Die Gestaltwandler von Korsua: Tigerseelen - M. J. Martens - E-Book

Die Gestaltwandler von Korsua: Tigerseelen E-Book

M. J. Martens

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Beschreibung

Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt. Die in sich gekehrte Prinzessin Silayla kann schon seit einiger Zeit nicht mehr ihre Gestalt als Tigerin annehmen – eines der schlimmsten Dinge, die einem Gestaltwandler passieren können. Als in ihrem Land Krieg ausbricht, wird sie von ihrem Vater zu ihrem eigenen Schutz auf den Landsitz einer alten Freundin der Familie geschickt. Dort schafft es Dorian, der attraktive Neffe der Hausherrin, ihre sorgsam errichteten seelischen Mauern einzureißen. Währenddessen überschlagen sich die Ereignisse im Königreich und die beiden müssen sich einem gemeinsamen Feind stellen. Doch plötzlich hat Silayla einen Grund, für den es sich zu kämpfen lohnt … Band 2 der romantischen Trilogie über royale Gestaltwandler.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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M. J. Martens

Die Gestaltwandler von Korsua

Tigerseelen

Band II

Buchbeschreibung:

** Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt **

Die in sich gekehrte Prinzessin Silayla kann schon seit einiger Zeit nicht mehr ihre Gestalt als Tigerin annehmen – eines der schlimmsten Dinge, die einem Gestaltwandler passieren können. Als in ihrem Land Krieg ausbricht, wird sie von ihrem Vater zu ihrem eigenen Schutz auf den Landsitz einer alten Freundin der Familie geschickt. Dort schafft es Dorian, der attraktive Neffe der Hausherrin, ihre sorgsam errichteten seelischen Mauern einzureißen. Währenddessen überschlagen sich die Ereignisse im Königreich und die beiden müssen sich einem gemeinsamen Feind stellen. Doch plötzlich hat Silayla einen Grund, für den es sich zu kämpfen lohnt …

Über die Autorin:

M. J. Martens alias Ella Nikolei hat es schon immer geliebt, in Geschichten einzutauchen. Bereits in der Grundschule hat sie kleine Geschichten, Gedichte und Liedtexte für sich selbst verfasst.

Wenn sie nicht gerade schreibt, liest sie ein gutes Buch oder greift zu Stift und Papier und drückt ihre Kreativität in Bildern aus.

Der Name M. J. Martens steht für Bücher aus dem Bereich Fantasy. Dabei findet sich in ihrem Repertoire sowohl High Fantasy, als auch Sword and Sorcery und Urban Fantasy.

Unter Ella Nikolei veröffentlicht die Autorin überwiegend Bücher in den Genres Romace und Crime, gerne auch miteinander verwoben.

Die Gestaltwandler von Korsua

Tigerseelen

3. Auflage, 2025

© M. J. Martens

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Lektorat: Martina König

Umschlaggestaltung : Giusy Ame/Magical Cover

Bildquelle: Despositphoto

Kapitelschmuck von Despositphoto

Impressum:

M. J. Martens

c/o COCENTER

Koppoldstr. 1

86551 Aichach

www.ella-schreibt.com

Für alle, die mutig genug sind, ihre Mauern bröckeln zu lassen.

Inhaltsverzeichnis

Karte von Korsua8

Über die Welt Korsua9

Prolog, Grenna10

Kapitel 1, Silayla18

Kapitel 2, Dorian28

Kapitel 3, Silayla36

Kapitel 4, Silayla52

Kapitel 5, Grenna63

Kapitel 6, Silayla75

Kapitel 7, Silayla88

Kapitel 8, Silayla102

Kapitel 9, Dorian121

Kapitel 10, Silayla133

Kapitel 11, Silayla151

Kapitel 12, Silayla164

Kapitel 13, Silayla178

Kapitel 14, Grenna192

Kapitel 15, Silayla206

Kapitel 16, Dorian224

Kapitel 17, Dorian234

Kapitel 18, Silayla245

Kapitel 19, Silayla255

Kapitel 20, Silayla273

Kapitel 21, Silayla289

Kapitel 22, Dorian307

Kapitel 23, Silayla319

Epilog, Silayla331

So geht es in Korsua weiter336

Karte von Korsua

Über die Welt Korsua

Korsua ist eine von der Autorin erfundene Welt, in der euch kein einziger Mensch begegnen wird, dafür aber viele Gestaltwandler. Jeder von ihnen kann die Gestalt einer Raubkatze annehmen. Vom kleinen Ozelot bis zum großen Tiger ist jede Art vertreten. Auch auf schwarze Panther werdet ihr stoßen. Diese sind jedoch keine eigenständige Rasse, sondern schwarze Leoparden oder Jaguare.

Prolog, Grenna

Der Himmel ist genauso finster wie der Anlass, aus dem ich heute hier bin. Seit Jahren bin ich nicht mehr in der Hauptstadt gewesen und ich kann nicht fassen, dass der Grund meines Erscheinens die Beerdigung der Königin ist.

Ein dichter Tränenschleier vor meinen Augen erschwert mir die Sicht auf den Trauerzug. Gemeinsam laufen wir durch den sonst so prachtvollen Schlossgarten, in dem sogar die vielen Blumen ihre Köpfe hängen lassen, zu dem Tempel, der Amanda als letzte Ruhestätte dienen soll.

Sämtliche adlige Wandler ganz Ferlens sind nach Haphelon gereist, um unserer verstorbenen Königin die letzte Ehre zu erweisen. Für mich ist sie jedoch nicht nur meine Königin gewesen. In Kindertagen waren Amanda, meine Schwester Dana und ich unzertrennlich. Unsere innige Freundschaft hielt bis ins Jugendalter, als ausgerechnet ein Mann für eine tiefe Erschütterung unseres Verhältnisses sorgte.

Das alles kommt mir nun so nichtig vor und ich bedaure es zutiefst, Amanda in den letzten Jahren nur noch selten zu Gesicht bekommen zu haben. Hätte ich doch nur hartnäckiger versucht, unsere Freundschaft zu kitten, dann hätte ich in den letzten fünfundzwanzig Jahren nicht so viel von ihrem Leben und dem ihrer Tochter verpasst.

Innerlich völlig leer schreite ich in den kleinen Tempel. Nur die königliche Familie und die drei angesehensten Familien des Landes dürfen ihn jetzt betreten. Mein Mann Aiden ist nach dem König der reichste und einflussreichste Wandler und befehligt zudem die größte Armee ganz Ferlens. Das macht uns zu einer der drei Familien, die sich nun im Halbkreis um die Statuen unserer Götter aufstellen. Zerios und Evra, noch nie hat jemand sie zu Gesicht bekommen und doch sind sie allgegenwärtig. Ihre nackten Leiber, deren geschmeidiger Oberkörper in perfekter Harmonie zu dem muskulösen Unterleib einer Raubkatze steht, verkörpern das Sinnbild eines starken Mannes und einer wunderschönen Frau. Ihre in Stein gemeißelten Antlitze überragen mich um gut zwei Armlängen.

Die Statuen gelten in dieser Halle als Zeichen des Schutzes. Die Götter wachen nun über unsere verstorbenen Liebsten.

Um die Steingebilde herum stehen zahlreiche Podeste mit den Urnen von König Erias’ Ahnen. Kleine Steintafeln, in welche die Namen der Verstorbenen gemeißelt wurden und die mit schönen Verzierungen umrahmt sind, lassen die Urnen und damit den gesamten Raum nicht ganz so trostlos wirken.

Aiden sieht mich besorgt an, als sich unsere Blicke treffen. Er weiß genau, wie sehr Amandas Verlust mich schmerzt. Wären wir beide jetzt allein, würde er mich in den Arm nehmen, aber an diesem Ort wäre das mehr als unangemessen.

Das äußere Erscheinungsbild meines Mannes wirkt auf jene, die ihn nicht kennen, durchaus Furcht einflößend. Der volle dunkle Bart, die große, muskulöse Statur und die eisblauen Augen, in denen sich eine wilde Entschlossenheit widerspiegelt. Aber egal, welch starker Krieger Aiden ist, er verfügt über eine sehr mitfühlende Ader. Ohne ihn hätte ich nicht gewusst, wie ich den Tod meiner Schwester verkraften soll. Dana ist erst vor zwei Jahren auf brutale Art und Weise aus ihrem Leben gerissen worden und nun ereilte Amanda das gleiche Schicksal.

Während ich krampfhaft versuche mein Schluchzen zu unterdrücken, steht unser Sohn Vincent aufrecht neben seinem Vater und wirkt als Einziger im Tempel völlig teilnahmslos. Ehrfürchtig senkt er sein Haupt, doch seine Miene ist eisern. Ich kämpfe vehement gegen jede einzelne Träne, er dagegen steht wie ein Fels da und verzieht keinen Muskel im Gesicht. In seinen zwanzig Lenzen ist er zu einem Krieger herangewachsen, der nicht besonders gut darin ist, Mitgefühl zu zeigen. Nur des Anstands wegen hat er Aiden und mich begleitet.

Ich wische mir eine Träne aus dem Gesicht und blicke zu Prinzessin Silayla, die ich kaum wiedererkenne. Als ich sie vor sieben Jahren bei ihrem Besuch in Adon das letzte Mal gesehen habe, war sie ein aufgewecktes junges Mädchen, das fröhlich durch unseren Garten gerannt ist, während ihre Mutter und ich mit den adligen Damen auf der Veranda Tee getrunken haben. Heute ist sie ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Auch Amanda hatte diese unverkennbaren schilfgrünen Augen und lange dunkelrote Haare. Genau wie Silayla ist Amanda ihr Leben lang eine schlanke Frau gewesen.

Bei diesen Erinnerungen laufen mir erneut Tränen über das Gesicht. Ich fühle mich so leer und schwerfällig und frage mich, wie es wohl erst der Prinzessin geht. Wie ein Geist steht sie in ihrem hochgeschlossenen schwarzen Kleid vor der Urne ihrer Mutter. Ihre Haut hat sämtliche Farbe verloren und ihre Gesichtszüge wirken beinahe eingefroren.

Ihr Vater, König Erias, steht wie ein Schatten seiner selbst neben ihr und versucht gefasst zu wirken. Er und Amanda haben sich aufrichtig geliebt und es zerreißt mir das Herz, anzusehen, wie er und Silayla sich jetzt quälen.

Der König ist seiner Frau ein guter Ehemann gewesen, so wie er Silayla ein guter Vater ist. Ich kann den immer stärker werdenden Schmerz in seinen grüngrauen Augen sehen, als er zu seiner Tochter sieht. Um ihr Halt zu geben, legt er eine Hand auf ihre Schulter, aber Silayla zieht sie in Windeseile beiseite und sieht ihren Vater finster an.

Ein Kälteschauer erfasst mich beim Anblick ihrer Bitterkeit. Es schmerzt mich zutiefst, sie so gebrochen, starr auf die Urne blickend, dort stehen zu sehen, doch ich versuche mich zusammenzureißen und stark zu wirken.

Was hat sie nur alles durchmachen müssen?

Schlimmste Gerüchte über die Nacht, in der Amanda starb, sind bis nach Adon vorgedrungen und haben mich zutiefst erschüttert. Bei dem Gedanken daran, was die Angreifer Silayla angetan haben, bildet sich ein dicker Kloß in meinem Hals. Etwas Schlimmeres, als einem geliebten Wandler beim Sterben zusehen zu müssen, gibt es nicht.

Der Priester, den ich bislang nur beiläufig wahrgenommen habe, hält eine kleine Schale mit geweihtem Öl darin in seinen Händen. Vor Amandas Urne hebt er sie in die Höhe. Seine blasse, zerfurchte Haut zeugt von den vielen Lenzen, die er bereits erlebt hat. Seine gut genährte Statur hat er in ein gelb-goldenes Gewand gehüllt, welches mit den typischen schwarzen Rosetten auf Brusthöhe und dem leichten Pelz am Kragen versehen ist. Auch die schwarzen Striche auf seiner Stirn gehören zum gewohnten Erscheinungsbild eines Priesters.

Er schließt seine Augen und eröffnet mit rauer Stimme das Gebet. »Zerios, wahrer Herrscher über ganz Korsua, geleite unsere verstorbene Königin auf ihrem letzten Weg. Schütze und bewache sie.«

»Zu Lobe Zerios«, antworten wir alle gemeinsam. So huldigen wir dem Gott und verstärken die Worte des Priesters.

»Evra«, fährt er fort, »unser aller Amme, geleite unsere verstorbene Königin auf ihrem letzten Weg. Tröste und hüte sie.«

»Zu Lobe Evra«, bringe ich die Worte mit aller Mühe über meine Lippen. Die tiefen Stimmen der Männer übertönen meine gequälte, zitternde Aussprache.

Der Priester taucht seine Fingerspitzen in das Öl und benetzt damit Amandas Urne, die mir bildlich vor Augen hält: Dies ist wirklich ein Abschied für immer. Ich kann es nicht glauben. Kann nicht glauben, dass meine einst liebste Freundin so grausam aus dem Leben gerissen wurde und ich nie wieder die Möglichkeit haben werde, ihr herzliches Wesen oder ihr strahlendes Lächeln zu sehen. Alles, was mir geblieben ist, sind Erinnerungen aus längst vergangenen Zeiten.

Schwer atmend blicke ich auf den weißen Stein, in den ihr Name gemeißelt ist. Ich werde dich so schrecklich vermissen, verabschiede ich mich in Gedanken von Amanda. Die anderen Wandler verlassen bereits nach und nach den Tempel, doch ich stehe noch einen Moment da, halte mir noch einmal das Bild dieser wunderschönen und liebenswerten Wandlerin vor Augen. Eines Tages werden wir uns wiedersehen.

Schwerfällig wende ich mich ab und folge den anderen hinaus in den Garten. Neben dem prachtvollen Steinbau bleibe ich stehen und muss erst einmal tief durchatmen. Vincent und die anderen Adligen laufen zurück in das Schloss, nur mein Mann bleibt neben mir stehen. »Kann ich etwas für dich tun?«, fragt er besorgt, doch ich winke ab.

»Ich glaube nicht.«

Aidens Umrisse verschwimmen, als ich Silayla wahrnehme. Begleitet von zwei Soldaten schlägt sie eine völlig andere Richtung ein. Hin- und hergerissen sehe ich ihr nach. Mein Kopf sagt mir, dass sie jetzt ihre Ruhe braucht. Doch mein Herz sagt: Lass sie wissen, dass du für sie da bist, wenn sie jemanden zum Reden braucht.

»Geh ruhig schon einmal vor«, flüstere ich Aiden zu, ohne ihn anzusehen.

Er folgt meinem Blick und seufzt leise auf. Er weiß genau, was ich vorhabe. Seinem schweren Atmen nach zu urteilen teilt er meine Meinung nicht, will mich jedoch nicht von meinem Vorhaben abhalten. »In Ordnung.« Er streicht mir kurz über die Schulter, bevor er den anderen Wandlern folgt.

Ein letzter tiefer Atemzug und ich laufe langsam mit geradem Rücken und etwas Abstand Silayla und ihren Wachen hinterher. »Prinzessin«, rufe ich, sobald die anderen Gäste außer Sichtweite sind.

Sie bleibt abrupt stehen und dreht sich zu mir um. Ihre eiserne Miene bereitet mir eine Gänsehaut. »Was gibt es?«, fragt sie so kühl, dass mich ein eisiger Schauer überkommt.

Im Prinzip kenne ich sie kaum. Aber die tiefe Freundschaft, die ich einst mit ihrer Mutter pflegte, lässt in mir den Drang aufkommen, ihr helfen zu wollen. »Ich möchte Euch mein aufrichtiges Beileid ausdrücken. Ich weiß, wie schwer so ein Verlust zu verkraften ist.«

Silaylas Augen verformen sich zu Schlitzen, die mich bedrohlich anblitzen. »Ist Eure Mutter auch gestorben, als sie Euch beschützen wollte?«

Ihre Worte treffen mich wie ein Schlag ins Gesicht. »Nein …«, antworte ich irritiert und komme nicht dazu, weiterzusprechen.

»Dann sagt nicht, Ihr könntet mich verstehen oder wissen, wie ich mich gerade fühle!«

So wütend Silayla gerade ist, rechne ich bereits damit, dass ihre Augen die braungelbe Farbe der Tigerin in ihr annehmen. Wenn Gestaltwandler besonders emotional reagieren, kommt in ihren Augen die Raubkatze zum Vorschein. Doch zu meiner großen Verwunderung bleiben Silaylas schilfgrün.

»Ich möchte Euch nur helfen«, versuche ich mich zu erklären, doch Silayla wendet sich bereits ab.

»Das könnt Ihr nicht!«, faucht sie scharf. »Und jetzt lasst mich in Ruhe!« Mit ihren feinen Absätzen rauscht sie über den Kiesboden davon.

»Ihr könnt mir jederzeit schreiben«, rufe ich ihr noch nach, doch Silayla reagiert nicht mehr. Sie marschiert davon und lässt mich völlig ratlos zurück. Ich kann nur hoffen, dass die Zeit ihre Wunden heilen wird.

Kapitel 1, Silayla

Gedankenverloren sitze ich auf dem Balkon meines Gemachs. Meine Hände umklammern den Goldbecher, der mit Kräutertee gefüllt ist, der Karlas Meinung nach für innere Ruhe sorgen soll. Unser ältestes Dienstmädchen hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, die Wirkung sämtlicher Kräuter zu studieren und mir zu jeder Gelegenheit den passenden Tee zu servieren. Doch ihre Mixturen zeigen nur wenig Wirkung. Es gibt nichts, das mir helfen kann.

Innerlich völlig rastlos lasse ich meinen Blick über den weitläufigen Schlossgarten schweifen. Einige männliche Wandler sind gerade damit beschäftigt, die Rosen zu schneiden, während der Weg hinter ihnen von mehreren Dienstmädchen gekehrt wird. Die Sonne beschert uns heute einen ausgesprochen warmen Frühlingstag und scheint dabei auf die Häupter der Diener, weshalb sie sich immer wieder den Schweiß von der Stirn wischen. Alles wirkt wie ein ganz normaler Tag. Doch das ist es nicht.

Mein Vater hat sich in den Ratssaal zurückgezogen und spricht mit sämtlichen Heerführern über die Zukunft unseres Landes. Sie haben nicht viel Zeit für eine Beratung und müssen schnell über ihr weiteres Vorgehen abstimmen, denn die Armee von König Karim, dem Herrscher über Andalier, hat bereits die Grenze zu Ferlen erreicht.

Vor wenigen Tagen haben wir erfahren, dass er in unser Land eindringen will, um meinen Vater vom Thron zu stürzen. Was geht nur im Kopf dieses Wandlers vor, dass ihm die Herrschaft über sein Land plötzlich nicht mehr genügt? Die verfeindeten Teile unseres ehemals gespaltenen Nachbarlandes Kender haben vor einigen Monaten Frieden geschlossen und sich nach Jahren des Krieges wieder zu einem Königreich vereint. Ganz Korsua könnte miteinander in Frieden leben, würde nicht ständig ein König seinem Hunger nach Macht erliegen.

Bereits vor einem Jahr hatten Aufsässige versucht die Herrschaft meines Vaters zu beenden. Wir haben diesen Angriff nicht kommen sehen und wissen bis heute nicht, wer hinter dem Attentat steckt, bei dem meine Mutter ihr Leben verlor.

»Verzeihung, Eure Hoheit?«, reißt Karlas Stimme mich aus meinen Gedanken. Ich bin darin derart versunken gewesen, dass ich nicht gehört habe, wie sie sich mir näherte. Als ich zusammenfahre, werfe ich dabei meinen Becher um. Der Tee fließt über den Tisch und tropft auf mein schwarzes Kleid. An kaum einem Tag trage ich eine andere Farbe. Sie begleitet mich seit jener Nacht. Ich ertrage keinen hellen Stoff an meinem Körper. Es fühlt sich falsch an. Das Dunkle spiegelt wider, wie ich mich im Innersten fühle: leer, verloren, abgestumpft.

»Musst du dich so anschleichen?«, fauche ich Karla an, erhebe mich vom Stuhl und sehe auf mein Kleid. Die wenigen Teespritzer sind kaum zu sehen und dennoch bin ich gereizt.

»Ich bitte um Verzeihung«, entschuldigt sie sich und senkt ehrfürchtig ihr Haupt. Wie immer hat Karla ihr graues Haar am Hinterkopf zusammengebunden. Sie macht einen tiefen Devotionsknicks und faltet ihre schmalen Hände vor ihrem einheitlichen tonfarbenen Kleid, welches alle unsere Dienstmädchen tragen.

»Ich habe dir schon eintausendmal gesagt, dass du dich nicht so anschleichen sollst!«, schnaufe ich weiter vor mich hin.

»Es tut mir aufrichtig leid.«

»Was gibt es denn?«

»Euer Vater möchte Euch gern im Ratssaal sehen.«

Er hat also mit dem Heeresrat eine Entscheidung getroffen.

Mit leicht zusammengekniffenen Augen starre ich auf den Tisch. Der Tee bildet eine glänzende Pfütze, von der die Flüssigkeit auf den Boden tropft. »Wisch das weg!«

Karla nickt mir mit einem »Jawohl, Eure Hoheit« zu und ich marschiere erhobenen Hauptes an ihr vorbei.

Die breite Tür zum Saal steht offen und einige Soldaten laufen mir entgegen. Respektvoll verneigen sie sich vor mir, doch ich würdige sie keines Blickes. Im Verlauf des letzten Jahres habe ich mein Herz immer mehr vor der Welt verschlossen. Nur so bin ich in der Lage, über meinen schmerzlichen Verlust und mein eigenes Versagen hinwegzukommen.

Als ich den Ratssaal betrete, stehen nur noch drei Männer im Raum. Einer davon ist mein Vater. Tiefe Sorgenfalten zeichnen sich auf seinem Gesicht ab und seine grüngrauen Augen blicken mir besorgt entgegen.

Von den anderen beiden Männern erkenne ich zunächst nur den älteren. Es ist Lord Aiden Grier. »Eure Hoheit«, begrüßt er mich mit einer tiefen Verbeugung. Als er sein Haupt wieder erhebt, funkeln seine eisblauen Augen und sein Blick strahlt etwas Bedrohliches aus. Alles an diesem Wandler scheint gefährlich. Angefangen bei der großen Gestalt mit den breiten Schultern über die markanten Gesichtszüge bis hin zu dieser erhabenen unerschütterlichen Erscheinung. Mit durchgestrecktem Rücken sieht er mir entschlossen entgegen, die rechte Hand am Griff seines Schwertes. Lord Aiden hat in seinem Leben schon zahlreiche Schlachten bestritten und das hat seine Spuren hinterlassen. Quer über seine Nase verläuft eine schmale Narbe, ebenso über seinen rechten Handrücken.

Mit reichlich Abstand bleibe ich vor ihm stehen. »Lord Aiden«, antworte ich trocken und nicke ihm zu.

Er deutet auf den jungen Wandler neben sich. »Erinnert Ihr Euch an meinen Sohn Vincent?«

Gerade so kann ich ein tiefes Schnaufen unterdrücken, jetzt, da ich weiß, wer der hagere junge Wandler ist, dessen karamellbraune Augen mich auf eine so schmierige Art beäugen, dass sich sofort mein Magen zusammenzieht. Ich kenne Vincent aus Kindertagen und konnte ihn noch nie leiden. Mein letzter Besuch bei den Griers ist acht Jahre her, aber ich weiß noch sehr genau, was für ein arroganter und vorlauter Junge Vincent damals war. Sogar mir gegenüber. Er ist damals bereits dreizehn Jahre alt gewesen, führte sich aber wie ein kleiner Junge auf, dem nichts besser gefiel, als das Dienstpersonal wie seine Leibeigenen zu behandeln.

»Prinzessin«, ertönt seine Stimme mit aufgesetzter Höflichkeit. »Es ist mir eine Freude, Euch wiederzusehen.« Mit seiner übertrieben tiefen Verbeugung will er mir wohl seine Ehrerbietung erweisen, aber die interessiert mich nicht.

»Lord Vincent«, antworte ich noch emotionsloser als bei Lord Aiden und sehe wieder zu meinem Vater. »Wie habt ihr entschieden?«

Mein Vater blickt abwechselnd zu Lord Aiden und dessen Sohn. »Ich möchte jetzt gern allein mit meiner Tochter sprechen.«

Die schmale Nase in die Höhe gestreckt, ist es Vincent und nicht sein Vater, der antwortet. »Wir werden alles vorbereiten.« Sein Blick wirkt zufrieden, mit einem Hauch Arroganz. Ein Zeichen seiner Unverfrorenheit.

Ich spüre sofortige Erleichterung, als er aus dem Raum verschwunden ist. »Nun?«, frage ich, sobald die Tür sich hinter den beiden schließt.

Mein Vater atmet schwer und streicht sich durch seinen kurzen dunkelblonden Kinnbart. »Es bleibt uns nichts anderes übrig, als in den Kampf zu ziehen, und wir haben wenig Zeit, uns darauf vorzubereiten. Wir haben bereits einige Späher ausgeschickt, die uns die genaue Anzahl von Karims Soldaten mitteilen sollen. Wir werden uns jetzt rüsten und anschließend aufbrechen.«

Mein Körper beginnt zu zittern. Mir wird ganz bange, wenn ich daran denke, dass mein Vater in den Krieg zieht. Die Vorstellung, er könnte verletzt werden, oder gar noch Schlimmeres, macht mich ganz rastlos. Ich will nicht auch noch meinen Vater verlieren. Das würde ich nicht ertragen. Doch anstatt ihm genau das zu sagen, blicke ich ihn nur starr und schweigend an.

»Silayla«, sagt er ein wenig mitgenommen. »Ich möchte, dass du in dein Gemach gehst und die Bediensteten beauftragst, deine Sachen zusammenzupacken.«

»Wieso?«, frage ich ungläubig. »Wo soll ich denn hin?«

»Ich lasse dich nach Adon auf Lord Aidens Anwesen bringen. Er hat soeben seiner Frau einen Brief geschrieben, damit sie alle Vorbereitungen trifft.«

Zorn legt sich in meine Stimme. Mir steht nicht der Sinn nach Reisen. »Warum?«

»Weil ich hier nicht länger für deine Sicherheit garantieren kann. In diesem Schloss gibt es unzählige Zimmer, Tausende Ecken und Verstecke. Ich muss so viele Soldaten, wie ich kann, mitnehmen und kann nicht genügend zu deinem Schutz hierlassen. Bei Lord Aiden bist du sicherer. Sein Anwesen ist eine Festung und die Wachen können dort viel besser für deinen Schutz sorgen.«

Ich überlege für einen Moment, meinem Vater etwas entgegenzusetzen, doch mir fällt nichts ein. Ich will hier nicht weg, aber wenn mein Vater sagt, dass es im Schloss nicht mehr sicher ist, möchte ich auch nicht länger bleiben. Auch wenn ich mich seit dem gewaltsamen Tod meiner Mutter niemals irgendwo richtig in Sicherheit fühlen werde. »Wenn du meinst.«

»Ich werde dich auf deiner Reise von zehn Soldaten begleiten lassen. Zudem reisen einige von Lord Aidens Wachen und sein Sohn mit.«

Ich rümpfe verächtlich die Nase, während ich betont genervt die Augen rolle. »Vincent zieht nicht mit in die Schlacht? Ich dachte, seine Familie besteht ausschließlich aus mutigen Kriegern.«

Mein Vater runzelt die Stirn. Ihm ist anzusehen, wie schwer es für ihn zu ertragen ist, wenn ich so mit ihm rede. Doch ich kann nicht anders. Jegliche weitere Formen der Kommunikation habe ich verlernt.

»Vincent wird nach Adon zurückkehren. Er nimmt meinen Platz im königlichen Rat ein und wird daher immer wieder nach Haphelon reisen.«

Das klingt mir alles ziemlich wirr. »Wieso bleibt er denn nicht direkt hier?« Das wäre zumindest die naheliegendste und unkomplizierteste Entscheidung.

»Weil er persönlich für deine Sicherheit in Adon sorgen möchte.«

Angeekelt rümpfe ich die Nase. Ich lege keinen Wert darauf, ihn regelmäßig zu sehen. Auch wenn er sich in den letzten Jahren vielleicht verändert hat, strahlt Vincent eine Aura aus, die alles in mir verkrampfen lässt. »Das ist doch wohl ein Scherz.«

Mein Vater hebt beschwichtigend seine Hände. »Silayla, bitte, lass uns nicht weiter darüber diskutieren. Lass deine Sachen packen, damit du so schnell wie möglich aufbrechen kannst.«

»Wie du willst«, resigniere ich, um nicht noch weitere wertvolle Zeit verstreichen zu lassen.

Ich verlasse zügig den Raum und laufe in mein Gemach. Dort weise ich die Bediensteten an, welche Sachen in Truhen verpackt werden sollen, die im nächsten Moment schon von männlichen Wandlern abgeholt und in eine Kutsche geladen werden.

Als ich der Meinung bin, an alles Wichtige gedacht zu haben, gehe ich hinaus auf den Hof. Die Kutsche steht schon bereit und all meine Sachen sind sicher verstaut. Ich warte nur noch darauf, dass mein Vater kommt, um sich zu verabschieden, da läuft plötzlich Lord Vincent auf mich zu.

»Prinzessin.« Sein Lächeln soll wohl charmant wirken, doch ich finde es nur ekelerregend. »Wenn Ihr Euch wohler dabei fühlt, könnt Ihr auch gern in meiner Kutsche mitreisen. Ich werde Euch mit meinem Leben beschützen, das versichere ich Euch.«

Wie kann er es wagen, so etwas vorzuschlagen? Ein Wandler, der aus einer solch aristokratischen Familie stammt wie er, muss sich doch über die Regeln der Etikette im Klaren sein. »Lord Vincent, Ihr vergesst Euch!«, antworte ich entrüstet und im nächsten Moment kommen zum Glück Lord Aiden und mein Vater.

»Silayla«, seufzt mein Vater und streckt seinen Arm nach mir aus, um mich zum Abschied zu umarmen, aber selbst von ihm kann ich keine Berührung mehr zulassen. Bei meinem strengen Blick auf seine Hand zieht er sie rasch zurück. »Pass gut auf dich auf, mein Kind«, sagt er stattdessen.

Früher hatte ich ein sehr inniges Verhältnis zu meinen Eltern. Zu dritt jagten wir gemeinsam in unserer Tigergestalt durch die Schlossgärten.

Es gab viel Nähe.

Wir Gestaltwandler brauchen die Nähe zu unseren Liebsten. Es stärkt uns, gibt uns Halt.

Doch seit dem Tod meiner Mutter verzichte ich darauf. Nähe führt zu Gefühlen und Gefühle führen zu Schmerz.

»Bei Zerios’ Heil, kehre siegreich und wohlbehalten zurück«, ist alles, was mir zum Abschied über die Lippen kommt. Nur dieser eine Satz, mit dem Krieger verabschiedet werden.

Der Schmerz in den Augen meines Vaters lässt mich den Blick abwenden. Rasch drehe ich mich um und steige in meine Kutsche. So emotionslos sollte kein Vater von seiner Tochter verabschiedet werden, schon gar nicht, wenn es ungewiss ist, ob die beiden sich jemals lebend wiedersehen. Aber wenn ich den Gedanken zulasse, dass mein Vater sterben könnte, kann meine eiserne Fassade nicht mehr lange standhalten. Und ich habe mir geschworen, sie von nichts und niemandem zum Einstürzen bringen zu lassen.

Niemals.

Kapitel 2, Dorian

Ich blättere gerade durch die Seiten, als Dea, eines unserer Dienstmädchen, den Salon betritt. Neugierig linse ich über den Rand meines Buches und ziehe eine Augenbraue nach oben. Deas große graue Augen sind auf den Gepard neben ihr gerichtet, der eine Schriftrolle auf seinem Rücken trägt. Uns müssen äußerst wichtige Nachrichten ereilen, wenn dafür extra ein Eilbote geschickt wurde. In ganz Korsua sind Stationen eigens für solche Situationen eingerichtet, an denen die Geparden sich gegenseitig ablösen, um eine Botschaft so schnell wie möglich an ihr Ziel zu bringen.

Da mein Onkel Aiden vor wenigen Tagen nach Haphelon aufgebrochen ist, um mit dem König eine Kriegsstrategie zu entwickeln, kann der Brief nur von ihm sein.

»Lady Grenna«, schwingt die Stimme des Geparden auf der mentalen Ebene, »ich habe einen Brief aus Haphelon von Eurem Mann für Euch«, sagt er und bestätigt damit meine Vermutung.

Meine Tante stellt ihre Teetasse auf dem kleinen Holztisch vor ihrem Sessel ab und sieht Dea erwartungsvoll entgegen. Sie löst die festen Schnüre, die dafür sorgen, dass die Schriften auf ihrem Weg nicht verloren gehen, und überreicht den Brief meiner Tante. Anschließend macht Dea einen Knicks und verlässt mit dem Eilboten den Raum.

Gebannt blicke ich zu Grenna, während sie das Siegel meines Onkels bricht und den Brief liest. Ihre Augen fliegen geradezu über das Papier und weiten sich mit jeder gelesenen Zeile. »Bei Evra!«, ruft sie plötzlich ganz aufgeregt. Es scheint schlimmer um uns zu stehen, als wir ursprünglich dachten.

»Was ist denn los?«, frage ich besorgt.

Grenna reibt sich nervös über die Stirn. »Die Prinzessin, sie kommt hierher. Aiden bittet mich, alles für ihre Ankunft vorzubereiten.« Hektisch greift sie nach dem Glöckchen neben ihrer Teetasse. Das viel zu schrille Klingeln dringt wie Nadelstiche in meine Ohren.

Hat sie doch soeben erst den Raum verlassen, öffnet Dea nun wieder die Tür und kommt gar nicht dazu, erneut einen Knicks zu machen, da läuft meine Tante schon auf sie zu. »Geh und richte unser schönstes Zimmer her. Wir erwarten Besuch von der Prinzessin. Alles muss funkeln und glänzen, sie soll sich bei uns wohlfühlen.«

»Jawohl, Mylady.«

»Und sage Tayla und Arno Bescheid, dass sie den Hof kehren sollen, und geh zum Koch und sage ihm, dass er für morgen Abend etwas ganz Besonderes zubereiten muss.«

Voller Verzweiflung blickt Dea mir entgegen. Ihre Augen senden einen stummen Hilferuf, während Grenna ihr immer mehr Aufgaben zuteilt.

»Grenna«, sage ich sanft und streiche ihr über den Arm. Das Verhältnis zwischen meiner Tante und mir ist sehr innig, seitdem sie mich bei sich aufgenommen hat. »Meinst du nicht, du übertreibst ein wenig?«

Ihre großen karamellbraunen Augen blicken mich überrascht an, bevor sie sich wieder an das Dienstmädchen wendet und mir eine Antwort schuldig bleibt. »Lass auch reichlich Holz in ihr Gemach bringen. Gestern und heute ist es zwar sehr warm gewesen, aber wir wissen nicht, wie es die nächsten Tage wird, und die Prinzessin soll auf keinen Fall frieren. Zudem musst du allen Bescheid geben, dass sie sich morgen im Hof zu versammeln haben, sobald die Kutsche zu sehen ist.«

»Jawohl, Mylady.« Dea macht einen Knicks und verlässt sichtlich überfordert den Raum.

Ich weiß, Grenna meint es nur gut, aber ich bin mir nicht sicher, was die Prinzessin von einem riesigen Empfang halten wird. Im ganzen Land kursieren die schlimmsten Gerüchte darüber, was ihr vor einem Jahr bei dem Überfall auf das Schloss zugestoßen ist. Selbst hier in Adon wird erzählt, die Prinzessin habe sich seitdem stark verändert. Einer meiner Cousins ist erst kürzlich auf dem Schloss gewesen und meinte, die Prinzessin gleiche einem Eisberg. Wunderschön, aber kalt und gefühllos. Kaum ein Wort habe sie mit ihm gewechselt und auch an Gesprächen mit den anderen Besuchern schien sie nicht interessiert zu sein. Ein mächtiger Empfang könnte bei ihr möglicherweise zu absoluter Abwehr führen.

»Grenna, vielleicht sollten wir nicht die gesamte Dienerschaft auf dem Hof versammeln.«

Irritiert runzelt sie ihre Stirn. »Warum nicht? Das machen wir immer so, wenn wir königlichen Besuch erwarten.«

»Ich weiß, aber bedenke doch die Umstände der Prinzessin. Sie ist nicht mehr das kleine Mädchen von früher und mag offensichtlich keine großen Wandlermassen. Vielleicht würde ihr ein kleiner Empfang besser tun.«

Meine Tante stemmt ihre Hände in die Hüften und verzieht ihre Lippen. »Vielleicht glaubt sie dann, wir würden keinen Wert auf ihren Besuch legen.«

»Das kann ich mir nicht vorstellen.«

Seufzend läuft meine Tante zum Fenster und blickt hinaus auf den Hof.

Ich lege die Hände an die kleinen Holzscheiben, die an den Rädern meines Stuhls angebracht wurden, damit ich mich damit selbst fortbewegen kann, und schiebe ihn so neben meine Tante. Seit meinem Sturz vor drei Jahren kann ich nicht mehr richtig laufen. Sobald ich mich erhebe und mit den Füßen den Boden berühre, habe ich starke Schmerzen. Aus diesem Grund haben die besten Handwerker gemeinsam mit den gebildetsten Männern der Stadt diesen Stuhl gebaut, damit ich mich weiterhin fortbewegen kann. Die meiste Zeit werde ich darin geschoben, aber dank dieser Konstruktion an den Rädern kann ich mich auch selbst anschieben. Noch nie zuvor ist ein derartiger Stuhl gebaut worden, weswegen es auch noch keinen Namen dafür gab. Die Konstrukteure erwiesen sich als besonders kreativ und tauften ihn Radstuhl.

Ich halte neben meiner Tante an und blicke zu ihr auf. »Grenna?«, frage ich leise.

»Ich sehe es noch heute vor mir, wie sie mit ihrer Mutter aus der Kutsche gestiegen ist«, antwortet sie kaum hörbar. »Sie hat so gestrahlt.«

Mein Herz beginnt schwer in meiner Brust zu wiegen. Damals fand hier ein großes Fest statt, welchem auch ich mit meinen Eltern beiwohnte. Ich kann mich noch gut an den kleinen Wirbelwind von Prinzessin erinnern, an der irgendwie so gar nichts königlich war. Ich habe Silayla jedoch nie viel Beachtung geschenkt, schließlich bin ich damals schon ein junger Recke gewesen und sie noch ein Kind.

»Silayla war bei der Beerdigung am Boden zerstört und ich bin kurz danach einfach abgereist«, seufzt meine Tante. Ich verstehe nicht, was daran verwerflich ist.

»Und deswegen machst du dir jetzt Vorwürfe?«

Ihr schwermütiges Nicken lässt meine Brust sich immer weiter zusammenziehen. »Ich hätte mehr versuchen müssen, um ihr zu helfen.«

Die übertrieben fürsorgliche Art meiner Tante ist schon immer ihre Schwäche gewesen. Nach dem Tod meiner Frau und meiner Eltern habe ich mich selbst eine Zeit lang zurückgezogen. Der Schmerz über ihren Verlust und die Gewissheit, dass meine Tochter ohne Mutter aufwachsen muss, trieben mich in die dunkelste Zeit meines Lebens. Ich habe Amalia nicht so geliebt, wie ein Mann seine Frau lieben sollte. Unsere Ehe war arrangiert. Aber im Laufe der Zeit ist sie zu meiner engsten Vertrauten geworden. Ihr Tod hat mich in ein sehr tiefes Loch gerissen, das mich zu verschlucken drohte. Als Witwer, der nicht laufen kann, sah ich mich nicht in der Lage, mich um meine kleine Tochter zu kümmern, die gerade einmal ein Jahr alt war. Ich wollte mit niemandem reden und zog mich in meinem Schmerz immer mehr zurück. Doch meine Tante blieb beharrlich, suchte immer wieder das Gespräch mit mir und machte mir deutlich, dass das Leben nicht vorbei ist und Natalia ihren Vater braucht. Sie bewies eine unheimliche Stärke, und das, obwohl auch sie eine geliebte Wandlerin, ihre Schwester, verloren hatte.

Allein Grenna habe ich es zu verdanken, die Kraft gefunden zu haben, mich wieder aufzuraffen und zu akzeptieren, dass ich viele Dinge nicht mehr machen kann. Aber heute kann ich mein Leben wieder genießen und nichts erfüllt mich mit mehr Stolz, als meine Tochter aufwachsen zu sehen.

Ich bin meiner Tante überaus dankbar dafür, dass sie so viel für mich getan hat, damit es mir wieder besser geht, und ihre Familie mich aufgenommen hat. Doch sie kann nicht erwarten, dass Silayla sich ebenfalls von ihr helfen lässt. »Grenna, du hast doch gesagt, dass die Prinzessin nicht mit dir reden wollte. Du konntest sie schlecht dazu zwingen.«

Sie winkt nur ab. »Wenn ich ein paar Tage länger im Schloss geblieben wäre, hätte sie sich mir vielleicht anvertraut. Ein Jahr lang habe ich gehofft, sie würde mir einen Brief schreiben, und nun sehe ich sie endlich wieder und bekomme damit auch eine zweite Chance.«

Grenna hat mir erzählt, welch gute Freundin Amanda einst gewesen sei und wie sehr sie es bedauere, die Freundschaft nach ihrem Zerwürfnis nicht intensiver wieder aufgebaut zu haben. Nun befürchte ich, sie könnte sich in falschen Hoffnungen verlieren. Auch auf die Gefahr hin, einen tief sitzenden Schmerz zu wecken, muss ich meiner Tante dennoch eine Sache deutlich machen. »Sie ist nicht Amanda.«

Grennas Blick lässt sich für mich nicht so recht deuten. Er wirkt verbissen, gekränkt und entschieden zu gleichen Teilen. »Das weiß ich. Es geht auch nicht um Amanda. Die Prinzessin muss wissen, dass sie hier ein gern gesehener Gast ist.«

Eiserne Entschlossenheit legt sich auf Grennas Gesicht. Seit jeher unterscheidet sie sich von anderen adligen Wandlerinnen, die sich bereitwillig ihren Männern unterordnen, um bloß keine schwierigen Entscheidungen treffen zu müssen. Deren Verstand ist von Geld und Ruhm vernebelt, daneben gibt es für solche Wandlerinnen nicht viel Erwähnenswertes. Grenna ist da ganz anders. Sie weiß, was sie will, und würde bis zum letzten Atemzug für die Wandler, die sie liebt, kämpfen. Sie lässt sich nicht von Aiden beherrschen und trifft ihre eigenen Entscheidungen. Geld spielt für sie keine Rolle. Sie würde ihr gesamtes Hab und Gut hergeben, wenn es das Leben eines geliebten Wandlers retten könnte. Nach meinem Unfall war sie es, die die Entscheidung getroffen hat, mich aufzunehmen und sämtliche Treppen zu Rampen umbauen zu lassen, damit ich mich frei bewegen kann. Sie hat auch den Bau des Radstuhls beauftragt und ein Kindermädchen für meine Tochter eingestellt.

Aiden hat diese Entscheidungen nie infrage gestellt. Ich glaube, dass er sie genau wegen ihrer Eigenständigkeit und ihrer Entscheidungsfreude liebt.

Ich werde meiner Tante nicht ausreden können, das Gefolge morgen im Hof versammeln zu lassen. Für Grenna ist das keine Geste der Demonstration unseres Wohlstandes. Sie möchte den Gästen damit zeigen, wie herzlich wir sie alle willkommen heißen.

Ich kann nur hoffen, dass Silayla das genauso sieht.

Kapitel 3, Silayla

Nach einer kurzen Nacht, für die die Soldaten mir ein Zelt in unserem Lager aufgeschlagen haben, in das ich mich umgehend verkrochen habe, sind wir heute Morgen sehr früh aufgebrochen. Das gleichmäßige Schaukeln meiner Pferdekutsche, die sich auf der Hauptstraße mitten in einem Wald befindet, übt eine entspannende Wirkung auf mich aus.

Ich nehme den samtigen Stoff am Fenster meiner Kutsche zwischen meine Finger und schiebe den Vorhang zur Seite. Durch die kleine Scheibe wage ich einen Blick an meinen berittenen Begleitern vorbei auf die Natur. Die Frühlingssonne hat die fingerkuppengroßen weißen Blüten der Candalas hervorgelockt. Es gibt sie auch in Lila, aber davon kann ich weit und breit keine entdecken. Neben den kleinen Blumen wachsen verschiedene Gräser, Nesseln und Farne, die sich bis tief in den Wald hinein erstrecken. Die Blätter der Bäume zeigen ein sanftes, saftiges Grün und bilden ein dichtes Schattendach. Neben den vielen Pappeln, Birken und Kastanien sehe ich auch vereinzelte Warkbäume. Als ich noch eine kleine Wandlerin war und auf Bäume geklettert bin, habe ich gern meinen Mittagsschlaf in deren Moosbetten abgehalten.

Allmählich lichtet sich der Wald und macht Platz für weite Felder. Zahlreiche Bauern säen bereits das Getreide aus. Zu den kleinen Holzhütten, in denen sie leben, gehört häufig ein kleiner Hof, den sie für ihre Lehnsherren bewirtschaften müssen.

Mein Blick schweift noch über die hart arbeitende Gesellschaft, als sich die Stadtmauer vor uns auftut. Sowie wir das Stadttor passieren, verlässt die Kutsche den erdigen Boden und fährt nun auf der gepflasterten Straße weiter, die am Stadtrand von recht kleinen Häusern gesäumt wird. Doch je weiter wir ins Stadtinnere vordringen, desto prachtvoller werden die Gebäude, deren Fassaden in der Abendsonne glänzen. Adon ist für genau zwei Dinge bekannt: die besten Soldaten ganz Ferlens und Häuser, die ausschließlich aus Sandstein bestehen. Kaum eine andere Stadt bietet einen solch einheitlichen Anblick.

Während die Bauern vor den Mauern der Stadt ihrer täglichen Arbeit nachgehen, aalen sich die besser betuchten Wandler auf den Balkonen ihrer riesigen Häuser in der Sonne. So wie ein älteres Paar, das gebannt von oben auf meine Kutsche herabblickt. Ihre feinen Gewänder und die aufwendig frisierten Haare der Dame verraten mir, dass sie ihrer Raubkatze kaum noch freien Lauf lassen. Viele adlige Wandler verspüren kein großes Bedürfnis mehr danach, das Raubtier in sich auszuleben. Ich kann das nicht verstehen. Wenn es mir möglich wäre, würde ich augenblicklich meine Tigerin freilassen.

Als Kind konnte ich mich gar nicht oft genug verwandeln. Viel zu groß war der Reiz, das Kribbeln zu spüren, wenn unsere Haut dem weichen Fell weicht. Viel zu groß war der Genuss von Freiheit und viel zu groß die Freude, wenn ich auf einem Baum saß und die Dienstmädchen dabei beobachtete, wie sie verzweifelt nach mir suchten.

Doch diese Zeiten sind vorbei. Seit dem Überfall ist es mir nicht mehr möglich, mich zu verwandeln. Mein Vater hat die besten Heiler des ganzen Landes um Rat gebeten, aber niemand kann mir helfen.

Ich ziehe den Vorhang wieder zurück und lehne mich gegen das weiche Polster der Sitzbank. Je weiter wir fahren, umso nervöser werde ich. Wer mich gleich wohl alles erwarten wird? Beim Empfang vor acht Jahren standen Lady Grenna, ihr Mann und ihr Sohn mit dem gesamten Dienstgefolge in Reih und Glied, um meine Mutter und mich willkommen zu heißen. Sie hatte viele adlige Wandler zu einem großen Fest geladen und ich frage mich, ob sie jeden davon so pompös empfangen hat. Was genau sie uns damit wohl zeigen wollte? Damals hat mich das alles nicht interessiert, aber heute frage ich mich, ob Grenna eine dieser Damen ist, die ihren Reichtum unbedingt zur Schau stellen müssen.

Um dies beurteilen zu können, kenne ich Lady Grenna zu wenig. Mutter hat nicht viel über sie erzählt, folgte ihrer Einladung nur der Manieren wegen, und das, obwohl die beiden einst sehr gute Freundinnen gewesen sein müssen. Wenn ich so darüber nachdenke, wird mir bewusst, wie sehr Grenna gestrahlt hat, als meine Mutter und ich aus der Kutsche gestiegen sind. Obgleich die Begrüßung durch meine Mutter recht kühl ausgefallen ist. Doch da ist noch etwas anderes in Grennas Blick gewesen. Etwas, das ich damals nicht zuordnen konnte. Heute würde ich sagen, es waren Schuldgefühle. Aber wieso sollte Grenna meiner Mutter gegenüber Schuldgefühle gehabt haben?

Schnell dränge ich meine Grübeleien, die sicher ohnehin nur auf Einbildung beruhen, beiseite. Denn jeder Gedanke an meine Mutter droht das Loch, welches ihr Tod in mein Herz gerissen hat, wieder aufreißen zu lassen. Sosehr ich sie auch geliebt habe, ich darf nicht mehr an sie denken.

Erneut schiebe ich den Stoff am Fenster beiseite, doch dieses Mal nur so viel, dass ich nicht gesehen werde, sich für mich aber dennoch ein kleiner Spalt zum Hindurchsehen bietet. Meine edle Kutsche mit den schönen Verzierungen erregt die Aufmerksamkeit vieler Stadtbewohner und ich will ihnen nicht die Möglichkeit geben, mich zu beäugen.