Die große Liebe kann mich mal - Sophia Money-Coutts - E-Book
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Die große Liebe kann mich mal E-Book

Sophia Money-Coutts

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Beschreibung

Ein Traummann hat ihr gerade noch gefehlt!

Einsam ist Florence auf gar keinen Fall. Sie ist zwar schon ziemlich lange Single – ok, eigentlich hatte sie noch nie eine Beziehung, wenn es jemand ganz genau wissen will. Aber ihr Job in einem quirligen Londoner Buchladen hält sie ziemlich auf Trab, und nach Feierabend leistet ihr der geliebte, aber übergewichtige Kater Gesellschaft. Florence ist mehr als zufrieden mit ihrem Leben, vielen Dank auch! Nur ihre nervige Stiefmutter sieht Optimierungsbedarf und schickt sie zu einem Liebes-Coach. Als erste Übung muss sie eine Liste schreiben mit all den Eigenschaften, die ihr Traummann in sich vereinen soll. Florence kann so eine Liste keinesfalls ernst nehmen: Jemand, der Katzen mag, einen Oberkörper hat wie James Bond und gleichzeitig bei ihrer nervigen Zähl-Marotte die Augen zudrückt? Unmöglich! Bis sie sich ein paar Tage später ungläubig die Augen reibt: Ein gutaussehender junger Mann betritt den Buchladen, der wie von Zauberhand alle Kriterien auf der Liste erfüllt. Zudem ist er adlig und besitzt ein schickes Herrenhaus auf dem Land. Kann das wahr sein?

»Ein Roman mit Witz, Wärme und ganz viel Herz.« Beth O’Leary

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 574

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SOPHIA MONEY-COUTTS ist Tochter eines englischen Barons. Ihre Familie führt die Privatbank »Coutts« – wo unter anderem die Queen ihr Geld anlegt. Sophia ist erfahrene Royal- und Promi-Redakteurin: Sie arbeitete für den Evening Standard und die Daily Mail und lebte zwei Jahre lang in Abu Dhabi. Heute schreibt sie freiberuflich und ist auch in Deutschland als Expertin für Adelsthemen gefragt – so gab sie Stern und Gala Interviews zum Megxit. Nach Kann ich jetzt bitte mein Herz zurückhaben? und Darf ich dich jetzt behalten? ist dies ihr neuer Roman in deutscher Sprache.

Der Roman in der Presse:

»Sprüht vor Leben – man fiebert mit den Figuren mit und hört nicht auf zu lachen bis zum Schluss.« Daily Mail

»Eine moderne Liebesgeschichte, bei der man jede Seite genießt.« Sunday Mirror

»Ein Buch voll kleiner Glücksmomente.« Woman’s Weekly

Außerdem von Sophia Money-Coutts lieferbar:

Kann ich jetzt bitte mein Herz zurückhaben?

Darf ich dich jetzt behalten?

Besuchen Sie uns auf www.penguin-verlag.de und Facebook.

Sophia Money-Coutts

Die große Liebe kann mich mal

Roman

Aus dem Englischen von Ivana Marinović

Die Originalausgabe erschien 2020

unter dem Titel The Wish List

bei HarperCollins, London.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright © 2020 der Originalausgabe by Sophia Money-Coutts

Copyright © 2022 der deutschsprachigen Ausgabe by Penguin Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Das Zitat aus William Shakespeares Cymbeline stammt aus der Übersetzung von Dorothea Tieck.

Redaktion: Lisa Wolf

Covergestaltung: Bürosüd

Coverabbildung: www.buerosued.de

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-28153-3V004

www.penguin-verlag.de

Für Vix, meine tapfere Freundin

»Gib acht, was du dir wünschst, es könnte in Erfüllung gehen.«

So ein Spruch, den Oma immer sagte, aber eigentlich ist der Verfasser unbekannt.

DIE LISTE

mag Katzen

hat einen interessanten Job (kein langweiliger Golf spielender Versicherungsheini wie Hugo)

hat den Hintern und die sexuelle Kondition von James Bond

hat eine nette Mutter

trägt keine spitzen Schnürschuhe

keine Hawaiihemden

keine Regenschirme

liest Bücher, und zwar nicht nur Sportlerbiografien

bloß keine ekligen Kloangewohnheiten (siehe »Bremsspuren«)

ist ambitioniert

und abenteuerlustig

hat gute Manieren (sagt zum Beispiel Danke, wenn ihm jemand die Tür aufhält)

ist nicht besessen von Instagram oder seinem Handy

hat Humor

antwortet auf meine Nachrichten

stört sich nicht an meiner Zählerei

1

»Zwei, vier, sechs, acht, zehn …«, murmelte ich und nahm dabei immer zwei Stufen auf einmal. Mist. Elf Stufen. Eine ungerade Zahl bedeutete, dass das Abendessen schlimm werden würde.

Es war jener absurde Abend im Claridge’s, an dem die ganze Sache ihren Anfang nahm. So kam die Liste zustande. Als ruhigstes Mitglied meiner lauten, streitlustigen Familie drückte ich mich gerne vor den Abendessen mit ihnen, und heute hatte ich so eine Vorahnung, dass dieses Dinner ganz besonders qualvoll werden würde. Deshalb zählte ich auch akribisch meine Schritte, als ich aus der Hyde-Park-Unterführung in das abendliche Sonnenlicht hinaustrat. Es war ein Spiel, das ich »Konsequenzen« nannte. Falls die Anzahl von Stufen gerade wäre, würde das Abendessen gut verlaufen, ohne Dramen. Meine Familie würde beweisen, dass sie sich ganz normal benehmen konnte. Aber nein … elf verdammte Stufen. Dieses Dinner würde in jedem Fall ein Reinfall werden.

Eigentlich war es ein feierlicher Anlass, da Mia sich mit Hugo verlobt hatte. Meine Halbschwester hatte sich tatsächlich bereit erklärt, einen Mann mit der Intelligenz und Sensibilität eines Pfannenwenders zu heiraten, und alle sollten sich gefälligst mit ihr darüber freuen. Patricia, meine Stiefmutter, war vor Stolz beinahe explodiert. Immerhin würde ihre Tochter einen Mann ehelichen, der einen Siegelring trug, einen Mercedes fuhr, Mitglied in einem Surreyer Golfclub war und über zweihunderttausend Pfund pro Jahr in einer Versicherungskanzlei namens Wolf & Partners scheffelte.

Ich war weniger entzückt. Ich wusste nämlich, warum Mia Ja gesagt hatte. Heutzutage schienen doch alle Ja zu sagen. Die Leute sagten Ja, im ganz privaten Rahmen, an einem Strand oder auf einem Berggipfel, nur um gleich darauf ihr Handy zu zücken und die sechshundertzweiundfünfzig engsten Freunde auf Instagram daran teilhaben zu lassen, dass sie Ja gesagt hatten – manchmal zusammen mit einem #IchhabeJagesagt-Hashtag. Ein völlig bekloppter Hashtag, da doch sowieso nie irgendwer ein Foto mit dem Hashtag #IchhabeNeingesagt hochladen würde, oder?

Mia hatte vor einer Woche ihr Verlobungsfoto von der Terrasse eines teuren Restaurants in Italien gepostet. Der Schnappschuss zeigte hauptsächlich ihre linke Hand vor ihrer Brust, damit wir auch alle den augapfelgroßen Diamanten an ihrem Finger bewundern konnten. Ihre Nägel waren fuchsiarot lackiert, ihr blonder Bob tadellos frisiert und ihr Gesicht durch eine ebenmäßige Make-up-Schicht geglättet, die ganz natürlich wirken sollte, deren Auftragen Mia an jenem Morgen aber in Wahrheit eine ganze Stunde gekostet hatte – sie hatte nämlich schon einen Monat zuvor den Verlobungsring in der Unterhosenschublade von Hugo gefunden und kapiert, dass er ihr praktisch jeden Moment einen Antrag machen würde.

Hugo selbst konnte man auf dem Bild gerade so hinter Mias Schulter erkennen, sodass es aussah, als versuche er, sein eigenes Verlobungsfoto zu crashen. Darunter hatte Mia nicht nur #IchhabeJagesagt geschrieben, sondern auch #funkelnd, #Träumewerdenwahr, #HePutARingOnIt, #ShineBrightLikeADiamond, #Freudentränen, #fürimmerzusammen und zu guter Letzt einfach nur #love. Ich starrte eine ganze Weile auf den Post, um zu entscheiden, welcher Hashtag wohl der schlimmste war. Musste man das heutzutage so machen – sowohl Beyoncé als auch Rihanna in einem Social-Media-Post zitieren, um die ganze Welt auf seine Verlobung aufmerksam zu machen? Ich war zweiunddreißig Jahre alt, aber Schwachsinn wie dieser sorgte dafür, dass ich mich wie neunhundert fühlte.

Wieder musste ich den Kopf schütteln, als ich an diese Hashtags dachte. Meine Halbschwestern und ich waren nun mal verschieden. Das war mir schon immer klar gewesen. Mia und Ruby verfügten über ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein, Haare, die machten, was sie sollten, sowie ein ausgeprägtes Wissen über jede einzelne der Kardashian-Schwestern. Ich hatte nichts von alldem. Dennoch waren wir zusammen aufgewachsen und lebten bis heute zusammen in dem schmalen, hohen Haus unserer Kindheit in Südlondon. Die beiden hatten ein engeres Verhältnis untereinander als zu mir, fast so wie eine kleine Zweier-Clique für sich. Es gab Tage, da wurmte es mich, wenn ich sie im Zimmer der anderen lachen hörte oder wenn sie auf dem Sofa vor dem Fernseher ganz selbstverständlich die Beine über die der anderen legten, während ich immer allein in einem Sessel für mich saß. An besseren Tagen sagte ich mir, dass es bloß an der Biologie lag: Sie waren eben richtige Schwestern, da konnte ich nicht mithalten. Aber auch wenn es womöglich nicht in gleichem Maß auf Gegenseitigkeit beruhte, so liebte ich die beiden doch, als ob sie meine richtigen Schwestern wären; außerdem war ich zu dem Schluss gekommen, dass es allemal besser war, mich mit ihren schlechten Angewohnheiten anzufreunden (Wimperntusche auf dem Handtuch verschmieren, nie eine Tasse in den Geschirrspüler stellen, immer meinen Joghurt auffuttern), als woanders einzuziehen und das Risiko einzugehen, an Mitbewohner zu geraten, die noch schlimmer waren.

Ich hätte jedoch nie gedacht, dass eine von ihnen ernsthaft beschließen könnte, den langweiligsten Mann von ganz England zu heiraten. Und doch befanden wir uns nun alle auf dem Weg zum exklusiven Claridge’s Hotel, um darauf anzustoßen, dass genau dieses Hotel die Location sein würde, in der in weniger als vier Monaten ihre Hochzeit stattfinden würde. Es schien etwas überstürzt – so als wolle sie Hugo so schnell wie möglich hinter Schloss und Riegel bringen –, doch Mia behauptete, Winterhochzeiten hätten schlicht mehr »Stil« als Sommerhochzeiten. Sie würde kleine rote Beeren in ihren Blumenarrangements haben und beim Empfang der Gäste fein gewürzten Glühwein servieren lassen. Sie hatte zudem beschlossen, dass Ruby und ich ihre Brautjungfern sein sollten, daher rechnete ich in düsterer Vorahnung bereits damit, ein Kleid in Kotzfarben tragen zu müssen.

Und so begaben wir uns an jenem Abend alle ins Claridge’s – das heißt, alle bis auf meinen Vater, der britischer Botschafter in Argentinien war und seit nunmehr sechs Jahren in einer edwardianischen Villa in Buenos Aires lebte. Er könne nicht für das Dinner nach Hause fliegen, hatte er mir entschuldigend gemailt, da er ein Treffen mit einem der größten Sojabohnen-Exporteure Argentiniens habe.

Wenn Dad da gewesen wäre, wäre ich voller Freude über den Bürgersteig gehüpft. Obwohl wir uns alle zwei Wochen schrieben (ich gab ihm Updates zu neu erschienenen Geschichtsbüchern; er schickte mir kurze Updates zurück, meist über das Wetter), vermisste ich seine physische Anwesenheit doch und wünschte, er wäre mehr in der Nähe, mehr in meinem Leben. Der Sojabohnenmagnat jedoch hatte Vorrang, und so wären da an diesem Abend versammelt: ich, das glückliche Paar sowie Patricia und Ruby. Wenn sie denn auftauchte. Ruby – gesegnet mit den Wangenknochen einer Kate Moss und den Brüsten einer Barbiepuppe – war Model. Oder versuchte zumindest, Model zu sein. Sie war seit Jahren bei einem Agenten unter Vertrag, bisher jedoch nur für Zeitschriftenreklame für Waschmittel und Zahnpasta gebucht worden. Erst neulich war sie von Dulcolax, der Abführmittelmarke, angefragt worden, eine Plakatserie für die U-Bahn zu machen, doch sie hatte abgelehnt. »Kylie Jenner würde man auch nie bei so einer Kampagne sehen, Flo«, hatte sie mir in unserer Küche erklärt.

Trotzdem betrachtete sie sich als »kreative Künstlerin«, was offenbar bedeutete, dass sie auf einer anderen Zeitskala lief als der Rest von uns – ganz so, als wäre die Uhrzeit ein bürgerliches Konstrukt, mit dem sie sich nicht weiter abgeben müsse.

Einmal, an Weihnachten, kam Ruby erst nach Hause, als wir anderen schon längst den Truthahn verputzt hatten; zu dem Zeitpunkt hatte Patricia bereits eine halbe Flasche Baileys intus und forderte von Dad, einen seiner Kontakte bei der Regierung anzuhauen, um herauszufinden, wo sie steckte. Diese abwegige Idee war erst vergessen, als Ruby irgendwann nach siebzehn Uhr durch die Tür spaziert kam und behauptete, ihr Handyakku wäre leer, die Busse würden nicht fahren und man hätte ihre Kreditkarte gesperrt, was wiederum bedeutete, dass sie ihren Uber-Account nicht nutzen konnte. »O mein armer Schatz«, hatte Patricia gelallt und Ruby an ihre Brust gezogen. »Wir müssen dir umgehend eine neue Kreditkarte besorgen. Henry? HENRY! Kannst du Ruby eine neue Kreditkarte bestellen?«

Wieder schüttelte ich den Kopf. Patricia würde es am heutigen Abend mit ziemlicher Sicherheit übertreiben und eine Flasche Champagner nach der anderen ordern, während über das einzige Thema des Abends diskutiert wurde – die Hochzeit. Zu Hause, in Kennington, war praktisch von nichts anderem mehr die Rede, seit Mia aus Apulien zurückgekehrt war und mit ihrem Verlobungsring in der Küche herumgefuchtelt hatte wie mit einem Miniaturstaubwedel. Es hieß »die Hochzeit« da und »die Hochzeit« dort, als hätte es in der Geschichte der Menschheit noch nie eine Hochzeit gegeben. Sollten Ruby oder ich je beschließen ebenfalls zu heiraten, überlegte ich, so würde in unserer Familie immer noch Mias Hochzeit als »die Hochzeit« ins Feld geführt werden. Nicht dass das sehr wahrscheinlich wäre, rief ich mir selbst in Erinnerung.

Denn obwohl ich zweiunddreißig war und über zwei Arme und zwei Beine sowie ein Gesicht verfügte, dessen Züge sich grob am rechten Platz befanden (ich hasste bloß meine schmale Oberlippe), hatte ich nie einen Freund gehabt. War nie verliebt gewesen. Ja, gut, da war diese fünfwöchige Sache in Edinburgh gewesen, als ich mich in einen Geschichtsstudenten aus dem dritten Semester namens Rich verknallt hatte. Doch das hatte ich gründlich ruiniert. Nach unserer ersten gemeinsamen Nacht war ich davon ausgegangen, dass wir ein Paar waren, ohne zu ahnen, dass Rich das anders sah. Er schlich sich während jener Wochen, in denen ich zum ersten Mal dem Charme eines Mannes erlegen war, zwar weiterhin um zwei, drei oder vier Uhr morgens in mein Studentenwohnheim, aber dann kam da dieser Donnerstagabend gar nicht lange danach, als meine Freundin Sarah mir erzählte, dass sie ihn im Three Witches mit einem anderen Mädchen an der Bar hatte knutschen sehen. Ich nahm all meinen Mut zusammen, um ihm eine Nachricht zu schicken, doch Richs Antwort lautete: »Was bist du? Meine Ehefrau?« Der Schmerz war so heftig, so brennend, dass ich mich wie ein kleines Kind fühlte, das den Finger in eine Flamme gesteckt hatte. Es war das Ende von Rich.

Seitdem hatte ich exakt drei sehr kurze Affären gehabt, eigentlich One-Night-Stands, obwohl mir zu dem Zeitpunkt nicht klar gewesen war, dass es One-Night-Stands waren. Ist es doch nie, oder? Bei jedem dachte ich, es könnte der Beginn von etwas Ernstem sein. Vielleicht würde dieser Mann endlich mein fester Freund werden? Oder der nächste? Oder der danach? Aber sie wurden nie zu festen Freunden, und ich verliebte mich auch nie, denn nachdem sie mit mir geschlafen hatten, schrieben sie mir nicht mehr und riefen auch nicht wieder an. Also versuchte ich, so zu tun, als wäre es mir egal.

Beziehungen waren doch sinnlos, sagte ich mir. Immerhin waren die Zeitungen und Zeitschriften voll von Frauen, die über ihre Partner jammerten. »Liebe Suzy, mein Freund will jedes Mal, wenn wir Sex haben, dass ich ihm schmutzige Dinge sage, aber mir geht langsam das Vokabular aus. Was rätst du mir?« Oder: »Liebe Suzy, mein Ehemann stellt die leere Milchpackung immer in den Kühlschrank zurück, statt sie in den Müll zu werfen. Soll ich mich von ihm scheiden lassen?« Wenn ich je einen Brief wie diesen schreiben sollte, würde ich fragen: »Liebe Suzy, ich bin zweiunddreißig und war nie verliebt, bin aber ziemlich glücklich mit meinem Leben, obwohl ich immer noch mit meinen Schwestern zusammenwohne und ein paar schräge Angewohnheiten habe. Manchmal denke ich, in meinem Alter keinen Freund zu haben macht mich zu einem seltsamen Menschen, aber woher soll man denn wissen, dass der andere einen nicht verletzen wird?«

Ich blieb auf dem Bürgersteig stehen und blickte an der altehrwürdigen Backsteinfassade des Claridge’s hoch, während ich mir rasch noch Mut zusprach. Jetzt hör mal gut zu, Florence Fairfax, das hier wird ein netter Abend, und du wirst die ganze Zeit über lächeln. Schau nicht so düster, als wärst du auf deiner eigenen Beerdigung, nur weil deine Schwester einen Mann heiratet, der andere Menschen nach ihrem Golf-Handicap beurteilt. Versuch, überzeugend zu wirken, wenn alle mit ihren Gläsern anstoßen. Und du musst nicht jeden Bissen zählen. Reiß dich zusammen.

Ich blickte auf meine Füße und bemerkte, dass ich die Pumps vergessen hatte, die ich am Morgen in einer Plastiktüte zur Arbeit mitgenommen hatte, und stattdessen meine Arbeitsschuhe trug. Schwarz, mit Klettverschlüssen und dicker Gummisohle. Es war die Art Schuh, die auf der Rückseite der Sonntagsbeilage als Fußbekleidung für ältere Herren beworben wurde. Ich trug sie, weil ich bei meinem Job in einer Buchhandlung in Chelsea den ganzen Tag auf den Beinen war. Wen kümmerte es schon, wenn ich aussah wie eine ausgebüxte Altersheimbewohnerin? Ich stand meist hinter der Kasse oder einem Büchertisch. Nur dass jetzt bei Mias feierlichem Dinner im Luxushotel Claridge’s alle denken würden, ich hätte gerade erst eine Ballen-OP hinter mir und orthopädisches Schuhwerk verschrieben bekommen.

Hoffentlich fiel es niemandem auf. Ich lächelte dem Portier zu, der in seinem Zylinder neben dem Hoteleingang stand, und schob mich durch die Drehtür in die Lobby.

»Florence, mein Schatz, was um Himmels willen hast du da an deinen Füßen?«, fragte Patricia laut genug, damit mehrere andere Tische es hören konnten. Mia und Hugo waren bereits da.

»Tschuldigung«, murmelte ich und beugte mich nach unten, um meiner Stiefmutter einen Kuss auf die Wange zu drücken. »Hab die anderen Schuhe im Laden vergessen.«

»Nun, dann setz dich schnell hin, und niemand wird sie sehen«, fuhr Patricia fort und nickte zu einem leeren Stuhl. »Ich habe Champagner bestellt.«

Patricia war eine Frau mit vogelartigen Gesichtszügen – Hakennase, kleine perlenrunde Äugelchen –, der die richtigen Schuhe und Champagner sehr am Herzen lagen. Vor knapp dreißig Jahren war sie als Sekretärin namens Pat in den öffentlichen Dienst eingetreten und hatte dabei beobachtet, dass diejenigen, die sich am schnellsten hocharbeiteten, einer Art Geheimclub anzugehören schienen. Sie trugen ähnliche Anzüge und Kostüme und hatten den gleichen Akzent. Und sie sprachen über Tennis, als sei es eine Religion, nicht nur ein Sport. Patricia wollte unbedingt Teil dieses Clubs werden, also sparte sie, um sich einen Hosenanzug von Caroline Charles zu kaufen, stufte sich von »Pat« auf »Patricia« hoch und hörte von einem Tag auf den anderen damit auf, »Klo« zu sagen. Außerdem nahm sie meinen Vater ins Visier. Er war damals ein trauernder Witwer, dessen Frau vor nicht allzu langer Zeit bei einem Autounfall ums Leben gekommen war, und außerdem derjenige mit den vielversprechendsten Aufstiegschancen in der Abteilung. Bald darauf zog Patricia bei uns ein. Jemanden aus dem Club zu ehelichen würde ihr den Eintritt garantieren.

Innerhalb eines Jahres hatte Dad ihr einen Antrag gemacht, und von da an lebte sie als seine Ehefrau in unserem Haus in Kennington, in Südlondon. Ich war damals drei und schien diese Veränderungen in meinem Leben in einer Art verblüfftem Schweigen beobachtet zu haben. Mia kam ein Jahr später zur Welt, was bedeutete, dass ich aus meinem Kinderzimmer im ersten Stock flog und eine Treppe höher in ein Zimmer mit Blick auf die Straße umziehen musste. Ruby folgte im Jahr darauf, und ich wechselte auf den Dachboden.

»Hi, Leute«, sagte ich über Mia und Hugo stehend. Sie hatten beide die Köpfe über den Tisch gebeugt. Mia las in einer Broschüre, Hugo tippte auf seinem Smartphone herum.

»Oh, ich weiß nicht. Den Französischen Salon finde ich ganz hübsch, aber da ist nur Platz für hundertzwanzig Leute. Hi, Flo«, sagte Mia, blickte auf und wedelte kurz mit der Hand in der Luft, als würde sie eine Fliege verscheuchen, bevor sie sich wieder in ihre Broschüre vertiefte.

Ich hatte die Abkürzung »Flo« noch nie leiden können. Dabei musste ich immer an eine Tampon-Marke denken. Ich war Florence getauft worden, nach meiner Oma mütterlicherseits, einer schlanken, energischen Französin, die, umgeben von Dorfkatzen und Aprikosenbäumen, in einem alten Bauernhaus vor Bordeaux gelebt hatte. Als ich noch jünger war, verbrachte ich den Großteil meiner Sommerferien dort, wo ich die meiste Zeit damit beschäftigt war, heruntergefallene Früchte aufzuklauben. Wenn ich am Tag mehrere Körbe gesammelt hatte, schenkte meine grand-mère mir am Abend ein Glas Weinschorle ein. Das war immer unser kleines Geheimnis gewesen, und ich vergötterte sie dafür, dass sie mich wie eine Erwachsene behandelte, als es sonst niemand zu tun schien. Als niemand sonst mit mir über Mum sprach, wo ich doch solche Angst hatte, dass ich sie vergessen würde. Wenn irgendwer es gewagt hätte, meine grand-mère »Flo« zu nennen, hätte sie denjenigen mit einem Schwall französischer Schimpfwörter bedacht. Sie starb, als ich fünfzehn war, und seitdem hing ich an meinem Vornamen, als würde er mich immer noch mit jenen Sommertagen verbinden, auch wenn ich schon vor langer Zeit aufgegeben hatte, meine Schwestern zu korrigieren.

»Hugo, sag Hallo zu Flo«, schob Mia hinterher.

»Hallo, Flo«, sagte Hugo, hob kurz den Kopf von seinem Handy und lächelte matt, bevor er den Blick wieder zum Display senkte.

Ganz ehrlich, ich hatte in meinem Leben schon interessantere Sockelleisten getroffen. Wenn er wenigstens körperlich attraktiv gewesen wäre, hätte ich es ja verstehen können, aber er sah aus wie ein Bleistift in einem Anzug: groß und schlaksig, mit übertrieben zurückgegeltem Haaransatz, der sich zudem schon auf dem Rückzug befand und die Form eines großen M auf seiner kahlen Stirn formte.

Ich wandte den Blick von Hugos Kopf zum Tisch, bevor ich mich setzte. Fünf Gedecke, zwei Kerzenleuchter und eine Kugelvase mit acht Rosen, was gut war, weil es eine gerade Zahl war.

»Wo ist Ruby?«, erkundigte ich mich, als ein Kellner mit einer Flasche Champagner auftauchte und sie Patricia hinhielt.

Patricia nickte ihm zu. »Sehr gut. Sagtest du nicht, auf dem Weg von einem Casting, Mia?«

»Sie meinte, sie könnte sich verspäten, aber wir sollen ruhig schon mal ohne sie anfangen.« Mia hielt ihre Champagnerflöte hoch und sah zu, wie der Kellner ihr eingoss, dann erhob sie das Glas. »Alle bereit?«, fragte sie. »Also gut. Auf mich. Und auf Hugo«, fügte sie rasch hinzu. »Auf uns und die beste Hochzeit aller Zeiten.« Sie quietschte und kräuselte dabei ihr gesamtes Gesicht, so als würde die Vorstellung von ihr selbst in einem weißen Brautkleid sie in helle Verzückung versetzen.

»Mein Schatz, ich könnte nicht stolzer sein«, sagte Patricia.

»Wie aufregend!«, log ich, als wir anstießen.

Hugo verzog das Gesicht, tätschelte sich die Brust – er hatte wirklich seltsam dürre Finger – und stellte sein Glas wieder auf dem Tisch ab. »Mia, hast du Rennies dabei? Du weißt doch, dass ich von Champagner immer Sodbrennen bekomme.«

Ruby traf eine Stunde später ein, als wir mit dem Hauptgang fast durch waren. »Entschuldigt, sie haben uns ewig warten lassen«, sagte sie und unterbrach damit eine bereits fünfzehn Minuten andauernde Diskussion darüber, ob die Hochzeitstorte von dem angesagten East-End-Konditor, der auch die Torte für Meghan und Prinz Harry gebacken hatte, aus einem Cheesecake oder einem sizilianischen Zitronenbiskuit bestehen sollte. »Hi, Leute, hi, Flo, hi, Mum«, schob sie hinterher und umrundete pflichtbewusst den Tisch, um jeden einzeln auf den Kopf zu küssen, bevor sie sich auf den Stuhl neben mir plumpsen ließ. »Ich könnte töten für einen Drink.«

»Wir haben gerade über meine Torte gesprochen«, sagte Mia, die Gabel mit einem Happen Fisch in der Luft haltend.

»Unsere Torte«, korrigierte Hugo sie.

»Wofür war denn das Casting?«, wollte Patricia wissen, die davon träumte, dass Ruby mal auf dem Cover der Vogue landen würde, damit sie bei ihren Freundinnen im Bridgeclub angeben konnte.

»Eine neue Kampagne für Herpessalbe.« Ruby blickte zu einem wartenden Kellner auf. »Könnte ich einen Wodka Tonic bekommen? Tonic light, bitte.« Sie wandte sich wieder dem Tisch zu. »Es war totaler Mist. Das mache ich nicht, selbst wenn sie mich anbetteln.«

Ruby schien kein Problem damit zu haben, ständig Jobs in den Wind zu schießen. Jede Woche ging sie zu irgendwelchen Castings und tat sie dann achselzuckend ab, überzeugt davon, dass ihr großer Cover-Moment eines Tages schon noch kommen würde. Dabei war es durchaus hilfreich, dass sie mit sechsundzwanzig Jahren immer noch über eine Kreditkarte verfügte, die von unserem Vater gesponsert wurde.

»Oh, na dann«, sagte Patricia bloß. »Was willst du essen?«

»Ähm …« Ruby schaute auf unsere Teller. Hugo kaute auf einem Rib-Eye-Steak herum; Patricia und Mia hatten sich nach einer mehrminütigen Diskussion, ob der Fisch wohl in Butter oder Öl zubereitet wurde, für den Wolfsbarsch an Thymiancreme entschieden; ich aß Hühnchen, hatte jedoch den Trüffel-Kartoffelstampf gegen Pommes eingetauscht, da ich fand, dass Trüffel wie der Schritt meiner Sportleggins müffelten, und nicht verstand, warum irgendwer so etwas essen sollte. Außerdem konnte ich die Pommes beim Essen zählen. Mit ganz kleinteiligem Essen wie Erbsen oder Reis kam ich nicht gut klar, da sie schwer zu zählen waren. Pommes gingen in Ordnung.

»Das, was Florence hat«, sagte Ruby. »Und ich hätte echt unfassbar Lust auf eine Kippe, aber …« Sie sah sich im Raum um, als würde sonst noch irgendwer rauchen wollen.

»Können wir wieder zur Hochzeit zurückkehren?«, verlangte Mia.

Ruby lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. »Ja, entschuldige. Wie ist der Plan?«

»Wir werden die Feier hier abhalten, aber ich mache mir Sorgen wegen der Gästezahl. Bringst du jemanden mit?« Mia kniff die Augen zusammen. »Wird Jasper dabei sein?«

Jasper Montgomery war Rubys neuester Freund, ein verwegener Playboy und Sohn eines Herzogs, der mal ein Schloss in Yorkshire und Tausende Hektar Land erben würde. Patricia war begeistert; Mia war in letzter Zeit etwas weniger erfreut über die neue aristokratische Beziehung unserer Schwester, weil Jasper immer wieder unangekündigt und sturzbesoffen bei uns zu Hause aufschlug und sich gegen die Türklingel lehnte, bis irgendwer, meist Mia, öffnete, woraufhin Jasper in unseren Flur getorkelt kam.

»Woher um Himmels willen soll ich das wissen?«, erwiderte Ruby. »Die Hochzeit ist erst im Dezember. Das sind …«, sie zählte, indem sie mit den Fingern auf die Tischplatte klopfte, »… von jetzt an noch fast vier Monate. Ich kann nicht vorhersagen, wo ich da sein werde.« Sie pflegte, was ihre Beziehungen anging, einen genauso entspannten Umgang wie mit der Uhrzeit. Und diese Lässigkeit, gepaart mit ihren Sommersprossen und den langen kastanienbraunen Locken (sie hatte bei einer ihrer Porträtaufnahmen mal gesagt bekommen, sie sähe aus wie die »junge Julia Roberts«), bedeutete, dass die Männer reihum vor ihr umfielen wie Kegel.

»Flo, was ist mit dir?«, fragte Mia.

»Was meinst du?«

»Bringst du jemanden mit?«

»Zu deiner Hochzeit?«

»Ja, natürlich zu meiner Hochzeit. Worüber sonst sollten wir reden?«

»Unsere Hochzeit«, merkte Hugo an.

Die Frage brachte mich in die Defensive. »Na ja, ich meine, nein … Ich habe nicht … Ich kenne keinen … Ich kann mir nicht vorstellen, wer das sein sollte, also …«

»Florence, meine Süße, ich habe schon darüber nachgedacht«, unterbrach Patricia mich.

Mein Kiefer erstarrte mitten beim Kauen. Patricias Tonfall war schmeichelnd geworden – die Schwarze Witwe, die ihr Opfer einlullte, bevor sie es tötete.

»Ich denke, es ist höchste Zeit, dass du dir Gedanken über dein Liebesleben machst. Du bist zweiunddreißig, Schätzchen. Du hättest mittlerweile wirklich einen Freund haben sollen. Was werden denn sonst die Leute denken? Die Zeit wartet schließlich nicht auf uns. Oder in diesem Fall die Männer.«

Ich schluckte runter, bevor ich antwortete. »Vielleicht, Patricia, werden sie denken, dass ich lesbisch bin.«

»Grundgütiger. Bis du denn les...? Bist du eine von denen?«

Ich nahm eine Pommes und tunkte sie in das Silberschälchen mit Ketchup neben meinem Teller. »Nein, leider nicht.«

Obwohl ich Jahre damit verbracht hatte, so zu tun, als würde es mir nichts ausmachen, dass ich nie einen Freund hatte – Jahre, in denen ich mir sagte, dass es nicht sehr feministisch war, sich um solche Dinge Sorgen zu machen –, störte es mich insgeheim doch. Lag es an meiner flachen Brust? Meinen Füßen, Schuhgröße einundvierzig? Meinem blassen Teint oder dem Muttermal auf der Stirn, das ich versuchte, unter meinem Haar zu verstecken? Merkten die Männer mir an, dass ich so unerfahren war? Verströmte ich eine Art abschreckenden Geruch?

Tief in meinem Inneren wollte ich mich natürlich verlieben. So ging es doch jedem, oder etwa nicht? Ich hatte meine Jugendjahre damit verbracht, Liebesromane zu verschlingen, und träumte davon, so verführerisch zu sein wie Scarlett O’Hara, gepaart mit der kecken Intelligenz einer Jo March und der porzellanartigen Zartheit von Daisy Buchanan. In Wirklichkeit jedoch fühlte ich mich allmählich mehr wie die vertrocknete alte Jungfer Miss Havisham. Und obwohl ich mir an trüben Sonntagabenden gestattete darüber nachzugrübeln, hätte ich das öffentlich nie zugegeben – und schon gar nicht wollte ich das mit meiner Familie ausdiskutieren. Vor allem nicht, wo doch die Anziehungskraft meiner Schwestern so viel ausgeprägter war als meine.

Wir wohnten nun schon seit Jahren als Trio zusammen. Dad war nach Pakistan versetzt worden, als ich achtzehn war. Fünf Jahre später verlegte ihn das Außenministerium nach Argentinien. Das war der Zeitpunkt, als Patricia eine Wohnung in South Kensington bezog. Sie hatte unser Haus in Kennington noch nie gemocht, weil sie fand, dass die Postleitzahl nicht vornehm genug war, also überredete sie Dad, eine weitere Hypothek aufzunehmen und ihr woanders eine Bleibe zu kaufen. Patricia bestand darauf, dass sie damit nur dafür sorgen wollte, dass Ruby, Mia und ich zu Hause wohnen bleiben könnten, doch die Wahrheit war, dass Patricia fand, dass sie es verdiente, in einem eleganten Apartment mit dicken Teppichen, teuren geblümten Tapeten in einer schicken Gegend zu wohnen. Immerhin war sie die Gattin eines Botschafters. Selbst wenn sie die meiste Zeit in London verbrachte. Sie besuchte Buenos Aires alle zwei Monate, und Dad flog hin und wieder zu einem Treffen nach Hause, aber sie waren so häufig getrennt, dass ich mich oft gefragt hatte, wie man ihre Beziehung als glücklich bezeichnen sollte. Über die Jahre jedoch war mir klar geworden, dass sie genau deswegen glücklich waren, weil sie so lange Zeit voneinander getrennt waren. Hätten sie rund um die Uhr zusammengelebt, hätte einer den anderen womöglich umgebracht. Patricia war eine überspannte Neurotikerin, die alle Besucher zwang, die Schuhe vor ihrer Tür auszuziehen; Dad hingegen war das stabile Steuerruder. Sie wollte einen Ehemann, der ihr die wöchentlichen Friseurbesuche und Abendessen in teuren Restaurants finanzieren konnte; er brauchte eine Frau, die gerne die Diplomatengattin mimte, wenn sie zu Besuch kam. Patricia wurde es nie müde, bei der Eröffnung einer neuen Textilfabrik das Band zu durchschneiden oder mit der Frau des Sojabohnenmagnaten zu plaudern. Die Wohnung in South Kensington war vollgestopft mit Fotos, die zu diesen offiziellen Anlässen geschossen wurden.

Jedenfalls kamen seit Patricias Auszug die Liebhaber und Freunde meiner Schwestern öfter zu uns nach Hause als der Briefträger. Sie gehörten meist zu Ruby, doch vor Hugo war Mias Abschussquote auch nicht ohne gewesen. Auf jeden Fall traf ich morgens, wenn ich in die Küche kam, regelmäßig auf irgendwelche Männer namens Rupert oder Jeremy, die in den Schränken nach Teebeuteln kramten. Der einzige Mann, der es in mein Zimmer schaffte, war rothaarig, hatte vier Beine und hieß Marmalade – mein treuer siebzehnjähriger Kater.

»Aber wir machen uns Sorgen um dich«, säuselte Patricia weiter, »daher habe ich also beschlossen, dass du bei dieser Frau vorbeischauen solltest, über die ich im Posh!-Magazin beim Friseur gelesen habe – sie hat einen lustigen Namen. Gwendolyn irgendwas. Sie ist eine Liebes-Coachin. Oder Guru. Weiß nicht mehr genau. Aber anscheinend ist sie brillant.«

Ich blinzelte sie über den Tisch hinweg an. »Eine Liebes-Coachin? Wie meinst du das?«

»Das muss dir überhaupt nicht peinlich sein, Schätzchen. Stell sie dir einfach als Therapeutin vor, aber für Beziehungen. Du gehst da hin, redest mit ihr über deine Situation und wonach du suchst, und sie hilft dir dabei, all deine kleinen seltsamen Problemchen zu lösen.«

»Wie. Meinst. Du. Das?«, wiederholte ich langsam und artikulierte dabei jedes Wort überdeutlich.

»Ich denke doch nur, dass es ein bisschen einsam sein muss, in deinem Alter noch allein zu sein, wo deine Schwestern jetzt heiraten. Irgendwie … unnatürlich.«

»Moment mal, Mum«, warf Ruby ein. »Ich heirate doch gar ni...«

Patricia hob eine Hand, um ihr zu bedeuten, dass sie noch nicht fertig war. »Willst du denn nicht jemanden kennenlernen, Schätzchen?«, fragte sie und beugte sich zu mir vor. »Willst du nicht auch so einen netten Mann wie Hugo finden und dir mit ihm ein gemeinsames Leben aufbauen?«

Ich schaute zu Hugo, der zum wiederholten Mal mit dem Zeigefinger über den Teller fuhr, um den Steaksaft aufzuwischen, und ihn anschließend in den Mund steckte.

»Patricia«, begann ich, »wir haben das 21. Jahrhundert. Alleinstehende Frauen sind nicht illegal. Wir dürfen Auto fahren, wir dürfen wählen. Wir haben das Recht auf Grundbesitz. Wir können in der ersten Liga Fußball spielen und …« Ich hielte inne und überlegte nach weiteren Punkten. »… wir können mit unserer Körperbehaarung machen, was wir wollen. Wir können uns anziehen, wie wir wollen. Und wir können Sex mit uns selbst haben, wenn wir Lust drauf haben, kein Mann erforderlich …«

»Herrje, Florence, jetzt lass uns nicht in Obszönitäten abgleiten«, erwiderte Patricia und schürzte die Lippen, als hätte sie gerade eine Batterie durch den Mund gesogen.

Doch ich arbeitete auf meinen Höhepunkt zu und genoss es: »Im Grunde können wir machen, was immer wir wollen, und wir müssen ganz sicher keinen Freund haben, nur weil andere das von uns erwarten.«

Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück und funkelte sie herausfordernd an, doch Patricia war wie ein Maulwurf, den man einfach nicht loswurde.

»Schätzchen«, erwiderte sie, den Kopf zur Seite neigend. »Immer so widerborstig. Was, wenn die Dame dir helfen kann?«

»Ich brauche keine Hilfe!«, entgegnete ich, klang dabei jedoch quietschiger als beabsichtigt, weshalb ich schluckte und noch mal neu ansetzte. »Was ich damit meine, ist, dass ich zufrieden mit meinem Leben bin und keine verrückte alte Schachtel mit einem Packen Tarotkarten brauche.«

»Es klingt alles sehr seriös. Sie hat ihre Praxis in der Harley Street.«

»Oh, in der Harley Street! Dann ist ja gut. Sie muss hochqualifiziert sein, wenn sie in der Harley Street sitzt.«

»Florence, komm schon, du benimmst dich ziemlich albern. Alles, was ich dir anbieten wollte, war eine Sitzung bei jemandem, der dir helfen könnte, die Dinge anders zu betrachten.« Patricia hielt inne und griff nach ihrem Weinglas. »Dein Vater findet auch, dass es eine gute Idee ist. Er macht sich ja solche Sorgen um dich.«

Ich wusste nicht, was demütigender war: gesagt zu bekommen, dass man zu einer Liebes-Coachin sollte, oder die Vorstellung, wie Dad meinen Beziehungsstatus mit Patricia diskutierte.

Ich ließ den Kopf hängen und murmelte etwas vor mich hin.

»Was war das?«, fragte Patricia.

»Nichts«, erwiderte ich und riss den Kopf hoch. »Na schön, wenn du und Dad denkt, dass das eine gute Idee ist, dann werde ich auf eine Sitzung vorbeischauen. Eine Sitzung – wenn wir dann in dieser Familie nur nie wieder meinen Beziehungsstatus diskutieren müssen. Abgemacht?«

»Das ist die richtige Einstellung«, lobte meine Stiefmutter erfreut und streckte eine ihrer Klauen über den Tisch, um meine Hand zu tätscheln. »Ich mache einen Termin aus. Geht auf mich. Es wird deinen Vater ja so glücklich machen.«

»Ich finde das eine gute Idee«, fügte Mia hinzu. »Komm schon, Flo, du willst doch nicht für immer allein bleiben.«

»Ja, die Dame kann womöglich helfen«, echote Ruby und sah mich mitfühlend an. Es war diese Art von Blick, mit der man jemanden bedachte, der gerade gesagt bekommen hatte, dass er eine tödliche Krankheit und nur noch drei Tage zu leben hätte.

Hugo wischte immer noch Steaksaft mit seinem Finger auf.

Herrgott, diese Familie …

»Na schön«, wiederholte ich, schnappte mir noch eine Pommes und stocherte damit in ihre Richtung wie mit einem Messer. »Aber wenn ich hingehe, müsst ihr alle daran denken, was ich heute Abend gesagt habe: Wir werden nie wieder mein Liebesleben als Gruppenaktivität diskutieren.«

»Schon gut, schon gut, du Oberemanze«, sagte Mia, »mach dich mal locker. Und könnten wir dann jetzt den Termin festsetzen, wann wir die Kleider kaufen gehen? Da ihr beiden die Brautjungfern seid, will ich, dass ihr das Gleiche tragt. Farblich dachte ich da an Koralle?«

Also hatte ich recht gehabt – die Brautjungfern würden Kotzfarben tragen.

Es war ein strahlender Morgen. Die Sonne wärmte bereits den Dachboden, als ich am nächsten Tag aus dem Bett kroch und mich vor meinen großen Spiegel stellte, nackt, bis auf die Unterhose, um abzuschätzen, wie dick ich mich heute fühlte. Ich wusste, dass ich nicht wirklich dick war. Nicht so richtig dick. Aber ich inspizierte trotzdem jeden Morgen meinen Bauch im Spiegel. Aufgebläht? Nicht aufgebläht? Ich pikste mit dem Finger hinein und beugte mich runter, sodass er sich unterhalb meines Nabels wölbte, dann richtete ich mich wieder auf. Ich begutachtete meine Oberschenkel (ich wünschte, sie wären kleiner), dann meine Brüste (ich wünschte, sie wären größer) und fuhr anschließend mit einer Hand durch mein Haar, das in einem undefinierbaren Schnitt bis knapp über meine Schultern reichte. Ich musste es nach jeder Wäsche glätten, sonst wellte es sich wie bei einem struppigen Spaniel.

Ich duschte kurz und ging dann wieder zurück in mein Zimmer. Aus dem Hängeschrank zog ich eine von vier identischen dunkelblauen Hosen von Uniqlo. Aus der obersten Kommodenschublade nahm ich mir ein dunkelblaues T-Shirt und faltete es auseinander. Ich legte beides aufs Bett und kehrte zur Kommode zurück, um einen BH sowie eine akkurat gebügelte und zusammengefaltete schwarze Unterhose herauszuholen, die ich aus einer säuberlich gestapelten Reihe zog. Ich kleidete mich an, band mein Haar zu einem Pferdeschwanz hoch und machte mein Bett.

»Lass uns gehen, Kumpel«, sagte ich zu Marmalade, hob ihn hoch und zählte im Kopf die Stufen, während ich sie hinabstieg – zwei, vier, sechs, acht, zehn, zwei, vier, sechs, acht, zehn, zwei, vier, sechs, acht, zehn.

Fürs Frühstück schob ich zwei Scheiben Brot in den Toaster: Toast mit Honig, eine Tasse Kaffee. Danach würde ich mein Mittagessen vorbereiten. Auch das war immer das gleiche: ein Käse-Tomaten-Sandwich mit Butter und sauren Gurken, das bis um dreizehn Uhr gut durchgezogen sein würde, plus einen Haferkeks von der Ladung, die ich jeden Sonntagnachmittag im Voraus backte.

Ich kam schlecht mit Änderungen klar. Mochte ich einfach nicht. Also trug ich jeden Tag das gleiche Outfit und aß jeden Tag das gleiche Mittagessen, weil es mir ein Gefühl von Sicherheit gab. Es war eine Form von Kontrolle – wenn mein tägliches Leben konstant blieb, konnte nichts Gravierendes schiefgehen. Ich mochte eintönige Tage, die damit endeten, dass ich lesend auf dem Sofa lag, während im Fernsehen einen Kochshow lief. Idealerweise eine mit Mary Berry. Ich mochte Mary, weil sie sauber und ordentlich war.

Gelegentlich machte ich mir schon Sorgen, dass so ein ruhiges, unambitioniertes Leben bedeutete, dass ich für immer allein bleiben würde, dass ich nie den Mut finden würde, mich zu verlieben oder ins Ausland zu gehen. Die weiteste Reise, die ich je unternommen hatte, war die zu meiner Oma nach Frankreich – wie ironisch, wenn man bedachte, dass meine Eltern begeisterte Weltenbummler gewesen waren, die sich in Indien kennengelernt hatten. Mum war zu dem Zeitpunkt eine idealistische Dreiundzwanzigjährige, die an einer Schule in einem Vorort von Mumbai Englisch unterrichtete und in einer kleinen Wohnung in der Nähe wohnte, wo sie morgens davon geweckt wurde, dass Esel vor ihrem Balkon schrien. Ich hatte immer an diesem Bild von den lauten Eseln festgehalten, da es eine der wenigen Geschichten war, von denen ich noch wusste, dass sie sie mir erzählt hatte.

Dad lebte zur gleichen Zeit in der Stadt, ein Student, der seine Dissertation über dynastische indische Politik schrieb. Dieses Thema hatte anscheinend wie ein Aphrodisiakum auf Mum gewirkt, als sie ihn eines Abends kennenlernte, nachdem einer ihrer Mitbewohner ihn zum Abendessen eingeladen hatte. Und somit war’s um sie beide geschehen. Sie wurden unzertrennlich – bis zu dem Autounfall in London acht Jahre später. Der Unfall, der wie ein Komet in unser Leben donnerte und alles veränderte. Das war der Punkt, an dem ich begriff, dass Veränderungen schlecht waren. Daher: immer die gleichen Klamotten, das gleiche Mittagessen; jeder Montag im Großen und Ganzen wie der vorangegangene Montag und der Montag zuvor. Wenn das Leben gleich blieb, blieb das Leben sicher.

An diesem Morgen aß ich also wie immer meinen Toast und verfolgte dabei die Nachrichten im Radio – ein Minister des Kabinetts war gezwungen worden, sich wegen eines Witzes über Veganer zu entschuldigen – und brachte dann Marmalade in den Garten.

Mia ging als Erste aus dem Haus. Sie arbeitete für eine Mode-PR-Agentur, mittlerweile ziemlich weit oben in der Hierarchie, und war verantwortlich dafür, Frauen zu erzählen, dass sie diese Saison Häkelstoffe und Schottenkaro tragen sollten und dass Animal-Prints so was von out waren. Was mich betraf, hatte sie jedoch längst aufgegeben, da ich mich weigerte, in der Buchhandlung etwas anderes zu tragen als meine selbst auferlegte marineblaue Uniform. Ruby blieb generell bis gegen Mittag im Bett liegen – je nachdem, ob sie ein Casting hatte oder nicht –, um dann eine Spur von Tassen, Bechern und Müslischüsseln im Haus zu hinterlassen, die ich jeden Abend in die Spülmaschine räumte, da sie zu der Zeit immer unterwegs war.

Ich verstaute mein Mittagessen im Rucksack, ein wasserdichtes dunkelblaues Teil, das ich vor mehreren Jahren wegen seiner vielen Fächer in einem Outdoorladen gekauft hatte. Es passten hinein: meine Geldbörse, mein Lippenbalsam, meine Hausschlüssel, ein Ersatzhaargummi, eine Packung Paracetamol, mein Handy, ein Sandwich, ein Haferkeks und das Buch, das ich jeweils gerade las. Ich verstand nicht, wie manche Frauen das Haus mit einer streichholzschachtelgroßen Handtasche verlassen konnten. Wie gelang es ihnen, so selbstsicher durch den Tag zu spazieren, wenn sie doch nur eine Bankkarte und einen Lippenstift dabeihatten? Was, wenn sie Kopfschmerzen bekamen?

Ich griff unter die Konsole im Flur nach meinen grässlichen Schuhen, schlüpfte hinein, schloss die Klettverschlüsse und machte mich zu Fuß auf den Weg zum Laden. Eine Entfernung von exakt 2,6 Meilen, der Großteil davon am Ufer der Themse entlang.

Zu den meisten Orten spazierte ich, während ich dabei »Konsequenzen« spielte. Es hatte angefangen, als ich fünf war, zwei Jahre, nachdem Mum gestorben war. Damals begann ich damit, jeden Morgen meine Klassenkameraden abzuzählen, um sicherzugehen, dass sie alle da waren. Erst wenn ich die Vierzehn erreichte, konnte ich mich entspannen. Alle anwesend. An manchen Tagen waren es nur dreizehn, was mich beunruhigte, bis Mrs. Garber mir versicherte, dass es in Ordnung sei und die Mutter des Fehlenden angerufen hatte, um mitzuteilen, dass er oder sie Bauchweh hatte und am nächsten Tag wiederkommen würde.

Nach den Klassenkameraden zählte ich die Stühle im Klassenzimmer, um sicherzugehen, dass genug für alle da waren. Dann die Stifte in meinem Mäppchen, um zu überprüfen, ob ich auch keinen verloren hatte; die Bilder an den Wänden; die Karottenstifte auf meinem Teller beim Mittagessen; dann wieder die Bücher in meinem Rucksack auf dem Nachhauseweg. Ich zählte die Stufen, wenn ich nach Hause kam, und gab mein Bestes, mich nicht von der Treppe zwischen dem Bad und Mias Zimmer – Mia war damals noch ein Baby – irritieren zu lassen, weil es eine ungerade Zahl war. Nur neun Stufen auf dieser Treppe, dabei bevorzugte ich gerade Zahlen. Sie fühlten sich sicherer an, stabiler. Keine Zahl blieb außen vor, weil jede einen Partner hatte. Für mein fünfjähriges Hirn war es sehr wichtig, dass niemand alleine gelassen wurde.

Meine obsessive Zählerei ließ zwar nach, als ich älter wurde, blieb aber dennoch eine Angewohnheit, die ich nie ganz abschütteln konnte. Dad und Patricia hatten mich über die Jahre zu diversen Spezialisten gekarrt, aber die Sesselpupser-Experten, die mich fragten, wie wütend ich mich auf einer Skala von eins bis zehn fühlte, hatten wenig dazu beigetragen, mich zu heilen. Ich kannte die Anzahl der Tasten auf der schmuddeligen PC-Tastatur bei der Arbeit (hundertvier) und die Anzahl der Kekse in den verschiedenen Packungen, die wir bei der Arbeit zum Tee aßen (Jaffa Cakes: zehn; Schoko-Hobnobs: vierzehn; Orange-Clubs: acht). Ich kannte die Anzahl der Stufen zum Keller des Ladens (dreizehn), die Anzahl nach oben in die Reiseführerabteilung (zwölf) und die Anzahl koffeingefleckter Becher, die an dem hölzernen Tassenbaum in der Büroküche hingen (sieben).

Die Zeit war die einzige echte Hilfe gewesen. Das und die Tatsache, dass ich besser darin wurde, meine Angewohnheit zu kaschieren. Ich trug eine altmodische Armbanduhr mit kleinen Zeigern, sodass ich nie eine verstörende digitale Zeitangabe wie 11:11 sehen musste. Wenn ich zu Hause fernsah, musste die Lautstärke über die Fernbedienung auf eine gerade Zahl eingestellt sein. Jede zweite Woche ging ich zu einer Selbsthilfegruppe gegen Angststörungen namens NOMAD (für: No More Anxiety Disorders. Den unglücklichen Namen hatte der Gründer, Stephen, verbrochen, obwohl die meisten Mitglieder es mit Humor nahmen). Doch mittlerweile dienten die Treffen mehr dazu, mit meiner Freundin Jaz zu quatschen, als aktiv daran teilzunehmen.

An diesem Morgen spielte ich »Konsequenzen«, indem ich die Autos zählte, an denen ich vorbeikam. Während ich das tat, flüsterte mir öfter mal ein leises Stimmchen zu, dass, wenn ein blaues Auto auf einen Bus folgte, es ein schlechter Tag werden würde, aber wenn es ein weißes Auto wäre, etwas Gutes passieren würde. Rein logisch wusste ich, dass das Blödsinn war und ich mir die Regeln selbst ausdachte. Aber ich kam nicht dagegen an. Wenn ein blaues Auto, ein grünes Auto, ein gelbes Auto, oder welche Farbe auch immer mein Gehirn an dem jeweiligen Tag als schlecht ausgewählt hatte, auf den Bus folgte, dann überkam mich eine panische Angst, was passieren könnte. Sie war gnadenlos, diese unablässige Paranoia in meinem Kopf. Das Zählen vermittelte mir ein Gefühl von Ordnung. Ich fühlte mich schlecht, wenn ich Dinge nicht zählte, so wie andere Leute, wenn sie nicht ins Fitnessstudio gingen.

Auf den ersten Blick war Frisbee Books nicht unbedingt der passende Arbeitsplatz für eine von Zahlen besessene Ordnungsfanatikerin. Es lag etwas versteckt, abseits einer geschäftigen Einkaufsstraße in Chelsea, und hätte aus der Kulisse eines Charles-Dickens-Films stammen können. Die hölzerne Fassade war dunkelgrün gestrichen, und in weißen Lettern stand Frisbee Books Ltd darauf geschrieben. Darunter befand sich ein großes Schaufenster mit zwei Reihen Büchern, die für die Passanten ausgelegt waren.

Wenn man eintrat, war es, als würde man in die Bibliothek eines extrem chaotischen Einsiedlers stolpern. Sämtliche Wände waren mit Regalen bedeckt, die Tausende von Büchern enthielten, die sich Deckel an Deckel nebeneinanderreihten. Knapp über dreiundvierzigtausend Bücher. Im Verkaufsraum standen mehrere Tische in unterschiedlichen Größen, auf denen sich die Bücher wie Balkendiagramme türmten. Hardcover über Militärgeschichte auf einem Tisch (davon verkauften wir viele in Chelsea), auf dem anderen stapelten sich Memoiren; daneben ein Tisch mit Kochbüchern. Belletristik und Sachbuch waren auf die zwei Hälften des Ladens verteilt – Sachbuch direkt, wenn man durch die Tür spaziert kam, Belletristik hinten rechts. Die Kinderbuchabteilung befand sich unten.

Norris, mein Chef, hatte den Laden von seinem Onkel geerbt, der ihn 1967 eröffnet hatte, als London noch das »Swinging London« gewesen war. Doch damit wollte Onkel Dale nichts zu tun haben und meinte, mit seinem Buchladen Typen wie Jimi Hendrix oder diesem neumodischen Kram wie Miniröcken etwas entgegensetzen zu müssen. Norris übernahm den Laden in den frühen Neunzigern, als Onkel Dale eine künstliche Hüfte bekam und nicht länger den ganzen Tag stehen konnte. Zwei Jahre später starb er im Schlaf und vermachte Norris in seinem Testament den Buchladen.

Frisbee Books hatte sich seitdem nicht sonderlich verändert. Es gab einen zwölf Jahre alten Computer im Keller, den Norris für Buchhaltung und Bestellungen nutzte. Ansonsten lief der Laden so, wie er es immer getan hatte: Treue Kunden schneiten herein, um eine neue Biografie über Churchill zu bestellen, über die sie im Spectator gelesen hatten. Frauen mittleren Alters stöberten auf der Suche nach Geburtstagsgeschenken herum. Amerikanische Touristen standen in Shorts und mit ihren riesigen Sonnenbrillen vor der Tür und machten Fotos von dem »süßen Buchladen«, den sie irgendwelchen Freunden daheim in Arkansas zeigen wollten.

Nach meinem Studienabschluss schrieb ich neun unabhängige Buchhandlungen in ganz London wegen eines Jobs an. In meinem Bewerbungsschreiben erklärte ich, dass ich mich mit acht Jahren in Anne auf Green Gables verliebt, ich seitdem meine Nase praktisch nur noch in Bücher gesteckt hätte und es nichts gäbe, was ich lieber tun würde, als anderen Leuten dabei zu helfen, Geschichten zu entdecken, in denen sie sich verlieren können. In meiner letzten Uni-Woche in Edinburgh brüsteten sich meine Kommilitonen, die ebenfalls englische Literatur studiert hatten, mit Praktika in Verlagshäusern oder einer Zusage an der juristischen Fakultät. Mir jedoch schwante, in einem normalen Büro zu arbeiten würde bedeuten, Präsentationen in irgendwelchen Vorstandsetagen zu halten und über Kollegen abzulästern. Nichts für mich.

Ich bekam vier Antworten auf meine Bewerbungen. Fünf wurden komplett ignoriert. Zwei der Antworten baten mich, sie über das offizielle Bewerbungsformular auf ihrer Webseite zu kontaktieren, und in einer hieß es, dass sie nur Angestellte mit praktischer Erfahrung im Einzelhandel einstellten. Norris war meine Rettung, er schickte mir eine Postkarte, auf der er vorschlug, ich solle doch auf eine Tasse Tee im Laden vorbeikommen.

Er war ein Bär von einem Mann, inklusive grauer Haarbüschel, die ihm sowohl von seinem Kopf als auch aus den Ohren wuchsen und ihn aussehen ließen, als hätte er gerade die Finger in eine Steckdose gesteckt. Er fragte nicht nach irgendwelchen Erfahrungen im Einzelhandel. Während er mir eine Führung durch die Buchhandlung gab, wollte er einfach nur wissen, was ich gerade las (ich hatte eine alte Agatha Christie aus meiner Tasche gezogen) und ob ich einen Kindle besaß. Norris knurrte das Wort »Kindle« mit hörbarem Argwohn, und ich gab zu, dass ich mal einen gehabt hatte, bis er mir versehentlich in die Badewanne gefallen war.

Sofort bereute ich das Geständnis mit der Badewanne, weil Norris am F-Regal stehen blieb und seine Augenbrauen vor Überraschung ein paar Fingerbreit nach oben rutschten. Aber dann ging er zu den Autoren weiter, die mit G begannen, und fragte, ob ich ein Morgenmensch sei, weil mit ihm nicht viel anzufangen sei, bis er seine Thermoskanne Kaffee intus hatte, und ob es für mich in Ordnung wäre, morgens den Laden aufzuschließen. Unser Gespräch dauerte ganze fünfzehn Minuten, und im Anschluss verkündete Norris, dass wir uns am folgenden Montag wiedersehen würden.

An jenem ersten Morgen war ich furchtbar nervös; ich stammelte herum, wenn Kunden mich fragten, wo sie den neuesten Roman von Ian McEwan finden könnten oder ob wir ein obskures politisches Buch von einem skandinavischen Autor dahätten. Beim ersten Mal, als ich eine Zahlung über die Kasse abwickelte, hatte ich solche Angst, es zu vermasseln, dass ich roboterartig sprach wie ein Dalek: »Das. Macht. Dann. 12,99 Pfund. Bitte«, und musste daran erinnert werden, eine unserer Papiertragetaschen rauszugeben, aber danach fand ich schnell in die Routine hinein.

Heute war ich dafür verantwortlich, den Laden aufzuschließen, also traf ich um kurz nach neun ein, machte den Computer hinter der Kasse an und fuhr mit einem Teppichmesser über die gelieferten Kartons. Neue Ware, die ausgepackt werden musste. Obwohl es nach außen nicht so aussehen mochte, herrschte eine Ordnung im Laden, die ich verstand. Wenn ein Kunde hereinkam und nach Virginia Woolf oder einem Reiseführer für die Galapagosinseln fragte, konnte ich ihm exakt die Stelle zeigen, wo sich die Bücher befanden. Ich kannte den Laden so gut wie mein eigenes Zuhause. Wahrscheinlich sogar besser, da ich nur selten Rubys oder Mias Zimmer betrat (zu unordentlich, überall gebrauchte Wattepads).

Ich kannte die Kunden, die jeden Tag vorbeikamen, um zu stöbern, aber eigentlich allein lebten und einfach nur etwas Gesellschaft wollten. Dann gab es die Laufkundschaft, die lediglich ihre Zeit zwischen zwei Terminen totschlug, in mehreren Büchern herumblätterte und sie dann im falschen Regal wieder abstellte. Und in ruhigen Momenten erlaubte der Job es mir, an meinem eigenen Buch zu arbeiten – ein Kinderbuch über eine vom Zählen besessene Raupe namens Zelda, die fünfzig Füße hatte und jeden Tag zu spät kam, weil sie so lange brauchte, um alle Schuhe anzuziehen. Mittlerweile betrachtete ich Norris auch als eine Art verrückten Onkel und kam mit seinen alltäglichen Marotten klar, dazu gehörte: nach dem Morgenkaffee zwanzig Minuten auf dem Klo unten hocken, das Telefon ignorieren, sodass ich immer rangehen musste, unleserliche Post-it-Zettel mit den Kundenbestellungen auf dem Verkaufstresen hinterlassen, die regelmäßig verloren gingen.

Dann war da noch mein Kollege Eugene. Er war ein Schauspieler mittleren Alters, der schon seit einem Jahrzehnt im Laden arbeitete, um seine Miete zu bezahlen, da er nur selten eine Rolle bekam. Er hatte eine Glatze, die glänzte wie ein Bettknauf, trug jeden Tag eine Fliege und ließ mich regelmäßig hinter dem Tresen mit ihm Texte proben, was oft die Kunden verschreckte. Erst neulich gab es eine dramatische Todesszene, in der Eugene, der für eine Nebenrolle in König Lear probte, am Ende mitten auf dem Boden der Buchhandlung lag.

Er oder ich waren es, die den Laden öffneten. Norris trudelte immer erst später ein, das Hemd falsch zugeknöpft, die Thermoskanne in der Hand; es war ein spezieller Kaffee, den er zu Hause mahlte und in einer French Press zubereitete, bevor er ihn umfüllte und feierlich in seinem Lederranzen zur Arbeit trug. Nicht lange, nachdem ich meine Stelle angetreten hatte, beging ich den Fehler, ihn zu fragen, was an Nescafé denn so verkehrt sei. Die Wolke, die daraufhin über sein Gesicht zog, war so dunkel, dass ich fast damit rechnete, gleich gefeuert zu werden.

Wenn er ankam, gab es jedenfalls immer zuerst einen mürrischen Kommentar über den Verkehr oder das Wetter, bevor er unten in seinem Büro verschwand, um diesen Kaffee aus seinem Lieblingsbecher zu trinken – Trinken oder Nichttrinken? stand drauf. Eine halbe Stunde später tauchte er, deutlich besser gelaunt, wieder im Laden auf und erkundigte sich, ob schon Kunden da gewesen wären.

Aber an diesem Morgen stand ich noch hinter den Kartons mit der Neuware, als Norris gegen die Scheibe klopfte.

»Alles in Ordnung?«, fragte ich, während ich die Tür aufschloss, um ihn reinzulassen. Er sah noch lädierter aus als sonst, Hemd und Hose zerknittert, und er keuchte, als hätte der dreiundsiebzigjährige Norris an diesem Morgen beschlossen, von seinem Haus in Wimbledon bis zur Arbeit zu rennen.

»Lass mich unten meine Tasse holen, dann bin ich gleich oben und erkläre es dir.« Er verschwand die Treppe hinunter.

Ich wandte mich wieder den Kartons zu und fragte mich, ob er wohl wieder versucht hatte, mit der Supermarktkundenkarte in die U-Bahn zu kommen.

Schon kurze Zeit später kam er die Treppe wieder hochgepoltert und stellte seinen Kaffee mit einem Seufzer auf dem Tresen ab.

»Was?«, fragte ich stirnrunzelnd. »Was ist los?«

»Mieterhöhung.«

»Schon wieder?«

Norris nickte und wischte sich mit den Fingern über die Stirn. Die Miete war schon letztes Jahr gestiegen, aber damit hatten wir gerechnet. Onkel Dale hatte lange eine Pachtvereinbarung zu sehr günstigen Konditionen gehabt, eine Erhöhung war also längst überfällig gewesen. Außerdem hatte Chelsea sich seit seinem Tod verändert. Die Gegend hatte zwar schon immer zu den wohlhabenderen Vierteln gehört, doch in den letzten Jahren wurden die Bewohner immer reicher und reicher: Oligarchen aus dem Osten, Amerikaner mit ihren Dollars aus dem Westen, plus den einen oder anderen afrikanischen Despoten, der wollte, dass seine Kinder eine britische Privatschule besuchten. Das führte dazu, dass die Läden sich veränderten. Die kleinen Boutiquen und Cafés verschwanden nach und nach, und stattdessen eröffneten merkwürdige Geschäfte, die Yogaleggins für hundertfünfzig Pfund und Celluliteheilmittel aus Blattgold verkauften – an die Ehefrauen besagter Oligarchen wohlgemerkt. Norris hatte wegen des neuen Pachtvertrags zwar ein paar Wochen lang herumgenörgelt, am Ende aber gemeint, es würde schon irgendwie gehen, und ich hatte ihm geglaubt.

Das Geschäft lief weiter wie gehabt.

Aber das hier war anders. Norris war in Panik.

»Ist es zu stemmen?«

»Ich weiß nicht. Es ist viel«, erwiderte er mit wackliger Stimme. »Ich werde später den Buchhalter anrufen, um die Sache zu besprechen, aber ich wollte dir trotzdem schon davon erzählen. Nur für den Fall … Nun ja, wir werden sehen. Ich gebe dir Bescheid.« Dann, als könne er es nicht länger ertragen, darüber zu reden, wechselte er das Thema. »Irgendwelche Post heute Morgen?«

»Nicht wirklich. Ein paar Bücherlieferungen, aber um die kümmere ich mich.«

»In Ordnung, ich gehe wieder nach unten. Ruf, wenn du mich brauchst.«

»Okay«, sagte ich, bevor ich mich im Laden umsah und versuchte, ihn mir als Luxusapartment mit Fußbodenheizung, Marmorböden und diesen Hightech-Klos, die einem den Hintern waschen und föhnen, auszumalen. Es war eine absurde Vorstellung. Das durfte nicht passieren. Nicht mit mir.

Als ich an diesem Abend heimkam, saßen Hugo und Mia zankend in der Küche. Er war vor sechs Monaten eingezogen, als Übergangslösung, während sie ein Haus in Herne Hill bauten (»das neue Brixton«, erklärte Hugo aufgeblasen jedem, der danach fragte).

Zugegeben, ich hatte gemischte Gefühle, was ihr neues Zuhause anging. Einerseits würde Mia ausziehen, was bedeutete, dass sie, Ruby und ich zum ersten Mal seit einem Jahrzehnt getrennt sein würden. Und auch wenn meine Schwestern sich untereinander näherstanden, so würde ich Mia dennoch vermissen. Andererseits würde Hugo sich dann wenigstens nicht mehr zum Kacken in mein Badezimmer hochschleichen, wenn ich nicht da war. Er stritt es zwar ab, aber ich wusste, dass er log: Er hinterließ unschöne Spuren in der Porzellanschüssel, und einmal hatte ich sogar eine Ausgabe von Golfing Monthly auf dem Fliesenboden daneben gefunden.

An diesem Abend zofften sie sich wegen der Gästeliste, und Hugo, die Hemdsärmel bis zu den Ellbogen hochgekrempelt, trommelte mit einem seiner seltsam langen Finger auf der Liste herum.

»Hi, Leute«, sagte ich, während ich zum Kühlschrank ging.

»Es tut mir leid, dass du ihn nicht leiden kannst«, fuhr Hugo mit quakender Stimme fort, »aber er ist mein Boss, und wir müssen ihn einfach einladen. Ich bin sicher, dass er deinen Hintern nicht absichtlich gestreift hat. Es war ein Versehen.«

Mia seufzte und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. »Tja, er hat es aber getan, und wir haben hier schon dein halbes Büro versammelt. Sonst noch wer, der unbedingt dabei sein muss? Die Empfangsdame vielleicht? Der Fensterputzer? Jemand aus der IT-Abteilung?«

»Tatsächlich war Kevin mir immer sehr behilflich mit meinem Computer.«

Ich öffnete den Kühlschrank, warf einen Blick hinein und fragte mich zum neunzigmillionsten Mal, warum Mia Ja gesagt hatte. War ein Haus in Herne Hill mit Kücheninsel, Fußbodenheizung in den Bädern und Farrow & Ball-Farbe an den Wänden es wirklich wert?

Sie seufzte erneut hinter mir. »Na schön. Dein Boss kann kommen. Aber das bedeutet, dass wir immer noch um die …«, sie verstummte ein paar Sekunden und tippte mit dem Kuli die Liste runter, »… zwanzig Leute loswerden müssen.«

Ich schloss den Kühlschrank. Es würde wohl auf Rührei mit Toast hinauslaufen. Ich hatte nicht die Energie für was Kompliziertes. Nach Norris’ Verkündigung an diesem Morgen war er den Großteil des Nachmittags unten geblieben und hatte Eugene und mich allein oben im Laden gelassen.

Ich hatte am Tresen gelehnt und eine Liste erstellt, wie ich helfen könnte. Eine Petition war mein erster Gedanke. Die Leute schienen doch ständig irgendwelche Petitionen online zu starten: Unterzeichnen Sie diese Petition, wenn Sie finden, dass der Premierminister ins Gefängnis gehört! Unterzeichnen Sie diese Petition, damit Zucker illegal wird! Unterzeichnen Sie diese Petition, damit der Regenwurm in die Liste der bedrohten Arten aufgenommen wird! Ich könnte doch eine Facebook-Seite für den Laden erstellen und die Petition dort ausschreiben, plus eine Papierversion neben der Kasse für unsere weniger computeraffinen Kunden. Mir gefiel die Vorstellung einer Sache, für die ich kämpfen konnte, und ich sah mich schon als moderne Emmeline Pankhurst. Vielleicht könnte ich ebenfalls eine Schärpe tragen? Na gut, das wäre womöglich zu viel des Guten. Aber eine Petition war drin. Das galt es, als Allererstes zu organisieren.

Der Laden brauchte auch einen Instagram-Account. Norris weigerte sich beharrlich, sich ein Smartphone zuzulegen, und bestand darauf, dass Frisbee es ohne Social Media schaffen könnte. Ich hatte lange dagegengehalten, gesagt, dass es nicht mehr die Neunziger waren, aber meine Worte waren auf Norris’ taube, haarige Ohren gestoßen. Das hieß also eine Petition und einen Instagram-Account. Plus eine neue Webseite. Das wäre immerhin ein Anfang.

»Wie war dein Tag, Flo?«, fragte Mia.

»Gut. Ich mache mir Rührei. Will sonst noch wer?«

»Nein, danke. Die Brautkleid-Diät startet ab sofort.«

»Eier veranstalten ganz fürchterliche Dinge mit meinem Magen«, fügte Hugo hinzu, aber glücklicherweise konnte niemand von uns allzu lange darüber nachdenken, denn Mias Handy klingelte.

»Hi, Mum«, meldete sie sich.

Ich schlug zwei Eier über einer Tasse auf und griff nach einer Gabel.

»Jepp, jepp, nein, ich weiß, jepp, wir sind gerade dran, jepp, nein, jepp …«, fuhr sie fort, während ich die Eier verquirlte.

»Jepp, sie ist hier, warte kurz«, sagte Mia und hielt ihr Handy hoch, ohne aufzustehen, sodass ich die gesamte Küche durchqueren musste, um ranzugehen.

Ich legte das Handy mit einer unguten Vorahnung ans Ohr. »Hi, Patricia.«

Meine Stiefmutter ging gleich in die Vollen. »Ich habe mit der Praxis dieser Frau telefoniert, und sie hat am Dienstagnachmittag Zeit für dich.«

»Welche Frau?«

»Na die Liebes-Coachin. Sie heißt Gwendolyn Glossop. Passt siebzehn Uhr bei dir?«

»Der Laden schließt erst um sechs, also …«

»Florence, mein Schatz, du verkaufst Bücher und verteilst keine Bluttransfusionen. Ich bin sicher, sie können dich eine Stunde entbehren. Ich habe es deinem Vater erzählt, und er …«

»Schon gut, schon gut, schon gut. Ich werde da sein.«

»Sehr schön, hast du einen Stift da? Hier ist die Adresse. Das ist die …«

»Warte kurz«, unterbrach ich sie und kramte auf dem Sideboard nach einem Kuli. Keine Kulis. Warum waren hier nie Kulis?

»Vierter Stock, 117 Harley Street«, fuhr Patricia fort.

»Okay, ich werde es mir einfach merken.«

»Ich freue mich ja so, Schätzchen, und ich hoffe, dass sie dir helfen wird. Kann ich jetzt wieder Mia haben, ich muss mit ihr noch über die Standesbeamtin sprechen.«

Ich reichte Mia ihr Handy, als auch schon mein Toast hochsprang. Auf beiden Seiten kohlrabenschwarz – ein bisschen wie meine Stimmung, dachte ich und ließ die Scheiben in den Mülleimer plumpsen.

Während Eugene am folgenden Vormittag die Regale abstaubte, erzählte ich ihm von dem Termin. Er war deutlich enthusiastischer als ich.

»Schätzchen, wie aufregend«, sagte er, während er die rosa Federn hin und her schwingen ließ wie einen Scheibenwischer. »Glaubst du, sie wird so eine Kristallkugel haben? Ich habe damals eine Handleserin aufgesucht, nachdem Angus fort war, und sie sagte mir, dass ich schon bald die dritte große Liebe meines Lebens treffen würde.«

»Und? Hast du?«

»Nein.« Er ließ den Staubwedel sinken und hob die Hand vor seine Nase, um sie zu inspizieren. »Es ist diese Linie, die sich vom kleinen Finger runterzieht.« Er blickte auf. »Womöglich ist der Moment einfach noch nicht gekommen. Ich rechne aber damit, dass er jeden Moment auftaucht. Vielleicht wartet er im 345er-Bus auf mich.«

Da war ich eher skeptisch. Ich hatte im 345er noch nie jemanden gesehen, in den ich mich hätte verlieben können, also nickte ich lediglich, und Eugene wandte sich wieder dem Abstauben zu.