Die Gene und der Liebe Gott - Rechi Stuwe - E-Book

Die Gene und der Liebe Gott E-Book

Rechi Stuwe

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Beschreibung

Wegen genetisch bedingtem Makel wurde der Autor als Junge schon im Kindergarten gehänselt, das ging auch in den folgenden Lebensjahren nicht spurlos an ihm vorbei. 1934 geboren, wächst der Junge in einem Dorf am Albrand auf. Kann sich noch einigermaßen an den Beginn des zweiten Weltkriegs erinnern. Auch an die dadurch entstandenen Entbehrungen und Auswirkungen des Krieges im Alltag. Auch die Nachkriegszeit mit ihren Ereignissen wird deutlich wiedergegeben und die eine oder andere Schwärmerei wird nicht vernachlässigt. Auch erotische Ereignisse werden so geschildert, wie sie sich wirklich zugetragen haben. Die lebendige Erzählung illustriert auch private und politische Momente der folgenden Jahre. Die Währungsreform von 1948 sowie berufliche Stolpersteine und Enttäuschungen in Sachen Liebe. Ein wesentlicher Abschnitt im weiteren Leben des Autors spielte sich in dem damaligen West-Berlin ab, wo auch die vier Kinder geboren wurden und 1961 der Bau der Mauer hautnah miterlebt wurde, sehr viel Ereignisse und berufliche Veränderungen illustrieren das Kaleidoskop bis zur Gegenwart. Das Buch ist für Leser unter 16 Jahren nicht geeignet!

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.ddb.de abrufbar.

Hergestellt in Deutschland • 1. Auflage 2017

© Heimdall Verlag, Devesfeldstr. 85, 48431 Rheine,

www.heimdall-verlag.de

© Alle Rechte beim Autor: Rechi Stuwe

Satz und Produktion: www.lettero.de

Coverbild: © Kirsty Pargeter, Fotolia.com

Gestaltung: © Matthias Branscheidt, 48431 Rheine

ISBN: 978-3-946537-34-2

Weitere Bücher

als E-Book, Print- und Hörbuch unter:

www.heimdall-verlag.de

www.meinaudiobuch.de

Über das Buch

Wegen genetisch bedingtem Makel wurde der Autor als Junge schon im Kindergarten gehänselt, das ging auch in den folgenden Lebensjahren nicht spurlos an ihm vorbei.

1934 geboren, wächst der Junge in einem Dorf am Albrand auf. Kann sich noch einigermaßen an den Beginn des zweiten Weltkriegs erinnern.

Auch an die dadurch entstandenen Entbehrungen und Auswirkungen des Krieges im Alltag. Auch die Nachkriegszeit mit ihren Ereignissen wird deutlich wiedergegeben und die eine oder andere Schwärmerei wird nicht vernachlässigt.

Auch erotische Ereignisse werden so geschildert, wie sie sich wirklich zugetragen haben.

Die lebendige Erzählung illustriert auch private und politische Momente der folgenden Jahre. Die Währungsreform von 1948 sowie berufliche Stolpersteine und Enttäuschungen in Sachen Liebe.

Ein wesentlicher Abschnitt im weiteren Leben des Autors spielte sich in dem damaligen West-Berlin ab, wo auch die vier Kinder geboren wurden und 1961 der Bau der Mauer hautnah miterlebt wurde, sehr viel Ereignisse und berufliche Veränderungen illustrieren das Kaleidoskop bis zur Gegenwart.

Das Buch ist für Leser unter 16 Jahren nicht geeignet!

Vorwort

Der eigentliche Grund für diese Niederschrift ist hauptsächlich die Tatsache, dass ich nie mit meinen Kindern über meine eigene Kinderzeit und die damit verbundenen Entbehrungen gesprochen habe. Höchstens mal der Hinweis, dass es früher anders war.

Ich will hiermit versuchen darzustellen, was ein zur Bescheidenheit verdammtes Leben so alles an Ereignissen erfahren musste.

Sollte dennoch ein Buch daraus werden, so will ich doch aus besonderen Gründen anonym bleiben.

Meine Aufzeichnungen entsprechen zu 99 % der Wahrheit, eine Umschreibung aus bestimmten Gründen sollte erlaubt sein. Alles beruht auf Erinnerungen, die vielleicht ein anderer anders in Erinnerung hat. Es könnte durchaus Abweichungen geben.

Mein Geburtsort ist: Ein Dorf am Rande der Schwäbischen Alb.

Für meine Kinder soll es ein Hinweis auf meine Vergangenheit sein sowie auch auf ihre eigene Entstehung.

Andere mögen vielleicht Parallelen zu ihrer eigenen Vergangenheit feststellen.

Jeder hat ja seine eigene Vergangenheit.

Nun viel Spaß beim Lesen.

Die Kindheit

Geboren an einem Wintertag im Januar 1934. Als Sohn eines Vaters, der aus einer bescheidenen, bäuerlichen Familie mit elf Geschwistern stammt. Einer Mutter, die aus einem Krämerhaushalt mit zwölf Personen hervorkam. In einem Dorf mit etwa 1200 Einwohnern.

Ich selbst war das vierte Kind meiner Familie. Davor waren drei Schwestern, die fünf, sieben und dreizehn Jahre vor mir zur Welt kamen. Fünf Jahre danach wurde noch mein Bruder geboren. Die älteste Schwester war vorehelich zur Welt gekommen.

Meine Großeltern habe ich nicht mehr kennen gelernt.

Alles andere als gute Aussichten für ein vielversprechendes Leben. Schon bei meiner Geburt waren schlechte Vorzeichen gegeben. Mein Vater war an dem Tag beruflich außerorts mit dem Motorrad unterwegs. Plötzlicher starker Schneefall hatte an dem Tag, an dem ich geboren werden sollte, verhindert, dass mein Vater rechtzeitig zu Hause sein konnte.

Wie es mir später meine Mutter erklärte, war die älteste Schwester bereits in der Fremde im Pflichtjahr als Dienstmädchen beschäftigt (die Mädchen mussten ein Jahr in einem Haushalt in der Stadt arbeiten).

Die beiden kleineren Schwestern schliefen bereits, als bei meiner Mutter die Wehen einsetzten. Ihr blieb keine andere Wahl, als bei starkem Schneetreiben selbst zur Hebamme, die zur damaligen Zeit als Geburtshelferin zuständig war, zu gehen, etwa 500 Meter Fußweg.

Telefone gab es noch nicht. Nur bei der Post war Telefonieren möglich.Die beiden Frauen schafften es gerade noch, unser Haus zu erreichen, um mich zu entbinden. Es ist scheinbar trotzdem alles gut verlaufen, denn mehr konnte ich später nicht erfahren.

Aber es gab da scheinbar ein Gendefekt oder hatte der »Liebe Gott« etwas geschlampt?

Dieses Kind (also ich) hatte nach kurzer Zeit auch Haare bekommen, aber zu aller Enttäuschung waren die Haare rot. Dazu kam auch noch, dass die etwas zu groß geratenen Ohren sehr vom Kopf abstanden. Also nicht gerade das Idealbild eines Kindes, was auch im späteren Leben zum Teil sehr negative Auswirkungen zur Folge hatte. Aber darüber später mehr.

Meine Erinnerungen gehen etwa bis zum vierten Lebensjahr zurück. Ich ging jeden Tag in den Kindergarten. Er war gegenüber, in einem ehemaligen Gasthaus untergebracht. Betreut wurde der Kindergarten von barmherzigen Schwestern. Sie waren nicht nur für die Kinderschule da, sie versorgten auch noch die Kranken und auch leichte Verletzungen.

Ein Arzt war im Dorf nicht vorhanden. War die Anwesenheit eines Arztes erforderlich, so musste dieser aus einem 10 km entfernten Ort gerufen werden. Im Sommer war es kein Problem, denn er hatte bereits ein Auto. Aber wenn im Winter starker Schneefall war, musste er mit dem Pferdeschlitten anreisen.

Es war ein Allroundarzt, nicht nur für Krankheiten und kleinere Operationen, auch das Zähneziehen gehörte zu seinem Programm. Wenn es notwendig war, zog er die Milchzähne ohne jede Betäubung. Was zur Folge hatte, dass ich jahrelang Angst vor dem Zahnarzt hatte.

Auch der Zahnarzt war im 10 km entfernten Nachbarort. Eine Fahrverbindung gab es nicht. Wenn wirklich eine Behandlung notwendig war, dann waren die Schmerzen schon fast unerträglich, manchmal waren die Zähne nicht mehr zu retten, weil man zu spät hingegangen war.

Nun zurück zum Kindergarten. Wir nannten es damals Kinderschule. Es war eine rein katholische Einrichtung, weshalb wir auch katholisch erzogen wurden. Auch die Spiele, die wir machten, waren immer auf die Kirche zugeschnitten. Gesungen wurden sehr viele Kinderlieder, aber auch mit christlichem Hintergrund. Eigentlich bin ich sehr gerne in den Kindergarten gegangen. Wenn ich am Vormittag nach dem Kindergarten nach Hause kam, wartete schon die mit Milch gefüllte Trinkflasche auf mich. Die Flasche stand im Wasserbad, in der Ofenröhre oder auf dem Herd. Die Trinkflasche war aus Blech und konnte zum Reinigen in der Mitte auseinandergeschraubt werden. Einige haben mich deshalb auch ausgelacht, weil ich als Fünfjähriger immer noch den »Budel« (Flasche) trank. Aber für mich war das etwas Besonderes. Leider wurde ich in der Kinderschule immer wieder gehänselt, wegen meiner rötlichen Haare und der abstehenden Ohren.

Meine Mutter hat mir, ähnlich eines Stirnbandes, einen Ohrenschützer gemacht, der nicht nur die Ohren vor Kälte schützen sollte, sondern auch dafür sorgte, dass die Ohren auch in der Nacht an dem Kopf anlagen. Es hatte sich gelohnt, denn schon nach einigen Jahren brauchte ich diese Hilfe nicht mehr.

Die angeborene helle Hautfarbe hatte natürlich zur Folge, dass bei einigen Sonnenstrahlen sofort an Gesicht und den Armen sehr starke Sommersprossen auftraten.

Darüber hinaus gab es bei längerem Aufenthalt an der Sonne schnell einen Sonnebrand. Somit konnte ich mich auch nicht, wie andere Kinder, länger ohne Schutz der Sonne aussetzen.

Sonnenschutzkrems gab es damals ja noch nicht. Und wer schon mal einen Sonnenbrand hatte, weiß, wovon ich rede. Nicht nur die Schmerzen, die ein solcher Sonnenbrand verursacht hat, waren schlimm, sondern die dadurch folgenden schlaflosen Nächte. Es wurde erst besser, wenn sich die verbrannte Haut, unter wahnsinnigem Juckreiz, gelöst hatte. Es kam nicht nur einmal im Jahr vor, dass ich darunter leiden musste. Deswegen sollte ich auch immer leichte Oberkleidung tragen, was mir natürlich nicht immer angenehm war und deshalb auch gerne vergessen wurde. Wir hatten uns an den Sommertagen fast nur im Freien aufgehalten.

Wir spielten sehr viel Fangen oder auch Verstecken mit den Nachbarskindern.

Auf der Straße wurden auch mal Hupfspiele gemacht. Es wurden bestimmte Formen mit Kreide auf die Straße aufgezeichnet, es waren Fächer, die je nach Spielart, überhupft werden mussten. Das konnte ohne Weiteres auf der Straße gemacht werden, denn es kamen am Tage höchstens mal zwei oder drei Autos vorbei. Heute unvorstellbar! Wie die Hupfspiele genau abgelaufen sind, kann ich heute nicht mehr sagen.

Soweit ein Ball zur Verfügung war, wurden auch damit Spiele gemacht, auch Fußball.

Seilspringen und Seilhupfen gehörten auch zu den Freizeitspielen in Sommertagen.

Leider gab es am Ort kein Freibad, nur so eine Art Feuerteich (Hülbe), dort haben wir manchmal herumgeplanscht. Weil der Teich nicht gerade sauber war, haben es die Eltern nicht gerne gesehen, wenn wir Kinder uns dort tummelten.

Das nächste Freibad war etwa zwei Stunden Fußweg entfernt. Sofern man ein funktionierendes Fahrrad hatte, hat man auch das manchmal benützt. Der Nachteil aber war, dass wir einen 4 km langen Berg zu bewältigen hatten, mit bis zu 12 % Steigung. Die Abfahrt war natürlich einfach, wenn die Bremsen funktioniert haben, auch da gab es hin und wieder Probleme. Aber auf der Rückfahrt musste die ganzen 4 km das Rad geschoben werden, was für uns Kinder eine sehr starke Belastung war, zumal es sich meistens um Erwachsenen-Räder handelte. Ich kann mich nicht erinnern, ob es damals überhaupt Kinderräder gab. Ich selbst hatte nie ein solches besessen. Im Gegenteil, ich habe nur das Damenrad meiner Schwestern benützt. Denen hat es auch nicht so besonders gefallen, weil es auch sehr oft defekt war. Meistens war die Luft raus, weil kein Flickzeug zu bekommen war, um den Schlauch zu flicken.

Nun aber zurück zur Kindheit. Auch Blödeleien gehörten zum Kinderalltag. Was mir in dem Zusammenhang besonders in Erinnerung ist, wie es glaube ich überall passiert, dass Buben wettstrizen (das Strizen stand für Pinkeln). Wer am weitesten trifft, hat gewonnen. Vor den Mädchen gab es zu der Zeit noch keine Schamgefühle. Die konnten dabei sogar zusehen. Ein Mädchen hat plötzlich ihren Rock hoch genommen und auch im Stehen zu pinkeln versucht. Und siehe da, es hat sogar funktioniert. Nur die Weite konnte sie nicht erreichen. Über ihre Technik wundere ich mich heute noch.

Frauen und Mädchen trugen damals nur Kleider und Röcke und Schlüpfer darunter. Bei den immer wiederkehrenden Doktorspielen kam es schon mal vor, dass unter dem Rock kein Höschen war. Es waren lediglich die gegenseitigen Betrachtungen und Vergleiche, eventuell gab es auch mal die eine oder andere Berührung. Die Geschlechtsteile wurden auch mit Namen versehen: Bei den Buben nannten wir es Strizer, bei den Mädchen war es die Pinkelritze. Später gab es dafür noch andere Bezeichnungen, die ich aber hier nicht nennen will. Ich finde solche Bezeichnungen heute noch obszön und habe sie auch niemals benützt.

Das Besondere hierbei ist: Bei den Gespielinnen war auch ein Mädchen dabei, das später mal ganz große Schlagzeilen machte. Weil ich ja keine Namen nennen will, werde ich es auch hier nicht tun. Aber soviel: Sie war Mitglied der berüchtigten »Baader-Meinhof«-Gruppe. Sie hat sich später im Gefängnis in Stammheim das Leben genommen.

Die Zeit hat es natürlich notwendig gemacht, dass eine Aufklärung der Eltern notwendig wurde. Ich habe gespürt, dass es meiner Mutter nicht leicht war, darüber zu sprechen. Die erste Erklärung war: »So was darf man nicht tun, weil es Sünde ist. Der Liebe Gott würde einen dafür bestrafen. Man müsse sich deren Dinge schämen, es sei unkeusch.« Weil ich ja sehr katholisch erzogen war, habe ich mich auch in Zukunft daran gehalten.

Und tatsächlich machten sich Schamgefühle bemerkbar. Wenn ich einem der Mädchen oder auch anderen begegnet bin, spürte ich, wie eine Hitze in meinem Gesicht aufstieg und ich dadurch ein knallrotes Gesicht bekam, bis hinter die Ohren. Später erfuhr ich, es ist Schamesröte. Was mich dann natürlich total verunsicherte, weil mein Selbstvertrauen erst mal am Boden lag.

Dass sich das über Jahre so hinziehen würde, war mir damals nicht bewusst, aber es kam so.

Auch in der Schule hatte ich damit so meine Probleme: Wenn ein Lehrer oder eine Lehrerin mich aufrief, konnte ich kein Wort herausbringen, obwohl ich es vorher wusste. Manchen der Lehrkräfte ist die Befangenheit wohl auch aufgefallen, denn ich habe bemerkt, dass sie mich bei Fragen verschonten, um mich nicht blamieren zu müssen.

Aber bei den vielen Lehrerwechseln hat das natürlich immer wieder von vorne angefangen. Vergleichbare Ereignisse tauchten auch später immer wieder auf.

Nun erst mal wieder zur Freizeitgestaltung fern der Schule. Um auch einen Brotaufstrich in Form von Marmelade zu haben, haben wir in der jeweils betreffenden Jahreszeit Beeren gesammelt. Zuerst waren es die Heidelbeeren, zum Teil auch Walderdbeeren. Weil die Beeren so klein waren, war es sehr mühsam, die mitgebrachten Behältnisse vollzumachen. Der Weg zu den Fundstellen war ca. 30 bis 40 Minuten zu Fuß entfernt.

Himbeeren-Fundstellen waren oft weiter entfernt, konnten aber meistens mit dem Fahrrad erreicht werden. Es sollte mindestens ein 5-Liter-Eimer vollgemacht werden. Zu dem Zweck hat man sich einen Becher mit Gurt oder dergleichen um den Bauch gebunden, so konnte mit beiden Händen gezupft werden. Wenn der Becher vollgezupft war, hat man ihn in den in der Nähe stehenden Eimer entleert. Dies musste solange wiederholt werden, bis der Eimer voll war.

Ganz gute Sammler schafften es sogar, einen 10-Liter-Eimer zu füllen. Die Beeren oder Früchte wurden dann zu Marmelade eingekocht und in speziellen Gläsern eingedünstet.

Im Herbst stand noch die Obsternte an. Wir hatten nur einen Apfelbaum im Garten, der sehr gute Früchte trug, das war aber zur Mostgewinnung viel zu wenig. Es wurde dann in tiefergelegenen Nachbarorten, die etwas fruchtbarer waren, Äpfel und Birnen dazugekauft.

Es war nicht immer leicht, das dann nach Hause zu bringen. Ich kann mich sogar noch erinnern, wie wir, mein Bruder und ich, mit unserem Vater mit einem von Kühen gezogenen Leiterwagen im 9 km entfernten Ort Obst abgeholt haben. Mein kleiner Bruder saß auf den Obstsäcken auf dem Wagen. Einige km bergauf waren zu bewältigen, was natürlich mit Kühen nicht so einfach war.

Es mussten immer wieder Pausen eingelegt werden, damit sich die Kühe etwas erholen konnten. Mein Vater und ich haben dabei auch etwas mitgeholfen durch Schieben.

Dabei ist es uns entgangen, dass der kleine Bruder auf dem Wagen vermutlich eingeschlafen war. Er ist dabei vom Wagen gestürzt und hat sich dabei erheblich verletzt. Ein Wagenrad ist ihm dabei über das Knie am rechten Fuß gerollt (es waren mit Eisen beschlagene Holzräder). An ärztliche Hilfe war überhaupt nicht zu denken. Wir hatten mindestens noch eine Stunde bis nach Hause. Der Kleine hat die ganze Zeit vor Schmerzen geweint und gejammert, bis wir zu Hause waren, wo er dann von den barmherzigen Schwestern erst mal verbunden und bandagiert wurde. Am Tag darauf hat dann der gerufene Doktor festgestellt, dass es nur Fleischwunden und Prellungen waren. Es hat trotzdem Wochen gedauert, bis der Kleine wieder richtig gehen konnte.

Um aus dem Obst Most zu machen, musste natürlich noch einiges geschehen: Im Dorf gab es eine Mostpresse, die man sich ausleihen konnte. Dabei war eine bestimmte Reihenfolge zu beachten, denn es waren ja mehrere, die zu der Zeit ihren Most machen wollten.

Wenn wir dann an der Reihe waren, musste das Obst erst in einer Blechwanne gewaschen werden, bevor es dann gemahlen und gepresst wurde. Alles war von Hand zu bewältigen. Die Obstmühle hatte oben einen Trichter, in den wurde das Obst eingeschüttet. Zum Mahlen musste ein großes Rad von Hand gedreht werden. Das gemahlene Obst kam dann unten an der Mühle heraus und wurde in einem größeren Behälter aufgefangen und in eine Presse gegeben, die mit dicken Tüchern ausgelegt war. Wenn genug Maische drin war, wurde das Ganze abgedeckt und mit einer Deckplatte versehen. Mit schweren Balken hat man dann die Platte verstärkt. Die Presse wurde dann von oben durch eine Spindel auf die Balken aufgesetzt.

Durch Drehen an einem großen Eisenrad wurde die Presse dann nach unten bewegt und presste so den Saft aus. Der Saft wurde in Eimern aufgefangen und dann in den Keller zu den Mostfässern gebracht. Diese waren zuvor beim Küfer gereinigt und beschwefelt worden.

Nach einigen Wochen war der Most dann gegärt und zum Trinken gerecht. Nun war natürlich jetzt Alkohol im Most und konnte somit von uns Kindern nicht getrunken werden. Wenn überhaupt, dann nur stark mit Wasser verdünnt. Nur soviel über den Most.

An den Wintertagen gab es nicht ganz so viele Möglichkeiten, die zur Verfügung stehende Freizeit sinnvoll zu nützen. Aber irgendwie fiel den Kindern immer etwas ein. Die Ideen kamen aus verschiedenen Anregungen. Wenn viel Schnee war, so war natürlich Schlittenfahren angesagt. Nicht jeder hatte einen Schlitten, deshalb sind wir oft zu dritt auf einem Schlitten den Berg runtergefahren. Wenn wir gestürzt sind, sind mindestens auch drei heruntergefallen. Was natürlich auch kleinere Verletzungen nach sich zog, was wir ganz gut wegsteckten. Die Abfahrten waren nicht so sehr lang und auch nicht so steil, dass es gefährlich hätte werden können.

An Knochenbrüche kann ich mich nicht erinnern, eher an Schrammen und blaue Flecken.

Wenn es kalt genug war, ist auch der Dorfteich zugefroren. Dort sind die Kinder, wenn sie die richtigen Nagelschuhe hatten, geschlittert. Ich hatte zu der Zeit leider keine Nagelschuhe.

Das hatte einen ganz natürlichen Grund: Ich hatte auch zwei ältere Cousins in Stuttgart. Wenn die aus ihren Schuhen oder Kleidern herausgewachsen waren, habe ich die Sachen abtragen müssen.

Weil es dort keine Schlitterbahnen gab oder nur sehr selten, hatten die auch keine Nagelschuhe. Gummi- oder Ledersohlen gingen nicht so gut auf dem Eis, was mich doch sehr betrübte. Aber diese Schuhe waren zum Benageln nicht geeignet.

Ein Nagelschuh war ein Schnürschuh, halbhoch bis über die Knöchel, somit hatten die Gelenke einen besseren Halt. Absätze und Sohlen waren viel stabiler als bei den Halbschuhen, die ich tragen musste. Der Absatz war mit einer Art Hufeisen verstärkt. Am vorderen Teil der Sohle war ein Eisele angenagelt. Der Rest der Sohle war mit Nägeln mit halbrunden Köpfen benagelt. Deshalb auch der bessere Rutscheffekt auf dem Eis. Bei Schneeglätte haben die Nagelschuhe wegen der Art »Noppensohle« einen festeren Halt. Mit Gummisohlen war man total am rutschen.

Auch Schneeballschlachten gehörten zu den Spielen, bis fast die Finger abfroren. Wir hatten ja nur von Hand gestrickte Fausthandschuhe.

Weil es im Winter sehr früh dunkel wird, haben wir bei uns oder in der Nachbarschaft in beheizten Räumen Spiele gemacht. Verschiedene Brett- und Würfelspiele gab es ausreichend. Auch »Schwarzer Peter« war ein sehr beliebtes Kartenspiel.

Wie überall gab es bei den Spielen auch Reibereien und Streitigkeiten. Denn die Buben wollten gegenüber den Mädchen natürlich immer besser sein, was selbstverständlich nicht immer so war. Weil ich öfter den Mädchen beistand, habe ich auch immer wieder was abbekommen und wenn’s nur Fußtritte waren. Von üblichen Beschimpfen gar nicht zu reden.

Meine Haare musste ich auf Anweisung meiner Mutter bis auf eine kleines Schöppele kurz schneiden lassen. Sie war auch sehr bedacht, dass ich immer eine Mütze trug. Ohne Mütze bin ich nie auf die Straße gegangen. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass es meiner Mutter peinlich war, dass mein Äußeres nicht ganz der Normalität entsprach. Ich selbst habe es zu der Zeit eigentlich noch nicht so schlimm empfunden. Erst etwas später wurde mir einiges klar.

Ich hatte mal ein Gespräch mit dem Gemeindepfarrer belauscht. Meine sehr christliche Mutter bildete sich ein, dass der »Liebe Gott« sie bestraft habe, weil sie einen evangelischen Mann geheiratet und ein uneheliches Kind mit ihm gezeugt hatte.

Langsam wurde auch ich mir der Misere bewusst. Die ganzen Umstände haben auch dazu geführt, dass ich immer mehr Ängste und Hemmungen bekam. Immer wenn ich mal Ausreden erfinden wollte, hat meine Mutter sofort gesagt, dass ich lüge, weil mich bei jeder Gelegenheit eine Unsicherheit überkam, die mir heiße Röte ins Gesicht trieb. Immer mehr wurde ich mir dessen auch bewusst, was für das weitere Leben auch nicht gerade förderlich war.

Irgendwann habe ich dann auch mit meiner Mutter darüber gesprochen. Da sie eine sehr gläubige Katholikin war, hat sie mir damals nur erklärt, dass es der »Liebe Gott« eben so gewollt hat. Weil ich sehr christlich von meiner Mutter erzogen wurde, habe ich das als Kind auch so hingenommen. Mein Vater hat sich weniger darum gekümmert, weil er aus einer evangelischen Familie stammte. Er wollte die Angelegenheit ganz meiner Mutter überlassen und sich nicht in die katholische Erziehung einmischen.

Die Kriegsjahre

Was mir dazu als Erstes einfällt, ist: Mein Vater stellte im Garten eine ca. 4 Meter lange Stange auf. Die musste natürlich etwas eingegraben werden, damit sie einen festen Halt hatte. Oben an der Stange war ein Draht angebracht und bis unters Dach gespannt. Es müssen etwa 10 bis 12 Meter gewesen sein. Der Nachbar hat mitgeholfen den Draht zu befestigen.

Nun musste ich natürlich meinen Vater schon fragen, wofür das gut ist. Denn ich konnte mir damals keinen Reim darauf machen, was das sollte.

Daraufhin hat mir mein Vater erklärt, dass es sich um eine Antenne handelt, damit man die Nachrichten besser empfangen könne. Ein Radio hatten wir ja schon länger, einen Volksempfänger.

Mich hat auch schon gewundert, warum der Nachbar immer öfter bei uns war, um die Nachrichten zu hören. Ich habe deshalb auch mal nachgefragt, was sind eigentlich Nachrichten?

Mir wurde daraufhin geantwortet: »Mit dem Radio kann man immer erfahren, was auf der Wellt passiert.« Es hat meine Wissgier soweit erstmal befriedigt. Ich selbst konnte damals mit diesen komischen Nachrichten nichts anfangen, habe auch nie zugehört. Auch für Musik hatte ich kein Interesse.

Im Laufe der Zeit fiel mir doch auf, dass mein Vater und unser Nachbar immer wieder an dem Senderknopf hin und her drehten um andere Sender zu suchen. Ich kann mich entsinnen, dass es Mittelwellen und Langwellen gab. Aber warum schalteten sie immer zurück, wenn jemand Fremdes in die Nähe kam? Nun, das sollte ich später noch erfahren.

Es kam eine Zeit, in der viel getuschelt wurde und geheimnisvolle Worte auftraten, die uns Kindern natürlich nicht bekannt waren. Ich erinnere mich an: »Kommiss, Soldaten, Kaserne, Krieg, Hitler« und noch einige mehr.

Eines Tages war auffallend viel Hektik und Aufregung unter den Menschen. Der und der und jener wurden über Nacht zum Militär eingezogen. Es war Krieg. Mit dem Wort konnte ich zunächst nichts anfangen, aber ich wurde dann bald aufgeklärt.

Warum dabei Menschen aufeinander schießen und sich gegenseitig töten sollen, konnte ich damals noch nicht begreifen und auch noch keinen Sinn darin erkennen. Immer mehr Männer und junge Burschen wurden nach und nach zum Militär eingezogen.

Darunter war auch ein Onkel, der einen kleinen Bauernhof auf einem etwas abgelegenen Gehöft hatte. Er hatte drei Jungs, etwa in meinem Alter, zwei ein wenig älter, einer etwas jünger und dazu noch eine Tochter, die ein Jahr jünger war als ich.

Auch der Vater meines Spielkameraden, der von der Bäckerei, wurde eingezogen. Das Gleiche passierte auch einem Onkel aus Stuttgart. Den 17-jährigen Cousin aus Stuttgart hat das gleiche Schicksal ereilt. Keine gesunde männliche Person wurde verschont.

Das alles brachte sehr viel Leid ins Dorf. Die Kirchen waren am Sonntag total voll, weil die Menschen für die Soldaten an der Front gebetet haben, dass sie gesund wieder heimkehren sollten. Leider hat das bei vielen nicht geholfen.

Keiner durfte den Wehrdienst verweigern, denn darauf stand sofortige Todesstrafe durch Erschießen. Es war »Fahnenflucht«.

Einen solchen Fall konnten wir im Dorf miterleben: Ein erst Siebzehnjähriger sollte auch zum Militär, aber bei der Zustellung des Stellungsbefehls ist er einfach abgetaucht. Niemand wusste, wo er sich verkrochen hatte. Polizei und Militärpolizei suchten tagelang den ganzen Ort ab, bis sie in einer Scheune den jungen Mann erhängt aufgefunden haben. Dort hatte der Junge als Erntehelfer und Knecht gearbeitet.

Aber die Aufregungen, wenn wieder eine Nachricht eintraf, dass wieder ein Soldat aus dem Dorf gefallen sei, hat die Leute doch sehr berührt. In einem so kleinen Dorf kennt jeder jeden und nimmt deshalb auch an den Geschehnissen der anderen Einwohner Anteil.

Die Schulzeit

Mittlerweile war ich ja auch sechs Jahre alt und stand vor der Einschulung. Es war im Frühjahr 1940. Nun konnte ich auch mit den Nachrichten etwas anfangen. Denn es wurde da immer über die großen Erfolge der deutschen Soldaten berichtet. Frontverlauf und andere Militär Bezeichnungen, waren allerdings noch nicht so richtig im Kopf angekommen. Es waren so viele Begriffe, die man zuvor ja nie kennen gelernt hat.

In der Schule wurden wir Kinder dann nach und nach auch mit diesen Worten, Namen und Begriffen vertraut gemacht.

Im ersten Schuljahr lernten wir natürlich auch schreiben, allerdings war es die altdeutsche Schrift (Sütterlinschrift), so wurde die Schrift – glaube ich – damals genannt. Bevor wir aber die Schrift richtig beherrscht hatten, mussten wir, mit Beginn des zweiten Schuljahrs, mit der lateinischen Schrift neu angefangen. Irgendwie wurde das einheitlich für das ganze »Deutsche Reich« umgestellt (damals war es der Name für Groß-Deutschland).

Nicht nur Lesen und Schreiben wurde uns in der Schule beigebracht, sondern es wurde uns auch beigebracht, mit den Begriffen »Deutsches Volk«, »Wehrmacht«, »Partei«, »Nationalsozialisten« und »Adolf Hitler« umzugehen. Trotzdem hat keiner begriffen, was die Partei mit deutschen Volk zu tun hatte und was das mit den Nationalsozialisten auf sich hatte. Das mussten wir alles noch begreifen lernen. Auch die Parole: »Ein Volk, ein Reich, ein Führer« wurde uns schon in jungen Jahren eingetrichtert.

Leider wurden durch den Krieg auch die Lehrer knapp, so war es üblich, dass eine Lehrkraft drei Klassen unterrichten musste. Erst waren es sehr junge Lehrer, auch ältere, die nicht mehr für den Krieg eingezogen wurden.

Einer dieser älteren Lehrer war ein hundertprozentiger Parteigenosse, ein echter »Nazi«. Er hat uns auch dementsprechend belehrt, so war es auch kein Zweifel, dass wir alle geglaubt haben, was der Mann uns beigebracht hat. Für den war es selbstverständlich, dass Deutschland den Krieg gewinnen wird.

Wir wurden auch regelrecht getrimmt. Wenn wir zum Sport zum Sportplatz marschierten, mussten wir in Dreierreihen antreten und im Gleichschritt marschieren, dabei Marschlieder singen. Auch beim Sport wurden absolute Höchstleistungen verlangt, jeder wurde bis an seine Grenzen gefordert. Ich war leider nicht immer gut genug, somit wurden Strafarbeiten verhängt und nachtrainieren. Am Reck, am Barren und auch beim Hochsprung konnte ich die Erwartungen nicht erfüllen. Beim Weitsprung habe ich gerade noch die Vorgaben geschafft, wie auch noch in anderen Disziplinen. Entsprechend fielen auch die Noten aus.

Immer mehr wurden Lehrerinnen eingesetzt, die von vielen der älteren Schüler nicht richtig respektiert wurden. Somit waren Auseinandersetzungen an der Tagesordnung. Meistens, wenn die Älteren Mist gebaut hatten, wurde es mir in die Schuhe geschoben. Immer wieder musste ich dafür büßen.

Ich hatte mal beobachtet, wie gerade die etwas Älteren am Ententeich in der Nähe der Landwirtschaft meiner Tante Frösche gefangen haben, um diese zu quälen und teilweise zu töten.

Irgendjemand musste das verraten haben, plötzlich wurde ich in die höhere Klasse beordert, weil die bei ihrem Klassenlehrer alles abgestritten und die Schuld auf mich geschoben haben, weil sie mich dort gesehen hatten.

Obwohl ich nichts gemacht hatte, musste ich die Tat zugeben. Denn bei Verrat wollten die unser Baumhaus zerstören, was wir mühevoll in eine Baumgruppe gebaut hatten. Heute würde man Erpressung dazu sagen, aber der Ausdruck war uns noch nicht bekannt, auch nicht, dass es strafbar war.

Nur mit harten Strafen konnten sich die Lehrkräfte durchsetzen. Schon für kleine Vergehen oder Unaufmerksamkeiten gab es Hosenspanner oder Tatzen. Beides musste ich leider öfter über mich ergehen lassen. Nicht immer war es gerecht, denn oft haben meine Schulkameraden die Schuld auf mich geschoben. Weil ich kein Verräter sein wollte, habe ich die Anschuldigungen auf mich genommen. Möglicherweise wollte ich auch etwas beweisen, was genau, kann ich so nicht sagen.

Erniedrigende Beschimpfungen waren fast an der Tagesordnung, wie »Teufels Sohn«, »Rotfuchs«, »roter Lump«, »Ohren-Segler« oder »Rossmucken-König«, was mich sehr gekränkt und auch oft zu harten Auseinandersetzungen geführt hat, die schon mal blutig endeten.

Bei einer Auseinandersetzung mit einem Spielkameraden, der mich wieder mal beschimpft hatte, habe ich ihm einen Stein an den Kopf geworfen. Das hat auch etwas geblutet, aber mir war das egal. Kurze Zeit danach kam der verletzte Junge mit seiner Mutter zu meinen Eltern. Ein Auge war fast zugeschwollen. Das löste natürlich bei meinen Eltern helle Bestürzung aus und ich konnte schon ahnen, was nun kommen würde.

Mein Vater hat sich bei Bestrafungen immer sehr zurückgehalten, weil ja meine Mutter in der Sache sehr aktiv war. Jetzt aber war es meinem Vater zu viel, er griff sich einen alten Keilriemen, mit dem eigentlich die Motorräder angetrieben wurden und hat mir damit heftig den Hintern versohlt, bis sogar meine Mutter gebeten hat, er solle jetzt aufhören. Ich hatte noch tagelang Striemen am Hintern.

Nun, was waren eigentlich Hosenspanner? Der Schüler wurde nach vorne über die Schulbank gebeugt, die Hose straff gezogen und dann mit einem Rohrstock mehrmals heftig auf den Hintern geschlagen. Es gab richtige Striemen auf dem Hintern, dass ich kaum noch richtig sitzen konnte.

Was waren Tatzen? Überwiegend bei Mädchen angewandt. Aber auch die Buben wurden nicht verschont. Der betreffende Schüler musste die Hand ausstrecken, mit der Innenfläche nach oben, dann wurde auch hier mehrmals mit dem Rohrstock auf die Fingerflächen geschlagen. Was sehr nachhaltige Schmerzen verursachte. Ich konnte hinterher längere Zeit keinen Griffel oder Federhalter mehr richtig anfassen, um damit zu schreiben.

All diese Dinge und Erniedrigungen musste ich über mich ergehen lassen, was mir manchmal sehr schwerfiel.

Es gab Stimmungsanfälle, in denen ich mich in eine große Kiste hinter dem Haus, unter der Veranda, verkroch und den Deckel zugemacht habe (die Waren zu unserem Geschäft wurden oft in großen Kisten mit Deckel angeliefert. Sie wurden aufgehoben, um sie gegebenenfalls einer andern Verwendung zuzuführen). Für dieses Verhalten hatten meine Eltern überhaupt kein Verständnis, aber ich hatte hin und wieder das Bedürfnis, alleine zu sein und nichts hören oder sehen zu wollen.

Langsam hinterließ der nun schon einige Zeit bestehende Krieg spürbare Veränderungen. Die Lebensmittel konnten nur noch über Lebensmittelmarken bezogen werden. Die Zuteilungen wurden je nach Bedarf festgelegt. Ein Schwerarbeiter bekam andere Rationen, als zum Beispiel Frauen und Kinder, zugeteilt.

Beim Einkaufen mussten immer die entsprechenden Marken vorgelegt werden, mehr war nicht zu bekommen. Die Marken wurden aus den auch zeitlich eingeteilten Lebensmittelkarten ausgeschnitten und dem jeweiligen Geschäft vorgelegt. Die Händler mussten die gesammelten Marken wieder auf Vorlagen aufkleben und im Rathaus abgeben. Somit wurde auch deren Einkauf gesteuert.

Milch musste in der Orts-Molkerei geholt werden, wofür es natürlich die entsprechenden Milchmarken gegeben hat. Die Bauern haben dort ihre Milch abgeliefert. Nach irgendwelchen Berechnungskriterien wurden die Mengen festgelegt, die der einzelne Bauer abzuliefern hatte.

Kleidung und Schuhe konnten nur noch mit Bezugsscheinen erwoben werden. Wie das aber damals gesteuert wurde, kann ich heute nicht mehr sagen.

Das Obst, das nicht in unserm Land gewachsen ist, war nur sehr selten zu bekommen. Bananen und Orangen waren auf dem Land fast nicht mehr zu haben.

Wenn meine Tante aus Stuttgart mal zu Besuch zu uns kam, konnten wir mal wieder sehen, wie eine Banane aussah. Meistens waren sie schon überreif, aber es hat uns trotzdem glücklich gemacht.

Zwischenzeitlich hat sich mein Vater für seine Tätigkeit ein Auto angeschafft, einen Opel P4. Es dauerte nicht lange, da wurden die Räder von dem Auto für den Krieg eingezogen. Der Wagen wurde aufgebockt (mit Holzbalken und Steinen unterlegt). So stand er nun in der Garage und mein Vater konnte seine Tätigkeit nicht mehr ausüben. Er war die erste Zeit viel zu Hause. Nach geraumer Zeit fiel mir auf, dass mein Vater sehr viel am Radio saß und mit einem Nachbarn etwas heimlich diskutierte. Daraufhin wurde mir aber vieles klar.

Der lange Antennendraht zum Radio war gut dazu geeignet, fremde Sender abzuhören, was allerdings strengstens verboten war. Sie wurden »Feindsender« genannt. Es waren Sender, die vom Ausland gegen das »Hitler Regime« in deutscher Sprache Propaganda machten. Über diese Sender konnten die Leute auch erfahren, was an den Fronten und in der Regierung alles passierte, was aus den eigenen Nachrichten nicht zu erfahren war. Die haben nur über die Erfolge des deutschen Heeres berichtet. Wehe, es ist einer der Feindsenderhörer erwischt worden, der konnte mit Konzentrationslager rechnen. Die Leute waren sogar verpflichtet, bei Verdacht Anzeige zu erstatten.

Der örtliche Landjäger (Polizist) war zufällig ein guter Bekannter meines Vaters, aus seiner Tätigkeit als Reisender. Ich konnte oft hören, wenn er zu Besuch war, dass sie auch zusammen über verschiedene Dinge stritten und diskutierten. Für mich hatte das alles zu dieser Zeit noch keine Bedeutung.

Ich kann mich erinnern, dass meine Mutter in der Zeit auch das »Kranzbinden« ausgeübt hat. Zu diesem Zwecke brauchte man natürlich viele Tannenzweige, die wir meisten heimlich im Wald geholt haben. Manchmal hat sie auch ein Holzmacher mitgebracht.

Wenn jemand gestorben war, hat sie oft mehrere Kränze gebunden, bis spät in die Nacht hinein. Ich habe viel dabei geholfen, indem ich die Zweige bindgerecht abgeschnitten habe.

Meine Mutter hat auch Rekrutensträuße angefertigt, die trugen dann die Männer, welche die Musterung zum Militär bestanden hatten. Was der eigentliche Sinn der Sträußchen war, ist mir nicht bekannt.

Wie schon erwähnt, hat die Mutter bis spät in die Nacht hinein gearbeitet, da brauchte sie natürlich auch Licht. Die Fenster mussten in der Zeit alle verdunkelt werden, damit kein Licht nach außen scheinen konnte und die gegnerischen Flugzeuge die Orte im Dunkeln nicht orten konnten. Sogar Fahrradlampen mussten verdunkelt werden. Auf die Lampe wurde eine Kappe mit einem schmalen Schlitz gesetzt, dass gerade ein kleiner Lichtstrahl auf die Straße dringen konnte. Genauso war es auch bei den Autos, die mussten langsam fahren, weil der Lichtstrahl so kurz war. Heute denke ich, hätte man das sicher auch vom Flugzeug aus sehen können.

Einmal wurde meine Mutter sogar bestraft, weil ein Fenster nicht ordentlich verdunkelt war. Es war die Zeit, in der schon einige Bombenangriffe auf deutsche Großstädte stattgefunden haben. Die Bombergeschwader sind immer in der Nacht über unser Gebiet geflogen, wenn sie Ziele wie Augsburg oder München anflogen. Allein diese Motorengeräusche brachten uns das Fürchten bei, denn es waren ja zig Maschinen. Wir konnten auch beobachten, wie die FLAK (Flieger-Abwehr-Kanone) mit ihren Geschützen auf die Bomber schoss. Mit starken Scheinwerfern wurden die Ziele anvisiert, angestrahlt und dann geschossen. Ob sie Treffer landeten, konnten wir nicht sehen. In den Nachrichten am anderen Tag wurden immer Abschüsse gemeldet. Heute wissen wir, dass man hätte nicht alles glauben sollen, was uns erzählt wurde.

Die Kinder aus den Städten wurden deshalb auch zu Verwandten aufs Land evakuiert. Zwei meiner Cousinen aus Stuttgart haben deshalb eine längere Zeit bei uns verbracht und auch die Schule besucht.

In den Ferien durfte ich auch mal mit nach Stuttgart. Was mir dabei widerfahren ist, war nicht gerade erfreulich. Mitten in der Nacht heulten die Sirenen, es war Voralarm. Ein furchtbarer, langer, heulender Ton, der immer wieder unterbrochen war, hat uns geweckt.

Wir mussten uns schnell anziehen und aus auf den Weg zum nächsten Bunker machen. Schon auf dem Weg dahin hörten wir die Alarmsirene. Es war ein auf- und abgehender Heulton, der noch grässlicher war als der Voralarm. Ich hatte höllische Angst.

Wir erreichten den Tiefbunker sehr schnell, weil wir uns sehr beeilten. Im Bunker waren bereits schon viele Menschen. Man setzte sich dann auf die vorhandenen Holzbänke und Stühle. Die älteren Leute, die da waren, haben uns die Angst angemerkt und uns weitgehendst beruhigt.

Nach einiger Zeit hörte man ein Grollen wie bei einem Gewitter. Aber wie uns gesagt wurde, waren es Bombenangriffe, die in einiger Entfernung niedergingen.

Als die Sirenen nach einiger Zeit endlich zur Entwarnung heulten, waren wir doch sehr erleichtert, dass unser Bunker nicht getroffen wurde. Er war nur etwa 200 Meter vom Gaswerk entfernt und hätte somit ein Angriffsziel sein können.