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JAKOB, ein Findelkind, wurde in einem Kloster aufgezogen, in jungen Jahren von Räubern, nachdem sie das Kloster überfallen hatten, mitgenommen. Fortan musste er mit den Räubern leben, bis diese gefangengenommen und aufgehängt wurden. Der Gutsherr ließ ihn am Leben mit der Verpflichtung, für ihn zu arbeiten. Jakob verliebte sich verbotenerweise in eine Magd, wurde hart bestraft und tötete in Notwehr den Gutsherrn. Um den Verfolgern zu entgehen, schloss sich Jakob als Söldner Tillys Heer an. In der letzten Schlacht, Ende des Krieges, verlor er durch einen Schwerthieb auf den Kopf seine Stimme. Nach dem Krieg fand Jakob Arbeit auf einem Bauernhof und freundete sich mit Max an, dem zwölfjährigen Sohn des Bauern. Als Max von Gauklern entführt wurde, machte sich Jakob, nachdem er die Ernte eingebracht hatte, auf die Verfolgung der Gaukler … Viele Szenen in diesem Buch sind hart und brutal. Sie spiegeln die damalige Zeit während und nach dem 30-jährigen Krieg wider. Dadurch treten die menschlichen Attribute wie Liebe, Freundschaft, Treue, Glaube, Hoffnung besonders hervor.
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Seitenzahl: 273
Veröffentlichungsjahr: 2019
Harald Wieczorek
Jakob, der stumme Krieger
Von einem, der die Hölle des Dreißigjährigen Krieges überlebt
ISBN 978-3-95655-994-5 (E-Book)
ISBN 978-3-95655-993-8 (Buch)
ISBN 978-3-96521-472-9 (Hörbuch)
Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta unter Verwendung eines Bildes von Gcomics
© 2019 EDITION digital Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.edition-digital.de
Mein Dank gilt meiner Frau Monica und meinem Freund Dieter R. Fuchs. Ohne die beiden hätte ich an dem Jakob nicht weitergeschrieben.
Kriege entsetzen alle Vernunftbegabten, zerstören mühsam gestaltete Gesellschaften und löschen die Lebenslinien unzähliger Menschen aus. Bertolt Brecht schrieb: „Die Schriftsteller können nicht so schnell schreiben, als die Regierungen Kriege machen können; denn das Schreiben verlangt Denkarbeit.“ Umso wertvoller ist jeder literarische Versuch, solche unmenschlichen – oder höchst menschlichen – Zeiten nachempfindbar zu machen.
Vor den Schrecken des Dreißigjährigen Krieges liegen für uns Europäer die späteren Schleier zweier Weltkriege und dies verklärt oft die unfassbaren Zahlen an Opfern und das unvorstellbare Leid, als weite Teile unseres Kontinents in Agonie fielen.
Dass sich mein Freund und Autorenkollege Harald Wieczorek mit dem Roman JAKOB gerade dieser Zeit widmet, begeistert mich. Auf seine unnachahmlich kraftvolle Art ziehen uns seine Charaktere in eine spannende Handlung inmitten jener grausamen historischen Szenarien. Eine Welt wird lebendig, die gleichermaßen fasziniert wie schockiert.
Es war für mich persönlich ein großes Vergnügen und sehr bereichernd, die Entstehung dieses tollen Buches lesend-begleitend miterleben zu dürfen, und ich wünsche dem JAKOB von Herzen eine begeisterte Leserschaft!
Dieter R. Fuchs
Schriftsteller
JAKOB
AUGUST, der Söldner
WOLF, adeliger Söldner
GUSTAV, Gaukler
CARA, die Hexe
MAX, 12 Jahre, entführtes Kind
FRIEDA, 11 Jahre, entführtes Kind
MARIA, erste Liebe Jakobs
EVA, zweite Liebe Jakobs
MARIE, Mutter von Jakob
BENEDIKT, Klosterbruder
RITTER VON BEILSTEIN
HERR VON BERGEN
RÄUBER
Div. SÖLDNER, BAUERN und BÄUERINNEN
FAMILIEN von MAX
KNECHTE und MÄGDE
DIE KÖHLER
Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr denn ganz verheeret,
Der frechen Völker Schar, die rasende Posaun,
Das vom Blut fette Schwert, die donnernde Kartaun
Hat aller Schweiß und Fleiß und Vorrat aufgezehret.
Die Türme stehn in Glut, die Kirch ist umgekehret,
Das Rathaus liegt im Graus, die Starken sind zerhaun,
die Jungfern sind geschändt, und wo wir hin nur schaun,
Ist Feuer, Pest und Tod, der Herz und Geist durchfähret.
Hier durch die Schanz und Stadt rinnt allzeit frisches Blut,
Dreimal sind schon sechs Jahr, als unser Ströme Flut
Von Leichen fast verstopft, sich langsam fortgedrungen.
Doch schweig ich noch von dem, was ärger als der Tod,
Was grimmer denn die Pest und Glut und Hungersnot;
Dass auch der Seelenschatz so vielen abgezwungen.
Andreas Gryphius
Ein Krieg war zu Ende. Ein Krieg. Ein Krieg, den nur ein Drittel der Bevölkerung überlebte. Ein Krieg im Namen Gottes, den die beiden großen Religionen – Katholiken und Protestanten – für sich beanspruchten. Im Namen Gottes wurde geplündert, verstümmelt und getötet. Für ihn wurde gebetet. Zu einem Gott der Gerechtigkeit, Gnade und Liebe. Er sollte den Katholiken helfen, die Protestanten zu töten und umgekehrt. Und die Gebete wurden erhört. Vom Teufel! Die Hölle öffnete ihre Pforten. Alle Teufel und Dämonen kamen hervor, verteilten sich auf beiden Seiten der Kriegsparteien. Es wurde ein Spiel zwischen den bösen Mächten. Die Saat ging auf und sie sammelten fleißig Seelen.
Nun war er aus, dieser furchtbare Krieg und anscheinend hat sich Gott für die katholische Fraktion entschieden. Die sahen das jedenfalls so. Das Sterben und Leiden bezog sich nicht nur auf das Schlachtfeld – also auf Soldaten und Söldner – Nein! Am meisten litten und starben die Menschen in den Städten und Dörfern.
Nun war Frieden. Ende von Leid und Not. Wirklich? Nein, Leid und Not ging weiter. Die Bevölkerung hatte nichts oder kaum etwas zum Überleben. Die Söldner, die gekauften oder zwangsrekrutierten Männer auf beiden Seiten, waren arbeitslos. In den letzten Monaten des Krieges bekamen sie nicht mal mehr Sold.
Also wurden sie Räuber, einzeln oder als Banden. Sie taten das, was sie auch im Krieg gelernt hatten. Sie plünderten, vergewaltigten und mordeten quer durch das Land. Sie hatten ja nichts mehr zu verlieren.
Es war ein kühler Morgen im Herbst. Bodennebel durchzog ein grünes Tal zwischen zwei Waldstücken. Neben einem schmalen Weg floss ein kleiner Wildbach. Aus der Ferne war der Weckruf eines Hahnes zu hören. Eine Frau, deren Alter man nicht einschätzen konnte, der Hunger und das Leid hatten sie verhärmt, ging mit ihren zwei Kindern auf dem Weg neben dem Waldrand. Sie waren ärmlich gekleidet. Ihre gesamte Kleidung war aus Tuch zusammengenäht. Auch um die Füße hatten sie statt Schuhe Tücherstreifen gewickelt. Alle drei trugen Körbe. Sie waren früh unterwegs um Beeren und Pilze zu sammeln.
„Mama, mir ist kalt“, sagte das kleine Mädchen. „Das ist der Frühnebel“, beruhigte sie die Mutter, „in einer Stunde wird es wärmer sein.“ Plötzlich blieb sie stehen und lauschte. Dann nahm sie die beiden Kinder an den Händen und zog sie schnell in den Wald.
„Verdammt und verflucht will ich sein! Ich brauch was zu fressen und zu saufen!“ Um die Biegung kamen vier Männer. Auch sie sahen erbärmlich aus in ihren alten, zum Teil zerrissenen Uniformen.
Zwei von ihnen hielten Knüppel in den Händen und in ihren Gürteln steckten Messer. Die beiden anderen hatten Schwerter. „Hör auf zu jammern“, sagte einer der Schwertträger. „Hinter der Biegung muss ein Kaff kommen. Vielleicht gibt es da was zu holen.“ Sie gingen in Richtung Bach.
„Die haben doch alle selbst nichts. Sind doch auch nur Hungerleider“, jammerte der Mann mit dem Knüppel. „Lass das Geheule. Am Bach kannst du dich erst mal waschen. Du stinkst“, schnauzte der Mann mit dem Schwert, anscheinend der Rädelsführer. „Du duftest auch nicht gerade nach Blumen und …“ Der Schlag in sein Gesicht unterbrach ihn. Murrend gab er auf. Gemeinsam gingen sie zum Bach.
Die vier saßen am Ufer des Baches, aßen altes, mit Schimmel bedecktes Brot und tranken Wasser. Der Anführer blickte Richtung Weg und hob die Hand. Er deutete auf die Biegung. Um die Biegung kam im ruhigen Schritt ein Kaltblüter. Was für ein Pferd! Ein großer, wohlgeformter Kopf ruhte auf einem langen, mächtigen Hals mit langer hellbrauner Mähne. Der gewaltige, muskulöse Körper glich einer lebenden Kampfmaschine. Die starken Beine und die buschigen Fesseln endeten in den Hufen, gewaltig wie der Amboss eines Schmiedes. Doch die großen Augen, wie schwarze Bernsteine, ließen Liebe und Güte erkennen. Auf ihm saß ein Landsknecht. JAKOB. Er sah wild und verwegen aus. Seine langen Haare hingen ihm auf die Schultern. Um die Stirn trug er ein breites Lederband. Sein linkes Auge war von einer schwarzen Klappe bedeckt, eine helle Narbe zog sich von der Stirn bis zum Kinn. Auf den Rücken hatte er ein Bündel und ein Schwert geschnallt. Er entdeckte die Männer am Bach. Ohne sie zu beachten, ritt er langsam hin, stieg vom Pferd, das sofort zu saufen begann, kniete sich hin, tauchte seinen Kopf unter, spritzte sich Wasser auf die Brust und trank.
Als er sich aufrichtete, standen die wilden Gesellen direkt vor ihm. „He, Lump! Wer von unserem Wasser trinkt, muss dafür zahlen. Kannst du bezahlen?“ Jakob schaute sie verächtlich an und füllte in aller Ruhe seinen ledernen Wasserbeutel. „Hast du nicht gehört? Du musst bezahlen. He, antworte!“ Dabei hob er seinen Knüppel und legte ihn auf die Schulter. „Natürlich kann er nicht zahlen“, schaltete sich der Schwertträger ein. „Also nehmen wir den Gaul.“ Jakob band seelenruhig den Lederbeutel an seinen Gürtel, drehte sich um und wollte zu seinem Pferd. Einer der Räuber schleuderte seinen Knüppel und traf Jakob an der Schulter. Die anderen stürmten durch den Bach auf ihn zu. Mit einer unglaublichen Geschwindigkeit zog Jakob sein Schwert. Es war nicht irgendein Schwert. Es war ein Meisterwerk. Der Griff aus gedrehtem Kupfer und Messing, der Knauf ein vergoldeter Löwenkopf. Der vergoldete, sichelförmig gebogene Handschutz war mit Drachenköpfen verziert. Das Schwert war doppelt so lang wie Jakobs Arm, breit, dass man sich drin spiegeln konnte und beidseitig geschliffen.
Obwohl der Griff beidhändig gehalten werden konnte, benutzte Jakob nur die rechte Hand. Allein beim Anblick dieses Schwertes erschraken die Angreifer und wären am liebsten geflohen. Doch es war zu spät.
Der erste Hieb trennte einem der Angreifer den Kopf ab, der zweite durchschlug einen Räuber von der Schulter bis zum Brustbein. Geschockt und voller Angst flohen die beiden anderen. Jakob reinigte das Schwert im Bach, steckte es in die Scheide auf seinem Rücken und stieg auf sein Pferd. Er hätte nicht antworten können. Der letzte Schlag in der Schlacht hatte ihn nicht nur sein Auge gekostet, sondern er hatte auch seine Stimme verloren. Jakob verschwendete keinen Blick auf die beiden Toten und die Fliehenden. Er klopfte seinem Kaltblüter auf den Hals und lauschte dem Krähen des Hahnes.
Jakob ließ sein Pferd noch einmal trinken und sah in der Ferne einen Planwagen mit einem Ochsen stehen. An einem kleinen Feuer saßen zwei Gestalten. Ruhig ritt er los in Richtung Dorf.
Als Reiter und Pferd weit genug entfernt waren, kam die Frau mit ihren beiden Kindern aus dem Wald. Ruhig gingen sie weiter, um zu erledigen, wofür sie so früh aufgestanden waren.
Das durch die Ritzen im Holz flackernde Kerzenlicht war das Einzige, das den kleinen Raum in den Stallungen erhellte. Auf einem Holzgestell lag eine Strohmatratze. Auf ihr saß die junge Magd, das Gesicht in ihre Hände gestützt und weinte. Ihr stark gewölbter Bauch deutete auf eine baldige Niederkunft hin.
„Sie wussten …?“ „Dummes Ding“, sagte die ebenfalls junge Burgherrin. „Warum glaubst du, arbeitet nur altes Gesinde hier? Beilstein duldet keine anderen Hähne in seinem Stall“, sie lächelte traurig „außerdem, glaubst du, dass du die Einzige bist? Geh ins Dorf, dort laufen genügend Bälger herum, die meinem Gemahl und unseren Söhnen wie aus dem Gesicht geschnitten sind.“
„Was soll ich nur tun?“ Die Verzweiflung war deutlich hörbar. „Nun, was kannst du tun? Selbst wenn mein Gemahl euch nur vom Hof jagen würde … wo willst du hin? Im Dorf haben die Menschen selbst kaum was zum Leben.“ „Dann bin ich verloren!“ Ihr Schluchzen wurde lauter. „Hör mir zu!“ Die Burgherrin senkte ihre Stimme. „Richtung Westen, vor Coburg liegt ein Kloster. Der Abt dort ist ein guter Mensch und wird dir – vielleicht – helfen. Du musst dich beeilen. Es wird bald dunkel und es zieht ein Unwetter auf.“ Sie blickte noch einmal auf die verzweifelte junge Magd und verließ den Raum.
Starke Windböen peitschten den Regen durch eine kalte, schwarze, unwirkliche Nacht. Ein gewaltiger, weiß greller Blitz, der Hunderte Meter aus dem tiefdunklen Himmel durch die vom Sturm zusammengeballten Wolkenberge stach, erhellte für einige Sekunden die Lichtung.
Die junge, in Lumpen gekleidete Magd wurde zu Boden geschleudert, als der Blitz gleich einem Feuerstrahl in den einzigen Baum der Lichtung einschlug, ihn spaltete und in Flammen setzte. Ein ohrenbetäubender Donner, der dem Blitz unmittelbar folgte, unterstrich das Inferno.
Nachdem das letzte Grollen des Donners verhallte, zeugte nur noch der brennende Baum von dem gewaltigen Naturereignis, das eben stattgefunden hatte. Der brennende Baum erhellte wie eine überdimensionale Fackel im nahen Umfeld die schreckliche Nacht.
Die junge Frau richtete sich langsam auf und blickte, im nassen Gras kniend, auf den jetzt lodernden Baum. Regen, der in den Flammen verdampfte, verlieh dem Ganzen ein gespenstisches Bild.
Regen, der vom Sturm in ihr Gesicht gepeitscht wurde, lief gemischt mit Tränen in Rinnsalen über eingefallene Wangen, den dünnen Hals entlang über ein rotes Muttermal unter ihre Kleidung. Die Angst spiegelte sich in ihren weit aufgerissenen Augen wider. Sie setzte sich auf ihre Fersen, schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte laut, dass es selbst durch das Sturmgeheul und das Prasseln des Regens zu hören war.
Nicht weit von ihr, in respektvollem Abstand zum Feuerbaum, legte sich ein Wolf nieder. Ein Einzelgänger. Geduldig abwartend fixierte er die junge Frau. Er war verletzt und ausgehungert. Der Geruch des Menschen machte ihm Angst, aber er war in Not und er hatte Zeit.
Die junge Frau wusste von der Anwesenheit des Wolfes. Seit Stunden verfolgte er sie schon. Sie tastete suchend das nasse Gras ab und fand den armlangen Stock, der ihr beim Sturz aus der Hand gefallen war.
Drohend hob sie ihn über ihren Kopf. „Verschwinde, Bestie! Du bekommst weder mich noch mein Kind!“ Der Wolf bewegte die Ohren und starrte sie an.
Nachdem sie sich wieder erhoben hatte, strich sich die junge Frau über den stark gewölbten Bauch. „Was soll nur aus dir werden?“
Was hatte der Ritter von Beilstein gesagt, als sie ihm mitteilte, dass sie, nachdem er sie monatelang in ihrer Kammer aufsuchte und missbrauchte, ein Kind von ihm erwartete? „Du verdammte Hure! Wenn du es wagen solltest, mit einem Bastard vor mich und mein Weib zu treten, schlage ich dich tot und verfüttere das Balg den Schweinen.“ Mühsam hob sie den Kopf zum Himmel. „Gott! Wenn es dich gibt und du es für wert hältst, mich anzuhören, dann hilf mir! Zeig mir einen Ausweg, rette mein Kind!“
Lange blickte sie in den schwarzen Wolkenhimmel, so als erwartete sie eine Antwort. Dann senkte sie den Kopf und ging weiter. Langsam, mühevoll erhob sich der alte Wolf und trottete hinter ihr her. Sie verließen den flackernden Schein des brennenden Baumes und verschwanden in der stürmischen Dunkelheit.
Im kargen Essensraum des alten Klosters brannten die Kerzen in ihren Halterungen an der Wand. Schwarzer Rauch kräuselte nach oben. Das heiße Wachs tropfte durch die Schräglage der Kerzen auf den Boden. An einem langen Holztisch, auf dem ebenfalls Kerzen brannten, saßen auf Holzbänken Mönche und aßen schweigend selbstgebackenes, trockenes Brot.
Durch die offenen Fensterlöcher war ein gewaltiger Blitz zu sehen. Der folgende Donner ließ die Mönche innehalten. „Herr Jesus Christus!“, sagte ein junger Mönch. „Eher der Teufel!“, meinte sein Gegenüber, legte sein Brot ab und bekreuzigte sich. Der alte Abt am Tischende lächelte. „Weder noch“, sagte er freundlich, „es ist nur ein gewaltiger Ausbruch der Elemente, der Natur.“ Er nahm seinen Becher, blickte auf die Flüssigkeit und trank. „Es ist Leben, das wir sehen und hören können.“ „Was wird nur werden?“, fragte ein junger Mönch, „alles sieht nach Krieg aus.“ „Ein Krieg im Namen des Herrn“, sagte ein anderer. „Schweig!“, herrschte ihn der alte Abt an, überlegte kurz und sprach dann ruhig weiter. „Der Herr hat damit nichts zu tun. Die Menschen entscheiden solche Dinge. Gott wird denen beistehen, die an ihn glauben.“
Blitz und Donner waren seltener geworden, aber immer noch gewaltig. Dafür hatte der Himmel alle Schleusen geöffnet. Es regnete in Strömen, als die junge Frau an den Waldrand kam und vor sich die alten Gemäuer des Klosters sah. Kerzenlicht, das durch die Fensteröffnungen flackerte, zeigte an, dass dieses Kloster bewohnt war.
Ein gewaltiger Blitz, gefolgt von einem nicht minder erschreckenden Donner, war das letzte Aufbäumen des sich entfernenden Gewitters.
Plötzlich schrie die Frau vor Schmerzen auf und fiel auf die Knie. Schon seit längerer Zeit kamen in Intervallen die Wehen. Doch die Abstände wurden jetzt immer kürzer und die Schmerzen intensiver. Sie spürte, wie eine warme Flüssigkeit ihre Schenkel hinunterlief. Sie wusste, dass es so weit war. Über ihr ragte der starke Ast des Baumes, unter dem sie kniete.
Unter Schmerzen erhob sie sich und umklammerte mit blutleeren, nasskalten Fingern den Ast und ließ sich hängen. Sie schrie ihren Schmerz laut und lang in den Regen hinein. Dann kam es. Plötzlich und schnell. Sie spürte, dass das Baby ihren Körper verlassen hatte.
Die junge Frau ließ den Ast los, griff unter sich und holte das neue Leben hervor. Sie löste das Kind von sich und hielt es an den Beinen, mit dem Kopf nach unten, in den Regen. Dann schlug sie mit der flachen Hand auf den kleinen Po. Danach wickelte sie den kleinen schreienden Jungen in ihr Kopftuch und ging Richtung Kloster.
Nachdem sie sich vom Waldrand entfernt hatte, stand der alte Wolf unter dem Baum. Er schnupperte. Seine Geduld hatte sich gelohnt. Gierig fing er an, die Nachgeburt aufzufressen.
An der Seite des mannsgroßen Holztores hing eine Zugglocke. Die junge Frau saß auf dem kleinen Steinabsatz vor dem Tor und blickte in das kleine, ruhige Gesicht des Jungen.
Die Augen waren noch verschlossen, doch die Ärmchen bewegten sich suchend in Richtung seiner Mutter. Mit einem Händchen hielt er einen ihrer Finger umschlossen. „Werde etwas ganz Besonderes und gib meinem Leben einen Sinn!“ Dann löste sie ihren Finger, legte das kleine Bündel auf den Steinabsatz, nahm ein Lederband von ihrem Hals, an dem eine kleine selbstgeschnitzte Flöte hing, und hängte es dem Baby um. Danach zog sie ein paar Mal kräftig an dem Glockenstrang.
Im Essenssaal standen die Mönche mit gesenktem Kopf, gefalteten Händen und dankten für ihr Abendmahl. Als die Torglocke laut läutete, hoben sie ihre Köpfe und blickten fragend auf den Abt. „Sucht wohl ein Wanderer Schutz vor dem Unwetter. Lassen wir ihn ein!“ Er nickte seinen Brüdern zu und ging, von ihnen gefolgt, aus dem Saal. Staunend stand der alte Abt vor dem offenen Tor und blickte in die dunkle Regennacht. Niemand war da und bat um Einlass. Er wollte gerade nach draußen gehen, als unter ihm das Baby schrie. Erschrocken hob er das kleine Lumpenbündel auf und hielt einen schreienden Jungen im Arm. Mit dem Baby trat er nach draußen, aber keine Menschenseele war zu sehen. Der alte Abt drehte sich wieder um und blickte in die ratlosen Gesichter seiner Brüder. „Was für einen Heiligen haben wir heute?“, fragte er. „Den Hl. Jakob“, kam die Antwort. Der Abt blickte auf das Baby. „Bruder Benedikt, geh ins Dorf, wir brauchen eine Amme. Also, mit Gottes Segen, sei hier willkommen, kleiner Jakob!“
Nach einer fürchterlichen Gewitternacht war der Himmel über Burg Beilstein wieder strahlend blau. Die Sonne war schon aufgegangen, stand aber noch im Osten. Die Knechte arbeiteten bei den Stallungen. Einige fuhren mit Ochsenkarren durch das Burgtor in Richtung der Felder. Ein großer Junge saß am Brunnenrand, mit zwei glatt geschnitzten Stöcken in der Hand. Ein kleinerer, der jüngere Bruder des Jungen, lehnte im Eingang der Burg und beobachtete seinen älteren Bruder. Die junge Magd kam aus dem Stall. Sie sah krank und schwach aus. Sie ging zu einem Karren mit Strohballen, nahm einen herunter und schleppte ihn Richtung Stall. Vor dem Stall ließ sie den Ballen zu Boden gleiten und setzte sich erschöpft darauf. Aus der Burg trat der alte Beilstein, sah sich um, ging zu seinem Sohn am Brunnenrand. „Na, Konrad, wo ist dein Bruder, der kleine Feigling?“ Er deutete auf die beiden Stöcke. „Drückt sich wohl vor dem Kampf.“ Er lachte laut dröhnend. Da fiel sein Blick auf die Magd.
Er klopfte seinem älteren Sohn auf den Kopf. „Schlag ihn grün und blau, den kleinen Bastard!“ Festen Schrittes ging er auf die Magd zu, die weinend auf dem Strohballen saß.
Alfred Beilstein, der Herr der Burg, schritt gemächlich auf sie zu. In der Hand einen dünnen Weidenstecken. Vor ihr blieb er stehen. „Wie ich sehe, ist das Balg verschwunden. Weggeworfen, was?“ Er lachte schallend. „Dein Glück. Hast wenigstens dein Leben gerettet.“ Er hob den Stecken. „Und jetzt wieder an die Arbeit.“ Mit einem wuchtigen Hieb schlug er ihr auf das rote Muttermal am Hals. Über den Schmerzensschrei lachend ging er in Richtung Burg. Nachdem sein Vater verschwunden war, kam der kleinere Junge aus seinem Versteck, lief über den Hof in Richtung Magd. „He Wolf, was ist los? Wir wollten kämpfen!“, rief ihm sein größerer Bruder Konrad nach. Dabei schlug er laut beide Stöcke aneinander. Unbeirrt lief Wolf weiter zur Magd.
„Tut’s arg weh?“ Der kleine Wolf von Beilstein half der Magd auf und nahm den Strohballen. „Nein, es geht.“ Sie strich dem Jungen über den Kopf. Wolf deutete auf eine kleine Flöte, die die Magd um den Hals trug. „Ich habe gesehen, wie du sie geschnitzt hast. Kannst du auch darauf spielen?“ Sie nahm die Flöte und fing an zu spielen. „Soll ich es dir beibringen?“, fragte sie ihn.
„He, kleiner Bruder, Zeit zum Kämpfen.“ Auf dem Hof stand Konrad mit den beiden Stöcken in den Händen. Wolf zuckte mit den Achseln und lief los.
Schwitzend und zum Teil aus kleinen Wunden blutend, prügelten die beiden Buben mit glatten Holzstangen aufeinander ein. Verzweifelt versuchte sich der Kleinere, der sechsjährige Wolf, gegen die brutalen Hiebe seines zwei Jahre älteren Bruders zu wehren.
Im offenen Burgfenster stand der Burgherr, Vater der Buben, Alfred von Beilstein und brüllte in den Hof: „Schlag ihn auf die Arme und Hände, Konrad! Dann verliert er die Deckung und den Stock!“ Lachend machte der ältere Bruder, was ihm der Vater geheißen. „Wolf ist kleiner und schwächer. Konrad wird ihn verletzen!“ Ängstlich stand die Burgherrin hinter ihrem Mann und beobachtete die Szene. „Na und? Nur durch Schmerzen lernt dieser Schwächling!“ Besorgt blickte die Mutter auf den sich tapfer wehrenden Wolf. „Er ist auch dein Sohn!“ Der Burgherr drehte sich, packte seine Frau an den schmächtigen Schultern und schüttelte sie. „Da habe ich meine Zweifel! Wäre ich sicher, würde ich euch im Graben ertränken!“ In diesem Moment hallte ein lauter Schmerzensschrei nach oben. Der Burgherr ließ seine Frau los und blickte nach unten. Auf der Wiese kniete Konrad, beide Hände vors Gesicht haltend. Wolf hatte ihn mit einem verzweifelten Abwehrhieb getroffen und ihm die Nase gebrochen. Der Burgherr drehte sich um und sah in das lächelnde Gesicht seiner Frau. Wütend holte er aus und schlug mit aller Kraft zu. Durch die Wucht des Schlages flog sie nach hinten in den Raum und knallte mit dem Kopf gegen den schweren Eichentisch. Es knackte laut, als ihr Genick brach.
Menschliches Elende
Was sind wir Menschen doch! Ein Wonhauß grimmer Schmertzen?
Ein Baal des falschen Glücks / ein Irrliecht dieser Zeit /
Ein Schauplatz aller Angst / unnd Widerwertigkeit /
Ein bald verschmelzter Schnee / und abgebrante Kertzen /
Diß Leben fleucht darvon wie ein Geschwätz und Schertzen,
Die vor uns abgelegt des schwachen Leides Kleid /
Und in des Todten Buch der grossen Sterbligkeit
Längst eingeschrieben sind; find uns auß Sinn’ und Hertzen;
Gleich wie ein eitel Traum leicht auß der acht hinfällt /
Und wie ein Strom verfleust / den keine Macht auffhelt;
So muß auch unser Nahm / Lob / Ehr und Ruhm verschwinden.
Was itzund Athem holt; fält unversehns dahin;
Was nach uns kompt / wird auch der Todt ins Grab hinzihn /
So wird verjagt gleich wie ein Rauch von Winden.
Andreas Gryphius
„Diese verdammten, gottlosen Protestanten!“ Jaroslav Borsita Graf von Martinic lief mit auf dem Rücken verschränkten Händen durch den Ratssaal der Prager Burg. Der Bote Saviz Wezlava, ein junger Diener der Hochkanzlei, stand zitternd mit gesenktem Kopf, den Rücken an die geschlossene Tür gelehnt.
Der Graf streckte die geballte Faust nach oben und brüllte. „Was erlauben sich diese popligen, abtrünnigen, sogenannten adeligen Protestanten!“ Er verschluckte sich und hustete. Mit heiserer Stimme rief er: „Die Entscheidungen unseres Kaisers in Frage zu stellen!“
Vilem Slovata, seines Zeichens kaiserlicher Statthalter, ging auf Saviz zu, blieb vor ihm stehen. „Bist du sicher? Sie sind auf dem Weg hierher? Der gesamte protestantische Adel?“ Der junge Saviz hob den Kopf. „Nicht nur der Adel, Herr! Auch das protestantische Volk, der Pöbel! Und sie werden gleich hier sein!“
Johannes Fabricius, kaiserlicher Hofschreiber, stand am offenen Fenster und blickte nach unten. „Sie sind schon da!“ Jetzt konnte man es auch hören. Graf Borsita und Vilem Slovata eilten zum Fenster, während der junge Saviz sich heimlich leise aus dem Raum stahl.
Neben der Tür stand auch ein junger Priester mit einem Buben, den er fest an der Schulter gepackt hielt. Nachdem Saviz verschwunden war, flüchtete er ebenfalls durch die Tür, den Jungen hinter sich herziehend.
„Greifen wir uns die hochnäsige katholische Brut!“ Der junge Adlige Freiherr von Lovize ritt, neben ein paar anderen Adeligen, durch das Prager Burgtor, gefolgt von einer wütenden lautstark grölenden Volksmeute, bewaffnet mit Dreschflegeln und anderen Handwerksutensilien.
Im Hof stiegen sie vom Pferd und auf ein Zeichen des Freiherrn stürmten über zwanzig Männer in die Burg.
„Helft mir!“, rief der Graf den beiden anderen zu, während er den schweren Schreibtisch gegen die Tür schob. Gemeinsam versuchten sie, mit Möbelstücken die Tür zu verbarrikadieren.
Dann ging alles ganz schnell. Dem starken Druck von außen konnte die Barrikade nicht stand halten. Die Möbel brachen mitsamt der Tür im Inneren des Raumes zusammen. Im Nu war der Saal mit den protestantischen Adeligen gefüllt.
Der Freiherr von Lovize stellte sich breitbeinig vor den drei Beamten auf. Der Graf ging wütend auf ihn zu. „Das wird euch allen den Kopf kosten! Ihr befindet euch in einer kaiserlichen Burg und wir sind kaiserliche Beamte!“
„Ihr seid katholische Bastarde, Unterdrücker und Volksverräter“, entgegnete ihm der Freiherr. „Wir sind hier, um euch den Prozess zu machen.“ Vilem Slovata rief voller Angst und Entsetzen: „Dazu habt ihr kein Recht! Ihr seid kein ordentliches Gericht und wir sind keine Verbrecher!“
Der Freiherr deutete wütend um sich. „Das sind die Ankläger! Ich bin der Richter! Man klagt euch der Unterdrückung und dem Verrat am protestantischen Volk von Prag an!“ Auffordernd blickte er in die Runde. „Wie lautet euer Urteil?“ Ein lauter Aufschrei der anwesenden Protestanten „SCHULDIG!“ Der Freiherr drehte sich zu den beiden Statthaltern um. „Ihr habt es gehört. Schuldig!“ Zum Pöbel: „Werft sie aus der Hofkanzlei!“
„Ich protestiere!“, war der letzte Ausruf des Grafen. Dann packten ihn und den armen, um Hilfe schreienden Slovata die Männer und unter Lachen und Grölen warfen sie die beiden aus dem geöffneten Fenster in die Tiefe.
„Das ist ein Verbrechen! Das wird euch teuer zu stehen kommen!“, schimpfte mutig der Schreiber Fabricius. „Ihr habt einen vergessen!“, rief der Freiherr. Und schon flog der kaiserliche Hofschreiber Johannes Fabricius durch das Fenster. Zum Glück oder durch göttlichen Schutz landeten die drei Katholiken auf dem sich unter dem Fenster befindenden Misthaufen und blieben unversehrt.
Unter Tritten, Schlägen und Bespucken rannten sie durch die lachende Menge. Außerhalb der Burg drehte sich der Statthalter Jaroslav Borsita von Martinic um, hob, während ihm der Mist vom Kopf fiel, drohend die Faust und rief laut: „Das werdet ihr noch bereuen. Ihr wisst nicht, was ihr damit ausgelöst habt!“
Der Graf wusste nicht, wie recht er mit dieser Aussage hatte.
Ihr Sturz aus dem Fenster in den Misthaufen löste einen Krieg aus, der dreißig Jahre dauern sollte.
Der junge Priester lief, den Buben hinter sich herziehend, die Treppe des Rathauses hinunter und durch den Hintereingang ins Freie. Hastig überquerten sie einen kleinen Hof, liefen weiter durch eine Gasse bis zur Kirche. Hinter der Kirche zog er den Jungen in ein kleines Häuschen, das Pfarrhaus. Schnell verriegelte er das Haus und schubste den Buben in die Wohnkammer.
In einer spärlichen Kammer zog sich der junge Priester die Kutte über den Kopf. Darunter war er nackt. Neben dem kleinen Holzofen lehnte der Junge. Sein Blick war panisch. „Komm zu mir, August“, befahl der Priester. Dann ging alles ganz schnell. August griff sich den Schürhaken, der neben dem kleinen Holzofen stand, stürmte los und schlug mit aller Kraft zu. So schnell, dass der junge Pfaffe keine Chance hatte, den Schlag abzuwehren. Der Hieb traf den Priester seitlich und riss ihm ein Ohr ab. Er fiel um wie tot. Lächelnd ließ der Junge den Haken fallen und verließ die Kammer.
Der Himmel war mit dichten, dunklen Wolken behangen. Nur ab und zu riss die Wolkendecke auf und ließ ein paar Sonnenstrahlen hindurch. Aber es waren nur ein paar lichte Momente. Vor dem Kloster arbeitete ein Mann mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern auf dem Feld. Sie waren nicht nur ärmlich gekleidet, sie sahen auch erbärmlich aus. Die Not war schon lange ein ständiger Begleiter. „Wir schuften uns zu Tode, und wofür?“ Der Mann nahm einen Schluck Wasser aus einem Krug. Seine Frau stützte sich auf die Harke. „Es wird nicht so bleiben. Auch diese Zeit geht irgendwann vorbei. Wir müssen auf Gott vertrauen und uns auf ihn verlassen!“ „Irgendwann! Irgendwann! Bis dahin sind wir erschlagen oder verhungert.“ Voller Wut schleuderte er seine Harke zu Boden und blickte Richtung Kloster, schüttelte kurz den Kopf und lief los. „Wohin gehst du?“, rief ihm seine Frau nach. „Ich vertrau auf Gott und hol mir was von ihm zu futtern!“ Am Klostertor läutete die Glocke. Kurz darauf öffnete ein Mönch das Tor. „Was möchtest du? Brauchst du Hilfe?“ „Was zu essen! Ich und …“, er deutete hinter sich auf die drei arbeitenden Frauen, „… meine Familie haben Hunger!“ Nachdenklich blickte der Mönch von ihm zu den Frauen auf dem Feld. „Warte einen Moment!“ Dann schloss er das Tor. Der alte Bauer setzte sich erschöpft auf den Treppenabsatz und vergrub seinen Kopf in die Hände. Kurz darauf öffnete sich das Tor. „Wir haben aus einem besonderen Anlass Fladenbrot gebacken.“ Er reichte dem Bauern zwei Brote. Der nahm sie dankbar an. „Gott vergelts.“ Dann ging er wieder Richtung Feld. Der Mönch schloss das Tor und lehnte sich traurig dagegen.
Hell tönte die kleine Glocke der Klosterkapelle durch die Klosteranlage. Der kleine Junge stand mit zwei dünnen Weidenstöcken vor dem im Gemüsebeet knienden jungen Mönch. Auffordernd streckte er einen der Stöcke dem Mönch entgegen. „Kämpfst du mit mir, Benedikt?“ Benedikt hob seinen Kopf und lächelte das Kind an. „Ich hätte schon gern gewusst, wer dein Vater ist, mein Sohn. Was immer wir auch versuchen, dich interessiert nur eins. Stöcke schlagen. Komm, ich zeig dir, wie man Gemüse anpflanzt.“ „Kämpfst du mit mir?“ Beharrlich hielt der Kleine den Stock ausgestreckt. Seufzend erhob sich der Mönch und nahm den Stock. Sofort begann das Kind auf ihn einzuschlagen. Wieder tönte der helle Glockenklang von der Kapelle herüber. „Das gilt uns, alle sollen zur Kapelle kommen.“ Bastian reichte dem Jungen das Stöckchen, der es widerwillig nahm. Nachdem er den Mönch mit seinem Stock in den Bauch gestochen hatte, rannte der Kleine Richtung Kapelle. „Nachher machen wir weiter, Benedikt!“ Kopfschüttelnd folgte er dem Kleinen. „War bestimmt ein Soldat, der Vater!“
Vor der Kapelle waren alle Mönche versammelt. Vor ihnen stand der alte Abt. Er hielt ein Fladenbrot mit Bienenhonig in der Hand und reichte es dem kleinen Jungen. „Herzlichen Glückwunsch zu deinem 4. Geburtstag, Jakob.“ Freudig nahm der kleine Jakob das Brot und fing an zu essen.
Der Himmel hatte sich zugezogen, es begann zu regnen. „Wie seltsam“, sagte ein Mönch „wie vor vier Jahren.“ „Nicht seltsam. Es ist ganz normal um diese Jahreszeit!“, meinte der alte Abt lächelnd. „Gehen wir wieder in den Garten!“ Jakob hatte sein Geburtstagsbrot aufgegessen, ungeduldig zupfte er an Benedikts Kutte. „Es regnet schon, wir würden nass werden.“ „Das ist lustig!“, rief Jakob und rannte in den Regen. Aus der Ferne drang dunkles Grollen zum Kloster herüber. „Hörst du das“, fragte Benedikt den kleinen Jakob. „Ja, klingt wie ein fernes Gewitter. Nur ohne Pause und Blitze.“ „Oh, dort wo es herkommt gibt es genügend Blitze“, murmelte Benedikt nachdenklich „und sie treffen nicht nur Bäume.“ „Da will ich hin. Das will ich sehen.“ Mit seinen Stöckchen in die Luft schlagend, rannte er in den Regen. „Jakob.“ Diesmal war Benedikts Stimme laut und streng. „Schluss mit dem Unsinn. Jetzt wird gelernt!“ Erschrocken über diesen ungewohnten Ton, trottete Jakob mit hängenden Schultern hinter Benedikt ins Gebäude.
Eines der Brote hatten der Bauer, seine Frau und die beiden Töchter bereits gegessen. Sie hatten hart gearbeitet. Eine der beiden Töchter rechelte das geharkte Unkraut auf einen Haufen. Sie wischte sich erschöpft den Schweiß von der Stirn. „So viel Unkraut und kein Ende.“ „Wie dieser verdammte Krieg.“ Der Bauer wollte mit einem Feuerstein den Unkrauthaufen entzünden, als es zu regnen begann. Erst leicht, dann immer stärker. Der Bauer schüttelte wütend den Kopf. „Wie dieser verdammte Krieg. Man kann es nicht vernichten!“ Er blickte zum immer dunkler werdenden Himmel auf. „Lasst uns nach Hause. Dem Regen folgt bald ein Gewitter.“ Er hob das zweite Brot von einem Stein auf und steckte es, vor dem Regen schützend, unter sein Wams. „Wenigstens können wir heute Brot in die fettlose Brühe brocken.“ Gemeinsam gingen sie in die Richtung eines kleinen Hofes. Sie hatten ihn gerade erreicht, als das Gewitter mit strömendem Regen den Tag zur Nacht machte.
Der Regen aus Eisen
Kein Schirm kein Schild kann uns schützen
Die Krater sammeln rote Pfützen
Drin liegen Teile weißen Fleisches.
Was sich vorher konnte noch bewegen
Zerschmettert hat der eiserne Regen
Kein natürlich Blitz und Donner
machen so viel Witwen, Waisen,
wie der Regen aus Eisen.
H. P. Wieczorek
Über die gesamte Anhöhe und die sich anschließende Senke erstreckte sich das riesige Heereslager von Christian von Anhalt-Böhmen. Zwischen den Zelten brannten unzählige Lagerfeuer, die Löcher in die dunkle mond- und sternenlose Nacht rissen. Um sie herum saßen die Söldner, aßen ein karges Mahl, tranken oder rauchten aus selbstgeschnitzten Pfeifen den wenigen Tabak, den sie mit trockenem Gras vermischt hatten. Einige sangen oder unterhielten sich, andere schwiegen vor sich hin. Ein paar tausend Meter auf der anderen Seite des Tales, unterhalb vom Weißenberg, erhellten die Feuerstellen von Tillys Truppen den Nachthimmel. Ein alter Landsknecht murmelte ein paar unverständliche Worte.
„Ich glaube, der betet“, meinte ein junger, verwegen aussehender Söldner und spuckte ins Feuer. Sein Kamerad neben ihm zuckte nur gleichgültig mit den Achseln. Es interessierte ihn herzlich wenig, er blickte nur verärgert auf seinen leeren Blechteller, der neben ihm auf dem Boden lag. „Was kümmert's mich!“ Er versuchte mit einem brennenden Holzspan, die feuchtgewordene Tabak-Gras-Mischung anzuzünden. „Nichts mehr zu fressen, keinen anständigen Tabak zum Rauchen, wer kann da einen guten Kampf erbringen!“ Er schaute auf den murmelnden Kameraden. „Wenn ich an diesen Mist glauben würde, dann würde ich beten, die verfluchten Stinkschweden erschlagen und erstechen zu können, und zwar alle auf einmal!“ Unbeirrt setzte der alte Landsknecht sein stilles Gebet fort. „Alter Soldat! Bittest du den da oben“, er blickte verächtlich in den dunklen Himmel, „oder wen auch immer, dass er dir hilft, so viel wie möglich von dem Schwedenpack zu erschlagen?“ Der Alte murmelte noch eine Weile sein unverständliches Gebet vor sich hin, dann stand er auf und ging zu seinem Zelt. Ohne sich umzudrehen, sprach er mit tiefer, rauer Stimme. „Nein, ich bete, dass sie mich nicht erschlagen!“ „So ein Unsinn! Gewäsch eines Feiglings!“ Er lachte dem Alten, der unbeeindruckt in sein Zelt ging, nach.
Eine Feuerstelle weiter saßen die Trommelbuben und schlugen rhythmisch auf ihre kleinen Trommeln. „Sieh die an!“, sagte der Junge zu seinem Kameraden, der immer noch bemüht war, seine Pfeife anzuzünden, „die kleinen Burschen haben Mut, sie spielen in Vorfreude auf den morgigen Kampf.“ „Nein, sie haben Angst!“ Endlich stieg Rauch aus der Pfeife. Mit kräftigen Zügen schaffte er es, den Tabak zum Brennen zu bringen. Zufrieden inhalierte der Mann den Rauch. „Sie spielen, weil sie Angst haben.“ Die Buben trommelten weiter. Aus der Ferne, von der anderen Seite, klang die Antwort herüber. Es war kein Echo, es waren die Trommelbuben der Schweden. „Außer diesem da.“ Er deutete mit der Pfeife auf den jungen August. „Der ist voller Hass. Da hat die Angst keinen Platz.“ „Hass?“, fragte der junge Söldner, „der ist doch höchstens erst 14.“ „Jaja“, lachte der Alte „ich habe zugehört, als er mit dem Hauptmann sprach und warum er zum Heer wollte“, er zog an seiner Pfeife.
„Er hat einem katholischen Pfaffen, der ihn zum Lustknaben machte, das Ohr abgeschlagen.“ „Hol mich der Teufel“, sagte der junge Söldner. Als ob er verstanden hätte, blickte August in Richtung der beiden und trommelte wild.
Der alte Landsknecht ging mit seinem Schwert zu seiner kampfbereiten Truppe. „Ja, Trommelbube, trommle.“ Und August trommelte mit den anderen, als die Schlacht losging.