Die Hofgärtnerin − Sommerleuchten - Rena Rosenthal - E-Book
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Die Hofgärtnerin − Sommerleuchten E-Book

Rena Rosenthal

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Beschreibung

Der Traum einer eigenen Gärtnerei. Eine Frau, die mutig in die Zukunft geht. Eine Liebe, die alle Hindernisse überwindet.

Oldenburg, 1893: Marleene und ihr Verlobter träumen davon, eine eigene Gärtnerei aufzubauen, in der sie duftenden Flieder und prachtvolle Rhododendren züchten. Als sich ihnen die Gelegenheit bietet, ein Stück Land zu bewirtschaften, können sie ihr Glück kaum fassen. Eine Auszeichnung auf der Hamburger Gartenschau könnte ihnen außerdem die begehrte Auszeichnung als »Hofgärtnerei« einbringen. Doch innerhalb von kürzester Zeit aus dem Nichts eine Gärtnerei aufzubauen verlangt ihnen und ihrer Liebe alles ab – sogar die Hochzeitspläne müssen zu Marleenes Kummer auf Eis gelegt werden. Und auch ihre Konkurrenten schrecken vor nichts zurück, um die beiden von ihrem Ziel abzubringen. Können sie es dennoch schaffen, ihren großen Traum wahrzumachen?

Dieser Sommer duftet nach bunten Blumen. Die wundervolle Hofgärtnerinnen-Saga geht weiter. In hochwertig veredelter, liebevoller Ausstattung.

»Ein sehr sinnliches Lesevergnügen.« freundin über ›Die Hofgärtnerin. Frühlingsträume‹

Alle Bände der Saga:
Buch 1: »Die Hofgärtnerin – Frühlingsträume« (Neuerscheinung 2021)
Buch 2: »Die Hofgärtnerin – Sommerleuchten« (Neuerscheinung 2022)
Buch 3: »Die Hofgärtnerin – Blütenzauber« (Neuerscheinung 2023)

  • Der Traum einer eigenen Gärtnerei. Eine Frau, die mutig in die Zukunft geht. Eine Liebe, die alle Hindernisse überwindet.
  • Eine Kindheit voller Fliederduft: Da Rena Rosenthal in der Gärtnerei ihrer Eltern aufwuchs, wurde ihr die Liebe zu den Blumen in die Wiege gelegt
  • Mit vielen Rezepturen für selbstgemachte Kosmetik zum Ausprobieren

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Seitenzahl: 922

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RENA ROSENTHAL hat schon als Kind jede freie Minute in der Baumschule ihrer Eltern verbracht. Die Baumschule in einem kleinen Örtchen in der Nähe von Oldenburg wird heute von ihrer Schwester geführt. Obwohl sie – im Gegensatz zum Rest ihrer Familie – nicht den Beruf der Gärtnerin ergriffen hat, ist ihre Liebe zu Blumen geblieben. Daher war schnell klar, dass ihre erste Familiensaga von duftenden Fliederbäumen und prächtigen Rhododendren handeln soll. Die Hofgärtnerin – Sommerleuchten ist der zweite Band in der Bestseller-Saga rund um die junge Gärtnerin Marleene.

Band 1 Die Hofgärtnerin − Frühlingsträume in der Presse:

»Ihr Roman stellt eine emanzipierte Frau in den Mittelpunkt – und ist vor allem ein sehr sinnliches Lesevergnügen.« freundin

»Erster Teil einer sehr gut recherchierten Saga, durchzogen von Neid und Eifersucht, aber auch Liebe. Wunderschön.« Mainhattan Kurier

Außerdem von Rena Rosenthal lieferbar:

Die Hofgärtnerin – Frühlingsträume

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Rena Rosenthal

DieHofgärtnerin

Sommerleuchten

Roman

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © 2022 der Originalausgabe by Rena Rosenthal

Copyright © 2022 by Penguin Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Michael Meller Literary Agency GmbH, München.

Redaktion: Angela Kuepper

Covergestaltung: Favoritbuero

Covermotiv: © Sophia Molek/arcangel, © Shutterstock (JeniFoto, SGM, Jones M, lennystan, Gringoann, Spiroview Inc, Nataliia K)

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-26734-6V002

www.penguin-verlag.de

Für Jürgen und Waltraud

1. Kapitel Oldenburg, August 1892

Marleene beugte sich zu den rosafarbenen Ranunkeln hinunter und sog den süßlichen Duft tief in sich ein. Für einen Moment vertrieb er den Geruch des Bohnerwachses aus ihrer Nase und ließ sie vergessen, dass ihre Hände nun erneut rissig vom Seifenwasser waren und sich nicht mehr durch frische Blumenerde graben durften.

Niemals hätte sie vermutet, dass sie je wieder einen Fuß in das Hotel Holthusen setzen würde, wo sie vor ihrer Gärtnerlehre als Zimmermädchen gearbeitet hatte.

Dennoch war es so gekommen.

Sachte strich sie über die weichen Blätter der Dekorationspflanze auf der Anrichte – und erschrak, als es im Nebenzimmer laut klirrte. Ein unterdrückter Schrei drang herüber. Ohne zu zögern, stürzte sie los und stieß die hölzerne Tür auf. Zum Glück ging es diesmal nicht um einen übergriffigen Gast, wie sie insgeheim befürchtet hatte. Seitdem sie selbst einmal bedrängt worden war, war sie stets vor solchen Vorkommnissen auf der Hut und achtete auch auf die anderen Mädchen. Doch diesmal stand nur ihre Kollegin Sophie in ihrer weiß gestärkten Schürze mit Rüschen an den Rändern vor den Scherben einer Vase auf dem edlen Parkett. Sie hatte die Hände vor den Mund geschlagen und blickte Marleene panisch an.

Im Hotel Holthusen war eine kaputte Vase nicht eben nur eine kaputte Vase. Es war ein Desaster – insbesondere wenn es bereits das zweite zerbrochene Einrichtungsstück in diesem Monat war. Derlei Dinge wurden nicht nur vom Lohn abgezogen, die Hoteldirektorin hatte es auch schon fertiggebracht, ein Mädchen nach mehreren kleinen Missgeschicken vor die Tür zu setzen.

Ohne mit der Wimper zu zucken.

Mit drei Schritten war Marleene im Zimmer und machte sich daran, die Scherben vorsichtig aufzusammeln. »Komm,wenn wir uns beeilen, merkt der Hausdrachen vielleicht gar nichts.«

Sophie ging neben ihr in die Hocke. »Und wie erklären wir die fehlende Vase?«

»Das würde mich auch interessieren«, sagte eine kühle Stimme hinter ihnen.

Marleene roch einen Hauch Zigarettenqualm. Offenbar war auch Frau Holthusen durch den Tumult herbeigelockt worden. Für eine Sekunde war sie erstarrt, machte dann aber emsig weiter.

»Die Vase ist einfach von der Kommode gefallen. Es kann keiner etwas dafür«, sagte sie über die Schulter hinweg.

»Ich bitte dich.« Frau Holthusen schnaubte verächtlich. »Vasen fallen doch nicht grundlos herunter. Wie anmaßend von dir, das zu behaupten!« Sie verschränkte die Arme, und zwischen ihren Augen bildete sich eine steile Falte. »Und jetzt raus mit der Sprache. Wer von euch hat das hier zu verantworten?«

Marleene schob eine ihrer hellblonden Strähnen zurück unter die Haube, während sie händeringend nach einer Ausrede suchte.

»Ich höre?« Frau Holthusen sah sie über ihre spitze Nase so streng an, dass Marleene keine Widerworte wagte.

Sophie atmete tief ein, um sich für ihr Geständnis zu wappnen, doch im letzten Moment fiel Marleene ihr ins Wort.

»Ich wars. Es ist meine Schuld. Meinetwegen ist die Vase heruntergefallen. Ich bitte gnädigst um Verzeihung.«

Sie hatte sich in ihrer Zeit im Hotel noch nichts zuschulden kommen lassen und konnte nicht mit ansehen, wie Sophie ein weiteres Vergehen angelastet wurde. Ihre junge Kollegin wollte ihr ganzes Leben als Zimmermädchen tätig sein, und wenn es hier nicht möglich sein sollte, war sie bei einem Fortgang auf eine Empfehlung von Frau Holthusen angewiesen. Marleene hingegen hatte andere Pläne und würde bei der nächstbesten Gelegenheit ohnehin kündigen, deswegen beschloss sie, Sophie diese Schmach zu ersparen. Das vom Lohn abgezogene Geld würde sie Marleene gewiss erstatten.

»Du bist wahrhaftig ein Trampeltier, Marleene.« Frau Holthusen atmete lautstark aus. Keiner sonst schaffte es, durch einen simplen Atemzug dermaßen viel Unmut deutlich zu machen wie die Direktorin. »Dein freier Tag morgen ist damit gestrichen.«

»Was?« Marleene riss die Augen auf. »Äh … Wie bitte?, meinte ich natürlich. Mein freier Tag? Ich bitte Sie, alles, nur das nicht. Ich brauche diesen Tag!« Die Verzweiflung in ihrer Stimme war deutlich, denn es war nicht gelogen. Es war der einzig schöne Tag der Woche. Der Tag, an dem sie ihren Verlobten Julius, Sohn des Hofgärtners Alexander Goldbach, sehen konnte. Der lebte mittlerweile nämlich nicht mehr in Oldenburg in der Hofgärtnerei, sondern weiter draußen auf dem Lande. Nach dem Zerwürfnis mit seinem Vater hatte sein Onkel ihn aufgenommen, und er arbeitete mit auf dessen Tafelgut, das Obst und Gemüse für den Großherzog erwirtschaftete. Nur lag das in Mansholt, und Marleene benötigte zu Fuß fast drei Stunden – zu lange für einen Besuch nach Feierabend.

An ihren freien Tagen verbrachten sie jede Minute gemeinsam und fertigten Stecklinge und Steckhölzer für die eigene Gärtnerei an, die sie eröffnen wollten. Nur fehlte ihnen noch das Geld, um das benötigte Land zu kaufen. Heute würde Julius erfahren, ob die letztmögliche Bank ihnen einen Kredit gewähren würde. Und jetzt hätte sie keine Gelegenheit, ihm Bescheid zu sagen, warum sie nicht kam.

Er könnte das Schlimmste vermuten.

»K-können Sie mir die Vase nicht einfach vom Lohn abziehen?«

»Das werde ich natürlich zusätzlich machen.«

Marleene biss die Zähne zusammen, um nicht loszuschreien. Es war so, so, so ungerecht! Sie fand es ohnehin nicht richtig, dass die Angestellten die kaputten Gegenstände selbst bezahlen mussten. Wenn man täglich zweihundert Teller schrubbte, ließ es sich nicht vermeiden, dass hin und wieder einer zu Bruch ging. Und wenn man verglich, wie viel eine Nacht im Hotel kostete und wie viel die Zimmermädchen verdienten, wäre es gewiss ein Leichtes für das Hotel gewesen, für solche Dinge aufzukommen. Ihr jetzt auch noch einen ganzen freien Tag zu streichen, war unverhältnismäßig.

Das unterdrückte Grinsen im Gesicht der Direktorin ließ Marleene zudem vermuten, dass diese genau wusste, was sie ihr damit antat. Frau Holthusen nahm ihr den einzigen Tag, an dem sie an der Verwirklichung ihres Traumes arbeiten konnte. Warum hatte die Frau sie überhaupt wieder eingestellt, wenn sie sie dermaßen hasste? Es war ein Rätsel, das Marleene bis zum heutigen Tag nicht zu lösen vermocht hatte. Nur ungern gab sie zu, dass ausgerechnet Frau Holthusen sie mehr oder weniger gerettet hatte, nachdem ihr kleines Abenteuer so gänzlich schiefgegangen war.

Schon ihr Vater hatte in der Hofgärtnerei gearbeitet und ihr vor seinem Tod alles über Pflanzen beigebracht, was er wusste. Marleene liebte Blumen und Gewächse genauso wie er, und so war es seit jeher ihr großer Traum gewesen, Gärtnerin zu werden – nur leider durften Frauen keine entsprechende Lehre machen. Das war allein Männern vorbehalten. Es gab zwar neuerdings eine Schule für Gärtnerinnen, aber die war unglaublich kostspielig und, da Marleene sich kaum die Kleidung an ihrem Leib leisten konnte, gänzlich außerhalb ihrer Reichweite.

Also hatte sie sich etwas überlegt.

Ihr Plan war wahnsinnig riskant gewesen, aber ihr Wunsch so übermächtig, dass sie es dennoch gewagt hatte. Sie hatte sich als Junge verkleidet. Dass sie die Stelle tatsächlich bekommen hatte, hatte sie allein dem zu verdanken, was ihr Vater ihr beigebracht und was sie sich nach seinem Tod angelesen hatte. Der Chef der Hofgärtnerei war beeindruckt gewesen und hatte sie in den höchsten Tönen gelobt – was ihr allerdings einen schlechten Stand unter den anderen Arbeitern beschert hatte. Die hatten ihr das Leben ganz schön schwer gemacht. Aber so richtig kompliziert war es erst geworden, als sie sich in Julius verliebt hatte.

Alexander hatte ihr die Maskerade zudem nicht verzeihen können, als alles herausgekommen war, und Julius kurzerhand enterbt.

Er war so voller Groll gewesen, dass er zusätzlich in ganz Oldenburg verkündet hatte, welch liederliche Person sie sei.

Und so hatte keiner sie eingestellt.

Die wenigen Gärtnereien, die es neben der Hofgärtnerei im Umland gab, waren ebenso abgeneigt gewesen wie die Hotels und Gastwirtschaften. Aus der Not heraus hatte Marleene all ihren Stolz heruntergeschluckt und war in das Hotel zurückgekehrt, wo sie vor ihrer Gärtnerlehre als Zimmermädchen gearbeitet hatte.

Es war ihr nichts anderes übrig geblieben. Sie sah es noch genau vor sich, wie sie im Kontor der Hoteldirektorin gestanden hatte. Frau Holthusens Blick war nicht einzuordnen gewesen. Eine absonderliche Mischung aus Ärger, Triumph und womöglich sogar eine Spur Mitleid.

»Was willst du?«, fragte sie in dem ihr so eigenen desinteressierten Ton und wandte sich sogleich wieder der Korrespondenz auf ihrem Schreibtisch zu.

»Ich wollte anbieten, für Sie als Zimmermädchen zu arbeiten.« Die Worte hatte Marleene sich genauestens zurechtgelegt. Sie würde nicht zurückkehren und um Arbeit betteln, dieser Mensch war sie nicht mehr. Wenn sie eines aus ihrer Zeit als junger Bursche gelernt hatte, dann war es das, mit mehr Selbstbewusstsein durchs Leben zu gehen. Dieses Gefühl hatte sich geradezu natürlich mit dem Anlegen der Männerkleider eingestellt, da ihr fortan ein gänzlich anderer Respekt entgegengebracht worden war. Und auch wenn sie ihre Rolle als Gärtnerlehrling hatte aufgeben müssen, die veränderte innerliche Einstellung hatte sie sich bewahrt.

Und so ging sie auch an das Gespräch heran. Sie musste nicht um Arbeit flehen, denn sie hatte etwas zu bieten.

»Und warum sollte ich dich wieder in Lohn und Brot nehmen, nachdem du mich letztes Mal dermaßen hast hängen lassen?«, fragte Frau Holthusen und strich den Brief glatt, den sie soeben noch gelesen hatte.

Marleene erinnerte sie nicht daran, dass sie frühzeitig gekündigt und die Direktorin verlangt hatte, dass sie auf der Stelle ging, während sie bis zum Vertragsende hätte weiterarbeiten wollen.

»Weil ich bereits eingearbeitet bin, Ihnen momentan drei Zimmermädchen fehlen, die in anderen Umständen sind, und Sie sicher sein können, dass ich meine Arbeit gewissenhaft und zu Ihrer Zufriedenheit verrichten werde.«

Schließlich blickte Frau Holthusen auf und musterte sie eingehend. Ihre Augen verweilten einen Herzschlag zu lange an Marleenes noch immer recht kurzen Haaren, von denen sich nur die oberen zu einem winzigen Zopf zusammenfassen ließen. Erst als Marleene bereits dachte, sie würde nicht mehr antworten, und im Begriff war zu gehen, ergriff die Direktorin das Wort.

»Ich werde es mir überlegen.«

Drei Tage ließ sie Marleene schmoren. Dann schickte sie einen kleinen Jungen als Boten in die Arbeiterherberge, wo Marleene mit ihrer Cousine Frieda eine enge Kammer bewohnte. Sie musste einwilligen, dass sie noch weniger Lohn als zuvor bekam, aber sie durfte am darauffolgenden Montag anfangen …

Dass die Direktorin ihr jetzt den freien Tag nehmen wollte, ging wahrhaftig zu weit.

»Bitte, Frau Holthusen, ich arbeite jeden Tag länger, aber bitte nehmen Sie mir nicht den freien Tag.«

Zu spät erkannte sie, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Durch ihr Flehen bestätigte sie nur, wie wichtig es ihr war. Sie hätte gelassen bleiben müssen und logische Argumente finden sollen.

Aber wenn es um Julius ging, waren schlichtweg zu viele Emotionen im Spiel, die konnte sie nicht unterdrücken. Das hatte sie in der Gärtnerei monatelang gemacht, und jetzt, wo sie sich ihren Gefühlen hingeben durfte, fieberte sie die ganze Woche ihrem Wiedersehen entgegen und lebte fast nur noch dafür.

Frau Holthusen hob die Augenbrauen in den Himmel. »Ich weiß gar nicht, wie du überhaupt auf die Idee kommst, hier mitreden zu dürfen.«

Marleene schluckte eine Antwort herunter und zwang sich, die Augen niederzuschlagen.

»Vergiss nicht, dass später die Topfpflanzen für den Salon kommen. Sie sollen hurtig abgeladen werden, sonst berechnet der Halsabschneider von der Hofgärtnerei mir wieder doppelt so viel für die Lieferung.« Mit diesen Worten machte sie auf dem Absatz kehrt.

Sophie trat nun auf Marleene zu und blickte sie zerknirscht an. »Herrje, das tut mir so unendlich leid. Ich wollte die ganze Zeit etwas sagen, habe aber befürchtet, dass das die Sache nur noch schlimmer machen würde, wenn herauskäme, dass es nicht die Wahrheit war.« Sie war gänzlich blass im Gesicht, sodass ihre schwarzen Haare, die unter der Haube hervorschauten, sich besonders stark von ihrem Teint abhoben.

»Mach dir keine Sorgen, es war ja meine Entscheidung. Ich dachte, Frau Holthusen könnte mir nicht mehr viel anhaben, immerhin ist es für mich unmöglich, in ihrer Gunst noch tiefer zu sinken. Julius war guter Dinge wegen des Kredits für unser Land, und sobald wir den haben, bin ich hier ohnehin weg …«

Und dann würde sie Julius Tag für Tag sehen.

Sie würden heiraten, es gäbe keine ungerechten Hoteldirektorinnen mehr, und sie könnten alles selbst bestimmen.

***

Als Marleene später die Bettwäsche abzog, ging ein Schauder durch ihren Körper, denn die Daunen hatten noch immer etwas Körperwärme gespeichert. Es war absurd. In der Hofgärtnerei hatten sie mitunter die Pflanzen mit einem Gemisch aus Kuhdung, Blut, Hornspänen und Asche gedüngt. Einmal hatte sie damit sogar nähere Bekanntschaft geschlossen, als ihr lieb gewesen war. Trotzdem weckte nichts dermaßen ihr Ekelgefühl wie die noch warme Bettdecke eines Hotelgasts. Erst als sie beim anschließenden Staubwedeln aus dem Fenster sah und Lotte entdeckte, das kräftige braune Pferd mit der hellen Mähne der Hofgärtnerei, besserte sich ihre Laune. Vor dem schwer beladenen Fuhrwerk trabte das Pferd zum Hotel, und Marleene sprang die Stufen hinunter, um die Pflanzen entgegenzunehmen.

Sie freute sich stets, wenn sie den alten Alois aus der Hofgärtnerei sah, und auch er lächelte ihr mit seiner Zahnlücke stets aus seinem gutmütigen Runzelgesicht entgegen. Dennoch spürte sie dabei auch jedes Mal den Stachel, der seit dem Rauswurf in ihrem Herzen saß. Obgleich die anderen Arbeiter ihr den Anfang ihrer Lehrzeit ziemlich schwer gemacht hatten, hatten sie sich irgendwann zusammengerauft, und so dachte sie noch immer voller Wehmut an die Zeit in der Hofgärtnerei, obwohl das alles bereits über ein halbes Jahr zurücklag. Aber sie sorgte dafür, dass Alois nichts von ihrer Niedergeschlagenheit mitbekam. Freudestrahlend begrüßte sie ihn und bewunderte die rosafarbenen Pfingstrosen, die für das Hotel ausgesucht worden waren. Alois kletterte derweil auf die Ladefläche und reichte ihr unter einem leichten Ächzen die prall gefüllten hölzernen Pflanzenkisten an.

»Wie geht es allen, und was gibt es Neues in der Hofgärtnerei?«, fragte Marleene wissbegierig.

»Wi hebbt twee neue Helferinnen für das Unkraut und so«, antwortete er auf Plattdeutsch und lächelte ihr aus seinem faltigen Gesicht fast schon entschuldigend zu.

Obwohl sie keine richtige Lehre bekamen, sondern lediglich für leichte Hilfsarbeiten eingesetzt wurden und nicht das machten, was Marleene anstrebte, spannte sie sich innerlich an, um den Schmerz abzuwehren, denn ganz offensichtlich ersetzten die beiden Helferinnen einen Teil der Arbeit von Julius und ihr.

»Sind sie gut?«

Alois rümpfte die Nase. »Ik meen nich. Snatern den ganzen Dag. Und die eene takelt sük up, und die andere staart ständig wie een dood Enter. Konstantin hat se een Deenst gestellt.«

Hervorragend, dann hat er ja neue Opfer für seine Jagd, dachte Marleene, denn Konstantin Goldbach, Julius’ älterer Bruder, hatte längst einen Ruf als Schwerenöter weg. Die beiden Frauen taten Marleene jetzt schon leid.

»Und davon abgesehen? Was gibt es sonst noch Neues?«, fragte Marleene, nachdem sie die duftende Blumenkiste in den Keller gestellt hatte.

»Och …« Er wich ihrem Blick aus und stützte seinen Rücken mit der rechten Hand. »Nix. Sonst gibt es egentlik rein gar nix to vertellen. Alles beim Alten. All up Stee!« Er schabte sorgsam etwas Erde zusammen, die aus einem Topf herausgerieselt war.

»Alois«, sie sah ihn streng an. »Raus mit der Sprache!«

Hoch konzentriert nestelte er an einem abgeknickten Blatt einer Pfingstrose und presste die Lippen zusammen.

»Ich wurde rausgeschmissen und mein Verlobter meinetwegen von seiner Familie verstoßen«, erinnerte Marleene ihn. »So schlimm können deine Neuigkeiten wohl kaum sein.«

Alois grummelte und war noch immer mit der Pfingstrose beschäftigt. »Das nicht … Es ist nur …«, er schnappte nach Luft, »wi hebt een neuen Lehrjungse.«

Marleenes Schultern sackten herunter, und sie konnte ihn nur anstarren. Sie hatte unrecht gehabt.

Das war schlimm.

Dass Alexander nun für Ersatz gesorgt hatte, machte alles so endgültig. Sie würde nie wieder in der Hofgärtnerei arbeiten. Die Erkenntnis lastete schwer auf ihrer Brust.

Eigentlich hatten Julius und sie sich eine eigene Gärtnerei aufbauen und selbst junge Frauen in die Lehre nehmen wollen. Doch wenn Marleene ehrlich zu sich war, dann glaubte sie nicht mehr daran, dass sie es schaffen würden.

Entschlossen griff sie nach der nächsten Kiste und trug sie mit eng gewordener Kehle die steinernen Stufen hinab. Das war alles, was sie für den Rest ihres Lebens mit Blumen tun würde: sie für das Hotel auf den Tischen verteilen. Julius dachte, sie ahnte nichts, aber ihr war klar, dass ihr Traum geplatzt war. Die Hoffnung auf den Kredit war nichts als eine Illusion. Von sämtlichen Banken war er bisher mit den gleichen abschlägigen Nachrichten heimgekehrt. Eine eigene Gärtnerei würden sie sich nie und nimmer leisten können, wenn sie keinen Kredit bekämen. Und was womöglich noch schlimmer war: So ganz ohne Geld konnten sie hier in der Stadt auch nicht heiraten. Es war nicht wie auf dem Lande, wo das meiste über nachbarschaftliche Hilfe lief.

Deswegen hatte sie im Stillen gehofft, dass sich in der Hofgärtnerei nach Monaten des Grolls doch noch eine Arbeitsmöglichkeit ergeben würde. Aber wenn Alexander einen neuen Lehrling eingestellt hatte, war wohl auch die kleinste Hoffnung verloren.

Gab es wahrhaftig kein Zurück mehr?

***

Alexander Goldbachs Lächeln erstarb, sobald Herr von Wallenhorsts massiger Körper in der weißen Kutsche verschwunden war. Betont leise schloss er die Tür zur Fliedervilla, um seine Contenance zu wahren, und kehrte dann in sein Kontor zurück, wo er sich hinter den edlen Nussbaumschreibtisch sinken ließ.

Sein Verhältnis zum Hotelier von Wallenhorst war von Anfang an problembehaftet gewesen, nachdem er im Vollrausch zugestimmt hatte, dessen Tochter Dorothea als Gärtnerin einzustellen, wenn sie dafür den alljährlichen Rosenball mit Pflanzen bestücken dürften. Nur dass der Umgang mit Dorothea äußerst schwierig gewesen war, da sie es nicht gewohnt war, Anweisungen entgegenzunehmen, und das Wissen, das sie sich auf der Gärtnerinnenschule angeeignet hatte, im Grunde rein theoretisch war.

Doch was er jetzt erfahren hatte, setzte dem Ganzen die Krone auf.

Er brauchte Zeit. Zeit, um seine Gedanken zu ordnen nach dieser ungeheuerlichen Neuigkeit, die von Wallenhorst soeben überbracht hatte. Die Situation hatte ihn vage an jene von vor einem Jahr erinnert, als sie ebenfalls zu einem wahrlich unangenehmen Gespräch in der Fliedervilla zusammengekommen waren. Damals hatten sie dem Hotelier beichten müssen, dass alle Rosen für seinen legendären Rosenball im Hotel Rosenstock vertrocknet waren. Das war bereits ein einschneidendes Erlebnis gewesen, und doch war es nichts im Vergleich zu dem, was von Wallenhorst ihm heute eröffnet hatte.

Alexander sog so viel Luft ein, wie seine Lunge zu fassen vermochte, und ließ sie dann ganz gemächlich wieder ausströmen. Sollte das nicht helfen, die Wut unter Kontrolle zu halten?

Es war jedoch wirkungslos.

Die Neuigkeit war schlichtweg zu ungeheuerlich. Es würde weitreichende Konsequenzen für die Familie und, wenn Konstantin nicht mitspielte, auch für die Hofgärtnerei haben.

Aber sein Sohn musste sich fügen, dafür würde er diesmal sorgen. Alexander musste sich eingestehen, dass sich die Dinge ganz und gar nicht so entwickelt hatten, wie er es sich gewünscht hatte. Er hatte immer geglaubt, dass Konstantin, nachdem er so viel Interesse an der Gartenarchitektur gezeigt und schon erste Erfolge eingefahren hatte, eine große Laufbahn als Kunstgärtner einschlagen und Julius eines Tages die Hofgärtnerei übernehmen würde. Doch nun hatte auch Julius besonderes Geschick bei einer gänzlich neuartigen Planung des Oldenburger Schlossgartens gezeigt – ein Entwurf, der nun von Konstantin umgesetzt wurde, da es Teil des Gewinns war, dass die einreichende Gärtnerei damit beauftragt wurde. Also musste Konstantin sich darum kümmern, während er gleichzeitig die Hofgärtnerei mit leitete, die Alexander ursprünglich Julius zugedacht hatte, da Konstantin nach Höherem strebte. Doch Julius war weg, und da die großen Anstellungen für Konstantin als Kunstgärtner ausgeblieben waren, sollte sein ältester Sohn nun eben die Hofgärtnerei übernehmen – etwas, worauf man ebenso stolz sein konnte.

Die Betonung lag hier jedoch auf sollte, denn Konstantins Einsatz ließ bisweilen zu wünschen übrig. Viel zu oft trieb er sich in diversen Etablissements herum und kam abends so spät nach Hause, dass Alexander es schon gar nicht mehr hörte, da er bereits im Tiefschlaf war. Letzteres musste auch so sein, denn die Tage in der Hofgärtnerei begannen früh. Schon öfter hatte er deswegen ein ernstes Wörtchen an Konstantin gerichtet, aber dieser beharrte darauf, dass er nur einmal jung sei und Alexander ihm doch wenigstens ein bisschen Freude gönnen solle, bevor er sich häuslich niederließ.

Konstantin war mit seinen nunmehr achtundzwanzig Jahren mitnichten jung und ließ zudem noch immer kein bisschen erkennen, dass er jemals sesshaft würde. Alexander würde es niemals offen zugeben, aber in letzter Zeit dachte er immer öfter, dass es mit Julius anders gelaufen wäre. Obwohl er der Jüngere war, hatte er bereits sehr viel mehr Verantwortungsbewusstsein an den Tag gelegt. In den Zeiten, in denen er in der Gärtnerei mitgearbeitet hatte, hatte er zudem ein sehr viel besseres Führungsverhalten gezeigt, als Konstantin es je getan hatte. Dieser schlug meist erst gegen neun oder zehn in der Gärtnerei auf, wenn dort bereits das zweite Frühstück eingenommen wurde. Und dann hatte er oft wenig Ahnung, welche Arbeiten anstanden, und manchmal nicht einmal, wie sie gemacht wurden. Alexander wusste, dass er eigentlich noch viel strenger mit Konstantin sein müsste, aber es war nicht einfach, einen erwachsenen Mann in die Schranken zu weisen. Letzten Endes wollte er es sich nicht auch noch mit dem zweiten seiner Söhne verscherzen. Dann hätte er gar keinen Erben mehr für das Familienunternehmen.

Alexander hörte, wie sich die Tür zur Fliedervilla mit einem leisen Quietschen öffnete. Das musste er sein.

»Konstantin, auf ein Wort!«, rief er von seinem Platz in den Flur.

Sein Sohn stolzierte in einem geschniegelten braunen Anzug, passend zu seiner Haarfarbe, samt Spazierstock ins Zimmer. Hochgewachsen, wie er war, passte sein Ellenbogen genau auf das Vertiko, und er kümmerte sich nicht darum, dass er die Porzellankatzensammlung seiner verstorbenen Mutter ins Wanken brachte, als er sich darauf abstützte. Er lächelte seinen Vater gewinnend an, die braunen Augen blitzten dabei.

»Was gibt es? Ich habe nicht viel Zeit, ich habe für heute Abend einer Bekannten einen Besuch versprochen.«

»Es ist sehr dringend.« Alexander erhob sich und stützte die Hände in die Hüften. »Du wirst deinen Besuch heute Abend und auch alle weiteren Termine in dieser und in den kommenden Wochen absagen. Es wird Zeit, dass du erwachsen wirst.«

Konstantin lachte auf. »Absagen? Das werde ich gewiss nicht tun. Warum sollte ich?«

»Weil Herr von Wallenhorst soeben hier war.«

Für einen winzigen Moment geriet Konstantin ins Stocken. »Und weiter?«, erkundigte er sich sodann aber gelassen.

Alexander wandte sich dem Fenster zu und ließ den Blick über die Hofgärtnerei gleiten, wo seine Jagdhündin Asta vor den Topfpflanzen eine Fliege zu fangen versuchte. Er ertrug den Anblick seines Sohnes nicht länger. Sollte er in seiner Erziehung wirklich dermaßen versagt haben?

»Du weißt sehr gut, was das zu bedeuten hat. Deswegen ist jetzt Schluss mit dem Humbug, und du wirst deinen Pflichten nachkommen.«

Die Holzdielen knarzten, als Konstantin seelenruhig einige Schritte mit seinen auf Hochglanz polierten Schuhen in das Kontor hineinging.

»Ich lebe mein Leben so, wie ich es für richtig halte. Was willst du denn tun? Mich ebenfalls enterben?«

Alexander löste den Blick von den Blumen in der Nachmittagssonne. »Vielleicht.« Langsam drehte er sich wieder zu seinem Sohn und lehnte sich an die Fensterbank. »Ein Testament ist rasch geändert.«

Konstantin lachte tonlos auf und verließ schlicht und einfach den Raum.

Alexander wusste nicht, wohin mit seiner Wut. In einer fließenden Bewegung fegte er sämtliche Topfpflanzen von der Fensterbank. Scheppernd türmten sie sich übereinander, und die Erde rieselte auf den kostbaren Orientteppich. Aus den Augenwinkeln sah er das Dienstmädchen herbeihuschen und ebenso schnell wieder verschwinden. Allein das hielt ihn davon ab, laut zu schreien. Konstantin trieb ihn wahrhaftig in den Wahnsinn.

Erschöpft ließ er sich auf die Mahagonibank sinken und fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht.

Sein Sohn wiegte sich verdammt in Sicherheit. Vielleicht war es wirklich an der Zeit, die Dinge zu überdenken? War Julius wahrhaftig der Böse in diesem Szenario? Nur weil er unbedingt die mittellose Marleene zur Frau nehmen wollte? Ja, Marleene hatte seinen guten Ruf geschädigt. Noch Wochen nach ihrer Maskerade hatte er das Tuscheln hinter seinem Rücken gehört, und immer wieder war er darauf angesprochen worden, wie das passiert sein konnte. Selbst heute, über ein halbes Jahr später, kam die Sache noch regelmäßig auf den Tisch, stets gefolgt von einem höhnischen Lachen. Aber schadete Konstantin seinem Ansehen nicht noch viel mehr, wenn er sein Verhalten nicht änderte? Alexander musste sich sogar eingestehen, dass Marleene immerhin Gründe für ihr Handeln gehabt hatte. Gute Gründe. Konstantins Verhalten hingegen basierte einzig und allein auf seinem Egoismus. Marleene aber hatte dafür gekämpft, dass sie dem Beruf nachgehen konnte, der ihr so viel bedeutete.

Dem Beruf, den er ebenfalls liebte.

Tief in Gedanken versunken, kehrte er zum Schreibtisch zurück und ließ sich erneut auf den gepolsterten Stuhl hinter dem klobigen Schreibtisch sinken. Er holte den versteckten Schlüssel heraus, öffnete das verschlossene Geheimfach in der untersten Schublade und holte einen versiegelten Umschlag heraus. Testament, hatte er in seiner kantigen Handschrift darauf geschrieben.

2. Kapitel

Sobald das Mädchen ihr in das zartrosafarbene Seidenkleid mit der ausladenden Turnüre geholfen hatte, merkte Rosalie, dass Meike sämtliche Säume ausgelassen haben musste. Nichts zwickte und zwackte mehr. Noch vor gar nicht langer Zeit hätte sie das wütend gemacht, da es sie an die neue Fülle um ihre Hüften erinnerte.

Heute war es ihr gleich.

Fertig angekleidet, schwebte sie in bester Damenmanier die ausladende Treppe des Hotels hinunter, die Hand elfengleich auf dem kunstvoll geschnitzten Geländer. Sobald man sie von unten entdecken konnte, schoss ein drahtiger Mann in die Höhe. Sein faszinierter Blick glitt wohlwollend über ihren Körper und dann zu der pompösen Frisur, zu der Meike ihre goldblonden Locken hochgesteckt hatte. Neben ihm erhob sich eine derart dünne ältere Dame, dass man sie trotz ihres offen zur Schau getragenen Wohlstands nur als ausgemergelt bezeichnen konnte. Der Argwohn verließ ihre Miene niemals ganz, letztlich hatte sie sich der Wahl ihres hochverehrten Sohnes jedoch gebeugt, was ihre künftige Schwiegertochter anging.

Unten angekommen, legte Rosalie ihre Hand so behutsam auf den ihr dargebotenen Arm, dass sie den jungen Mann kaum berührte. Sie genoss die verstohlenen Blicke, die ihr von den neuen Gästen entgegenschossen, und sonnte sich ein wenig darin. Jeder hier kannte ihn.

»Wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf, Sie sind an diesem Abend wieder die reinste Augenweide, Fräulein Goldbach. Die schönste Dame im ganzen Saal, aber was sage ich denn da? Von ganz Norderney«, näselte er und strich sich mit der noch freien Hand vereinzelte lange Haarsträhnen zurück, mit denen er versuchte, seinen lichten Oberkopf zu überdecken.

Rosalie lächelte. Sie hatte es tatsächlich geschafft. Nur zu gerne hatte er um ihre Hand angehalten, die Hochzeit würde im kommenden Monat, im September, stattfinden. Sie hatte ihr Versprechen ihrem Vater gegenüber gehalten, immerhin war ihr letztendlich keine andere Wahl geblieben. Sie war wahrhaftig mit Meike, dem Stubenmädchen der Fliedervilla, zum Heiratsmarkt des Nordens nach Norderney gereist. Dort hatte sie einen Verehrer nach dem anderen abblitzen lassen, ganz gleich, wie eifrig sie ihr den Hof gemacht hatten, denn sie hatte ein klares Ziel. Wenn sie nicht wie versprochen den wohlhabendsten Junggesellen der ganzen Insel ausfindig machte und von ihren Vorzügen überzeugte, musste sie gar nicht erst in die Fliedervilla zurückkehren. Die Worte ihres Vaters waren diesbezüglich unmissverständlich gewesen.

Es hatte nicht lange gedauert, bis sie sich einen Überblick über den Markt verschafft hatte. Auf die öffentlich aushängenden Listen hatte sie sich dabei nicht verlassen. Erst nachdem sie mit Meike regelmäßig die feinsten Kaffeehäuser aufgesucht und ihr Mädchen dezente Nachfragen beim immer gut informierten Personal platziert hatte, hatte sie herausgefunden, nach wem sie ihre Angel auswerfen musste. Meike war fast enttäuscht gewesen, denn nachdem sie sich anfänglich geziert hatte, hatte sie überraschenderweise Gefallen an ihrer Spionage gefunden.

Doch mit Edelbert von und zu Tappenbeck, dem Erben einer großen Marzipan-Dynastie, hatte Rosalie alles, wonach sie streben sollte. Ihn von ihren Vorzügen zu überzeugen und ihre zahlreichen Konkurrentinnen auszustechen, war fast schon zu einfach gewesen, so angetan war er von ihrem Äußeren. Ein paar lange Blicke in seine Richtung, einige tiefe Einblicke in ihr Dekolleté, wenn sie sich erhob, und zudem ein Papierorden beim Cotillon, den sie ihm angesteckt hatte, hatten ausgereicht. Fortan hatte er sie weder bei den komplizierten Tanzfiguren noch im gesellschaftlichen Beisammensein aus den Augen gelassen.

Vermutlich hätte bereits ein einziges Lächeln genügt, hatte Rosalie im Nachhinein oft gedacht, so fasziniert war er von ihrer Schönheit.

Gemeinsam betraten sie nun den Speisesaal des Hotels, durch dessen ausladende Fenster die Sonne in den Raum fiel, die das bereits eingedeckte Silberbesteck auf den Damasttischdecken zum Glänzen brachte. Edelbert ließ es sich nicht nehmen, ihr höchstpersönlich den Stuhl zurechtzurücken, bevor er neben seiner Mutter Platz nahm, die absurderweise Edeltraud hieß.

Edelbert und Edeltraud.

Das hätte ihr eine Warnung sein sollen.

So kurz vor der Hochzeit geriet sie immer wieder ins Grübeln, wegen des eintönigen Lebens, das sich nun vor ihr erstreckte. Die Jagd war noch aufregend gewesen, hatte sie von ihrem Kummer abgelenkt. Aber nun? Sollte es das schon gewesen sein?

Da sie sich nicht bemühte, etwas zu sagen, betrieb Edelbert selbst Konversation. Nur hin und wieder pflichtete sie ihm bei oder verneinte, während ihr Blick vom ewigen Heranrollen der Wellen am nicht weit entfernten Strand gefesselt wurde. Immer wieder hatte sie in den vergangenen Tagen auf das Meer hinausgestarrt, sodass ihre Ohren nun wie von selbst die Unterhaltungen ausblendeten und sich an das mächtige Rauschen der Brandung erinnerten. Welle um Welle rollte heran. Es ging immer weiter. Unermüdlich zogen die Wogen über das Meer, ganz gleich, was geschah. So wie ihr Leben. Auch das ging immer weiter, selbst nachdem ihre Mutter gestorben war und kurz darauf der Mann, den sie liebte, das Land verlassen hatte.

Seitdem waren viele Monate vergangen – doch in ihr zog sich noch immer alles zusammen, wenn sie daran dachte. Manchmal fragte sie sich, ob sie deswegen einen zukünftigen Ehemann ausgesucht hatte, der so wenig mit Manilo, ihrer großen Liebe, gemein hatte, wie es nur irgendwie möglich war. Edelbert war hager, wo Manilo muskulös war; wo der Italiener kräftige schwarze Haare hatte, wies Edelberts sich lichtender Schopf ein nichtssagendes Aschblond auf, und wo Manilo vor Lebensfreude sprühte, war Edelbert eine Eintönigkeit ohne jegliche Höhen oder Tiefen eigen. Sein Gemüt blieb ewig auf der gleichen Stufe und zeigte allemal Tendenzen, jedoch nie große Veränderungen.

Er war perfekt. Gerade richtig für ihr Vorhaben, Manilo zu vergessen.

Für immer.

»Fühlen Sie sich nicht wohl?« Seine wässrigen Augen starrten sie durch die dünne Brille an, und zwischen seinen leicht geöffneten Lippen zog sich ein Speichelfaden, auf dem ein winziger Tropfen wie das Silber in der Sonne glänzte. Rosalie fixierte rasch einen imaginären Punkt zwischen seinen Augen, damit ihr nicht übel wurde.

»Ich bitte um Verzeihung, ich habe mir nur gerade ausgemalt, wie schön unsere Hochzeit werden wird«, sagte sie und schenkte ihm ein scheues Lächeln, für das sie nun doch auf ihre Schauspielkünste zurückgreifen musste.

Es war ein kluger Schachzug, denn nun würde Edeltraud sich gewiss in ihrer unablässigen Planung ergehen und detailliert äußern, was sie für das große Fest in Lübeck alles im Sinn hatte. Rosalie indes hätte lieber wie Meike den Abend in dem Zimmer verbracht, das an ihre Suite angrenzte, wo das Mädchen vermutlich die restlichen Kleider umnähte. Und Rosalie hasste Nähen abgrundtief.

Der Kellner brachte den ersten Gang. Mit einem unterdrückten Seufzer wandte sie sich dem zu, was in der letzten Zeit zu ihrer einzigen Freude geworden war. Sie schaffte es, über dem Genuss der hervorragend gewürzten Pilzsuppe und dem zarten Filet mit den goldenen Kartoffeln mit einem Hauch Petersilie nicht an Manilo zu denken. Nach dem Dessert wechselten sie jedoch in den Ballsaal, und ihr Verlobter forderte sie zum Tanz auf, was sie schwerlich ablehnen konnte. Als das Orchester die ersten Töne anstimmte, musste Rosalie schlucken.

Ausgerechnet.

Es war das Lied, zu dem sie mit Manilo auf dem Alpenrosenball getanzt hatte. Manchmal fragte sie sich, ob die Dinge anders verlaufen wären, wenn sie ihm bereits an jenem Tag die Wahrheit gestanden hätte. Wenn sie ihm freiheraus gesagt hätte, dass sie sich unsterblich in ihn verliebt hatte und alles für ihn aufgeben würde. Doch das schickte sich für eine Dame nicht, sie war dazu verdammt abzuwarten. Warum machte sie sich überhaupt Gedanken darüber? Sein Herz war ohnehin längst vergeben. Wie sehr er einer anderen zugetan war, das hatte sie erst viele Wochen später begriffen, als ihr Vater sie um einen Gefallen gebeten hatte. Damals hatte sie letztendlich auch erfahren, wem sein Herz gehörte.

»Hier, bring das bitte zu dieser Frieda im Blumengeschäft deiner Tante«, hatte ihr Vater gesagt. »Die hat mir der Posthalter überreicht, weil meine liebe Schwägerin offenbar so gut wie nie ihre Post abholt.« Er drückte ihr ein dickes Bündel Briefe in die Hand. Rosalies Herz wäre derweil fast zum Stillstand gekommen, als sie die Worte auf dem Papier las. Unter der Adresse der Blumenbindewerkstatt ihrer Tante in leicht krakeliger Handschrift stand: Zu Händen von Frieda Hildebrand.

Der Absender war Manilo Moretti.

Diese Briefe konnte Rosalie nicht abgeben. Vielleicht würde sie auf die Weise endlich erfahren, was geschehen war, überlegte sie. Ihr Vater hatte ihr zwar gesagt, dass er Manilo des Landes verwiesen hatte, da er sich als Dieb entpuppt hatte, doch Rosalie hatte das nie geglaubt. Deswegen nahm sie das verschnürte Bündel mit auf ihr Zimmer. Kurz überlegte sie hin und her. Es war verboten. Und es würde ihr vermutlich wehtun. Doch letztendlich siegte die Neugierde. Sie verzehrte sich danach, Manilo nahe zu sein. Und wenn es nur seine geschriebenen Worte waren, die nicht an sie gerichtet waren, so war es doch ein Teil von ihm.

Also las sie die Briefe.

Einen um den anderen.

Stille Tränen liefen ihre Wange herunter, als sie Manilos Entschuldigungen und Liebesschwüre las, denn sie wirkten so aufrichtig. Doch sie galten nicht ihr. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie innig seine Liebe zu Frieda sein musste. Er bat das stille Mädchen mit den warmen und doch so traurigen Augen wieder und wieder, dass es ihm verzeihen möge. Mehrfach lud er Frieda zu sich nach Italien ein und erklärte, dass er nicht mehr nach Oldenburg zurückkehren könne.

Ein halbes Jahr lang hatte er nahezu wöchentlich Briefe geschickt, die Rosalie fortan höchstpersönlich von der Post holte, indem sie vorgab, im Auftrag ihrer Tante zu handeln. Dann wurden die Briefe weniger.

Und schließlich hatte sie dafür gesorgt, dass gar keine mehr kamen.

***

Nachdem Julius den ganzen Tag beißend riechenden Pferdemist auf dem Acker verteilt hatte, um ihn für die Stoppelrüben des Tafelguts seines Onkels vorzubereiten, flüchtete er nur zu gerne in das Gewächshaus, wo ihn ein duftendes Meer aus Rhododendren erwartete. Aber die Temperaturregelung war heikel. Jetzt, im Sommer, musste er stets dafür sorgen, dass die Luft feucht genug war. Bespritzte er die Heizrohre jedoch mit zu viel Wasser, würden sich eiskalte Kondenstropfen bilden, die dann auf die Blätter fielen und unschöne Flecken auf seinen kostbaren Pflanzen hinterließen.

Und die Pflanzen, die näher an den Heizrohren standen, benötigten oft sehr viel mehr Wasser als die in der Mitte. Kein Wunder, dass sie in der Hofgärtnerei eine Person eingestellt hatten, die sich einzig und allein um die Orangerie und die Gewächshäuser kümmerte. Julius spürte beim Gedanken an sein früheres Zuhause einen Stich. Er hatte alles dafür aufgegeben. Er hatte seine Studienreise abgebrochen, obwohl er es geliebt hatte, neue Pflanzen zu entdecken. Zudem hätte er in England unter Joseph Hooker im Royal Botanic Garden in Kew arbeiten und von dem vielfach ausgezeichneten Botaniker, der mit Charles Darwin befreundet war, unendlich viel lernen können. Aber sein Vater hatte verlangt, dass er in die Hofgärtnerei zurückkehrte, da er sie eines Tages übernehmen sollte. Julius hatte sich seinem Schicksal gebeugt. Doch dann war Marleene gekommen, und er hatte mit ihr eine Frau kennengelernt, von der er nicht einmal zu hoffen gewagt hatte, dass es sie gab. Diesmal hatte er nicht klein beigegeben, als sein Vater sich aufgelehnt hatte – seine Gefühle für Marleene waren zu stark.

Und so war nun alles ganz anders gekommen.

Aber er hatte Glück.

Das Tafelgut seines Onkels wurde für die Bedürfnisse des Großherzogs bewirtschaftet, und so gab es für das Wintergemüse einige beheizte Gewächshäuser. Eins davon hatte sein Onkel ihm nun für seine Pflanzenzucht überlassen, nur in einer Ecke keimten einige Kartoffeln. Julius begutachtete jeden Rhododendron einzeln und schnitt hier und dort ein paar Triebe zurück, damit die Pflanzen im nächsten Jahr umso buschiger wachsen würden. Zufrieden stellte er das letzte Gewächs zurück an seinen Platz und begab sich dann nach draußen, um zu sehen, wie sich seine Schützlinge dort machten. Um herauszufinden, welche Rhododendren die norddeutschen Temperaturen überstehen würden, hatte er einige neben das Gewächshaus gepflanzt. Er hoffte inständig, dass er zumindest mit ein paar Exemplaren seiner ausgewählten Pflanzen Erfolg haben würde, damit er etwas hatte, worauf seine Neuzüchtungen aufbauen konnten. Sein Herz zog sich zusammen, als er sah, dass eine der Pflanzen bereits bei diesen milden Temperaturen verkümmert war und eine weitere kurz davor war, doch die anderen strahlten ihm grün entgegen.

Sein Onkel trat an ihn heran und legte ihm eine Hand auf die rechte Schulter. »Na, mien Jung, wie war das Gespräch mit der Bank?«, erkundigte er sich mit einem warmen Lächeln in dem faltigen Gesicht. Julius murmelte etwas vor sich hin, was sein Onkel trotzdem richtig verstand, nämlich dass auch das Gespräch mit dem letzten infrage kommenden Bankhaus nicht zum erhofften Erfolg geführt hatte.

Julius deutete auf die Rhododendren. »Keiner will mir glauben, dass diese Pflanzen unsere Zukunft sein können. Auch die letzte Bank – meine letzte Hoffnung – wollte sie nicht als Sicherheit für einen neuen Kredit akzeptieren.« Zudem war es so, dass man ein äußerst gottgefälliges Leben führen musste, um in der winzig kleinen Ortschaft einen Kredit zu bekommen, da der dortige Kassenführer der Raiffeisenkasse zugleich der Pfarrer war. Aber das wollte Julius nicht einmal laut aussprechen.

»Das tut mir leid. Ich wünschte so sehr, dass ich dir irgendwie helfen könnte, aber mit sieben Töchtern …«

Julius schüttelte den Kopf. Da sein Vater und sein Onkel sich bereits vor seiner Geburt zerstritten hatten, hatte er seinen Onkel nur zu den allerwichtigsten Familienfesten gesehen, und von denen hatte es, nachdem seine Großeltern verstorben waren, nicht mehr viele gegeben. »Du hast mir beileibe genug geholfen. Immerhin hast du mich hier mit offenen Armen aufgenommen, obwohl wir seit mindestens siebzehn Jahren nicht miteinander gesprochen hatten.« Es plagte ihn, dass sein Onkel nun auch noch sein Maul stopfen musste und ihm für die Arbeit auf dem Tafelgut sogar einen kleinen Lohn zahlte. Doch obwohl sein Stolz ihn zu gerne verleitet hätte, darauf zu verzichten, war das nicht möglich. Es war bereits weniger, als ein normaler Arbeiter auf dem Hof verdienen würde, und er wollte seinerseits Marleene ein gutes Leben bieten und benötigte Gründungskapital für sein Vorhaben.

Sie beide hatten sich solch eine schöne Zukunft ausgemalt. Sie wollten die Hofgärtnerei hinter sich lassen und ihre eigene Gärtnerei aufbauen. Und dann wollte Marleene sogar eine Gärtnerinnenschule eröffnen, damit noch mehr junge Frauen diesen Beruf erlernen konnten.

Und jetzt scheiterten sie bereits an den Grundvoraussetzungen.

Selbst in den ländlicheren Gegenden, etwas abgelegen von Oldenburg, wo das Land günstiger war als in der Stadt, war es mittlerweile zu teuer geworden. Julius hatte fast alles, was er gespart und geerbt hatte, in neue Pflanzen gesteckt, weil es dauerte, bis diese anwuchsen, und sie so zumindest bereits ein Grundsortiment hätten. Doch er brauchte auch Geld für eine Anzahlung. Seit fast einem Jahr klapperte er nun schon die Banken ab. Aber keiner war bereit, ihnen nur aufgrund seines Berufs und einiger vorhandener exotischer Pflanzen einen Kredit zu bewilligen.

Am morgigen Abend würde er es Marleene sagen, würde ihr beichten, dass sie ihren Traum begraben mussten. Bisher war er ein Hasenfuß gewesen und hatte sich nicht getraut, die zerstörerischen Worte über die Lippen zu bringen. Ihre Augen funkelten immer so aufgeregt, wenn sie gemeinsam die Gärtnerei planten. In ihr schien ein schier unerschöpflicher Quell an Ideen zu sprudeln, die sie allesamt umsetzen wollte. Sie konnte aus dem Kopf zwanzig Pflanzenarten aufzählen, die sie gerne kultivieren würde, da es diese so noch nicht gab, Marleene sich aber gewiss war, dass sie bei den Leuten außerordentlich gut ankommen würden.

Und jetzt war es an ihm, ihr diesen Traum zu nehmen.

Er fürchtete das Treffen, obwohl er sich immer so sehr nach ihr sehnte.

Als hätte sein Onkel seine düsteren Gedanken erraten, klopfte er ihm ein paarmal auf die Schulter. »Komm, es ist Zeit für das Abendessen.«

Das Leben hier auf dem Tafelgut war um einiges einfacher als das in der eleganten Fliedervilla, wo er aufgewachsen war. Sein Vater hatte es damals geschafft, in einen höheren Stand aufzusteigen, indem er seine Mutter geehelicht hatte und fortan Chef der Hofgärtnerei geworden war.

Die Hofgärtnerei, die er hatte übernehmen sollen – bevor sein Vater ihn hinausgeworfen hatte.

Nicht nur, weil er sich in eine Arbeiterin verliebt hatte, sondern vor allem, weil er sich in die Frau verliebt hatte, die sich in Männerkleidern eine Stelle als Lehrling verschafft hatte, da dies Frauen nicht erlaubt war. Sein Vater fühlte sich seitdem zum Narren gehalten und wollte nichts mehr von Marleene wissen. Und von ihm ebenso wenig. Julius hatte einige Male versucht, Kontakt zu ihm aufzunehmen, aber die Entscheidung seines Vaters stand unumstößlich fest.

Trotz der zweckmäßigen Möbel fühlte Julius sich in dem großen Bauernhaus, wo nahezu immer ein Feuer im Ofen in der Küche brannte, sehr wohl. Hier gab die Bäuerin jeden Abend einen Sleev voll Eintopf in die Schüssel. In den ersten Minuten danach waren immer nur ein Klappern und leichtes Schlürfen zu hören. Mit den sieben Mädchen, dem Knecht und der Magd neben seinem Onkel und seiner Tante kam eine beträchtliche Runde zusammen. Hier wurde stets so viel gelacht und geplappert, dass man kaum merkte, wie schnell die Zeit verflog.

Doch heute stand Julius auf, sobald er seine Schüssel mit einem Stück Brot leer geschabt hatte.

»Ich gehe noch einmal ins Gewächshaus.«

»Jetzt noch?«, rief seine Tante erstaunt.

Julius nickte. »Das, was ich vorhabe, geht ausschließlich bei Dunkelheit.«

»Was hast du denn vor?«, fragte Elise, die Zweitjüngste mit den langen Zöpfen, neugierig.

»Ich muss dafür sorgen, dass die Pflanzen hübsch aussehen«, sagte er ausweichend.

»Und warum geht das nur in der Dunkelheit? Dann siehst du die Blumen ja kaum.« Hannah, eine von den älteren Töchtern, war aufgestanden und half ihrer Mutter, das Geschirr abzuräumen.

»Die Pflanzen muss ich auch nicht sehen. Nicht so genau zumindest.«

Louise wirkte verwirrt. »Nicht? Aber was denn dann?«

»Schnecken. Nacktschnecken, um genau zu sein. Und Dickmaulrüssler, diese schwarzen Käfer.«

Es klang, als würden alle sieben Mädchen auf einmal loskreischen. Julius schmunzelte innerlich. Genau deswegen hatte er ursprünglich nicht sagen wollen, was er noch vorhatte. Rosalie war früher immer genauso angeekelt gewesen wie die Töchter seines Onkels. Das Schnecken- und Käfersammeln hatte bereits in der Kindheit zu Konstantins und Julius’ Aufgaben gehört, denn sie waren neben Rehen und Raupen die schlimmsten Feinde der Gärtner. Die Fraßspuren, die sie an den Blättern hinterließen, machten die Pflanzen unverkäuflich. Also waren Konstantin und er regelmäßig mit einer Öllampe nachts durch die Gewächshäuser gezogen, um die nachtaktiven Wesen wegzusammeln. Julius dachte wehmütig daran zurück, welch einen Heidenspaß sie dabei gehabt hatten, denn die Aufgabe hatte immer etwas von einem Abenteuer mit großem Beutezug gehabt. Außerdem hatten sie Rosalie zum Kreischen gebracht, wenn sie ihr das Ungeziefer vor die Nase gehalten hatten.

Und nun redeten sie nicht einmal mehr miteinander.

Rasch vertrieb er die dunklen Gedanken und setzte ein Lächeln auf. »Ja, Schnecken! Und jede Menge Käfer«, rief er und kitzelte die zwei jüngsten Schwestern durch, die daraufhin gackernd davonliefen. »Ihr könnt mir sehr gerne helfen!«

Sechs Mädchen schrien angeekelt auf, nur Elise lächelte still und nahm seine Aufforderung ernst. »Ich muss heute Mutter helfen, aber nächstes Mal gerne.«

Er grinste noch immer, während er wenig später im schwachen Licht die Pflanzen nach schleimig glänzenden Spuren und schwarzen Käfern absuchte.

»Das habt ihr früher schon gerne gemacht«, sagte unvermittelt eine tiefe Stimme hinter ihm.

Julius glitt vor Schreck der Eimer aus der Hand und fiel scheppernd zu Boden. Umständlich richtete er sich auf. Im Gewächshauseingang entdeckte er im schwachen Licht eine Gestalt. Julius bückte sich zur Öllampe und hielt sie in die Höhe.

Der Mann nahm den Hut ab und trat zögerlich etwas weiter in das Gewächshaus hinein. Er räusperte sich. »Es gibt etwas, das ich gerne mit dir besprechen würde«, sagte sein Vater.

3. Kapitel

Mit großen Schritten lief Marleene eine Woche später die Straße nach Mansholt hinunter. Hoffentlich hatte Julius in der vergangenen Woche die richtigen Schlüsse gezogen und nicht vermutet, dass sie ihn nicht mehr sehen wollte. Er würde doch wissen, dass das niemals geschehen würde, oder?

In Metjendorf wurde sie langsamer. War das nicht …? Doch, es war eindeutig Julius! Sie hätte ihn unter tausend anderen sofort erkannt, obwohl er keinen besonders auffälligen Gang hatte und auch nicht besonders groß oder breit war.

Sie spürte es einfach.

Aufgeregt rannte sie los, und er tat es ihr gleich.

»Überraschung!«, rief er schon von Weitem. Seine wachen Augen lugten schelmisch unter seinen stets verwuschelten Haaren hervor, und sein Lächeln fuhr ihr bis in die Fingerspitzen.

Anfangs hatte er sie regelmäßig abgeholt, schließlich hatten sie aber entschieden, dass es besser wäre, wenn Julius die Zeit bereits für die Pflanzen nutzte, um mit den Vorbereitungen voranzukommen. Schließlich würden sie bald Tag und Nacht Seite an Seite verbringen.

»Welch eine Ehre!«, rief sie in dem scherzhaften Versuch, wie eine Bürgerliche zu klingen. »Womit habe ich das denn verdient? Und das, wo ich dich letzte Woche so haben hängen lassen … Es tut mir furchtbar leid, ich konnte leider nicht weg, du kennst ja Frau Holthusen.«

»Der Drachen mal wieder, das hatte ich vermutet.«

Völlig außer Atem fielen sie sich in die Arme. Julius drückte sie fest an sich, und obwohl sie mitten auf einem Schotterweg standen, fühlte Marleene sich mehr zu Hause denn je. Sie schloss die Augen, genoss seine Nähe und sog seinen vertrauten Duft tief in sich ein.

»Siehst du, es hat auch etwas Gutes, dass du ein Arbeitermädchen bist. Du musst dich nicht immerzu dafür entschuldigen«, sagte Julius nun zu ihr.

»Und wie sollte das etwas Gutes haben?«

»Eine Tochter aus einer bürgerlichen Familie hätte ich nie so freizügig begrüßen dürfen. Es ist natürlich unschicklich, auf offener Straße Gefühle zu zeigen.«

Marleene schlug sogleich damenhaft die Hand vor dem Mund. »Pardon, ich bitte gnädigst um Verzeihung, wenn ich Ihnen zu nahe getreten bin.«

Julius legte den Arm um ihre Taille und zog sie an sich. »Im Gegenteil, treten Sie bitte noch näher«, murmelte er. Da niemand in Sichtweite war, küssten sie sich.

»Nur gut, dass ich mich zur Tarnung als Junge verkleidet habe, um die Gärtnerlehre zu machen. Mein Ersatzplan, mich als höhere Tochter auszugeben, um die Ausbildung an der ersten Gärtnerinnenschule zu absolvieren, wäre wohl gründlich schiefgegangen.«

»Oh, ja, als rüpelhafter Junge hast du wirklich mehr Talent«, sagte Julius lachend, und Marleene stieß ihm den Ellenbogen in die Seite. Julius nahm den großen Weidenkorb, den er für die Begrüßung beiseitegestellt hatte und dessen Inhalt unter einem karierten Tuch verborgen war, wieder auf. Neugierig deutete Marleene darauf.

»Was hat es damit auf sich?«

Julius strahlte sie an, zog den Korb jedoch weg, als sie unter das Tuch linsen wollte.

»Heute«, sagte er mit feierlicher Betonung, »ist ein geschichtsträchtiger Tag.«

»Ja?« Marleene legte ihre Hände an die Wangen und atmete hastig ein. Sollten sie in diesem Sommer etwa doch noch ein wenig Glück haben? »Hast du einen winterharten Rhododendron gefunden? Oder hat deine neue Züchtung endgültig Wurzeln geschlagen? Oder …?« Jetzt blieb sie sogar ehrfürchtig stehen und legte die Hände an die Wangen. »Oder hat uns die Bank doch einen Kredit zugesagt?«

Julius’ Lächeln verschwand aus seinem Gesicht. »Nein, das ist es nicht. Es ist sogar noch besser.«

»Noch besser?« Marleenes Herzschlag beschleunigte sich. Sollte er etwa eine Möglichkeit gefunden haben, dass sie doch schon heiraten konnten? Bisher hatte ihnen auch dazu das Geld gefehlt.

Julius nickte geheimnisvoll. »Das erzähle ich dir gleich beim Picknick, es ist nichts für zwischendurch. Also verrate mir doch erst einmal, was es bei dir Neues gibt. Wie geht es Frieda?«

Marleene hakte sich unter, und gemeinsam schlenderten sie die Hauptstraße bis zu einem Feldweg entlang. Ihre Cousine Frieda hatte sich mittlerweile sehr gut mit Julius angefreundet, und er fragte stets nach ihr. Sie war im vergangenen Jahr von ihrem Beinaheverlobten Manilo verlassen worden, und das Schicksal des herzensguten Mädchens ging auch Julius sehr nahe.

Marleene kickte einen größeren Stein mit ihrem Holzschuh aus dem Weg. »Sie lacht immerhin wieder etwas häufiger, aber ich spüre, dass sie nach wie vor viel an Manilo denkt. So schlimm war es nicht einmal, nachdem dieser Großbauer ihr das Herz gebrochen hatte. Ich höre sie manchmal nachts leise weinen, wenn sie denkt, dass ich schlafe, und auch wenn sie kaum darüber spricht, sehe ich, dass sie nicht richtig glücklich ist. Ich mag ihr kaum von dir erzählen, weil ich genau merke, dass ich dann immer vor Freude strahle und ganz aufgeregt werde.« Sie lächelte Julius zu, und er drückte ihre Hand. Er deutete auf eine umgefallene Eiche am Wegesrand, und sie gingen hinüber. Der Korb knackte leise, als Julius ihn auf den mächtigen Stamm stellte, den die Sonne ganz trocken und warm gemacht hatte.

»Das tut mir sehr leid, ich hätte mir so sehr gewünscht, dass er sich zumindest noch einmal meldet«, sagte Julius und reichte Marleene ein Butterbrot, nachdem sie sich neben ihn gesetzt hatte. »Und wie geht es dir? Es kommt mir so vor, als hätten wir uns ewig nicht gesehen.«

»Ganz gut, im Hotel nimmt alles seinen gewohnten Gang.« Den Vorfall mit der kaputten Vase verschwieg sie wohlweislich, da Julius sich viel zu sehr aufregte, wenn sie nicht rechtens behandelt wurde, und es war immerhin ihre Entscheidung gewesen, diese Schuld auf sich zu nehmen.

»Alois war letzte Woche da. Es wurden wohl zwei neue Helferinnen eingestellt und …« Sie schluckte, gab sich dann aber einen Ruck. »… und wohl auch ein neuer Lehrling.«

Julius nickte, doch seltsamerweise lächelte er dabei.

»Das freut dich?«

»Vater war letzte Woche bei mir.«

Marleene hatte den Mund bereits geöffnet, um von ihrem Brot abzubeißen, hielt nun aber inne. »Nein!«, rief sie überwältigt.

Julius nickte grinsend.

»Das gibt es doch nicht! Was hat er denn gewollt? Das ist ein gutes Zeichen, oder? Er würde dich gewiss nicht aufsuchen, um den Streit fortzusetzen?« Marleenes Gedanken liefen durcheinander wie Ameisen auf einem Haufen, und sie wusste nicht, in welche Richtung sie als Erstes denken sollte.

»Nein, er ist nicht gekommen, um zu streiten.« Julius legte sein Brot beiseite und griff nach ihren Händen. »Es sieht tatsächlich so aus, als hätte er ein Einsehen. Er hat mich um Verzeihung gebeten und eingestanden, dass er Fehler gemacht hat. Dann hat er mich für die kommende Woche in die Fliedervilla geladen, um noch einmal in Ruhe alles zu besprechen. Offenbar möchte er, dass ich …«, er sah ihr tief in die Augen und berichtigte sich, »dass wir zurück in die Hofgärtnerei kommen.«

»Wirklich?«, fragte Marleene flüsternd. Es war all das, wofür sie gebetet hatte. Und dennoch klang es zu gut, um wahr zu sein.

Julius nickte bedächtig. »Er hat mir erzählt, dass er sogar bereits das zugunsten von Konstantin geänderte Testament rückgängig gemacht hat.«

»Nein!« Marleene schnappte nach Luft, und Julius nickte voll freudiger Aufregung.

»Doch!«, versicherte er ihr.

Glückselig fiel sie ihm um den Hals. Es fühlte sich an, als würde ihr Herz nach langer Zeit aus einem viel zu engen Kokon entschlüpfen. Erst jetzt merkte sie, wie schwer es sie belastet hatte, dass Julius und sein Vater sich ihretwegen überworfen hatten und Julius deswegen die Hofgärtnerei nicht hatte weiterführen können. Sie wusste, wie viel ihm an dem Familienunternehmen lag, und auch wenn sie überglücklich war, dass er sich für sie entschieden und so ein prestigeträchtiges Unternehmen gar für sie verlassen hatte, war es eine schwere Bürde auf ihrer Seele gewesen.

»Ich freue mich so! Dann können wir ja wieder mit Bruno, Johannes, Dorothea und den anderen zusammenarbeiten.«

Julius nickte begeistert. »Und zusehen, wie Asta versucht, das Gießwasser aus dem Strahl der Gießkanne zu trinken. Außerdem werden wir wieder direkt für den Großherzog arbeiten und können so auch an der Umsetzung unseres Plans für den Schlossgarten mitwirken.«

»Das ist ja großartig, daran hatte ich gar nicht gedacht! Es wäre so schön, den Schlossgarten selbst anzulegen.« Marleene legte eine Hand auf ihr Herz.

»Auf jeden Fall werde ich es zur Bedingung machen, dass ich meine Rhododendronzucht fortsetzen kann«, ergänzte Julius, und für einen Moment sahen sie sich verschwörerisch an.

»Und wir vermehren unseren besonderen Flieder!«, sagten sie dann wie aus einem Munde und lachten. Den Flieder mit den zweifarbigen Blütenblättern hatte Marleene als Kind mit ihrem Vater veredelt und in der Schule präsentiert. Rosalie, Julius’ Schwester, hatte ihn aus Neid zertrampelt, doch Julius hatte aus einem der Zweige eine neue Pflanze gezogen.

»Ein Glück, dass dein Vater ein Einsehen hatte. Es wäre sonst auch schwierig, an unseren Fliederstrauch zu kommen.« Bisher war es ihnen nicht möglich gewesen, den zweifarbigen Flieder vom Gelände der Hofgärtnerei zu holen, aber nun mussten sie das wohl gar nicht mehr. Marleene fühlte sich, als würde sie innerlich leuchten. Auf einmal fügte sich alles wie von selbst.

»Das stimmt. Wir können froh sein, dass Konstantin nicht ahnt, was ganz hinten auf der Lichtung im Wald wächst. Wer weiß, was er damit angestellt hätte …«

Marleene sah versonnen über das Stoppelfeld, über dem die Schmetterlinge tanzten.

»Mittags gibt es dann wieder Meikes leckere Eintöpfe, über die alle wie ausgehungerte Wildschweine herfallen, und die Äpfel von der Streuobstwiese essen wir zum Nachtisch.«

»Und nachmittags kannst du wieder in der Jauchegrube baden«, sagte Julius mit einem spitzbübischen Grinsen.

»He!«, rief Marleene empört und boxte gegen seine Schulter. »Als wenn ich das mit Absicht getan hätte!«

Lachend hielt Julius ihre Handgelenke fest, sie wehrte sich, und mit einem Mal fielen sie kreischend nach hinten in das Dickicht hinter dem Baumstamm, sodass ihre Füße in die Luft ragten. Marleene lachte so sehr, dass sie kaum noch Luft bekam und Tränen an den Schläfen entlang in ihr Haar rannen. Während sie sich den Bauch hielt, sah sie zu Julius, der ebenso gelacht hatte, doch als ihre Augen sich fanden, wurden beide wieder ganz ruhig.

»Endlich können wir zurück in die Hofgärtnerei«, sagte Julius mit sanfter Stimme. »Endlich können wir nach Hause.«

***

Sobald Alexander in den Krug trat, wurde er von der schummerigen Atmosphäre aus Rauch und Malz eingehüllt. Der Schmerz pochte noch stärker gegen seine Schläfen. Er entdeckte die Kollegen vom Gärtnerstammtisch in der gewohnten Ecke des Wirtshauses, in der Mitte des Tisches lag ein Stapel Karten bereit. Alexander hob wortlos einen Zeigefinger, um dem Wirt zu signalisieren, dass er ein Bier nahm. Dann gesellte er sich mit einem knappen Gruß zur Männerrunde und ließ sich auf einen Stuhl sinken. Ihm war etwas duselig, doch der Stammtisch fand nur ein Mal im Monat statt, das ließ er sich ungern entgehen, zumal er bereits den Juli-Stammtisch verpasst hatte.

»Und, Alexander, wo geiht di dat?«, fragte Jan-Died Eppendorf, der eine Gärtnerei am anderen Ende der Stadt besaß, während er die Karten für die erste Runde Schafskopp verteilte. Da beim Gärtnerstammtisch viele ältere Semester vertreten waren, wurde noch viel Plattdeutsch gesprochen, was Alexander sich eigentlich abgewöhnt hatte, um seine niedere Herkunft zu vertuschen, aber hier machte er eine Ausnahme.

Er zuckte mit den Schultern und nahm die Karten auf. »Nicht viel. Wat mutt, dat mutt«, versuchte er, mit der norddeutschen Antwort auf alles davonzukommen. Ihm war nicht nach Reden zumute. Er hatte den ganzen Tag auf dem Feld gestanden und das Kalk-Stickstoff-Gemisch zum Düngen verteilt. Eine Arbeit, die er sonst als Lehrling verrichtet hatte, und nun musste er sich selbst als Seniorchef noch dazu herablassen, weil sie trotz der zwei neuen Mädchen für das Unkraut und des Lehrlings noch immer heillos hinterherhinkten mit den Arbeiten.

»Ik heb neulich mol den Schlossgarten ankiekt, ik glaub, dat wird eene ganz feine Sache«, sagte Bauer Jansen, der neben seinem Bauernhof eine kleine Gärtnerei betrieb. »Mogt dat immer noch dein Konstantin?«

»Jo, Konstantin setzt den Plan von Julius um. Er hat sich inzwischen sehr damit angefreundet, dass es kein Renaissance-Garten mit strengen geometrischen Formen sein wird, sondern ein hochmoderner Landschaftspark nach englischem Vorbild. Er hat nur ein paar kleinere Anpassungen vorgenommen.« Was er nicht erzählte, war, dass das so ziemlich das Einzige war, wofür Konstantin sich begeistern konnte. Trotzdem fragte er sich abermals, ob seine Entscheidung richtig war. War es rechtens, Julius wieder zum Grunderben zu machen und Konstantin mit dem Pflichtanteil abzuspeisen? Aber anders würde Julius die Hofgärtnerei kaum am Laufen halten können, dazu brauchte man immense finanzielle Mittel. Letztendlich stellte sich die Frage aber ja noch gar nicht. Auch wenn er sich heute nach der harten Arbeit auf dem Feld ziemlich elendig fühlte, hatte er schließlich noch einige Jahre zu leben.

Jan-Died knallte seinen Buben mit so viel Nachdruck auf den Stapel, dass der Tisch wackelte. »Wie ich höre, werden schon bald die Hochzeitsglocken läuten?«

Alexander lächelte. »Ja, Rosalie wird nächsten Monat heiraten. Mit der Hochzeit wird sie sogar in den Adelsstand übergehen.«

Ein warmes Gefühl breitete sich in ihm aus. Letztendlich hatte Rosalie es doch noch geschafft, ihn stolz zu machen, wer hätte das gedacht?

Doch das wohlige Gefühl sollte nicht lange vorhalten.

»Ich meine gar nicht Rosalie, das ist ja nichts Neues mehr. Ich meine Konstantin. Ich habe da was munkeln gehört …«, sagte der Bauer, nachdem der Wirt die Bierhumpen auf den Tisch gestellt hatte.

Blixem! Dann gab es also bereits Gerüchte. Alexander nahm einen großen Schluck und wischte sich mit dem Handrücken den Bierschaum von der Oberlippe. »Dazu will ich lieber erst etwas sagen, wenn die jungen Leute sich einig geworden sind. Ihr wisst ja, wie das heutzutage ist …«

Sollte Konstantin seine Drohung wahrmachen, wäre es eine wahrhaftige Blamage. Schon allein deswegen war Julius der bessere Juniorchef der Hofgärtnerei. Aber wie sehr hatte die Frau, die er zu heiraten gedachte, ihn blamiert?

Ausgelacht hatten sie ihn hier beim Stammtisch, das derbe Lachen klang noch heute in seinen Ohren, und er hatte wochenlang nicht mehr gewagt, sich irgendwo blicken zu lassen. Plötzlich hatten alle behauptet, es wäre von Anfang an offensichtlich gewesen, dass sie eine Fruunsperson war. Er fragte sich nur, warum ihn dann niemand darauf hingewiesen hatte, wenn es allen so klar gewesen war. Hierfür gab es jede Menge Ausreden, wovon ihn aber keine recht überzeugen konnte. Im Nachhinein war es immer einfach zu behaupten, man habe etwas besser gewusst. Tatsache war jedoch, dass Marleene sie alle an der Nase herumgeführt hatte.

»Und wie steht es mit Julius, wird er auch bald heiraten?«, fragte Friedrich Diekmann, der erst vor Kurzem zum Gärtnerstammtisch dazugestoßen und noch dabei war, seine Gärtnerei aufzubauen.

Alexander war froh, dass er husten musste und so die Antwort umgehen konnte.