Die großen Stücke - Euripides - E-Book

Die großen Stücke E-Book

Euripides

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Beschreibung

Mit Raoul Schrott entdecken, wie modern Euripides ist Liebe und Leidenschaft, Mord und Heimtücke, Zweifel und Verantwortung – Euripides' Tragödien sind Fundament der Weltliteratur und von verblüffender Aktualität: ›Alkestis‹ ist das erste feministische Drama der Weltgeschichte, seine ›Bakchen‹ analysieren das Sektenwesen und seine ›Orestie‹ – die hier erstmals seit der Antike wieder präsentiert wird – ist nach wie vor eines der besten Stücke über Terrorismus und Populismus. Raoul Schrott macht sie mit großer sprachlicher Virtuosität zu Dramen von heute: mitreißend, modern, monumental.

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Über das Buch

Euripides' Stücke zählen weltweit zum Grundrepertoire des Theaters. Er gilt als erster Psychologe, der die Ambivalenzen menschlichen Verhaltens meisterhaft darzustellen versteht, als brillanter Kritiker jeglicher Form von Macht, als antiker Ikonoklast und Skeptiker naiver Gottgläubigkeit. Deshalb sind seine Dramen auch von verblüffend zeitloser Aktualität, wurden sie immer wieder bearbeitet, kommentiert und aufgeführt.

›Alkestis‹ kann als erste feministische Tragödie bezeichnet werden. Sein berühmtestes Stück – ›Die Bakchen‹ – analysiert das Sektenwesen auf ebenso klare wie erschütternde Weise. ›Orestes‹ war einst das meistgespielte Drama im antiken Griechenland; zusammen mit ›Elektra‹ wird es hier zudem erstmals als Euripides‘ eigene ›Orestie‹ präsentiert, eines der treffendsten Schauspiele, das je über Populismus und Terrorismus geschrieben wurde.

Raoul Schrott macht die jahrtausendealten Dramen mit großer Ideentreue und sprachlicher Virtuosität wieder zu heutigen: mitreißend, modern, monumental.

ALKESTIS

 

 

 

 

SCHAUSPIELER

 

Apollon

Thanatos

Chor mit Sprechern A, B und C

Dienerin

Alkestis

Admetus

ihr Sohn Eumelos und ihre Tochter Periméle

Pheres

Herakles

Diener

I

APOLLONtritt auf mit bogen und köcher

APOLLON

Ah – haus des Admetus, diese bühne, die welt bedeutet, alpha und omega –

hier fristete ich meine tage, liess mich dazu herab als niederster aller freien

am tisch weit unter dem salz zu sitzen, um mit der milch und dem brot

eines gemeinen leibeigenen vorliebzunehmen – ich, Apollon, ein gott!

Niemals hätt ich herabkommen dürfen und dann noch so lang bleiben –

schuld daran ist Zeus. Er brachte meinen sohn ums leben – Asklepios

diesen wunderheiler, der selbst sterbende dem tod entreissen konnte

indem er herzen verpflanzte – weshalb Zeus bald ausholte und ihm

einen blitz in die brust fahren liess. Im zorn darüber rächte ich mich

an seinen handlangern, den Kyklopen, die ihm die blitze schmieden

und tötete sie – was mich der ach so erhabene Zeus büssen liess.

Unter seinem zwang musste ich mich bei diesen menschen hier

für einen hungerlohn verdingen: er verpflanzte nunmehr mich.

in dieses land, um für den hausherrn die rinderherden zu hüten –

so hab ich Admetus’ hof samt allem hab und gut bestens beschützt.

Er ist kein übler mensch; was die einhaltung der heiligen riten betrifft

ist er ein pedant. So etwas gefällt uns göttern – genauso wie dass er sich

fremden gegenüber mehr als korrekt verhält: er behandelte mich besser

als er es hätte müssen. Den blutzoll, den Admetus dem schicksal schuldet

versuchte ich deshalb herabzusetzen – sein leben hab ich bewahrt bis jetzt.

Dank des verstandes, den man mir zugutehält, brachte ich Zeus’ tochter

Tyche dazu, ihre tückische art für einmal nicht allzu offen zu zeigen –

sie ist ja die gesetzgeberin der welt, die über das los eines jeden

zu entscheiden hat. Diese sachwalterin des schicksals behauptete

dann zwar, ich hätte sie so geblendet, dass sie nicht mehr wusste

ob es hier nun eine komödie oder ein trauerspiel aufzuführen gäbe –

dabei schlug ich ihr bloss für beide seiten profitable konditionen vor.

Ich überredete sie, Admetus’ anstehenden tod noch einmal zu stunden

wenn er dafür einen anderen lebenden durch die falltür den mächten

dort unten in der finsternis zuführt – denn manchmal gibt das schicksal

in seinem blinden kalkulieren sich auch mit einem strohmann zufrieden.

An seiner krankheit zum tode laborierend, machte dieser mensch darauf

die runde unter all jenen, die etwas von ihm hielten, und prüfte ihr herz –

doch ob sein vater oder seine gebrechliche mutter, keiner war gewillt

ihm sein blut zu geben und zu Hades hinab ins ewige dunkel zu gehen

um an Admetus’ stelle zu sterben, niemand – ausser Alkestis, seine frau.

Ihr hilft er jetzt aus dem haus und versucht ihr dabei eine stütze zu sein –

noch aber klammert sie sich fest an dieser welt. Zu schwach geworden

die beine sie nicht mehr tragend, hält er sie mit einem arm um die hüfte

während sie ihre seele langsam herauswürgt: denn nun ist der morgen da

den Tyche für sie festgesetzt hat – der tag, an dem sie aus dem leben tritt.

Ich muss ebenfalls dieses haus lassen, an das ich mich inzwischen gewöhnte –

tod ist der makel an den menschen: ich will davon nicht beschmutzt werden.

Aber da ist er schon – ich seh ihn auftreten dahinten, diesen herrn der toten

pünktlich auf die minute, als hätte er bloss darauf gelauert, sie hinabzuführen

in die häuser der erde, als könnte ers nicht abwarten, bis der vorhang fällt.

II

THANATOStritt auf

THANATOS

Oh – Apollon? Was machst du beim palast?? Der gott des lichts

die stimme der vernunft – du leibhaftige fackel des fortschritts!

Weshalb schleichst du herum? Wem stellst du einen hinterhalt?

Wes gesetz brichst du wieder, welche abmachung unterläufst du

welche natürliche grenze überschreitest du, um an dich zu reissen

was deines nicht ist? Willst du mich da unten denn schon wieder

um die angestammten rechte bringen? Dass deine arglistigkeiten

Admetus’ tod verhindern und das schicksal übervorteilen konnten

reicht dir wohl noch nicht – jetzt stehst du hier auch noch wache

mit pfeilen bewaffnet, um dich vor Alkestis zu stellen? Und das

obwohl sie ihr leben verpfändet hat? Als preis für das ihres gatten?

APOLLON

Immer mit der ruhe. Mir geht es um gerechtigkeit –

es gibt gute gründe, um mit dir in aller offenheit zu verhandeln.

THANATOS

Wenn es dir nun bloss um gerechtigkeit geht –

aus welchem grund zeigst du mir dann ganz offen deine waffen?

APOLLON

Den bogen trag ich seit eh und je – wie du wohl weisst.

THANATOS

Genauso wie ich wohl weiss, dass du seit jahr und tag

diesem haus versicherst, dass die naturgesetze hier nichts gelten.

APOLLON

Ich will es nur einem mann, den ich mag, vergelten

dass er mich hier gut aufnahm. Und weil ich durch Asklepios weiss

wie es ist, wenn sich jemand aufopfert. Ich teile Admetus’ schmerz.

THANATOS

Deshalb willst du mir nun das zweite opfer nehmen?

APOLLON

Habe ich dir etwa das erste genommen? Mit gewalt??

THANATOS

Warum ist Admetus dann, diese trauergestalt

noch immer nicht unter erde – wo er längst hingehört?

APOLLON

Weil er dir die frau zum tausch gab

die du dir nun holen willst.

THANATOS

Eben dieses handels wegen bin ich da:

ich hole mir was mir zusteht und bringe sie in die stadt der toten.

APOLLON

Nimm sie und geh. Ich kann dich wohl nicht überreden –

THANATOS

Um was zu tun? Den zu töten, den ich töten muss??

Aber sicher – das ist ja das geschäft, mit dem ich mein brot verdiene.

APOLLON

Nein. Ich meine, den todestag jener hinauszuschieben

die ohnehin viel zu schnell die brotfladen der toten essen müssen.

THANATOS

Ich habe schon verstanden, was du meinst –

ich seh genau, worauf du abzielst.

APOLLON

Heisst das, du siehst vielleicht irgendeine möglichkeit

wie Alkestis in den genuss eines privilegierten alters kommen kann?

THANATOS

Nein. Die sehe ich nicht. Schliesslich will auch ich

nach möglichkeit in den genuss meiner alten privilegien kommen.

APOLLON

Aber dir kann es doch egal sein, ob sie alt oder jung ist

wenn sie stirbt – du holst dir doch von ihr nicht mehr als eine seele.

THANATOS

Nicht nur. Je jünger sie ist, desto mehr hab ich davon –

umso besser steh ich da. Ich bin dann grösser. Gewaltiger und höher.

APOLLON

Ich versichere dir – erhöht sich ihre lebenserwartung

wird man bei Alkestis’ mausoleum für reiche grabbeigaben sorgen:

ein bonus, von dem du nur profitieren kannst.

THANATOS

Du redest wie ein politiker

der einer volksversammlung einen gesetzeszusatz mundig macht

von dem dann einzig und allein die reichen profitieren können.

APOLLON

Hört, hört! Ich wusste zwar, dass der tod sich gerne

als populist sieht – nicht aber, dass er auch ein richtiger sophist ist.

THANATOS

Und du ein zyniker. Wer immer es sich leisten kann

der sorge gegen den tod vor. O goldenes lebensalter – zu verkaufen!

APOLLON

Du willst mir also nicht diesen winzigen gefallen tun?

THANATOS

Ganz sicher nicht. Du weisst ja – so bin ich nun mal.

APOLLON

Ja – verhasst bei den menschen und verachtet von uns.

THANATOS lacht

Ich bin keiner von euch – du einfaltspinsel.

Mich hat noch niemand einen gott geschimpft – meine macht

ist von ganz anderer art.

APOLLON

Es gibt noch andere mächte.

THANATOS

Hört, hört! Damit meinst du wohl die macht

der illusion, der die menschen gern erliegen – und ihr götter

ihr seid wohl die grösste.

APOLLON

Selbst du wirst noch deinen meister finden – hier

und heute – warte nur ab …

THANATOS

Es ist das prinzip, um das es hier und heute geht.

APOLLON

Gleich was für ein prinzipienreiter du auch bist –

du wirst noch klein beigeben. Da ist bereits einer unterwegs

den man hinauf in die winterharten felder des nordens schickte

um sich ein rossgespann zu holen – der hier aber anderes einfährt.

Einen, den dieses haus auf seiner durchreise – ganz im unterschied

zu dir – willkommen heissen wird. Er wird dir die frau Admetus’

abspenstig machen; und du wirst nichts dagegen tun können

nur leeres stroh dreschen und keinen dank ernten – bloss hass.

geht ab

THANATOS

Red soviel du willst – deine orakelsprüche sind so leer wie der wind:

deine saat wird nicht aufgehen. Denn die frau wird hinab in das haus

des Hades gehen – und ich werd meines priesterlichen amtes walten

um mit der klinge den ritus zu beginnen und ihr opfer zu besiegeln.

Ich schneide ihr die locken ab und übergebe sie dem heiligen feuer

um sie dann kahlköpfig den mächten unter der erde vorzuführen.

geht ab ins haus

III

der CHORmit seinen drei sprechern A, B und C tritt aufum die trauerklagen anzustimmen

A

Weshalb herrscht in Admetus’ haus nur mehr stille?

Ist das die rücksichtsvolle ruhe an einem krankenlager?

Haben wir hier jetzt um Alkestis zu trauern – oder nicht?

B

Warum kommt keiner heraus, um uns mitzuteilen

ob wir die klagen anstimmen sollen – wie es brauch ist?

Müssen wir nun den tod der herrin des hauses beweinen –

C

Oder lebt sie noch und sieht das licht – unsere Alkestis

Pelias’ tochter, von der ich wie jeder andere hier weiss

dass kein mann je eine bessere frau zur gattin erhielt.

CHOR

Hört man etwa stöhnen und seufzen

das dumpfe pochen geballter fäuste

die sich auf brust und kopf schlagen

das durch das haus gellende schrillen

von zungen, die in klage ausbrechen

weinen – oder auch nur einen schrei

der zeigt, dass alles endlich vorbei ist?

B

Nicht einmal eine dienerin schicken sie uns heraus.

CHOR

Oh gott Apollon, du heiler, erscheine

inmitten der wogen des schicksals

und bewahre uns vor dem untergang:

lass den sturmwind sich wieder legen

stille die auf unser land brechende see!

A

Es wäre hier gewiss nicht so ruhig, wenn sie wirklich tot wär.

C

Sie muss aber jetzt gestorben sein.

B

Ihre leiche wurde sicher noch nicht aus dem haus getragen.

A

Wie kommst du drauf? Ich zumindest wär mir nicht so sicher.

B

Wie hätte Admetus denn seine gattin zu grabe tragen sollen?

Ganz allein? Ohne unser trauergeleit??

CHOR

Keine haarlocke hängt überm tor

die strähne, die man sich abschert

um dem toten trauer zu bezeigen –

kein becken mit klarem wasser

frischem wasser aus der quelle

wurde uns hingestellt wie sonst

vor ein haus in dem jemand starb

um sich hernach wieder den tod

von den händen waschen zu können –

Man hört auch nicht das klatschen

mit dem die jungen frauen sich

auf die nackten brüste schlagen.

C

Und doch ist heut der tag, an dem alle versammelt sein müssten …

A

Was willst du damit sagen??

B

Der tag, der ihr festgesetzt wurde; der tag, an dem sie hinab

in das dunkel der erde gehen muss.

C

Schon der gedanke daran – er trifft einen ins mark, nicht wahr?

A

Jedem anständigen menschen geht es doch ans herz

wenn eine vornehme familie wie diese vom gewicht des schicksals

erdrückt und völlig aufgerieben wird.

CHOR

Selbst wenn man nun ein schiff

zu den fernsten orakeln schickte

zum Apollontempel in Lykien –

oder durch ein sandmeer reiste

zu Zeus Ammon in der oase Siwa:

nirgendwo auf dieser weiten welt

bei keinem, fände man rat oder hilfe

um dieser vom unglück gezeichneten

die seele zu retten – das schicksal bricht

über sie herein, so schier wie eine welle.

B

In allen ecken der erde hat Admetus nach hilfe gesucht –

A

doch keiner konnte Alkestis helfen.

C

Gegen die tücken des schicksals, da hilft nun mal nichts.

CHOR

Zu welchem gott sich da noch wenden

auf wessen altar da denn noch opfern

wenn Thanatos, der priester der toten

sich erst einer seele bemächtigt hat?

Kennen wir einen? Gibt es einen?

C

Doch – einen einzigen gab es: Apollons sohn Asklepios.

Wäre er noch am leben, hätte er sie vor dem dunkel gerettet

und Alkestis gesund gebetet.

B

Seine heilkunst erweckte schliesslich jedoch gier in ihm:

gold überredete ihn, einen, den der tod bereits gepackt hatte

wieder auferstehen zu lassen.

A

Dafür streckte ihn Zeus nieder – als wäre er eifersüchtig

auf eine macht, die nicht einmal solch ein gott wie er besitzt.

IV

eine DIENERINtritt auf

B

Aber da kommt eine dienerin, augen schwarz geweint.

A

Gute frau – dass man für seinen hausherren so mitzittert

ist völlig normal. Nun hör aber bitte auf zu weinen und sag:

ist Alkestis noch am leben? Oder ist sie schon gestorben?

DIENERIN

Sie lebt – und war dennoch schon lange tot.

C

Wie kann sie denn tot und gleichzeitig am leben sein?

DIENERIN

Ihr kennt wohl das haus und seinen herren nicht.

Aber jetzt kann sie es einfach nicht mehr länger ertragen.

Ihre arme hängen schlaff herab, vornüber gebückt, kopf

wie auf einen altar gelegt, mund weit offen, presst sie

das leben aus sich heraus – während er sie aufrecht hält.

C

Ach – unser armer herr! Was für ein guter ehemann –

und dann so eine frau zu verlieren! Seine ganze stütze!

DIENERIN

Wie gut sie wirklich ist, weiss er gar nicht.

Ich glaube, er erfasst überhaupt nicht, was da geschieht –

er wird es erst begreifen, wenn ers am eignen leibe spürt.

B

Es gibt also gar keine möglichkeit mehr, sie zu retten?

DIENERIN

Es ist zu spät. Sie trug diesen tag seit langem

mit sich herum – und irgendwie wirkt sie beinah erleichtert.

A

Heisst das, dass nun alles getan wird – wie es sich gehört?

DIENERIN

Das totenkleid, in dem ihr gatte sie bestatten wird

liegt samt all dem schmuck und den grabbeigaben für sie bereit.

A

Dann kannst du ihr ausrichten, dass ihr tod ihr ehre machen wird:

von allen frauen, die es auf der welt geben mag, ist sie weitaus die beste!

DIENERIN

Natürlich ist sie die beste! Das hat nie jemand in frage gestellt.

Oder kennt ihr etwa eine, die ihrem mann eine loyalere frau gewesen wäre?

Keine gattin hat mehr als sie bewiesen, dass sie den bund der ehe heiligt –

denn welche frau sonst ginge für ihren mann freiwillig in den tod??

Die ganze stadt weiss, was sie für ihn alles auf sich genommen hat –

aber erst wie sie die letzten stunden verbrachte, zeigt ihren charakter.

Heut, am tag ihres angekündigten todes, dem morgen ihres sterbens

ging sie beim ersten licht hinaus, um im fluss zu baden; sie tauchte

ihren so fahlen weissen körper in seinen klaren und breiten strom –

dann legte sie den schmuck um, den sie aus der zedergetäfelten

schatzkammer geholt hatte, und zog sich die schwere robe an

in der sie aufgebahrt werden wollte. Ruhige entschlossenheit

in ihrem gesicht, schritt sie darauf in die mitte des hauses

zum feuer, das nie ausgeht, die glut in die tiefe brennend

der rauch hoch zum himmel steigend, und betete am altar:

Hestia, herrin! Da ich heute unter die erde gehe

knie ich jetzt ein allerletztes mal vor dir und flehe:

nimm dich meiner kinder an, die nun waisen werden.

Ich kann ihnen weder eine braut noch einen bräutigam

mehr erwählen und ihnen auch keine hochzeit ausrichten:

darum lass meinen sohn einmal eine liebevolle frau finden

und meine tochter einen ehemann, der sie in ehren hält –

damit sie nicht wie ihre mutter schon zeit ihres lebens

in ihrem haus erstickt, um so hinzusiechen wie ich …

Schenk ihnen, anders als mir, alles glück dieser welt!

Danach trat sie auch vor all die anderen ältäre im innenhof

schmückte sie mit immergrüner myrte, duftenden zweigen

voller heller blüten, die sie selbst vom ast gebrochen hatte

und betete – doch ohne dass ihr ein laut über die lippen kam.

Keine träne lief ihr über die wange – ihr antlitz blieb bleich

wie es war – regungslos; nichts darin verriet ihr seelenleid.

Dann jedoch lief sie plötzlich in ihr schlafzimmer

warf sich auf das lager und verkrampfte sich dort weinend:

Dieses bett hier sah, dass ich meinem mann zuerst

die jungfräulichkeit, schliesslich das leben opferte.

Dennoch hasse ich ihn nicht – ich habe ihn geliebt

obwohl mich diese ehe mit ihm gebrochen hat …

Die schönste tochter meines vaters war ich einmal;

er wollte mich keinem lassen: Admetus hielt zwar

um meine hand an, erhielt sie aber nur dank Apollon

diesem gott, der ihm schon damals so gewogen war.

Dafür aber fand ich am abend meines hochzeitstags

die kammer voller schlangen, schwarz sich ringelnd.

Bis der tod euch scheidet – ja; dieses schwurs wegen

werde ich meinen gatten nicht verraten und sterben.

Bald wird eine andere frau auf diesen laken liegen

und mit ihm fröhlich ihre zukunftspläne schmieden:

weniger aufrecht als ich, dafür aber wohl glücklicher.

Sie sank auf den boden herab auf die knie, küsste das ehebett

und weinte so bitter, finger in den leinenen überwurf gekrallt

dass es dunkel vor nass wurde. Als ihr die tränen ausblieben

riss sie sich wieder los, stand auf, versuchte ein paar schritte

taumelnd und den kopf auf der brust, sah zurück, drehte um

und begrub ihr gesicht erneut im lager. So ging es wieder

und wieder – und ihre kinder, an ihre robe geklammert

weinten mit ihr. Sie nahm jedes von ihnen in den arm

drückte es an sich und küsste es, um ihnen zu sagen

dass sie nun sterben werde.

Und überall im hause

zeigten auch wir diener anteil an ihrem schicksal

und weinten. Alkestis, sie reichte jedem von uns

ihre rechte hand – und da war keiner, für den sie

nicht ein nettes wort fand und bei ihm nachfragte:

selbst den niedersten noch zeigte sich ihre gütige art.

Ein schatten liegt jetzt über dem haus des Admetus.

Hätte er sich seinem tod gestellt, hätte er es längst

hinter sich – dafür aber ein ehrenhaftes andenken

bei seinen mitmenschen hinterlassen. So jedoch

rennt er seinem schicksal feig davon. Ein mann

der seinen posten im stich lässt, wird nur ein leben

in schande führen, um am ende trotzdem zu sterben –

wie auch Admetus von nun an gequält werden wird

von seinem gewissen. Die erinnerung daran, sag ich

sie wird ihn bis an das ende seines lebens foltern.

CHOR

Ja jammert er denn jetzt schon über sein los?

Schlimmer trifft ihn wohl, dass er seine frau verliert!

DIENERIN

Ja – weinen, das kann er. Doch sein verlust

ist grösser, als er weiss – blind und taub wie er sich stellt

dem unausweichlichen gegenüber. Er umschlingt sie

und bettelt sie hilflos an, ihn nicht im stich zu lassen

und das unmögliche zu versuchen – während Alkestis

dahinschwindet und das leben langsam aus ihr weicht.

Er hält sie in armen – aber sie ist bereits totes gewicht

die augen in die höhlen gesunken. Das blut kaum noch

fliessend, die haut kalt, ringt sie nach luft und ruft dann

nach licht – mehr licht! die sonne! Sie will nur ins freie

getragen werden, um einen letzten blick, den allerletzten

auf die sonne zu erlangen.

Admetus jedoch will, dass ihr

seine trauer mit ihm teilt. Nicht jeder mag meinen herrn

genug, um ihm in dieser bitteren zeit zur seite zu stehen –

ihr aber – ihr seid nun schon seit langem seine freunde.

geht ab

A

Im ganzen gesehen, ist das leben eines jeden eine tragödie –

einzeln besehen jedoch, ist das leben eines jeden eine komödie:

wie lächerlich ist doch der mensch – auch wenn ers selber nicht

zum lachen findet.

B

Doch erst seine tragik macht den menschen besser als er ist

denn gleich was ihm widerfährt – er gibt sein streben nicht auf:

er findet seine würde, indem er unterliegt – und glaubt dennoch

er kann obsiegen.

C

Seine komik aber liegt im streben danach, was nicht sein kann –

sie verlacht jede kreatur, die glaubt, sie könne zum gott werden –

denn in wahrheit ist er beides – und hat doch nichts von allem:

reinstes mittelmass.

CHOR

Ja ist denn gar keine erlösung von diesem leid denkbar?

Gibts denn wirklich keinen ausweg mehr für Admetus?

A

Wenn ihm jetzt keiner zuhilfe kommt

scheren wir uns besser das haar vom kopf

und legen uns die schwarzen mäntel um.

B

Es ist doch alles längst klar, völlig klar.

C

Beten wir trotzdem noch zu den göttern –

denn die macht der götter ist unermesslich.

B

Mächtiger als sie jedoch ist das schicksal:

es bleibt so unergründlich – wie ewig stumm.

C

Obwohl es uns jedes wort in den mund legt.

CHOR

Apollon, gott und heiler, spende unserm Admetus trost –

du hast ihm schon in der vergangenheit zweimal geholfen.

Nun erschein ein drittes mal und erlöse ihn von diesem tod.

der blutgier des Hades in seiner stadt der lebenden toten!

A

Welch schreckliches leid du erdulden musst, mit dem tod

deiner gattin jetzt – du, Admetus, der einzige sohn des Pheres!

B

Es ist schlimm – man möchte sich die kehle aufschlitzen

oder ein seil um den hals schlingen und sich dann aufhängen

um vor einem leeren himmel röchelnd im wind zu baumeln.

C

Du siehst deine frau, das liebste, das du auf der welt hast

heute sterben – ein leichnam dort bei den fliegen im schatten.

A

Es stirbt eine solch vornehme frau auf schreckliche weise.

C

Doch noch weit mehr, als sie selbst darunter zu leiden hat

lässt sie alle rings um sich leiden – sie zerstört damit das leben

all derer, die in diesem haus und der stadt hier zurückbleiben.

B

Ist das wirklich liebe? Oder nimmt sie jetzt dafür rache?

Sagt nicht, dass eine ehe mehr freuden bringt als schmerzen.

A

Jedenfalls nicht, wenn man sieht, wie es Admetus geht:

nach ihrem tod wird sein leben nicht mehr lebenswert sein.

CHOR

Schaut doch, schaut doch – da kommt sie!

Sie kommt heraus – und mit ihr ihr mann!

Weint, weint – und trauert um diese frau

die nun in das kalte dunkel der erde geht!

V

ALKESTISkommt aus dem haus, von ADMETUS gestütztdaneben ihr kleiner sohn EUMELUSund ihre tochter PERIMÉLE

ALKESTIS

Die sonne! Wie es blendet, das licht …

Hier in der wärme zu stehen

die wolken zu sehen

ihren endlosen zug nach westen

als würde alles noch vor mir liegen –

doch nun zirkeln die cirren wie möwen

um die mitte des himmels

in einem immer schneller werdenden wirbel –

mir schwindelts.

ADMETUS

Die sonne schaut auf uns herab

auf dich und mich, aber sie erblickt nur

zwei winzige figuren.

Die götter starren uns an mit harten augen

um sich an unseren leiden zu weiden –

obwohl wir ihnen nichts getan haben

wofür du jetzt sterben müsstest.

ALKESTIS

Die sonne zu schauen –

und wär es nur ein einziges mal gewesen

um dann dorthin zurückzukehren, woher man kam:

selbst in einem doppelt so langen leben

sähe man nichts heiligeres.

Es wird alles plötzlich so weit um mich –

da ist die erde, die dächer der häuser, iolkos im osten

wo ich geboren bin und meine jugend verbrachte –

bevor ich hier zur frau gemacht wurde.

ADMETUS

Richte dich wieder auf; gib nicht auf –

lass mich nicht allein.

Du musst nicht sterben – wenn du zu den göttern betest,

zeigen sie vielleicht mitleid mit uns.

ALKESTIS

Und da ist ein kahn – da: ich sehe ihn!

Den träge dahinziehenden strom, sein sumpfiges ufer

wasser breit und flach wie ein see

spiegelnd hell –

der fährmann hat die ruder schon beiseite gelegt

und schiebt seinen nachen mit der stange durchs schilf.

Er ruft nach mir – hörst du?

Worauf wartest du? Du hältst mich auf! Komm!

Er winkt mich her – siehst du es nicht?

ADMETUS

Beacht ihn nicht. Bete.

Bete mit mir. Bete mit mir.

ALKESTIS

Ich spür eine hand nach mir greifen –

sie zieht mich fort – merkst du es nicht?

Das ist einer, der mich am arm nimmt

um mich zu den hallen unter der erde zu geleiten –

und jetzt schaut er mir ins gesicht!

Er hat grosse dunkle brauen

schwarz glänzende augen

einen toten blick

und auf seinem rücken, da sind –

das ist der geflügelte gott, der mich zu Hades bringt.

zu ADMETUS, der sie zu sich zieht:

Was tust du da? Lass los –

da – ich sehe schon den weg hinunter.

ADMETUS

Wenn du diesen weg nimmst

ziehst du uns alle mit dir

alle, die dich lieben –

vor allem jedoch mich und die kinder.

ALKESTIS

Lasst mich los – ihr alle!

Nehmt eure hände weg. Redet mich nicht an.

Ich will mich hinlegen. Ruhen.

Bin schwer, so schwer.

Ich trage meine last schon viel zu lange –

das gewicht erdrückt mich.

Doch jetzt ist es nicht mehr weit –

da ist Hades’ bronzene schwelle

und das tor in die nacht.

Kinder – meine kinder!

Ihr habt nun keine mutter mehr.

Werft euer glück nicht fort –

lebt gut. Lebt in dieser sonne.

Lebt wohl!

ADMETUS

Nein – kein bitteres lebt gut,

lebt wohl!

Was du sagst, ist ein grösserer fluch als der tod.

Um gottes willen – ich bitte dich:

sei nicht so hartherzig!

Lass mich nicht im stich –

Denk doch an unsere kinder!

Willst du sie wirklich zu waisen machen?

Steh auf! Auch wenn du dich gehen lässt –

ich lass dich nicht einfach so gehen!

Stirbst du, weiss ich nicht weiter –

du hältst alles in deiner hand, leben und tod –

ich lebe und sterbe mit dir!

Deine liebe – sie war mir heilig!

ALKESTIS

Du siehst, wies um mich steht – Admetus.

Jetzt wo ich sterbe, will ich dir sagen, was meine wünsche sind.

Ich hab dich und deine wünsche stets vor meine eigenen gestellt –

und dies bis zum bitteren ende.

So behalt also weiter dein leben – um den preis des meinen.

Stück um stück bin ich gestorben –

der tod war das einzige, das mir jemals wirklich frei stand.

Ich hätte jeden mann bekommen können, den ich wollte

und vielleicht in einem anderen haus glücklich werden können –

aber ich hab mich dafür entschieden, an deiner seite zu bleiben:

ich wollte die kinder nicht ohne ihren vater lassen.

Dafür habe ich auf meine jugend verzichtet

auf das erfüllte leben, auf das ich sonst anrecht gehabt hätte.

Darin unterscheide ich mich auch von deinen eltern –

die liessen dich im stich: obwohl es sie in ihrem alter

weit weniger gekostet hätte, für ihren sohn zu sterben –

ein solcher tod hätte ihnen sogar noch ruhm und ehre eingebracht.

Aber ich kann sie verstehen: du bist ihr einziger sohn;

und nach deinem tod konnten sie nicht mehr hoffen

einen anderen zu zeugen, der sie auf ihre alten tage versorgen könnte:

wir sind ja alle ersetzbar – bloss du offenbar nicht.

Hätten sie sich geopfert, hätte unsre ehe bis ans lebensende bestanden

müsstest du nicht als einsamer mann um deine frau trauern

und deine kinder nun alleine grossziehen – ich weiss.

Und auch die götter wissen, warum. Darum nimms hin. Es ist wie es ist.

Doch dafür, was ich für dich erlitten habe –

dafür schuldest du mir dank.

Deshalb verlange ich von dir – bild dir aber nicht ein, dass das

was du für mich tun musst, nur annähernd aufwiegt, was ich für dich tat:

denn nichts ist so kostbar wie ein leben:

was ich will, ist das mindeste, das mir zusteht –

das wirst selbst du zugeben müssen.

Du wirst meinen beiden kindern nicht weniger liebe zeigen als ich –

und dich bemühen, ein guter vater zu sein.

Deshalb will ich, dass keine andere frau jemals meine stelle einnimmt.

Ich will die einzige sein – hörst du?

Versprich mir, dass meine kinder dieses haus einmal erben –

ich möchte nicht, dass du nach meinem tod wieder heiratest

und sie eine stiefmutter bekommen

die bloss auf ihre vornehme abstammung neidisch wäre

und ihre eifersucht an ihnen auslässt

indem sie sie schlägt – es sind ja deine kinder so gut wie meine.

Das will ich nicht haben, Admetus – hast du verstanden?

Eine stiefmutter wird stets zum racheengel

an den kindern aus der ersten ehe –

keine viper könnte giftiger und heimtückischer sein.

Eumelos, der hält das vielleicht aus – er kommt ja nach dir;

Periméle aber? Wie sollte sie ihr glück finden – wo sie doch bald

aus dem mädchenalter heraus ist?

Eine neue frau an deiner seite wäre eine züngelnde schlange

glatt und falsch – sie verspritzt ihr schleichendes gift

und setzt die schlimmsten gerüchte über sie in die welt

sodass sie keinen mann mehr findet;

oder aber sie schlägt mit ihrem giftzahn zu

dass Periméles ehe schon vor ihrer blüte zu verfaulen beginnt.

zu PERIMÉLE

Denn ich werde dir ja nicht mehr den hochzeitsschleier zurechtzupfen

und dir bei der geburt dann die hand halten;

ich werde nicht mehr da sein, wenn du mich am meisten brauchst:

ich sterbe – und es wird keine stunde mehr dauern

bis man auf mich die nachreden hält.

Du, Admetus, kannst dich rühmen, eine gute frau geheiratet zu haben –

und ihr, meine kinder, die beste aller mütter gehabt zu haben.

Den toten nur gutes: darum lebt wohl.

Lebt gut – und seid glücklich.

CHOR

Du kannst beruhigt sein: wir sprechen in seinem namen.

Admetus ist ein guter mann – er tut, was du von ihm verlangst.

ADMETUS

Ich verspreche es dir – ja, ich werde tun, was du sagst:

du musst dir keine sorgen machen.

Ich hab dir meinen namen gegeben – und ein leben im wohlstand dazu;

du bist meine frau und wirst selbst noch im tod meinen namen tragen.

Keine andere wird je deinen platz einnehmen können

und mich ihren gatten nennen –

es gibt für mich keine frau, die schöner wäre als du

oder aus einem besseren haus kommt.

Und die kinder, die ich von dir habe, genügen mir –

ich bete zu den göttern, dass ich in ihnen weiterleben darf

sie mir viel freude bereiten und im alter dann meine liebe vergelten:

jetzt, wo mir deine liebe versagt bleibt.

Trauern werde ich um dich, Alkestis – nicht nur ein volles jahr lang

nein, den rest meines lebens – und alles leid stoisch ertragen.

Jetzt, wo mir auch vater und mutter ihre zuneigung versagt haben

sind sie mir zum feind im eigenen haus geworden:

ich empfind nur mehr hass und verachtung für sie.

Es war doch alles bloss ein lippenbekenntnis:

sie liebten mich nur mit worten, nicht mit taten.

Du aber gabst dein kostbares leben im tauschhandel gegen das meine:

dafür steh ich in deiner schuld – ja, ja!

Darum habe ich allen grund zu klagen –

jetzt, wo ich eine frau wie dich verliere.

All die grossen einladungen, die wir gaben, und das leben, mit dem sie

unser haus erfüllten – sie wird es nun nicht mehr geben.

Ich werde nie mehr für unsere gäste spielen

und in der ausgelassensten stimmung

unsere alten lieder für sie singen.

Mir ist das leben vergällt – alle lust;

es ist so leer und tot wie meine sammlung alter flöten an der wand –

all diese stücke aus lotusholz, auf denen niemand mehr spielen wird:

du hast mir die ganze freude daran genommen.

Ich werde einen unserer bildhauer bitten

einen torso von dir anzufertigen, um ihn neben mir ins bett zu legen.

Aus stein soll er dich meisseln – vielleicht darf ich dich dann ja endlich

im arm halten und mit dir reden, deinen namen flüstern.

Und jetzt kannst dus nicht mehr erwarten, zum tod ins boot zu steigen:

War denn unsere ehe wirklich nicht mehr als ein leck geschlagenes schiff

bei der wir die brackige bilge über bord schöpften

um es flott zu halten – nur um es nun jetzt untergehen zu sehen?

Doch vielleicht erscheinst du mir ja in meinen träumen

so weiss und marmorn wie unsere statuen –

als die illusion einer besseren gegenwart?

Soll sie mir trost schenken, solange sie währt.

Ach – besässe ich doch Orpheus’ seltene gabe

der mit seiner stimme selbst steine zum leben erwecken konnte

um dich aus deinem schattenreich zu holen –

mich hätte weder ein Cerberos noch dein fährmann Charon dort

abhalten können, um dich aus diesem dunkel ins licht zu holen!

Aber so hat es ja nicht sein sollen.

Darum wart da unten auf mich, bis auch ich dann sterben werde:

richte doch dort das haus für uns ein!

Ich werde unsere kinder bitten, mich neben dir

in deinem zedernsarg zu beerdigen, auf ewig umfangen vom tod.

Verstehst du denn nicht, dass ich mich von dir nie trennen wollte?

Nie trennen konnte? Weil mein leben nur mit dir wahr gewesen ist?

CHOR

Du bist nicht allein. Wir werden deinen schmerz mit dir teilen –

als freunde für einen freund. Alle zusammen trauern wir um Alkestis.

ALKESTIS

Meine kinder – ihr habt es nun gehört:

euer vater hat mir versprochen, sich keine andere frau zu nehmen

die euch zur stiefmutter wird und uns alle nur entehrt.

ADMETUS

Ja – das habe ich versprochen; ich werde wort halten.

ALKESTIS

Damit übergebe ich meine kinder nun in deine obhut.

ADMETUS

Ich werde deinen letzten willen respektieren.

ALKESTIS

Du musst meine stelle einnehmen, so gut du es kannst.

ADMETUS

Das ist meine pflicht – aber du weisst

dass ihnen nichts und niemand die mutter ersetzen kann.

ALKESTIS

Meine kinder – verzeiht mir, dass ich in den tod gehe –

jetzt, wo ihr mich doch am bittersten nötig habt.

ADMETUS

Wie soll ich nur weiterleben, wenn du tot bist –

völlig allein und von dir im stich gelassen?

ALKESTIS

Die zeit wird alles heilen – die toten, sie bedeuten nichts:

sie existieren nur als leere inmitten der lebenden.

ADMETUS

Aber ich hab dir doch dein leben zu erfüllen versucht –

ich gab dir alles, was ich besass; mein ganzes herz.

Warum nimmst du es denn selbst jetzt nicht an?

Du hast doch gehört – ich tu alles, was du willst!

In gottes namen, so nimm mich doch!

Oder nimm mich mit dir.

ALKESTIS

Deinetwegen zu sterben genügt:

das ist bereits ein tod zu viel.

ADMETUS

Oh gott – wie kannst du nur so eine kalte seele haben.

ALKESTIS

Ah – es tropft schon herab und fliesst mir über die lider;

es rinnt mir in die augen, schwarz – und schwer wie quecksilber.

ADMETUS

Warum willst du nur die wahrheit nicht hören?

Mein leben ist zu ende ohne dich – ohne dich bin ich nichts!

ALKESTIS

Die wahrheit ist, dass ich nichts bin, niemand –

ich hab nie gelebt.

ADMETUS

So schau doch – da sind deine kinder!

verlass wenigstens sie nicht! Leb weiter – für sie!

Vermag denn gar nichts mehr einen lebenswillen in dir zu wecken?

ALKESTIS

Sie waren das einzige, was mich so lang am leben hielt;

aber jetzt – lebt wohl, meine kinder.

ADMETUS

Schau sie an – schau ihnen ins gesicht!

ALKESTIS

Ich sehe – nichts – mehr.

ADMETUS

Geh nicht! Gib uns nicht auf! Gib uns doch noch einmal –

ALKESTIS

Lebt gut. Lebt wohl.

ADMETUS

Das ist mein tod.

CHOR

Admetus’ frau ist gestorben. Alkestis ist nicht mehr.

EUMELOS

Mutter, mutter! Schaut –

ihre augen! Und wie sie die arme ausstreckt!

Wie schlaff sind deine hände!

Mutter – so sag doch etwas! Ich bin es –

hörst du mich nicht? Ich knie doch vor dir!

Ich bin es, dein Meli!

küsst sie

ADMETUS

Sie hört dich nicht, Eumelos –

sie sieht uns nicht mehr.

PERIMÉLE zu EUMELOS

Unsere mutter hat uns verlassen –

sie sieht die sonne nicht mehr –

sie lässt uns als waisen zurück.

Ich bin noch zu jung, um schon allein ins leben zu gehen –

aber es kommt jetzt auf mich zu.

Euch hielt der wunsch zusammen, gemeinsam alt zu werden.

Doch jetzt, wo sie von uns geht

bricht alles über uns zusammen.

CHOR

Du musst nun dieses unglück zu ertragen versuchen – Admetus!

Du bist nicht der erste, der seine frau verloren hat –

und du wirst auch nicht der letzte sein. Denk dran:

unser tod ist der preis, den wir für das leben zahlen.

Wir schulden ihn den göttern: selbst du, nicht wahr – Admetus?

ADMETUS

Ich hab es kommen gesehen und seit jahr und tag darunter gelitten.

Doch jetzt ist nicht der moment, sich gehen zu lassen:

jemand muss sich um ihr begräbnis kümmern.

zum CHOR

Ich danke auch euch allen sehr, dass ihr so frühzeitig gekommen seid –

und da ihr hier versammelt steht, bitte ich euch

kein lamento anzustimmen und kein einziges trankopfer darzubringen:

wir werden dem unerbittlichen gott der toten ein dankeslied singen –

ihm den chor seines sieges ins gesicht schmettern.

Den knechten aber, die bei mir angestellt sind –

allen, die mein brot essen, denen befehle ich

am trauergeleit für die leiche meiner frau teilzunehmen:

sie sollen sich die köpfe scheren und die schwarzen mäntel anziehen.

Holt meinen wagen, schirrt das gespann an

und schneidet auch den pferden die lange mähne ab:

ich will in der ganzen stadt keinen ton hören, weder flöten noch leiern –

und dies ganze zwölf monate lang.

Noch nie ist jemand zu grabe getragen worden, der mehr geliebt wurde

der mehr ehre verdient hätte: ich schulde ihr alles –

denn nicht sie hat sich das leben genommen

und gab es mir – ich war es, der es nahm.

ALKESTIS wird ins haus getragen; ADMETUS geht ab

VI

CHOR

O tochter des Pelias

mögest du die stadt der toten bald erreichen

um in Hades’ dunklem haus aufgenommen zu werden

möge er dir darin den rang zuweisen, der dir gebührt.

O tochter des Pelias

gehab dich wohl auf der reise in die unterwelt;

auf welchem fluss wird Charon dich zu Hades bringen?

auf welchem der vier ströme wirst du zu ihm geführt?

Der fluss des hasses

die Styx, entspringt mit alles zersetzenden fluten

im grau der gebirge, sammelt sich und stürzt schliesslich

als wasserfall durch ein schwalgloch hinab in den grund.

Der fluss des vergessens

der Lethe, mit dem silbern sich spiegelnden wasser

er mäandert träge und breit in immer engeren schleifen:

wen er benetzt, verliert alle erinnerungen an sein leben.

Der fluss der tränen

der Kokytos, auch er führt seine fracht im kreise

unter die erde, ohne sich mit den anderen zu vermischen:

und wen er benetzt, erinnert sich auf ewig an sein leben.

Der fluss des feuers

der Phlegeton, führt kein wasser – er wälzt sich

voller siedendem schlamm und glühenden steinen hinab

flammend rot wie kochendes blut und alles verbrennend.

Sie alle winden sich

wie schlangen um die totenstadt, sie alle münden

in den see Acheron, an dessen ufer hohe mauern aufragen:

einlass beim tor findet nur, wer seine vergehen zuvor büsste –

einlass beim tor findet nur, wer seine reinigung zuvor erfuhr.

O tochter des Pelias

du gingst ins dunkel hinab, ohne dich umzudrehen

deine augen einzig noch auf die klaffende leere gerichtet:

dein tod, er war gross – du hast uns alle mit ihm beschämt.

O tochter des Pelias

du gingst mit einem schritt für immer aus der sonne;

wär es nur in unserer macht, dich zurückzubringen ins licht!

So jedoch werden in hinkunft chöre dein schicksal besingen

und dichter sogar stücke über dich schreiben, im ganzen land.

O tocher des Pelias

möge die erde leicht auf dich in deinem grab fallen

möge dein mann seine versprechen an dich nicht brechen

seine kinder nicht darunter leiden und sich an ihm rächen.

Admetus’ mutter und vater

sie weigerten sich, für ihren sohn in den tod zu gehen

und zu seiner geisel zu werden.

Die tochter des Pelias aber

sie gab sich in der blüte des lebens hin für ihren mann.

Denn das ist das los jeder liebe und der sinn jeder ehe –

durchs leben zu gehen und die last des anderen zu tragen.

VII

HERAKLEStritt auf

HERAKLES

Hallo! Seid mir gegrüsst, ihr bürger.

Wozu dieser volksauflauf? Sagt mir – Admetus:

wo ist der? Ist er da?

A

Herakles! Was machst du …?

Natürlich ist Admetus da – er ist drinnen im haus.

Was bringt dich denn hierher??

HERAKLES

Hat sich das noch nicht bis zu euch herumgesprochen?

Ich soll Eurystheus, dem herrscher von Mykene, die arbeit erledigen …

B zum CHOR tuschelnd

Ja – als strafe dafür, dass Herakles seine frau

und seine drei kinder erschlagen hat.

C

Und woher kommst du gerade? Du riechst etwas … streng.

HERAKLES

Na – ich hab die vögel vom Stymphalischen See vertrieben

diesem stinkenden sumpf. Und den Augiasstall ausgemistet –

den ganzen dreck, den ein haufen ochsen jahrelang angehäuft haben.

B

Und vor welchen karren hat dich Eurystheus jetzt gespannt?

Welches joch hat er dir auferlegt?

HERAKLES

Ich soll hinauf in den norden –

der Thraker Diomedes hat dort vier pferde:

die soll ich zähmen und anschirren.

C

Du weisst wohl nicht, womit du es da zu tun kriegst!

Hast du denn nicht gehört, was man dort unter gastfreundschaft versteht?

HERAKLES

Nein – da oben war ich noch nie.

C

Diomedes wirft jeden fremden, der sich zu ihm verirrt

seinen stuten zum frass vor – die sind derart wild

dass man sie an ihre eisernen krippen gekettet hat:

B

Ohne einen kampf wirst du da nicht davonkommen.

HERAKLES

Was solls? Ich komm auch um meine zwölf arbeiten nicht herum.

CHOR

Entweder du tötest ihn und kommst zurück –

oder aber du stirbst und wirst dort begraben.

HERAKLES

Das ist nicht das erste mal, dass ich mein leben aufs spiel setze.

A

Selbst wenn du Diomedes besiegen kannst –

was bringt es dir denn ein?

HERAKLES

Was die mir einbringen? Ich bin doch kein rosstäuscher!

Ich muss bloss Diomedes’ vier pferde nach Mykene bringen.

Dafür soll ich einmal unsterblich werden – hat es geheissen.

B

Ihnen zaumzeug anzulegen, das wird nicht leicht werden.

HERAKLES

Wieso – glaubt ihr etwa auch noch, dass die feuer spucken??

C

Nein – aber die reissen dich mit ihren zähnen in stücke;

die fressen nämlich nur menschenfleisch.

HERAKLES

Erzählt keine märchen – nur löwen gehen auf menschen los.

C

Du wirst schon sehen – ihre krippen, die sind von blut ganz schmierig.

HERAKLES

Schon gut.

Aber jetzt sagt – der mann, der sich solche pferde hält, wie ihr behauptet:

was ist denn das für einer?

CHOR

Er ist ein sohn des kriegsgottes Ares.

Und er befehligt ein heer von söldnern

die allesamt rundschilde aus gold tragen.

HERAKLES

Ewig das gleiche – warum erwischt es dauernd mich?

Ich habe ja wirklich grosses glück mit all meinen arbeiten: obwohl –

andere, die ich kenne, rollen auch ihren stein steil den berg hinauf.

Ich muss anscheinend gegen jeden einzelnen sohn ins feld ziehen

den Ares jemals gezeugt hat: zuerst musste ich mit Lykaon kämpfen