Die Hunde im Schatten des Mandelbaums - Henky Hentschel - E-Book

Die Hunde im Schatten des Mandelbaums E-Book

Henky Hentschel

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Beschreibung

Ein 32-jähriger Aussteiger zieht auf eine Insel im Mittelmeer, wird dort Bauer und merkt bald, dass ihm eines noch fehlt: ein Hund. Auf den ersten Hundefreund folgen bald weitere ... Hier erzählt ein Mann, der die Einsamkeit, die Natur und die Hitze des Südens gewählt hat. Er erzählt in acht Episoden von der Freundschaft und dem Respekt, die ihn mit den einzelnen, charakterstarken Hunden verbindet, und von der Trauer über ihren Tod. Von einem Schwein, das sich als "Schweinehund" entpuppt - und auch ein bisschen von dem Schweinehund in ihm selbst. "In allen Geschichten steckt soviel unbändige Freude am Leben mit Hunden, soviel unsentimentale Begeisterung über dieses wunderbare Wesen Hund, soviel unterschwellige Dramaturgie, daß man das Büchlein nicht aus der Hand legt." Gert Hauke, DIE ZEIT "Endlich frische Luft, endlich ein Schriftsteller, der ein Bauer ist. So ein Buch kann man nur unter freiem Himmel schreiben. Natürlich hat ein richtiger Bauer auch Hunde, die den Hof bewachen, mit Hühnern streiten und abends ihr Fressen, knurrend oft, teilen mit Katzen und Enten. Henky Hentschel läßt seine Hunde von der Leine los, läßt sie leben, lebt mit ihnen in einer abenteuerlichen Gemeinschaft. Wer nur die Menschen und ihre Hunde aus den großen Städten kennt, den muss hier, in diesen Hundegeschichten, die Sehnsucht packen. Wie alle guten Geschichten sind auch diese lustig und traurig, und sie sind deshalb wahrhaftig. Sie lösen in mir jenen einfachen Wohlgeschmack aus, wie ich ihn liebe: zur summenden Musik der Grillen den Geruch von Oliven, zum Gackern der Hühner dampfende Pasta und zum Glücklichsein das schöne Vergessen. Eine Sehnsucht, die nur ein Autor wie Henky Hentschel in einfachen Geschichten zu Papier bringen kann." Wolf Wondratschek "Man fühlt sich gut nach der Lektüre: Gesund und zufrieden wie etwa nach einer Mahlzeit aus Schwarzbrot, Ziegenkäse, Oliven und italienischem Bauernwein unter freiem Himmel." Süddeutsche Zeitung

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Seitenzahl: 98

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Henky Hentschel

Die Hunde im Schatten des Mandelbaums

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Originalausgabe war:

1988 Beltz Verlag, Weinheim und Basel Programm Beltz & Gelberg, Weinheim

Einband von Wolfgang Rudelius unter Verwendung von Fotos von Jane Seitz

E-Book Ausgabe

Copyright © 2019 by Naomi Hentschel

Hrsg. von Ulli Hentschel und Susanne Plath

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Der kleine Gelbfurz

Ich saß in der untergehenden Sonne vor dem geduckten, ockergrauen Häuschen und hörte dem Hundegebell hinter dem Hügel zu. Ich hatte nichts anderes zu tun. Mein Tagwerk war getan. In meinem Kopf kreisten ruhige, friedliche Gedanken, die im abnehmenden Licht langsamer wurden und schließlich ganz zur Ruhe kamen.

Vor ein paar Monaten hatte ich auf dieser paradiesischen Mittelmeerinsel ein Stück Land gefunden. Darauf stand das Häuschen, vor dem ich jetzt im Abendwind saß. Ich hatte Land und Häuschen gemietet und war Bauer geworden.

Von Landwirtschaft verstand ich nichts, aber ich betrieb sie nach bestem Gewissen – so, wie die Bauern hier sie noch vor dreißig Jahren betrieben hatten. Ich hätte sogar auf Dünger verzichtet, wäre es möglich gewesen. Es war nicht möglich. Die Gaststätten droben im Dorf, denen ich meine Erzeugnisse anbot, kauften meine Salate nur, wenn sie die Größe eines Kinderkopfes erreichten. Kleine Kartoffeln zu schälen kostete zu viel Arbeitszeit für die Küchenhilfe. Kleine Tomaten machten nichts her. Ich brauchte also Dünger, und das hieß: Ich brauchte Tiere.

Es gelang mir, ein bisschen Geld aufzutreiben. Ich kaufte Ziegen und Schafe und Hühner und Hasen. Gemeinsam erzeugten sie den besten Dünger der Welt: Stallmist. Aber jetzt fehlte mir ein Hund. Ein Bauernhof ohne Hund ist kein richtiger Bauernhof. Irgendwer muss schließlich auf all die Tiere aufpassen. Irgendwer muss schließlich dafür sorgen, dass das Gelände einen gefährlichen Geruch annimmt, damit der Marder sich nicht in den Hühnerstall traut. Irgendwer muss das unverschlossene Häuschen bewachen. Na ja, und außerdem mag ich Hunde, wenn wir mal von Pekinesen und weißen Zwergpudeln absehen, die nur zur Verschönerung ihrer Besitzer erfunden worden sind. Ja, ich brauchte einen Hund, und der Kläffer hinter dem Hügel hatte mich daran erinnert.

Ich ging ums Haus herum und wusch mich am Wassertrog, denn fließendes Wasser gab es hier nicht. Auch keinen elektrischen Strom, daher zündete ich die Gaslampe an, als ich die Stube betrat. Dann nähte ich wie jede Nacht kleine Lederstückchen mit der Hand zusammen, bis eine Jacke daraus wurde. So verdiente ich ein paar Groschen dazu. Ich schlief ein mit dem Gedanken an meinen zukünftigen Hund.

Am nächsten Morgen kämpfte ich wie jeden Tag mit Brombeeren und Ameisen, machte Land urbar, kümmerte mich um die Tomatenpflanzen, die Zucchini und die jungen Auberginen, um die Pflaumenbäume und die Feigen, versorgte die Hühner, molk die Ziegen und fütterte Hasen und Katzen. Dann machte ich mich auf den Weg ins Dorf.

Es war plötzlich warm geworden. In wenigen Stunden waren Blumen aus der feuchten Erde geschossen wie im Herbst die Pilze. Der Frühling war da. Der Frühling ist hier wie eine Explosion. Immergrüne Wälder wechseln über Nacht die Farbe. Gestern Abend waren sie noch dunkelgrün, heute morgen leuchten sie hellgrün, fast gelb. Es gibt Pflanzen, die wachsen im Frühling so schnell, dass man ihnen dabei zuschauen kann, und das Gelände hier ist voll von ihnen. Grünes Gold liegt in der Luft, und das bloße Atmen kann einen betrunken machen. In den Wäldern singt die Nachtigall, die schönsten Gerüche ziehen über die Insel, und Fische fliegen aus lauter Lust am Leben meterweit über das blaue Meer.

Überall wird geboren, überall wimmelt es von neuem Leben. Im Hühnerstall schlüpfen die Küken, und daneben hat die Häsin neun Junge. An der Sau liegen die Ferkel, und um die Ziege toben die Zicklein. Die Katzenkinder saufen die Mutter leer, und auch die Welpen werden im Frühjahr geboren. Wenn ich einen Hund haben wollte, dann war jetzt der richtige Zeitpunkt, einen zu suchen.

Sonne und Wind tanzten in den Bäumen, links und rechts des Weges wucherten die Blumen um die Wette, die ersten Eidechsen huschten in ihre Verstecke. Alles stimmte zusammen, das Licht, die Luft, die Gerüche und die Geräusche. Nur ein Geräusch war falsch. Es war ein kleines, klägliches Wimmern, in kurzen Abständen ausgestoßen und sehr, sehr schwach.

Ich blieb stehen und horchte. Dann machte ich ein paar Schritte zum Wegrand hin und horchte erneut. Es war nichts mehr zu hören. Alles stimmte wieder zusammen, das Licht, die Luft, die Gerüche und die Geräusche. Ich ging weiter, aber nach ein paar Metern kehrte ich um. Es ließ mir keine Ruhe, dieses Wimmern. Das Stimmchen war so kläglich gewesen, so verzweifelt, so dünn, und es hatte mir gegolten. Sonst war schließlich keiner da. Irgend etwas rief mich um Hilfe.

Nach einer Weile fand ich ihn. Er war gelb wie eine Babywindel, klein wie eine Katze, dreckig wie ein Fußballspieler und voller Wunden, als komme er aus dem großen Hundekrieg. Außerdem war er so gut wie tot. Das einzige, was er noch bewegte, waren die Augen.

Ich zog mein Hemd aus, rollte ihn hinein und trug ihn nach Hause. Er wog soviel wie nichts. Er war schlaff wie ein Salatkopf, der zu lange in der Sonne gelegen hat, und ich fragte mich, wieso er überhaupt noch lebte. Der kleine Gelbfurz in meinem Hemd war höchstens zwei Monate alt. Er musste den Überlebenswillen eines hundertjährigen Kaktus haben.

Den ganzen Weg nach Hause rührte er sich nicht. Er hatte sich ergeben, er wimmerte nicht einmal mehr. Ich kenne dieses Gefühl, wenn einem alles zuviel ist und selbst das Atmen zu einer haarsträubenden Anstrengung wird. Wenn einer so weit gekommen ist, will er nur noch, dass alles aufhört. Aber diesen kleinen Gelbfurz da würde ich nicht sterben lassen, das hatte ich mir schon geschworen. Im Schatten des mächtigen Mandelbaumes vor dem kleinen Häuschen rollte ich ihn sachte aus dem Hemd auf den Frühlingsboden. Da blieb er liegen.

Ich zählte mein Geld. Es gab nicht viel zu zählen. Es gab nie viel zu zählen, seit ich Bauer geworden war, aber heute war es besonders wenig. Es reichte gerade für Zigaretten, und die brauchte ich. Ohne Zigaretten wurde ich fuchsteufelswild, und damit war schließlich auch niemandem geholfen. Es musste also etwas geschehen.

Der Gelbfurz schlief, aber sein Atem ging unregelmäßig, und unter dem schmutzigen Fell sah ich seine Rippen. Er würde sterben wie eine Schnake in der Wüste, wenn ich nichts Essbares für ihn auftrieb. Ich saß neben ihm, streichelte ihn und dachte nach. Nachdenken half überhaupt nichts. Nachdenken war reine Zeitverschwendung. Ich schaute hilfeflehend zum Himmel hinauf. Irgend jemand hatte mir mal erzählt, dass das immer hilft. Der Mann hatte recht. Über mir schwebte eine mitteldicke weiße Wolke, die aussah wie die Schwester meiner Großmutter oder genauer gesagt wie eine Flasche. Eine Viertelstunde später kassierte ich oben im Dorf das Pfand für die fünfzehn alten Flaschen, die seit Ewigkeiten unter dem Busch gleich neben dem Haus gelegen hatten. Die Leute von dem Laden schauten mich etwas merkwürdig an. Sie kannten nur reiche deutsche Villenbesitzer.

Es reichte gerade für ein wenig Hackfleisch. Ich rannte nach Hause, goss Ziegenmilch in eine kleine Schüssel und stellte dem Hündchen beides vor die Nase. Es blinzelte, stand auf, fraß, soff und legte sich wieder hin. Besser gesagt, es warf einfach seine kurzen, dicken Beine weg und fiel auf den Bauch. Von da unten schaute es mich todernst an. Schließlich klappte es die Lider über die Augen und schlief die nächsten vierzehn Stunden.

Am anderen Morgen stellte sich heraus, dass der Gelbfurz ein Gesicht hatte. Der wichtigste Teil darin waren die Augen, dunkelblaue Augen, die für den kleinen Kopf viel zu groß waren, eingerahmt von überlangen Schneewittchenwimpern und überzogen von einem unerklärlichen Schleier aus Traurigkeit. Hinter den Augen saß ein Satz gelber Schlappohren, und so wie die Augen zu groß waren, hingen die Schlappohren zu weit herunter. Jeder Hundezüchter hätte außer einem Naserümpfen nichts übriggehabt für meinen Gelbfurz. Und dann die Schnauze! Sie war schwarz, wie sich das gehört, sie wies zwei Löcher auf, wie sich das gehört, und sie saß am Ende der Nase, wie sich das gehört. Aber sie war winzig! Sie war so winzig, dass man sie erst beim zweiten Hinsehen fand. Sie war die kleinste Hundeschnauze aller Zeiten. Jeder Rehpinscher hatte doppelt soviel. Was ich da am Wegrand gefunden hatte, war die vollendete Promenadenmischung, eine Kreuzung zwischen Hase, Fledermaus und Windhund, ein völlig unmögliches Lebewesen.

Ich nannte ihn Lord. Englische Adelige hatte ich mir schon immer so vorgestellt. Ich hatte zwar noch nie welche gesehen, aber ich war überzeugt, dass sie Schlappohren hatten, große dunkelblaue Augen und winzige Näschen, das Ganze überzogen von einem unerklärlichen Schleier aus Traurigkeit.

»He, Typ – du heißt jetzt Lord «, sagte ich zu ihm.

»Verstehst du? L-o-r-d! Alles klar, Lord?«

Er schaute mich an, als hätte ich nicht alle Tassen im Schrank, und da hatte er nicht ganz unrecht. Schließlich war er Italiener, und gerade hatte ich ihm auf deutsch erklärt, dass er ab sofort einen englischen Namen hatte. Da konnten einem schon berechtigte Zweifel kommen, das sah ich ein. Ich streichelte ihn, und er ließ es sich gefallen.

»Lord«, sagte ich, »nimm‘s nicht tragisch. Es gibt noch viel schlimmere Namen auf der Welt. Stell dir mal vor, sie würden dich Stalin rufen oder Nixon oder Craxi, kannst du dir das vorstellen? Kannst du nicht – eben.«

Er kläffte mich an, und er hatte eine richtige Zickleinstimme, hoch und dünn und meckernd und vor allem frech. Die Katzen rannten die Bäume hoch, als sie diese Stimme hörten, und die Vögel verschluckten die letzte Strophe ihres Liedes. Er merkte das alles ganz genau und kläffte noch einmal. Dann stand er auf, trank die Milch aus, pinkelte an den Mandelbaum, pinkelte an die Haustür, pinkelte an jede einzelne Agave, an Bäume, Büsche, Tischbeine und Stuhlbeine. Das gehört alles mir, hieß das, mir, mir, mir! Als er überall seine Duftunterschrift angebracht hatte, kam er zurück, warf sich auf den Rücken, wälzte sich und kläffte wieder. Man konnte hören, wie viel Spass er dabei hatte.

Später besuchten wir die Ziegen. Die Ziegen standen in einem verlassenen Tal und fraßen nur vom Besten: hier ein paar hauchzarte Brombeertriebe, da die Spitzen von meterhohem, saftigem Gras, dort eine Handvoll bunter Blumen, danach zwei, drei junge Feigenblätter und schließlich ein wenig vom Laub der vergessenen Weinstöcke. Dazu brachte ich ihnen Hafer. Sie hatten alles, was eine Ziege sich wünschen kann, und einer von ihnen hatte ich sogar einen blauen Baumwollbüstenhalter genäht, um zu verhindern, dass sie ihr Euter dauernd selber leer soff.

Meine Ziegen waren vollkommene Luxusziegen. Wenn ich sie besuchte, waren sie meistens schon fertig mit Fressen. Dann lagen sie auf ihren dicken Bäuchen und käuten wider. Sie rülpsten die Delikatessen hoch, die sie in sich hineingeschlungen hatten, kauten sie dreiundfünfzigmal gut durch und verschluckten sie wieder. Nichts konnte sie dabei stören. Wer immer bei ihnen vorbeikam – sie schauten ihn aus ihren dunkelgelben Augen an, rülpsten und kauten.

Als Lord erschien, war es aus mit der Ruhe. Er stürmte auf die Wiese wie ein kleiner gelber Kugelblitz, hinter dem zwei riesige Ohren herflogen und der mitten unter den Ziegen haltmachte, sich umschaute und kläffte. Sie sprangen auf die Beine, als hätten sie den Ziegenteufel persönlich gehört. Der Bock zerriss das Seil und verschwand in den Büschen, die Mütter schluckten hinunter, was sie gerade auf der Zunge hatten, und meckerten in panischer Angst, die Zicklein stoben in alle Richtungen davon, Rebhühner flogen auf und ließen ihr Gelege im Stich, Tauben schossen pfeilschnell davon. Nur die Ameisen ließen sich nicht beeindrucken. Die Ameisen hatten offenbar schon Schlimmeres erlebt.