8,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 4,99 €
Die Geschichte ist die Erfüllung des Traums des Mannes Jason, einmal mit einer Blauwasseryacht um die Welt zu segeln, und die damit verbundene Wandlung des Menschen Jason. Keine Angst vor nichts und niemand. Geld, Macht, Einfluss – und alle sind deine Freunde. Liebe kann man kaufen. Glaube – nur an sich selbst und die Person, die man ist und darstellt. Diese Attribute vertritt Jason bis zu dem Tag, an dem er sich entscheiden muss. Wenn er auch keine Freundschaft kennt, so verbindet ihn eine Kameradschaft mit seinem einzigen Vertrauten auf See, seinem Segellehrer. Er spürt die Angst, die Demut in der Einsamkeit und Weite des Meeres durch die Gefahren, Gewalten und die Unberechenbarkeit, die er nicht mit Macht und Geld beeinflussen oder ausschalten kann. Freundschaft, Opfer- und Hilfsbereitschaft lernt er durch die schiffbrüchige Afrikanerin Soja kennen, aber auch die wahre Liebe. Soja springt mit dem Bootshaken zwischen ihn und den Hai und wird dabei schwer verletzt. Als er die Wahl hat, einen schweren Sturm zu umfahren, was zu lange dauert, um Sojas Leben zu retten, entscheidet er sich für den kürzeren Weg direkt durch den Hurrikan. Doch das kann den Verlust des Bootes und seines Lebens bedeuten. Als der Atheist Jason die Schlechtwetterfront auf sich zukommen sieht, kniet er nieder und betet.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 163
Veröffentlichungsjahr: 2021
Harald Wieczorek
ORCA – Jasons Traum
ISBN 978-3-96521-540-5 (E-Book)
ISBN 978-3-96521-539-9 (Buch)
ISBN 978-3-96521-542-9 (Hörbuch)
Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta
© 2021 EDITION digital Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.edition-digital.de
„…als die Granaten links und rechts neben uns einschlugen, sah ich die überzeugtesten Atheisten niederknien und beten …“
Nach E. Hemingway
Nicht nur Schriftsteller, sondern eigentlich alle Literaturbegeisterte stellen sich nach der Lektüre eines besonders fesselnden Romans ähnliche Fragen: Was war das Geheimnis, das Erfolgsrezept, das mich an dem gerade Gelesenen so in seinen Bann zog? Wieso hatte ich das Gefühl, hier eine besondere Authentizität zu empfinden? Warum faszinierte mich dieses Buch mehr als andere, war es mehr die Handlung, oder die literarische Gestaltung, vielleicht auch die besondere Sprache und Ausdrucksweise?
Bei Harald Wieczoreks Roman ORCA liegt eine grandiose Synergie all dieser Aspekte vor. Seine persönlichen Erfahrungen als Seemann spürt man wie schon bei seinem Debutroman WINDSTÄRKE 13 auch beim neuen Buch, dessen furiose Handlung zum Großteil auf See spielt, in jeder Szene und jeder Situationsbeschreibung. Durch seinen späteren Werdegang als Schauspieler schärfte er über Jahrzehnte sein Gespür für die perfekte Dramaturgie und das spannungssteigernde Anlegen und Zusammenführen der Handlungsstränge. Wer seine weiteren Romane gelesen hat, wird nach dem zeitgemäß drastischen Inhalt seines Romans JAKOB, DER STUMME KRIEGER über den 30-jährigen Krieg sowie der bewegenden Geschichte von DIE GEIGE IM FEUER aus der Zeit des Nationalsozialismus im nun erschienenen ORCA eine wunderbare Melange mit allen Stärken dieser Vorwerke wiederfinden. Im perfekt inszenierten und gut ausgewogenen Zusammenwirken packender Geschehnisse, fesselnder Charaktere und nachdenklich stimmender Einblicke in das Seelenleben derselben, wie immer in seiner unverwechselbar prägnanten Sprache umgesetzt.
Es verbietet sich, in einem Vorwort mehr zu verraten. Aber alle, die sich mit den Protagonisten von ORCA auf eine in vieler Hinsicht gedanklich bereichernde und inhaltlich vielschichtige Reise begeben, werden hierbei etwas für sich entdecken können, was über gute Unterhaltung weit hinaus führt.
Ich wünsche daher diesem schönen Roman meines Freundes und Kollegen von Herzen viele begeisterte Leserinnen und Leser!
Dieter R. Fuchs Schriftsteller
Die letzten Sonnenstrahlen spendeten ein warmes Licht in ein kleines, schlicht eingerichtetes Kinderzimmer. Unter dem runden Dachfenster stand ein kleiner Schreibtisch, davor ein alter Holzstuhl. Auf dem Schreibtisch lagen ausgebreitet ein paar Hefte und ein Schulbuch.
Unter der Dachschräge befand sich ein einfaches Holzbett. Auf dem Bett saß der 10-jährige Jason im Schneidersitz und las in einem Buch.
„Jason!“ Die kräftige Stimme seines Vaters ließ den Jungen, der tief in sein Buch versunken war, aufschrecken. „Jason!!“ Diesmal noch kräftiger, gefolgt von energischen Schritten auf einer Holztreppe.
Schnell steckte er das Buch unter sein Kopfkissen, sprang vom Bett auf und setzte sich gerade noch rechtzeitig an seinen Schreibtisch. Die Tür ging auf und sein Vater stand im Zimmer. „Was ist los mit dir? Kannst du nicht antworten, wenn ich rufe?“ „Entschuldige Vater, ich bin in meine Hausaufgaben vertieft, morgen schreiben wir eine Englisch-Arbeit.“ Sein Vater war an den Schreibtisch herangetreten, nahm das Buch vom Tisch in die Hand, schüttelte nachdenklich den Kopf „Aha, eine englische Rechenarbeit …“ Er legte das Rechenbuch wieder auf den Schreibtisch, blickte auf das verknitterte Bett und sah eine Ecke des Buches unter dem Kopfkissen, holte es hervor und las den Titel. „Berühmte Einhandsegler.“
Nachdenklich schaute er Jason fest an. „Was willst du mal werden? Fischer?“ Dann warf er das Buch wieder auf das Bett, ging zur Tür und blieb stehen. „Die Sonne geht unter, Mutter wartet mit dem Abendbrot …“ – und bevor er die Tür schloss – „… danach werden wir uns unterhalten!“
Jason seufzte, warf nochmal einen Blick auf den Roman „Irgendwann! Irgendwann!“ Dann verließ er das kleine Zimmer.
In einem modernen Büro mit großen Fenstern und einem überdimensionalen Schreibtisch saß Jason in einem hellbraunen Ledersessel und blätterte in einer Fachzeitschrift für Yachten. Was hatte sein Vater nach einem immer wiederkehrenden Streit wegen seines Buches „Einhandsegler“ ständig gesagt. „Wenn das deine Bibel ist, wirst du irgendwann einmal Hafen- oder Werftarbeiter, bestenfalls Yachtmakler.“ Nun saß er in seinem exklusiven Büro und suchte in Fachzeitschriften die eigene Yacht. Was sein Vater damals nicht erkannte, war der Ehrgeiz des Jungen, einmal selbst mit so einem Blauwasserschiff um die Welt zu segeln.
Er war computertechnisch hoch begabt und fing mit jungen Jahren an, Programme zu entwickeln. Mit zweiundzwanzig Jahren war Jason bereits Millionär. Und nun hatte er seine eigenen Angestellten. Seine Programme verkaufte er mittlerweile weltweit an die größten Konzerne.
Diesen Raum als Büro zu bezeichnen war, bescheiden gesagt, schwer untertrieben. Es gab nicht wenige, die der Meinung waren: „… Wenn man ein Netz spannt, könnte man darin Tennis spielen …“ Dazu kommt, dass außer dem riesigen Schreibtisch und dem mächtigen Ledersessel fast kein Mobiliar im Raum stand. Auffällig waren auch die Bilder an den Wänden. Ausschließlich Yachten in allen Größen und Formen. Segelyachten, genauer: Blauwasseryachten.
Es klopfte. Die Tür wurde geöffnet. Eine hübsche junge Frau erschien in der Türe. „Karl ist da.“ Jason blickte kurz auf und legte die Zeitschrift in eine Schublade. „Soll reinkommen.“ Er nahm sich ein Zigarillo aus einem Kästchen, zündete es an und rauchte. Jason war der Einzige, der in diesem Büro rauchen durfte. Langsam, leicht gebeugt, mit sorgenvollem Blick, kam ein Mann mittleren Alters durch die Tür, die sofort wieder von der jungen Frau hinter ihm geschlossen wurde. Jason deutete nicht auf den kleineren Sessel vor dem Schreibtisch, also blieb der Mann stehen. Ohne große Worte öffnete Jason eine Schreibtischschublade und holte einen Briefumschlag heraus, auf dem KARL stand. Er warf ihn vor Karl auf den Schreibtisch. „Für Sie!“ Mehr sagte er nicht, zog stattdessen an seinem Zigarillo. „Warum?“ Mehr brachte der eingeschüchterte Mann nicht heraus. „Was ich Ihnen gestern nach dem Meeting mit den Japanern schon sagte, Sie sind zu alt für meine Anforderungen.“ „Ich bin erst 56, seit zehn Jahren bei Ihnen als Geschäftsführer tätig und brachte immer gute Leistungen!“
Jason nickte. „Das genau ist Ihr Problem, Karl.“ Er musterte ihn abschätzend. „Als sie vor zehn Jahren bei mir ankamen hieß es – er bringt gute Leistungen.“ Jason seufzte „Jetzt stehen Sie zehn Jahre später vor mir und sagen, ich bringe immer gute Leistungen. Sie entwickeln sich nicht. Sie müssten hier stehen und sagen – ich bringe jetzt hervorragende Leistungen.“ Er zog wieder an seinem Zigarillo. „Verstehen Sie, Karl?“
Karl war blass geworden. Jason befürchtete für einen Moment, dass er gleich umfallen würde. „Was soll ich denn jetzt tun, wenn alle so denken wie Sie?“ „Nicht jammern, sondern auftreten wie ein Geschäftsführer.“ Jason deutete auf den Brief. „Nehmen Sie das. Eine gute Abfindung. Machen Sie sich selbstständig, dann können Sie mit Ihren guten Leistungen zufrieden sein.“ Karl schluckte, brachte aber kein Wort mehr heraus, nahm den Umschlag mit zitternden Händen, ging zur Tür, drehte sich um und wollte noch etwas sagen, verließ aber dann wortlos das Büro seines Chefs.
Gleich darauf schaute die junge Frau wieder herein. „Der Detektiv ist da.“ „Gut, soll reinkommen.“ Ein sportlicher, junger Mann, „Hoppla-jetzt-komm-ich-Typ“, kam in das Büro, deutete mit dem Daumen hinter sich. „Der Mann hatte Tränen in den Augen. Verlässt jeder ihr Büro weinend?“ „Kommt drauf an, wer reinkommt“, antwortete Jason gleichgültig. Ohne eine Aufforderung abzuwarten, setzte sich der Detektiv in den Sessel vor Jason und legte eine Mappe auf den Schreibtisch. „Ein Dossier Ihres Kapitäns. Können Sie nach meinem mündlichen Bericht zu Ihren Akten legen.“ Jason lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. „Ich höre.“ Der junge Mann streckte seine Beine aus, fehlte nur noch, dass er sie auf Jasons Schreibtisch legte. „Also ein irrer Typ, dieser Kapitän. Hat ‘ne ganze Latte auf dem Kasten“, er überlegte kurz. „Viele würden sagen, eine interessante, außergewöhnliche Persönlichkeit. Also, als Junge, Schiffsjunge fuhr er auf der PAMIR, einem Handelssegler, der bei Kap Horn gesunken ist. Der Junge war einer der wenigen, die diese Tragödie überlebten.“ Er blickte auf Jason ob einer Reaktion, doch der blieb unberührt. „Gut, weiter. Danach meldete er sich bei der Marine und fuhr bis zum Offiziersanwärter auf dem Segelschulschiff GORCH FOCK. Das Militärische war nicht sein Fall, also ging er wieder zur Handelsmarine. Zunächst als Matrose auf einem alten Fischkutter, noch mit Hauptsegel und Besan. Ein Jahr hat er im Nordatlantik gefischt.“ Er nickt nachdenklich. „Echte Knochenarbeit, kann ich Ihnen sagen. Darauf folgten Handelsschiffe aller Art. Ein paar Jahre später machte er sein Kapitänspatent.“
Der Mann beugte sich zu Jason vor. „Und jetzt kommts. Auf Trampfahrt, also wilder Fahrt, wurde er Kapitän. Sie fuhren in die Karibik. In Port of Prince nahm er heimlich eine Nutte mit an Bord. Sie blieb, bis die Karibikfahrt endete. Er gab ihr reichlich Geld mit, damit sie wieder nach Hause konnte und ließ sie dann in einem anderen Hafen von Bord. Sein erster Offizier, der das mitbekommen hatte, wartete bis sie wieder nach Hamburg zurückfuhren und offenbarte ihm dann, dass er dies der Reederei melden müsste. Der Kapitän fragte ihn, ob er schwimmen könnte. Der Offizier bejahte es verdutzt. Daraufhin warf er den Ersten kurzerhand über Bord in die Elbe.“ Wieder blickte er erwartungsvoll auf Jason und wieder kam keine Reaktion. „Kurze Rede, langer Sinn. Der Typ verlor sein Patent und um einer Zivilklage, die vielleicht Gefängnis bedeutet hätte, aus dem Weg zu gehen, meldete er sich bei der Fremdenlegion.“ Zum ersten Mal meinte der Detektiv ein Zucken in Jasons Augenwinkeln gesehen zu haben. „Nach vier Jahren machte er mit seiner Abfindung eine Segelschule in Nizza auf. Irgendwann war er es leid, sich mit verwöhnten jungen Reichen herumzuärgern und spezialisierte sich auf die Ausbildung von Blauwasserfahrern, also Leuten wie Sie. Übrigens ist der Mann nach mir in das Gebäude gekommen. Wahrscheinlich sitzt er schon draußen bei der hübschen Blondine.“ Nun lehnte sich der junge Mann zurück und verschränkte seine Arme.
Außer dem kurzen Zucken in den Augenwinkeln blieb Jason völlig ausdruckslos. Er öffnete eine Schublade, holte einen Umschlag heraus und überreichte ihn dem Detektiv. „Gute Arbeit.“ Der Detektiv nahm den Umschlag, steckte ihn, ohne hineinzusehen, in seine Jackentasche und stand auf. „Ein guter Mann, wenn Sie meine Meinung hören wollen.“ Jason nickte nur. War das eine Zustimmung oder nur ein Abschiedsgruß? Wie auch immer, der Detektiv ging zur Tür und verließ das Büro.
Harry kam in seiner Khaki-Segeluniform und der Skippermütze ins Büro. Obwohl Jason ihm den Sessel anbot, blieb er vor dem Schreibtisch stehen. Sein Blick war völlig neutral, auffallend waren seine freundlichen Augen. Jason hatte die Bewerbungsunterlagen zusammen mit Harrys Ausbildungsangebot für Jason für circa zwei Jahren vor sich liegen. Er musterte den vor ihm stehenden Mann, dessen Alter selbst er nicht einschätzen konnte. „Wollen Sie etwas über sich erzählen?“, fragte er. „Nein. Alles was Sie wissen müssen, liegt vor Ihnen!“, antwortete Harry. Jason stand auf und reichte Harry die Hand. „Wollen Sie einen Vertrag?“ Harry blickte auf den Handschlag. „Haben wir soeben gemacht.“
„Ein herrliches Schiff!“ Bewundernd standen Jason und Harry im Yachthafen von Barcelona vor der ORCA. „Ja, das Beste für Ihren Wunsch. Einmal um die Welt.“ „Können wir morgen gleich loslegen?“, fragte Jason. „Es gehört nun Ihnen. Wann immer sie wollen.“ Jason ging an Bord und inspizierte den Blauwassersegler zum wiederholten Mal. Man sah ihm seine Faszination förmlich an. Als er wieder zu Harry kam, nickte er. „Also, gleich morgen früh!“ „Gut. Ich mache alles klar“, sagt Harry und ging an Bord.
„Pünktlich, wie es sich für einen angehenden Blauwasserfahrer gehört.“ Jason stand vor der ORCA. „Ahoi Käpt’n!“ Jason blickte nochmal auf seine Uhr. „6 Uhr.“ Harry hatte die festgezurrten Großsegel gelöst, drehte sich um, nahm seine Pfeife aus dem Mund. „Dann hätten Sie um 4 Uhr da sein müssen.“ Er kam nach achtern und half Jason an Bord. „Na, dann wollen wir mal.“ Während Jason seine Sachen unter Deck brachte, stellte Harry den Dieselmotor an. Ruhig, langsam verließ die ORCA den Yachthafen.
Sie waren den ganzen Tag gesegelt. Jason bekam sofort zu spüren, dass dies kein vergnüglicher Tag werden würde. Für Harry gab es keine Lockerungsübungen. Es ging gleich zur Sache. Jason musste alles, was ihm gezeigt wurde, doppelt und dreifach wiederholen. Harry begutachtete den von Jason festgesetzten Baum des Großsegels und winkte ihn zu sich. „Damit haben Sie sich mit einem blöden Fehler der größten Gefahr an Deck ausgesetzt.“ Er löste spielerisch die Leine vom Baum, den Jason befestigt hatte. Dieser setzte sich sofort vom Wind, der das Segel aufblies, in Bewegung. Bevor der Baum richtig in Fahrt kam, stoppte Harry ihn mit der Leine. „Das Segel würde den Baum jetzt über das Deck von backbord nach steuerbord befördern“, er lachte, „aber mit Wucht! Und das auf hoher See!“ Er wiegte den Kopf. „Im besten Fall schlägt er Ihnen den Schädel ein.“ Jason schaute ihn überrascht an. „Im besten Fall?!“
„Naja, im schlimmsten Fall schauen Sie der ORCA mit gebrochenen Knochen hinterher. Sowas nennen wir auf diesem Schiff eine Patenthalse.“
Während dieser Übungen wurde der Wind stärker. Spritzwasser kam über Bord und das aufgeblähte Segel brachte die ORCA in seitliche Lage. „Wann ist es Zeit, die Segel einzuholen?“
Harry begutachtete das geschwollene Großsegel. „Wenn Sie den ersten Impuls dazu verspüren.“ Fragend sah Jason ihn an. „Wenn Sie das erste Mal daran denken, ist es wohl besser zu raffen.“
Zwei Jahre waren vergangen. Nachdem Jason sich von dem älteren Mitarbeiter Karl getrennt hatte, stellte er einen jungen, ehrgeizigen Entwickler und Programmierer ein. Dieser war, wie Jason bald feststellte, ein Glücksgriff. Es dauerte nicht lange und er hatte den neuen Mitarbeiter voll eingearbeitet. Der junge Mann konnte inzwischen auch ohne Jason die Geschäfte führen, weshalb er ihn zu seinem stellvertretenden Geschäftsführer machte. Zu seinen Vertrauten gehörte noch sein Anwalt. Einer der teuersten, aber auch der besten. Auf ihn konnte er sich hundertprozentig verlassen. Jason konnte sich also ohne Sorge seiner Ausbildung durch Harry auf der ORCA widmen. Er wollte noch einige Punkte klären, ins Reine bringen. Hauptsächlich private Angelegenheiten. Deshalb verabredeten sie sich für in zwei Tagen. „Wie immer, in aller Frühe.“ Auf der kleinen Gangway drehte sich Harry noch einmal um. „Und machen Sie was gegen Ihre Kopfschmerzen.“ Seit einem halben Jahr hatte Jason in Intervallen zunächst leichte, dann öfter und stärker werdende Kopfschmerzen. Begonnen hatte es mit einem Pfeifen im rechten Ohr. Eine Art Tinnitus. Jason hatte es als Migräne abgetan. Aber Harry hatte natürlich recht. Je eher er es behandeln lässt, umso früher ist der Mist vorbei.
Jason fuhr wie immer mit einem Taxi zu seinem Grundstück und hielt vor seinem Haus. Haus? Eher eine Villa. Ein Traum, zu dessen Eingang eine breite Treppe führte. Auf dem Parkplatz sah er sofort den Sportwagen seiner momentanen Lebensgefährtin. Daneben stand der gelbe Porsche ihres Tennislehrers. „Scheußlichen Geschmack hat der Bursche“, er überlegte kurz – „zumindest bei Autos!“ Dann ging er die Treppe hoch in seine Villa. Sie hatte ein mächtiges Entree. Die gesamte untere Etage – ein offener Raum in Glas und Weiß. Nach oben führte eine breite Marmortreppe. Schon im Wohnbereich hörte er über die Terrasse die dumpfen Schläge des Tennisballs. Jason ging zu seinem Kühlschrank und holte sich ein Bier, setzte sich auf die Terrasse in einen bequemen Sessel, zündete sich ein Zigarillo an und beobachtete seine schöne Partnerin, die seit einigen Jahren das Bett mit ihm teilte, wie sie mit einem Adonis von Tennislehrer spielte. „Schön ist sie, das muss man ihr lassen.“ Er trank einen Schluck. „Die schönste Hure, die ich je kannte.“ Vom Tennisplatz aus winkte die blonde Frau Jason zu, spielte noch den Satz zu Ende, kam dann in Begleitung des Schönlings auf die Terrasse. „Hallo, mein Schatz“, begrüßte sie ihn mit einem Kuss auf die Stirn. „Hallo“, sagte nun auch der Adonis mit seinem Zahnpasta-Lächeln. Jason trank einen Schluck von seinem Bier und zog genüsslich an seinem Zigarillo. Etwas nervös, nicht gegrüßt zu werden, legte der junge Mann seinen Tennisschläger auf eine Ablage und blickte abwechselnd von Jason zu seiner Partnerin und zurück. „Ja … also … dann werd‘ ich mal verschwinden“, wartete noch einen Augenblick auf eine Reaktion, und lief dann mit einem letzten Nicken die Terrasse hinunter, durch die Anlage um das Haus herum zum Parkplatz. „Ich ruf dich wegen des Trainings an“, rief ihm die blonde Schöne nach.
„Warum bist du so unhöflich zu Helmut?“ Jason zuckte gleichgültig die Achseln. „Weil ich ihn nicht leiden kann, weil er einen gelben Porsche fährt, weil er Helmut heißt.“ Jason überlegte kurz: „und vielleicht, weil er dich vögelt?“ Die Blonde wollte aufbegehren, ließ es aber sein und lächelte. „Ah, du bist eifersüchtig?“ „Nein, ich hasse es nur, dafür zu bezahlen!“ Sie nahm sich ein Glas Champagner und setzte sich Jason gegenüber. Als er weiter nichts sagte, beugte sie sich vor. „Was würdest du dazu sagen, wenn ich dir mitteile, dass ich schwanger bin …?“ Jason trank in aller Ruhe sein Bier aus, schaute auf Helmuts Schläger. „Ich würde sagen … Matchball.“
Entrüstet stand sie auf und ging ins Wohnzimmer. Es dauerte nicht lange, bis sie wieder herauskam. Provokativ legte sie ein Ultraschall-Foto vor Jason auf den Tisch. „Als meine Periode ausblieb, ging ich in die Klinik. Da ist das Ergebnis.“ Ohne das Foto anzusehen, blickte Jason sie an. „Weiß es Helmut schon?“ Entrüstet sprang sie auf. „Bist du von Sinnen? Das ist unser Kind, dein Kind … Also, was sagst du dazu?“ „Ein medizinisches Wunder“, lächelte Jason sie an. „Waaas!?“ „Naja, um gerade so etwas zu vermeiden, habe ich mich vor zwanzig Jahren sterilisieren lassen.“ Fassungslos starrte sie Jason an. „Mach dir nichts draus. Du bist …“, er überlegte, „… ich glaube Nummer sechs, die es versucht!“
Langsam drückte Jason das Zigarillo aus, stand auf und ging ins Wohnzimmer Richtung Ausgang. Dort drehte er sich noch einmal um. „Ich habe heute noch einen Termin und übernachte auf meinem Schiff. Also viel Spaß beim Tennis.“ Er verließ seine Villa und stieg in das noch wartende Taxi.
Zu den zwei Menschen, die Jason respektierte und schätzte, gehörte der Chefarzt seiner Privatklinik. Ihm gegenüber saß Jason. Der Arzt, ein für seine Position junger Mann mit vollem dunklem Haar und einem sympathischen Gesichtsausdruck, hatte eine Akte vor sich liegen. Er schrieb etwas hinein und schaute Jason gerade in die Augen. „Die Tomographie ist gemacht“, er zögerte. „Nun, also, die Fotos zeigen mir einen kleinen Schatten, deshalb werde ich ein paar Spezialisten meines Vertrauens zu Rate ziehen.“ Nachdem Jason nichts sagte, fuhr er fort: „Wir wollen gerade bei Kopf-Sachen keine voreiligen Schlüsse ziehen.“ Jason blieb nach wie vor ruhig. „Also, wo kann ich sie in den nächsten zwei Tagen erreichen?“ Jason erhob sich. „Ich mache einen kleinen Ausflug ins Mittelmeer, bin aber über mein Handy erreichbar.“ Sie gaben sich die Hand. „Sie sind ein außergewöhnlicher Mann.“ Jason zuckte mit den Achseln. „Naja“, dann verließ er das Sprechzimmer.
Das Dorf war erwacht und die Sonne schon zur Hälfte hinter dem dichten Urwald zu sehen. Die Bewohner kamen langsam aus ihren Hütten. Auch eine junge, hübsche Afrikanerin. Mit einem Holzbottich in der Hand ging sie zu einem Brunnen am Rande des Dorfes, band den Bottich an ein Seil, das neben dem Brunnen lag, und ließ ihn hinunter. Nachdem sie ihn wieder hochzog, war er mit Wasser gefüllt. Vorsichtig, um nichts zu verschütten, trug sie ihn zur Hütte zurück. Inzwischen war ein kräftiger junger Mann herausgekommen. „Soja“, sprach er die junge Frau an. „Ich gehe mit Jotho zum Fluss. Vielleicht fangen wir einen Fisch.“ Er deutete lächelnd auf den Bottich. „Wir waschen uns dann gleich bei dieser Gelegenheit.“ Wie aufs Stichwort kam der kleine Junge aus der Hütte. Er hatte seine selbstgemachte Angel schon in der Hand.
Inzwischen herrschte reger Betrieb im Dorf, das von einem großen Bambuszaun umgeben war. Es war kein großes Dorf, höchstens zwanzig Hütten mit ihren Familien, die um einen großen Platz, mit einem Holzhaus in der Mitte, aufgebaut waren. Das Holzhaus selbst hatte noch vor ein paar Jahren die Funktion einer Kirche und einer Schule und wurde von einem französischen Missionar geleitet. Mithilfe der Männer des Dorfes hatte der Missionar das besagte Haus aufgebaut. Es war nicht das einzige Dorf, das dieser Missionar betreute. Er hatte ein altes Motorrad, mit dem er auch andere Siedlungen im größeren Umkreis besuchen konnte. Doch einmal in der Woche war er hier, hielt die Messe ab, taufte Neugeborene, verheiratete junge Paare, wie seinerzeit Soja und ihren Mann. Außerdem unterrichtete er die Kinder, brachte ihnen unter anderem Französisch bei. Keiner wusste, wie alt der Missionar war, doch schon Soja und ihr Mann hatten bei ihm gelernt. Für alle war es ein großer Schock, als dieser vor einem Jahr von Rebellen ermordet worden war. Soja und ein paar andere Frauen setzten seine Arbeit fort und unterrichteten die Kinder, so wie sie es gelernt hatten.
Vor dem Haus war ein großer Feuerplatz angelegt, sozusagen das Zentrum des Dorfes. Dort wurde ab und zu ein Wildschwein, das die Männer erlegt hatten, gebraten. Derartige Gelegenheiten waren stets mit einem kleinen Fest verbunden. Heute Abend würde es mal wieder soweit sein. Einige Frauen hatten schon alles vorbereitet. Soja gesellte sich, nachdem sie sich gewaschen hatte, dazu. Gegen Mittag kam ihr Mann mit Jotho vom Fluss zurück.
Sie hatten drei schöne Fische gefangen. Stolz präsentierte Jotho sie seiner Mutter. „Eine schöne Bereicherung für heute Abend“, meinte sie lachend.