noch stark. Josef und sein Vater waren, wie einige in der Nachbarschaft, damit beschäftigt, den Bürgersteig vor ihrem Haus freizuschaufeln, als Militärfahrzeuge mit mäßiger Geschwindigkeit die Straße herunterfuhren. Hinten auf den Ladeflächen saßen SS-Soldaten. Sie blickten finster vor sich hin. Als ein Lkw in Höhe von Josef und Hans war, schaute ein SS-Mann auf das Schild mit der JUDEN-Aufschrift. Dann blickte er kalt auf die beiden und fuhr sich mit dem Daumen über die Gurgel. Zwei Minuten später waren die Lkws und der Spuk verschwunden.