Die hundertfünfundzwanzigtausend Euro-Frage - Dierk Wolters - E-Book

Die hundertfünfundzwanzigtausend Euro-Frage E-Book

Dierk Wolters

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Beschreibung

Rüdiger Meierle ist Lehrer für Geschichte und Latein. Seine Allgemeinbildung ist enorm, er hat eine wunderbare Frau, mit der er gerne nach Korsika reist. Alles ist gut. Doch hinter dem unauffälligen Leben zu zweit verbirgt Meierle ein Geheimnis. Und alles begann an jenem Tag vor vielen Jahren, als er als Kandidat auf dem Stuhl einer berühmten Quizshow saß - und ganz Deutschland ihm zusah …Julia saß im Publikum dieser Quizshow und bot sich als Joker an. Doch dann machte sie einen Fehler, der Rüdiger Meierle ins Verderben stürzte. Der einen Shitstorm entfachte, der sie zu vernichten drohte. Und der sie mit großen Gefühlen konfrontierte.Die 125.000 Euro-Frage ist ein Roman über Liebe und Lebensglück, über Sehnsucht und Einsamkeit. Er erzählt davon, wie ein kleiner Irrtum große Folgen hat. Und davon, wie zwei Menschen ihr Leben leben, auch wenn sie wissen, dass längst alles verloren ist.

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Impressum

Dierk WoltersDie Hundertfünfundzwanzigtausend-Euro-FrageRoman

© Weissbooks GMBH Frankfurt am Main 2015

Alle Rechte vorbehalten

SatzPublikations Atelier, Dreieich

UmschlaggestaltungJulia Borgwardt, borgwardt design

Foto Dierk Wolters

© Michael Utz

Erste Auflage 2015

978-3-86337-090-9

Dieses Buch ist auch als Printversion erhältlich

978-3-86337-036-7

weissbooks.com

Dierk Wolters Die Hundertfünfundzwanzigtausend-Euro-Frage

Die Hundertfünfundzwanzigtausend-Euro-Frage

Inhalt

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

I

Mein Name ist Rüdiger Meierle. Ich hasse meinen Vornamen. Ich begreife gar nicht, wie meine Eltern je auf die Idee kommen konnten, mich Rüdiger zu nennen. Meinen Nachnamen hasse ich übrigens auch. Aber das tut hier nichts zur Sache. Ich sage es nur, um mich kurz vorzustellen.

Ich sitze hier an einem kleinen weißen Tisch in der korsischen Sonne. Genauer: Ich sitze im Schatten, denn ohne Sonnenschirm könnte man es kaum aushalten. Manchmal ist es hier auch im Oktober noch glutvoll heiß. Der Tisch ist eine Art Campingtisch, ein weißes, etwas wackeliges Ding auf vier Beinen, das ich mithilfe eines geknickten Bierdeckels, von denen einige auf der Anrichte unseres kleinen Appartements lagen, notdürftig stabilisiert habe. Neben mir steht ein Glas mit Wasser, sonst nichts.

Inge liegt im Liegestuhl und döst. Sie denkt, ich bereite mich auf den Unterricht vor. Naja, wahrscheinlich denkt sie gar nichts. Irgendwann wird dies jemand lesen, vielleicht. Nach meinem Tod – möge er noch lange auf sich warten lassen. Ich werde diese Seiten in der Cloud speichern und auf meiner Festplatte einen Hinweis auf die Dateinamen hinterlassen. So wird man sie finden können – falls jemand sucht. Das ist durchaus ungewiss, und ändern wird das auch nichts mehr, so wie ja ohnehin nichts mehr zu ändern ist. Das weiß ich. Es muss aber erklärt werden. Es sollte geklärt werden. Ich bin Geschichtslehrer, müssen Sie wissen. Geschichte und Latein. Das Klären von Dingen, die ohnehin nicht mehr zu ändern sind, ist mein Beruf.

Inge döst. Seit 25 Jahren kommen wir schon hierher. Inge ist ganz schön aus dem Leim gegangen, so sagt man, glaube ich. Auch sie ist Lehrerin. Kunst und Sport. Sport ist weniger geworden in den vergangenen Jahren. Agil und umtriebig ist Inge aber immer noch, man sieht es ihr nicht auf den ersten Blick an. Sie geht in ihrem Beruf auf, und sie ist sehr lebenslustig, wenn sie nicht gerade döst, aber selbst das Dösen ist bei ihr anders als bei mir – ein Erholungsschlaf, nach zwanzig Minuten springt sie auf und ist topfit. Ich kann das nicht. Wenn ich mittags einschlummere, fällt es mir schwer, meinen Kreislauf wieder in Schwung zu bekommen, bevor es kühler wird. Den ersten Schlaf genieße ich, dem folgen aber immer zwei oder drei weitere Schlafphasen mit oft unangenehmen Träumen. Ich wache dann auf, fühle mich bleiern schwer, bekomme meine Augen kaum auf und sacke wieder weg. Manchmal habe ich eine Art schlechtes Gewissen, aber was soll ich machen, ich bin nicht mehr der Jüngste. Nicht selten peinigt mich in diesen Momenten die Frage, was ich in meinem Leben hätte anders machen sollen. Aber lassen wir das. Jetzt bin ich wach und Inge döst, und ich sollte die wenigen Minuten, die mir noch bleiben, zum Schreiben nutzen. Ich will fertig werden mit diesem Text. Ich kann mir vorstellen, dass Inge sich etwas mehr Schwung in ihrem Leben gewünscht hätte. Vielleicht hätte sie sich gewünscht, dass ich etwas mehr Schwung in ihr Leben gebracht hätte. Wir haben darüber nie gesprochen. Wir hatten es immer gut miteinander, glaube ich, auch in meiner Zeit mit Julia. Wir essen beide gern. Auch ich bin aus dem Leim gegangen.

Ich fühle mich nicht besonders wohl, so wie ich hier sitze. Ich bin nicht dick oder gar fett, aber ein kleines Bäuchlein habe ich schon. Es fällt nicht auf unter meinem weiten T-Shirt, und in meinem Alter, das hat mir vor einem halben Jahr ein Kollege gesagt, sei das doch völlig normal. Der Kollege war übrigens deutlich jünger und dicker als ich. Er konnte seine Figur weglachen. Ich kann das nicht. Manchmal, zu Hause, wenn ich mich im Spiegel sehe, schaue ich schnell wieder weg. Es ist nicht der Bauch allein – vielmehr eine gewisse Unförmigkeit, eine Allgemeinschlaffheit, die sich über die Jahre eingestellt hat und der ich nicht beizukommen weiß.

Das alles spielt hier aber eigentlich keine Rolle. Ich bin 64 Jahre alt. Seit 25 Jahren fahre ich mit meiner Frau in den Herbstferien nach Korsika: eine herrliche Gelegenheit, noch einmal Sonne zu tanken, bevor der lange deutsche Winter kommt.

Im Rückblick habe ich das Gefühl, dass ich nichts dafür kann, dass alles so gekommen ist. Aber gleichwohl bin ich es, der im Mittelpunkt der Ereignisse steht. Ich bin es, der Schuld auf sich geladen hat. Es begann … – es begann wahrscheinlich mit meiner Geburt, möchte ich jetzt am liebsten schreiben. Aber das ist die Gründlichkeit des Historikers, die da mit mir durchgeht. Am liebsten immer ab ovo und dann nie zu einem Ende kommen … Wie verlockend, nie zu einem Ende zu kommen … Aber mein Leben hat ein Ende, wird ein Ende haben, ist vielleicht schon zu Ende, auch wenn ich noch jahrelang nach Korsika reisen werde, mit Inge, wenn es gut läuft. Also wäre es falsch, mit meiner Geburt zu beginnen. Gut, ich will es kurz machen.

Es begann an jenem Tag, als ich in dieser Show saß, Sie haben vielleicht von ihr gehört, wenn Sie jünger sind. Falls Sie in meinem Alter sind, ist sie Ihnen bestimmt noch im Gedächtnis. Das Spiel war seinerzeit berühmt – denkbar schlicht und gerade deswegen faszinierend: Ein Moderator stellt Fragen, es gibt vier mögliche Antworten, bei jeder richtigen verdoppelt sich der Einsatz, und wer alle beantwortet, geht mit einer Million nach Hause. Dass ich mich überhaupt beworben hatte, ging mehr auf meine Frau zurück als auf mich. Auf mich nur insofern, als ich öfter abends vor dem Fernseher saß. Ich sitze gern abends vor dem Fernseher. Berieseln, sagt meine Frau. Die Gedanken schweifen lassen, sage ich. A, B, C oder D, fragte der Moderator. Und ich saß auf dem Sofa und sagte einen Buchstaben, und er war immer richtig. Manchmal sagte ich auch nichts – wenn ich die Antwort nicht wusste: Sportfragen sind nicht meine Domäne, es sei denn, sie sind historisch. Wer schoss das zweite Tor für Deutschland im Fußball-WM-Endspiel 1954? Bald 80 Jahre ist das jetzt her. Aber so etwas weiß ich.

Die Sendung war ein Zeitvertreib. Ein netter Zeitvertreib. Millionen von Deutschen saßen jedesmal vor dem Bildschirm – und jedes Mal heißt: dreimal pro Woche! Dem Kölner Sender rtl, einem Pionier des Privatfernsehens, wie man es damals nannte, verschaffte sie Werbeeinnahmen von mehr als 100 Millionen im Jahr. Heute spielt er keine Rolle mehr in der Fernsehlandschaft, damals aber galt er als großer Angreifer auf dem Markt.

»Wer wird Millionär?« – so schlicht war der Titel der Sendung. Der Reiz lag, neben dem immer wieder neuen Kitzel, wie weit man es wohl in der nächsten Fragerunde schaffte, darin, wie schnell man hier unendlich viel Geld verdienen konnte. Noch zwei Dezennien zuvor hatten Shows das Programm beherrscht, in denen Gewinner mit 50 Mark nach Hause gingen, die ein ältlicher Moderator in Form von 5-Mark-Stücken betulich in ein Sparschwein steckte. In einer anderen, ebenfalls sehr populären Sendung waren Sachgewinne wie ein Klappfahrrad oder ein Toaster auf einem Rollband über die Bühne gefahren. Wer sie danach memorieren konnte, heimste sie ein. Das war die große Zeit des sogenannten öffentlich-rechtlichen Fernsehens.

Das Verdienst oder, je nach Standpunkt, die Schande des sogenannten Privatfernsehens bestand darin, dass es allen Formen der Scham binnen kurzem den Garaus machte – auch der Scham, mehr zu besitzen als andere. Das Privatfernsehen – historisch gesehen ist das nicht uninteressant – entwickelte sich just in dem Zeitalter, als auch der Verdienst sich vollkommen von den Leistungen der Verdienenden abkoppelte. Der Mensch verlor seine Verhältnismäßigkeit, in der er jahrzehnte- und jahrhundertelang geruht hatte.

Verzeihen Sie, ich schweife ab. Wovon ich hier berichten will, ist, dass auch ich eines Tages auf jenem Stuhl saß, den man »heißen Stuhl« nannte. Ich tat dies wahrlich nicht aus eigenem Antrieb, aber als Inge mich anmeldete, hatte ich mich auch nicht gewehrt. Wahrscheinlich hatte mir ihre Bewunderung ein wenig geschmeichelt, die möglicherweise auch der Grund dafür war, dass mich oft ein leichtes Fieber packte, wenn ich zu Hause vor der Sendung saß, auch wenn mich die Kontextlosigkeit der Fragen gelegentlich anödete. Inge erklärte ich nicht nur einmal, dass es ein Irrtum sei, die Beantwortung der gestellten Fragen mit Bildung zu verwechseln und jene Sendung mithin als Bildungsfernsehen zu bezeichnen. Freilich musste ich zugeben, dass das Wissen um zahlreiche Fakten die Voraussetzung für einen gebildeten Menschen ist, es bildet sozusagen das Instrumentarium für den intelligenten Umgang mit der Welt. Insofern war diese Sendung, wenn Sie so wollen, die attraktivste Bildungsersatzverpackung, die ein populistisches Medium wie das Fernsehen überhaupt bieten kann, und das ist vielleicht auch ein Grund für die Intensität, mit der ich die Sendung jedes Mal schaute.

Der andere Grund war wohl auch, dass ich von Natur aus nicht mit vielen Gaben ausgestattet bin, die es mir ermöglichen, Inge zu imponieren. Ich bin blass, eher klein und unsportlich, kein großer Redner, und in größeren Runden höre ich lieber zu, als mich in den Mittelpunkt zu stellen. Früh schon ist mein Haupthaar licht geworden, und eine Glatze hätte mich weniger gestört als jener haarlose Kreis am Hinterkopf, den ich Gott sei Dank tagsüber die meiste Zeit vergaß. Mir die Haare ganz abzurasieren, dafür fehlte mir allerdings der Mut. Aber ich schweife schon wieder ab. Was ich eigentlich sagen wollte: Ich freute mich, wenn Inge mich von der Seite ansah, weil ich es wieder einmal mühelos bis zur 500 000er-Frage geschafft hatte, und zwar ohne die diversen Joker und manchmal sogar ohne die Hilfe der Auswahlantworten A, B, C, D.

Ich hätte nie dort sitzen wollen, wo ich dann eines Tages saß, es widerspricht meinem Naturell. Inge aber hat eine gewisse Lebenslustigkeit, und dass es sich mit einer Million im Rücken besser leben ließe als ohne – ja, dass schon 100 000 Euro manches Vorhaben, wie die Sanierung unserer langsam vor sich hin rottenden Vierzimmerwohnung aus den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, erheblich erleichtern würden –, das war auch mir einsichtig. Also wehrte ich mich nicht, als Inge vorschlug, mich anzumelden. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich es je dorthin bringen würde, war ohnehin mehr als gering.

Die Bewerbung, der Zufall, die Vorrunde – wie durch ein Wunder klappte alles wie am Schnürchen. Ich war nicht im mindesten erpicht darauf, einmal auf diesem von allen Seiten angestrahlten Stahlstuhl zu sitzen, fanfarenumtost angekündigt, vielleicht war dies mein Glück – oder mein Verhängnis, je nachdem. Alle anderen Kandidaten waren vom Ehrgeiz zerfressen, es unbedingt hierher zu schaffen. Bei mir aber hielt sich die Vorstellung, binnen einer Stunde um einiges wohlversorgter als zuvor von der Bühne abzutreten, die Waage mit dem Widerwillen, überhaupt ins Rampenlicht zu treten. Alles, was mich dorthin zog, war vielleicht die Vorstellung, Inges Bewunderung, die ich schon daheim auf dem Sofa hatte spüren können, hier ins Große steigern zu können. Vergebens, darüber nachzugrübeln. Es war so, wie es war.

Eines späten Frühlingsnachmittags jedenfalls saß ich pünktlich zur Aufzeichnung der Sendung im Studio, ich gehörte zum Kreis der Quiz-Kandidaten, und allein schon der Aufwand – die Anreise in diesen schäbigen Vorort von Köln mit Bahn und Taxi, die dafür nötige Beurlaubung, das Packen meines Reisekoffers, die Gespräche vorher, die sich um den möglichen Ausgang der Unternehmung drehten, und die Vorbereitungen für ein erfolgreiches Bestehen, die man unwillkürlich tätigt, auch wenn man dies eigentlich nicht will – hatte einen absurden Umfang angenommen, der die Vorstellung einer Rückkehr, ohne auf dem berühmten Stuhl gesessen zu haben, gar nicht mehr zuließ.

Auch dies spielt keine Rolle mehr – alles klappte wie am Schnürchen, ich sagte es ja schon, der Moderator stellte eine Frage, es ging um die aktuelle Platzierung von Fußballclubs in der Bundesliga-Tabelle, wohl die einzige Sportfrage, die ich beantworten konnte, weil ich die Zeitung am Wochenende gründlich studiert und auf Drängen Inges auch den Sportteil nicht ausgelassen hatte. Der Moderator fragte nach der Reihenfolge von A, B, C und D, in Sekundenbruchteilen tippte ich A, B, C und D, das stimmte, und schon bat er mich zu sich.

Es ist kein Geheimnis um diese Shows außer einem: Alles an ihnen ist Spiel. Ich meine nicht das Quiz, das ihr Hauptzweck und Inhalt ist, sondern ihr Dasein, ihr Wesen. Man betritt eine Bühne – und ist in einer Parallelwelt gefangen. Man kann in dieser Parallelwelt leben wie in der richtigen auch, ein Spieler seiner Rolle. Es ist nicht unangebracht, sich vollkommen neu zu erfinden für die Kamerasituation, nachher ging mir auf: Profis tun das mit Perfektion, sie verschleiern, verschönern und ändern sich nach Belieben, nicht von ungefähr stammt das Wort Persona aus dem Griechischen: Maske. Mir war klar, dass ich schon von meinem Naturell her nicht im mindesten disponiert war, mich vor aller Augen zum Affen zu machen. Nicht klar war mir, welch radikalen Schnittes es dafür bedarf, ein anderer zu werden. Dass ich aus meiner Rolle schlüpfen müsste, wusste ich – welche meine temporäre neue Rolle war, aber nicht im mindesten.

Es spielt eigentlich auch gar keine Rolle. Ich hatte jedenfalls einen klassischen Blackout. Die ersten paar Fragen nahm ich jedoch mit Bravour, dadaistische Wortspielereien, Nonsens zum Aufwärmen, 50 Euro, 100, 200 und so weiter. Spät die erste ernstzunehmende Frage, etwas Biologisches, es ging um Marienkäferarten und die Verteilung ihrer Punkte, ich wusste das, und auch die nächste und übernächste Frage konnte ich beantworten.

125 000 Euro hieß es dann plötzlich. Dass sich die Gewinnsumme von Frage zu Frage verdoppelt, erzeugt einen gewaltigen Sog. Er ist spürbar bis in die Wohnzimmer der Republik, im Studio selber aber ist er noch ungleich stärker. Ich hatte alle bisherigen Fragen unbeschadet überstanden, ja, ich hatte mit Leichtigkeit geantwortet und sogar mit einem gewissen trockenen Witz. Ich hatte mich unbeeindruckt gezeigt von dem pompösen Getue um mich herum, ich wollte hier nicht sein, und also hatte ich die Augen zugemacht und war einfach temporär ein anderer. Ich war nicht ich, das hatte es mir leicht gemacht. Sogar die Menscheleien, die unweigerlich zum Spiel gehören, hatte ich gemeistert. Ich hatte die Spielvariante mit einem zusätzlichen Joker gewählt und dafür auf die Sicherheit verzichtet, im Falle einer falschen Antwort nach der zehnten Frage trotzdem 16 000 Euro zu bekommen. Ich war kein Risiko-Typ, und letztlich wusste ich: Entweder, meine Antworten stimmten. Oder ich würde aussteigen. Außerdem beruhigte mich die Vorstellung, dass da irgendwo im Publikum einer saß, der mir im Ernstfall helfen würde – so, wie es im Unterricht von Vorteil ist, einen sehr guten Schüler in der Klasse zu haben. In Stunden, in denen keiner zur Mitarbeit zu motivieren ist, ist so ein Sparringspartner eine sichere Bank. Auf die Frage, was ich mit dem möglichen Gewinn denn machen würde, hatte ich dem Moderator geantwortet: Ich kaufe mir einen Maserati. Das hatten sie nicht von mir erwartet, und nach einer kurzen Kunstpause fügte ich hinzu: Aber vorher mache ich erst mal den Führerschein. Das hatten sie noch weniger erwartet, und der Moderator am allerwenigsten – dass einer keinen Führerschein haben konnte! Ich hatte die Lacher auf meiner Seite.

Dann aber kam die Frage nach dem Tribunal. Noch heute ist sie berühmt. Zu welchem Anlass auch immer die Geschichte der Sendung ausgebreitet wird, stets wird sie erwähnt. Sie wissen, ich bin Lehrer. Geschichte und Latein. Es musste also jedem wie ein Geschenk vorkommen, als der Moderator fragte: Wer auf der »Tribüne« Platz nimmt, tut dies der Wortherkunft zufolge eigentlich, um …? A: Gekrönt zu werden, B: Recht zu sprechen, C: Orgien zu feiern, D: Almosen zu verteilen. Ich merkte, wie der Moderator beim Verlesen lächelte. Er hatte wohl eine gewisse Sympathie für mich gefasst, mein bescheidenes Auftreten und meine Unaufdringlichkeit schien er zu mögen, ganz besonders im Verbund mit dem souveränen Auftritt: bis hierhin kein Patzer, keine Hilfe! Dazu der Maserati, der Moderator selber galt als Autoliebhaber … Das alles war unkonventionell und hatte Charme.