Die Gestaltwandler von Korsua: Löwenmächte - M. J. Martens - E-Book

Die Gestaltwandler von Korsua: Löwenmächte E-Book

M. J. Martens

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Beschreibung

Auch wenn ihr den Krieg gewinnt, habt ihr den Frieden verloren. Seit König Karim geschlagen aus dem Krieg in Andalier zurückgekehrt ist, sucht er nach einer wohlhabenden Braut, um seine Schulden zu begleichen. Dabei fällt seine Wahl auf die pflichtbewusste Löwen-Wandlerin Annabella, die alles in ihrer Macht Stehende tut, um ihm zu gefallen. Doch schon bald muss sie feststellen, dass Karim nicht nur ein grausamer Herrscher, sondern auch ein fürchterlicher Gatte ist. Und obwohl sie immer noch für ihre Ehe kämpft, kann sie nichts gegen die Gefühle machen, die der verwegene Jäger Ilya in ihr auslöst ... Band 3 der romantischen Trilogie über royale Gestaltwandler.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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M. J. Martens

Die Gestaltwandler von Korsua

Löwenmächte

Band III

Buchbeschreibung:

** Auch wenn ihr den Krieg gewinnt, habt ihr den Frieden verloren. ** 

Seit König Karim geschlagen aus dem Krieg in Andalier zurückgekehrt ist, sucht er nach einer wohlhabenden Braut, um seine Schulden zu begleichen. Dabei fällt seine Wahl auf die pflichtbewusste Löwen-Wandlerin Annabella, die alles in ihrer Macht Stehende tut, um ihm zu gefallen. Doch schon bald muss sie feststellen, dass Karim nicht nur ein grausamer Herrscher, sondern auch ein fürchterlicher Gatte ist. Und obwohl sie immer noch für ihre Ehe kämpft, kann sie nichts gegen die Gefühle machen, die der verwegene Jäger Ilya in ihr auslöst ...

Über die Autorin:

M. J. Martens alias Ella Nikolei hat es schon immer geliebt, in Geschichten einzutauchen. Bereits in der Grundschule hat sie kleine Geschichten, Gedichte und Liedtexte für sich selbst verfasst.

Wenn sie nicht gerade schreibt, liest sie ein gutes Buch oder greift zu Stift und Papier und drückt ihre Kreativität in Bildern aus.

Der Name M. J. Martens steht für Bücher aus dem Bereich Fantasy. Dabei findet sich in ihrem Repertoire sowohl High Fantasy, als auch Sword and Sorcery und Urban Fantasy.

Unter Ella Nikolei veröffentlicht die Autorin überwiegend Bücher in den Genres Romace und Crime, gerne auch miteinander verwoben.

Die Gestaltwandler von Korsua

Löwenmächte

2. Auflage, 2025

© M. J. Martens

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Lektorat: Martina König

Umschlaggestaltung : Giusy Ame/Magical Cover

Bildquelle: Despositphoto

Kapitelschmuck von Despositphoto

Impressum:

M. J. Martens

c/o COCENTER

Koppoldstr. 1

86551 Aichach

www.ella-schreibt.com

Für alle, die mutig genug sind, um über sich selbst hinauszuwachsen.

Inhaltsverzeichnis

Karte von Korsua7

Über die Welt Korsua8

Kapitel 1, Annabella9

Kapitel 2, Ilya23

Kapitel 3, Marlen38

Kapitel 4, Annabella59

Kapitel 5, Marlen70

Kapitel 6, Ilya89

Kapitel 7, Marlen103

Kapitel 8, Annabella118

Kapitel 9, Annabella132

Kapitel 10, Annabella139

Kapitel 11, Marlen155

Kapitel 12, Marlen170

Kapitel 13, Marlen191

Kapitel 14, Annabella209

Kapitel 15, Annabella220

Kapitel 16, Marlen230

Kapitel 17, Annabella238

Kapitel 18, Annabella248

Kapitel 19, Marlen265

Kapitel 20, Ilya280

Kapitel 21, Annabella288

Kapitel 22, Annabella301

Kapitel 23, Alsejer315

Epilog, Annabella329

Karte von Korsua

Über die Welt Korsua

Korsua ist eine von der Autorin erfundene Welt, in der euch kein einziger Mensch begegnen wird, dafür aber viele Gestaltwandler. Jeder von ihnen kann die Gestalt einer Raubkatze annehmen. Vom kleinen Ozelot bis zum großen Tiger ist jede Art vertreten. Auch auf schwarze Panther werdet ihr stoßen. Diese sind jedoch keine eigenständige Rasse, sondern schwarze Leoparden oder Jaguare.

Kapitel 1, Annabella

Tief atme ich ein und aus, bevor ich nach der Hand meines Vaters greife. Die riesige Holztür zum Thronsaal prangt vor uns, einladend, mit den feinen Schnitzereien, die Abbilder unserer Götter Zerios und Evra darstellen. Ein gut gebauter junger Mann und eine wunderschöne Frau, deren Unterleiber in den muskulösen Körper einer Raubkatze übergehen. Zerios wirkt überaus stark und mächtig, Evra hingegen entspricht dem Sinnbild einer Frau: Eine schlanke Figur mit weiblichen Rundungen, volle Lippen und große strahlende Augen. Mehr als einmal habe ich mir gewünscht, wenigstens ein bisschen ihrer Schönheit abbekommen zu haben. Doch die Götter sind mir in dieser Sache nicht gnädig gewesen.

Liebevoll tätschelt mein Vater meine Hand. »Du siehst hinreißend aus«, sagt er, als könne er meine Gedanken lesen. Vielleicht hat er auch einfach mitbekommen, wie schmachtend ich Evras Abbild betrachtet habe.

»Danke, Vater«, antworte ich leise. Ich bin viel zu aufgeregt, um lauter sprechen zu können. Mein Herz schlägt schnell, erste Schweißperlen rinnen mir den Rücken herab und benetzen mein feines violettes Kleid. Reinste Seide umschmeichelt meinen schlanken Körper und obwohl diese schlicht gehaltene Ausführung mit den wenigen Goldperlen und dem schmalen Schnitt kein Vergleich zu meinem richtigen Brautkleid ist, hat es ein Vermögen gekostet. Ein Vermögen, welches mein Vater nur allzu gern bezahlt hat. Ich kann mich noch sehr gut an seinen stolzen Gesichtsausdruck erinnern, als er den Schneider damit beauftragte, zwei Brautkleider für die zukünftige Königin von Andalier zu nähen.

In den meisten Fällen wird bei einer königlichen Hochzeit nur ein Mantel am Leib getragen und die Zeremonie findet oft im Freien statt. In ganz Korsua müssen der König und die Königin nach dem Ja-Wort gemeinsam zur Jagd aufbrechen. Ein schlichter Mantel und eine Trauung vor dem Wald erweisen sich daher als äußerst vorteilhaft. Karim hat meinem Vater jedoch deutlich zu verstehen gegeben, dass etwas Derartiges für ihn außer Frage steht. Mein Vater hat sich natürlich nicht zweimal sagen lassen, was zu tun ist, und Geld spielt für ihn keine Rolle. Also trage ich nun diesen schlichten Traum und später ein pompöses Kleid, bei dessen Ankleiden mir mindestens zwei Dienstmädchen helfen müssen. Aber das sollte mich im Moment wenig beschäftigen, es gibt etwas anderes, was mir viel mehr Furcht bereitet: die Jagd.

Allein dieses Wort lässt mich erzittern. In meiner Familie gibt es keinen einzigen geschickten Jäger. Verwunderlich ist das nicht. Umso reicher ein Wandler ist, umso mehr lässt er gewisse Dinge von anderen Wandlern erledigen. Unter uns Adligen geht kaum jemand zur Jagd. Auch der König erlegt seine Beute nicht immer selbst. Dafür hat er seine Jäger. Und dennoch müssen Karim und ich nach unserer Hochzeit gemeinsam ein Tier erlegen – umso größer, desto besser. Die Angst davor schnürt mir schon jetzt die Kehle zu, habe ich es bis jetzt doch noch nicht einmal erfolgreich zustande gebracht, ein Kaninchen zu erlegen.

»Bist du bereit?«, fragt mich mein Vater und schenkt mir ein liebevolles Lächeln.

Ich nicke ihm nüchtern zu und blicke an mir herab. »Ob ich dem König gefallen werde?«

»Du siehst wunderschön aus, mein Schatz«, versucht mich mein Vater einmal mehr zu bestärken. Aber welcher Vater würde seiner Tochter die bittere Wahrheit ins Gesicht sagen?

Obwohl ich ihm kein Wort glaube, nicke ich erneut. Karim und ich heiraten gewiss nicht aus Liebe. Wie auch, wir kennen uns schließlich kaum. Ich stehe nur hier, weil meine Familie zu den wohlhabendsten in ganz Andalier gehört. Unzählige Hektar Land nennen wir unser Eigen, auf dem Weintrauben, Äpfel, Birnen und Zitronen angebaut werden. Unsere Leibeigenen verkaufen das Obst auf den Märkten oder verarbeiten es zu sehr kostspieligem Wein.

»Ich bin so stolz auf dich.« Mein Vater strahlt über das ganze Gesicht, was seine prallen Wangen noch mehr zur Geltung bringt. Für meine Hochzeit hat er sich neue dunkelgrüne Gewänder vom besten Schneider der Stadt anfertigen lassen – ebenfalls aus feinster Seide. Meine komplette Familie hat er für dieses Ereignis neu einkleiden lassen.

Schon seit ich denken kann, versucht mein Vater, durch Geld wettzumachen, was ihm an Größe und Präsenz fehlt. Seine Eltern stammen aus dem niederen Adel und er hat jede Stufe seines Erfolges mühsam erklommen. Stück für Stück erweiterte er seine Obstplantage und trieb den Handel voran. Der dafür verdiente Respekt bleibt jedoch aus. Die anderen Adligen sagen ihm zwar nie etwas Abfälliges ins Gesicht, aber sobald er ihnen den Rücken zukehrt, haben sie nichts als Spott für ihn übrig. Mit seinem fülligen Bauch und der geringen Körpergröße ist mein Vater nie ein Frauenschwarm gewesen. Dafür sind er und meine Mutter die liebenswertesten Wandler, die ich kenne.

»Du wirst eine wunderbare Königin sein«, fügt er voller Freude hinzu.

»Das hoffe ich.« Und ich bete dafür, meine Ehe möge keine trostlose Einöde werden.

Mit einem dezenten Knarren öffnet sich die Tür und mein Herz macht einen Satz, als sich der pompöse und säulenbedeckte Saal vor uns erstreckt. Auf dem grauen Steinboden ist ein purpurfarbener Teppich ausgerollt und überall im Raum stehen bunte Vasen mit frischen Blumen darin. Von den Decken hängen zahlreiche Kronleuchter herab, in denen hunderte von Kerzen entzündet wurden. Die adligen Gäste schimmern und glänzen in ihren schönsten Kleidern und bilden ein breites Spalier, das direkt zu den Thronen führt, vor denen Karim auf uns wartet.

Gefesselt von dem Anblick und durch das Rauschen meines Blutes bin ich unfähig, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Ganz im Gegensatz zu meinem Vater. Erhobenen Hauptes macht er einen Schritt nach vorn und zieht mich mit sich. Während er vor Freude gleich zu platzen scheint, schnürt sich das Band um meinen Hals immer fester zu. Karim ist nicht als Mann bekannt, der Frauen treu umsorgt oder Sinn für Romantik hat. Das einzige, was ihn im Leben anzutreiben scheint, ist der Durst sein Reich zu vergrößern. Nur wegen des verlorenen Krieges gegen Ferlen hat er überhaupt nach einer Ehefrau gesucht. Mein Vater hat mir geraten, nicht öffentlich darüber zu sprechen, aber König Karim benötigt dringend Geld. Etwas, das meine Familie zur Genüge hat.

Langsam schreitet mein Vater voran, kostet den Moment dabei voll aus. Seine runde Nase streckt er leicht in die Höhe und sein Blick schweift immer wieder nach rechts und links zu den Adligen. Seine Mimik schreit dabei geradezu: Seht her, das ist meine Tochter und sie wird Königin. Ich bin der Vater der Königin!

Die Adligen reagieren mit trotzigem und missgünstigem Kopfschütteln oder sehen woanders hin. Doch die Stimmung meines Vaters trübt sich dadurch nicht im Geringsten.

Für mich fühlt sich der Gang quälend langsam an und es verlangt mir einiges ab, den Blick nach vorn gerichtet zu halten. Das Bild, welches mich erwartet, macht es mir nicht gerade leichter. König Karim steht in feine dunkle Gewänder gehüllt vor den Thronen. Seine polierten schwarzen Stiefel glänzen, der Bart ist akkurat gestutzt und in seinem kurzen braunen, ordentlich nach hinten gekämmtem Haar steckt eine diamantenbesetzte Goldkrone. Seine Hände hält er hinter dem Rücken und er macht einen sehr angespannten Eindruck. Für einen kurzen Moment rümpft er sogar die Nase.

Ich schlucke schwer. Gewiss entspreche ich nicht dem Schönheitsideal. Mein Spiegel verrät mir das jeden Tag. Auch mit meinen sechzehn Jahren habe ich noch die vollen Wangen aus Kindertagen und mein Gesicht ist sehr rundlich. Mein Körper weigert sich, fraulich zu werden, und mein Busen will einfach nicht wachsen. Das Einzige, was mir wirklich an mir gefällt, sind meine langen blonden Haare, die von Natur aus gelockt sind. Die Anhänger der goldfarbenen Schmuckkette auf meinem Kopf mussten verlängert werden, damit sie genau wie mein Haar bis zum Bauchnabel reichen. Was für eine Verschwendung von Geld, bedenkt man, für wie wenige Augenblicke ich diese Kette tragen werde.

Der König mustert mich argwöhnisch und muss keine fünf Sekunden gebraucht haben, um zu bemerken, dass ich so gar nicht seinen Erwartungen entspreche. Dennoch wird er die Hochzeit nicht platzen lassen. Dafür ist er viel zu sehr auf das Geld angewiesen, welches ihm unsere Ehe einbringen wird.

Die letzten Meter trennen mich von meinem Bräutigam, der doppelt so alt ist wie ich und sich nicht einmal zu einem kurzen Lächeln durchringen kann. Allein das würde mir schon dabei helfen, mich nicht mehr ganz so unwohl in meiner Haut zu fühlen. Aber die hochgezogenen Brauen und die völlig unterkühlte Mimik lassen mich innerlich verkrampfen.

Ich erlaube mir einen kurzen Blick zur Seite, nur um für einen Moment diesen braunen Augen zu entfliehen, die mich ganz und gar nicht wie eine stolze Braut fühlen lassen. Aber in den Gesichtern der Gäste finde ich auch keinen Zuspruch. Nur Neid und Übelwollen. Die Pumas, Tiger und alle anderen Rassen um mich herum haben für eine Heirat überhaupt nicht zur Diskussion gestanden. Die zukünftige Königin musste eine lange reinrassige Löwenblutlinie vorweisen können. So wie ich.

Ich will gerade wieder den Blick nach vorn richten, da entdecke ich meine Mutter. Gemeinsam mit meinen drei jüngeren Schwestern steht sie in der vordersten Reihe auf der rechten Seite. Von Glück erfüllt, presst sie ihre Hände gegen die Brust und stößt einen Seufzer aus. Ich höre ihn nicht, aber ich sehe, wie sich ihre Lippen bewegen. Sie sind voll und zartrosa, genau wie die Diamanten um ihren Hals. Auch nach der Geburt von vier Kindern besitzt sie eine zauberhafte Figur, die in der gelben Seide perfekt zur Geltung kommt. Ihre Gesichtszüge sind weich, die Haut glatt. Niemals würde ich bei ihrem bezaubernden Antlitz denken, dass sie vier Jahre älter als mein Bräutigam ist.

Neben meiner Mutter stehen meine drei Schwestern Adriana, Ammarosa und Amelia. Kerzengerade, hübsch frisiert und mit goldenem Schmuck behangen. Sogar um den schmalen Hals der kleinen Amelia, gerade einmal fünf, leuchten bernsteinfarbene Diamanten. Die tiefblauen Augen der drei strahlen mich voller Ehrgefühl an. Wir alle haben unsere Augenfarbe von unserer Mutter geerbt. Ebenso wie die blonden Locken.

Die liebevollen Gesichter meiner Mutter und meiner Schwestern geben mir neue Kraft. Ich atme tief durch, strecke den Rücken und blicke nach vorn auf den Altar, der vor den Thronen aufgebaut wurde. Unterarmgroße Holzstatuen unserer Götter, Kerzen, Leinentücher, eine Goldkrone und eine silberne Schale stehen darauf. Davor wartet der Priester. Sein goldfarbenes Gewand mit den schwarzen Rosetten auf Brusthöhe lässt nur noch die Spitze seiner hölzernen Schuhe herausschauen. An seiner Stirn sind drei schwarze Linien aufgemalt, die der Musterung eines Tigers entsprechen. Der Pelzkragen vereint auch die dritte der mächtigsten Raubkatzen in seinem Erscheinungsbild.

Meine Augen gleiten vom Priester wieder zu meinem Bräutigam. Auch wenn ich innerlich glühe und meine Beine sich weich anfühlen, versuche ich so entschlossen wie möglich zu wirken. Für meinen Vater, der sich einen derartigen Aufstieg mehr als verdient hat.

Kurz vor dem König bleiben wir stehen. Mein Vater führt meine Hand zu seinem Mund und gibt mir einen Kuss auf den Handrücken. »Du machst uns so stolz«, flüstert er abermals, ehe er meine Hand an den König reicht und sich zu meiner Mutter und meinen Schwestern in die Reihe stellt.

Karims Griff ist fest, seine Hände groß und rau. So gut es geht, ignoriere ich den dicken Kloß in meinem Hals. Ich muss beweisen, welch starke Löwin ich bin, auch wenn ich diese gerade vergeblich suche.

»Eure Hoheit«, beginnt der Priester mit dem lichten weißen Haar zu sprechen, während er sich vor dem König verneigt. »Lady Annabella und werte adlige Gäste. Lasst uns zu den Göttern beten und sie um den Segen für diese Verbindung bitten.« Er schließt die Augen und faltet die Hände vor dem Körper. »Zerios. Wahrer Herrscher über Korsua, unser aller Gönner und Gebieter. In aller Ehrfurcht beten wir zu dir und bitten dich, über diese beiden Seelen zu wachen, die nun den Schwur der Ehe ableisten werden. Segne sie mit Tapferkeit, Mut und Stärke.«

»Zu Lobe Zerios«, ertönt es zeitgleich von allen im Saal.

»Evra«, fährt der Priester fort. »Göttin, Hüterin, unser aller Amme. In aller Ehrfurcht beten wir zu dir und bitten dich, über diese beiden Seelen zu wachen, die nun den Schwur der Ehe ableisten werden. Segne sie mit Fruchtbarkeit, Glück und Gesundheit.«

»Zu Lobe Evra«, antworten wir wieder alle gemeinsam.

Der Priester öffnet seine Augen, dreht sich zum Altar und nimmt die Silberschale, in der sich eine helle Paste befindet. »Legt die Hände aufeinander«, spricht er und hebt die Schale nach oben.

Karim streckt seine Arme vor mir aus, hält dabei die linke Handfläche nach oben und die rechte nach unten. Ich strecke meine Hände aus, unsere Handflächen berühren nun einander. In ganz Korsua gibt es zur Hochzeit die gleichen Rituale, sei es die Jagd, die Darlegung der Hände oder der Trauspruch. Wir alle huldigen unseren Göttern auf die gleiche Art und Weise.

»König Karim«, beginnt der Priester zu sprechen. »Seid Ihr gewillt, Lady Annabella aus dem Hause Aslett vor Zerios und Evra zur Ehefrau zu nehmen? Sie zu lieben und zu schützen? Sie durch alle Prüfungen zu begleiten, die unsere Götter ihr auferlegen?«

»Ja.« Seine Stimme gleicht einem tiefen Brummen.

»Lady Annabella. Seid Ihr gewillt, König Karim aus dem Hause Garley vor Zerios und Evra zum Ehemann zu nehmen? Ihn zu lieben und zu unterstützen? Ihn durch alle Prüfungen zu begleiten, die unsere Götter ihm auferlegen?«

»Ja«, antworte ich mit zitternder Stimme.

»Und seid Ihr auch bereit, die Krone Andaliers anzunehmen?«

»Ja«, wiederhole ich.

Der Priester taucht seine Finger in die Schale und streicht die Paste auf unsere Handrücken. Sie dient als symbolische Darstellung für das Band, welches uns vom heutigen Tag an verbindet. Der Priester stellt die Schale auf dem Altar ab, greift nach einem Leinentuch, säubert sich die Finger und nimmt anschließend die goldene Schmuckkette von meinem Haupt. Vorsichtig legt er sie auf den Altar und tauscht sie gegen die diamantenbesetzte Krone, die er über meinen Kopf hält. »Als Stellvertreter unserer Götter Zerios und Evra kröne ich Euch zur Königin von Andalier.«

»Zu Lobe Königin Annabella«, hallt es durch den Raum.

»Nun ist Eure Bindung besiegelt. Möge ein Kuss das Glück beschwören, bevor Ihr Euren Zusammenhalt in der Jagd unter Beweis stellt.«

Zögerlich blicke ich zu Karim auf, als wir uns loslassen. Dieser wartet nicht lange, bis er mir einen Kuss auf die Lippen drückt. Ohne Zärtlichkeit, ohne Gefühl. Etwas anderes war aufgrund seiner Haltung kaum zu erwarten.

In meinen Träumen habe ich mir stets ausgemalt, wie romantisch und liebevoll mein erster Kuss wohl sein möge und wie verliebt mich der Wandler ansehen würde, der ihn mir schenkt. Immer wieder habe ich mich gefragt, wie es sich anfühlt, die warmen Lippen eines Mannes auf den meinen zu spüren. Hätte ich jedoch schon vorzeitig in Erfahrung bringen wollen, wie sich mein erster Kuss tatsächlich anfühlen würde, so hätte ich nur einen Stein zu küssen brauchen. Die Erkenntnis drückt erneut meine Stimmung. Etwas in mir hofft, es wird nicht immer so sein.

Ob es Karim womöglich nur unangenehm ist, vor einer solchen Masse Wert auf Sanftheit zu legen? Wer weiß. Vielleicht ist er ganz anders, wenn wir beide allein sind.

»Meine Königin.« Karim senkt nur flüchtig sein Haupt vor mir, ehe er mir die Hand reicht.

»Mein König«, antworte ich bewusst höflich und mache einen ehrfürchtigen Knicks, den er nicht einmal mehr richtig registriert. Wesentlich schneller als zuvor mein Vater führt er mich über den purpurfarbenen Teppich bis vor den Thronsaal. Sobald die Tür hinter uns geschlossen wird, lässt er abrupt meine Hand los und wendet sich einigen Männern zu. Die meisten von ihnen tragen eine schwarze Hose, schwarze Stiefel, einen dunkelroten Gambeson und an den Gürteln um ihren Bauch befinden sich Schwerter. Das entspricht der typischen Kleidung eines königlichen Leibwächters. Die anderen tragen ebenfalls schwarze Hosen und Stiefel, aber einen grünen Gambeson. Das müssen die königlichen Jäger sein.

Ohne mich zu beachten, bespricht Karim die nächsten Schritte mit ihnen. Ein junger Wandler, der zu den Jägern gehört, lenkt dabei seinen Blick auf mich. Seine Schultern sind nicht so übertrieben breit wie die der anderen, aber er wirkt dennoch gut gebaut. Sein schulterlanges rotbraunes Haar ist zu einem Zopf gebunden und an seinem Kinn trägt er eine wenige Zentimeter lange, dünne Narbe. Ich schätze sein Alter auf Anfang zwanzig und damit scheint er der jüngste Wandler im Bund zu sein. Seine blassgrünen Augen sehen mich durchdringend an. Nicht abwertend oder gleichgültig, sondern eher neugierig. Unsere Blicke verharren regelrecht ineinander und ich kann mir nicht erklären, wieso es mir nicht möglich ist, woanders hinzusehen. Sein Anblick nimmt mich gefangen und plötzlich fühle ich mich nicht mehr so unwohl. Seine sanften Augen senden mir Wellen der Erleichterung. Die Kälte, die Karim durch meine Adern fließen ließ, ist angenehmer Wärme gewichen.

»Eure Hoheit«, sagt ein Dienstmädchen mit langen dunkelbraunen Haaren und holt mich damit aus meiner Starre. Sie macht einen tiefen Knicks, als sie aus der Reihe hervortritt. »Wenn Ihr erlaubt, führen wir Euch jetzt zu Eurem Gemach, damit Ihr Euch für die Jagd vorbereiten könnt.«

Noch bevor ich ihr antworte, wendet sich Karim mit den Herren ab und rauscht durch die Gänge, ohne mir noch ein Wort zu gönnen. Der junge Wandler hingegen dreht sich noch einmal zu mir um, ehe er in den Gängen verschwindet.

Warum fühle ich mich plötzlich wieder so beunruhigt, jetzt wo ich ihn nicht mehr sehe? Das muss die Angst vor der bevorstehenden Jagd sein.

Ich nicke dem Dienstmädchen stumm zu und folge ihm durch die vielen Gänge, in denen man sich so leicht verlaufen kann. Bis auf die Bilder an der Wand sieht das graue Steingemäuer überall gleich aus. Aber wo ich auch hinsehe, prangen riesige Ölgemälde an den Wänden: Karim bei der Jagd, Karim in der Schlacht, Karim auf seinem Thron. Überall nur Karim. Als hätte in diesem Schloss nie jemand anderes gelebt und geherrscht als er.

Kapitel 2, Ilya

Aufrecht, den Blick nach vorn gerichtet, sitzen die Leibwächter Karims und wir Jäger in einer Reihe einige Meter vor dem Wald, in den wir jeden Moment zur Jagd aufbrechen werden. Meine scharfen Krallen bohren sich in das Gras unter meinen Pfoten. Der leichte Wind weht durch meine Mähne und meine feine Nase vernimmt den Duft von Holz, Moos und den anderen Raubkatzen. Neben viel Geld müssen die Wandler, die zu Karims Leibwächtergarde oder seinen Jägern gehören wollen, auch Stärke, Größe und Schnelligkeit mitbringen. Ein königlicher Leibwächter zu sein ist die größte Ehre, die einem Krieger zuteilwerden kann. Direkt danach folgt der Rang eines königlichen Jägers. Dabei zählt nicht nur die Jagd zu unseren Aufgaben. Wir sind auch bei den Gerichtsverhandlungen dabei und bewachen das Schloss.

Einst wollten auch Derek und ich Leibwächter sein. Nur deswegen sind wir an den Hof gekommen. Doch dann starb König Gregor und wir zogen es vor, der Jägergilde anzugehören. Gemischt aus zwei Pumas, zwei Leoparden, einem Gepard und einem Löwen, wechseln wir uns mit der Jagd ab. Es geschieht selten, dass Karim der Sinn danach steht, sich sein Fleisch nicht fertig zum Verzehr servieren zu lassen und selbst auf die Jagd geht. Doch auch dann sind wir dabei und spielen immer das gleiche Spiel: Drei bis vier Mitglieder der Jäger und seiner Leibwächter jagen gemeinsam mit dem König - oder besser gesagt, wir jagen und fangen die Beute. Karim gibt ihr den tödlichen Biss und preist sich vor dem Volk als gekonnter Jäger an.

Heute sind sowohl die komplette Jägergilde als auch alle Leibwächter Karims anwesend. Die stärksten sind Mevin und Devin. Die beiden Tiger sehen sich in ihrer menschlichen Gestalt zum verwechseln ähnlich, könnten aber unterschiedlicher nicht sein. Mevin ist zwar ein Muskelprotz, hat dafür aber einen ziemlich leeren Kopf. Egal, was Karim ihm befiehlt, er folgt ohne zu zögern. Devin hingegen ist seinem Bruder in Größe und Stärke nicht nur ebenbürtig sondern handelt zudem mit Bedacht. Er ist einer der wenigen, der neben mir versucht hat, Karim von seinem waghalsigen Vorhaben abzubringen. Es ist zwar die Aufgabe des Königspaares zu jagen, aber Karim verfolgt einen anderen Plan. Einen, der mich schon seit Tagen rastlos macht.

Die ersten schaulustigen Gäste finden den Weg aus den sicheren Schlossmauern hierher vor den Wald. Allesamt fein herausgeputzt mit edlen Kleidern, aufwendigen Frisuren und teurem Schmuck. Die Damen tun sich schwer damit, sich mit ihren Absätzen den Weg über die unebene Wiese zu bahnen. Ich vernehme leise, nicht schickliche Flüche aus ihren mit Lippenstift in den verschiedensten Rottönen gefärbten Lippen.

Das alles wäre so viel einfacher, wenn ein jeder Wandler in seiner tierischen Gestalt diesem Part beiwohnen würde. Aber die feine Gesellschaft hat doch im Grunde schon vergessen, was es heißt, eine Raubkatze zu sein. Für nichts in der Welt würde ich darauf verzichten, als Löwe durch die Wälder zu streifen, den Wind auf meinem Fell und die Erde zwischen meinen Pfoten zu spüren.

Innerlich lache ich beim Anblick der parfümierten und in viel zu enge Kleider geschnürten Damen. Viele Väter nutzen Tage wie diesen, um ihre Töchter als potenzielle Braut zur Schau zu stellen.

Normalerweise würde jetzt die Hochzeitszeremonie stattfinden. Unserem König jedoch ist der Gedanke zu bieder, sich nur in einem feinen Mantel vor dem Volk zu präsentieren. Sein Ruf hat in der letzten Zeit sehr gelitten, wofür er allein die Verantwortung trägt. Er ist es schließlich gewesen, der bei Zerios und Evra geschworen hat, aus dem Krieg gegen Ferlen als König beider Länder zurückzukehren. Und was ist stattdessen geschehen? Er musste kapitulieren und zahlt von nun an jährlich einen hohen Tribut an König Erias.

Karim ist im Moment viel mehr das Objekt öffentlichen Spotts und Hohn als ein König, den das Volk ehrt und zu dem es aufsieht. Und wir Jäger und Leibwächter sollen jetzt dafür sorgen, dass diese Jagd seinen Ruhm wieder herstellt.

Ein jeder von uns dreht seinen Kopf in die Richtung, aus der Karim auf uns zumarschiert. Seine jüngste Niederlage ist ihm deutlich anzusehen. Einige Blessuren zieren noch sein gelb-goldenes Fell. Vor dem Krieg gegen König Erias besaß Karim eine tiefschwarze Mähne, die seine Ungeschlagenheit im Kampf bewies. Doch jetzt sind nur noch kleine Büschel seiner einst prächtigen Mähne übrig.

Wenn ein Löwe einen Kampf verliert, fällt ihm seine Mähne aus. Irgendwann wächst sie heller nach.

Obgleich der Pein, die sein Erscheinungsbild auslöst, läuft Karim stolz wie eh und je an uns vorbei. In meiner Löwengestalt kann ich dabei nur innerlich lachen. Doch dann erregt etwas Filigranes und unbeschreiblich Schönes meine Aufmerksamkeit: unsere Königin. Vorsichtig und ein wenig verschüchtert wirkt sie, als sie auf Karim zuläuft. Nicht einmal kurz dreht er sich zu ihr um, starrt nur auf die Bäume vor ihm. Genau wie in ihrer menschlichen Gestalt ist sie ausgesprochen zart und für eine Löwin recht klein. Aber die Aura, die sie umgibt, ist groß und rein. Mit jedem Schritt, den sie näher kommt, spüre ich es noch deutlicher. Bereits vor dem Thronsaal konnte ich meine Augen nicht von ihr lassen. Das Abbild der zierlichen jungen Frau erscheint vor meinem geistigen Auge und lässt mich nicht mehr los.

»Starr sie nicht so an«, erreicht mich Dereks Stimme auf unserer eigenen mentalen Ebene, die wir schon in Kindertagen aufgebaut haben. Viele Wandler bauen nur mit ihren Geschwistern, Geliebten oder Lebensrettern eine eigene mentale Verbindung auf. Bei Derek und mir ist es anders. Im zarten Alter von elf Jahren spielten wir wieder einmal in einem alten Steinbruch. Ich rutschte beim Spielen ab, brach mir dabei ein Bein und schlug mir das Kinn so heftig auf, dass noch heute eine Narbe zu sehen ist. Ich habe Derek nicht gesagt, dass mein Vater mir verboten hatte, in dem Steinbruch zu spielen, und nachdem er mich in seiner Leopardengestalt nach Hause geschleppt hatte und mein Vater wissen wollte, was passiert war, schlug mir das Herz vor Panik bis zum Hals. Ich hatte nur einen einzigen Gedanken: Lass ihn nicht wissen, wo wir gespielt haben! Und dann geschah es. Dereks und mein Verstand verbanden sich auf einer eigenen mentalen Ebene. Mein Vater weiß bis heute nicht, dass ich nicht beim Bäumeklettern gestürzt bin.

Ich drehe mich zu Derek um. Aufrecht sitzt der Leopard neben mir. »Ich werde mir ja wohl unsere neue Königin ansehen dürfen.«

»Ja, aber nicht so.«

Mir ist bewusst, was er damit meint. Selbst wenn Karim Annabella nicht aus Liebe geheiratet hat, stellt er doch große Besitzansprüche. Mit Strafen und Maßregelungen geht er nicht zimperlich um und ich wäre nicht der Erste, der seinen Zorn spürt, nur weil er eine Sekunde zu lange eine Frau angesehen hat, die Karim als sein Eigen ansieht.

Widerwillig richte ich meinen Blick auf unseren König. Annabella ist jetzt auf seiner Höhe und bleibt neben ihm stehen. Wenn sie nur wüsste, was sie erwartet.

»Ihr seid bereit?«, brummt Karim mental zu seiner Frau.

»Ja.«

Furcht schwingt ihrer Stimme mit. Ob vor der anstehenden Jagd oder gar dem König selbst vermag ich nicht zu urteilen.

Ein leises Knurren ertönt neben mir und Dereks scharfe Zähne blitzen kurz zwischen seinen Lefzen auf. »Diese Frage sollte er lieber uns stellen.«

Er hat recht. Diejenigen von uns, die nicht blind Karims Befehlen folgen, haben mehr als einmal versucht, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Als ich vor zwei Jahren an den Hof gekommen bin, war ich bereit, mein Leben für den König zu geben. Für einen guten König. Einen, der gerecht und weise herrscht, so wie Gregor es tat. Ich wollte für ihn kämpfen, aber ich wollte nicht bei einer List seines Bruders sterben.

Aber das ist in einer anderen Zeit gewesen. Und mit einem anderen König.

Karim nickt einem jungen Wandler zu, der neben einer riesigen Sanduhr steht. Jedes Königshaus besitzt eine solche Uhr. Innerhalb einer Stunde ist der Sand durchgelaufen. Bis dahin sollte das Königspaar erfolgreich von der Jagd zurückgekehrt sein.

Der junge Wandler stemmt seine Hände gegen das Glas und dreht die Sanduhr herum. Langsam rieselt der feine Sand nach unten.

»Es geht los.« Karims Stimme klingt auf der mentalen Ebene genauso angespannt, wie seine Körperhaltung es präsentiert.

Einer nach dem anderen setzen wir uns in Bewegung und laufen in den Wald. Neben den Ahornbäumen, Kastanien und Pappeln bilden vor allem die riesigen Warkbäume ein regelrechtes Schattenrefugium, das uns an einem warmen Sommertag wie heute sehr gelegen kommt.

Als wir außer Hör- und Sichtweite der Gäste sind, bleiben wir stehen.

»Mein König.« Die Stimme der Königin erklingt auf der mentalen Ebene genauso zart wie in menschlicher Gestalt. »Wie werden wir bei der Jagd vorgehen? Was soll ich tun?«

»Ihr werdet gar nichts tun«, antwortet Karim schroff. »Wartet hier, bis wir zurück sind.«

»Aber wir sollen doch gemeinsam jagen.«

Karim stößt ein tiefes Knurren aus. »Tut, was ich Euch sage.«

Ich kann spüren, dass Annabella Widerworte auf den Lippen liegen. Entweder traut sie sich nicht sie auszusprechen, oder sie weiß um deren Sinnlosigkeit.

Karim deutet mit seinem Kopf auf einen Leoparden. »Lord John wird bei Euch bleiben und für Eure Sicherheit sorgen.« Mit diesen Worten wendet er sich ab und läuft voraus.

In Annabellas Gesicht kann ich Verzweiflung und Verwirrung zu gleichen Teilen ablesen. Sie wird in ihrer Ehe immer wieder feststellen müssen, dass bei Karim mehr Schein als Sein ist. Das ganze Land zu betrügen, nur um sich in besseres Licht zu rücken, sieht ihm ähnlich. Aber früher oder später wird die Wahrheit schon herauskommen.

Widerwillig folge ich unserem König und den anderen durch den Wald. Immer tiefer dringen wir vor, lassen wertvolle Zeit verstreichen. Zwei Mal habe ich bereits die Witterung von Rothirschen wahrgenommen, aber König Karim möchte unbedingt einen Silberhirsch erlegen. Und nicht nur irgendeinen.

In geduckter Haltung wage ich mich immer weiter voran. Karim hat sich inzwischen etwas zurückfallen lassen und lässt uns die Vorboten spielen, während er sich weiter hinten in Sicherheit wiegt. Vor dem Volk strotzt er nur so vor Kampfgeist, doch in Wahrheit ist er ein Feigling. Ein arroganter und egozentrischer Narzisst, aber sicher kein großer Krieger.

Mein Bruder Simor war bei der Schlacht in Ferlen dabei und hätte um ein Haar sein Leben verloren. Er hat mir von den großen Reden erzählt, die unser König vor jeder Schlacht gehalten hat. Die Krieger sollten einen Rückzug nicht einmal in Erwägung ziehen. Im Kampf zu sterben sei der beste Tod, den ein Wandler bekommen kann. Mich überkommt ein Brechreiz, wenn ich mir diese Reden bildlich vorstelle.

Als die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hat, sichten wir endlich eine Herde Silberhirsche. Der Alpha-Hirsch ist ein Prachtexemplar seiner Art: Groß und erhaben, mit einem riesigen Geweih, welches silbern glänzt. Ebenjenem Geweih verdanken diese Tiere ihren Namen.

Immer wieder lässt der Platzhirsch seinen Blick über die Herde gleiten. Die scharfen Spitzen seines Geweihs warnen jeden Bewohner des Waldes davor, ihm nicht zu nahe zu kommen.

Ich will dieses Tier nicht töten. Krampfhaft versuche ich, die aufkeimende Angst in mir zu ersticken. Der Gedanke daran, dieses Tier zu jagen, macht selbst einen erfahrenen Jäger wie mich ruhelos. So wie ich unseren König kenne, wird er selbst nicht das Risiko eingehen wollen, von dem Geweih des Hirsches verletzt zu werden. Wir anderen werden das Tier jagen müssen.

Karim will diesen Hirsch nur aus einem einzigen Grund erlegen: Kein Wandler mit auch nur ein bisschen Verstand würde es wagen, dieses Tier direkt anzugreifen. Doch Karim sieht darin seine einzige Chance, seinen Ruf wieder herzustellen.

Ich kann nur hoffen, diese Jagd zu überleben.

»Lord Ilya und Lord Derek werden auf die Herde zu rennen und sie in nördliche Richtung treiben«, befiehlt Karim. »Wenn der Platzhirsch ihnen folgt, werden wir ihn von den anderen Tieren trennen und erlegen.«

Wir, sage ich mir in Gedanken. Egal, was Karim uns vorzumachen versucht, ich glaube ihm kein Wort. Er ist noch immer geschwächt vom Krieg gegen Erias und wird sich sicher nicht mit einem Alpha-Silberhirsch anlegen.

»Was ist, wenn er ihnen nicht folgt?«, wage ich zu widersprechen. Mein eigenes Leben ist mir schließlich mehr Wert, als der Ruf des Königs. »Die Wahrscheinlichkeit ist ziemlich hoch.« Und irgendetwas in mir sagt, genau dies wird geschehen.

Die gelben Augen des Königs blitzen mich finster an. »Zweifelt Ihr an Eurer Jagdkunst, Lord Ilya?«

Es war klar, dass Karim den einzigen Ausweg aus meinen berechtigten Zweifeln darin sieht, mich bloßzustellen.

»Nein, aber zu zweit können wir ihn nicht erlegen.«

»Das müsst Ihr auch nicht. Haltet ihn nur hin, bis wir zu Euch stoßen.«

»Hinhalten?«, frage ich ungläubig. »Der Hirsch wird sicher nicht warten, bis wir so weit sind.«

Eiserner Zorn verdunkelt die mentale Ebene. »Lord Ilya, seid Ihr ein Jäger oder ein Waschlappen?«

»Ein Jäger, aber …«

»Dann tut, was ich sage und geht auf Eure Position. Wir haben schon genug Zeit vergeudet.«

Mein Blick trifft den von Devin. Er teilt meine Meinung noch immer, schüttelt aber mahnend den Kopf.

Widerwillig unterdrücke ich den Drang weiterer Widerworte und schleiche neben Derek näher an die Herde heran. Die anderen Jäger laufen wie von Karim befohlen weiter nördlich.

»Irgendwann wird dich dein reiches Elternhaus nicht mehr vor den Konsequenzen deiner scharfen Zunge bewahren können.« In Dereks Warnung legt sich deutliche Sorge.

»Womöglich hast du recht. Aber ich lasse mir nicht alles von unserem König gefallen. Er ist ein Schwätzer und ein Täuscher, mehr nicht.«

»Sei froh, dass er dich nicht hören kann.«

Ich füge dem nichts mehr hinzu, ducke mich und linse zwischen den Büschen zu den Hirschen. »Du weißt, ich habe recht.«

»Gewiss. Aber nun müssen wir uns konzentrieren. Denk an den feinen Braten und den guten Wein, der uns heute erwartet.«

»Zuerst müssen wir den Braten erlegen.«

Derek und ich visieren den Platzhirsch an. Aufmerksam streckt er seinen Kopf in die Luft. Seine Nasenflügel beben und seine Augen weiten sich.

Er hat uns bemerkt!

»Jetzt!«

Sowie mein Ruf ertönt, springen Derek und ich aus dem Gebüsch hervor und stürmen auf die Herde zu. Die Hirsche reißen erschrocken ihre Köpfe hoch und ergreifen die Flucht. Sie rennen genau dorthin, wo wir sie haben wollen. Doch der Platzhirsch weigert sich, sich ihnen anzuschließen und steht plötzlich direkt vor uns. Schnaufend senkt er seinen Kopf. Die scharfen Enden seines Geweihs blitzen uns bedrohlich entgegen. Ein Leopard und ein Löwe sind offensichtlich nicht genug, um ihm Angst zu machen. Ehe wir uns versehen, rennt er schon auf uns zu. In letzter Sekunde können Derek und ich zur Seite springen. Der Alpha-Hirsch wendet, scharrt mit den Hufen und schnauft wie ein wildes Pferd.

»Wir müssen hier weg!«, rufe ich Derek zu, da sprintet der Hirsch schon auf ihn zu. Allein hat er keine Chance gegen das aufgebrachte Tier.

So schnell ich kann, renne ich auf den Hirsch zu und springe auf seinen Rücken. Das Tier bäumt sich auf und wirbelt herum. Ich kann weder meine Klauen, noch meine Zähne tief genug in sein Fleisch bohren, um Halt zu finden, und so werde ich durch die Luft geschleudert. Sowie ich auf dem Boden lande, hängt Derek an der Kehle unserer Beute. Dabei bekommt er heftige Tritte ab. Ich rapple mich auf und renne erneut auf den Hirsch zu, da schafft er es, Derek abzuschütteln. Er fällt direkt vor ihm zu Boden und befindet sich nun in der tödlichsten Position, die es vor diesem Tier gibt. Dann geht alles rasend schnell. Ich hechte auf die beiden zu, brülle laut auf, um den Hirsch abzulenken, ohne Erfolg. Blitzschnell holt er mit seinem Kopf aus, spiest Derek mit seinem Geweih auf und schleudert ihn durch die Luft.

»Nein!«, rufe ich geschockt, da tauchen neben mir plötzlich die anderen Wandler auf. Es kostet mich all meine Sinne, mich nicht nach Derek umzudrehen und gemeinsam mit den anderen den Hirsch anzugreifen. Wir brauchen jetzt jeden verfügbaren Jäger, um dieses aufgebrachte Tier zu erlegen. Karim kann ich dabei jedoch nicht sehen.

Von allen Seiten stürmen wir auf den Hirsch zu. Die Raubkatzen vor ihm lenken ihn ab, während der Rest von uns ihn von hinten anspringt. Der Hirsch wirbelt herum und eine Spitze seines Geweihs trifft mich am rechten Bein. Trotz des Schmerzes verharre ich in meiner Position. Dieses Mal ist es mir gelungen, meine Krallen und Zähne tief in sein Fleisch zu bohren. Der geschwächte Hirsch ist nicht in der Lage, so viele Angreifer abzuwehren und so geht er langsam in die Knie. Als er bewegungsunfähig am Boden liegt, taucht Karim plötzlich auf. Für einen kurzen Moment bin ich gewillt, von dem Rücken des Tieres zu springen und ihm den tödlichen Biss zu verpassen. Karim soll sehen, dass er so etwas nicht mit uns machen kann. Er kann uns nicht als seine Vorboten einsetzen, uns in Lebensgefahr bringen und erst auftauchen, wenn alles vorbei ist. Mein ganzer Körper schreit danach, ihm ein Zeichen zu setzen, doch mein Verstand gewinnt. Ich bleibe so lange auf dem Rücken des Tieres, bis Karim zum tödlichen Biss ansetzt. Sowie das Leben den Hirsch verlassen hat und keine Gefahr mehr für uns besteht, springe ich auf und renne zu Derek. Den Schmerz an meinem Bein nehme ich kaum noch wahr. Die Sorge um meinen Freund überdeckt alle anderen Empfindungen.

Schwer atmend liegt Derek am Boden. Das Blut strömt aus tiefen Wunden hervor und färbt sein Fell tiefrot. Ein entsetzlicher Anblick, der mir die Kehle zuschnürt.

»Derek«, sage ich voller Schmerz, denn kein Heiler dieser Welt könnte seine Wunden heilen.

Keuchend versucht Derek seine Augen offenzuhalten. »Ich schätze … ich werde den Braten … mit den Göttern speisen.«

»Nein, du musst kämpfen!«, fordere ich, entgegen jeden Verstandes.

Mein ganzer Körper zittert, als Derek den Kampf aufgibt, seine Augen mir starr entgegensehen und sein Brustkorb aufhört sich zu bewegen. Schmerzhaft zieht sich mein Herz in der Brust zusammen und eine unheimliche Leere erfüllt mich, als unsere eigene mentale Ebene für immer verstummt. Ein lautes Brüllen entweicht meiner Kehle, in das ich all meinen Zorn und meine Trauer lege.

»Ilya?«, erreicht mich Devins Stimme. Nur schemenhaft vernehme ich, wie sich der Tiger nähert. »Was ist los?«

»Derek ist tot«, gebe ich scharf zurück und suche Karims Blick. In diesem Moment ist es mir egal, dass er der König von Andalier ist. Selbst wenn er der König ganz Korsuas wäre, würde ihn das nicht vor meinem Zorn schützen. »Ich habe Euch davor gewarnt, der Hirsch würde nicht flüchten. Dereks Tod ist Eure Schuld!«

Nach einem flüchtigen Blick auf Dereks Leib richtet Karim seine Augen wieder auf mich. »Lord Ilya, dieser Satz ist Eurer Trauer geschuldet. Einzig deswegen werde ich Euch nicht maßregeln. Wie Ihr wisst, kann es bei einer Jagd immer zu Unfällen kommen.« Er deutet mit seinem Kopf auf den Hirsch. »Aber wir waren erfolgreich. Die Götter werden Derek als großen Jäger anerkennen.«

»Und was bringt ihm das noch?«

Karim stößt ein lautes Knurren aus. »Lord Ilya, Ihr vergesst Euch!«

Es kostet mich alle Mühe, Karim keine weiteren Vorwürfe zu machen. Nur Derek zuliebe halte ich mich zurück. Erst vor der Jagd hat er mich noch zur Vorsicht angehalten.

Ich ignoriere Karim und suche Devins Blick. »Hilf mir, ihn aufzuladen.«

»Lord Ilya«, ermahnt Karim mich. »Um Lord Derek ins Schloss zu bringen gibt es Bedienstete.«

Ohne den Blick von Devin abzuwenden fahre ich fort: »Ich lasse ihn nicht hier liegen. Also, hilfst du mir?«

Auch Devin bleibt eisern und dreht sich nicht zum König herum. »Natürlich.«

Ganz egal, wie sehr es Karim widerstrebt, was ich tue, es ist meine Pflicht, Derek selbst nach Hause zu bringen. Das bin ich ihm schuldig.

Kapitel 3, Marlen

Weich fließt der Stoff meines beigefarbenen Kleides meinen Körper herab, als ich durch den Thronsaal laufe und meinen Blick über die wartenden Gäste schweifen lasse. Die lange Tafel, die links aufgebaut wurde, ist mit fein polierten goldenen Tellern, Bechern und ebenso hochwertigem Besteck eingedeckt. Die mannshohen schwarzen Kerzenständer sind vom letzten Staubkorn befreit und die weißen Kerzen darin entzündet worden.

So prachtvoll wie heute habe ich den Thronsaal selten erlebt. Zumindest in Karims Zeit als Herrscher. Er bevorzugt eine eher minimalistische Dekoration seines Thronsaals.