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Liebe ist wie Krieg. Leicht zu beginnen, schwer zu beenden. Seit Generationen ist das Land Kender in zwei Königreiche gespalten, die sich seither im ständigen Krieg miteinander befinden. In diesen schweren Zeiten bekommt König Verion ein Friedensangebot. Er soll eine reinrassige Leoparden-Wandlerin adligen Geblüts aus dem verfeindeten Nachbarreich zur Frau nehmen und damit beide Reiche wieder vereinen. Auf einem eigens dafür arrangierten Maskenball soll er seine Wahl treffen. Viktoria ist eine der Kandidatinnen und versucht alles, um den König auf dem Ball nicht aufzufallen, denn ein anderer Wandler zieht sie in seinen Bann. Die Wahl des Königs stellt nicht nur Viktorias Leben auf den Kopf. Auch ihre Schwester Cassandra muss den schicksalhaften Wendungen trotzen und sich auf ein gefährliches Spiel einlassen … Auftakt einer romantischen Trilogie über royale Gestaltwandler.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
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M. J. Martens
Die Gestaltwandler von Korsua
Leopardentränen
Band I
Buchbeschreibung:
Liebe ist wie Krieg. Leicht zu beginnen, schwer zu beenden.
Seit Generationen ist das Land Kender in zwei Königreiche gespalten, die sich seither im ständigen Krieg miteinander befinden. In diesen schweren Zeiten bekommt König Verion ein Friedensangebot. Er soll eine reinrassige Leoparden-Wandlerin adligen Geblüts aus dem verfeindeten Nachbarreich zur Frau nehmen und damit beide Reiche wieder vereinen. Auf einem eigens dafür arrangierten Maskenball soll er seine Wahl treffen. Viktoria ist eine der Kandidatinnen und versucht alles, um den König auf dem Ball nicht aufzufallen, denn ein anderer Wandler zieht sie in seinen Bann.
Die Wahl des Königs stellt nicht nur Viktorias Leben auf den Kopf. Auch ihre Schwester Cassandra muss den schicksalhaften Wendungen trotzen und sich auf ein gefährliches Spiel einlassen …
Über die Autorin:
M. J. Martens alias Ella Nikolei hat es schon immer geliebt, in Geschichten einzutauchen. Bereits in der Grundschule hat sie kleine Geschichten, Gedichte und Liedtexte für sich selbst verfasst.
Wenn sie nicht gerade schreibt, liest sie ein gutes Buch oder greift zu Stift und Papier und drückt ihre Kreativität in Bildern aus.
Der Name M. J. Martens steht für Bücher aus dem Bereich Fantasy. Dabei findet sich in ihrem Repertoire sowohl High Fantasy, als auch Sword and Sorcery und Urban Fantasy.
Unter Ella Nikolei veröffentlicht die Autorin überwiegend Bücher in den Genres Romace und Crime, gerne auch miteinander verwoben.
Die Gestaltwandler von Korsua
Leopardentränen
4. Auflage, 2025
© M. J. Martens
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Lektorat: Martina König
Umschlaggestaltung : Giusy Ame/Magical Cover
Bildquelle: Despositphoto
Kapitelschmuck von Despositphoto
Impressum:
M. J. Martens
c/o COCENTER
Koppoldstr. 1
86551 Aichach
www.ella-schreibt.com
Für alle, die mutig genug sind, ihre Masken fallenzulassen.
Inhaltsverzeichnis
Karte von Korsua8
Über die Welt Korsua9
Kapitel 1, Verion10
Kapitel 2, Viktoria21
Kapitel 3, Jared33
Kapitel 4, Jared48
Kapitel 5, Viktoria63
Kapitel 6, Viktoria75
Kapitel 7, Cassandra95
Kapitel 8, Verion114
Kapitel 9, Viktoria129
Kapitel 10, Viktoria141
Kapitel 11, Cassandra158
Kapitel 12, Viktoria168
Kapitel 13, Viktoria184
Kapitel 14, Cassandra190
Kapitel 15, Viktoria202
Kapitel 16, Viktoria220
Kapitel 17, Jared244
Kapitel 18, Viktoria257
Kapitel 19, Cassandra271
Kapitel 20, Cassandra285
Kapitel 21, Verion304
Epilog, Cassandra311
So geht es in Korsua weiter314
Karte von Korsua
Über die Welt Korsua
Korsua ist eine von der Autorin erfundene Welt, in der euch kein einziger Mensch begegnen wird, dafür aber viele Gestaltwandler. Jeder von ihnen kann die Gestalt einer Raubkatze annehmen. Vom kleinen Ozelot bis zum großen Tiger ist jede Art vertreten. Auch auf schwarze Panther werdet ihr stoßen. Diese sind jedoch keine eigenständige Rasse, sondern schwarze Leoparden oder Jaguare.
Kapitel 1, Verion
Mein Fell ist völlig durchnässt, als ich mit meinem Gefolge das Schloss von König Iramon erreiche. Die sonst so glänzenden weißen Steine der Fassade sind von einem tristen grauen Nebel umhüllt. Drei Tage lang hat es durchgeregnet. Die schlammige Erde haftet an meinen Pfoten und hinterlässt dunkle Abdrücke auf den hellen Pflastersteinen der Straße.
Meine Armee und ich hatten kaum unser Lager auf einer freien Wiese hinter Oberkenders Hauptstadt aufgeschlagen, da erreichte uns auch schon ein Bote Iramons und teilte uns mit, sein König habe ein Friedensangebot für uns. Lange habe ich mit meinen Männern darüber diskutiert, ob wir Iramon anhören oder an unserem Plan festhalten und die Stadt Tiweh angreifen. Statt der üblichen Tagesreise sind wir fast doppelt so lange unterwegs gewesen, obwohl wir uns nicht an die verschlungene Hauptstraße halten mussten und Abkürzungen durch Wälder und Wiesen genommen haben. Doch aufgrund des Regens mussten wir unsere Reise immer wieder unterbrechen, ein Zwischenlager aufbauen und warten, bis der Niederschlag nachgelassen hatte. Bei Beginn dieses Unwetters hatte bereits der halbe Weg hinter uns gelegen, weswegen eine Rückkehr nicht infrage kam.
Und nun laufe ich mit einem Geleit von Iramons Soldaten durch die Stadt, die Generationen meiner Familie einzunehmen versuchten. Ehrfürchtig sehe ich auf das große Eisentor, welches das Schloss von der restlichen Stadt trennt. Zahlreiche Kratzer zeugen noch heute von dem Tag, an dem mein Vater versucht hat, in das Schloss einzudringen, um den damaligen König zu stürzen und das gespaltene Land unter seiner Alleinherrschaft wieder zu vereinen. An jenem Tag haben sowohl Iramon als auch ich unsere Väter verloren und unsere Herrschaft begann. Mit gerade einmal neunzehn Jahren haben wir die Throne von Ober- und Unterkender bestiegen, mit dem Versprechen an unsere Väter, dass wir alles unternehmen würden, um den jeweils anderen Teil von Kender zu unterwerfen und so die Alleinherrschaft des vereinten Königreiches an uns zu reißen.
Unter einem lauten Rumoren öffnet sich das Tor und gibt den Blick auf das Schloss frei. Erst jetzt ist die Pracht der weißen Steine wirklich zu erkennen und stellt damit ein Gegenbild zu den dunklen Steinen meines Schlosses in Jola dar. Dennoch wirkt es trostlos und wenig einladend.
Bis auf die Soldaten befindet sich keine einzige Seele auf dem Hof. Doch rechts bei den Stallungen kann ich sehen, wie uns einige Wandler an die Wände gepresst beobachten. Unsere Völker leben schon so lange im Krieg, dass sich die Angst vor einem jederzeitigen Angriff tief in ihnen verankert hat.
Zwei Soldaten öffnen die breite Eingangstür des Schlosses. Das Wasser tropft von meinem Fell auf den hellen Marmorboden, als ich eintrete und durch die breiten Gänge laufe. Es wirkt von innen genauso ungemütlich wie von außen. Die weißen Steine verkleiden das Schloss, hier drinnen ist alles wesentlich dunkler, karg und steril. Die einzige Dekoration sind die Wachen, die wie versteinert in einigen Metern Abstand voneinander stehen. Ihre graue Kleidung wird beinahe eins mit den Steinen.
Wir folgen Iramons Soldaten den Gang entlang, vorbei an zahlreichen dunklen Holztüren, bis wir vor dem Thronsaal stehen bleiben. Zwei der Wachen öffnen uns die Tür. Der Schlamm fällt noch immer von meinen Pfoten, als ich die vier Stufen hinaufsteige. Keine einzige Vase oder Blume schmückt den riesigen Raum, der dadurch kalt und ungemütlich erscheint. Alles hier wirkt so trostlos. Nicht einmal ein bisschen Sonne scheint durch die großen Fenster. Der Himmel ist noch immer mit grauen Wolken verhangen. Nur die vielen Kerzen in den Kronleuchtern sorgen für ein wenig Wärme.
Meine sechs besten Krieger bleiben dicht neben mir, allen voran mein engster Vertrauter Jared. Jaguare sind unter den Raubkatzen in ihrer Gestalt etwas größer und kompakter als wir Leoparden, aber Jared übertrifft jeden seiner Art, der mir bisher begegnet ist. Seine breiten Schultern und der muskulöse Körperbau wirken bedrohlich. Er ist der geschickteste Krieger, den ich kenne, sowohl in seiner menschlichen Gestalt als auch als Raubkatze. Seine gelbbraunen Augen sind auf König Iramon gerichtet und seine Haltung ist leicht geduckt. Er ist bereit, jederzeit anzugreifen, wenn dies hier eine Falle sein sollte.
Seit ich denken kann, steht mein Königreich mit dem von Iramon im Krieg. Seit unser Urgroßvater Armon das Königreich vor vielen Jahren geteilt hat, bekriegen sich seine Erben, um über das gesamte Land zu herrschen. Armon konnte sich nicht entscheiden, welchem seiner beiden Söhne er seinen Thron vermachen soll. Um beiden gleichermaßen gerecht zu werden, ließ er sie jeweils über eine Hälfte des Landes herrschen. Doch keiner von beiden wollte sich damit zufriedengeben. Die Gier, die Alleinherrschaft über das gesamte Land an sich zu reißen, wurde ihren Erben bereits in die Wiege gelegt.
Auch mein Vater hat immerzu Krieg mit dem Herrscher von Oberkender geführt. Sechs Jahre ist er nun schon tot und meine Herrschaft besteht fast ausschließlich darin, Krieg zu führen.
Vor Kurzem hielt ich es noch für unmöglich, dass uns ein Friedensangebot erreichen würde. Iramon war nahezu besessen vom Kampf. Und das hat seine Spuren hinterlassen. Heute steht er dem Tod näher als dem Leben. Dennoch habe ich nicht erwartet, dass er wahrhaft an einem Friedenspakt interessiert sein könnte.
Der König streckt seine Leopardengestalt auf einem breiten schwarzen Samtkissen aus, das ihm als Thron dient. Im ganzen Land erzählt das Volk sich, dass er so gut wie gar nicht mehr seine menschliche Gestalt annimmt.
Ich kann mein Entsetzen kaum unterdrücken, als ich ihm näher komme. Sein Fell ist stumpf und matt, sein Körper abgemagert. Er hat Mühe, seinen Kopf aufrecht zu halten.
Ich kenne Iramon nur als einen sehr stolzen und starken Leoparden. Umso mehr schockiert es mich, dieses armselige Abbild seiner selbst zu betrachten. Obwohl wir im selben Jahr geboren sind, wirkt er im Vergleich zu mir wie ein sehr alter Wandler. Welche Krankheit plagt ihn wohl, die ihn so auszehrt?
Meine Soldaten und ich bleiben einige Meter vor ihm stehen. »König Iramon«, begrüße ich ihn auf der mentalen Ebene, die alle Gestaltwandler benutzen.
»König Verion.« Seine Gedanken sind genauso langsam und beschwerlich wie sein Versuch, sich zu erheben. »Es freut mich, dass Ihr meiner Einladung gefolgt seid.«
»Ihr wollt mir also ein Friedensangebot unterbreiten?«, frage ich direkt, während ich einen Blick auf die vielen Wachen neben ihm werfe. Einige halten ihre Hände nah bei ihren Schwertern. Die anderen haben sich verwandelt und beobachten uns in ihrer Puma- oder Löwengestalt ganz genau.
»So ist es.«
Meine Muskeln spannen sich immer fester an. Irgendetwas in mir kann einfach nicht glauben, dass sich alles zum Guten wenden soll. Mein Blick haftet kurz an dem kräftigen Löwen neben Iramon, der mich ganz genau beobachtet. Die Anspannung liegt so deutlich in der Luft, dass ich fast glaube, sie greifen zu können. »Und wie soll dieses aussehen?«
»Es ist kein Geheimnis, dass ich bald sterben werde. Seht, was der Krieg aus mir gemacht hat.« Mit einem gequälten Ausdruck erhebt Iramon sich mühselig. Seine Vorderbeine zittern, als er sie durchstreckt. In seiner sitzenden Position wird das Ausmaß seiner Krankheit noch deutlicher. Einige Stellen an seinem Bauch sind völlig kahl und jede seiner Rippen zeichnet sich unter seinem lichten Fell ab. Er schluckt schwer, bevor er in Gedanken weiterspricht. »Ich habe mir die schlimmsten Krankheiten eingefangen und bin so schwach, dass ich kaum noch allein aufstehen kann. Mein Ende ist nah, sehr nah, und ich werde ohne einen Erben sterben. Immerzu muss ich daran denken, was passiert, sobald ich tot bin.«
Iramon hat weder Frau noch Kinder. Fürs Heiraten hat er sich nie die Zeit genommen. Er war genau wie ich zu sehr damit beschäftigt, Krieg zu führen. Seine beiden Brüder sind im Kampf gefallen und auch sonst hat er keine näheren lebenden Verwandten mehr.
»Und?«, frage ich nach einem kurzen Blick aus dem Fenster. »Wie seht Ihr die Zukunft Eures Landes?«
»Es wird in seinem eigenen Krieg um den Thron versinken. Ich kann die Häuser bereits brennen sehen und die Frauen schreien hören. Soll das etwa mein Vermächtnis sein?«
»Das hoffe ich nicht.«
Er nickt beschwerlich und schnauft so laut, als habe er gerade ein Wettrennen bestritten. »Aus diesem Grund habe ich eine Entscheidung getroffen. Ich vermache Euch mein Land. Somit werdet Ihr alleiniger Herrscher über ganz Kender.«
Ich kneife ungläubig meine Augen leicht zusammen. Wieso sollte er das tun? »Einfach so? Verzeiht mir, wenn ich dies nicht recht glauben kann.«
Iramon kann sich nicht mehr auf seinen Beinen halten und lässt sich laut ächzend zurück auf das Kissen sinken. »Nicht einfach so. Eine Bedingung gibt es.«
Habe ich es mir doch gedacht. »Und die wäre?«
»Heiratet eine Frau aus meinem Reich, aus meiner Geburtsstadt Tiweh.«
Ich habe mit vielem gerechnet, aber nicht mit einer Vermählung. Alles in mir sträubt sich gegen solch einen Pakt. »Nein«, antworte ich sofort und lasse meinen aufsteigenden Zorn auf der mentalen Ebene mitschwingen. »Schon mein Vater vermochte es nicht, mich zu verheiraten, und Ihr werdet das auch nicht.«
Was habe ich es gehasst, wenn er wieder einmal Adlige mit ihren Töchtern zu uns auf das Schloss eingeladen hatte. Außer einer ansehnlichen Hülle hatten diese Damen leider nie etwas zu bieten. Sofort spüre ich wieder dieses beklemmende Gefühl und sehe mich mit den heillos überschminkten und parfümierten Damen an einem Tisch sitzen. Eine schriller lachend als die andere. Bei diesem Gedanken stellt sich mein Fell auf.
Iramon schnauft. »Überlegt es Euch gut. Ihr könntet den Krieg damit ein für alle Male beenden.« Sein müder Blick schweift über meine Soldaten. »Es muss nie wieder unnötig Blut vergossen werden.«
Ich lasse mir Zeit mit meiner Antwort. Für mich kommt eine Hochzeit unter solchen Umständen nicht infrage. Wenn ich heirate, dann wähle ich eine Frau, die mich um meinetwillen liebt, und nicht, weil sie durch mich Königin von ganz Kender wird. Aber wie soll ich unter diesen Umständen solch eine Wandlerin finden?
»Ich lasse mir keine Frau aufzwingen!«, entgegne ich und gebe ihm damit die gleiche Antwort, die auch mein Vater von mir zu hören bekam.
»Ich werde Euch niemanden aufzwingen.« Nach einer kurzen Atempause blickt Iramon mir direkt in die Augen. Seine Worte sind nur Gedanken und kosten ihn dennoch alle Kraft. »Ihr könnt sie Euch selbst aussuchen.«
Und das soll es besser machen?
Ich höre ein deutliches Knurren und mache die Quelle dafür schnell ausfindig. Es ist der Löwe, der direkt neben Iramon steht. Ihm ist deutlich anzusehen, wie gern er sich mitteilen würde, doch er hält sich zurück.
»Dies ist nicht die richtige Zeit, um nur an Euch selbst zu denken«, fährt Iramon fort, dem das Knurren seines Wächters ebenfalls nicht entgangen ist. »Ihr tragt die Verantwortung für Euer gesamtes Volk. Familien wurden durch den Krieg getrennt, der Handel eingeschränkt. Weiter als bis zum Fluss, der unsere beiden Königreiche trennt, traut sich das Volk nicht zu reisen. Wollt Ihr ihm wirklich die Möglichkeit verwehren, das alles hinter sich zu lassen und in Frieden zu leben?«
So krank Iramon auch ist, so geschickt wählt er seine Worte. Aber ist dies tatsächlich der einzige Weg? Kann er nicht etwas anderes fordern? Doch wenn ich ehrlich bin, ist mir die Taktik hinter seiner Forderung durchaus bewusst. Er will den dauerhaften Frieden durch diese Verbindung sichern. Aber warum muss dies ausgerechnet auf meine Kosten geschehen?
»So Zerios es will, werdet Ihr ein langes Leben haben«, fügt Iramon hinzu. »Ihr könnt eine Familie gründen und Eure Kinder in einer sicheren Umgebung aufwachsen sehen. Ihr Leben muss nicht aus Krieg bestehen, so wie unseres.«
So langsam beginne ich an meiner starren Haltung zu zweifeln.
»Was denkst du?«, erreicht nur mich allein Jareds Stimme. Gestaltwandler mit einer tiefen, emotionalen Bindung können eine eigene mentale Ebene zur Kommunikation erschaffen, auf der niemand sie belauschen kann. Seit Jared mir vor vier Jahren das Leben gerettet hat, verfügen wir über eine solche Ebene.
»Ich will gewiss nicht irgendeine Wandlerin heiraten, die ich nicht kenne«, antworte ich ihm. »Aber Iramon hat recht. Ich habe die Möglichkeit, diesen Krieg endlich zu beenden. Zu viele Wandler haben hierfür schon ihr Leben gelassen. Das muss aufhören.«
Iramon sieht uns mit müden Augen an. »Ich weiß, dass dieses Angebot sehr überraschend kommt, aber ich habe sehr lange darüber nachgedacht. Ich würde Euch gern mit jemandem aus meinem Haus verheiraten, doch da gibt es niemanden. Deswegen lautet meine einzige Forderung, dass eine Frau aus Tiweh an Eurer Seite herrschen soll.« Erneut braucht Iramon eine Atempause. »Ich bitte Euch, genau zu überlegen und dabei an unser aller Wohl zu denken. So ist das Schicksal von uns Königen nun einmal. Wir können und dürfen nicht nur an uns denken.«
Iramons Worte bereiten mir ein deutliches Unbehagen in meiner Magengegend. Noch immer bin ich nicht gewillt, ihm zuzustimmen, aber was wäre ich für ein König, dieses Friedensangebot abzulehnen? Es würde niemals ein Geheimnis bleiben und ich kann bereits die durchbohrenden und strafenden Blicke des Volkes spüren, wenn ich nach Jola zurückkehre. Es würde mich für diese Entscheidung verachten und hätte auch jeden Grund dazu.
»Also gut.« Die Worte verlassen nur widerwillig meine Gedanken. »Um des Friedens willen werde ich das Angebot annehmen.«
Iramon schließt für einen kurzen Moment seine Augen. Ihm scheint ein großer Stein vom Herzen zu fallen. »Dann sehe ich vor meinem Tod wenigstens einen Lichtblick«, seufzt er. »So werde ich morgen Abend einen Ball veranstalten lassen, zu dem wir die potenziellen Ehekandidatinnen einladen. Es soll eine reinrassige Leopardin sein.« Mühselig dreht er seinen Kopf zu dem Löwen neben sich. »Geh sofort zum Marktplatz und verkünde es.«
Aus meinen Augenwinkeln kann ich sehen, wie Jared seinen Kopf schüttelt. Er weiß, dass ich derartige Bälle nicht besonders schätze.
Der Löwe will gerade den Raum verlassen, als ich der Anweisung noch etwas beifüge.
»Verkünde, dass es ein Maskenball wird.«
Kapitel 2, Viktoria
Wie sie alle künstlich lachen. Eng eingeschnürt in ihre Korsagen, um noch schlanker zu wirken, stehen die Wandlerinnen in ihren feinsten Kleidern da. Ihre Haare sind aufwendig frisiert und ihre Gesichter mit Schminke bedeckt. Wie auf einer Treibjagd scharen sie sich vor den Stufen des Throns, auf denen König Verion steht. Das schwarze Samtkissen hinter ihm ist leer. Auch wenn es König Iramon gewesen ist, der zu dem Ball in seinem Schloss geladen hat, bleibt er der Veranstaltung fern. Mich wundert das nicht. Im ganzen Land wird erzählt, er sei sehr krank und nur noch ein Schatten seiner selbst. An seiner Stelle würde ich mich wohl auch lieber zurückziehen.
Dafür hat König Verion jetzt die volle Aufmerksamkeit. Die adligen Damen versuchen vehement, sein Interesse zu wecken. Keine von ihnen kennt ihn näher, sie wollen ihn nur heiraten, um Königin zu werden.
Kopfschüttelnd beobachte ich ihr Treiben. Die schwarze Maske mit dem goldenen Rand verhüllt die obere Hälfte meines Gesichtes. Meine Augen sind auf eine junge Wandlerin gerichtet. Sie achtet beim Tanz lieber auf den König anstatt auf den Adligen ihr gegenüber und tritt ihm ständig auf die Füße. Der junge Wandler ist nur ein Statist. Die eingeladenen männlichen Adligen haben heute lediglich die Aufgabe, uns junge Wandlerinnen hübsch in Szene zu setzen.
Auf dem Marktplatz herrschte gestern das reinste Chaos, nachdem ein Soldat des Königs verkündet hatte, dass am heutigen Abend ein Maskenball stattfinden würde, auf dem König Verion eine Wandlerin als seine Frau auswählen würde, um mit ihr das Königreich zu vereinen. Wie aufgescheuchte Hühner eilten die adligen Damen auf ihrer Suche nach passenden Kleidern und Masken durch die Stadt. Sämtliche Schneider mussten dafür die ganze Nacht durcharbeiten.
Meine Schwester und mich ließ das völlig kalt. Seit fast einem Jahr ist Cassandra nun schon mit einem Lord verlobt, den unser Onkel Lenard für sie ausgesucht hat. Eine Hochzeit hat er bisher gekonnt hinauszuzögern gewusst, weil er hofft, eine noch bessere Partie machen zu können, wenn es ihm gelingt, gesellschaftlich aufzusteigen. Ruhm ist alles, was für ihn zählt. Gefühle spielen in seinem Leben keine Rolle. Zumindest nicht die von meiner Zwillingsschwester und mir. Nachdem unsere Eltern vor fünf Jahren verstorben sind, übernahm der Bruder unseres Vaters sein Anwesen und damit auch unsere Fürsorge. Wenn ich das überhaupt so nennen kann. Weder er noch seine Frau Dina hatten jemals auch nur einen Funken Liebe für uns übrig. In ihren Augen sind wir nur Ware, die sie möglichst gewinnbringend verkaufen wollen.
Ich konnte Lenard ansehen, dass er am liebsten auch Cassandra auf diesen Ball geschickt hätte. Aber er konnte keine Wandlerin zu einer Brautschau schicken, die bereits versprochen ist. Genau deswegen hat er mir aufgetragen, alles zu tun, um dem König zu gefallen. Aber das werde ich nicht. Ich hege kein Interesse, seine Ehefrau zu werden. Aus der Ferne wirkt er mit seiner gut gebauten Statur, den edlen Gewändern und den kurzen dunklen Haaren ganz ansehnlich. Um ihn heiraten zu wollen, ist mir das aber nicht genug. Immerhin kenne ich ihn kaum. Ich weiß nichts über seine Gepflogenheiten oder seinen Umgang mit einer Frau. Ich weiß nur das, was das Volk über ihn erzählt. Verion hat den Ruf eines eisernen Herrschers. Er bestraft hart, vergibt nie und soll zu Gefühlen unfähig sein. Vor zwei Jahren soll er sogar seinen eigenen Bruder getötet haben. Über den Grund gibt es die wildesten Spekulationen. Manche sagen, sein Bruder wollte ihm den Thron streitig machen. Andere behaupten, sie wären über irgendwelche Kriegsstrategien in Streit geraten. Es gibt aber auch das Gerücht, dass Verion in die Frau seines Bruders verliebt gewesen sei und ihn getötet habe, um sie heiraten zu können. Komisch nur, dass bis jetzt keine Hochzeit stattgefunden hat.
»Sieh ihn dir an.« Collettes hellbraune Augen leuchten unter ihrer hellen Maske, die mit unzähligen roten Perlen versehen ist, während sie zum König blickt. »Welch eine Anmut. So elegant und stark. Kein Wunder, dass die Wandlerinnen sich um ihn scharen.«
»Ihr Verhalten ist peinlich«, murmele ich und verschränke meine Arme vor dem Körper.
Sie winkt beschwichtigend ab. »Erzähl mir nicht, du würdest dich nicht auch gern mit ihm unterhalten.« Collette zieht ihre schmalen Augenbrauen nach oben und legt einen herausfordernden Blick auf.
Bei ihren Worten kann ich nur mit meinen Augen rollen. »Ich strebe nicht danach, Königin zu werden. Und ich hoffe, dass auch du nicht vorhast, dich dem König anzubiedern.«
Sie verzieht ihre vollen, mit blutrotem Lippenstift bemalten Lippen zu einem breiten Lächeln und streckt den Rücken durch. Collette ist eine sehr sinnliche Leoparden-Wandlerin. Sie hat ihren schlanken Körper in ein tiefrotes Kleid aus feinstem Stoff gehüllt, welches ihre Brust nur notdürftig bedeckt. »Wieso sollte ich?«, fragt sie in einem amüsierten Tonfall und streckt ihre schmale Nase nach oben. »Gleich beginnt der königliche Tanz. Los, stellen wir uns auf.« Als die Musik vorerst verstummt, läuft sie geradewegs zur Mitte des Raumes, wo die Wandler ihren Tanz unterbrechen und die Damen sich in einem großen Kreis aufstellen.
Mein Zögern bleibt Lenard nicht verborgen und schon steht er neben mir. »Worauf wartest du?«, zischt er mich leise an. »Stell dich zu den anderen. Und wenn du mit dem König tanzt, wirst du alles tun, um ihn zu beeindrucken.«
»Und was genau soll das sein?«, frage ich schnippisch.
Mein Onkel rümpft ungeduldig seine Nase. »Stell dich nicht so an, du bist schließlich eine Frau. Mach ihm hübsche Augen, geize nicht mit deinen Reizen.«
Und das soll ihn beeindrucken? Ich kann nur noch genervt mit den Augen rollen, während ich langsam einen Platz im Kreis einnehme. Ich werde mich nicht verstellen, weder für den König noch für sonst jemanden, ganz egal, wie sehr mein Onkel mich dazu drängt. Ich habe ihm bereits mit der Wahl meiner Kleidung zu verstehen gegeben, dass ich keine Lust auf seine Spielchen habe. Lenard wollte, dass ich das goldene Kleid anziehe, welches sich fast wie eine zweite Haut an meinen Körper schmiegt und somit meine Reize besonders betont. Aber ich habe ein schwarzes Kleid aus weichem Stoff gewählt, das sehr schlicht und unauffällig gehalten ist. Lenards Kopf ist blutrot angelaufen, als er mich darin gesehen hat, doch zum Umziehen blieb keine Zeit mehr.
Es dauert nicht lange, bis sich einige Herren zu uns gesellen, die uns als Tanzpartner dienen dürfen. König Verion läuft die Stufen hinab und reicht der Adligen, die ihm am nächsten steht, die Hand zum Tanz. Die blonde Wandlerin wirkt, als bekäme sie gleich Atemnot, als sie diese berührt.
»Darf ich um den ersten Tanz bitten?«, ertönt neben mir eine für einen männlichen Wandler viel zu hohe Stimme. Der gertenschlanke Adlige verbeugt sich leicht vor mir, als er mir seine Hand einladend entgegenstreckt. Unter seiner gelben Maske blicken mich zwei graue Augen neugierig an.
»Danke, gern«, antworte ich und mache einen kleinen Knicks, so wie es die Etikette vorschreibt.
Der Dirigent gibt den Musikern ein Zeichen und kurz darauf ertönen neue sanfte Klänge von Geigen und Flöten. Ich werde von dem Wandler mit den Schritten, die jeder von uns bereits als Kind erlernt, über das Parkett geführt. Dabei sind seine Bewegungen nicht annähernd so weich, wie seine filigrane Figur es vermuten lässt.
Da er es offenbar nicht für nötig gehalten hat, sich in Parfüm zu tränken, kann ich auch in meiner menschlichen Gestalt deutlich riechen, welche Art von Raubkatze gerade versucht mit mir zu tanzen.
Er ist ein Gepard.
Die meisten von ihnen sind in beiden Gestalten rank und schlank. Eigentlich sind sie auch sehr elegant in ihrer Haltung und Bewegung. Dieser Wandler scheint dabei eine Ausnahme zu bilden. Ich bin heilfroh, als die Klänge der Rasseln ertönen. Es ist das Zeichen für den Partnerwechsel.
In meiner letzten Drehung gehe ich einige Schritte nach rechts und reiche meinem nächsten Tanzpartner die Hand. Der aschblonde Wandler bewegt sich wie ein grober Klotz und macht mir das Tanzen noch schwerer als der Gepard. Ihm ist deutlich anzusehen, dass er auf diese Farce genauso wenig Lust hat wie ich. Es gibt kein äußeres Detail, welches ihn als Puma zu erkennen gibt. Nur schwarze Panther sind auf den ersten Blick aufgrund ihrer Augen zu erkennen. Alle anderen verraten sich durch ihren Geruch und ihre Aura.
Nach dem Puma werden meine Tanzpartner erträglicher und sie zeigen wesentlich mehr Taktgefühl. Aber bei keinem von ihnen könnte ich hinterher behaupten, den Tanz wirklich genossen zu haben.
Dann bin ich an der Reihe, mit dem König zu tanzen. Ich gehe vor ihm nicht tiefer in die Knie als bei allen anderen, obwohl die Etikette besagt, dass jede Wandlerin zum Zeichen der Ehrerbietung vor Seiner Hoheit in einen tiefen Hofknicks fallen muss.
Um während des Tanzes in sein Gesicht sehen zu können, muss ich den Kopf heben. Im Schein von Hunderten von Kerzen, die sowohl im Kronleuchter als auch in den zahlreichen Ständern am Boden entzündet worden sind, funkeln mich seine tiefblauen Augen an. Der König schenkt mir ein kurzes, gezwungenes Lächeln, während er mich in taktvollen Schritten zu der Musik führt. Die kleinen Edelsteine an den Manschetten und am Kragen seiner feinen Jacke strahlen einen sanften Schimmer aus. Seine dunkelbraunen Haare sind akkurat zur Seite gekämmt.
»Ihr seid eine ausgesprochen gute Tänzerin«, beginnt er das Gespräch in einem ruhigen Ton. Jegliches Lächeln ist aus seinem Gesicht gewichen. Ich bin mir nicht sicher, ob er gelangweilt ist oder ob er immer so ausdruckslos dreinschaut. »Kommt Ihr öfter in den Genuss solcher Bälle?«
»Nein.« Ich versuche meine Stimme so neutral wie möglich klingen zu lassen. »Dies ist mein erster Ball seit Langem. In meiner Erziehung wurde jedoch viel Wert darauf gelegt, dass ich die Tänze beherrsche.«
Seine Mundwinkel zucken kurz, verformen sich jedoch nicht zu einem Lächeln. Der Gesichtsausdruck des Königs bleibt eisern, als er seinen Kopf leicht zur Seite neigt. »Wie ist Euer Name?«
»Tragen wir nicht alle diese Masken, weil heute Abend Namen keine Rolle spielen?«, frage ich ein wenig kokett und kann ein leicht verwundertes Blinzeln unter seiner dunklen Maske erkennen.
»Ach, meint Ihr, dass dies der Grund dafür ist?«
Ich zucke mit den Schultern. »Um Kender zu vereinen, müsst Ihr Euch schnell für eine Braut entscheiden. Welchen Grund solltet Ihr sonst für einen Maskenball haben, wenn nicht den, Euch bei Eurer Wahl weder vom Namen und der Herkunft Eurer Auserwählten noch von ihrem hübschen Gesicht täuschen lassen zu wollen?«
Für einen Moment schaut er mir einfach nur in die Augen, dann nickt er. »In der Tat, da habt Ihr recht.«
Ich kann nicht behaupten, dass es unangenehm wäre, mit dem König zu tanzen. Seine Bewegungen sind geschmeidig, sein Duft sehr angenehm. Jedoch verfalle ich auch nicht in völlige Verzückung.
Wieder ertönt die Rassel und ich bewege mich zum nächsten Wandler. Es verschlägt mir für einen Moment die Sprache, als ich in zwei Haselaugen blicke. Die Mixtur aus Braun und Grün erinnert mich an den Wald, in den Cassandra und ich uns immerzu heimlich schleichen, um unserem trostlosen Alltag zu entkommen und wenigstens etwas Spaß zu haben. Die Größe des Wandlers ist imponierend. Hinter seinen breiten Schultern könnte ich mich mühelos verstecken.
Mit einem charmanten Lächeln reicht er mir seine Hand, in der meine wie die einer Puppe wirkt. Seine kantigen Gesichtszüge verschaffen ihm auch in seiner menschlichen Gestalt etwas Animalisches. Dazu die wilden, langen, dunkelblonden Haare, mit denen er den Anschein erweckt, er wäre ein Löwe. Doch sein Geruch verrät mir ganz deutlich, dass er ein Jaguar ist.
»Verzeiht, wenn ich das so sage«, ertönt seine etwas raue Stimme, als wir gemeinsam über den Marmorboden schreiten. »Ihr wirkt mir nicht so enthusiastisch wie die anderen Wandlerinnen.«
Abermals hebe ich die Schultern, während ich seinem Blick standhalte. »Der einzige Grund, warum wir heute alle hier sind, ist doch, dass der König eine Frau sucht. Und das tut er nur, um Kender unter seiner Herrschaft zu vereinen. Von Emotionen wird seine Entscheidung sicherlich nicht getragen. Wieso sollte mich das locken?«
»Ihr würdet Königin von ganz Kender werden. Wollt Ihr mir wirklich sagen, dass dies nicht verlockend genug ist?«
»Ich kenne den König nicht. Sein Charakter, seine Wünsche und Vorlieben sind mir völlig fremd. Es bedarf schon etwas mehr als der Aussicht, Königin zu werden, um eine Heirat in Erwägung zu ziehen.«
Ich kann ein leichtes Gelb in seinen Augen aufleuchten sehen. Das passiert bei uns Wandlern, wenn wir emotional reagieren. Je mehr Gefühle wir verspüren, umso stärker kommt die Augenfarbe der Raubkatze in uns zum Vorschein. »Wessen bedarf es Eurer Meinung nach denn noch, außer eines Titels und eines hübschen Gesichtes?«
Es gibt viele Dinge, die ich von einem Wandler erwarte, der mich beeindrucken möchte. Dazu gehören zum Beispiel ein höflicher Umgang, gepflegte Gespräche, in denen zugehört und nicht nur angehört wird. Und vor allem bedarf es einer Sache. »Eines guten Herzens.«
Seine schmalen Lippen verformen sich zu einem breiten Lächeln. »Heute Abend seid Ihr wohl die Einzige, die das so sieht. Die anderen Wandlerinnen lecken sich die Finger nach dem König. Jede möchte Königin des wiedervereinten Königreiches werden.«
Das Gelb in seinen Augen ist schon wieder erloschen. Für mich ist dieser Farbwechsel immer wieder faszinierend anzusehen. Vielleicht liegt es daran, dass Cassandra und ich nicht über diese Eigenschaft verfügen. Wir sind beide als schwarze Panther zur Welt gekommen, was unsere Reinrassigkeit leider nicht beeinflusst, denn dann wären wir als Ehekandidatinnen für den König gar nicht erst infrage gekommen. Wir sind einfach nur eine besondere Art von Leoparden. Nicht nur unser schwarzes Fell ist eines unserer Merkmale, sondern ebenfalls unsere lilafarbenen Augen, die wir auch in menschlicher Gestalt haben. Eine Veränderung der Augenfarbe ist daher bei uns nicht wahrnehmbar.
»Ich bin sicher, dass König Verion eine gute Wahl treffen wird.« Ich lasse meinen Blick nur ganz kurz über die Schulter zu ihm schweifen. Die brünette Wandlerin, mit der er gerade tanzt, himmelt ihn an. »Aber irgendwie tut er mir auch ein bisschen leid. Umzingelt von Wandlerinnen, die sich nicht seinetwillen um ihn bemühen … das muss ziemlich ernüchternd sein. Und Zeit, um eine von ihnen näher kennenzulernen, bleibt ihm auch nicht.«
Mein mir fremder Tanzpartner lächelt und führt mich gefühlvoll im Takt der Musik. Obwohl er ein sehr großer und muskulöser Mann ist, sind seine Bewegungen so geschmeidig, wie die einer Katze nur sein können. »Verratet Ihr mir Euren Namen?«
Ich hole Luft, um ihm die gleiche Antwort wie zuvor dem König zu geben, doch ich schlucke meine Worte herunter. Irgendetwas an diesem Wandler fasziniert mich und ich möchte gern mehr über ihn erfahren. »Mein Name ist Viktoria, und wer seid Ihr?«
»Jared.«
Woher er wohl kommt? Aus Tiweh ist er ganz sicher nicht. »Gehört Ihr zum Gefolge des Königs?«
»Das kann man so sagen. Meine Aufgabe ist es, ihn zu beschützen.«
»Und wieso beschützt Ihr ihn dann nicht vor dieser Horde wilder Damen?«
Einen Augenblick lang starrt Jared mich ungläubig an, dann beginnt er zu lachen. »Glaubt mir, vor denen kann selbst ich ihn nicht beschützen.«
Ich lasse mich weiter von ihm führen. Unsere Blicke haften dabei aneinander. Ich weiß nicht genau, woran es liegt, aber er hat mich blitzschnell in seinen Bann gezogen. Plötzlich finde ich es wunderschön auf diesem Ball und möchte gar nicht mehr aufhören, mit ihm zu tanzen.
Umso enttäuschter bin ich, als die Rasseln erneut erklingen und ich zum letzten Mal weitergehen muss. Viel lieber wäre ich bei Jared geblieben. Zudem muss ich mich jetzt wieder auf die hölzernen Schritte eines ungeschickten Wandlers einstellen.
Ich blicke zurück zu Jared, dessen Bewegungen so leichtfüßig waren. Er sieht in meine Richtung und wir halten eine Zeit lang Blickkontakt.
Ob ich ihn nach dem Ball noch einmal wiedersehe?
Kapitel 3, Jared
Ich sehe noch all die adligen Damen vom Vorabend vor mir stehen. Obwohl sie mit mir getanzt haben, hielten sie immerzu Ausschau nach Verion. Alle bis auf eine. Die Wandlerin mit den wunderschönen Augen, deren Lila so dominant ist, dass es kein Gelb durchschimmern lässt. Sie war die Einzige, die ihre makellose Haut nicht mit unnötiger Schminke bedeckte. Ihre langen schwarzen Haare sind einfach an ihrem schlanken Körper herabgeflossen und ihre Augen haben mich immerzu angefunkelt.
Es ist die natürliche Schönheit einer Wandlerin, die ich schätze. Vor allem ihre Schönheit in ihrer wahren Gestalt. Wir sind Raubkatzen, aber die meisten von uns verbringen den Großteil ihres Lebens lieber in ihrer menschlichen Gestalt. Sie tragen seidene Gewänder, teuren Schmuck und definieren sich über ihren Besitz. Auch Reisen unternehmen sie lieber zu Pferd, anstatt als Raubkatzen die Abkürzungen durch die Wälder zu nehmen. Aber es ist nun einmal so viel bequemer, wenn sie sich nicht selbst bewegen müssen. Das Jagen haben sie beinahe vollkommen aufgegeben und ziehen es vor, ihr Essen auf goldenen Tellern serviert zu bekommen.
Verion und ich schätzen die Jagd und streifen gern durch die Wälder, wenn es die Zeit erlaubt. Heute allerdings werden wir den ganzen Tag in Iramons Schloss verbringen müssen.
Ich nutze die wenige Zeit, die mir vor der Versammlung bleibt, und mache einen Spaziergang durch den Schlosspark. Meine Gedanken kreisen um die eine Wandlerin, die sich von den anderen abhob. Die Wandlerin, die beim Tanz mit mir wirklich anwesend war und mich als eigene Person wahrgenommen hat.
Viktoria.
Ihre Bewegungen haben sich beim Tanz so perfekt an meine angepasst, als hätten wir jahrelange Übung darin. Schon als ich ihre weiche Haut zum ersten Mal berührte und ihr dabei in die Augen sah, spürte ich ihre Wärme durch meinen Körper strömen. Ich bin kein Wandler, der sich schnell beeindrucken lässt, aber seit dem gestrigen Abend muss ich immerzu an sie denken. Sie kam mir nicht wie eine Fremde vor. Ob sie das auch gespürt hat?
Viktoria ist die einzige gewesen, die auf die lästige Fleischbeschauung genau so wenig Lust hatte wie Verion und ich. Aber Verion ist ein König, der sich seiner Pflichten durchaus bewusst ist und immer das Beste für sein Land und sein Volk im Sinn hat. Ich beneide ihn nicht um seine Position, werde ihn aber immer so gut ich kann in allem unterstützen.
Neben dicken Eichen und umgeben von zahlreichen breiten Büschen steht die Statue von Iramons Vater, König Taron. Thronend auf einem Podest, inmitten eines großen Brunnens. Je näher ich darauf zugehe, desto mehr verstecken mich die Bäume und Büsche. Und als mich nur noch wenige Meter vom Brunnen trennen, sehe ich die junge Frau, die davor steht. Die Arme vor ihrem gelben Seidenkleid verschränkt, betrachtet sie die Skulptur.
Schritte auf einem Kiesweg sind verräterisch und so dreht sie sich zu mir um. Mein Herz setzt einen Schlag aus, als ich in ihre lilafarbenen Augen sehe. Viktoria. Endlich kann ihr hübsches Gesicht ganz ohne Maske betrachten. Augenblicklich gehört ihr meine volle Aufmerksamkeit.
»Eine prachtvolle Statue, nicht wahr?«, frage ich und deute mit einem Nicken auf das steinerne Abbild von König Taron.
»Ich glaube, es wurde etwas mit der Größe übertrieben.«
Dicht vor ihr bleibe ich stehen. »Tatsächlich?«
»Mein Vater hat König Taron als recht kleinen und etwas ... beleibten Wandler beschrieben.«
»Ich bin ihm selbst nie begegnet. Ich habe nur von seinem scharfen Verstand gehört. Und von seinem unerschütterlichen Willen, Kender wieder zu vereinen.«
»Dann wird er aufgrund seines Scheiterns diese Welt wohl ohne Seelenfrieden verlassen haben.«
Ihre ehrliche und offene Art reizt mich. Es gibt vor allem unter den adligen Wandlerinnen nicht viele, die ihre Meinung so unverblümt kundtun. »Aber jetzt gibt endlich die Möglichkeit für Frieden.«
»Hm«, antwortet sie nur und schaut nachdenklich auf die Statue. »Was glaubt ihr, wofür genau dachte König Taron sich in Stein verewigen zu müssen?«
Ich bin mir ziemlich sicher, dass kein tieferer Sinn dahintersteckte. »Er war ein König. Ich denke, das war ihm Grund genug.«
»Ja, er war ein König.« In ihren Tonfall mischt sich etwas Dunkles. »Aber was hat er als solcher getan? Er hat in Oberkender absolut nichts besser gemacht. Ich weiß noch, wie mein Vater erzählt hat, wie die Soldaten in die Häuser gekommen sind und den Beitrag eines jeden für den Krieg gefordert haben. Vor allem die Armen hat es getroffen. Den Soldaten und auch dem König war das egal. Hauptsache er konnte seinen Krieg finanzieren.«
Prüfend werfe ich einen Blick nach rechts, nach links und hinter mich. Auch wenn ich von Viktorias Art sehr angetan bin, so ist ihre Wortwahl im Hause von König Iramon sehr unvorsichtig. »Ihr seid hier am Hof seiner Nachfahren. Vielleicht solltet Ihr nicht so abfällig über den verstorbenen König reden.«