Die Herren der Zeit - Helmut W. Pesch - E-Book
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Die Herren der Zeit E-Book

Helmut W. Pesch

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Beschreibung

Was wird von der wohlbekannten Welt noch bleiben, wenn die Zeiten sich durch dunkle Mächte wandeln?

Die Schlacht der Freien Völker gegen die Armeen der Finsternis ist geschlagen, der dunkle Feind besiegt. Der Ffolksmann Kimberon Veit bricht auf, um der Krönung des Königs in der fernen Hauptstadt beizuwohnen. Doch dann steigt Nebel aus den Sümpfen - und mit einem Mal ist nichts mehr, wie es war. In dieser Zeitlinie beherrscht das Dunkle Imperium seit tausend Jahren die Mittelreiche. Die Elben haben sich in die Wälder zurückgezogen und die Zwerge in ihre unterirdischen Festungen. Das Ffolk von Elderland ist nur noch eine Legende.

Aber Kim gibt die Hoffnung nicht auf. Mit seinen Freunden, den Hütern der drei Ringe der Macht, begibt er sich auf einen gefahrvollen Weg, der ihn durch die Schatten der Zeit führen wird. Denn in dem unscheinbaren Ring, den er selbst am Finger trägt, liegt der Schlüssel zu Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft.

"Helmut W. Pesch hat den ersten reinen Fantasy-Alternativwelt- und -Zeitreiseroman vorgelegt, der ganz ohne Technik auskommt [...]. Dazu ist er ein hervorragender Erzähler, der den Leser von der ersten Zeile an in Bann schlägt und nicht mehr loslässt. Schlichtweg brillant." (Hermann Urbanek, Space View)

"Was das Lesen und damit das Buch aus dem Fantasy-Allerlei hervorhebt, das ist der sehr bewusste Einsatz sprachlicher Feinheiten. Sprachlich und stilistisch differenziert versteht es der Autor, die unterschiedlichen Ebenen des Romans über die verwendete Sprache der auftretenden Personen voneinander abzugrenzen." (Carsten Kuhr)

Der Abschluss der epischen Elderland-Saga! Klassische Fantasy für alle Leser von J.R.R. Tolkiens DER HOBBIT und DER HERR DER RINGE und Fans von Völker-Fantasy wie DIE ZWERGE und DIE ELFEN. Die Elderland-Saga nimmt ihren Anfang in "Die Ringe der Macht".

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Einführung

Karte

Die Legende vom kleinen Volk

Prolog

Kapitel I – EIN BRIEF DES KAISERS

Kapitel II – DIE SCHWARZE LEGION

Kapitel III – EIN HERRSCHER IM EXIL

Kapitel IV – DAS DUNKLE COLLEGIUM

Kapitel V – DER WEG NACH ZARAKTHROR

Kapitel VI – DIE MAUERN DER FINSTERNIS

Kapitel VII – KÖNIG DER GNOME

Kapitel VIII – WER DIE SCHATTEN WECKT

Kapitel IX – DIE MEISTER DER WELT

Kapitel X – EIN MISSRATENER HELD

Kapitel XI – DIE PRINZESSIN UND DER GNOM

Kapitel XII – DIE RÄUBER VOM FELS

Kapitel XIII – DER RAT VON KARAZKHÔM

Kapitel XIV – IN DEN SCHLINGEN DER ZEIT

Kapitel XV – DER ACHTE RING

Kapitel XVI – DER KREIS SCHLIESST SICH

Epilog

Anhang

Über den Autor

Weitere Titel des Autors

Impressum

 

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Über dieses Buch

Die Schlacht der Freien Völker gegen die Mächte der Finsternis ist geschlagen, der dunkle Feind besiegt. Der Ffolksmann Kimberon Veit bricht auf, um der Krönung des Königs in der fernen Hauptstadt beizuwohnen. Nebel steigt aus den Sümpfen – und mit einem Mal ist nichts mehr, wie es war. In den Mittelreichen herrscht seit tausend Jahren das Dunkle Imperium. Die Elben haben sich in die Wälder zurückgezogen und die Zwerge in ihre unterirdischen Festungen. Und das Ffolk von Elderland ist nur noch eine Legende.

Aber Kim gibt die Hoffnung nicht auf. Mit seinen Freunden, den Hütern der drei Ringe der Macht, begibt er sich auf einen gefahrvollen Weg, der ihn durch die Schatten der Zeit führen wird. Denn in dem unscheinbaren Ring, den er selbst am Finger trägt, liegt der Schlüssel zu Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft.

»Helmut W. Pesch hat den ersten reinen Fantasy-Alternativwelt- und -Zeitreiseroman vorgelegt, der ganz ohne Technik auskommt […]. Dazu ist er ein hervorragender Erzähler, der den Leser von der ersten Zeile an in Bann schlägt und nicht mehr loslässt. Schlichtweg brillant.« (Hermann Urbanek, Space View)

»Was das Lesen und damit das Buch aus dem Fantasy-Allerlei hervorhebt, das ist der sehr bewusste Einsatz sprachlicher Feinheiten. Sprachlich und stilistisch differenziert versteht es der Autor, die unterschiedlichen Ebenen des Romans über die verwendete Sprache der auftretenden Personen voneinander abzugrenzen.« (Carsten Kuhr)

Helmut W. Pesch

DIE HERRENDER ZEIT

DIE ELDERLAND-SAGA II

Fantasy

In uralten Zeiten schuf der Elbenfürstsechs Ringe der Macht.

Drei gab er den Menschenkindern,dass die Schatten der Mittelreichesie nicht überwältigen.Zwei halten die Zwergenmeister verborgen,um das Dunkel der Untererde zu bannen.Einen hütet der hohe Elbenfürst selbst,gegen den Tag, da die Überwelt fällt.

Der siebente Ring ist nicht mehr als eine Hoffnung.

Und den achten Ring hat es nie gegeben.

Die Legende vom kleinen Volk

Es ist erstaunlich, wie sich in den verschiedensten Mythologien hartnäckig die Legende von einem kleinen Volk hält, das irgendwo im Nordwesten der Mittelreiche sein eigenes Land besitzt. Dieses Land, auf drei Seiten von Bergen geschützt und auf der vierten abgeschirmt durch die gefährlichen vorgelagerten Klippen der Küste, ist nur auf wenigen Wegen zugänglich: über den Berg und unter dem Berg, durch die Sümpfe und, wenn man es wagt, übers Meer.

Die Einwohner dieses Landes gleichen in vieler Hinsicht den Menschen, mit Ausnahme ihrer minderen Gestalt und ihrer spitzen Ohren, die sie mit den Elben gemein haben. Sie sind, nach ihren eigenen Maßen gerechnet, mit vier Ffuß und acht Innch im Schnitt kleiner als diese, doch größer als die bärtigen Zwerge. Sie sehen sich als etwas Eigenständiges an, obwohl sie vieles mit den anderen Völkern der Welt gemeinsam haben: einen Sinn für Handel und Wandel wie die Menschen; eine Liebe zu den gewachsenen Dingen der Natur, wie sie den Elben eignet; und die Bodenständigkeit und das Traditionsbewusstsein der Zwerge. Ja, man könnte sagen, dass sie die besten Züge aller Völker vereinen, und dies mag auch ihren Namen erklären. Denn sie selbst nennen sich ›das Ffolk‹, popules in der alten Sprache der Gelehrten – ein Wort, das von der Form her Mehrzahl, vom Sinn und Gebrauch her aber Einzahl ist – und ihr Land das ›Elderland‹.

Die Ffolksleute von Elderland sind stolz auf ihre Geschichte und ihre althergebrachten Sitten und Bräuche. Seit sie vor mehr als siebenhundert Jahren über das Gebirge nach Norden kamen, um in diesem bescheidenen Winkel der Welt ihr Dasein zu fristen, haben sie alles aufgezeichnet und bewahrt, was ihnen der Erinnerung wert erschien. Auch wenn darunter dies oder jenes sein mag, was manch einer als wertlosen Tand angesehen hätte: Stichtücher und irdenes Geschirr, Werkzeuge und Tabakspfeifen, Stammbücher und Register, bis hin zu den Listen über die Viehbestände im Nordviertel (steigend) oder die Fangquoten der Fischergilde von Eldermünde (fallend von Jahr zu Jahr).

Es ist kein einfaches Leben, welches das Ffolk dort führt. Zwar sorgt eine warme Meeresströmung, die sich an den westlichen Küsten bricht, für ein gemäßigtes Klima, sodass in den Hügeln südlich des Flusses Eider sogar Wein gedeiht – ob trinkbar oder nicht, daran scheiden sich die Geister. Und die hohen, unübersteigbaren Gebirgsketten im Westen und Süden, die Elderland von der übrigen Welt trennen, bieten einen gewissen Schutz vor den ärgsten Unbilden des Wetters. Doch hier, weit oben im Nordwesten der bewohnten Lande, kommt die Ernte spät und erfordert harte Arbeit, so dass das Ffolk zu Recht stolz auf seine Leistungen ist.

Von daher ist es nicht verwunderlich, dass neben dem Juncker von Gurick-auf-den-Höhen und dem Bürgermeister von Aldswick sowie dem Pastor, der in der Kirk von Eldermünde, und der Godin, die im Heiligtum zu Winder den Gottesdienst versieht, auch der Kustos des Ffolksmuseums von Aldswick dem ›Rat von Elderland‹ angehört, einem Gremium, das in Notzeiten so etwas wie die Regierung der Provinz darstellt. Darüber hinaus sehen die Ffolksleute sich als Bürger des Imperium Humanuni, des Reiches der Menschen, das von einem Kaiser im Süden regiert wird.

Im Allgemeinen gibt es wenig für den Rat zu tun. Streitigkeiten entscheiden in der Regel die örtlichen Gutsbesitzer oder die Obleute der Gilden nach Brauch und Sitte. Dies beruht auf der Tatsache, dass das Ffolk von alters her jeder Art von Veränderungen grundsätzlich abhold war. Jene Liebe zum Althergebrachten ist bei den meisten Ffolksleuten indes gepaart mit einer geradezu widersinnigen Gier nach Neuigkeiten und einer unstillbaren Neigung zu Klatsch und Tratsch.

Warum dieses kleine Ffolk von der Legende ausgerechnet jenseits des Sichelgebirges angesiedelt wird, mag sich aus der Hoffnung der Menschen erklären, die diese dunkle, blutdurchtränkte Stätte, wo es zu viel Macht und zu viel Magie gibt, lieber in der Hand von schwachen, friedfertigen Wesen sähen. Doch obwohl immer wieder Menschen erzählen, sie hätten dieses Land besucht – sei es als Reisende oder in ihren Träumen –, existiert es doch nur im Reich der Fantasie oder im Geiste des Göttlichen Paares, das sich längst aus der Welt zurückgezogen hat, die es einst schuf.

Aus den Legendae Aureolis des Queribus Thrax in der Bibliotheca Arcana zu Allathurion; nach dem Index Librorum Prohibitorum eingestuft als Ordo II, Sectio IV (ketzerisch, aber harmlos; zu Studienzwecken nach besonderer Erlaubnis freigegeben).

Prolog

Als Magister Kimberon Veit das Ende kommen spürte, ging er, wie es seit Jahren seine Gewohnheit war, hinaus auf das kleine Feld, wo in einer Reihe von Hügeln mit verwitterten Steinen die Hüter des Ffolksmuseums bestattet lagen. Die Leute von Aldswick, die sich zuerst die Mäuler gewetzt hatten, nahmen inzwischen keinen Anstoß mehr daran, dass der alte Magister mit der Zeit ein wenig wunderlich geworden war, und es war somit ein vertrauter Anblick, ihn dort bei den Gräbern stehen zu sehen, wie er mit seinem Vorgänger Zwiesprache hielt.

»Magister Adrion«, sagte er, »Ihr fehlt mir so sehr. Ich spüre, wie meine Kraft nachlässt, und doch kann ich noch nicht den Staub des Irdischen von meinen Füßen schütteln. Denn sonst wird die Geschichte nie weitergehen.«

Er lauschte in den Wind, aber es kam keine Antwort. Es kam nie Antwort von jenem fernen Ort, wo der Geist Magister Adrions weilen mochte.

»Was soll ich nur tun?«, flehte Kimberon, und für einen Moment war er wieder jener schüchterne junge Mann, der vor so vielen Jahren auf ein großes Abenteuer ausgezogen war, Hüter einer Macht, von der er damals nur ahnte und auch jetzt wenig wusste.

Er öffnete die Hand und sah hinab auf den metallenen Ring mit dem schwarzen Stein, der auf seiner Handfläche lag. Der Ring blinkte auf, als der letzte Strahl der Abendsonne ihn traf.

»Komm mit uns!«, rief die Stimme des Windes. Aber es war nicht der Wind.

Kim wandte sich um. Vor ihm, unter den winterkahlen Ästen der alten Eiche, die so viele Stürme überdauert hatte, standen drei Gestalten. Einen Augenblick lang schien es, als verschwimme ihre Form, kräusele sich wie Rauch im Wind, dann waren sie plötzlich fest und real, keine Geister, sondern Wesen aus Fleisch und Blut.

Der eine von ihnen war kleiner als selbst ein Ffolksmann, dafür aber kräftig und stark gebaut. Ein flammend roter Bart fiel ihm auf die Brust, und in seiner Hand trug er eine mächtige Axt mit einer Doppelklinge.

Der zweite war von mittlerer Größe, geschmeidig wie ein junger Baum. Sein helles Haar wehte ihm um die Schultern. Sein Gesicht war bleich, aber es war keine kränkliche Blässe, sondern die Frische des jungen Tages; seine Brauen waren geschwungen, seine Augen schräg geschnitten, seine Ohren spitz. Er ging in Grün gekleidet und trug eine schmale Klinge, die silbern blitzte.

Der dritte war hochgewachsen: ein Krieger. Ein schmuckloses Schwert hing an seiner Seite. Doch sein Mantel war aus gutem Tuch und sein Wams aus weichem Leder, mit Nieten gespickt. Gold glänzte an Hals und Handgelenken.

»Burorin!«, rief Kim aus. »Gilfalas! Und Fabian!« Er öffnete die Arme, um sie willkommen zu heißen, doch dann besann er sich eines anderen. Ein Schatten fiel über sein Gesicht. »Gut, dass ihr endlich kommt. Es wurde auch Zeit.«

»Kim?« Der Mensch, den er Fabian genannt hatte, trat einen Schritt vor. »Kimberon Veit?«

»Derselbe, Majestät«, sagte der Magister.

»Beim Meister«, entfuhr es dem ersten, dem Zwerg. »Was ist mit dir geschehen?«

»Wir alle werden einmal alt, Bubu.« Kimberon lächelte, doch es war ein trauriges Lächeln. »Ihr kommt zu spät. Ihr müsst zurück, fünfunddreißig Jahre in die Vergangenheit. Und sagt ihm … sagt mir, dass ihr mich getroffen habt. Und dass ich mit euch gehen muss …«

»Dann kennst du die ganze Geschichte?«, fragte Gilfalas, der Elbe. »Du weißt, wie sie ausgeht?«

Kim konnte nicht antworten. Die Kehle war ihm wie zugeschnürt.

»Ja … und nein …« Seine Stimme versagte. Dann setzte er noch einmal an, und es lag darin eine plötzliche wilde Hoffnung, die Hoffnung auf eine letzte Chance, die ihm sein Leben lang versagt geblieben war. »Habt ihr das Buch?«

»Das Buch?« Fabian runzelte die Stirn. »Du meinst … das Buch?«

Er griff unter seinen Mantel und förderte einen kleinen Rucksack zu Tage. Als er die Verschnürung löste, kam darin ein fleckiger, ledergebundener Band zum Vorschein, blau, mit metallverstärkten Ecken.

»Ja, ja!« Gier sprach aus Magister Kimberons Worten. »Gib es mir …!«

Fabian streckte ihm das Buch hin.

Der Magister packte es und riss es an sich. Dann wandte er sich um, ohne auch nur einen weiteren Blick für seine Freunde von einst übrig zu haben, die sich schweigend ansahen, ehe sie verblassten, wie ein Bild verblasst, das zu lange in der Sonne gelegen hat.

Kimberon Veit, dreizehnter Kustos des Ffolksmuseums von Elderland, rannte, so schnell ihn seine alten Beine tragen konnten, in Richtung des hoch aufragenden Museumsbaus. Jetzt hatte er endlich erreicht, wonach er sein Leben lang gesucht hatte. Es gab nur noch eine Pflicht, die er erfüllen musste, ehe er endlich ausruhen konnte von all seinen Mühen. Er musste seinen Nachfolger bestimmen.

Und diese Wahl würde die feisten Kaufherren von Aldswick gewiss noch mehr schockieren als die letzte.

Doch um zu erfahren, wie es zu jener schicksalhaften Begegnung im Schatten des Ffolksmuseums von Elderland kam, müssen wir noch weiter zurückgehen, nämlich etwa neunundvierzig Jahre bis zu einem sonnigen Spätwintertag, an dem diese Geschichte ihren Anfang nahm …

KAPITEL IEIN BRIEF DES KAISERS

Es war an einem wunderschönen sonnigen Tag im Spätwinter des Jahres 778 nach der Zeitrechnung des Ffolks. Auf seinen eigenen Kalender war das Ffolk immer sehr stolz gewesen, rechnete es doch nicht in den Jahren der großen Menschen, die mit der Gründung des Imperiums begannen, sondern nach seiner eigenen Zeit, die ihren Anfang mit dem Beginn seiner Existenz nahm. Denn vor genau siebenhundertachtundsiebzig Jahren war das Ffolk auf dem Steig, dem hohen Pass im Sichelgebirge, erschienen und hatte von dort auf das Land zu seinen Füßen geblickt. Woher diese Siedler kamen und wo sie zuvor gelebt hatten, hatte niemand von den Gelehrten je ergründen können, und selbst unter den Ffolksleuten wusste keiner davon – keiner, heißt das, bis auf einen, und der auch erst seit kurzer Zeit.

Kimberon Veit, dreizehnter Kustos des Ffolksmuseums von Elderland, legte die angeschrägte Gänsefeder beiseite und schloss den Folianten, in den er mit seiner feinen, peniblen Schrift Zeile um Zeile eingetragen hatte. Der schmucklose Ledereinband ließ nicht vermuten, was sich darunter verbarg, doch Kimberon wusste genau, was das Thema des Buches war, denn er hatte es, diesmal in kühnen, geschwungenen Lettern, auf der ersten Seite eingetragen:

E PLVRIBVS POPVLESSiveHistoria Gentis Minoris Ab Initiis

Dissertatio InauguralisIn Gradum Magistri ArtiumUniversitatis Altæ ThurionisExhibita

De Cimberono VitoAldovicense

Was nichts anderes besagte als ›Aus vielen ein Ffolk, oder: Geschichte des Kleinen Volkes von den Anfängen. Eine Abhandlung zur Einsichtnahme für den Grad des Magister Artium der Universität von Allathurion, vorgelegt von Kimberon Veit aus Aldswick‹. Kim hatte sich anfangs gefragt, ob er mit der Niederschrift des Titelblatts nicht warten sollte, bis er auch die anderen neunundneunzig Seiten mit Text gefüllt hätte, aber die Versuchung war zu groß gewesen. Zugegeben, es sah ein bisschen übertrieben aus. Aber es gab ihm eine Hoffnung auf das, was mit der Zeit noch kommen würde.

Es war ein großes Unterfangen: seine Magisterarbeit, die er nach Vollendung dem Hohen Konvent der Universität von Allathurion vorzulegen gedachte, um sie sodann in einem Examen Rigorosum gegen alle wohlwollenden und übel meinenden Kritiker zu verteidigen. Doch an manchen Tagen wie heute, wenn die Zeit stillzustehen schien, hatte er das Gefühl, dass er dieses Werk nie zu Ende bringen würde. So wenig hatte er erst geschrieben; so viel galt es noch zu erforschen.

Kim seufzte. Das Licht der Spätnachmittagssonne, bereits rötlich gefärbt von den Wolkenschleiern, die nach Westen, in Richtung Meer, davongezogen waren, fiel schräg durch die bunt gefärbten Butzenscheiben der Fenster. Staubteilchen tanzten darin. Es gibt überall Staub, wo es Bücher gibt, und hier, in der Studierstube des Kustos im Obergeschoss des Ffolksmuseums, waren die Wände gesäumt von Regalen, auf denen sich alles Mögliche an Schriftstücken türmte: schweinslederne Hauptbücher und Registerbände, abgewetzt und speckig, aber auch punzierte Folianten mit Goldschnitt; Konvolute, zwischen Holzdeckel gepresst und mit Leinen verschnürt; Schriftrollen in Tuch- oder Ledersäcken; Dokumente in Tubae, seit Jahrhunderten versiegelt; Quart- und Oktavhefte aus Zeiten der Not, wenn das Pergament knapp war, und großformatige Mappen. Bücher häuften sich zu Stapeln auf dem Boden, dass sich die Dielen bogen, dienten hier als Stütze für das fehlende Bein eines Lesepults, dort als Beschwerer für ausgerollte Landkarten.

So viele Bücher, so wenig Zeit! Doch bei näherer Betrachtung erwies sich ein großer Teil davon als entbehrlich; manches Buch war seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten nicht mehr gelesen worden, weil es die Mühe nicht lohnte, sofern man nach Dingen suchte, die über das Alltägliche hinausgingen. Und selbst die wenigen prachtvollen Bände erwiesen sich selten als ergiebig; denn was nützte etwa die Chronik über die Großtaten der Familie des Junckers Finck, mit Goldblech beschlagen, mit Bergkristallen bestückt und mit einem Wappen aus Perlmutt und Lapislazuli verziert, wenn sich der Text darin mühelos auf einem Faltblatt hätte zusammenfassen lassen?

Kim wollte sich gerade wieder seinen Studien zuwenden, als das Telephon hupte.

Zugegeben, es war eine neumodische Erfindung, und alles Neue sollte einen Ffolksmann zunächst einmal misstrauisch machen. Doch seit sich im Elderland die Geschichten über die Wunder des Zwergenreiches verbreitet hatten, war Kim dieser Gedanke nicht aus dem Kopf gegangen. Es war ein einfaches Bleirohr, das den Schall leitete; es führte von seiner Studierstube hinab in die Küche des Kustodenhauses, und es ersparte seiner nicht mehr ganz jungen Zugehfrau den Weg über die Treppen hinauf in die Studierstube, um ihn zum Essen zu rufen oder wenn es etwas Besonderes zu vermelden gab. Außerdem dröhnte es, wenn man hineinsang.

Kim nahm den Pfropfen aus dem Trichter, der neben seinem Schreibtisch mündete, und rief hinein: »Hallo?« Dann hielt er das Ohr an die Öffnung.

Die Antwort kam dumpf wie aus den tiefsten Gewölben der Untererde: »Hörr Kümberon! Bösuch för Oich!«

»Ich komme!«

Er sprang so hastig auf, dass er fast das Tintenfass umgeworfen hätte. Alles erschien ihm in diesem Augenblick besser, als weiter hier zu sitzen und zu schreiben. Fast war es, als hätte ihn wieder jene Lust des Abenteuers gepackt, die er in seinen staubigen Studien begraben hatte, die Verlockung des Unbekannten, des neuen Landes hinter dem Horizont. Auf seinem Weg die hölzerne Stiege hinab nahm er immer zwei Stufen auf einmal.

»Nicht so schnell, Herr Kimberon! Ihr werdet Euch noch den Hals brechen!«

Gutsfrau Metaluna Knopff stand, die Hände in die Hüften gestemmt, in der Küchentür und runzelte missbilligend die Stirn, als Kim durch die kleine Verbindungstür in das Kaminzimmer hineingestolpert kam. Die Gutsfrau war eines Tages, kurz nach seiner Rückkehr, auf der Schwelle des Hauses erschienen und hatte verkündet, dass sie nun, da die Haushälterin des Kustos mit einem Zwergen durchgebrannt sei, sich um Herrn Kimberon zu kümmern gedenke. Kim hatte versucht, ihr zu erklären, dass sich alles ganz anders verhalte und dass er sehr gut auf sich selbst aufpassen könne, aber sie hatte seine Einwände mit einem ›Papperlapapp!‹ beiseitegewischt, die Ärmel aufgekrempelt und sich daran gemacht, den Abwasch zu beseitigen.

Was bitter nötig gewesen war. Denn so sorgfältig und penibel Herr Kimberon in seiner Arbeit auch sein mochte, zu einem Hausmann war er nicht geboren, und meist hatte er viele andere Dinge im Kopf als die alltäglichen Pflichten des Lebens. Wenn er sich in seine Arbeit vergrub, dann vergaß er mitunter Zeit und Raum; dann vermischten sich die großen Heldentaten der Vergangenheit mit jenen Reisen und Abenteuern, an denen er selbst einen nicht geringen Anteil gehabt hatte. Und manchmal saß er einfach da und träumte.

Doch dies war keine Zeit für Träumer. Zwar war die letzte Schlacht geschlagen, die dunkle Macht besiegt, auf jenem Feld hoch oben im Norden, wo Menschen, Elben und Zwerge gemeinsam gegen die Dunkelelben und ihre Diener, die Bolgs, angetreten waren und sie wie durch ein Wunder bezwungen hatten. Aber der Preis war hoch gewesen. Es gab kaum eine Familie, die kein Opfer zu beklagen hatte, kaum eine Frau, die nicht Vater oder Mann oder Sohn oder zumindest einen Ohm oder Neffen verloren hatte. Viele Gutshöfe lagen verwüstet da, viele Häuser waren in den Wirren des Krieges verbrannt, und erst langsam, allmählich, jetzt, wo die Sonne sich wieder hervorwagte, begann das Leben sich wieder zu regen. Fast, so dachte Kim, als läge der Hauch des Drachen noch über dem Elderland.

Er schüttelte die trüben Gedanken ab. »Wer ist es?«, fragte er aufgeregt. Besuch war selten geworden in diesen Tagen. »Einer meiner Freunde?« Mit einem Mal merkte er, wie sehr er sie vermisste: Burorin, den gutmütigen und stets humorvollen Zwerg; Fabian vom Großen Volk, der nun als Kaiser zu Magna Aureolis herrschte; Gilfalas, den stets etwas entrückten Elben; und natürlich Marina, die kleine, dralle Ffolksfrau, die mehr gewesen war als nur seine Haushälterin und die jetzt mit Burorin, ihrem angetrauten Gemahl, in das ferne Reich der Zwerge gezogen war. Es war so lange her, dass er sie alle das letzte Mal gesehen hatte.

»Jemand, den Ihr kennt«, meinte Frau Meta gutmütig. »Seht selbst!«

Ein wenig ernüchtert schob Kim die Tür zur Eingangshalle auf. In der holzgetäfelten Diele entledigte sich gerade der Ankömmling etwas unbeholfen seines Mantels. Ein Ffolksmann, der Größe und den spitzen Ohren nach zu urteilen, kräftig und untersetzt von Statur, mit einem Stock in der Hand. In dem Gegenlicht, das von der offenen Eingangstür hereinfiel, war das Gesicht des Fremden kaum zu erkennen, doch er ließ nicht lange Zweifel daran aufkommen, wer er war.

»Kimberon, alter Freund! Wie geht es dir? Lass uns die Hände schütteln!« Schwer auf seinen Stock gestützt, kam er herbei und streckte Kim die Hand entgegen.

»Marten«, sagte Kimberon. »Freut mich, dich zu sehen.« Er reichte ihm die Hand, und der andere schüttelte sie ausgiebig.

Marten Kreuchauff, einer der größten Handelsherren von Aldswick, war Kim von alters her als ein eitler und aufgeblasener Wichtigtuer in Erinnerung gewesen, und auch bei der Verteidigung des Elderlands hatte er zunächst keine sehr rühmliche Rolle gespielt. Doch in der entscheidenden Schlacht war er über sich hinausgewachsen und hatte sich tapfer geschlagen. Nachdem Marten, der Held vom Haag, dann von seinen Wunden genesen war, hatte er sich alsbald entschlossen, seine neue Popularität auszunutzen und um das vakante Amt des Bürgermeisters von Aldswick zu kandidieren. Und da er gehört hatte, dass zu den besonderen Kennzeichen des Politikers auch das Händeschütteln gehört, bemühte er sich seitdem, diese Kunst zu vervollkommnen.

»Schon gut, Mart«, sagte Kim und grinste. »Du hast meine Stimme. Aber sag, was verschafft mir die Ehre?«

»Oh«, rief Kreuchauff und breitete die Arme aus, als hätte er den Stock mit dem Narwalgriff, auf den er sich so ostentativ zu stützen pflegte, gar nicht mehr nötig, »der Wahlkampf natürlich. Ich muss meine Wähler besuchen, Haus für Haus, wie es sich gehört. Oder darf der Kustos als Mitglied des Rates von Elderland den Bürgermeister von Aldswick nicht wählen?«, fügte er listig hinzu. Dann lachte er laut über seinen eigenen Scherz.

»Selbst wenn dem so wäre«, erklärte Kim, »so ist die Politik doch nicht meine Sache.« Plötzlich wurde ihm bewusst, als was für ein schlechter Gastgeber er erscheinen musste. »Aber komm herein in die gute Stube. Kann ich dir irgendetwas anbieten, ein Stück Kuchen vielleicht, wenn noch etwas da ist …« Er blickte schuldbewusst zur Küche hinüber; er erinnerte sich, dass er letzte Nacht in einem Anfall von Heißhunger die letzten Krümel vertilgt hatte, und war sich nicht sicher, ob Frau Meta schon neuen gebacken hatte. »Etwas zu trinken vielleicht oder ein Pfeifchen?«

»Ein Pfeifchen, jawohl, das wäre nicht schlecht!«, dröhnte Kreuchauff. »Man erzählt sich Wunder von deinen Schätzen an Pfeifenkraut.«

»Es ist eines der Privilegien«, erklärte Kim, während er seinen Gast in das Kaminzimmer führte, »die das Amt des Kustos mit sich bringen, dass zu seinem Ehrensold auch ein jährliches Quantum von Knaster gehört, und mein Vorgänger, der selige Magister Adrion, hat mir einen reichen Vorrat hinterlassen.« Er konnte den Namen seines alten Mentors schon fast aussprechen, ohne den üblichen scharfen Stich des Verlustes zu empfinden; aber nur fast. »Was darf es für dich sein, Marten? Die große Meerschaumpfeife? Oder vielleicht die gedrehte aus Wurzelholz …?«

Natürlich durfte es die Meerschaumpfeife sein, und Kim musste zugeben, dass sie dem feisten Kaufherrn mit seiner reichbestickten Weste, die sich an den goldenen Knöpfen spannte, gar nicht so übel stand. Und so, als sie sich auf den niedrigen Stühlen niedergelassen hatten und das Feuer, das im Kamin brannte, seinen goldenen Schein auf die Wände warf, da war es fast ein wenig wie in den alten Zeiten. Kim blickte auf seine eigene Pfeife, aus der sich der Rauch emporkräuselte, und der Feuerschein brach sich in dem Ring an seiner Hand, der plötzlich aufblinkte und dann wieder erlosch. Ihm war, als hörte er wieder über Zeit und Raum hinweg die Stimme Magister Adrions:

»Er wird dich an mich erinnern, wenn die Not am größten ist, und einem jeden einen Weg zu dem Ort öffnen, wo er am meisten gebraucht wird.«

»Ah«, sagte Mart Kreuchauff und stieß einen fetten Rauchring aus. »Weißt du noch, Kim, damals, als wir gemeinsam im Schützengraben lagen, rechts und links die Dornenhecken, vor uns der Feind: Tausende von Dunkelelben, Hunderttausende von Bolgs! Ah, das waren noch Zeiten, wo das Ffolk sich wie ein Mann dem Heer der Finsternis entgegengeworfen hat!«

Kim stellte fest, dass das Heer der Finsternis durch die Erzählungen im Ffolksmund offenbar an Größe erheblich zugenommen hatte, mindestens um den Faktor zehn. Aber auch so war die Erinnerung nicht unbedingt eine, in der er schwelgen konnte. Zu dem Zeitpunkt hatte keiner von ihnen geglaubt, dass sie den morgigen Tag, geschweige denn je wieder eine friedliche Zeit erleben würden.

»Dafür geht es uns heute wieder recht gut«, meinte er. »Das Einzige, was mir jetzt fehlt, wäre ein schönes dunkles Bier. Aber die Bolgs haben die ganzen Vorräte ausgesoffen, als sie Aldswick geplündert haben. Ich könnte dir höchstens einen Tee anbieten … Minztee vielleicht oder Hagebutte …«

»Bemüh dich nicht!«, sagte der Kaufherr. »Ich habe dir etwas anderes mitgebracht, als Gastgeschenk sozusagen. Hol nur Gläser, und du wirst sehen – und schmecken!«

»Frau Meta!«, rief Kim laut. »Bringt zwei Gläser, vom guten Kristall! Und auch eines für Euch!«

Schneller, als er es für möglich gehalten hätte, stand die Gutsfrau mit einem Tablett und drei Gläsern in der Tür, ganz gespannte Aufmerksamkeit. Eines hatte sie mit Marina, seiner ehemaligen Haushälterin, gemein: Sie überhörte nichts – und alles, was sie hörte, lief dann Gefahr, am nächsten Tag in Aldswick zum Stadtgespräch zu werden.

Mart Kreuchauff hob die Braue. »Ist es hier üblich, dass das Personal mit den Herrschaften …«

»Marti«, fauchte die Gutsfrau, »ich habe dich bereits gekannt, als du noch in den Windeln lagst, und ein aufgeblasener Windbeutel warst du damals schon …«

»Gutsfrau Knopff ist kein ›Personal‹, wie du wohl weißt, Marten«, beeilte sich Kim, seine Haushälterin zu verteidigen. »Sie hat einen Hof von mehr als hundert Morgen verwaltet. Ihr Mann ist im Krieg gefallen, und da sie ihren Kindern nicht auf der Tasche liegen will, hat sie aus freien Stücken beschlossen, mir zur Hand zu gehen. Und das bitte ich zu respektieren.«

»Ich werde dich jedenfalls nicht wählen, Marti«, giftete die Gutsfrau.

»Genug!« Kim hob die Hand. »Lassen wir Gevatter Kreuchauff seine Schätze ans Tageslicht bringen.«

Noch ein wenig grummelnd, aber sich dennoch bewusst, dass nun die ganze Aufmerksamkeit ihm galt, zog Marten Kreuchauff etwas aus der Tasche seines weiten Überrocks. Es war eine kleine, bauchige Flasche, kaum größer als eine Handspanne und von so einem stumpfen, altersdunklen Grün, dass man unmöglich feststellen konnte, was sich im Innern verbarg. Sie trug kein Etikett. Der Korken war mit einer dunkelbraunen Substanz versiegelt.

Gutsfrau Meta runzelte die Stirn, als wollte sie sagen: Das sieht aber nicht sehr vielversprechend aus.

Aus der anderen Tasche zauberte der Handelsherr ein Messer mit kurzer Klinge hervor und begann die Versiegelung abzukratzen. Dann drehte er vorsichtig am Korken. Der Korken löste sich mit einem vernehmlichen ›Plopp!‹.

Ein Duft stieg auf, so rein und klar und funkelnd, dass man fast glaubte, ihn sehen zu können. Und mit diesem Duft vergingen alle Ängste und Sorgen. Es war, als sei in dieser Flasche etwas von der Essenz des Sommers eingefangen, das sich nun in den Raum ausbreitete: das Grün der Wiesen, die bunte Vielfalt der Blumen, der Sonnenschein über den Feldern und die wärmende Glut der Reben.

»Preis sei dem Vater«, sprach Kimberon, als der Händler ihm das erste Glas einschenkte.

»… und der Mutter Ehre«, fuhr die Gutsfrau fort, als der goldene Trunk das zweite Glas füllte.

»In Ewigkeit. Amen«, vollendete Kreuchauff das Gebet und goss sich das dritte voll.

Sie tranken schweigend, und Frieden kehrte in ihre Herzen ein.

»Was ist das?«, fragte Kim staunend.

»Sommerwein«, erklärte der Handelsherr. »Von den Südhängen am Unterlauf des Eider. Und sagt nie wieder, man könne den Wein von Elderland nicht trinken.«

»Aber es ist doch gewiss nicht allein der Wein?«, wagte Kim zu vermuten.

»Es sind wohl auch ein paar gute Kräuter aus dem Schatz der Mutter mit dabei«, mutmaßte Frau Meta, »nur bei Vollmond geschnitten, wenn ihre Macht am größten ist.«

»Ich weiß es nicht«, gab Kreuchauff zu. »Aber ich sage euch, wenn ich nur ein Fuder von diesem Wein hätte, was könnte ich damit für ein Geschäft machen! Sagen wir, pro Lögel einen Schilling … oder auch zwei …«

»Mich dünkt, es gibt Dinge, die sind nicht zu verkaufen.«

»Wie wahr, wie wahr«, seufzte der Handelsherr. »Tatsächlich ist die Flasche ein altes Erbstück meiner Familie, und sie war so gut versteckt, dass selbst die plündernden Bolgs sie nicht gefunden haben. Dafür soll der Trank uns jetzt guttun«, und er klopfte sich den feisten Bauch und nahm einen weiteren Schluck.

»Marti«, sägte Kim mit leisem Lächeln, den verhassten Kosenamen des Händlers benutzend, »ich habe den Verdacht, du verbirgst uns etwas.«

Marten Kreuchauff verschluckte sich und musste husten. »Aber wie kommst du … ähem … denn darauf?«, keuchte er, als sich der Anfall gelegt hatte.

»Nun ja«, meinte Kim, »ich kann mir nicht vorstellen, dass du zu allen deinen Wählern gehst, um sie mit den Schätzen deines Weinkellers zu beglücken. Und so sehr ich dich schätze, auf deine Art«, er überhörte geflissentlich das ›Hrmmpf!‹ von Seiten Frau Metas, »so weiß ich doch, dass du selten etwas tust, ohne dass du einen Nutzen darin siehst. Also, was verschafft mir die Ehre deines Besuches? Sprich frei heraus!«

Der Handelsherr war rot geworden. »Nun«, begann er umständlich, »du bist Mitglied des Rates von Elderland, und ich vielleicht bald auch, und da möchte man … wegen der alten Zeiten … und die gutnachbarlichen Beziehungen pflegen … und«, er wand sich, »da ist da noch die Sache mit dem Brief.«

»Ein Brief?« Kim runzelte die Stirn. »Was für ein Brief?«

»Nun ja, vor … ahm … nicht allzu langer Zeit, als ich geschäftlich in Eldermünde zu tun hatte – wegen der Verteilung von Nahrungsmitteln, weißt du; ich kümmere mich nämlich ein bisschen darum, dass alle zu essen haben –, da dachte ich, es sei vielleicht sinnvoll, auch dem Pater einen Besuch abzustatten. Immerhin ist er ja auch Mitglied des Rates, und er ist ein so netter, bescheidener Mann, klug und verständig …«

»Er hat nicht so gut über ihn gesprochen, Herr Kimberon, als die beiden sich das erste Mal begegnet sind«, bemerkte Frau Meta, die dem Kaufherrn immer noch nicht ganz verziehen hatte.

»Wie das?« Kim zog die Brauen hoch. »Ich wusste gar nicht, dass du den Pater schon von früher kennst, Marti.«

Mart war das sichtlich peinlich. »Ach, das ist längst vergessen, dachte ich.«

Doch die Gutsfrau war nicht mehr aufzuhalten. »Damals war Vader Odilon allerdings noch ein Schustermeister aus Eldermünde, und er ist Gevatter Kreuchauff in die Parade gefahren, als der beim Bier im ›Goldenen Pflug‹ über Euch herzog, Herr Kimberon, obwohl er Euch noch gar nicht kannte, und …«

»Genug!«, sagte Kim streng; was ihm etwas schwerfiel, weil er innerlich grinsen musste, als er sah, wie der Kaufherr sich wand. »Lass den Gevatter fortfahren mit seinem Bericht.« Er zog an seiner Pfeife, die ihm fast ausgegangen war, und stieß den Rauch aus. »Was hat es mit diesem Besuch auf sich?«

»Nun denn, als ich und der Pater … ich meine, als Vader Odilon und ich so beim Tee zusammensaßen, da kam dieser Bote. Und da habe ich ihm halt erzählt, wie gut wir beide uns kennen, und mich entboten, ihm den Weg nach Aldswick abzunehmen.«

Kim verstand immer noch nicht so recht. »Was für ein Bote?«

»Ein Bote des Kaisers. Er hatte einen Brief für den Pater und einen weiteren für Juncker Rederich und einen dritten für den Kustos des Ffolksmuseums«, erklärte der Kaufherr.

»Und wo ist jetzt dieser Brief?«

»Oh, ich habe ihn bei mir.« Umständlich nestelte Kreuchauff an seinem Rock und brachte aus diversen Taschen weitere Gegenstände zum Vorschein: ein Schnupftuch mit eingesticktem Monogramm, eine goldene Taschenuhr, eine Geldbörse aus Hirschleder, ein Bündel Quittungen, die mit einer Silberklammer zusammengehalten wurden, und ein fleckiges Stück Pergament.

Kim traute seinen Augen nicht. »Das soll der Brief des Kaisers sein?«

»Seht doch!«, staunte Frau Meta. »Er trägt das Kaiserliche Siegel.« Dem triumphierenden Klang in ihrer Stimme war die Freude darüber anzumerken, was sie morgen auf dem Markt wieder alles zu erzählen haben würde.

Kim drehte den Brief unschlüssig in der Hand. Auf der Rückseite war in einer feinen, geradezu kalligrafischen Handschrift zu lesen: Ad Kimberonum Vitum B. A. Custodem.

Kim schossen die Tränen in die Augen. Er erinnerte sich an einen anderen Brief, den er vor wenigen Monaten erst in Händen gehalten hatte, damals, in Gurick-auf-den-Höhen, die letzte Botschaft Magister Adrion Lerchs. Damals war sein geliebter Freund und Mentor bereits tot gewesen. Doch jener Brief hatte den entscheidenden Hinweis enthalten, der die ganzen Pläne der dunklen Mächte ans Tageslicht brachte.

Und plötzlich hatte Kim wieder ein Gefühl wie in jener schicksalhaften Stunde, als Fabian und er sich entschlossen, das Schicksal des Ffolks in ihre Hände zu nehmen und alles für die letzte, die entscheidende Schlacht vorzubereiten. Es war ein Gefühl, als ob das Rad der Zeit, das stillgestanden hatte, sich jetzt wieder zu drehen begann. Die Geschichte geht weiter, dachte er. Der Weg ist noch nicht zu Ende. Ein neuer Aufbruch, ein neuer Tag, ein Schritt in eine ungewisse Zukunft.

Er drehte den Brief um. Nicht das Siegel Magister Adrions, die Lerche mit der Feder im Schnabel. Dieser Vogel war von edlerem Geblüt: ein Adler mit ausgebreiteten Schwingen. Die Inschrift, die sich um den Rand zog, zeigte die Kaiserliche Titulatur: Fabians V Alexis Imp. R.

In Kim keimte ein schlimmer Verdacht. »Wie lange hast du diesen Brief schon?«

»Nun ja.« Mart Kreuchauff zog die Schultern hoch. »Als ich dann nach Aldswick kam, da gab es so viel zu tun, zu Hause und im Geschäft, und ich musste mich um dieses und jenes kümmern, und der ganze Wiederaufbau der Stadt, du verstehst, und …«

»Wie lange?«

»V-vier Wochen?«

»Vier Wochen?! Du willst mir sagen, du trägst dieses Kaiserliche Sendschreiben seit vier Wochen mit dir herum und hast es schlicht und einfach vergessen?«

Mart Kreuchauff versuchte sich so klein wie möglich zu machen, was bei seinem Leibesumfang ein ziemlich unmögliches Unterfangen war, und sah so unglücklich drein, dass man fast schon wieder Mitleid mit ihm haben konnte.

»Jetzt brecht schon das Siegel, Herr Kimberon«, drängte Frau Meta, »damit wir erfahren, was darin steht!«

Kim verzichtete darauf, sie darauf hinzuweisen, dass der Brief an ihn allein und nicht den ganzen Haushalt gerichtet war; denn ganz gleich, was er tat, der Brief des Kaisers – und die Rolle, die der arme Bürgermeisterkandidat dabei gespielt hatte – würde ohnehin morgen das Stadtgespräch von Aldswick sein. Außerdem war er mindestens ebenso neugierig auf den Inhalt des Schreibens wie Frau Meta.

Also brach er das Siegel und faltete das Pergament auseinander. Die Handschrift war dieselbe wie auf dem Umschlag, offensichtlich die eines Kanzleischreibers: verschnörkelt, doch gestochen scharf zu lesen:

FABIANVS V. ALEXISPatris Matrisque gratia et acclamatione exercitus Humanorum Imperator Rexque futurus ad occasionem coronationis suæ invitat membrum quodlibet Consilii Terræ Aldensis ad Kalendas mensis Imprimis in Urbem Magnæ Aureolis.

Kim sah die drei anderen entgeistert an. Die starrten ebenso entgeistert zurück, wenn auch aus anderen Gründen.

»Und was heißt das?«, konnte sich schließlich Mart Kreuchauff nicht enthalten zu fragen.

»Oh.«

Kim hatte überhaupt nicht daran gedacht, dass er in der Runde der Einzige war, der die alte Sprache der Gelehrten kannte. »Es ist ein ziemlich komplizierter Satz. Aber es heißt so ungefähr: ›Fabian der Fünfte Alexis‹ – das ist sein Nachname oder so was –, ›durch die Gnade des Vaters und der Mutter und den Zuruf des Heeres der Menschen‹ … nein: ›durch die Ausrufung des Heeres Kaiser der Menschen und künftiger König, lädt aus Anlass seiner Krönung jedwedes Mitglied des Rates von Elderland am ersten Tag des Monats Imprimis in die Stadt Magna Aureolis‹ … äh … ›ein‹. Der Monat Imprimis«, fügte er hinzu, »das ist der erste nach dem Kalender der Menschen, aber der dritte nach unserem Kalender, der, den wir Lenzing nennen.«

»Aber – der erste Tag des Lenzmonds, das ist in genau vierzehn Tagen!«, sagte Frau Meta.

»Moment«, sagte Kim, »hier steht noch was.« Die kühne Handschrift war zweifellos die eines anderen Schreibers, und die Botschaft war in der Gemeinsamen Sprache abgefasst: »Aber ich glaube, das ist eher für mich persönlich bestimmt.« Er las es trotzdem vor: »›Lieber Kim: Wenn du kommen kannst, dann mach dich auf die Socken. Allein stehe ich diese endlosen Zeremonien nie durch. Alles Gute, F.‹« Er war sprachlos.

»Eine Einladung zur Krönung des Königs nach Magna Aureolis!«, staunte Mart Kreuchauff, und Frau Meta fügte hinzu: »Aber wieso Krönung? Ich dachte, der Herr Fabian sei längst Kaiser?«

»Kaiser, ja«, erklärte Kim, dem die Frage nach dem historischen Protokoll wieder etwas von seiner Selbstsicherheit zurückgab, »ausgerufen auf dem Schlachtfeld, wie es seit Helmond dem Großen vor tausend Jahren keinem mehr erging. Doch der König wird nach alter Tradition am ersten Tag des Jahres gekrönt. Fabian mag zwar bereits als König herrschen, aber erst mit seiner Krönung wird er vor den Augen des Göttlichen Paares zum Vertreter der Völker der Mittelreiche.«

»Und darum ist es wichtig, dass einer vom Ffolk an dieser Zeremonie teilnimmt«, gab Mart Kreuchauff zu verstehen. »Und das solltest du sein.«

»Aber wieso ich?« Kims Gedanken überschlugen sich. »Ich meine, natürlich würde ich gerne … Aber ich habe noch so viel zu tun! Und die Einladung ging an alle Ratsmitglieder. Sicher, Fabian hat mich persönlich … Doch ich muss mein Buch weiterschreiben, und …« Aber er wusste, dass er sich längst schon entschieden hatte. »Man müsste den Rat einberufen«, schloss er lahm.

»Dafür ist keine Zeit mehr«, erklärte der Kaufherr. »Außerdem«, fuhr er fort, und zählte auf: »Juncker Rederich ist noch ein unmündiger Knabe, und Frau Marina, die Godin, ist außer Landes. Der Pater hat mir erklärt, dass er unabkömmlich ist, solange die Menschen noch unter den Folgen des Krieges leiden. Und der Bürgermeister von Aldswick wird erst in zwei Monaten zum Maifest gewählt …«

»Aber man wird dich wählen«, sagte Kim. »Ganz gleich, was Gutsfrau Metaluna morgen in der Stadt erzählt. In der augenblicklichen Lage brauchen sie jemanden wie dich an der Spitze der Stadtverwaltung, um wieder Ordnung zu schaffen.«

»Um so unabkömmlicher bin ich hier«, meinte Mart Kreuchauff ungewöhnlich ernst. »Auch wenn der Feind vertrieben ist, die Gefahr einer Hungersnot ist noch nicht gebannt. Erst wenn die erste Saat ausgebracht ist und Früchte trägt, können wir wieder aufatmen. Noch sind wir auf die Hilfsgüter angewiesen, die aus dem Imperium zu uns kommen, und irgendjemand muss sie verteilen. Und wenn ich auch kein ganz so großer Held bin, wie ich manchmal behaupte, dafür bin ich zu gebrauchen.«

»Mit anderen Worten«, sagte Kim, »ich bin der Einzige, der hier nicht gebraucht wird. Also gut, ich werde gehen.« Er seufzte. »Ich hatte gehofft, ein wenig ruhige Zeit für meine Studien zu finden. Aber das ist mir wohl nicht vergönnt.« Dann blitzte der Schalk in seinen Augen auf. »Ich gebe zu, es würde mich schon reizen. So als offizieller Vertreter von Elderland …«

»Aber ich fürchte, du musst dich beeilen«, meinte der Kaufherr. Er seufzte. »Es ist alles meine Schuld.«

»Dann, Gevatter Kreuchauff«, ergriff Frau Meta das Kommando, »wird es Zeit, dass ich ein paar notwendige Dinge für Herrn Kimberon zusammenpacke: Socken und dergleichen. Wenn er schon allein reisen muss, soll man wenigstens nicht sagen, dass das Ffolk seinen Vertreter nicht mit dem Lebensnotwendigen ausgestattet hat. Wer weiß, was es in den Ländern der Großen Menschen zu essen gibt und ob unsereins das überhaupt verträgt.«

»Aber … ich dachte, Ihr würdet mich begleiten, wie Marina damals …«

»Herr Kimberon! Ich und in die Fremde ziehen? Dafür bin ich zu alt. Nein, einer muss hier nach dem Rechten sehen, wenn Ihr fort seid. Das schlagt Euch aus dem Kopf!«

»Erlaubt mir«, mischte sich da Marten Kreuchauff ein, »aber vielleicht könnte, um so einen kleinen Teil meines Fehlers wiedergutzumachen, mein Sohn Herrn Kimberon begleiten …«

»Karlo?« Kims Stimme kippte vor Schreck eine Oktav höher. Er kannte den ältesten Sohn des Kaufherrn, für den sein Vater einmal eine große Karriere geplant hatte, noch vom Studium her. Der arme Junge, der für eine solche geistige Tätigkeit nicht geschaffen war, hatte sich mit Schimpf und Schande nach Hause schleichen müssen, trotz des ganzen Reichtums seines Vaters. »Ich glaube nicht, dass er …«

»Papperlapapp! Ich rede nicht von Karlo. Nein, ich spreche von Aldo, meinem Jüngsten. Er ist zwar erst siebzehn, aber sehr anstellig. Er wird dich nicht enttäuschen, Kim.«

Kim seufzte, aber da er sah, wie viel dem Kaufherrn daran lag, gab er schließlich nach. »Nun gut, dann soll er morgen vor Sonnenaufgang hier sein.«

»Und jetzt«, ergriff die Gutsfrau das Wort, »darf ich Euch hinauskomplimentieren, Gevatter Kreuchauff. Wenn unser Herr Kimberon gleich morgen in aller Frühe zu dieser wichtigen Gesandtschaft aufbricht, dann gibt es hier noch einiges zu tun.«

Unter ihren strengen Blicken klopften sie ihre Pfeifen aus und erhoben sich. Kim begleitete seinen Gast zur Tür und half ihm in den Mantel. Dann drückte er dem Kaufherrn stumm die Hand und sah ihm nach, wie er, auf seinen Stock gestützt, zwischen den Häusern verschwand.

Inzwischen war es schon dämmrig geworden. Die Sonne schwamm als rote, elliptisch verzerrte Scheibe am westlichen Himmel, dort, wo sich jenseits der Tiefebene der Eider mit dem Meer vermählte. Und jenseits dieses Meeres, hinter dem Schattengürtel, lag das Reich der Finsternis.

Ob auch sie die Sonne sahen, so wie er, die Dunkelelben und ihre Bolg-Knechte. Was sie wohl dabei dachten? Ob sie wohl einen Blick hatten für die Schönheit der Natur, das ewig wechselnde Spiel der Wolken, die zarte Färbung des Himmels von einem dunklen Azur zu einem leuchtenden Gold. Oder dachten sie nur an Flammen und Blut, an Tod und Verderben – die Dunkelelben zumindest; denn er war sich nicht sicher, ob Bolgs überhaupt dachten.

Vielleicht aber, sagte er sich, lag auch ewige Finsternis über den Ländern des Westens, und die Völker und Wesen, die dort hausten, blickten voll Hass und Begierde auf den blendenden Banngürtel, der sie von den Ländern der bewohnten Welt trennte, den Reichen der Menschen, Elben und Zwerge – und des Ffolks.

Kim schauderte bei dem Gedanken, wie wenig ihn und das Ffolk von der dunklen Macht trennte, die in den Schatten wohnte. Nur ein Band aus Dunkelheit und Licht, ohne Substanz, gewoben aus Symbolen, das, wie jedes Geflecht, eines Tages eine Schwachstelle zeigen würde, an die ihr Weber nicht gedacht hatte und an der das ganze Gewebe aufreißen und zerfasern und vom Wind der Zeit hinweggefegt werden würde, als wäre es nie gewesen.

»Herr Kimberon!«, riss ihn eine keifende Stimme aus seinen Träumen. »Was steht Ihr da und haltet Grillen feil? Soll ich als alte Frau etwa selbst auf den Speicher hinaufsteigen und Eure Taschen herunterschleppen? Könnt Ihr mir nicht wenigstens jetzt ein bisschen zur Hand gehen, wenn Ihr Euch sonst schon um nichts kümmert …?«

»Ich komme, Frau Meta, ich fliege!«, lachte er und eilte in die Küche. In einem Anfall von Überschwang nahm er sie in die Arme und wirbelte sie herum, ehe er sie wieder absetzte. »Ach, es ist schön, dass es wieder fortgeht. Hinaus in die große, weite Welt.«

Sie sah ihn einen Augenblick mit einer fast mütterlichen Zuneigung an. »Am besten ist es immer noch daheim, wie der selige Gevatter Knopff immer gesagt hat.« Dann runzelt sie die Stirn. »Und jetzt: die Koffer!«

In dieser Nacht hatte Kim einen Traum.

Er hatte lange nicht mehr geträumt; nicht jene Art von Träumen, die einem etwas Wahres sagen, auch wenn man es zunächst nicht erkennt. Aber er wusste sofort, dass dies solch eine Art von Traum war, und er bemühte sich, alles genau in sich aufzunehmen, doch während er noch träumte, begannen die Bilder ihm bereits zu entgleiten.

Das Bild von einem Hang, den er hochkletterte, endlos, bis ihm die Hände bluteten …

Das Bild von einem blassen, viel zu bleichen Gesicht, umgeben von hellem, schweißnassem Haar, vor schwarzer, verbrannter Erde. Es war jung, so schrecklich jung. Ein Blutfaden lief ihm aus dem Mund …

Und von der Feste des Feindes, schwarz, mächtig, Mauer um Mauer, Zinne um dreigelappte Zinne, bis zum höchsten Turm. Und auf diesem Turm da stand Einer, und dieser Eine trug etwas in der Hand, etwas, das den Betrachter unwiderstehlich herbeizwang, und wenn er in den Blick dieser Macht geriet, dann würde alles, für das er gekämpft, alles, wofür das ganze Ffolk gelebt und gelitten hatte, vergebens sein, und er wusste, im nächsten Moment würde der Blick ihn treffen, und das feurige Rad in der Finsternis würde ihn zu Asche verbrennen …

»Herr Kimberon! Um der gütigen Mutter willen, was ist mit Euch. Herr Kimberon! Kim! So wach doch auf!«

Kim saß schweißgebadet in seinem Bett, die Augen weit aufgerissen. Vor ihm stand mit wogendem Busen Frau Meta im Nachtgewand, eine Kerze in der Hand.

Kim schüttelte den Kopf. »W-was ist los?« Seine Zunge lag ihm wie ein trockenes Stück Fleisch im Mund. »Was ist geschehen?«

»Ihr habt geschrien«, sagte sie, wie um dem Offensichtlichen Ausdruck zu geben. »Habt Ihr Fieber?« Sie trat näher und legte ihm die Hand auf die Stirn. »Ihr seid ja eiskalt.«

»H-habe ich irgendetwas gesagt?«

Sie schaute ihn misstrauisch an. »Ihr habt etwas gerufen, etwas von ›dreigelappten Zinnen‹ und von einem ›feurigen Rad in der Finsternis‹.«

»Ich kann mich an nichts mehr erinnern.«

Frau Meta runzelte die Brauen, verfolgte das Thema aber nicht weiter. »Jetzt schlaft. Ihr habt morgen eine lange Reise vor Euch.«

Damit wandte sie sich um und ging mit brennender Kerze hinaus, gleich einem Gespenst, das die armen Hinterbliebenen in Vollmondnächten heimsucht. Als sie die Tür hinter sich schloss, wurde es schlagartig dunkel im Raum.

Doch Kim konnte nicht mehr schlafen. Der fahle Schein der falschen Dämmerung, die dem richtigen Sonnenaufgang vorausgeht, drang durch die Butzenscheiben der Fenster, und als seine Augen sich an das Zwielicht gewöhnt hatten, schlug er die Decke zurück und stand auf. Er zog sich seinen Schlafrock über, öffnete die Tür zum Korridor und spähte um die Ecke. Von Frau Meta war nichts mehr zu sehen. Vorsichtig, um nur ja kein Geräusch zu verursachen, schlich er die hölzerne Stiege zum Obergeschoss hinauf.

Die Studierstube lag so da, wie er sie zurückgelassen hatte. Für den uneingeweihten Betrachter sah das alles nach einem einzigen großen Chaos aus, aber für Kim war jeder Gegenstand an seinem Ort. Für das, was er suchte, brauchte er nicht mehr Licht, als ihm zur Verfügung stand. Denn eines hatte er noch zu tun, bevor er aufbrach. Es war keine heilige Handlung, aber eine, die mit sehr vielen schmerzhaften Entscheidungen einherging und die einer sorgfältigen Planung bedurfte.

Er hatte bereits früher einmal den Fehler gemacht, ohne ein Buch auf die Reise zu gehen. Das sollte ihm diesmal nicht passieren.

Poch – Poch – Poch!

Die Schläge dröhnten in der morgendlichen Stille durch das ganze Haus.

Ein eisiger Schreck durchfuhr Kim. Wenn Frau Meta das hörte, würde sie aufschrecken und zur Tür eilen, und dann gnade der Herr der Untererde dem Unglückseligen, der da Einlass begehrte.

Er schnappte sich das erstbeste Buch, das ihm in die Finger kam, und raste die Treppe hinunter, wobei er die letzten vier Stufen im Sprung nahm. Keuchend erreichte er die Diele und riss die Haustür auf.

Der junge Bursche, der vor der Tür stand und gerade erneut dagegen pochen wollte, brachte seine Fingerknöchel eine Handbreit vor Kims Stirn unter Kontrolle.

»Einen schönen Guten Morgen!«, sagte er fröhlich.

»M-morgen«, brachte Kim nur entgeistert hervor. Dann dämmerte es ihm. »Du musst Aldo sein, Mart Kreuchauffs Sohn.«

»Zu Diensten«, sagte der Junge und zupfte an seiner Stirnlocke. Er grinste über beide Wangen, als mache es ihm überhaupt nichts aus, zu so früher Morgenstunde bereits auf den Beinen zu sein. Er hatte die untersetzte Statur seines Vaters, aber die roten Haare und die Sommersprossen konnte er nur von seiner Mutter geerbt haben, ebenso wie die fröhliche Natur. »Ich bin hier, um zu packen.«

»Zu … packen?« Kim wusste immer noch nicht ganz, wie ihm geschah. »Aber was …?«

»Nun ja, das hier!«

Kim blickte sich um. In der Diele sah es aus, als plane jemand einen größeren Umzug. Da stand nicht nur ein großer Lederkoffer mit metallverstärkten Ecken, sondern daneben noch ein schwerer Rucksack, eine Kiste mit allen möglichen Gerätschaften vom Kochgeschirr bis zu einer Handaxt zum Holzhacken, dazu ein riesiger Picknickkorb mit Deckel, aus Weidenruten geflochten, sowie Decken und Mäntel und selbst ein Reisezelt mit Stangen, sorgsam zu einem Bündel verschnürt. Frau Meta hatte offensichtlich noch bis spät in die Nacht gewirkt.

»Aber wie sollen wir das alles tragen?«, stöhnte Kim.

»Kein Problem«, erklärte Aldo. »Dafür haben wir Alexis.« Er warf einen Blick über die Schulter. »Komm schon, Alex! Er ist manchmal ein bisschen störrisch, müsst Ihr wissen, aber sonst ein ganz gutmütiger Kerl.«

In Kims Blickfeld trottete der traurigste Esel, den er je in seinem Leben gesehen hatte. Er zog einen kleinen Wagen hinter sich her, der von einer Plane überdacht war.

»Die Bolgs haben unsere ganzen Ponys geschlachtet«, fuhr Aldo fort, »aber ihn haben sie übersehen. Und mein Vater meinte, dass er auf der Reise nützlicher wäre, als wenn er immer nur im Stall steht und Hafer frisst.«

Gevatter Kreuchauff schaffte es anscheinend immer, seinen Vorteil zu finden, selbst wenn er jemandem einen Gefallen tat. Dennoch war Kim froh über das Zugtier und das Gefährt.

»Und jetzt«, meinte Aldo, »während ich das Gepäck verstaue, wäre eine gute Gelegenheit für Euch, Herr Kimberon, sich anzukleiden.« Kim schaute an sich herab und stellte fest, dass er immer noch seinen Schlafrock trug. »Und dann werde ich uns ein Frühstück machen.«

Und so, nach einem guten Frühstück, bestehend aus Tee und Früchtebrot und Frau Metas bester Quittenmarmelade, machten sie sich, begleitet von den besten Ermahnungen der Gutsfrau, auf ihre große Fahrt.

Ihr Weg führte vorbei an den alten Lagerhäusern und über den Marktplatz von Aldswick. Es war immer noch früher Morgen, und das Leben in den Häusern und Gassen begann erst zu erwachen. Die Häuser der Stadt waren noch gezeichnet von den Spuren des Krieges; brandgeschwärzte Mauern und verschalte Fenster zeugten von den Verheerungen, welche die Truppen der Besatzer angerichtet hatten. Doch zwischen den verkohlten Hölzern fanden sich schon neu zugehauene Balken und frisch verputztes Mauerwerk. Von irgendwoher erklang Kinderlachen. In den Tagen nach dem Krieg hatte Kim einmal eine Gruppe Kinder dabei ertappt, wie sie mit einem Bolg-Schädel Fußball spielten. Damals hatte er sie angebrüllt, was sie sich denn dabei dächten, aber sie hatten ihn nur aus dunklen, traurigen Augen angesehen. Da hatte er sich umgedreht und geweint. Jetzt hatten sie anderes, besseres Spielzeug, das für Kinder gemacht war.

»Das Leben geht weiter«, sagte er, mehr zu sich selbst. Aldo, der die Zügel hielt, schaute ihn von der Seite an, als habe er etwas unendlich Tiefsinniges und Weises von sich gegeben, wie es einem alten Gevatter zustand. Dabei, stellte Kim fest, war der Bursche allenfalls sechs oder sieben Jahre jünger als er.

Sie überquerten den Ander auf der steinernen Brücke oberhalb der Stelle, wo der Fluss sich mit dem Eider vereinte, und folgten der befestigten Straße, welche sich in einem langen Bogen am Unterlauf des Eider entlang südwärts wandte, der Küste zu. Auf dem gut ausgebauten Fahrweg kamen sie rasch voran.

Kim erinnerte sich, wie er das erste Mal nach Süden gezogen war, in Begleitung Magister Adrions. Damals war er selbst noch ein junger Bursche gewesen, nicht älter als Aldo hier, auf dem Weg nach Allathurion, der großen Universität im Land der Menschen. Damals hatte er mit staunenden Augen in eine Welt geblickt, in der alles für ihn fremd und einschüchternd gewesen war. Doch sein junger Gefährte schien das alles mit weit mehr Gelassenheit hinzunehmen als er selbst.

»Wie wär’s mit einem Lied?«, fragte Aldo frohgemut.

»Warum nicht?« Die Sonne schien, die augenblicklichen Sorgen lagen hinter ihnen, der Weg war frei, und die Zukunft hatte gerade erst begonnen. »Kennst du ›Wer jetzig Zeiten wandern will‹?«

»Ein Wanderlied? Wollt Ihr zu Fuß gehen? Aber ich kenne eins von einem Weg.«

Er begann mit einer munteren, klaren Stimme zu singen:

»Der Weg führt immer fort und fortJetzt wie zu allen Zeiten.Er führt von einem festen OrtIn unbekannte Weiten,

Und hinter jedem Hügel rundScheint auf ein neues Bild,Das uns mit neuer Freude undMit frischer Kraft erfüllt.

Das Gestern hinter uns entweicht,Das Morgen liegt voraus,Und wenn der Weg sein Ziel erreicht,Dann kommen wir nach Haus.«

Er grinste. »Keine große Dichtung, aber für den Zweck reicht’s.«

»Mir gefällt es«, meinte Kim. »Besonders der Teil, wo es wieder nach Hause geht.«

Im offenen Tiefland, unter dem weiten Himmel, kam er sich seltsam preisgegeben und schutzlos vor. Sie begegneten nur wenigen anderen Fuhrwerken und hie und da einem einsamen Wanderer, einem reisenden Händler mit einer Kiepe auf dem Rücken oder einem Schafhirten mit seiner Herde.

Das Wetter hielt sich gut, nur der Wind wurde böig und flatterte in der Plane des Karrens. Am Mittag machten sie Rast an einem Bachlauf, der sich unterhalb der Straße seinen Weg zum Eider suchte. Von hier aus konnte man weit in der Ferne das glänzende Band des Flusses sehen und dahinter, in der Bläue des Himmels verloren, die Ausläufer des nördlichen Vorgebirges.

»Dort sind die Schiffe der Feinde gelandet«, sagte Kim und wies mit dem Finger, »als das dunkle Heer in unser Land eindrang.«

»Ihr wart von Anfang an dabei, nicht wahr?«, fragte Aldo.

»Nicht selber. Gilfalas, der Sohn des Elbenkönigs, hat sie gesehen, von der alten Ruine auf dem Hügelkamm aus. Man hat ihn bis Aldswick durchs Land gejagt; doch es hatte das Gute, dass er uns rechtzeitig Warnung geben konnte. So hat alles angefangen. Und wie es geendet hat, weißt du selbst.«

»Ich möchte so gerne mal einen Elben sehen«, meinte Aldo sehnsüchtig. »Ich bin noch nie einem begegnet. Wisst Ihr, wo er jetzt ist, Euer Freund?«

»Das Letzte, was ich weiß«, sagte Kim, »ist, dass er in seine Heimat zurückgekehrt ist, wie auch Burin – ich meine Burorin, wie er als Zwergenfürst jetzt heißt. Aber vielleicht, wenn wir Glück haben, siehst du sie in Magna Aureolis bei der Krönung.«

Als der Wind weiter auffrischte, packten sie ihren Essenskorb wieder ein und fuhren weiter.

Am Nachmittag drehte der Wind; er kam jetzt von Westen her und brachte den salzigen Geruch des Meeres mit sich.

»Es könnte Nebel geben«, sagte Kim mit einem prüfenden Blick auf die Sonne. »Wenn das Land aufgeheizt ist und das Meer eine kalte Strömung mit sich bringt, trägt der Wind oft den Dunst meilenweit ins Land. Das könnte unangenehm werden.«

Doch seine Bemerkung von vorhin hatte nun wohl die Schleusen von Aldos Neugierde geöffnet.

»Wie war das, als Ihr das letzte Mal hier durchgekommen seid?«, fragte er. »Mit dem Elbenprinzen und dem Zwergenfürsten und mit Herrn Fabian – dem Kaiser?«

Aus dem Blick sprach so viel unverhohlene Heldenverehrung, dass Kim sich verpflichtet fühlte, dem einen Dämpfer aufzusetzen. »Nun, damals war er noch nicht Kaiser. Und es war mehr eine Flucht als eine Reise, und vor allem war es nass. Es hat die ganze Zeit geregnet, und ich wundere mich heute noch, dass ich keinen Schnupfen gekriegt habe. Ein Marsch bei Regen und Wind mit ungewissem Ziel, von Bolgs und Dunkelelben gejagt, unter dem Schatten des Krieges – wenn es das ist, was du dir als ein großes Abenteuer vorstellst, dann war es eines.«

Doch der Junge ließ sich nicht unterkriegen. »Ich wäre trotzdem gern dabei gewesen. Ich habe die Bolgs gesehen«, fuhr er eifrig fort, »damals, in Aldswick. Obwohl – von Bolgs gejagt zu werden, das stelle ich mir schlimm vor. Was würdet Ihr tun, wenn hier eine Horde Bolgs auftauchen würde? Würdet Ihr kämpfen, mit Eurem Schwert?« Sein Blick ging zu der Waffe, die Kim in einer abgewetzten Scheide an seinem Gürtel trug.

»Kämpfen? Mit meinem Knipper hier?« Kim zog die Klinge aus der Scheide. »Für einen Ffolksmann ist es ein Schwert, für einen Bolg das größte Küchenmesser der Welt. Ich glaube nicht, dass ich damit viel ausrichten könnte. Eher würde ich wohl unseren grauen Freund hier den Bolgs zum Fraß vorwerfen und das Weite suchen.«

Der Esel warf ihm einen bitterbösen Blick über die Schulter zu, als hätte er verstanden. Kim steckte das Kurzschwert wieder weg.

»Ich frage mich sowieso, was aus den ganzen Bolgs geworden ist«, meinte Aldo. »Sie können doch nicht alle in der Schlacht gestorben sein. Es würde mich nicht wundern, wenn einige noch hier herumlungern.«

»Es war ausgemacht, dass die Legionen des Kaisers die Küstenstraße sichern sollten. Aber bislang ist uns noch keine Patrouille begegnet. Nun, was nicht ist, kann ja noch werden.«

Doch an diesem Nachmittag begegneten sie niemandem mehr, keinem Ffolksmann, geschweige denn einem Menschen. Die Sonne verhüllte ihr Gesicht hinter einem Dunstschleier, und in der gedämpften Helle lag das ganze Land da, als bewege sich nichts mehr darin. Gewiss, die großen Landgüter lagen ostwärts weitab von der Straße, aber dass sie auf gar keine lebende Seele mehr trafen, machte Kim die Sache allmählich ein wenig unheimlich. Er bemühte sich, dies vor seinem jungen Begleiter zu verbergen, und machte keine Bemerkungen mehr über Bolgs oder dergleichen.

Am Abend schlugen sie ihr Lager in einem kleinen Gehölz auf, südlich der Stelle, wo der Weg Richtung Winder abzweigte.

Aldo erwies sich als sehr geschickt, als es darum ging, das Zelt aufzubauen, was Kim ohne fremde Hilfe nie zu Stande gebracht hätte. Dann errichtete er ein kleines Lagerfeuer, und bald schon brodelte Wasser in einem Kessel.

»Du bist sehr geschickt in praktischen Dingen«, bemerkte Kim, als sie, gesättigt aus dem schier unerschöpflichen Fundus von Frau Metas Picknickkorb und gewärmt von einem Becher Tee, den Kim aus einer Branntweinflasche zusätzlich gewürzt hatte, am Feuer saßen.

»Das hat mir alles Karlo beigebracht, mein Bruder«, erklärte Aldo.

»Karlo?« Kim hatte den ältesten Sohn Mart Kreuchauffs immer nur als einen tumben Klotz in Erinnerung, der für nichts zu gebrauchen war. »Ich wusste gar nicht, dass er so was kann.«

»Oh, er ist sehr begabt in allem, was er mit den Händen tun kann. Nur reden kann er nicht – oder mit Zahlen umgehen. Aber Vater wollte unbedingt einen Kaufherrn aus ihm machen.«

Langsam verstand Kim. »Das ist schade, wenn Väter nicht einsehen, dass ihre Kinder nicht so sein können wie sie.«

»Inzwischen hat er es eingesehen. Karlo arbeitet jetzt als Knecht bei einem großen Bauern im Zwickel. Der alte Ohm hat ein Bein im Krieg verloren, darum kann er nicht mehr arbeiten. Außerdem ist er fast taub. So macht es ihm nichts aus, dass Karlo wenig redet. Und arbeiten, das kann Karlo. Vielleicht vermacht Ohm Hinner ihm eines Tages sogar den Hof; wer weiß?«

Kim lächelte still in sich hinein. »Der alte Ohm Hinner!«

»Ihr kennt ihn?«

»Gewiss. Der beste Armbrustschütze der Ffolkswehr. Ein Held vom Haag, wie dein Vater. Und was ist dein Ziel im Leben, mein Junge?«

Aldo zuckte die Schultern. »Ich kann von allem ein bisschen. Vielleicht werde ich Händler, wie mein Vater. Aber lieber würde ich etwas ganz Neues machen: etwas entdecken, neue Länder erobern, dorthin gehen, wo noch kein Ffolksmann zuvor gewesen ist …«

Kim trank seinen Tee aus. »Der heilige Vater erhalte dir deine Träume, Junge. Und jetzt zu Bett! Wir haben noch einen weiten Weg vor uns.«

Doch trotz seiner Müdigkeit fand Kim lange keinen Schlaf. Während sein Begleiter schon friedlich und fest schlummerte, lauschte er dem Wind, der an den Zeltplanen zerrte. Irgendwo heulte ein Hund, wie eine verlorene Seele, und Kim erinnerte sich mit Schaudern an die Schattenhunde des dunklen Feindes, die einem die Seele aussaugten, wie die Legende ging. Doch was war in diesem Land Wirklichkeit, was Legende?

Irgendwann fiel er doch in einen unruhigen Schlaf. Und wieder träumte er, träumte dieselben Bilder wie vordem. Doch diesmal sah er klar:

Er stieg einen steilen Felshang empor. Um ihn nichts als kahler Stein, schroff und zerschrunden, auf dem nichts wuchs, kein Kraut, keine Blume. Voraus, über ihm, wie von einem Messer abgeschnitten, bog sich der Fels außer Sicht, und darüber dräute ein dunkler, konturloser, wolkenverhangener Himmel. Er kletterte und kletterte, bis ihm die Hände bluteten, doch der Horizont kam nicht näher, so sehr er sich auch abmühte.