Die Gesandten der Sonne - Wolf Serno - E-Book
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Die Gesandten der Sonne E-Book

Wolf Serno

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Beschreibung

In seinem Historienroman "Die Gesandten der Sonne" lässt SPIEGEL-Bestsellerautor Wolf Serno ("Der Wanderchirurg", "Hexenkammer", "Der Medicus von Heidelberg") seine Leser eine abenteuerliche Reise von Bagdad nach Aachen hautnah miterleben. Die ärztliche Kunst des Mittelalters, dazu die schillernde Exotik des Orients sowie ein historisches Kuriosum, der Elefant Karls des Großen, verbinden sich zu einem einzigartigen, packenden Lesevergnügen. Bagdad im Jahre 797. Im Auftrag Karls des Großen knüpft eine Gruppe wagemutiger Männer gute Kontakte zu Kalif Harun al-Raschid. Doch die Rückreise ins Frankenland erweist sich als ein einziges Abenteuer, da die »Gesandten der Sonne« kostbare Geschenke mit sich führen – darunter ein lebender Elefant. In dieser gefahrvollen Zeit wächst der junge Arzt Cunrad von Malmünd immer mehr in die Rolle des Anführers hinein – und stößt dennoch an seine Grenzen. Nicht zuletzt bei Aurona, der stolzen Langobardin.

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Seitenzahl: 782

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Wolf Serno

Die Gesandten der Sonne

Roman

Knaur e-books

Über dieses Buch

Inhaltsübersicht

WidmungMottoDie wichtigsten Personen der HandlungPrologKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18EpilogNachbemerkungDankKarte: Der Weg der GesandtenZitatquelle
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Für mein Rudel:

Micky, Eddi und Olli

 

Und für Fiedler, Buschmann und Sumo,

die schon auf der anderen Seite

der Straße gehen

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Wer der Sonne

entgegenwandert, lässt den Schatten hinter sich

 

Deutsches Sprichwort

 

 

Aldaabah wa Alsabr

houma Jamalan yastatiou Alinsan obour Ay Sahraa bihima

Humor und Geduld

sind zwei Kamele, mit denen man durch jede Wüste kommt

 

Arabisches Sprichwort

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Die wichtigsten Personen der Handlung

Cunrad von Malmünd – der Erzähler der Geschichte. Gleichermaßen Arzt (»Hakim«) und Mahut. Wächst auf der Rückreise der Gesandten mehr und mehr in die Rolle des Anführers hinein.

 

Al-Tariq – der Zuhörer. Ein reicher, mit Juwelen handelnder Stummer, der unter seinesgleichen im Haus der Stummen in Alexandria lebt.

 

Isaak* – ein sprachkundiger Jude, der oftmals Schwierigkeiten hat, die Speisegesetze seines Glaubens einzuhalten. Von Karl dem Großen zum Dolmetscher der Gesandtschaft bestimmt.

 

Harun al-Raschid* – der »Rechtgeleitete«, vierter Kalif aus dem Geschlecht der Abbasiden, Befehlshaber der Gläubigen. Residiert im Khuld-Palast zu Bagdad und leidet manchmal unter »Enge in der Brust«.

 

Aurona – eine stolze Langobardin im Harem des Kalifen. Nimmt zum Schein den Glauben der Muselmanen an, um nicht als Sklavin leben zu müssen. Cunrads Geliebte und spätere Ehefrau.

 

Dschibril*, eigentlich Gabriel – der Erste Leibarzt des Kalifen. Nestorianischer Christ. Autor eines in syrischer Sprache abgefassten Werkes namens Kunnasch.

 

Rayhan – Cunrads persönlicher Diener im Löwenkopf-Haus des Khuld-Palastes. Sehr dick, sehr bemüht und sehr schlecht zu Fuß.

 

Dantapuri – der Mahut von Abu l-Abbas, dem Elefanten. Leidet stark unter Heimweh. Stammt wie der Elefant aus Sri Lanka.

Weitere Personen

Merit – eine alte verschleierte Dienerin im Haus der Stummen.

 

Lantfrid*, Sigimund* – zwei fränkische Handelsherren. Von Karl dem Großen zu Führern der Gesandtschaft bestimmt.

 

Faustus – ein eifernder Prediger, der Läuse als »Perlen Gottes« bezeichnet und sich den Gesandten unaufgefordert anschließt.

 

Garlef, Sigerik – zwei wortkarge sächsische Krieger, die zum Schutz der Gesandten mitreisen.

 

Abbo, Giso – zwei fränkische Wachsoldaten, die ebenfalls zur Schutztruppe der Gesandten gehören.

 

Randolph – der erfinderische Koch der Gesandten. Backt Fladenbrot aus Heuschreckenmehl.

 

Masrûr* – der Scharfrichter von Harun al-Raschid. »Schwertträger seiner Rache«.

 

Zubaida* – der »Kleine Butterball«, Lieblingsfrau des Kalifen. Bricht manchmal unter der Last ihrer Juwelen zusammen.

 

Yahya* – der Wesir des Kalifen aus dem Geschlecht der Barmakiden. Haruns engster Vertrauter.

 

Al-Fadl ibn al-Rabi* – der hadschib (Kämmerer) im Khuld-Palast des Kalifen.

 

Arpak – ein Leibarzt des Kalifen. Intrigiert bei Hofe gegen Dschibril.

 

Yussuf ibn Abd al-Quddus – ein arroganter Höfling des Kalifen. Begleitet die Gesandtschaft als »Geschenke-Bewahrer«.

 

Baschi, eigentlich Baschar ibn Amat ibn al-Barq – der »Lustsklave« des Geschenke-Bewahrers.

 

Wathiq – ein junger Töpfer, der von Cunrad auf die Symptome der »Körnchenkrankheit« (Trachom) untersucht wird.

 

Ephraim – der Resch Galutha, also der politische Führer der Bagdader Juden.

 

Rahman – der Anführer einer Gruppe räuberischer Beduinen vom Stamm der Hilaym.

 

Abd, eigentlich »Diener« – ein Unbekannter, der Cunrad im Gefängnis von Damaskus verhört.

 

Zosimus – ein Benediktinermönch der Abtei Montecassino. Zelebriert die Trauung von Cunrad und Aurona in einem Mündungsarm des Nils.

 

Josua – ein wegekundiger Säumer in den Alpen.

 

Karl der Große* – König und späterer Kaiser des Frankenreichs. Legte den Grundstein für das römisch-deutsche Kaisertum.

 

Einhard* – Leiter der Hofschule Karls des Großen. Sein Ratgeber und Biograph.

 

Ercibald* – ein Notar, der Cunrad im Auftrag Karls des Großen entgegenreist, um den Elefantentransport über das Meer zu ermöglichen.

Und nicht zuletzt

Abu l-Abbas – genannt Abul. Der große, sanfte Elefant, der historisch belegt ist und mit der Gesandtschaft den weiten Weg von Bagdad nach Aachen zurücklegt.

 

Kastor, Pollux – zwei treue Grautiere, die auf der Reise von Anfang an dabei sind.

 

 

Die mit einem * gekennzeichneten Personen haben tatsächlich gelebt.

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Prolog

Salam alaikum, Herr! Allah, der Erbarmer, der Barmherzige, schenke dir ein langes Leben! Warum gehst du vorüber, ohne mir ein Almosen zu geben? Hast du noch nie einen Bettler gesehen? Leide ich an Pest oder Aussatz? Ich gebe zu, ich sehe nicht aus wie ein Araber, und der Kittel, den ich trage, ist nicht die übliche schamla, mit der die meisten Armen in Alexandria ihre Blöße bedecken, aber ist das ein Grund, mich nur anzustarren und mir nichts zu geben? Ein oder zwei Dirham werden dich nicht ärmer machen, mir jedoch zu einer guten Mahlzeit verhelfen.

Warum sagst du nichts? Oh, ich sehe, du kramst in deinen Taschen. Willst du mir doch etwas geben? Du scheinst kein Mann vieler Worte zu sein und lässt lieber Taten sprechen. Zehn silberne Dirham? Du beschämst mich. Wenn ich kein Bettler wäre, würde ich sie nicht annehmen. Aber ich habe keine Wahl. Danke, Herr! Für zehn Silberdirham kann ich mir Speisen kaufen, wie sie mein Gaumen lange und schmerzlich vermisst hat: Wachteln in Weinblättern, gepfefferte Wildpastete, Safranreis, kandierte Früchte und manches mehr. Es liegt über drei Jahrzehnte zurück, dass ich derlei Köstlichkeiten in dieser Stadt zu mir nahm. Wenn du willst, erzähle ich dir, was ich damals erlebte. Aber ich sage dir gleich, du wirst mir kein Wort glauben.

Du schmunzelst und bedeutest mir, dir zu folgen?

Gut, ich folge dir. Wie es der Zufall will, habe ich Zeit. Was mich nur wundert, ist, dass keine Silbe über deine Lippen kommt, einerlei, was ich sage. Doch vielleicht hältst du es mit der alten arabischen Weisheit, die da lautet: Wenn du redest, muss deine Rede besser sein, als dein Schweigen gewesen wäre.

Nun, dann will auch ich schweigen. Die Sonne versinkt bereits im Meer, und der Abend ist viel zu schön, um ihn durch Worte zu verwässern …

Ich habe eine Weile geschwiegen, Herr, doch jetzt, da du mich in das Viertel der Reichen geführt hast und vor diesem prächtigen Anwesen haltmachst, muss ich dir sagen, dass mir das Haus bekannt vorkommt. Lass mich überlegen: Ich habe es schon einmal gesehen, damals, vor langer Zeit. Man bezeichnete es als das Haus der Stummen, weil alle, die darin wohnten, nicht sprechen konnten, einschließlich der Diener, der Gärtner und der Sklaven. Es gehörte, wenn ich mich recht entsinne, einem begüterten Kaufmann, al-Tariq genannt, weil die Juwelen, mit denen er handelte, wie der Morgenstern funkelten und … Allmächtiger Gott, du bist es! Du bist al-Tariq, habe ich recht?

Verzeih, dass ich dich nicht erkannte, aber wir sind uns nie zuvor begegnet. Auch damals nicht, als ich in den Jahren 798 und 801 in Alexandria weilte. Ich wohnte jeweils für einige Wochen auf der Pharos-Insel am Hafen, zusammen mit der Gesandtschaft, die nach Bagdad zu Harun al-Raschid, dem großen Kalifen und amir al-mu’minin, geschickt worden war. Viele meiner Gefährten nannten mich Hakim, weil ich sie als Arzt begleitete.

Als Arzt, das muss ich einräumen, war ich recht jung, ich zählte erst dreiundzwanzig Jahre, und was mein Aussehen anbetrifft, so war es nicht minder ungewöhnlich. Jedenfalls für ein arabisches Auge. Ich war großgewachsen, blond und breitschultrig, auch wenn du dir das heute, da ich gebeugt gehe und grauhaarig wie alle alten Männer bin, nicht vorzustellen vermagst. Doch glaube mir, da, wo ich herkomme, sind viele Männer groß und blond. Es ist ein Land, weit im Nordwesten jenes Meeres, das die Muselmanen das »Weiße Meer« nennen: das Land der Franken, dessen Herrscher zu jener Zeit König Karl war.

Nun, ich denke, es wird Zeit, dass ich dir meinen richtigen Namen verrate: Cunrad heiße ich, Cunrad von Malmünd, denn ich wuchs in einem Gutshaus auf, das zu den Ländereien des gleichnamigen Klosters gehörte. Mein Vater, Otmar von Malmünd, verwaltete als Majordomus die Güter der frommen Männer und gab mich als Knabe in ihre Obhut, damit ich lesen und schreiben lernte und mich in Latein und Griechisch, den Sprachen der Wissenschaft, verständigen konnte.

Die Gesandtschaft, von der ich eben sprach, wurde angeführt von zwei älteren Kaufleuten, Lantfrid und Sigimund mit Namen, dazu von Isaak, einem sprachkundigen Juden. Wir waren Emissäre von König Karl und sollten freundschaftliche Kontakte zu Harun al-Raschid knüpfen. Zu diesem Zweck führten wir wertvolle Geschenke mit uns – das Beste, was das Frankenland zu bieten hatte: Schwerter, so scharf, dass sie eine Feder im Wind zu zerteilen vermochten, Hunde, so stark, dass sie im Kampf einen Löwen zerreißen konnten, und Hemden, Hauben und Beinschienen aus Stahl, wie sie im Morgenland kaum bekannt waren. Ferner mächtige, zur Zucht bestimmte Schlachtrösser und feinste flämische Wolle von den Webstühlen der Stadt Brüssel.

Doch ich will dich nicht langweilen. Bist du noch immer gewillt, meine Geschichte zu hören? Bedenke, dieser Abend würde nicht ausreichen, sie zu erzählen, es würde viele Abende dauern – bis zu dem bitteren Ende, aus dem hervorgeht, warum ich als Bettler vor dir stehe.

Du lässt Speise und Trank auftragen? Das, oh, Tariq, ist eine Antwort, die deiner würdig ist! Du bist kein »Verräter am Salz«, wie ihr Araber einen Mann nennt, der die Gastfreundschaft nicht achtet, sondern ein großherziger Mann. Wohlan, so höre, was mir damals in den aufregendsten Jahren meines Lebens widerfuhr …

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Kapitel 1

Falludscha, Bagdad; Dezember 798

Wann wirst du endlich begreifen, dass es Gottes Perlen sind?«, rief Faustus, der Prediger, und sah mich zürnend an.

»Gottes Perlen«, wie er sie nannte, waren während unserer langen Reise ins Morgenland immer wieder eine Quelle des Ärgers gewesen, denn bei den Perlen handelte es sich um nichts anderes als Läuse. Sie bewohnten Faustus’ Körper und Kleider und machten vor keinem unserer Gesandtschaft halt. Ob jemand fromm war oder nicht, war ihnen einerlei. Sie bissen zu und sogen sich voll, und ihre Bisse verursachten lang anhaltenden, quälenden Juckreiz.

»Es ist christliches Blut, das in ihnen steckt!«, belehrte Faustus mich, während er sich vorsichtig kratzte, um sie nicht zu zerquetschen. »Blut von getauften Seelen. Willst du, dass ich es vergieße?«

Ja, wollte ich antworten, ja, das will ich. Ich will die Plagegeister ein für alle Mal los sein, denn als Arzt bin ich verpflichtet, für das Wohlbefinden eines jeden Einzelnen von uns zu sorgen. Vom ersten Tag an haben wir unter deinen verfluchten Läusen gelitten, weil du es hartnäckig ablehntest, auf die gebotene Reinlichkeit zu achten. Mehr noch: Du sahst in deiner Weigerung ein Zeichen besonderer Heiligkeit. Längst wärest du kopfüber in einem Waschzuber gelandet, wenn du meinen Weggefährten dafür nicht das Höllenfeuer angedroht hättest!

Doch ich schwieg, denn ich wusste, es war zwecklos, mit dem verblendeten Mann zu reden. Niemand der Gesandtschaft wusste zu sagen, wer uns Faustus als seelischen Beistand für die Reise beschert hatte. Beim Aufbruch in Aachen vor über einem Jahr war er plötzlich da gewesen, hatte das Kreuz geschlagen und uns Gottes Wort gebracht. Und die verfluchten Läuse.

Bagdad, unser Reiseziel, so hoffte ich, würde dem Übel ein Ende machen.

Ein sehniger Alter trat an meine Seite, Salah mit Namen. Salah stammte aus den Marschlanden am Unterlauf von Euphrat und Tigris, weshalb er sich stolz als »Marscharaber« bezeichnete. Seine Leute ernährten sich vom Fischfang und von der Milch der Büffel, die das Schilf an den Ufern abweideten. Salah jedoch war weder Fischer noch Bauer, sondern ein weitgereister Flussschiffer, der viele Sprachen beherrschte. Und es gab wohl niemanden, der sich auf dem Wasser besser auskannte als er.

Am Oberlauf des Euphrat, südlich von Raqqa, hatten wir ihn kennengelernt und ihn gebeten, uns Boote zu besorgen. »Boote?«, hatte er gefragt und meckernd gelacht. »Was wollt ihr mit Booten? Wisst ihr nicht, dass wir im Monat Ḏū l-hiǧǧa sind? Der Fluss führt zu dieser Jahreszeit nicht mehr als zwei Fuß Wasser. Was ihr braucht, sind Flöße. Mindestens drei, wie ich es sehe. Wenn ihr wollt, besorge ich sie euch.«

Und das hatte er getan. Und uns in den letzten zehn Tagen sicher durch alle Fährnisse gesteuert. Jetzt deutete er mit der Hand nach vorn und fragte: »Siehst du den Punkt am Horizont, Hakim, wo die Ufer des Flusses zusammenlaufen? Dort liegt die Stadt Falludscha. Wir werden sie um die fünfte Nachmittagsstunde erreichen.«

»Das ist eine gute Nachricht, Salah«, antwortete ich froh, denn ich wusste, dass Falludscha die letzte Station vor unserem ersehnten Reiseziel war.

Salah verzog das faltige Gesicht. »Ich weiß, Hakim, für dich ist es eine gute Nachricht. Und für die Männer deiner Gruppe gewiss auch. Für einen alten Mann wie mich aber ist die Stadt nichts. Zu viel Lärm, zu viel Unruhe. Mir ist der Fluss lieber. Er ist mein Freund, er gibt mir alles, was ich brauche. Tiamat hat es gut mit mir gemeint.«

»Tiamat?«, fragte ich.

Salah nickte. »Sie ist die Urgöttin, die Göttin, mit der alles begann. So heißt es jedenfalls in alten Erzählungen. In Tiamats Augen entsprangen Euphrat und Tigris. Sie war mit dem Gott Ea verfeindet, weshalb sie von Eas Sohn Marduk, dem Gott Babylons, getötet und in zwei Hälften gespalten wurde. Danach formte Marduk aus den zwei Hälften Tiamats den Himmel und die Erde …«

»Das ist Teufelsgeschwätz!«, fuhr Faustus dazwischen, als hätte er nur darauf gewartet, sich einmischen zu können. Seine Stimme klang schrill, während er mit erhobenem Zeigefinger vor Salahs Nase herumfuchtelte. »Gott der Allmächtige war es, der die Welt in sechs Tagen erschuf und den siebten Tag zum Ruhetag bestimmte! Gott war es und kein anderer. In der Genesis, im Buch der Bücher, kannst du es nachlesen. Aber wahrscheinlich kannst du gar nicht lesen, du armseliger Tor! O Vater im Himmel, welche Prüfung hast du mir mit dieser Reise in die Barbarei auferlegt!«

Angesichts von Faustus’ Ausbruch wich Salah erschrocken einen Schritt zurück, was ich zum Anlass nahm, mich schützend vor ihn zu stellen. Es war nicht das erste Mal, dass ich dem eifernden Prediger Einhalt gebieten musste. Oft genug hatte ich auf der Reise die Wogen glätten müssen, weil nicht jeder so leicht einzuschüchtern war wie der alte Salah. Der Kamelhändler in Jaffa fiel mir ein, der versucht hatte, einem jungen Hengst beim Einführen seines Penis in eine paarungsbereite Stute zu helfen. Oder die Würdenträger von Farma, die zu unseren Ehren ein Festmahl gegeben hatten, dessen Krönung das Auftischen von Ziegen-Embryonen war. Oder der reiche arabische Handelsherr, der auf dem Sklavenmarkt von Damaskus einen Knaben von oben bis unten betastet und ihn anschließend zur Befriedigung seiner Lust gekauft hatte – sie alle waren von Faustus abgekanzelt worden und hatten eine drohende Haltung gegen ihn eingenommen. Allein, er war unverbesserlich.

Niemand hatte ihn gebeten, uns auf unserem langen, gefahrvollen Weg zu begleiten, und manch einer hatte sich gewünscht, er wäre zu Hause im Frankenland geblieben. Das und mehr hätte ich Faustus sagen können. Doch ich schwieg abermals. Stattdessen sagte ich: »Die Menschen denken nun einmal verschieden. Jeder mag glauben, was er will, solange er den anderen in Frieden lässt.« Ich hoffte, damit würde der Prediger es bewenden lassen. Aber ich hatte mich geirrt.

»Willst du etwa behaupten, ich stifte Unfrieden, wenn ich Gottes Willen verkünde?«, lamentierte er. »Willst du mir den Mund verbieten? Ich sage dir: Mir den Mund zu verbieten heißt, Gott den Mund zu verbieten! Ich werde nicht nachlassen, für den Allmächtigen zu streiten, und wenn ich dafür den Märtyrertod sterben muss wie einst der heilige Faustus, nach dem meine selige Mutter mich benannt hat!«

»Die einzigen Märtyrer, die ich hier sehe, sind wir, die wir deine Nähe ertragen müssen, denn wir kratzen uns wegen deiner Läuse noch zu Tode«, entgegnete ich, da mir allmählich der Kragen platzte. »Lass Salah in Ruhe. Lass uns alle in Ruhe. Bereite dich lieber vor, um in Bagdad einen würdigen Dankgottesdienst für die erfolgreiche Reise abzuhalten.«

»Du wagst es …«, hob Faustus an, doch ich hatte genug von seinem Gezeter. Ich wandte mich ab und betrat die kleine hölzerne Wohnhütte, die für die Führer der Gesandtschaft auf dem größten Floß errichtet worden war. Aufatmend schlug ich die Tür hinter mir zu. Isaak, unser sprachkundiger Übersetzer, der auf seiner Lagerstatt geschlafen hatte, schreckte hoch. Ich bat um Entschuldigung, während ich im Halbdunkel mein eigenes Lager ansteuerte. »Tut mir leid, Isaak«, sagte ich, »ich musste vor Faustus flüchten.«

»Du meinst wohl, vor seinen Läusen?«, erwiderte er und lachte unfroh. Er war Jude und ein weitgereister Mann von blasser Erscheinung, den man weder alt noch jung nennen konnte, weder dick noch dünn. Doch wer ihn näher kannte, entdeckte hinter der Fassade einen tapferen Mann mit herausragenden Sprachkenntnissen. Gleich zu Beginn unserer Reise hatte ich ihn gebeten, mit mir ausschließlich arabisch zu sprechen, da es mir klug erschien, die Sprache unserer künftigen Gastgeber halbwegs zu beherrschen.

»Ja, auch vor seinen Läusen«, sagte ich auf Arabisch. »Er versuchte, Salah zu bekehren, als dieser mir sagte, wir würden Falludscha in wenigen Stunden erreichen.«

»Er ist ein blindwütiger Eiferer, und seine Besessenheit wird ihm irgendwann zum Verhängnis werden.« Isaak gähnte und erhob sich. »Ich wollte sowieso noch hinüber aufs mittlere Floß. Lantfrid und Sigimund sind dort und überprüfen den Zustand der Geschenke für Harun al-Raschid. Der Erhabene, dessen Name gepriesen sei, möge geben, dass alles noch unbeschädigt ist.« Er verließ mit schnellen Schritten die Hütte.

Das nahm ich zum Anlass, meine eigene Ausrüstung noch einmal zu überprüfen. Neben dem, was ich auf dem Leib trug, bestand meine Habe aus wenig mehr als einem Schulterbündel und einem verschließbaren hölzernen Kasten. In beidem befand sich das Wichtigste, was ich zur Behandlung von Kranken brauchte. Hieronymus, der Mönchsarzt vom Kloster Malmünd, hatte mir bei der Zusammenstellung der Inhalte sehr geholfen: So barg das Schulterbündel insgesamt sechzehn Leinensäckchen mit den unterschiedlichsten Heilkräutern. Darunter der Fingerhut, der bei Herzbeschwerden zum Einsatz kam, Kampfer, der als Pulver gegen Husten, Brustkrampf und Muskelschmerz wirkte, Mönchspfeffer, dessen scharf schmeckender Same die Monatsbeschwerden der Frauen linderte, aber auch als Speisewürze benutzt wurde, um die Fleischeslust bei Mönchen und Nonnen zu dämpfen.

Auf meine Frage, warum die notwendige Kräuteranzahl genau sechzehn betrage und nicht fünfzehn oder siebzehn, hatte Hieronymus mit ernster Miene geantwortet: »Warum gibt es die Dreifaltigkeit? Warum die vier Elemente? Warum die fünf Finger an jeder Hand? Du fragst zu viel. Im Übrigen entspricht die Zahl sechzehn genau jener Zahl an Kräutern, die du auch im hortulus, im Gärtlein unseres Klosters, finden wirst.«

Seine Antwort hatte mich nicht überzeugt, aber da er ein erfahrener Lehrmeister war, wagte ich seine Worte nicht anzuzweifeln.

Ich schloss den hölzernen Kasten auf. Er enthielt eine Auswahl an chirurgischen Instrumenten: blitzende Skalpelle, Messer, Sonden und Haken. Dazu Pinzetten, Löffel, Spreizer und manches andere. Auch mehrere halbrunde Nadeln, von denen eine sogar aus Gold war, dem am meisten heilungsfördernden Metall überhaupt. Und nicht zuletzt einen griechischen Schwamm, der bei Operationen als Spongia somnifera, als Schlafschwamm, diente. Was ich sah, beruhigte mich. Alles war vollständig und von guter Beschaffenheit.

Ich klappte den Deckel des hölzernen Kastens wieder zu. Er trug die Aufschrift: Quae herbae non sanat, ferrum sanat, eine Aufschrift, die in der Übersetzung »Was die Kräuter nicht heilen, heilt der Stahl« bedeutet.

In der Tat hatte ich immer wieder Gelegenheit gehabt, meine stählernen Instrumente einzusetzen. Ich hatte Geschwüre geöffnet und Verletzungen vernäht, hatte Zähne gezogen und zahllose Blasen, die vom Marschieren herrührten, aufgestochen. Dennoch: Wenn man bedachte, in wie viele gefahrvolle Situationen unsere Gesandtschaft geraten war, hatte ich erstaunlich wenig eingreifen müssen.

Ich hoffte, auf der Rückreise würden meine ärztlichen Herausforderungen nicht größer werden, denn jede weitergehende Maßnahme, eine Operation etwa oder eine Amputation, barg ein hohes Risiko. Doch zunächst mussten wir Falludscha erreichen – unsere letzte Station vor Bagdad, der Stadt Harun al-Raschids.

Ich streckte mich auf meinem Lager aus und fiel in einen unruhigen Schlummer.

 

 

Der Tag neigte sich schon, als unsere drei Flöße sich Falludscha näherten. Trotz der vorgerückten Stunde herrschte am Flussufer reges Treiben. Es summte wie in einem Bienenkorb, als Salah und seine Männer die Flöße an den Anlegern festmachten. Sie mussten achtgeben, wohin sie traten, denn zeitgleich mit uns war eine Karawane aus der Wüste eingetroffen, bestehend aus Dutzenden von Kamelen, denen man die Lasten abnahm. Es wurden Salzbarren zum Weitertransport auf Lastkähne verladen, Amphoren mit Olivenöl verstaut, Kisten mit Feigen geschultert, Sandelhölzer geschleppt, Weinfässer gerollt. Es wurde gerufen, gestoßen, gelacht und geflucht. Ein Chaos auf den ersten Blick. Doch ein Chaos mit System, wie ich erkannte. Denn jeder schien zu wissen, was seine Aufgabe war.

Lantfrid und Sigimund begaben sich an Land, um die Begrüßung durch Harun al-Raschids Abordnung entgegenzunehmen. Dazu hatten sie ihre besten Kleider angelegt. Beide trugen feine, indigogefärbte Kittel mit breitem Ledergürtel, darüber den Rechteckmantel, wie er im Abendland üblich ist. Dieser Mantel wird im Orient oftmals belächelt, doch wegen seiner einfachen Form ist er sehr vielseitig. Er besteht, wie der Name schon sagt, aus einem rechteckigen Stück Tuch, das meistens als Decke um die Schultern gelegt und an der Seite durch eine Spange zusammengehalten wird. Bei Lantfrid und Sigimund waren es, ihrem Stand entsprechend, sehr kostbare Spangen, wobei Sigimund als der Kleinere von beiden besser auf den Mantel verzichtet hätte. Nicht nur, weil es an jenem Abend drückend heiß war, sondern auch, weil er sehr kurze Beine hatte, was dem würdigen Eindruck, den er zu vermitteln trachtete, etwas abträglich war.

Nachdem sie eine Zeitlang auf und ab geschritten waren, ohne dass sie jemand beachtet hätte, riefen sie nach Isaak. Ich sah, wie sie mit seiner Hilfe den einen oder anderen Vorbeihastenden ansprachen, aber nur Kopfschütteln oder Schulterzucken ernteten. Sigimund verlor als Erster die Geduld. »Frage die Leute, ob es hier einen Hafenmeister oder etwas Ähnliches gibt«, befahl er Isaak. »Der wird wissen, wo die Begrüßung für uns stattfindet.«

Es dauerte wiederum eine Weile, bis ein kleiner, weißgewandeter Araber mit einem Abakus in der Hand erschien. Der Art nach, wie er sich aufführte, war er ein wichtiger Mann. Doch das, was er sagte, schien weitaus wichtiger zu sein, denn es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis er geendet hatte.

»Was hat er gesagt?«, fragte Sigimund.

»Er sagte, sein Name sei Yakub al-Schiraf.«

»Mehr nicht?«, fragte Lantfrid.

Isaak zuckte mit den Schultern. »Er sagte noch, Allah sei groß, und er sei der Teppichhändler, er würde uns einen guten Preis machen.«

»Und von einer Begrüßungsabordnung weiß er nichts?«

»Nein.«

Daraufhin sah ich, wie Lantfrid und Sigimund aufeinander einredeten. Sie unterschieden sich sehr im Temperament, und es gab selten eine Situation, in der sie auf Anhieb einer Meinung waren. Sigimund neigte oftmals zu schnellem Entschluss, während Lantfrid ein eher bedachtsames Wesen an den Tag legte. Zusammen jedoch bildeten sie ein erfolgreiches Gespann, und genau darum waren sie von König Karl als Führer unserer Gesandtschaft ausgewählt worden.

Sigimund sagte laut: »Frage ihn, ob er eine gute Herberge kennt.«

Wieder dauerte es aufreizend lange, bis Yakub al-Schiraf mit seinen Ausführungen fertig war, dann übersetzte Isaak: »Er fragt, wie viele Männer wir sind.«

Sigimund verdrehte die Augen. »Er soll einfach eine Herberge nennen und nicht so viel fragen!«

»Warte.« Lantfrid hob die Hand und bedeutete Isaak, er möge mit der Übersetzung warten. Er rechnete kurz nach, dann antwortete er: »Einschließlich der Knechte sind wir sechsundzwanzig Männer. Aber die Soldaten und die Knechte brauchen keine Zimmer. Sie können im Freien schlafen.«

Abermals setzte ein Redeschwall ein, bevor die Antwort feststand: Es gebe nur eine Herberge, die so groß sei, dass sie alle Männer aufnehmen könne, sagte Yakub al-Schiraf, aber diese Herberge sei durch die Ankunft der Karawane bereits restlos belegt. Er könne uns stattdessen sein Lagerhaus mit den Teppichen zur Verfügung stellen, und er würde uns einen Preis machen, der kleiner sei als der kleinste Dattelkern.

Nun riss auch Lantfrid der Geduldsfaden. »Sag dem Kerl, wir brauchen keine Teppiche. Wir bleiben die Nacht über an Bord unserer Flöße. Morgen früh sehen wir weiter.«

»Ja, sage ihm das«, bekräftigte Sigimund nach kurzem Zögern.

Die gestenreiche Antwort des Teppichhändlers ersparten sie sich. Sie ließen ihn stehen und kehrten an Bord zurück.

 

 

Am anderen Morgen brach die Gruppe früh auf. Nachdem sämtliches Gerät und alle Tiere an Land geschafft worden waren und wir uns von Salah und seinen Männern verabschiedet hatten, nahmen wir die Formation ein, in der wir die letzten Monate durch so viele Landstriche marschiert waren. An der Spitze und am Ende ritten jeweils drei Wachsoldaten, die das Gelände scharf beobachteten. Die ersten drei erkundeten gleichzeitig den Weg, die letzten drei sicherten den Tross nach hinten ab. An den Flanken links und rechts ritt ebenfalls ein Soldat. In der Regel waren es Garlef und Sigerik, zwei sächsische Krieger, die im Dienst König Karls standen und als besonders kampferprobt galten. In der Mitte fuhren mehrere Ochsenkarren, darauf die Käfige für die Kampfhunde und weitere Geschenke für Harun al-Raschid. Die zur Zucht bestimmten kostbaren Schlachtrösser wurden von drei erfahrenen Pferdeknechten betreut. Lantfrid und Sigimund hatten in Alexandria auf dem Kamelmarkt nach vielerlei Gefeilsche zwei Dromedare erstanden, auf denen sie würdig einherritten. Ich selbst reiste, ebenso wie Isaak, auf dem Rücken eines Esels – eine Fortbewegungsart, die vielleicht nicht standesgemäß war, doch überaus verlässlich, denn es geht nichts über die Zähigkeit und die Genügsamkeit eines Grautiers, wie jeder Weitgereiste bestätigen kann.

Wir marschierten Stunde um Stunde, immer nach Osten, dem Tigris entgegen, an dessen Ufer Bagdad liegt. Nur wenige Male machten wir halt, um den Tieren eine Rast zu gönnen und Wasser zu trinken. Am Abend schlugen wir ein Lager auf, entzündeten Kochfeuer und postierten die Wachen, wie wir es unzählige Male zuvor getan hatten. Wir wussten, es war die letzte Nacht vor dem Erreichen unseres Ziels, und Faustus ließ es sich nicht nehmen, dem Herrgott dafür zu danken, dass er uns auf unseren Wegen in seiner Gnade beschützt hatte. Alle nahmen an dieser Andacht teil. Alle, bis auf die Wachen sowie Garlef und Sigerik, die sächsischen Krieger.

Nach einem Loblied auf Gott und einem letzten »Amen« legten wir uns nieder.

Ich selbst jedoch erhob mich nach einer Weile wieder, denn ich konnte keinen Schlaf finden. Ich entfernte mich vom Lagerplatz und schritt ein wenig auf und ab. Über mir wölbte sich ein nachtschwarzer Himmel mit Hunderten von Sternen, von denen mir manche zum Greifen nah schienen. Fast so nah wie der Geröllhügel, der sich unmittelbar vor mir erhob. Seine dunklen Konturen ahnte ich eher, als dass ich sie sah. Dafür hörte ich dahinter umso deutlicher Geräusche. Sie klangen wie das Murmeln eines Baches. Ich trat näher und nahm menschliche Stimmen wahr. Es waren die Stimmen von Garlef und Sigerik.

Dann sah ich ein schwaches Feuer. Garlef und Sigerik knieten davor und redeten in einer mir unbekannten, kehligen Sprache. Ich verstand nichts. Eines jedoch glaubte ich zu erkennen: Sie beteten. In ihren Händen hielten sie Gegenstände, die mir sonderbar vorkamen. Sie streiften sie über ihre Gesichter. Waren es Masken? Waren es Götzenbilder? Welch Blendwerk spielte sich da ab?

Jetzt warfen sich beide vornüber auf den Boden, mit weit geöffneten Armen, ständig vor sich hin murmelnd und hin und wieder beschwörend einen Namen rufend. Der Name lautete Sinthgunt. Sinthgunt? Das sagte mir nichts. Wer oder was war Sinthgunt?

Ich erschauerte. Ein beklemmendes Gefühl kroch in mir hoch, als mir klarwurde, dass Garlef und Sigerik eine heidnische Gottheit anriefen.

Dann jedoch erinnerte ich mich an das, was ich am Tag zuvor Faustus entgegengehalten hatte, als dieser glaubte, den alten Salah bekehren zu müssen: Die Menschen denken nun einmal verschieden, hatte ich gesagt. Jeder mag glauben, was er will, solange er den anderen in Frieden lässt.

Und friedlich waren Garlef und Sigerik. Mehr noch, sie hatten für ihre Anbetung einen abgeschiedenen Ort gewählt, um niemanden zu behelligen. Ich kam zu dem Schluss, dass die Sache mich nichts anging. Ich war Arzt und kein Missionar. Und ich merkte, dass die Spannung von mir abfiel.

Leise machte ich mich davon und suchte wieder mein Lager auf.

 

 

Am Nachmittag des nächsten Tages erreichten wir die Ausläufer der »Runden Stadt«, wie Bagdad auch heute noch manchmal genannt wird, weil Kalif al-Mansur, der Großvater Haruns, sie ursprünglich in Kreisform hatte anlegen lassen. Für die dreißig Römischen Meilen von Falludscha bis zum Syrischen Tor, durch das wir von Westen her die Stadt betraten, hatten wir ohne Übernachtung und Pausen vierzehn Stunden gebraucht. Eine gute Marschleistung für eine Gruppe, deren Geschwindigkeit durch Ochsengespanne bestimmt wird.

Doch mit dem Marschieren sollte es fürs Erste genug sein. Wir alle waren müde und erschöpft und von Herzen froh, endlich unser Reiseziel erreicht zu haben. Wir passierten die drei Wälle, die ehemals die Runde Stadt begrenzten, und gelangten über eine der breiten Straßen, die wie Speichen eines Rades ins Zentrum führten, in das Herz der großen Metropole. Hier glaubten wir, den Palast Harun al-Raschids vorzufinden, doch wir hatten uns getäuscht. Man sagte uns, wir müssten das Innere der Stadt wieder verlassen und nach Osten zum Tigris-Ufer gehen, dort fänden wir den Großen Platz, und hinter diesem Platz läge al-Khuld, der »Palast der Ewigkeit«, wie der Prachtbau des Kalifen genannt werde.

Wir nahmen die letzten Kräfte zusammen, denn die Stadt in ihrer Ausdehnung war riesig. Aachen, die Residenz König Karls mit ihrer keineswegs kleinen Pfalz, erschien uns dagegen wie ein unscheinbares Dorf. Schließlich erreichten wir einen großen, quadratischen Platz, auf dem die Gebäude der Leibgarde errichtet worden waren. Auch die Aufenthaltshäuser für die zahlreichen Bittsteller des Kalifen befanden sich dort.

Lantfrid, Sigimund, Isaak und ich waren vorausgeritten, in der Hoffnung, unsere Ankunft hätte sich herumgesprochen und eine geziemende Begrüßung würde vor den Mauern des Palastes stattfinden. Doch wir hatten uns abermals getäuscht. Ein hagerer, hochaufgeschossener Mann eilte mit rudernden Armen auf uns zu, blickte uns streng an und stieß folgende Worte hervor: »Salam alaikum, Fremde! Niemand darf sich den Mauern des Palastes mehr als fünfzig Schritte nähern. Macht darum kehrt und wartet im Haus der Bittsteller, wie es jeder Untertan des großen amir al-mu’minin, des Befehlshabers der Gläubigen, zu tun hat!«

»Wir sind keine Bittsteller, mein Freund«, erwiderte Lantfrid mit Isaaks Hilfe. Und Sigimund fügte hinzu: »Ebenso wie du nicht die Begrüßungsabordnung des Kalifen sein dürftest.«

Da der Hagere uns keiner Antwort würdigte, ergriff Isaak selbst das Wort und sagte: »Wir sind von weit hergekommen, um dem Kalifen unsere Aufwartung zu machen. Wir sind eine Gesandtschaft von Karl, dem König der Franken. Vor dir stehen Lantfrid und Sigimund, zwei hohe Handelsherren und Vertraute des Königs, sowie Cunrad von Malmünd, unser Hakim. Ich selbst heiße Isaak, bin Jude und diene, wie du sicher gemerkt hast, der Gesandtschaft als Dolmetscher. Wir führen kostbare Geschenke für den Kalifen mit uns.«

Unglücklicherweise war unser Tross mit den Ochsenkarren, den Knechten und der Bewachung noch nicht in Sichtweite, was den Hageren wohl glauben ließ, wir hätten ihn angelogen. Er verzog höhnisch das Gesicht und sagte: »Ich sehe wohl, was ihr für Harun, den Nachfolger des Gesandten Allahs, in den Händen haltet. Es ist nichts als Luft. Nun macht, dass ihr ins Haus der Bittsteller kommt. Wenn die Zeit reif ist, da ihr vorsprechen dürft, wird man es euch wissen lassen.«

Nach diesen schroffen Worten wollte er sich entfernen, aber ein Ruf Sigimunds hielt ihn auf. »Wie ist dein Name, dass du es wagst, so unhöflich mit den Abgesandten eines mächtigen Königs zu sprechen?«, donnerte er.

Der Hagere hielt inne. »Mein Name ist Israfil«, sagte er herablassend.

»Israfil, na und?«, setzte Lantfrid nach. »Welcher Art sind deine Dienste für Kalif Harun?«

Der hagere Mann straffte sich. »Ich bin die rechte Hand von al-Fadl ibn al-Rabi, dem hadschib des Palastes.«

»Ich werde mir deinen Namen merken«, sagte Lantfrid grimmig und blickte dem sich Entfernenden nach.

Isaak erklärte: »Der hadschib ist der Kämmerer des Kalifen. Der Kämmerer ist ein sehr wichtiger Mann bei Hofe.«

»Das gibt diesem Israfil noch lange nicht das Recht, uns so zu behandeln«, entgegnete Lantfrid. Und Sigimund ergänzte bissig: »Der hadschib mag wichtig sein, sein Bediensteter aber ist nichts als wichtigtuerisch.«

»Ich schlage vor, wir fügen uns ins Unvermeidliche und nehmen Quartier im Haus der Bittsteller«, sagte ich. »Es ist sicher nur für eine Nacht. Morgen wird sich, so Gott will, alles aufklären.«

Mein Vorschlag wurde angenommen, und einige Stunden später hatte unsere ganze Gesandtschaft mit sämtlichen Tieren eine Unterkunft gefunden. Der Raum, den man mir und Isaak zugewiesen hatte, war klein und niedrig. Eine winzige Maueröffnung, die für die Luftzirkulation sorgen sollte, wies hinaus auf den großen Hof, an dessen Ende sich eine Zisterne befand, aus der unsere Tiere trinken konnten. Man hatte den Pferden Futtersäcke mit Korn umgebunden, den Hunden hatte man Fleischreste vorgeworfen, und Kamele und Esel fraßen Ballen von getrocknetem Gras, die man ihnen gegeben hatte.

Alles in allem geht es den Tieren besser als den Menschen, dachte ich bitter, während ich mich auf meinem harten Lager ausstreckte. Ich war todmüde und konnte dennoch wieder nicht einschlafen. Zu viele Gedanken geisterten in meinem Kopf herum. Überdies umschwirrten mich ständig Fliegen. Sie störten mich fast so sehr wie die Läusebisse, die ich Faustus und seiner falsch verstandenen Frömmigkeit verdankte.

Mein Blick wanderte über die rissigen Mauern, und ich sah manches Wort, das andere in früherer Zeit dort eingeritzt hatten. Die Bedeutung der Wörter konnte ich nicht erfassen, denn ich war nur in der Lage, arabisch zu sprechen, nicht aber, die arabische Schrift zu lesen. Dennoch konnte ich mir denken, worum es ging, die obszönen Zeichnungen daneben ließen keinen Zweifel zu.

Ein Gecko lief steil die Wand empor und verharrte mitten auf einem eingeritzten Phallus. Die kleine Echse war nahezu durchsichtig, ich konnte sehen, dass sich in ihrem Inneren ein schwarzer Klumpen befand. Es mussten Fliegen sein, die der Gecko verschluckt hatte.

Ich seufzte und wünschte mir, ich wäre ähnlich genügsam wie das kleine Tier, denn unsere Vorräte waren zur Neige gegangen, und niemand aus dem Palast hatte es für nötig befunden, uns mit Speisen zu versorgen. Der Gecko verweilte noch einen Augenblick, dann huschte er zur Tür hinaus. Ich beschloss, ihm zu folgen. Zwar wusste ich nicht, was mich in der Stadt erwartete, aber da an Schlaf nicht zu denken war, konnte ich ebenso gut die fremden Gassen erkunden.

Ich erhob mich und blickte auf den schlafenden Isaak hinunter. Er hatte wie alle anderen einen anstrengenden Tag gehabt. Ich ließ ihn ruhen, auch wenn es mir lieber gewesen wäre, ihn an meiner Seite zu haben.

Leise ging ich hinaus, gelangte auf den großen Platz und kam in eine der breiten Hauptstraßen, die in regelmäßigen Abständen von Fackeln erhellt wurden. Es war die Straße, die zum Khorasan-Tor führte, durch das man die Stadt verließ, wenn man den Weg zu den persischen Provinzen einschlagen wollte. Trotz des Lichts sah ich nur wenige Menschen, deshalb lenkte ich meine Schritte in eine der kleinen Seitengassen, aus der mir lebhaftes Stimmengewirr entgegenschlug. Ich kam in die Gasse der Stoffhändler, von dort in die Gasse der Geldwechsler und anschließend in die Gasse der Töpfer, wie ich an den irdenen Waren erkannte, die auch zu dieser späten Stunde noch ausgestellt waren.

»Du siehst aus, als wüsstest du einen meiner schönen Trinkkrüge zu schätzen, Herr«, ertönte plötzlich eine Stimme hinter mir.

Ich drehte mich um und sah einen Jungen von vielleicht dreizehn Jahren, der mich aus dunklen Augen anblickte.

Ich antwortete: »Willst du damit sagen, du hättest diese Stücke selbst gemacht?«

»Ja, Herr. Gefallen sie dir?«

Das war durchaus der Fall, doch mir stand nicht der Sinn nach dem Erwerb eines Tongefäßes, und ich sagte: »Für einen Töpfer scheinst du mir recht jung zu sein. Bestell deinem Vater, ich fände seine Arbeiten sehr schön, aber ich brauchte keinen Trinkkrug.« Und weitergehend sagte ich mehr zu mir selbst: »Wenn, dann höchstens seinen Inhalt, denn ich habe seit Stunden nichts getrunken.«

Da hielt der Junge mich am Ärmel fest. »Alles, was du hier siehst, Herr, habe ich selbst angefertigt. Das schwöre ich beim Propheten Mohammed, auf dem Allahs Segen und Heil ruhe. Verzeih, dass ich die Gastfreundschaft für einen Augenblick vergaß. Komm herein auf einen Trunk. Ich habe Minze aufgebrüht.«

Die Worte klangen so ehrlich und freundlich, dass ich nicht nein sagen konnte. Ich ging also mit dem Jungen in das Ladengewölbe, in dem er seine Werkstatt hatte, und nahm dankend etwas von dem heißen Getränk entgegen. Nachdem ich vorsichtig einen Schluck getrunken hatte, sagte ich: »Ich kann kaum glauben, dass du diese meisterhaften Stücke selbst gemacht hast, äh … wie ist eigentlich dein Name?«

»Wathiq, Herr«, antwortete der Junge. »Und doch verhält es sich so, dass alles, was du hier siehst, auf meiner Töpferscheibe entstanden ist. Mein Vater lehrte mich diese Kunst.« Ein Schatten fiel auf sein hübsches Gesicht. »Er ist vor zwei Jahren gestorben. Seitdem schlage ich mich allein durch.«

»Das tut mir sehr leid«, sagte ich. »Hast du denn gar keine Geschwister?«

»Doch, vier ältere Brüder. Aber sie sind blind. Sie leben auf der Blindeninsel im Tigris.«

»Auf der Blindeninsel?«, fragte ich.

»Ja, Herr.« Wathiq schenkte mir von der aufgebrühten Minze nach. »Alle, die durch die Augenkrankheit erblindet sind, leben auf der Insel. Es gibt dort ein bîmâristân, wie wir es nennen. Unser Kalif Harun hat diesen Ort der Fürsorge einrichten lassen. Ich will dir nicht zu nahe treten, Herr, aber du siehst nicht aus wie ein Muselmane, deshalb lass dir erklären, dass die Betreuung Bedürftiger im Islam eine Pflicht ist.«

»Im Frankenland, wo ich herkomme, wird Krankheit als Strafe für begangene Sünden verstanden, aber auch ein Christ wie ich weiß, dass man Siechen gegenüber barmherzig sein muss«, entgegnete ich. »Doch lass uns nicht über religiöse Dinge reden. Ich bin Cunrad, der Arzt, weshalb deine Landsleute mich Hakim nennen. Mich interessiert, welcher Art die Augenkrankheit ist, von der du sagst, sie habe zur Erblindung deiner Brüder geführt.«

»Wir nennen sie auch Körnchenkrankheit, Hakim. Sie ist sehr ansteckend. Die Nachbarn sagen, es ist ein Wunder Allahs, dass ich bisher von dem Übel verschont blieb.«

Ich hatte mir schon gedacht, dass die Krankheit, von der Wathiq sprach, sehr ansteckend war, denn ich kannte sie aus dem Werk De materia medica des griechischen Arztes Dioskurides. Er war es, der das Leiden als Erster »Trachom« genannt hatte, was so viel wie »rauhes Auge« heißt. Die Körnchen, so hatte ich bei ihm gelesen, bedecken die Augenlider von innen und sondern Schleim und Eiter ab. Nach einiger Zeit verheilen sie und hinterlassen Narben. Der Patient glaubt schon, er habe die Krankheit überwunden, doch mit jedem Wimpernschlag reiben sich die Narben an der Hornhaut des Auges. Weitere Körnchen entstehen. Darüber hinaus ziehen sich die Lider durch die Narben zusammen, wodurch sie sich krümmen und die Wimpern nach innen stehen. Neue Entzündungen und Verletzungen sind die Folge. Ein Teufelskreis, der letztendlich zur Erblindung führt.

Das alles wusste ich in der Theorie, in der Praxis jedoch hatte ich noch nie jemanden kennengelernt, der mit der Krankheit unmittelbar in Berührung gekommen war. Ich konnte deshalb meine Neugier nicht zügeln und sagte: »Hättest du etwas dagegen, wenn ich dich untersuche, Wathiq?«

Der Junge zögerte, dann sagte er: »Um ehrlich zu sein, habe ich Angst, du könntest etwas entdecken, Hakim.«

»Das verstehe ich«, sagte ich, »aber ich glaube nicht, dass ich etwas Verdächtiges finden werde. Und wenn es so wäre, würdest du es in Kürze ohnehin bei jedem Blinzeln spüren.«

»Vielleicht hast du recht.« Ganz überzeugt wirkte Wathiq jedoch nicht, deshalb sagte ich zu ihm: »Setz dich ins Licht. Es geht ganz schnell, und es tut nicht weh.«

Wathiq gehorchte. Ich nahm mit der linken Hand einen dünnen Griffel, wie man ihn zum Schreiben auf Wachs benutzt, hielt ihn quer über sein rechtes Auge und rollte vorsichtig das obere Lid über den Griffel. Dann betrachtete ich genau, was ich sah. Ich legte den Griffel zur Seite und zog mit dem Daumen das untere Lid nach vorn. Nach einem weiteren Blick sagte ich: »Ich bin Linkshänder, aber das darf keine Rolle spielen, wenn man Arzt ist. Man muss mit beiden Händen gleichermaßen geschickt sein. Deshalb nehme ich den Griffel jetzt in die rechte Hand und untersuche dein linkes Auge.«

Nachdem auch diese Prüfung vollzogen war, sagte ich: »Die Bindehaut beider Augen ist makellos, blassrot und glatt, wie sie sein soll. Nun hast du die Gewissheit, gesund zu sein.«

Wathiq atmete hörbar aus. Ich konnte sehen, wie erleichtert er war. »Danke, Hakim«, sagte er. »Aber gesetzt den Fall, du hättest, äh, etwas anderes gesehen, hättest du mich vor dem Erblinden bewahren können?«

Ich schüttelte den Kopf. »Für diese Art Augenkrankheit gibt es kein Heilmittel. Die äußere Schicht des Auges vernarbt im Laufe der Zeit so stark, dass die Bilder, welche die Luft überträgt, nicht mehr durch den hohlen Sehnerv die Hirnkammern erreichen, in denen der Lebensgeist sitzt. So jedenfalls hat es Aristoteles, ein griechischer Arzt und Philosoph, erklärt.«

»Ich habe zwar nicht alles verstanden, aber ich danke dir für die Erklärung, Hakim.«

»Tut mir leid, dass ich dir keine andere Antwort geben kann.« Ich stand auf, denn ich wollte die Gastfreundschaft des Jungen nicht länger in Anspruch nehmen. Das heiße Getränk hatte mir gutgetan, aber nun meldete sich mein Magen wieder mit Macht. Ich musste unbedingt etwas essen und hoffte, eine Garküche oder ein Wirtshaus in der Nähe finden zu können.

Als hätte er meine Gedanken erraten, sagte Wathiq: »Leider kann ich dir keine Speise anbieten, Hakim, ich habe selbst nichts, aber am Ende der Gasse findest du Ali, einen Wirt, den man den Hammelbrater nennt. Bei ihm wirst du gewiss etwas Gutes bekommen.«

»Willst du mich nicht begleiten?«

»Gern, Hakim, aber das ist nicht möglich. Ich kann meine Waren nicht unbeaufsichtigt lassen.«

»Nun, das verstehe ich. Jedenfalls danke ich dir für den Trunk.«

Wathiq deutete eine Verbeugung an. »Ich habe zu danken, Hakim, denn du hast mir eine große Sorge genommen. Allah sei mit dir.«

»Bleib gesund«, sagte ich, »vielleicht sehen wir uns irgendwann einmal wieder.«

Auf meinem Weg ans Ende der Gasse wurde ich mehrfach von anderen Ladeninhabern bedrängt, ich möge doch etwas kaufen, aber der freundliche Wathiq, der noch ein Knabe war und doch schon seinen Mann stehen musste, ging mir nicht aus dem Sinn. Dann jedoch brachte mich der Duft nach köstlicher Speise auf andere Gedanken. Ich hatte den Platz erreicht, an dem Ali, der Hammelbrater, seine Gäste bewirtete. Über einem Feuer drehte sich ein ganzer Schafbock am Spieß, und Ali, ein stark schwitzender Mann, schnitt davon große Fleischstücke ab. Mit dem sicheren Blick des erfahrenen Wirts erkannte er, dass ich als Gast in Frage kam, und rief mir zu: »Da auf der Bank ist noch ein Plätzchen frei, Fremder. Setz dich, und ich will dir ein Stück vom Besten bringen!«

Ich quetschte mich zwischen die anderen Gäste und wartete, bis ich die Speise bekam. Es war ein schönes Stück von der Keule, wie Ali mir versicherte, bevor er fordernd die Hand ausstreckte. »Bei mir wird immer sofort bezahlt, Fremder. Ich habe so meine Erfahrungen.«

»Wie du willst.« Ich gab ihm die geforderten Münzen und wollte mit Heißhunger den ersten Bissen zu mir nehmen, als sich zwei Männer, die mir gegenübersaßen, in die Unterhaltung einmischten. Der eine war von ungeschlachtem Äußeren und blickte grimmig drein, der andere war von großem Wuchs, mit ebenmäßigen Gesichtszügen und kleinem, energischem Mund. Beide trugen prächtige, kunstvoll gewickelte Turbane, denn in Arabien sagt man, der Turban sei auf dem Schlachtfeld ein Schild, in der Versammlung eine Ehre und in allen Wechselfällen des Lebens ein Schutz, außerdem lasse er seinen Träger größer erscheinen. Letzteres hatte der mit dem energischen Mund allerdings nicht nötig, er war auch so groß genug, selbst im Sitzen. Er fragte den Wirt: »Was meintest du eben damit, als du sagtest, du hättest deine ›Erfahrungen‹?«

Ali lachte ölig. »Du scheinst nicht von hier zu sein, Herr, sonst würdest du wissen, dass sich in Bagdad des Nachts viele Betrüger herumtreiben. Da kann man nicht vorsichtig genug sein. Nichts für ungut, woher kommst du, wenn ich fragen darf?«

»Aus Basra«, antwortete der Große nach kurzem Zögern, und der Grimmige nickte.

»Welch schöne Stadt! Die Spinnereien, die Zuckerfabriken, die großen Werften! Eine Nichte von mir wohnt dort, das heißt, genauer gesagt, in Kalla, dem Flusshafen von Basra. Kann ich dir noch etwas bringen, Herr?«

»Ja, einen Krug Wein. Und schenke deinem neuen Gast auch einen Becher ein.«

»Das ist sehr freundlich«, sagte ich, »aber ich kann für mich selbst zahlen.«

»Du bist unser Gast«, sagte der Große in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete, und der Grimmige bestätigte: »Ja, unser Gast.«

»Dann trinke ich auf eure Gesundheit«, sagte ich, als der Wein gebracht worden war und Ali mir eingeschenkt hatte.

»Und wir trinken auf deine. Allah gebe dir Frieden und ein langes Leben.«

»Möge Gott euch dasselbe schenken.«

»Gott?« Der Große, der gerade trinken wollte, hielt inne und sah mich stirnrunzelnd an.

»Ich bin Cunrad von Malmünd«, sagte ich, denn ich fand, es war Zeit, mich vorzustellen. »Ich bin Christ, ich komme aus dem Abendland mit einer Gesandtschaft, die Karl, der König der Franken, ausschickte, um Kontakte mit Harun al-Raschid zu knüpfen. Leider wurden wir bei unserer Ankunft sehr unhöflich behandelt, sonst würde ich nicht hier sitzen, sondern hätte eine angemessene Unterkunft im Palast gefunden.«

»Was du nicht sagst.« Der Große und der Grimmige sahen sich an und tranken. Ich dachte schon, ich hätte sie gelangweilt, als der Große wieder das Wort ergriff: »Wir sind Kaufleute und kommen viel in der Welt herum. Wir handeln mit Salz, Silber, Holz und Amber, und unsere Reisen führen uns bis nach Indien, aber im Frankenland waren wir noch nie. Erzähle uns von Karl, deinem König.«

Um Zeit zu gewinnen, trank auch ich zunächst einen Schluck und gleich darauf noch einen, denn niemals zuvor war ich in die Verlegenheit gekommen, etwas über meinen König erzählen zu müssen. Ich sagte also: »Karl ist ein mächtiger Herrscher, ungefähr fünfzig Jahre alt und mehr als sechs Fuß groß. Er hat einen klaren Blick, einen festen Händedruck und einen Bart, in dem sich noch kein einziges graues Haar findet. Zu seinen Lieblingsbeschäftigungen zählt die Jagd in den Wäldern und das Baden in den Quellen der Stadt Aachen. Jeder, der ihn sieht, ist von ihm eingenommen.«

»Auch die Frauen?«

»Nun, äh, auch die Frauen. Er ist zum vierten oder fünften Mal verheiratet. Seine jetzige Gemahlin heißt Luitgard.«

»Und hat er Nebenfrauen?«

Die Frage war mir ein wenig zu direkt. Ich wusste zwar, dass man bei Hofe tuschelte, Karls augenblickliche Geliebte heiße Gerswind und sei von sächsischem Geblüt, doch ich fand, das ging die beiden Kaufleute nichts an. Ich zuckte deshalb bedauernd mit den Schultern.

Der Große lächelte spöttisch. »Bei uns kann jeder Muselmane vier rechtmäßige Frauen haben und muss sich nicht heimlich mit seiner Angebeteten treffen. Im Koran steht: Ihr Gläubigen! Erklärt nicht die guten Dinge, die Allah euch erlaubt hat, für verboten! Und vom Propheten ist folgende Erkenntnis überliefert: Wann immer ihr den Geschlechtsakt vollzieht, gebt ihr ein Almosen. Ich muss schon sagen, dein König Karl tut mir leid.«

Darauf wollte ich lieber nicht eingehen und fuhr deshalb rasch fort: »Karl ist auch ein großer Feldherr, er gewann viele Schlachten gegen die Langobarden, die Sachsen und die Awaren. Sie alle hat er unterworfen. Ganz Europa gehört zu seinem Reich, bis auf England und den äußersten Norden.«

»Dann gehört ihm auch die Iberische Halbinsel?«

Ich stutzte. »Nein, die nicht. Ich vergaß, das Emirat von Córdoba zu erwähnen. Es wird, soviel ich weiß, von al-Hakam dem Ersten beherrscht, einem Omayyaden.« Ich wollte noch hinzufügen, dass Karl im Jahre 778 mit einem Feldzug in Spanien gescheitert war, überlegte es mir jedoch anders. Mein König sollte in den Augen Fremder nichts an Glanz einbüßen.

Der Große mit dem energischen Mund bestellte neuen Wein und sagte zu mir: »Der Omayyade ist ein Feind unseres Kalifen, das macht den Handel mit Spanien nicht gerade leichter. Dasselbe gilt für das Byzantinische Reich, in dem die Kaiserin Irene das Zepter schwingt. Sag, warum hat dein König dich und deine Gesandtschaft nicht zu Irene geschickt?«

Ich räusperte mich und spürte, dass ich meine Worte gut abwägen musste, denn wenn es um Politik geht, ist ein Streit schnell vom Zaun gebrochen. Also sagte ich: »Ich verstehe nichts von dem, was die Mächtigen dieser Welt bewegt, aber wenn ich es richtig sehe, fürchtet sich Irene vor Karls militärischer Macht, zumal er gute Beziehungen zu Papst Leo III. in Rom unterhält. Mit anderen Worten: Das Verhältnis zwischen Irene und Karl ist gespannt. Da ich gehört habe, dass Gleiches für das Verhältnis zwischen Harun und Irene gilt, scheint es mir ganz natürlich, dass Karl freundschaftliche Bande mit Kalif Harun al-Raschid knüpfen will.«

Der Große sagte verächtlich: »Irene ist eine falsche Schlange. Im letzten Jahr hat sie dafür gesorgt, dass ihr Sohn Konstantin, mit dem sie sich die Macht teilte, geblendet wurde, um allein regieren zu können.«

»Ich habe auf unserer Reise davon gehört«, antwortete ich vorsichtig. »Konstantin soll an den ihm zugefügten Wunden gestorben sein.«

»So ist es.« Der Große nickte und trank einen weiteren Schluck.

Der Grimmige, der bisher kaum ein Wort gesprochen hatte, fragte: »Weißt du, wie viele Männer dein König Karl unter Waffen hat?«

Ich zuckte bedauernd mit den Schultern: »Nein, das kann ich nicht sagen. Aber es sind sehr, sehr viele. Warum willst du das wissen?«

Bevor der Grimmige antworten konnte, sagte der Große: »Wie ich schon sagte, wir sind Kaufleute. Und nur dort lässt sich gut Handel treiben, wo das Land befriedet ist. Frieden aber gibt es nur, wenn eine starke Hand mit vielen Kriegern dafür sorgt.«

»Jetzt verstehe ich.« Ich schluckte den letzten Bissen meines Fleisches hinunter und wischte mit einem Stück Fladenbrot den Bratensaft auf. »Habt Dank für den Wein, ihr Herren. Es war sehr angenehm, mit euch zu plaudern, doch jetzt muss ich gehen. Wer weiß, was der morgige Tag für mich bereithält.«

Der Große lächelte. »Das weiß nur Allah, mein Freund. Gute Nacht, und gehe in Frieden.«

»Gute Nacht.«

Voller Gedanken wanderte ich durch die Gasse der Töpfer zurück. Als ich an Wathiqs Laden vorbeikam, machte ich halt und rief nach ihm. Ich bekam keine Antwort. Leise betrat ich die Werkstatt. Dort fand ich ihn. Er war auf dem Schemel vor seiner Töpferscheibe eingeschlafen. Im fahlen Licht der Straßenfackeln wirkte sein Gesicht überraschend klein und verletzlich. Ich beschloss, ihn nicht zu stören. Behutsam drückte ich ihm ein kleines Paket in die Armbeuge. Es enthielt eine gute Portion Fleisch von Alis Braten.

»Lass es dir schmecken«, murmelte ich und setzte meinen Weg zum Haus der Bittsteller fort, denn ich war plötzlich sehr müde …

 

 

Oh, Tariq, mein großherziger Gastgeber, hier soll der erste Teil meines Berichtes enden, denn auch jetzt spüre ich eine große Müdigkeit. Deshalb bitte ich dich, mir eine Pause zu gönnen. Ich danke dir für die köstliche Speise, die ich während meines Berichts zu mir nehmen durfte, und will morgen Abend um dieselbe Zeit wieder hier sein, um meine Geschichte weiterzuerzählen. Dann sollst du auch erfahren, warum sich an unserem zweiten Tag in Bagdad alles zum Guten fügte und unsere Gesandtschaft plötzlich willkommen war.

Richte auch der alten verschleierten Dienerin, die mich bis eben so freundlich umsorgte, meinen Dank aus. Ich habe lange nicht mehr so gut gegessen.

Nein, nein, behalte Platz, es ist nicht nötig, dass du mich hinausbegleitest. Ich wünsche dir eine gute Nacht. Allah sei mit dir – und Gott befohlen!

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Kapitel 2

Bagdad, Dezember 798

Ich schreckte von meinem Lager hoch, denn ich hatte Schreie gehört. Aus welcher Richtung waren sie gekommen? Isaak, der neben mir fest schlief, konnte nicht der Urheber sein. Wieder ertönte ein jammervoller Schrei. Er drang von außen in unsere armselige Unterkunft. Ich eilte hinaus und sah auf dem großen Platz einen Pfahl, der mir gestern nicht aufgefallen war. An den Pfahl war ein Mann gebunden, ein hagerer Mann mit nacktem Oberkörper. Neben ihm stand ein anderer Mann, der eine Peitsche schwang. Er ließ sie auf den Rücken des Hageren niedersausen, was einen neuerlichen Schrei zur Folge hatte. Ich schluckte, denn der Gezüchtigte tat mir leid. Doch dann endete mein Mitgefühl jäh, denn ich hatte den Mann wiedererkannt.

Es war Israfil.

Ich blickte mich um und sah, dass ich nicht der Einzige war, den die Schreie aufgestört hatten. Auch Lantfrid und Sigimund eilten aus ihrer Unterkunft herbei. »Was hat das zu bedeuten?«, fragte Lantfrid außer Atem. Dann erkannte er den Übeltäter und fügte nicht ohne Genugtuung hinzu: »Sieh da, die Gerechtigkeit nimmt ihren Lauf.«

Sigimund jedoch wies auf das große Palasttor, aus dem in diesem Augenblick ein würdig aussehender Araber trat. Er trug ein kostbares meergrünes Gewand und einen gleichfarbigen Turban, in dessen Mitte ein taubeneigroßer Topas blitzte. Er war in Begleitung von mehreren ebenso vornehm gekleideten Männern, bei denen es sich vermutlich um Höflinge handelte. Gemessenen Schrittes näherte sich der würdevolle Mann, bis er zehn Schritte vor uns haltmachte und sich verneigte. Dies alles geschah, während der hagere Israfil ohne Pause weiter schrie und weiter geschlagen wurde.

»Ich bin al-Fadl ibn al-Rabi, der hadschib des Khuld-Palastes, dem Wohnsitz von Harun al-Raschid, dem rechtmäßigen Nachfolger des Gesandten Allahs, dem Imam aller Muselmanen und Befehlshaber der Gläubigen«, sagte der würdevolle Mann umständlich. »Ich nehme an, ich habe es mit den Emissären zu tun, die der König des Frankenreiches von weit her ausschickte, um dem großen amir al-mu’minin seinen ehrerbietigen Gruß zu überbringen.«

Lantfrid und Sigimund blickten verständnislos drein, woraufhin al-Fadl, nun schon etwas verwundert, seine Worte wiederholte.

»Was hat er gesagt?« Lantfrid und Sigimund sahen mich an, und mir wurde mit Schrecken klar, dass Isaak noch immer schlief und mir nichts anderes übrigblieb, als die Aufgabe des Dolmetschers zu übernehmen. Also übersetzte ich die Worte al-Fadls, und ein Gespräch kam, wenn auch etwas holprig, zustande.

Nachdem wir uns ebenfalls verbeugt und vorgestellt hatten, sagte Lantfrid: »Wir fühlen uns sehr geehrt durch deine Begrüßung.«

Al-Fadl nickte voll Würde.

»Leider«, fuhr Lantfrid fort, »hatten wir nicht schon gestern Abend das Vergnügen, deine Bekanntschaft zu machen, aber ich bin sicher, dass dich unaufschiebbare Geschäfte daran hinderten.«

Damit hatte er dem hadschib zweifellos eine Kröte zu schlucken gegeben, aber dieser ließ sich nichts anmerken und antwortete: »Du hast recht. Ich hatte unaufschiebbare Geschäfte. Aber ich hätte sie sofort liegenlassen, wenn ich von eurer Ankunft unterrichtet worden wäre. Durch ein bedauerliches Missverständnis geschah dies nicht. Aber Missverständnisse sind dazu da, dass man sie ausräumt und« – er hob die buschigen Augenbrauen – »bestraft.« Während er das sagte, wanderte sein Blick zu dem unglücklichen Israfil, der die Tortur überstanden hatte und jammernd am Boden saß.

Niemand schien sich um seine blutenden Wunden zu kümmern. Ich musste an Wathiq, den jungen Töpfer, denken, der mir versichert hatte, dass die Betreuung Bedürftiger im Islam eine Pflicht sei, deshalb sagte ich: »Gewiss hat der Mann seine Strafe verdient, aber ist es in diesem Land nicht üblich, einen Verletzten zu verbinden?«

»Ich sehe keinen Verletzten«, entgegnete al-Fadl mit unbewegter Miene. »Ich sehe nur Gäste unseres rechtgeleiteten Kalifen Harun, die sehr willkommen sind. Im Übrigen ist es eine glückliche Fügung, dass unser aller Gebieter in diesen Tagen in Bagdad weilt, da er sich in letzter Zeit überwiegend in seinem Palast in Raqqa aufzuhalten pflegt. Bitte folgt mir nun.«

Doch Lantfrid und Sigimund zögerten. Leise sprachen sie aufeinander ein, dann sagte Sigimund zu mir: »Bleib du hier und kümmere dich um die Gruppe. Sorge dafür, dass sie unserem König keine Schande macht. Die Soldaten sollen ihre Ausrüstung reinigen und die Waffen putzen, die Pferdeknechte sollen die Rösser striegeln, die Kampfhunde sollen Maulkörbe tragen, damit sie nicht bellen, die Ochsenkarren sollen von Mist und Dreck gesäubert werden und so weiter und so weiter. Und wenn das alles getan ist, sollst du die Gruppe unter dem Banner Karls in den Palast führen. Kann ich mich auf dich verlassen?«

»Gewiss, das kannst du«, sagte ich, obwohl mir der Kopf schwirrte.

»Dann geh zurück zum Haus der Bittsteller und schick Isaak her.«

»Jawohl«, sagte ich und tat, wie mir geheißen.

Eine Stunde später war die gesamte Reisegruppe fertig zum Aufbruch. Ich begab mich an die Spitze, wo eine berittene Eskorte des Kalifen uns bereits erwartete, und in guter Ordnung marschierten wir über den großen Platz, vorbei an dem Pfahl, an dem ich kurz zuvor noch Israfil verbunden hatte, und machten halt vor dem riesigen, mit vergoldeten Ornamenten geschmückten Palasttor.

Das Tor war so groß, dass es mehrerer Männer bedurfte, um seine Flügel zu öffnen. Die Mauer, in die es eingelassen war, betrug in der Höhe über dreißig Fuß; das Tor selbst maß zwanzig Fuß. Ich fragte mich, warum es so hoch war, weil ich zu jener Zeit noch nicht wusste, dass nicht nur Krieger zu Pferde, sondern auch ausgewachsene Elefanten mit aufgesattelter Sänfte und Baldachin hindurchpassen mussten.

Angesichts der gewaltigen Ausmaße erwartete ich, eine Festung zu betreten, doch als ich das Tor passiert hatte, tauchte ich in eine völlig andere Welt ein.

Unversehens gelangte ich in ein Meer aus Blumen und Blüten, aus Farben und Düften. Gold, Silber, Diamanten und edle Hölzer begegneten mir und meinen Gefährten auf Schritt und Tritt. Am Wegesrand sah ich zierliche Gewächse, deren Blüten sich nach dem Sonnenstand ausrichteten. Sie waren so eingepflanzt, dass ihre Anordnung arabischen Buchstaben glich. Die Buchstaben wiederum bildeten Wörter und die Wörter Gedichte. Ich sah Bäume, deren Stamm und Gezweig mit goldener Folie überzogen waren, Folie, die mit dicht an dicht sitzenden Juwelen geschmückt war. Ich sah Blüten und Blätter, die mit Goldstaub gepudert waren. Ich sah marmorne Becken und künstlich angelegte Bäche, ich sah kleine, aus kostbaren Hölzern gefertigte Brücken, die über die Bäche führten, ich sah Lauben und Pavillons, die von Eiben und Zypressen gesäumt waren, ich sah silbrige Seen, auf denen weiße, rosafarbene und rote Seerosen kleine Inseln bildeten … Ich sah so viel, dass meine Augen trunken wurden von all der Pracht. Nichts, so schien mir, war in dieser Landschaft dem Zufall überlassen. Ein Paradies von Menschenhand.

Dann bestaunte ich die zahlreichen Gebäude mit ihrer strengen und doch spielerischen Architektur, die Säulen, die Erker, die filigranen Spitzbögen. Ebenso wie die Runde Stadt war auch al-Khuld in orientalischer Bauweise errichtet worden – aus ungebrannten Ziegeln, die mit gebrannten Ziegeln verstärkt und verschwenderisch mit Arabesken verziert worden waren.

Ich ging weiter und weiter und fragte mich schon, wie lange ich noch gehen sollte, als ein paar weißgekleidete Bedienstete sich vor mir verneigten und mir bedeuteten, ich möge stehen bleiben. Sie wiesen mit der Hand auf ein kleines Gebäude, über dessen Tür ein Löwenkopf aus Alabaster modelliert war. Ich sollte eintreten – und lehnte ab. Erst wollte ich wissen, was aus meinen Begleitern werden würde.

Ein längeres Palaver entstand, weil mein Arabisch noch nicht sehr gut war und weil ein Teil der Bediensteten diese Sprache nicht beherrschte. Es waren dunkelhäutige Kerle, vielleicht Sklaven aus Mauretanien, die mir am Ende mit Händen und Füßen erklärten, dass die Geschenke, deren Unterbringung mir besonders am Herzen lag, unter der Obhut unserer Soldaten bleiben könnten. Die Rösser sollten in einem Freigehege gehalten werden, die Hunde in einem Zwinger, für alle anderen Präsente, besonders die unvergleichlichen Schwerter, sollte ein fest zu verschließender Raum bereitgestellt werden.

Nachdem ich das Banner und damit die Verantwortung an Garlef und Sigerik weitergegeben hatte, erklärte ich mich bereit, das Löwenkopf-Haus zu betreten. Ich war gespannt, welche Art Unterkunft man für mich vorgesehen hatte, und kam in einen schmalen, nur von Oberlichtern erhellten Gang, dihliz genannt. Der Gang führte auf einen Hof, an dessen gegenüberliegender Seite mich ein glatzköpfiger, unglaublich dicker Mann erwartete, der wegen seiner Leibesfülle sichtlich Mühe hatte, eine Verbeugung anzudeuten. »Willkommen, Herr«, rief er mit quäkender, heller Knabenstimme, »mein Name ist Rayhan, das bedeutet ›der von Allah Bevorzugte‹. Ich bin der Oberste der Diener.«

»Ich danke dir«, sagte ich und fragte mich, wie ein so schmerbäuchiger, überdies kastrierter Mann von Gott bevorzugt sein konnte.