Die Ringe der Macht - Helmut W. Pesch - E-Book
SONDERANGEBOT

Die Ringe der Macht E-Book

Helmut W. Pesch

0,0
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

In uralten Zeiten schuf der Elbenfürst sieben Ringe der Macht.

Drei gab er den Menschenkindern, dass sie die Mittelreiche nach ihrem Belieben durchstreifen. Zwei haben die Zwergenmeister in ihrer Hut, die die Tore der Unterwelt bewachen. Einer ist an der Hand des hohen Elbenfürsten selbst.

Von dem siebenten Ring weiß keiner.

Abgeschieden von der übrigen Welt, umschlossen von Meer und Bergen, liegt Elderland, die Heimat des friedfertigen Ffolks. Das Ffolk ist stolz auf seine Geschichte und hortet im großen Museum zu Aldswick viele seltene und kuriose Dinge aus alten Zeiten - und seit Kurzem bekleidet der junge Kimberon Veit das wichtige Amt des Museums-Kustos.

Als die Schatten der Vergangenheit sich auf das Land legen und eine Gefahr heraufzieht, die alle schon längst gebannt glaubten, treten lange vergessene Geheimnisse ans Licht. Das Schicksal des ganzen Imperiums lastet auf einer kleinen Gruppe treuer Freunde, die zu einer abenteuerlichen Reise aufbrechen. Ihre Suche nach den sieben Ringen der Macht führt sie bis an die Grenzen der Welt, zum Anfang und zum Ende der Zeit.

"Tolkien-Experte Helmut W. Pesch und sein Co-Autor Horst von Allwörden haben mehr als eine Hommage an ihr großes Vorbild abgeliefert. Auf den Leser warten einige Überraschungen ..." (Wolfgang Hohlbein)

"Eine High-Fantasy der feinsten Art, die keinen Vergleich mit anderen, ähnlich gelagerten Tolkien-Pastiches zu scheuen braucht, sondern im Gegenteil die meisten von diesen locker in die Tasche steckt." (Hermann Urbanek, Space View)

Klassische Fantasy für alle Leser von J.R.R. Tolkiens DER HOBBIT und DER HERR DER RINGE und Fans von Völker-Fantasy wie DIE ZWERGE und DIE ELFEN. Die Elderland-Saga wird fortgesetzt in "Die Herren der Zeit".

eBooks von beTHRILLED - spannungsgeladene Unterhaltung.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 616

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Karte

Die Gestalt der Welt

Kapitel I – ALTE FREUNDE

Kapitel II – AUFBRUCH

Kapitel III – ZWISCHEN FEUER UND WASSER

Kapitel IV – ÜBER STOCK UND STEIN

Kapitel V – ÜBER FELS UND EIS UND DARÜBER HINAUS

Kapitel VI – DIE HUNDE DER NACHT

Kapitel VII – DER FÜRST DER ÜBERWELT

Kapitel VIII – IN DEN HALLEN DER ZWERGE

Kapitel IX – DAS BUCH DER GNOME

Kapitel X – SCHATTEN ÜBER ELDERLAND

Kapitel XI – MEISTER DER UNTERERDE

Kapitel XII – DIE LETZTE SCHLACHT

Kapitel XIII – DER SIEBENTE RING

Anhang

Über die Autoren

Weitere Titel der Autoren

Impressum

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

vielen Dank, dass du dich für ein Buch von beTHRILLED entschieden hast. Damit du mit jedem unserer Krimis und Thriller spannende Lesestunden genießen kannst, haben wir die Bücher in unserem Programm sorgfältig ausgewählt und lektoriert.

Wir freuen uns, wenn du Teil der beTHRILLED-Community werden und dich mit uns und anderen Krimi-Fans austauschen möchtest. Du findest uns unter be-thrilled.de oder auf Instagram und Facebook.

Du möchtest nie wieder neue Bücher aus unserem Programm, Gewinnspiele und Preis-Aktionen verpassen? Dann melde dich auf be-thrilled.de/newsletter für unseren kostenlosen Newsletter an.

Spannende Lesestunden und viel Spaß beim Miträtseln!

Dein beTHRILLED-Team

Über dieses Buch

In uralten Zeiten schuf der Elbenfürst sieben Ringe der Macht.

Drei gab er den Menschenkindern, dass sie die Mittelreiche nach ihrem Belieben durchstreifen. Zwei haben die Zwergenmeister in ihrer Hut, die die Tore der Unterwelt bewachen. Einer ist an der Hand des hohen Elbenfürsten selbst.

Von dem siebenten Ring weiß keiner.

Abgeschieden von der übrigen Welt, umschlossen von Meer und Bergen, liegt Elderland, die Heimat des friedfertigen Ffolks. Das Ffolk ist stolz auf seine Geschichte und hortet im großen Museum zu Aldswick viele seltene und kuriose Dinge aus alten Zeiten. Doch als die Schatten der Vergangenheit sich auf das Land legen und eine Gefahr heraufzieht, die alle schon längst gebannt glaubten, treten Geheimnisse ans Licht, von denen niemand etwas ahnte. Das Schicksal des ganzen Imperiums lastet auf einer kleinen Gruppe treuer Freunde, die zu einer abenteuerlichen Reise aufbrechen. Ihre Suche nach den sieben Ringen der Macht führt sie bis an die Grenzen der Welt, zum Anfang und zum Ende der Zeit.

»Tolkien-Experte Helmut W. Pesch und sein Co-Autor Horst von Allwörden haben mehr als eine Hommage an ihr großes Vorbild abgeliefert. Auf den Leser warten einige Überraschungen …« (Wolfgang Hohlbein)

»Eine High-Fantasy der feinsten Art, die keinen Vergleich mit anderen, ähnlich gelagerten Tolkien-Pastiches zu scheuen braucht, sondern im Gegenteil die meisten von diesen locker in die Tasche steckt.« (Hermann Urbanek, Space View)

Helmut W. PeschHorst von Allwörden

DIE RINGEDER MACHT

DIE ELDERLAND-SAGA I

Fantasy

In uralten Zeiten schuf der Elbenfürstsieben Ringe der Macht

Drei gab er den Menschenkindern, dass siedie Mittelreiche nach ihrem Belieben durchstreiften.Zwei haben die Zwergenmeister in ihrer Hut,die die Tore der Untererde bewachen.Einer ist an der Hand des Hohen Elbenfürsten selbst,der die Überwelt regiert.

Die Gestalt der Welt

Die Welt, wie wir sie kennen, ist in drei Ebenen gegliedert:

In der Überwelt herrscht der hohe Elbenfürst über das Volk der Elben. Die Eloai, die Erweckten, wie sie selbst sich nennen, sind schön, jugendlich und werden niemals altern. Sie pflegen der Liebe als eines höfischen Spiels, aber ihre Bemühungen werden nie über dieses Stadium hinauskommen. Die Elben sind niemals geboren; sie wurden eines Tages an den Wassern des Erwachens ins Sein gerufen, als der Gott in Gestalt eines Jünglings seiner Braut, der Herrin, begegnete.

In der Vergangenheit haben die Elben eine Brücke zu den Mittelreichen geschlagen und dort Fuß gefasst. Dabei ist in ihnen ein unbändiges Verlangen erwachsen, Anteil am Leben zu gewinnen. Einige der Elben, die im Mittelreich verblieben, sind Verbindungen mit den Menschen eingegangen und dabei selbst halb menschlich geworden; dies sind die Waldelben, die immer noch ein besonderes Verhältnis zu allem haben, was jung und frisch in der Natur erblüht. Andere, die sich geweigert haben, dem Ruf zu folgen, wurden zu den Schattenelben; sie leben fern im Westen, jenseits des Banngürtels, und planen immer noch die Eroberung der Welt. Als der Elbenfürst dies erkannte, schloss er das Tor zur Überwelt durch die Macht seines Ringes.

Die Mittelreiche sind die Welt der Menschen, die es in allen Farben und Schattierungen gibt, und zugleich der umkämpfte Grund, auf dem sich alle Wesen tummeln. Das größte Staatswesen ist das Imperium Humanum, in dessen Hauptstadt Magna Aureolis seit fast tausend Jahren der Kaiser regiert.

Es steht im Konflikt mit den Reichen des Ostens und Südens und unter der immerwährenden Drohung des dunklen Reiches der Schattenelben jenseits des Westmeeres; doch von dort hat man seit vielen Jahrhunderten nichts mehr gehört.

Das Imperium ist eine feudale Gesellschaft mit einer humanistischen Lebensauffassung. Die Wissenschaft, die an Kollegien im ganzen Land gelehrt wird und an der großen Universität von Allathurion, ist frei; Ketzerei gibt es nicht. Religion spielt im täglichen Leben und im Jahreslauf eine wichtige Rolle, doch im Gegensatz zu intoleranteren Religionen anderer Länder wurden hier Exzesse seit Jahren dadurch gemildert, dass der Verehrung eines männlichen Gottes, genannt der ›Vater‹, die einer Göttin, der ›Mutter‹, gleichberechtigt gegenübersteht.

Die Untererde ist das düstere Reich der Zwerge. Sie wurden geschaffen, nicht gezeugt, von dem Meister, der zugleich ihr Gott ist, gemeinsam mit der Meisterin, seinem weiblichen Gegenstück. Die ersten ihrer Geschöpfe sind die drei Brüder, die man als Bregi, Fregi und Gregi kennt, wenngleich ihre wirklichen Namen viel länger sind; denn die Bedeutung eines Zwergen misst sich an der Länge seines Namens. Dass sie niemals geboren wurden, empfinden sie als einen Fluch, und darum sprengten die drei eines Tages die Tore der Untererde und drangen mit ihrem Gefolge in die Mittelreiche vor. Dort zerstreuten sich die Zwerge, um sich ihre eigenen Reiche zu schaffen, meist im Inneren der Berge; denn sie fühlen sich nur wohl, wenn sie von festen Wänden umgeben sind. Hier in diesem Bereich können die Zwerge, die an sich geschlechtslos sind, auch Kinder zeugen, mit Menschenfrauen, die sie sich zunächst durch Geschenke gefügig machten; doch es gibt auch jene, welche die Sicherheit schätzen, welche die Zwerge ihnen bieten.

Damit ihr Volk sich nicht völlig zerstreute, beschlossen Bregi und Gregi, die Tore zur Untererde wieder zu schließen, mit der Macht der Ringe, die ihnen zuteil geworden war. Doch wie viele von den Zwergen seinerzeit zurückgeblieben und wie viele zurückgegangen sind und was aus ihnen geworden ist, entzieht sich der Kenntnis der Gelehrten. Es heißt, das Verlangen nach Leben sei in den Zwergen nie erloschen und eines Tages würden sie wiederkehren.

Es heißt aber in den Schriften des Magisters Athanasios von Nola, dass all diese Welten ein und dieselbe seien, in drei verschiedenen Stadien der Existenz: Jugend, Reife und Alter, und dass wir alle der Überwelt entsprängen, um am Ende aller Tage in die Untererde zu gelangen, so wie der Mensch aus der Liebe geboren wird und im Tode ins Grab sinkt. Doch ob dies wahr ist oder nur ein Bild, wissen nur der Vater und die Mutter allein.

Aus der verbotenen Mundorum Theoria Sacra des Queribus Thrax, in den geheimen Archiven der Universität zu Allathurion.

KAPITEL IALTE FREUNDE

Als Magister Adrion Lerch, der Kustos des Ffolksmuseums von Elderland, bekanntgab, dass er zum fünfzigsten Jahrestag seines Wirkens das Amt an einen Jüngeren abzugeben gedenke, schwirrte die Luft auf dem großen Markt zu Aldswick von Gerüchten. Die Leute standen an den Straßenecken, saßen in den Gasthäusern und Bierstuben, und alle Gespräche kreisten nur um ein Thema.

Magister Adrion hätte sich keinen besseren Augenblick für seine Ankündigung aussuchen können als den letzten Tag des alljährlichen dreitägigen Hökerns und Handelns auf dem Marktplatz von Aldswick und in den umliegenden Straßen und Gassen. Gleichzeitig hatte der Magister nämlich seinen Nachfolger benannt, und eben diese Berufung sorgte für das meiste Gerede in der Stadt und wohl bald auch im ganzen Land; denn die zahlreichen Händler, Marktbeschicker, Spielleute und Besucher des Jahrmarktes würden diese bedeutsame Nachricht wie ein Lauffeuer verbreiten. Immerhin hatte Adrion Lerch keinen seiner treuen Gehilfen erwählt, wie man es über die Jahre hinweg allgemein erwartet hatte.

»Wer ist dieser Kimberon Veit?«, knurrte der alte Ohm Hinner, ein großer Bauer aus dem Zwickel, dem Landstrich zwischen dem Anderfluss und Gurick-auf-den-Höhen. »Der stammt aber nicht von hier, oder?«

»Sagt mir nichts gegen den jungen Kim!«, verwahrte sich Gutsfrau Metaluna Knopff laut. Sie musste schreien, weil der alte Ohm inzwischen fast taub war. »Er stammt aus einer alten Familie aus dem Plattland, und es ist nicht seine Schuld, dass seine Eltern bei der großen Flut vor zwölf Jahren ums Leben kamen.«

»Aber so einen jungen Spund in dieses wichtige Amt zu berufen …«, ließ der Alte nicht locker.

»Und wie alt ist Magister Adrion?«

»Hm. Mein Jahrgang. Zweiundsiebzig. Wieso?«

»Dann war er auch nicht viel älter, als er sein Amt antrat!«, erklärte die Gutsfrau triumphierend. »Und jetzt gebt mir zehn Pfund von den grünen Bohnen. Aber denkt dran: Ich kann besser rechnen als Ihr …«

Dass der Magister ausgerechnet den jungen Veit in das Amt des Kustos berief, hatte einige der Honoratioren des Ortes dazu veranlasst, flugs in das Museum zu eilen. Jeden von ihnen hatte Adrion Lerch höflich und nett, aber unnachgiebig aus seinen Amtsräumen komplimentiert. Dabei hatte er immer wieder betont, dass die Regelung der Nachfolge allein ihm obliege, solange er das Amt lebend und bei voller geistiger Gesundheit aufgebe, und Letzteres – geschweige gar Ersteres – wolle wohl niemand ernstlich bestreiten. Nein, er fühle sich so wohl wie lange nicht mehr und gedenke nun den Rest seiner Tage so angenehm wie möglich von der bescheidenen Pension zu leben, die der Rat von Elderland ihm zugestehe. Dann hatte er lächelnd die Tür hinter dem besorgten Mitbürger geschlossen. Und bei so manchem war er sich wohl bewusst, dass diese um das Wohl des Landes ringende Person weniger die Hoffnungen altgedienter Gehilfen, geschweige denn den Nutzen der Gemeinschaft im Sinn hatte, sondern eher den eigenen Sohn oder Vetter in das Amt zu hieven gedachte.

Man mag sich fragen, wieso ein so kleines Land überhaupt ein Museum brauchte. Aber die Bewohner von Elderland waren stolz auf ihre Geschichte und ihre althergebrachten Sitten und Bräuche. Seit sie vor nunmehr siebenhundertsechsundsiebzig Jahren über das Sichelgebirge nach Norden gekommen waren, um in diesem bescheidenen Winkel der Welt ihr Dasein zu fristen, hatten sie alles aufgezeichnet und bewahrt, was ihnen der Erinnerung wert erschien. Auch wenn darunter manches sein mochte, was einer vom Großen Volk, den Menschen, als wertlosen Tand angesehen hätte – angefangen von der Pfeife des großen Thorgrim Finck, die höher war als ein ausgewachsener Mann des Ffolks (und diese sind mit vier Ffuß und acht Innch im Schnitt größer als die bärtigen Zwerge), bis hin zu den Listen über die Viehbestände im Nordviertel (steigend) oder die Fangquoten der Fischergilde von Eldermünde (fallend von Jahr zu Jahr).

Es war kein einfaches Leben, welches das Ffolk hier führte. Zwar sorgte eine warme Meeresströmung, die sich an den westlichen Küsten brach, für ein gemäßigtes Klima, sodass in den Hügeln südlich des Elder sogar Wein gedieh – ob trinkbar oder nicht, daran schieden sich die Geister. Und die hohen, unübersteigbaren Gebirgsketten im Westen und Süden, die Elderland von der übrigen Welt trennten, boten einen gewissen Schutz vor den ärgsten Unbilden des Wetters. Doch hier, weit oben im Nordwesten der bewohnten Welt, kam die Ernte spät und erforderte harte Arbeit, sodass das Ffolk zu Recht stolz auf seine Leistungen war.

Von daher war es nicht verwunderlich, dass neben dem Juncker von Gurick-auf-den-Höhen und dem Bürgermeister von Ander sowie dem Pastor, der in der Kirk von Eldermünde, und der Godin, die im Heiligtum zu Winder den Gottesdienst versah, auch der Kustos des Ffolksmuseums dem »Rat von Elderland« angehörte, einem Gremium, das in Notzeiten so etwas wie die Regierung der Provinz darstellte. Denn offiziell war Elderland eine Provinz des Großen Imperiums, wenngleich sich seit undenklichen Zeiten kein Offizialer des Reiches mehr in diesem entlegenen Winkel hatte sehen lassen.

Im Allgemeinen gab es wenig für den Rat zu tun. Streitigkeiten entschieden in der Regel die örtlichen Gutsbesitzer oder die Obleute der Gilden nach Brauch und Sitte. Was also für Aufsehen sorgte, war weniger die Frage, ob einer in so jugendlichem Alter wie Kimberon Veit die Last eines hohen Amtes überhaupt tragen könne, als vielmehr die Tatsache, dass das Ffolk jeder Art von Veränderungen grundsätzlich abhold war.

Jene Liebe zum Althergebrachten indes war bei den meisten Ffolksleuten gepaart mit einer geradezu widersinnigen Gier nach Neuigkeiten und einer unstillbaren Neigung zu Klatsch und Tratsch.

Insbesondere in den Gasthäusern, in denen die wichtigen Persönlichkeiten verkehrten, war die Wahl des Kustos umstrittener als in den Vierteln der einfachen Handwerker und Kaufleute, wo sich die Leute an den Vater Kimberons erinnern konnten, der lange Jahre Obmann der Fischergilde von Eldermünde gewesen war und viel Kluges gesagt und viel Gutes getan hatte. Doch das Schicksal hatte es gewollt, dass Kimberons Eltern bei der großen Winterflut von 760 umgekommen waren, als plötzlich einsetzendes Tauwetter und tagelange Regenfälle Ander und Elder, die beiden Flüsse, an deren Zusammenfluss die Stadt Aldswick liegt, in reißende Bestien verwandelt hatten, deren Klauen die schmutzigen braunen Fluten und deren Fänge das mitgerissene Treibgut waren. Vereint hatten Wasser und Unrat Brücken und Dämme zerschmettert, desgleichen Teile der Stadtmauer und der angrenzenden Lagerhallen und Häuser. Damals waren die Fischer von Eldermünde unter Anführung Valeron Veits den Bürgern von Aldswick zu Hilfe gekommen und hatten manchen mit ihren Booten aus den umspülten Häusern herausgeholt, oft unter Einsatz ihres Lebens. Und Valeron und seine junge Frau hatten ihren unermüdlichen Einsatz tatsächlich mit dem Leben bezahlt, als ihr Kahn in den aufgewühlten Ruten kenterte. Dass der kleine Kimberon davongekommen war, verdankte er nur der Tatsache, dass man ihn mit den anderen Kindern rechtzeitig nach Gurick-auf-den-Höhen in Sicherheit gebracht hatte.

»Trotzdem«, ließ sich Gevatter Mart Kreuchauff vernehmen, ein mächtiger Kaufherr, der ein großes Stadthaus am Marktplatz, gegenüber vom Rathaus, und ein prächtiges Landgut sein eigen nennen durfte. »Er ist keiner von uns, sondern ein Emporkömmling von der Küste. Da hat es immer schon merkwürdiges Ffolk gegeben. Sie fahren mit Schiffen aufs Meer, wo seltsame Dinge ihr Unwesen treiben, Ungeheuer und Dunkelelben und was weiß ich.«

Er nahm einen Zug aus seinem großen Maßkrug, der nur ihm persönlich gereicht werden durfte, am Ehrentisch der bedeutenden Bürger in der ›Schenke zum Goldenen Pflug‹, welche zur linken Hand seines Hauses am Marktplatz lag und, wie Mart immer sagte, den halben Weg zum Ratssaal bildete. Im ›Pflug‹ trafen sich die betuchten und bedeutenden Bürger und solche, die dafür gehalten werden wollten. Unten in der Schwemme saßen viele der Arbeiter und auch manch einer der Bediensteten der Stadthäuser nach getaner Arbeit. Aber um in der Schankstube zu sitzen, musste man schon sein Auskommen finden; denn hier oben waren die Preise für viele des Ffolks so hoch wie der Glockenturm am Rathaus. Und so kam es, dass bisher nur die wenigsten in den Genuss jenes dunklen Starckbiers gekommen waren, für das der ›Pflug‹ berühmt war; denn in der Schwemme gab es nur ein Äl, das nicht halb so gut war wie das schwarzbraune Bier hier oben.

»Er stammt aus einer angesehenen Familie«, entgegnete ihm Kersten Hüfner, der Ratsschreiber. »Es heißt, die Veits hätten zu den ersten Familien gehört, die seinerzeit über den Steig ins Elderland gezogen sind. Sie sind mit vielen namhaften Familien versippt, sogar mit Juncker Finck von Gurick-auf-den-Höhen und natürlich mit Magister Adrion …«

Magister Adrion Lerch, ein entfernter Vetter Valeron Veits, hatte den Knaben Kimberon bei sich aufgenommen und ihn von seinem eigenen, bescheidenen Sold und dem wenigen aufgezogen, was dem Jungen noch von den Besitztümern der Eltern geblieben war. So war der kleine, sanftmütige Kim gewissermaßen im Museum aufgewachsen, hatte kluge Fragen gestellt und den Antworten der Gehilfen geduldig zugehört. Dabei war dem Magister aufgefallen, dass der Junge nicht nur mit Sanftmut, sondern auch mit einer ganz eigenen Hartnäckigkeit ausgestattet war, weil er immer alles ganz genau wissen wollte und nicht aufgab, bis eine Frage zu seiner Zufriedenheit beantwortet war. Als Kim lesen gelernt hatte, suchte er selbst die Antworten auf seine Fragen. Und dann kam der Augenblick, da er die Sprache der Großen lernen wollte, weil manche Antworten nur in den Schriften der Menschen zu finden waren, die er nicht entziffern konnte. So kam Kim mit der Gemeinsamen Sprache in Berührung, in der sich Zwerge, Elben und selbst die Dunkelelben neben ihren eigenen Zungen verständigten. Mit viel Energie hatte Kim sich an das Erlernen dieser Sprache gemacht und beherrschte diese bereits nach kaum einem Jahr so weit, dass er sie flüssig zu lesen verstand. Endlich konnte er die Folianten des Großen Volkes studieren, in denen über die gemeinsame Geschichte berichtet wurde. Und mit allem, was er lernte, wuchs sein Hunger nach Wissen.

Dann hatte sein Ziehvater und Mentor von der großen Universität zu Allathurion gesprochen, dem Ort der Gelehrsamkeit jenseits des Sichelgebirges. Das war die Saat des Magisters Adrion gewesen, und sie war aufgegangen. Gewöhnlich hätte das Studium an dieser altehrwürdigen Lehrstätte die finanziellen Möglichkeiten einer Fischerfamilie aus Eldermünde weit überstiegen. Doch die Bürger von Aldswick hatten den Opfermut des Vaters am Sohn abgegolten und es dem jungen Kimberon ermöglicht, im Reich des Großen Volkes, der Menschen, Geschichtswissenschaften zu studieren.

»Seltsames Ffolk, sage ich«, wiederholte der dicke Kaufmann. »Was kann schon Gutes dabei herauskommen, wenn einer im Ausland studiert! Es wäre für ganz Elderland das beste, wenn Gevatter Lerch einen anderen Nachfolger bestimmen würde; einen, der sein Wissen auf ehrliche Art in Elderland erworben hat. Nicht an einer Schule des Großen Volkes, die ohnehin nichts Nützliches vermittelt.«

»Ihr denkt wohl an Euren Sohn Karlo?« Der Ratsschreiber konnte sich diese Bemerkung nicht verkneifen.

»Papperlapapp! Darum geht es doch gar nicht.« In der Tat hatte der Ratsschreiber einen wunden Punkt in Marts Tiraden berührt. Der Kaufherr hatte, wie jedermann wusste, seinen Sohn ebenfalls nach Süden schicken wollen, auf die Handelsschule, und an Geld hätte es dazu nicht gemangelt. Doch Geld allein genügt nicht immer. Wie aus gewöhnlich wohlunterrichteten Kreisen verlautete, war die Aufnahme des Knaben eher an geistigen als an finanziellen Beschränkungen gescheitert.

Kimberon jedenfalls hatte sein Studium erfolgreich mit dem Baccalaureat abgeschlossen, als ihn der Ruf ereilte, dass eine neue Aufgabe in Aldswick ihn erwarte. Neben der Leitung des Museums sollte Kim hier seine Magisterarbeit verfassen, um damit endgültig in die Fußstapfen seines Vorgängers zu treten.

»Ich glaube, Ihr urteilt vorschnell«, kam eine Stimme aus dem Hintergrund. »Es gibt viele Gefahren, die von außerhalb in unsere kleine Welt drängen, und es ist gut, jemanden im Rat zu haben, der schon einmal einen Blick über den Rand seines Bierkruges gewagt hat.«

Marts Blick suchte den Sprecher und fand ihn in einem Schuhmacher, der, Kleidung und Zunftzeichen nach zu urteilen, aus Eldermünde stammte und wohl nur wegen des Jahrmarktes gekommen war.

Der reiche Kaufmann musterte den Handwerker von der Küste herablassend und ließ ihn die volle Verachtung des wohlhabenden und einflussreichen Großstädters spüren.

»Was wisst Ihr schon?«, schnaubte er. »Ihr seid ja selber ein halber Ausländer!«

»Und was ist mit dem Magister?« Der Mann aus Eldermünde ließ sich nicht provozieren. »Hat er nicht auch im Ausland studiert? Und ist er nicht auch –«

»Das«, fiel Mart dem Schreiber ins Wort und richtete seine fünf Ffuß zur vollen imposanten Größe auf, und es schien fast so, als streckten sich auch die Spitzen seiner Ohren besonders gerade empor, »ist doch etwas ganz anderes! Das waren andere Zeiten. Und Adrion Lerch war bereits ein reifer Mann, als er an die Universität ging, nicht wahr? Und es braucht reife Männer, um einen Sitz im Rat zu … ahm … repräsentieren!«

Jedes Gespräch im ›Pflug‹ war verstummt. Alle Augen richteten sich auf Mart und den Schuhmacher aus Eldermünde, der es gewagt hatte, dem reichen Kaufherr vor allen Gästen zu widersprechen.

»… und der Magister stammt auch aus Eldermünde.« Der Schuhmacher ließ sich nicht beirren. Er musste nach oben blicken, weil der Ehrentisch erhöht in der Mitte des Schankraums stand, und das ließ den ehrenwerten Handwerker wie einen Bittsteller erscheinen.

»Sage ich’s nicht!«, rief Mart aus. »Vetternwirtschaft! Beziehungen! Dieses ausländische Pack …!«

»Kein böses Wort über unsern Magister!«, unterbrach ihn da der Wirt, der unbemerkt hinzugetreten war. »Und keine Beleidigungen gegenüber unsern Gästen wie dem ehrenhaften Zunftmeister Odilon Dirk. Jetzt nehmt Euch zusammen, Gevatter Kreuchauff. Trinkt, und haltet den Mund!«

Er schenkte dem Kaufherrn aus einem Fässchen in den nur halbleeren Krug nach, dass der Schaum aufspritzte, und Mart war so verdutzt, dass er tatsächlich schwieg.

Odilon, der Mann von der Küste, trank sein Bier aus und winkte ab, als der Wirt auch ihm nachschenken wollte. Er erhob sich, getrieben von einem plötzlichen Verlangen nach frischer Luft. Er hatte genug von Aldswick und seinen aufgeblasenen Figuren und konnte nur hoffen, dass der junge Kimberon wirklich das hielt, was er versprach: nämlich anders zu sein als dieser hochnäsige Kaufmann. Nach allem, was der Zunftmeister der Schuhmacher Eldermündes über den neuen Kustos gehört hatte, schienen die Chancen dafür nicht schlecht zu stehen.

In der Schenke kamen die Gespräche langsam wieder in Gang. Jeder hatte seine Meinung über Kimberon, hütete sich aber, sie laut auszusprechen, sofern sie nicht mit der des Kaufherrn übereinstimmte.

Gevatter Mart Kreuchauff blies den Schaum von seinem Bier und nahm einen tiefen Schluck, dann lehnte er sich triumphierend zurück.

Wie im ›Pflug‹, so war es in der ganzen Stadt. Immer wieder fand sich jemand, der an der Weisheit von Magister Adrions Wahl zweifelte. Das änderte sich auch in den Tagen nach dem Jahrmarkt nicht. Überall in Elderland war der Amtswechsel im Ffolksmuseum, das bei einem Aufenthalt in Aldswick zu besuchen Pflicht und Vergnügen zugleich war, die große Neuigkeit. In den entlegensten Dörfern und Höfen wurde bald darüber diskutiert, denn die Nachricht fand ihren Weg in den letzten Winkel des Landes.

So gingen die Tage und Wochen ins Land, und eines schönen Nachmittags im Spätherbst kam ein kleiner Planwagen die Südstraße hinaufgefahren, von einem stämmigen Pony gezogen. Höflich grüßte der junge Mann, der auf dem Kutschbock saß, alle, die ihm begegneten, ungeachtet dessen, ob sie seinen Gruß mit freundlichen oder finsteren Blicken oder auch gar nicht erwiderten.

Alle erwarteten, dass der neue Kustos und Ratsherr nun mit eisernem Besen kehren würde, und wieder zerredete man sich die Mäuler. Aber nichts Weltbewegendes geschah. Keiner der altgedienten Gehilfen wurde entlassen und durch einen unerfahrenen Neuling ersetzt. Keine der alten Sammlungen von irdenen Töpfen, Arbeitsgeräten oder Stichtüchern wurde verscherbelt oder auf den Müll geworfen. Der alte Magister bezog eine kleine Wohnung im Obergeschoss des Ffolksmuseums, und der junge Kimberon zog in das Haus des Kustos ein, das unmittelbar an das Museum grenzte. Aus Winder, einem Dorf im Südwesten am Rande der Sümpfe, kam eine junge Frau, die in Aldswick Verwandte hatte, und übernahm die Rolle der Haushälterin für den Junggesellen. Meist speiste auch Magister Adrion mit an der Tafel, sofern er sich nicht in seine Forschungen vergraben hatte oder Reisen im Land unternahm, von denen keiner so recht wusste, was sie bezweckten. Aber so war es immer schon gewesen. Ja, manchmal fragte man sich, ob der junge Mann überhaupt schon sein Amt angetreten habe, so wenig schien sich nach außen hin verändert zu haben.

Schließlich wandten sich die Leute wieder ihren alltäglichen Sorgen zu, und selbst Gevatter Kreuchauff wurde es müde, im ›Pflug‹ die Wahl des neuen Kustos mit boshaften Kommentaren zu versehen.

Der Herbst war schön gewesen, aber der Winter kam früh in diesem Jahr, und er war kalt. Schon kurz nach der Weinlese fror es in den Nächten ungewöhnlich stark. Früh fiel der erste Schnee und deckte das Land zu. Mit dem Winter kehrte das Thema Kimberon Veit zurück, aber durch die gewissenhafte Amtsführung des neuen Kustos fehlte dem Klatsch die richtige Würze, und viele begannen sich insgeheim zu wünschen, dass Mart und andere mit ihren Befürchtungen doch recht behalten hätten – allein, um den langen Winter mit Unterhaltungen auflockern zu können.

Immerhin kamen aus dem nördlichen Sichelgebirge einige Wolfsrudel in den Zwickel und sorgten unter den Hirten und Bauern für Aufsehen, säten hysterische Furcht vor grauen reißenden Bestien in den Städten und beschäftigten die Ffolkswehr. Aber nichts wirklich Gefährliches ereignete sich, und niemand erlitt Schaden außer dem alten Ohm Hinner, welcher sich, als er seine Abteilung von Freiwilligen zur Wolfsjagd führte, den Knöchel verstauchte, weil er mittlerweile so stocktaub war, dass er die Warnung vor einem zugeschneiten Graben schlichtweg überhörte.

Der Frühling kam spät, aber dann stand er schnell in voller Blüte, und die Saaten gingen prächtig auf. Kimberon verschwand endgültig von der Tagesordnung. Die Arbeit auf den Feldern, in den Gärten und in den Häusern hielt die Leute beschäftigt.

Der Sommer war trocken und heiß; nur gelegentlich regneten Gewitter ab, und allerorten schleppten die Menschen Wasser aus den Flüssen, Bächen, Brunnen oder Zisternen auf die dürstenden Felder, bis ein ergiebiger Landregen einsetzte, die Bauern erlöste und eine wirklich gute Ernte versprach. Und als sich im Spätsommer erneut der große Jahrmarkt von Aldswick näherte, schimpften die Leute bereits wieder auf das Regenwetter. Nur wenige erinnerten sich noch an das Gerede vom letzten Jahr, als der alte Magister überraschend seinen Rücktritt erklärt hatte. Einige hofften, dieser Jahrmarkt würde etwas ähnlich Spektakuläres für sie bereithalten, damit man wieder etwas Richtiges fände, über das man viel und ausgiebig tratschen konnte, ohne altbackene Geschichten oder den alltäglichen Kleinkram aufwärmen zu müssen.

Der Jahrmarkt kam, aber es ereignete sich nichts wirklich Aufregendes. Einmal riss sich ein Bulle los und galoppierte durch das Gewirr der Gassen, bis ihn die Ffolkswehr wieder einfangen konnte. Aber das zählte nicht wirklich; denn es geschah im Morgengrauen, als kaum einer das Spektakel sah. Niemand wurde ernsthaft verletzt; nur ein paar Marktbeschicker landeten im Matsch, als sie versuchten, sich in Sicherheit zu bringen. Was Sensationen anging, blieb dieser Jahrmarkt ruhig – zu ruhig für den Geschmack des klatschsüchtigen Ffolks, das es gern etwas lebendiger gehabt hätte. Aber Magister Adrion konnte nur einmal abtreten, und die anderen Mitglieder des Rates waren noch zu jung, um ihr Amt aufzugeben und durch die Auswahl ihrer Nachfolger Aufsehen zu erregen.

»Gute Geschäfte habe ich gemacht«, tönte Gevatter Kreuchauff am Ehrentisch im ›Goldenen Pflug‹ am letzten Abend des Marktes in Ermangelung aufregender Themen. »Ich …« Aber der Gevatter wurde mitten im Satz unterbrochen. Alle Augen richteten sich auf die Tür, und selbst Mart Kreuchauff vergaß das Reden; denn zwei Fremde betraten die Gaststube.

Mit offenen Mündern starrten alle das seltsame Paar an, das durch die breite Tür kam. Hier, im tiefsten Elderland, war es das Ffolk gewöhnt, unter sich zu sein; nur in Eldermünde und manchmal noch in Winder hielten sich Leute vom Großen Volk auf, meist um Handel zu treiben. Diese Waren wurden dann von einheimischen Händlern, die wegen ihrer Handelsbeziehungen oft einen zweifelhaften Ruf genossen, über Elderland verteilt. Es war schon eine mittlere Sensation, wenn einer von den Großen bis nach Aldswick kam.

Der eine von den beiden war groß genug, ein Mensch zu sein; er mochte die größten vom Ffolk um mindestens einen Ffuß überragen, und wäre die Decke im Schankraum nicht so hoch gewesen, er hätte gebückt gehen müssen. Der Mensch war schlank, doch breitschultrig, und sein fein geschnittenes Gesicht mit den hoch angesetzten Wangenknochen und dem kurzen, dunkelblonden Haar verriet ebenso wie die feingliedrigen Hände, die nicht von harter Arbeit gezeichnet waren, dass er von gehobener Herkunft war. Hemd und Hose waren aus gutem Leinen, mit Leder gesäumt, und über einer Brigantine aus genietetem Leder trug er einen schweren Überwurf aus festem Wolltuch. Die Kapuze hatte er in den Nacken geworfen. Staub und Schlammspritzer von einer offenbar langen Reise konnten den gediegenen Eindruck, den seine Kleidung machte, nicht mindern. Der Knauf eines einfachen, schlichten Schwertes blinkte an seiner linken Seite; rechts konnte man den dazu passenden Dolch erkennen, und der war so lang, dass er für einen aus dem Ffolk bereits ein Kurzschwert abgegeben hätte.

Sein Begleiter war klein, aber kräftig. Sehr klein und sehr kräftig. Viele der Anwesenden hatten zwar schon von Zwergen berichten hören, aber seit undenklichen Zeiten war keiner mehr über den Steig oder unterm Berg ins Land gekommen, und die Handelswege zwischen dem Ffolk und den kleinwüchsigen Meistern der Untererde waren seit langem abgeschnitten. Der Zwerg mochte kaum mehr als vier Ffuß messen. Aber während die ebenfalls kleinwüchsigen Ffolksleute in der Jugend meist feingliedrig und eher schlank waren und allenfalls im Alter, vor allem um die Hüften, zu einer kräftigeren Statur neigten – wie jener berühmte Juncker Isidor Finck, der so dick gewesen war, dass auf der Fahrt von Gurick nach Aldswick drei Karren unter ihm zusammengebrochen waren –, so war der Zwerg unglaublich massig gebaut. Unter seinem enganliegenden Ledergewand, über dem er ein feingeschmiedetes Kettenhemd trug, wölbten sich mächtige Muskeln, die sich bei jeder Bewegung spannten, und manch einer der Anwesenden sagte sich, mit solch einer Figur müsste man selbst einen Stier in die Knie zwingen können. Selbst die Schauerleute, Ochsenkarrenfahrer oder Feldarbeiter sahen nie so aus, als wären ihnen Muskeln wie das Sichelgebirge gewachsen.

Das Gesicht des Zwergen war breitflächig und von einem prächtigen roten Vollbart nahezu zugewachsen. Rot war auch sein Haar, das unter einem Helm hervorquoll, welcher mit feinsten Ziselierungen versehen war, die im trüben Licht der Öllampen blinkten. Dunkle, fast schwarze Augen blickten streng, aber nicht unfreundlich auf den Wirt hinter dem Tresen. Der Zwerg trug einen schweren Rucksack über der Schulter. Doch der Blick der meisten Gäste im ›Pflug‹ wurde von der Axt angezogen, welche der Ankömmling beinahe lässig in der Armbeuge hielt. Das Doppelblatt erschien den meisten so riesig wie die Schwingen eines Adlers. Obwohl nur der schwarze Schaft zu sehen war – die metallene Klinge selbst verbarg sich in einer schwarzen Lederhülle –, waren sich viele der Anwesenden sicher, dass kaum einer von ihnen diese gewaltige Waffe würde schwingen, wenn überhaupt heben können.

Staunen, Misstrauen, Furcht und Neugier hielten sich in den Blicken der Betrachter die Waage – vermischt mit der befriedigenden Gewissheit, nun sicher wieder Gesprächsstoff für einige Tage zu haben.

Der Mensch bewegte sich mit geschmeidigen Schritten auf den Schanktresen zu, hinter dem Fflorin Mälzer stand, der stämmige, aber gegen den Zwerg eher unscheinbar wirkende Wirt mit dem gutmütigen Gesicht, der den ›Pflug‹ seit mehr als zwanzig Jahren führte. Die Mälzers hatten das Gasthaus bereits vor zwei Generationen von der Familie Hopfer übernommen, was freilich die Älteren unter den Gästen nicht daran hinderte, dann und wann nach allzu reichem Biergenuss dem ›alten Hopfertrank‹ nachzutrauern.

»Fflorin Mälzer, Wirt der Schenke ›Zum Goldenen Pflug‹, zu Euren Diensten. Was kann ich für Euch tun, Herr?«, fragte der Wirt freundlich, aber zurückhaltend. »Ich fürchte, unsere Fremdenzimmer würden höchstens Eurem Begleiter zusagen.«

»Fabian, zu Euren Diensten«, antwortete der Mensch mit einer sanften, beinahe melodiösen Stimme. »Danke, Wirt. Ich suche kein Quartier für die Nacht. Ich wollte nur einen Schluck Eures hoch gerühmten Bieres mit meinem Freund hier teilen und eine Auskunft einholen, dann gehen wir unserer Wege.«

Der Zwerg sagte nichts, stützte nur seine gewaltige Axt in ihrem Bezug aus schwarzem Leder auf den Boden, doch der Wirt gab sich gänzlich unbeeindruckt und förderte einen Krug Bier für jeden der Fremden zutage; dabei wählte er für den Menschen den größten Humpen, den er finden konnte.

»Wenn ich den Herren helfen kann …«, sagte Fflorin und lächelte den Menschen an.

»Wir, mein Freund Burin hier«, begann Fabian und deutete mit einer weitausholenden Geste auf den Zwerg, »und ich suchen einen Freund. Sein Name ist Kimberon Veit. Könnt Ihr uns sagen, wo wir ihn finden?«

Seine Stimme war voller Freundlichkeit – was die meisten Gäste in Hinblick auf die Axt des Zwergen beruhigte –, doch als der Sinn der Worte zu den Männern in der Schankstube durchdrang, war die Sensation perfekt. Alle blickten gebannt auf die Szene am Tresen, die keiner von ihnen um keinen Preis der Welt verpassen wollte. Würden doch alle hier Anwesenden in den nächsten Tagen und Wochen der umschwärmte Mittelpunkt ihrer Nachbarschaft, Verwandten und Freunde sein, wenn sie von dem Menschen und dem Zwerg berichten konnten, die nach Kimberon Veit suchten, jenem jungen Mann, von dem viele seltsame Dinge erwartet hatten. Nun wich die Enttäuschung, dass er die Erwartungen bisher nicht erfüllt hatte, gespannter Vorfreude. Denn ein so seltsames Paar wie diese beiden Besucher kam nicht nur und ging; nein, Unvorstellbares mochte Elderland erschüttern. Das war Stoff für einen Klatsch, der auch den Winter überdauern konnte.

Alle lauschten der Stimme des Wirtes, als er den beiden, die in tiefen Zügen, aber ohne Hast das würzige Dunkelbier tranken, den Weg zum Haus des Kustos im Schatten des großen Museumsbaus am Rande der Speicherstadt erklärte. Die Speicherstadt war eine Ansammlung von Lagerhäusern, wo alle Güter, welche auf Kähnen, per Ochsenkarren oder mit Eselskarawanen nach Aldswick kamen, eingelagert wurden, sofern sie nicht sofort auf den Markt gelangten. Diese Lagerhäuser waren durch Mauern verbunden und bildeten dadurch den westlichen Teil der Umfriedung, die den Flusshafen vom Rest der Stadt trennte. Warum ihre Ahnen diese Mauer erbaut hatten, wusste im Ffolk niemand mehr; denn Elderland war noch nie von einem Krieg verwüstet worden. Und mit der Zeit war durch die Liebe des Ffolks zu immer neuen Anbauten, Erkern, Bögen und Piedestalen – manche davon sinnvoll, manche nur von einer Zweckmäßigkeit ohne Zweck erfüllt – dieser Teil der Stadt von einem Festungsbau zu einem verschlungenen Labyrinth geworden, in dem sich nur der auskannte, der dort lebte.

Das Museum lag gleich neben den Lagerhäusern. Dort war seinerzeit, als das alte Museum aus allen Nähten platzte, der einzige freie Ort innerhalb der Stadt gewesen, der Raum für ein neues, größeres Gebäude bot. Andernfalls wäre nur noch die Möglichkeit geblieben, das Museum mitten auf dem Marktplatz, dem größten in ganz Elderland, zu errichten, und das hielt man dann doch für ein bisschen übertrieben.

Das war vor knapp vierhundert Jahren gewesen; dennoch hieß der Bau im Ffolksmund allenthalben nur das ›Neue Museum‹.

Veränderungen setzten sich beim Ffolk eben nur mit der Zeit durch – und auch das nicht immer.

Jeder in Aldswick kannte das Ffolksmuseum, und so fiel es Fflorin, dem Wirt, leicht, den beiden Fremden den Weg vom Marktplatz zum Museum zu erklären. Der Mensch und der Zwerg hörten aufmerksam zu, ja, es kam den Gästen im ›Pflug‹ vor, als schienen sie die Worte des Wirts beim Hören zu memorieren, wie es sonst nur Gelehrte tun.

»Habt Dank, Herr Wirt«, sagte der Mensch, der sich Fabian nannte, in formvollendeter Höflichkeit. »Wir werden uns sicher zurechtfinden.«

»Mein Knecht kann Euch und Euren werten Freund auch führen«, bot der Wirt ihm an. »Einige der Gassen sehen sich in der Dunkelheit ziemlich ähnlich, gerade jetzt, wo Neumond ist. Leicht hat man den falschen Weg eingeschlagen.«

»Nicht nötig, trotzdem habt vielen Dank für Eure Fürsorge«, entgegnete der Fremde. »Mein Freund hier sieht in der Dunkelheit recht gut. Und auch ich finde mich einigermaßen zurecht.«

Dann leerten beide ihre Humpen und verließen den ›Pflug‹ mit einem Lob auf das Bier und einem höflichen Gruß an die Anwesenden; aber bis auf den Wirt waren alle zu sehr gebannt, um diesen zu erwidern.

Die Tür fiel hinter den beiden ins Schloss. Die verbliebenen Gäste warteten noch zwei oder drei Lidschläge lang, den Blick fest auf die Tür geheftet – und dann ging der Tratsch los:

»Was wollen diese Fremden hier?« – »Diese Axt! Hast du die Axt gesehen?« – »Ein Mensch und ein Zwerg! Seltsame Zeiten!«

Alle sprachen durcheinander. Dann erhob Mart Kreuchauff seine Stimme.

»Habt ihr es gehört? Sie wollten zu Kimberon Veit, dem neuen Kustos! Habe ich euch nicht gewarnt, dass er seltsame Dinge bringt, der ausländische Neuling.«

Einen Augenblick schwiegen alle, und dann summte die Luft von all den Möglichkeiten und Mutmaßungen.

»Dort vorn muss es sein, Bubu«, sagte Fabian und deutete auf ein Haus, wo gleich aus mehreren Fenstern warmes Licht in die regenschwangere Neumondnacht drang.

Das Haus lehnte sich unmittelbar an einen riesigen Bau, der schwarz und bedrohlich in den Nachthimmel ragte. Von außen glich er einem der Speicherhäuser am Hafen: Auf einem mächtigen Sockel aus behauenem, mörtellos gefugtem Stein errichtet, schien er in der Erde selbst zu ruhen, fest und unbeweglich wie ein Fels der Zeiten. Doch ging der Blick höher, so sah man sauber gemauertes Ziegelwerk, von Stützen und Balken aus festem Holz gegliedert und in regelmäßigen Abständen von schmalen, Schießscharten ähnelnden Fenstern durchbrochen. Und noch weiter oben wich das Gemäuer einer Vielzahl holzgeschnitzter Täfelungen und Verstrebungen, die sich zu einem Gewirr von Giebeln, Erkern und Türmchen aufschwangen, bis diese sich selbst vor dem nachtsichtigen Auge des Zwerges im Dunkel des Himmels verloren.

Das Haus des Kustos wirkte dagegen auf den ersten Blick klein und unscheinbar, aber wenn man genauer hinsah, konnte der Betrachter feststellen, dass der Eindruck täuschte. Das Gebäude war aus festen Steinen und Balkenwerk errichtet, geräumig und zweistöckig. Wenn es gar noch einen Keller hatte, war es ein prächtiger Wohnsitz, welcher der Bedeutung seines Bewohners durchaus angemessen war.

»Nette Hütte«, sagte der Zwerg, der bislang geschwiegen hatte. Er trug seine Axt immer noch in der Armbeuge und seinen Rucksack lässig über die Schulter geschlungen, als hätte er kein Gewicht. Seine Stimme war tief und wohlklingend. »Zwar nicht so groß wie das Ding, in dem du wohnst, aber es dürfte ein guter Schutz vor den Unbilden des Wetters sein und ein schöner Lagerplatz für ein paar Fässchen guten Dunkelbiers.«

»Stimmt«, meinte Fabian. »Das Haus ist kleiner als das, in dem ich wohne, aber dafür teile ich meines mit meinem Vater, meiner Mutter, den Brüdern, Schwestern, Vettern und diversen anderen Leuten. Ich glaube, Kim hat den besseren Schnitt gemacht.«

»Witzbold!«, knurrte Burin nur. »Aber wollen wir auf der Straße über Häuser philosophieren, während der Regen kommt, derweil Kim drinnen Dunkelbier trinkt und bestimmt ein anständiges Abendmahl verzehrt, bei dem wir ihm hilfreich zur Seite stehen sollten?«

Fabian blickte zum Himmel empor. Kaum ein Stern war zu sehen, nur tiefhängendes, jagendes Gewölk. »Dann wollen wir ihn mal überraschen.«

Der Zwerg öffnete die schmiedeeiserne Pforte und ließ seinem Begleiter den Vortritt.

Nebeneinander gingen sie über den Torweg auf das Portal zu. Der Kies, mit dem der Weg ausgelegt war, knirschte unter ihren Schritten. Vor ihnen löschte das gewaltige Gebäude des Museums, in dem die Schätze der Geschichte des Ffolks gehütet wurden, die letzten Sterne aus.

Die beiden Ankömmlinge traten in den Schatten des Museums ein und erreichten die Tür des kleineren Hauses. Licht drang durch getönte Butzenscheiben und vergoldete ihre Gesichter. Burin blickte abschätzend zu seinem Begleiter hoch, dessen feingeschnittene Züge in dem matten Schein denen einer ehernen Statue glichen.

»Mir scheint, du hast Glück, Freund.«

»Wieso?«, fragte Fabian ein wenig verwirrt.

»Die Decken in dem Haus sind hoch, also wirst du deinen Kopf nicht bei jedem Schritt einziehen müssen. Folglich brauche ich dir auch nicht meinen Helm zu leihen, um zu verhindern, dass deine aristokratische Nase mit dem Türrahmen Bekanntschaft macht.«

»Das ist nicht witzig, Bubu«, entgegnete Fabian amüsiert und schlug zweimal mit dem Türklopfer an. Das Echo des Schlages hallte in der Stille.

Drinnen näherten sich eilige Schritte, die gedämpft nach draußen klangen, und als sie verstummten, ging die Tür auf, und ein breiter Lichtstrahl fiel heraus. Wie fast überall im Elderland üblich, wurde die Tür sogleich weit geöffnet. Niemand spähte hierzulande erst misstrauisch durch einen Spalt, um herauszufinden, wer so spät am Abend noch vorbeischaute.

Fabian blickte in das Gesicht einer drallen, kleinen Person, die ihn und seinen Begleiter mit einem Lächeln empfing. Sie schien nicht im Geringsten überrascht.

»Marina, zu Euren Diensten, und einen schönen guten Abend allerseits!«, verkündete sie mit einer warmen, fröhlichen Stimme. »Der Herr Kimberon sagte, dass Ihr dieser Tage kommen würdet. Ich bin die Haushälterin.«

»Fabian, zu Euren Diensten«, erwiderte der Mensch die unerwartet herzliche Begrüßung mit einer leichten Verneigung.

»Burin, Balorins Sohn, zu Euren Diensten und denen Eures Hauses«, grummelte der Zwerg, gleichfalls überrascht.

»So seid Ihr die Studienkollegen des Herrn Kimberon?«, fragte Marina neugierig. Die letzten Tage hatte sie arg an sich halten müssen, um nicht zu früh mit der Nachricht herauszuplatzen, dass Herr Kimberon seltenen Besuch erwartete. Erst wollte sie die ganze Geschichte kennen, bevor sie Neid und Bewunderung des gesamten Weibs- und Mannsffolks des Gemüsemarktes – so genannt, obwohl es bereits seit undenklichen Zeiten alles dort zu kaufen gab, was man für den täglichen Bedarf benötigte – auf sich zog. Nun endlich sah sie die angekündigten Gäste vor sich und wusste, morgen würde sie eine umschwärmte Frau sein.

»Aber kommt herein, meine Herren«, sagte Marina, sich ihrer Pflichten erinnernd, und trat zur Seite, um den Ankömmlingen Platz zu machen, »kommt herein!«

Als Mensch und Zwerg die holzgetäfelte Eingangshalle betreten hatten, schloss sie die Tür hinter ihnen und bedeutete ihnen mit einer Geste: »Folgt mir bitte. Ich führe Euch in den Speisesaal. Herr Kimberon besteht schon seit Tagen darauf, sein Abendmahl spät einzunehmen.«

Fast gleichzeitig zog ein Lächeln über die Gesichter des seltsamen Paares.

Ja, es war an der Zeit, dass sie kamen. Und Kimberon hatte gewartet und sich ausgerechnet, dass sie, um nicht einen Massenauflauf zu verursachen, in der Dunkelheit in Aldswick eintreffen würden, zumal die Stadttore Tag und Nacht jedem offenstanden.

Noch bevor sie die kleine Empfangshalle durchschritten hatten, wurde im Inneren eine Tür aufgerissen, und gekleidet in einen weinroten Hausmantel, erschien Kimberon Veit, der Kustos von Elderland. Dem fünf Ffuß großen Ffolksmann war die Freude über das Erscheinen seiner Freunde von seinem offenen Gesicht abzulesen. Seine Ohrspitzen hatten sich wie immer, wenn er überglücklich war, leicht gerötet, sein sandbraunes Haar war ein wenig wirr, und seine blauen Augen strahlten.

»Fabian! Bubu!«, rief er aus. »Schön, dass ihr endlich da seid. Ich kann nicht sagen, wie sehr ich mich freue«, fügte er hinzu und ging auf die beiden zu. Sie umarmten sich herzlich; Burin ließ dafür sogar seine Axt zu Boden sinken.

Marina stand daneben und sog jede Einzelheit der Szene in sich auf. Diese würde sie dann morgen, nur unwesentlich ausgeschmückt, auf dem Markt zum Besten geben.

»Kommt, Freunde, lasst uns essen«, sagte Kimberon. »Wie im ›Hirschen‹, wo die Studententafel war.«

»Dunkles Bier?«, fragte Burin.

»Dunkles Bier!«, entgegnete der Ffolksmann. »Zwar nicht aus Thurion, aber auch das hiesige lässt sich trinken. Ich habe mich in Unkosten gestürzt und ein großes Fass aus dem ›Pflug‹ kommen lassen, um unser Wiedersehen nach einem Jahr zu feiern.«

»Kim, du bist großartig«, brummte der Zwerg mit seiner Bassstimme. »Du weißt, wie man Freunde empfängt. Und das Bier aus dem ›Pflug‹ ist wahrlich ein edler Stoff. Wir haben es bereits verkostet.«

Kim sah ihn fragend an.

»Was unser stämmiger Holzfäller sagen will«, begann Fabian und erntete für die Anspielung auf die Streitaxt einen freundschaftlich-bösen Blick, »wir haben uns im Wirtshaus nach dem Weg erkundigt und die Gelegenheit genützt, uns zu stärken.«

»Heiliger Vater!«, entfuhr es Kim.

»Was ist?«, fragte Burin.

»Jetzt bin ich morgen wieder das Tagesgespräch! Aber was soll’s; die Leute brauchen gelegentlich was zum Reden, sonst langweilen sie sich.«

Die Freunde lachten und ließen sich ohne weiteres Zögern ins Speisezimmer bitten, wo im Kamin ein heimeliges Holzfeuer brannte. Burin legte seinen schweren Rucksack ab, während Fabian seinen Mantel von den Schultern streifte und ihn Marina reichte, die ihn eilfertig an einen Kleiderhaken hängte. Unter dem Mantel kam ein lederner Tornister zum Vorschein, den er ebenfalls ablegte. Kimberon half ihm aus der schweren, genieteten Weste. Auch der Zwerg nahm seinen ziselierten Helm vom Kopf, dass sein krauses rotes Haar in alle Richtungen sprang und seinen Kopf umgab wie ein feuriger Kranz. Ächzend mühte er sich aus seinem Kettenhemd; doch als Marina danach greifen wollte, sagte er: »Gute Frau, das dürfte ein wenig zu schwer sein für Eure kleinen Hände«, und ließ es rasselnd in der Ecke zu Boden gleiten. Dann kratzte er sich ausgiebig am ganzen Körper.

Marinas Aufregung kannte keine Grenzen mehr. Alle würden schon von den beiden Besuchern reden, sodass sie gar nicht mehr dafür sorgen musste, dass der Tratsch in Gang kam. Und was sie nicht alles zu erzählen hatte! Marina war sich sicher, dass sie heute Nacht kein Auge würde schließen können. Doch dann entsann sie sich plötzlich – »Heilige Mutter, das Essen!« – und enteilte in die Küche, so schnell ihre Beine sie tragen konnten.

»Was gibt’s denn Gutes?«, brummte Burin, als sie sich setzten.

»Das, was es im Karzer immer für Studenten gab. Eintopf. Aber diesmal von einer Meisterin zubereitet. Marina hat ihr Bestes gegeben.«

»Man sieht, dass sie gut kocht«, schmunzelte Fabian. »Du bist nicht mehr ganz so dünn wie noch vor einem Jahr.«

»Ja«, entgegnete Kim, und er schaffte es, ein wenig verlegen zu wirken, »aber Marinas Küche ist den Bauchansatz allemal wert. Selbst die Küche deines Vaters dürfte kaum besser sein, Fabian.«

»Dann setzt du die Maßstäbe hoch an«, brummte Burin. »Ich habe unseren Freund zu Hause in seiner protzigen Unterkunft abgeholt. Dort pflegen sie eine erlesene Küche. Mit großen Tellern. Sehr übersichtlich.«

Fabian lächelte ob der Anspielung. Burins hilflose Versuche, mit Messer und Gabel zu speisen, waren ihm noch gut im Gedächtnis.

»Marina kocht eher Hausmannskost, aber die kann es mit jeder anderen aufnehmen. Auch mit den Speisen aus der Küche des Palastes, und es wird mir ein Vergnügen sein, Euch dies zu beweisen, Prinz Fabian.«

Bei den letzten Worten hatten sich Burin und Kim erhoben und eine tiefe Verbeugung gemacht.

»Lasst das, ihr wisst, ich mag das nicht. Möge mein Vater, Kaiser Julian, noch lange in Magna Aureolis regieren, auf dass mir das Leben mit geckenhaften Höflingen im goldenen Käfig noch viele Jahre erspart bleibe!« Die beiden anderen lachten.

Marina, die in der Tür stand, wäre fast die Schüssel mit dem dampfenden Eintopf aus den Händen gefallen. Aber die drei Freunde bemerkten es nicht; so sehr nahm die Wiedersehensfreude sie gefangen.

Ihre Freundschaft war fast am ersten Tag des Studiums geboren worden, als Kimberon, völlig verschüchtert von der neuen Umgebung und den großen und wichtigen Menschen in jenen geheiligten Hallen, an einer Ecke des Wandelganges mit Burin zusammengestoßen war, dass dem Zwerg nicht nur die Bücher, sondern auch seine Vesper, bestehend aus einem Kanten Käse, einem großen Schinken und einem ganzen Laib Brot, aus der Hand kollerte. Kim wäre vor Schrecken und Angst auf der Stelle gestorben, hätte sich nicht ein junger, freundlicher Mensch zu ihnen gesellt und geholfen, die verstreuten Habseligkeiten zusammenzuklauben.

Vom ersten Augenblick an hatten sich die drei gemocht. Und weder Burin noch Kim hatten gewusst, dass der junge Mann mit der sanften Stimme der Kronprinz des Reiches war und Sohn des unter den Menschen allmächtigen Kaisers, Erbe des Adlerthrons und eines guten Dutzends wichtiger Titel. Von da an waren sie unzertrennlich gewesen. Sie hatten ihre Lehrer verulkt, hatten sich in Raufhändeln gegenseitig Unterstützung gewährt und bis spät in die Nacht miteinander gezecht – wobei Kim stets vorsichtiger im Trinken gewesen war als seine Kumpane; denn er vertrug nicht gar so viel von dem dunklen Gerstensaft. Trotzdem konnte er sich an Vormittage erinnern, wo er erwacht war und in seinem Schädel ein Heer von Zwergen eifrig Bäume fällte.

Marina tat jedem einen ordentlichen Schlag auf den Teller, stellte die Schüssel auf den Tisch und zog sich zurück. Sie widerstand dem Bedürfnis zu lauschen – denn bei aller Klatschsucht kannte sie die Grenzen – und verschwand in die Küche, um selbst einen Happen zu essen. Allein was sie bisher erfahren hatte, würde für die Bewunderung aller bis zum ersten Schnee reichen.

»Wunderbar! Du hast nicht zu viel versprochen«, meinten Burin und Fabian einhellig, als sie von Marinas Gemüseeintopf gekostet hatten.

Und dann aßen sie, immer wieder unterbrochen vom Erzählen alter Anekdoten aus ihrer Zeit an der Universität von Allathurion, dem Hort edler Bildung und wilder Späße, von Studium und Gelagen, von Wissen und Unsinn, den dort viele im Kopf hatten. Mehrmals hatte Fabian seinerzeit auf die Autorität seines Vaters zurückgreifen müssen, damit ihre Scherze nicht zum Verweis von jener hehren Stätte führten. Doch trotz allen Unfugs hatten die drei Freunde ihr Examen mit Auszeichnung bestanden und waren dafür vom Dekan mit säuerlichem Gesicht öffentlich belobigt worden.

Schließlich hatten sie ihr Mahl beendet und lehnten sich befriedigt zurück. Burin nahm noch einen tiefen Zug von dem Bier und erhob sich, um aus dem Fass, das Kim hinter der Tür aufgestellt hatte, einen weiteren Humpen zu zapfen. Doch bevor er den Hahn öffnete, wandte er sich um.

»Wollen wir uns morgen dann den ernsten Dingen zuwenden?«, fragte er seine Kameraden.

»Wenn es nach mir geht, gern«, antwortete Kim. »Doch jetzt sollten wir erst mal unser Wiedersehen feiern.«

Fabian nickte. »Das Geheimnis schlummert schon so lange, dann wird es noch einen Tag mehr oder weniger überstehen.«

»Gut«, brummte der Zwerg und öffnete den Zapfhahn, aus dem schäumend das dunkle Bier floss.

»Was macht überhaupt deine Magisterarbeit?«, fragte Fabian. »Kommst du voran?«

»Es ist schwer. Die Geschichte des Ffolks ist ein Sammelsurium vieler Zeugnisse. Sie ist noch nie aufgeschrieben worden. Alles besteht aus alten Urkunden, Dokumenten und natürlich den Ausstellungsstücken hier im Museum. Wenn man so will, gibt es außer den Jahrbüchern in der Bibliothek zu Allathurion, wo die wenigen Ereignisse verzeichnet sind, von denen Ffolk und Menschen gleichermaßen berührt waren, keine wirklich chronologischen Aufzeichnungen. Und wenn Magister Adrion nicht wäre, der mir von Zeit zu Zeit mit Rat und Tat zur Seite steht, dann würde ich den Magistertitel sein lassen und mich mit dem Baccalaureus begnügen.«

»Klingt nicht sehr hoffnungsvoll«, meinte Fabian ohne den sonst unter den Freunden üblichen Spott in der Stimme.

»Und, bist du weitergekommen?«, fragte Kim und zog seine spitzen Brauen hoch.

»Nun«, begann Fabian, nestelte an seinem Kragen herum und zog schließlich unter seinem Hemd einen Lederbeutel hervor, den er mit geschickten Fingern öffnete. Darin war ein mattsilberner Ring, schmucklos, mit einem Stein, der aus einem bläulichen inneren Feuer zu leuchten schien. »Das ist der Grund meines Hierseins. Ein Jahr lang habe ich jetzt in den Archiven des Reiches gegraben, aber nicht viel mehr zutage gefördert als das, was ich schon wusste: Dieser Ring weist auf eine uralte Geschichte zurück und gehört auf ewig dem Herrschergeschlecht des Imperiums.«

»Und du, Bubu?«

Der Zwerg schwieg. »Auch ich konnte nichts finden«, knurrte er schließlich. Er hatte ihnen nie erzählt, nach was er eigentlich forschte, außer dass es ein altes Geheimnis seines Hauses sei. Die Zwerge, so freundlich sie sich Außenstehenden gegenüber geben mögen, sind ein verschlossenes Geschlecht, was ihr eigenes Volk betrifft, und dass Burin sich seinen Kameraden überhaupt so weit geöffnet hatte, grenzte an ein Wunder. Mochten seine flotten Sprüche auch noch so lustig sein: Wenn Burin nicht reden wollte, wurde er stumm wie ein Stein. »Die letzte Spur, der ich nachging, endet an den Grenzen von Elderland. Darum ging ich nach Aureolis, um zusammen mit Fabian hierherzureisen, so wie wir es vor einem Jahr verabredet hatten.«

»Alle Spuren führen hierher nach Norden.« Der Prinz beugte sich vor, und in seiner Haltung lag etwas von der Last der Vergangenheit, die ihm von vielen Generationen aufgebürdet worden war, aber mehr noch vom Eifer des Gelehrten, den die lockende Erkenntnis nicht ruhen lässt, auch wenn sie sich ihm immer wieder entzieht. »Alle Hinweise, die ich fand, münden in einer Hand voll fragmentarischer Schriften – Schriften aus einer Zeit der Not und Zerstörung, die in einer Sprache geschrieben sind, welche der des Ffolks sehr nahe kommt. Es muss hier weitere Quellen geben, irgendwo in dem großen Museum eurer kleinen Geschichte.«

»Aber das Ffolk gibt es hier erst seit siebenhundertsiebenundsiebzig Jahren. Und das war erst nach der Zeit … der Zeit …«

»… der Schattenkriege«, sagte Fabian.

Das Feuer im Kamin flammte auf und warf die Schatten der Freunde groß und dunkel auf die Wände, dass man glaubte, Krieger aus ferner Vorzeit in der Düsternis auferstehen zu sehen, gehörnt und gewappnet. Der Zwerg sagte nichts, doch das Licht spiegelte sich in seinen dunklen Augen wider, und seine Hand krampfte sich in das Leder seines Hemdes über der Brust, als trage er dort am Herzen etwas verborgen, ein Geheimnis, das nur er allein kannte.

Die Schatten sanken herab. Ein Scheit knackte im Kamin, fiel funkensprühend in sich zusammen.

»Ich werde dir helfen, so gut ich kann«, sagte Kim schließlich. »Und wir werden schon etwas finden; denn unsere Geschichte mag zwar nicht in Büchern niedergeschrieben sein, aber im Museum herrscht Ordnung!«, und der Schalk kehrte in seinen Blick zurück.

Burin war aufgestanden. »Reden macht durstig!«, sagte er und nahm die drei Krüge, um sie wieder zu füllen. Und als der Zwerg mit den Humpen an den Tisch zurückgekehrt war, war die düstere Stimmung bereits fast wieder verflogen.

»Ad salamandrum ex«, sprach Kim, sich der alten Sprache der Gelehrten bedienend, und hob sein Gemäß. »Fiducit!«, riefen die anderen und stießen an.

»… und ich sage euch …« Mart Kreuchauff wollte gerade zu einer weiteren Tirade ausholen, als die Tür zum ›Pflug‹ erneut aufging. Doch diesmal kamen keine zwei freundlichen Fremden herein, die ein Bier tranken, sich nach dem Weg erkundigten, Grund für netten Tratsch lieferten und dann wieder ihrer Wege gingen.

Die Tür krachte gegen die Wand, fuhr zurück und wurde mit einem groben Tritt wieder aufgestoßen. Sechs Mann kamen herein – nein, es waren keine Männer: Sie waren groß wie Menschen, doch ungeschlachter, gröber von Gestalt, kräftig gebaut, und ihre Haut war wie altes Leder, braun und narbig. Schwere, genagelte Stiefel hämmerten auf den Boden, Schwerter glitten aus den Scheiden, und der ölige Geruch der Kettenhemden mischte sich mit dem Gestank ungewaschener Körper.

»Bolgs …«

Keiner hatte es ausgesprochen, nur der Wirt bildete das Wort mit den Lippen. Die Münder der anderen standen offen. Hatten sie vorhin das Gefühl gehabt, in eine alte Sage geraten zu sein, so war nun eine der schrecklichsten Legenden in ihr friedliches Leben eingezogen, ja, einmarschiert. Das war eher ein Angriff als ein Besuch.

Bolgs. Alle Anwesenden kannten sie nur von Bildern im Museum, und beinahe jeder hatte schon einmal damit geprahlt, was man mit den Bolgs machen würde, wenn sie in Elderland einfielen. Nun, da man diese Kreaturen von Angesicht zu Angesicht vor sich hatte, sank der Mut der Männer.

Kein Wort fiel. Die Waffen der Eindringlinge sprachen ihre eigene Sprache, und selbst Mart, der dicke Kaufmann, wagte nicht aufzubegehren. Sechsmal zweieinhalb Ffuß Stahl war ein gutes Argument, den Mund zu halten. Es blieb nur noch die Hoffnung, dass sich dieser Augenblick als Albtraum herausstellen würde und die Bolgs schnell wieder verschwanden.

Aus der Nacht trat eine weitere Gestalt in das helle Licht des Schankraums. Die hochgewachsene, hagere Erscheinung wollte so gar nicht zu den Bolgs passen. Weißes, kurzgeschnittenes Haar ließ das ebenmäßige, bleiche Gesicht gut erkennen. Spitze, hochgeschwungene Ohren wiesen den Neuankömmling als Elben aus. Er trug eine schwarzglänzende Rüstung, welche die beinahe unnatürliche Blässe des Gesichts noch mehr hervortreten ließ. Doch seine Augen waren nicht rot wie bei einem Albino, sondern schwarz wie die Nacht.

Mit seinem Eintreten breitete sich eine Aura des Bedrohlichen, des Unheimlichen im Raum aus. Mochten die Bolgs gefährlich aussehen, gegen den Dunkelelben verblassten sie. Er hatte nicht einmal sein Schwert gezogen. Es war nicht nötig.

Der Dunkelelbe sah in die Runde. Und jeder der Anwesenden fühlte sich für einen Augenblick in den Bann dieser nachtschwarzen Augen geschlagen.

Seine Stimme war leise und zischend, fast tonlos.

›Wo ist der Elbe? Wo habt ihr ihn versteckt? Gebt ihn heraus!‹

KAPITEL IIAUFBRUCH

Verdammt, schoss es ihm durch den Kopf, die bleiche Haut, die wir mit unseren dunklen Brüdern gemein haben, wird mich noch verraten!

Aus der Ferne hörte er die Rufe seiner Verfolger, die näher kamen. Die Hetzmeute ließ ihm keine Atempause. Doch er durfte nicht aufgeben. Erneut raffte er sich auf und lief im Schutz der Hecke in nördlicher Richtung. Regen hing in der Luft, doch noch drang das Licht der Sterne durch die Lücken in den Wolken, und Gilfalas konnte es nicht wagen, sich über das offene Gelände in den kleinen Wald zu schlagen, der ihm zumindest eine kurze Verschnaufpause bringen würde. Trotz aller Eile musste er versuchen, so vorsichtig wie möglich vorzugehen.

Er verfluchte dieses Land, das wie ein einziger großer Garten war, welcher so wenige Verstecke und so viel offenes Gelände bot. Und gerade das mochte ihm den Tod – oder Schlimmeres – bringen, wenn ihm nicht bald etwas einfiel, um seine Jäger abzuschütteln.

Die Angst trieb ihn weiter, und jeder, der ihn gesehen hätte, wäre vor der Furcht, die sein ebenmäßiges, feingeschnittenes Antlitz zeichnete, ja, verzerrte, zurückgeschreckt. Bolgs und Dunkelelben hatten sich auf seine Fährte geheftet, um zu verhindern, dass er von dem erzählen konnte, was er gesehen hatte.

Fackeln näherten sich von Westen her. Es mussten mehrere Dutzend der dunklen Schergen sein, die, getrieben von ihren Anführern, an seinen Fersen klebten, ihn jagten wie einen tollwütigen Fuchs, den man zur Strecke bringen will.

Sein Lederwams, seine Hose und auch seine Stiefel waren von der langen Flucht gezeichnet. Das Schwert schlug beim Laufen gegen seinen Unterschenkel. Die Waffe war inzwischen schartig und stumpf, aber er durfte sich nicht davon trennen, hatte sie ihm doch schon mehrfach das Leben gerettet und würde dies vielleicht noch einige Male tun müssen, bis es ihm gelungen war, den Häschern zu entkommen. Oder bis ihn das Schicksal ereilte.

Doch daran durfte er gar nicht denken, nicht jetzt, nicht in diesem Moment. Er musste von dem, was er gesehen hatte, berichten. Sonst mochte alles zu Ende sein: Freiheit, Leben und Licht. Dann würden seine dunklen Brüder alles vernichten, was sich ihnen in den Weg stellte …

Einen Augenblick lang musste er völlig von seinen Gedanken gefangen gewesen sein; denn spät, fast zu spät hörte er den Hufschlag. Er warf sich nach vorn und schlitterte über den nassen, steinigen Grund. Auf der anderen Seite der Hecke galoppierte der Reiter an ihm vorbei, ohne ihn zu bemerken. Zum Glück hatte das dichte Dornengestrüpp in den letzten Wochen genügend Blätter getrieben. Ohne ihren Schutz wäre er verloren gewesen.

Gilfalas, du bist ein Trottel, fluchte er in sich hinein. Das war verdammt knapp gewesen.

Mühsam rappelte er sich wieder hoch, sammelte noch einmal alle Kraft, die ihm verblieben war, und lief los.

Diesmal war er vorsichtiger, versuchte nur noch auf seine Umgebung zu achten, sich nicht mehr von den Gedanken an das Unfassbare ablenken zu lassen. Die Hecke machte hier einen Bogen, aber er konnte sehen, dass sie weiter auf den Wald zu führte, sodass er nicht über offenes Gelände zu laufen brauchte. So schnell er konnte, rannte er über den unebenen Grund auf das kleine Waldstück zu, das sich dunkel vor ihm aus der mondlosen Nacht schälte.

Plötzlich Schritte vor ihm! Bolgs, es mussten Bolgs sein. Denn wäre es einer seiner dunklen Brüder gewesen, hätte dieser ihn unweigerlich entdeckt. Auch die Dunkelelben sahen in der Finsternis recht gut, so wie er selbst. Die Bolgs waren nur grobe Abbilder ihrer Herren und Schöpfer, Menschen ähnlicher als den Eloai, den Erweckten.

Hastig blickte Gilfalas sich um. Es gab nur einen Ausweg. Er schlug sich in die Hecke. Die Dornenzweige zerrten mit ihren spitzen Stacheln an seinen Kleidern, drangen wie Nadeln in das weiche Leder von Hose und Wams, rissen es wie Dutzende winziger Zähne in Fetzen. Der Elbe sog scharf die Luft ein, um nicht aufzuschreien. Es stach wie eine Folter von vielen kleinen Messern; Gilfalas spürte, wie Blut aus den kleinen Wunden trat und warm seinen Körper hinabrann.

Und er erkannte, dass der Schutz durch die Hecke trotz des Blattwerks unvollkommen war, da man ihn sehen konnte. Sein verfluchtes bleiches Antlitz und das helle Haar! Der Elbe versuchte tiefer in die Dornenhecke einzudringen, um sich zu verbergen; doch hier waren die Zweige so dicht verflochten, dass es kein Durchkommen mehr gab. Er wünschte sich seinen Kapuzenumhang zurück, aber der war gleich zu Beginn seiner Flucht verloren gegangen.

Wie lang war das her? Ewigkeiten. Immer wenn er geglaubt hatte, die Verfolger abgeschüttelt zu haben und ein wenig Ruhe zu finden, hatten sie ihn wieder eingeholt. Er hatte inzwischen jedes Zeitgefühl verloren; es war Nacht geworden und Tag und wieder Nacht – mehr als ein voller Sonnenlauf, dass sie ihn so hetzten.

Seine Hand griff in etwas Weiches; er fühlte, wie Wasser seine Finger umspielte.

Eine Pfütze! Schlamm!

Gilfalas griff tief in das vom Wasser aufgeweichte Erdreich, und in aller Eile, aber so vorsichtig und leise wie möglich rieb er sich den Schlamm ins Gesicht und ins Haar, versuchte, keine Stelle auszulassen; denn jeden Augenblick konnten die Bolgs an seinem Versteck vorbeikommen.

Wieder glaubte er Schritte zu hören; aber die Nacht war voller Geräusche, und die Jagd hatte sein feines Gehör verwirrt. Er konnte nur hoffen, dass er bei seiner Maskerade nichts vergessen hatte und nun gänzlich mit der Dunkelheit in der Hecke verschmolz.