Die Influenza-Pandemie 1889/90, nebst einer Chronologie früherer Grippe-Epidemien - Jakob Ruhemann - E-Book

Die Influenza-Pandemie 1889/90, nebst einer Chronologie früherer Grippe-Epidemien E-Book

Jakob Ruhemann

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Beschreibung

Die detaillierte Chronologie der Influenzaepidemien in der Weltgeschichte in Kombination mit frühen Forschungsergebnissen und Erkenntnissen macht das vorliegende Buch zu einem wertvollen Werk zur Geschichte der Influenzaforschung.

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Veröffentlichungsjahr: 2020

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Vorwort.

Motto:

L’Observation est dans a Medecine, comme dann la

Physique la veritable manière d’étudier la nature.

Saillant.

(Tableau historique et raisonné des Epidémies catarrhales,

vulgairement dites la Grippe, 1780.)

BEI der Beurteilung der vorliegenden Arbeit muß auf ihre Entstehung Rücksicht genommen werden; denn es war nur eine relativ kurze Zeit für die Abfassung der nachfolgenden Abhandlung gestattet, und ferner wurde sie in einem Zeitraum beendet, wo das literarische Material über die letzte Influenzapandemie noch lange nicht seinen Abschluß gefunden hatte; es war somit der Gesamtblick über das Bild der Krankheit hier und da beschränkt. Immerhin meinen wir, daß der in den folgenden Zeilen gegebene Abriß unserer Kenntnisse von der Geschichte, der Ursache, der Pathologie und Therapie, den Nachkrankheiten und Komplikationen der Influenza manchem willkommen sein wird und, wenn die Arbeit einem größeren Leserkreise das Interesse abzugewinnen imstande ist, das der Verfasser bei der Bearbeitung des Gegenstandes gefunden hat, so kann derselbe wohl zufrieden sein. Der Versuchung, Zusätze und Änderungen anzubringen, welche durch neuerdings erschienene Arbeiten wohl gerechtfertigt waren, mußte widerstanden werden, da die Schrift in dem Gewande erscheinen sollte, in welchem sie Beifall gefunden hatte.

Wenn nun auch der Gegenstand des Themas nicht mehr so im Vordergrund des Interesses steht, wie es zu der Zeit der letzten Influenzapandemie der Fall war, so hat er doch noch keine endgültige Erledigung gefunden, sondern bietet vielmehr eine Reihe schwierig zu lösender Fragen dar; ferner ist es anzunehmen, daß auf der Basis der bisher über die Influenza gesammelten Ergebnisse und Erfahrungen spätere, über die Krankheit arbeitende Autoren nicht mehr Fragen, die bereits erledigt sind, immer wieder als unangegriffene behandeln; denn man denke daran, daß bei dem Wiedererscheinen von Influenzapandemien die historisch deponierten Erfahrungen gewöhnlich meist vergessen sind, und die Schriftsteller ihre Beobachtungen, die indes häufig längst in dem Buche der Geschichte verzeichnet sind, als neue mitteilen; wir alle haben gesehen, daß der Mangel an Kenntnis der geschichtlichen Medizin gerade bei der Influenzapandemie die Ärzte bezüglich der prophylaktischen Maßregeln, der Behandlung und der prognostischen Aussprüche vielfach in die Irre geführt hat.

Einige nachträgliche Anordnungen sind unter den Text gesetzt worden.

Der Verfasser.

Inhaltsverzeichnis.

Rückblick auf frühere Influenzapandemien.

Der Gang der Epidemie von 1889/90.

Über die ätiologischen Verhältnisse der Influenza.

Symptomatologie und Verlauf der Influenza.

Komplikationen seitens der Brustorgane.

Komplikationen und Nachkrankheiten seitens des Nervensystems.

Psychosen und Influenza.

Influenza und Augenerkrankungen.

Influenza und Ohrenerkrankungen.

Einfluß der Influenza auf Erkrankungen der weiblichen Sexualorgane.

Komplikatorische Erscheinungen seitens der Haut und des uropoetischen Systems.

Wirkung der Influenza auf andere Krankheiten.

Behandlung der Influenza.

Zusammenfassende Bemerkungen.

I. Rückblick auf frühere Influenzapandemien.

DER Entwurf einer Geschichte der Influenza ist gleichbedeutend mit einer kulturhistorischen Betrachtung der Medizin und ihren in den verschiedenen Zeitabschnitten differierenden Anschauungen über Pathologie und Therapie. Aber nicht das Interesse hierfür war es, das den geschichtlichen Rückblick auf die der Epidemie von 1889/90 ähnlichen früheren Influenzainvasionen so weit ausspinnen ließ, vielleicht weiter, als es in dem Sinne dieser Arbeit liegen sollte, sondern vielmehr die Erwägung, daß bei einer so seltenen, oft erst nach Jahrzehnten wiedererscheinenden Völkerkrankheit die geschichtlichen Erfahrungen höchst wertvoll, ja gar nicht zu entbehren sind. Sie bestätigen uns einerseits die in der letzten Epidemie gemachten Beobachtungen, welche man meist unabhängig von der Kenntnis früherer Epidemien gesammelt hat, andererseits lehren sie uns, Wahrnehmungen im Zusammenhang mit der Epidemie zu betrachten, deren Connex mit der Krankheit den zeitgenössischen Autoren fraglich erscheint oder unglaublich dünkt, während doch in der Geschichte überaus zahlreiche Erfahrungen diesbezüglich vorhanden sind, die in der kurzen Zeit einer bestehenden, stets so überraschend wirkenden Epidemie nicht immer ausreichend gesammelt werden können.

Ich lasse bei diesem historischen Rückblick der Influenzapandemien – denn nur um Pandemien handelt es sich hier – die Witterungsverhältnisse, Windrichtungen, barometrischen Ergebnisse und atmosphärischen Zustände, welche vor und während der Epidemie zur Beobachtung gelangten, fort, weil dieselben von den meisten Schriftstellern in detaillierter Weise aufgezeichnet, aber nach meiner Ansicht für das Entstehen und die Weiterverbreitung der Influenza belanglos sind, beziehungsweise nicht verwertet werden können; sagt doch bereits schon Metzger1 bei der Beschreibung der Epidemie aus dem Jahre 1800: „Es ist also vergebene Mühe, wenn diejenigen, welche epidemische Krankheiten beschreiben, erst sorgfältig die ganze vorhergegangene halbjährige oder jährige Witterung, nebst den während dieser Zeit herrschenden Krankheiten und Konstitutionen schildern oder hererzählen.“

Ich lasse ebenso die Behandlungsmethoden, soweit sie die Influenza betreffen und von den alten Ärzten vorgeschlagen sind, fort. Ferner enthalte ich mich der Anführung der einzelnen Arbeiten über die Influenza, da dieselben von Most2, Schweich3, Gluge4, A. Hirsch5, Zuelzer6 und anderen ausgezeichnet zusammengestellt sind; ich führe nur hier und da Werke an, die ich bei jenen Autoren nicht aufgefunden habe und stelle erst von dem Jahre 1837 an, bis zu welchem das vortreffliche, fleißige und durchaus zuverlässige Buch von Gottlieb Gluge: „Die Influenza oder Grippe“ reicht, mehr Material zusammen, das indes keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Erschöpfung macht, sondern nur insofern berücksichtigt ist, als es bei der Arbeit Verwendung fand. –

„Höher hinauf als das Jahr 1323 lassen sich keine Influenzaepidemien konstatieren, obwohl die Wahrscheinlichkeit dafür spricht, daß dieselben schon früher geherrscht haben. Nur fehlen die historischen Belege.“ Dieses ist Gluges Ansicht. Nach anderen beginnt unsere Kenntnis der Epidemie früher. So bezeichnet A. Hirsch als erste 1173, Webster 7 1174, Kusnezow und Hermann8 sogar 412 vor Chr.; Zeviani9 nimmt als erste 1239, Schweich 1387 an. In England wurde, wie aus den Thompson’schen10 Annalen der Influenza hervorgeht, die erste sicher verbürgte Epidemie 1510 beobachtet, und ebenso beginnt Saillant, „der die erste historische Monographie über Influenza lieferte“ und dessen Anfangsworte das Motto der Arbeit bilden, in‚ seinem Tableau historique et raisonne des Epidémies catarrhales mit der gewaltigen Epidemie von 1510. In gleicher Weise bemerkte O. Seifert11, daß die Geschichte der Influenza erst von dem Anfange des 16. Jahrhunderts zu datieren sei, wo die Aufzeichnungen charakteristisch und eingehend sind. Jos. von Zlatarovich12, der eine kurze Geschichte des epidemischen Katarrhs (Influenza, Grippe), soweit sie Wien betraf, verfaßte und besonders die Epidemie von 1833 beschrieb, will noch sicherer gehen. Er meint zwar, daß mit Sydenham13 die Beschreibungen der Influenzaepidemien anfangen, etwas mehr Klarheit zu gewinnen, aber bei weitem noch nicht mit jener Bestimmtheit und Ausführlichkeit gegeben seien, um als gültige Belege für eine Naturlehre der Influenza benutzt zu werden. Ich kann das, wie es auch bereits Schweich bemerkt, nicht zugeben und verweise auf die weiter unten folgende Geschichte der Epidemien, deren Schilderung für sich selbst sprechen möge. Kurz, der zu vorsichtig urteilende Zlatarovich beginnt erst mit dem Jahre 1742, weil ihm erst diese Epidemie vollkommene Aufschlüsse darbiete.

Im Gegensatze zu diesem Skeptiker sieht Hermann als die erste, einigermaßen sicher verbürgte Influenzaepidemie, wie wir oben erwähnt haben, die von Hippokrates und Livius beschriebene, im Jahre 412 vor Chr. auftretende Seuche an. Wir bezweifeln nicht die Möglichkeit derartiger Tatsachen und registrieren hiermit diese Annahme; aber zu vergleichenden Untersuchungen lassen sich diese fragmentarischen Nachrichten nicht verwerten. Als Curiosum möchte ich noch hinzufügen, daß Thomas Glass14 bei seiner Beschreibung der Influenza von 1776 in den Thompson’schen Annalen seiner Phantasie soweit die Zügel schießen ließ, daß er die bei Homer in der Iliade beschriebene Pest als Influenza ansprechen wollte, ohne zu bedenken, daß ein wesentliches Merkmal der Influenza, nämlich die der letzteren eigentümliche Gutartigkeit, wenn man damit die gewaltige Dezimierung des griechischen Heeres vergleicht, von vornherein sehr deutlich gegen eine solche scheinbar geistreiche Vermutung spricht.

Sehen wir uns einmal die Daten über die ältesten Influenzaepidemien an.

Die von Webster angeführte Epidemie von 1174, deren Quellen der ungemein fleißig nachforschende Gluge nicht auffinden konnte, da Webster seine Gewährsmänner nicht anführt, ist zu wenig beschrieben, um sie als Influenza charakterisieren zu können.

Zeviani15, der eine „vorurteilsfreie, durch gesunde Würdigung der einzelnen Erscheinungen sich auszeichnende Geschichte aus den frühesten Zeiten bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts lieferte“, führt 1239 und 1311 nach ungenannten Chroniken ohne Beschreibung an, und wir glauben demnach auch diese Epidemien wenigstens für unsere Betrachtung, die ja hauptsächlich eine vergleichende sein soll, streichen zu können.

Für den Nachweis der Epidemie von 1323, mit der Gluge die Geschichte der Influenza beginnt, bringt er eine Stelle aus Buoninsegni16 bei, die mir nicht charakteristisch genug erscheint, obschon Gluge hinzufügt: „Die Beschreibung der Krankheit, ihre Ausbreitung über Personen und Städte scheinen mir hinreichend zur Annahme einer Influenza zu sein.“ Nach Most und Schweich erwähnt sie der italienische Arzt Targioni Tozetti in seinen medizinischen Beobachtungen unter der Rubrik: „Chronik über die Witterung von Toscana“, und Most hält sie eher für eine Typhusepidemie mit Brustaffection, als Katarrhalepidemie. Sie herrschte in Italien und zwar im August.

Für 1327 sucht Gluge den Beweis aus einer sich bei Buoninsegni findenden Bemerkung zu liefern, welche lautet: „In detto anno e mese (März) fu quasi per tutta Italia corruzione di febbre per freddo, ma pochi ne morirono.“

1323 und 1327 werden übrigens auch von Zeviani angeführt. 1358 wird nur von letzterem angegeben, von Most erwähnt.

1387.

Die Epidemie von 1387, die außer Gluge auch von Zeviani und Schweich genannt wird, scheint die erste, wirklich sichere Influenza zu sein, trotzdem zu betonen ist, daß natürlich in den fragmentarischen, uns überkommenen Aufzeichnungen nicht alle die Krankheit charakterisierenden Erscheinungen enthalten sind. Auch Walther Kratz17 führt diese Epidemie als erste an und berichtet, daß sie von Jacob von Königshofen beschrieben wurde.

Sie herrschte nach Buoninsegni in Florenz, nach Alex. Benedictus18 in ganz Italien, wofür auch Marchesi, der sie in Forli beobachtete, und Morgagni Zeugen sind (Most); zur Fastenzeit suchte sie Deutschland (superiorem Germaniam), Augsburg, Memmingen und Straßburg heim, wahrscheinlich auch Frankreich, denn Valescus de Taranta beobachtete die Epidemie in Montpellier (Montepessulum).19

Sie dauerte in Florenz vier Wochen an, also ein Zeitraum, welcher erfahrungsgemäß der Durchseuchung mittelgroßer Städte durch die Influenza entspricht.

Der Ausdruck: „mira quadam epidemia“, den Gassar gebraucht, scheint für das erstaunliche Umsichgreifen, die beobachteten Delirien und die gewaltige Macht der Krankheit charakteristisch zu sein, ebenso wie die Tatsache, die Buoninsegni erwähnt, daß die Krankheit fast alle Menschen befiel und doch nur sehr wenigen, höchstens alten Leuten gefährlich war, mit Sicherheit für Influenza spricht: „Del mese di gennajo comminicio in Firenze una influenza20 que quasi ogni persona malava di freddo e con febbre e duro infino a mezzo Febrajo e morirono molti d‘ogni et a ma piu di vechi“, und Ähnliches berichtet Gassar, indem er sagt, daß die Menschen „molestissimis destillationibus laborabant ac ratione privati instar phreneticorum furebant, atque inde iterum convalescebant, pau cissimis ad orcum demissis“.21 Die Extensität der Epidemie betreffend, berichtet auch der oben genannte Jacob von Königshofen: „das unter zehen kume eins gesunt bleip“. Wie aus den oben gemachten Angaben ersichtlich ist, war die Richtung der Epidemie von Südwest nach Nordost; die Dauer der Krankheit bei den einzelnen Individuen wird von Gassar auf vier bis höchstens fünf Tage angegeben.

1403.

Als Beweis für eine in diesem Jahre herrschende Influenza führt Gluge nur eine Stelle aus Pasquier22 an, die aber doch zu dürftig und inhaltlos ist, um daraus unanfechtbare Schlüsse ziehen zu dürfen. Am 26. April ist in den Registern des Parlaments notiert: „y eut une maladie de teste et de toux qui courut universellement grande, que ce jour la le greffier ne put rien enregistrer et fut on contraint dabandonner le plaidoyer“. Man sieht sich nach dieser Bemerkung wohl veranlaßt, eine Influenza anzunehmen, indes ist man einem Skeptiker gegenüber nicht in der Lage, einen wirklichen Beweis dafür zu liefern.

1411.

Bezüglich dieses Jahres bringt Gluge eine charakteristische Stelle aus Pasquier bei; leider fehlen uns die höchst wichtigen Angaben über die Ausdehnung der Epidemie, welche „le Tac“ genannt wurde, der erste eigene Name der seitdem so oft getauften Influenza. Eine unzählige Menge Menschen wurde durch eine Krankheit ergriffen, die den Appetit, Durst und Schlaf raubte. So oft der Kranke aß, hatte er starkes Fieber (?). Die für Influenza charakteristische Geschmacksveränderung, Prostration und Gliederschmerzen werden ausdrücklich erwähnt: „ce qu'il mangeoit (sc. le malade) luy sembloit amer ou puant, tous jour trembloit et avec ce estoit si las et rompu de ses membres que Ton ne l'osoit toucher en quelque part que ce fust‘. Das Leiden wurde von einem starken, Tag und Nacht quälenden Husten begleitet. Die Dauer der Affection wurde auf drei Wochen angegeben; Tod durch dieselbe wurde nicht beobachtet. Sehr charakteristisch und bemerkenswert ist der Hinweis auf Aborte, die durch die Krankheit herbeigeführt wurden, eine Beobachtung, auf die wir hier zum ersten Male stoßen und die wir bei der Schilderung der meisten späteren Epidemien wiederfinden; freilich ist die Tatsache anders zu erklären, als es in folgender Weise geschieht. Pasquier23 sagt diesbezüglich: „Bien est vray, que par la vehemence de la toux plusieurs hommes se rompirent par les genitoires et plusieurs femmes grosses accouchèrent avant le terme.“

Der Krankheit sollte eine „allgemeine Contagion der Luft“ zu Grunde liegen, deren Ursache dunkel war.

1414.

In diesem Jahre und zwar im Februar und März herrschte eine allgemeine Krankheit in Frankreich, welche „le Tac“ oder „le Horion“ genannt wurde (Lobineau).24

Das Königlich Bayerische Kriegsministerium teilt mit, daß bei der Epidemie im Jahre 1414 im Donaukreise die Namen „Bürzel“ und „Tonawäsches Fieber“ zur Anwendung gezogen wurden, eine Notiz, die uns das Erscheinen dieser Influenza auch in Deutschland wahrscheinlich macht. Sie herrschte im Donaukreise zwischen Weihnachten und Ostern.25

Ganz vortrefflich ist die Charakterisierung der Krankheit nach Lobineau: „C’étoit une espèce de rhume qui causa un tel enrouement que le parlement et le chastelet furent obligez dinterrompre leurs séances, on dormoit peu et l’on souffroit de gramles douleurs d la teste aux reins et part out le reste du corps mais le mal ne fut mortel que pour les vieilles gens de toute condition."

1427.

Für das Jahr 1427, eine von Gluge angeführte Influenza, deren von keinem anderen Autor sonst Erwähnung geschieht, hat jener nur einen Gewährsmann, nämlich den oben genannten Pasquier. Derselbe beschreibt nach einem ungenannten Autor die Krankheit recht charakteristisch; wenn auch nicht die Hinfälligkeit der Ergriffenen betont wird, so finden sich doch die Masseninvasion und der Kreuzschmerz beschrieben; in betreff des letzteren heißt es: „elle (sc. la maladie) commencoit aux reins comme si on eust une forte gravelle“. Dann stellte sich Frösteln ein und man konnte acht Tage lang nicht trinken, essen und schlafen. „Après ce“, fährt Pasquier fort, „venoit une toux si mauvaise que quand on estoit au Sermon, on ne pouvoit entendre ce que le sermoneur disoit, par la grande noise des tousseurs.“ Die Affection wurde „Ladendo“ genannt, und es erinnert an unsere Epidemie 1889/90, wenn Pasquier schreibt: „s‘entre mocquoit le peuple, l’un de l’autre disant: As tu point eu Ladendo“.

1510.

In diesem Jahre, das, mit Ausnahme von Most, alle Influenzahistoriker, Webster, Zeviani, Schweich, Gluge, Saillant, Thompson und Hirsch, anführen, herrschte ohne Frage eine Influenza und zwar eine Pandemie. Wie oben erwähnt, beginnen Saillant und Thompson ihre historischen Monographien mit dieser Epidemie, von welcher es in den Thompson’schen Annalen heißt: „the first visitation of the disease in the British islands, of which we possess an accurate description, is that of the year 1510“.

Die Thompson’schen Annalen26 berichten, daß sich der Übergang in das sechzehnte Jahrhundert durch das Vorkommen vieler elementarer Erscheinungen vollzog, worin, wie leise anklingt, gewisse ätiologische Vorbedingungen für die Invasion dieser für Britannien ersten Influenzaepidemie gesucht wurden.

Wegen der elementaren Gewalt der Influenza konnten sich fast alle Schriftsteller – selbst auch die meisten modernen – des Gedankens nicht erwehren, daß auch elementare, tellurische und kosmische Einflüsse für das Entstehen der die Welt so allgemein durchseuchenden Krankheit beschuldet werden müßten, und haben je nach ihrer Anschauung, ihrem Wissen und dem Zeitgeist gemäß alle derartigen, in Frage kommenden Ursachen sorgfältig gesammelt. Die älteren Autoren brachten Erdbeben, Blutregen, gewaltige Insekten-, Heuschreckeninvasionen, Nordlicht, Meteore, Kometenerscheinungen etc. in gewissen Zusammenhang mit dem Entstehen der Influenza. Wir wollen nun einmal für das Jahr 1510 eine Zusammenstellung jener ätiologischen Momente, die für das Zustandekommen einer Influenza eine Rolle spielen sollten, nach den „Annals of the influenza“ vornehmen, um hiermit zu zeigen, wie viel unnütze Arbeit zur Eruierung dieser für die Influenzaerzeugung unwesentlichen Erscheinungen verschwendet wurde.

Es folgte, wie die Annalen berichten, ein strenger Winter dem feuchten Sommer 1505; 1506 erschien ein Komet, und es trat eine Eruption des Vesuv ein. „In January“, heißt es dann weiter, „the violent Storm arose which drove Philipp of Austria with his consort Johanna, from the Netherlands to Weymouth.“ In den Jahren 1507, 1508 und 1510 zeigten sich gewaltige Heuschrekkenschwärme. Eine ähnliche, z.B. der Epidemie 1580 direkt vorausgehende immense Insekteninvasion erwähnt auch als Ursache der Epidemie ein anonymer zeitgenössischer Autor bei Lazarus Riverius27; ja, auch die neuere Zeit konnte sich von der Annahme einer Insektenätiologie nicht freimachen, wie sich aus der bei Metzger (1782)28 findenden, höchst charakteristischen Stelle ergibt, wo es wörtlich heißt: „Inwiefern aber wirklich zu glauben sei, daß das Consilium medicum zu Wien die Ursache der Epidemie von kleinen eingeschluckten Insekten hergeleitet habe, laß ich an seinen Ort gestellet sein.“

Es herrschte ferner, wie die englischen Annalen weiter berichten, eine große Viehseuche in Meißen; in Norddeutschland wurden Gärten und Wälder von enormen Raupenmengen verheert. Mezeray (Histoire de France, 1685) erwähnt einen Blutregen. Sweating sickness29 wütete in England, die auch während der Epidemie in Spanien herrschte; in dem Jahre 1509, am 14. September, trat in Konstantinopel und Umgegend ein Erdbeben auf, das einen großen Teil der Stadtmauer und der Staatsgebäude zerstörte; dasselbe dauerte mit geringer Unterbrechung einen Monat an. In dem Influenzajahr entstand ein großes Erdbeben und eine Vulkaneruption in Island, während das Jahr darauf ein Komet erschien usw.

Derartige Berichte sind wertlos; etwas anders verhält es sich mit den meteorologischen und klimatologischen Angaben, die von vielen Autoren der Influenzaepidemien fleißig aufgezeichnet sind; ihre Durchmusterung führt, wie sich auch bei der jüngsten Epidemie bestätigt, zu der Überzeugung, daß Wettereinflüsse für das Entstehen und Umsichgreifen der Influenza belanglos sind, und konnte, falls man sich nur mehr auf das Studium der Influenzageschichte einließ, denjenigen modernen Autoren, die aus dem Wetter die Ätiologie der Epidemie herleiten wollten, ein großes Stück Mühe und bedeutenden Aufwand von Scharfsinn ersparen. Die Anführung prodroinaler oder zu der Zeit der Influenza auftretender Epizootien und Menschenepidemien kann man nicht tadeln, weil sich möglicherweise hieraus durch Sammlung weiterer Tatsachen ätiologische Beziehungen ergeben könnten. Kehren wir nun zu der Epidemie selbst zurück.

Nach Schenkius30 wurde die Krankheit als eine neue, unbekannte angesehen, welche die einen „Cephalalgia catarrhalis“, andere „Coqueluche“ nannten, „parceque ceux qui en étoient attaques s‘étoient obliges de se couvrir la tête d‘une coqueluche ou coqueluchon“31 (Saillant). Auch „Coccoluche“ oder „Coccoluccio“ waren nach den englischen Influenza-Annalen Namen für die Krankheit.

Die Epidemie verbreitete sich von Westen nach Osten. Sie kam, soweit berichtet wird, aus Malta32 und verbreitete sich über Sizilien, Spanien, Portugal, Frankreich, Deutschland, England und Ungarn. Bezüglich der bedeutenden Extensität der Krankheit wollen wir Joannis Fernelius33, den Leibarzt Heinrichs II. von Frankreich, anführen, welcher schrieb: „Communis illa porro omnibus decantata gravedo anhelosa anno 1510 in omnes fere mundi regiones debacchata“; das sind also Worte, die eine pandemische Ausbreitung der Krankheit erkennen lassen.

Zur Charakterisierung des Krankheitsbildes entlehnen wir die Beschreibung den Thompson’schen Annalen: „A grievous pain of the head, heaviness, difficulty of breathing, hoarseness, loss of strength and appetite, restlessness, watchings from a terrible taring cough.“ Der Husten war so heftig, daß manche in Erstickungsgefahr schwebten. Den ersten Tag war er ohne Auswurf, am siebenten bis achten Tage wurde viel zäher Schleim hervor befördert; andere spieen schaumiges Wasser aus. Wenn die Expectoration reichlich war, ließen Husten und Atemnot nach. Es starb keiner, mit Ausnahme einiger Kinder. Wenn Blut gehustet wurde, zeigte sich die Krankheit „malignant and pestilential“. Symptomatologisch werden ferner erwähnt: Schmerzen über dem Auge, Delirien, welche nach Sauvages zusammen mit Sehnenhüpfen und Ohnmacht oft am siebenten oder achten Tage auftraten34, Gastrodynie, Diarrhoe und Schweiße, welche letztere sich in der Lyse der Krankheit zeigten.

1557.

Über diese Epidemie liegen bereits zahlreichere Berichte vor, von Forest, Franc. Valleriola, Pasquier, Mezeray, Lazar. Riverius, Coytard, Marcellus Donatus, Ludovicus Mercatus, Joh. Schenck.

Die Epidemie führte wieder den Namen „Coqueluche“ (Riverius und Coytard) und nahm nach Gluge wie die vorige ihren Gang von Westen nach Osten. Im Gegensatze dazu melden die Thompson’schen Annalen eine entgegengesetzte Direktion. Nach diesen kam die Epidemie von Asien, ging über Konstantinopel nach Europa und erreichte nachher Amerika. Die Zeit ihres Erscheinens wurde von Gluge folgendermaßen angegeben: Im Juni war sie in Sizilien; der von Riverius’ zitierte anonyme Autor, der diese Epidemie beschrieb, berichtet, daß sie in Nîmes im Juli herrschte; im August war sie nach den englischen Annalen bei Madrid; dort soll sie in Mantua Carpentaria, drei Meilen von der Hauptstadt Spaniens entfernt, ihren Ausgang genommen haben, was aber zu der oben bei Riverius (Saillant nennt ihn Rivière) sich findenden Angabe nicht paßt; ferner erwähnt Hancock das Auftreten der Epidemie in Venedig und Konstantinopel im August; im Oktober und September zeigte sie sich nach Forest in Alkmar (Holland) und nach Dodonaeus in Harderwyk.

Wenn bei einigen, z. B. bei Riverius, von einer großen Sterblichkeit durch die Epidemie selbst die Rede ist, so spricht sich Coytard dagegen für die Gutartigkeit der Krankheit folgendermaßen aus: „ut vix e millibus unum invenias, qui non eo tempore cocceluche laboravit. Quam tarnen non usque adeo periculosam aut crudelem fuisse existimes vellem, ut credas multis exitio fuisse, cum certe neminem hominum (quod sciam) viderim qui hoc symptomate gravatus satis concesserit.“

In Frankreich unterlagen nur die Schwindsüchtigen der Krankheit (Coytard).

Die Krankheit erschien nach Forest „wie angehaucht“, befiel tausend Menschen auf einmal. Die Kranken zeigten heftigen Kopfschmerz, „douleur de tete cruelle“ (Saillant), in dem ganzen Verlaufe der Affection große Mattigkeit, Appetitlosigkeit und Fieber. Auch heftige foetide Schweiße wurden erwähnt. „Le nez destilloit sans cesse comme une fontaine“ (Pasquier). Riverius erwähnt heftige Entzündung der Kehle, Valleriola Heiserkeit. Der Husten war heftig und ließ keinen Augenblick Schlaf eintreten; er war oft zum Ersticken heftig, erst trocken, nachher mit vielem Auswurf verbunden. Die englischen Annalen führen das Oppressionsgefühl auf der Brust an: „some felt as though they were corded over the breast, and“, fügen sie hinzu, „had a weight at the stomach“. Schmerzen wurden im Rücken, in den Beinen und in der Seite beobachtet; die Nierenschmerzen wie Saillant sich ausdrückte, waren so heftig, daß nur wenige gehen konnten. Die Herbeiführung von Aborten durch die Krankheit schilderte Forest; nach den englischen Annalen war der heftige Husten die Ursache des vorzeitigen Eintretens der Entbindung. Es dauerten die Krankheitserscheinungen höchstens bis zudem dritten Tage an, und waren die Ausgänge öfters folgende: „in some few it tourned to a pleurisy or fatal peripneumony“. Das Influenzafieber hatte nur selten kontinuierlichen Typus, manchmal doppelten Tertiantypus, sonst einfach intermittierenden Verlauf. Alle befanden sich nachts schlechter als am Tage, die Rekonvaleszenz war sehr langsam, der Magen blieb lange Zeit schwach.

Die von Saillant und Zeviani erwähnte Epidemie von 1574 erscheint höchst unsicher und wird von Gluge überhaupt nicht erwähnt.

1580.

Hier begegnen wir einer außer allen Zweifel gestellten Influenzapandemie, welche von zahlreichen Zeitgenossen und späteren Autoren detailliert und ausgezeichnet beschrieben wurde, so von Joh. Wittich (Arnstadt 1595), Joh. Bokel (Helmstädt 1580), Joh. Sporisch (Ottenbach 1580), Ludwig Stengel (Wien 1580), J. Crato (Kraftheim 1595), Scholz (Frankfurt 1595), Henischius (Wien), J. Schenkius (Graefenberg 1609), J. N. Pechlin (Hamburg 1691), Falkenstein, Balthasar Brunner (Leipzig 1580), Diomedes Cornarius (Leipzig 1595), Jean Suau (Nismes 1580), Coytard de Thaire (Poitiers 1580), Riverius, Marcellus Donatus, Daniel Sennert (1653), Cesare Campana (Venedig 1597), Ludovic. Mercatus (Frankfurt 1608), Joh. Wierus (1660), Hieronymus Reussner (1668), Crusius und vielen anderen.

Die Namen, die dieser Völkerkrankheit beigelegt wurden, waren sehr verschieden. Wittich nannte sie „hirntobendes epidemisches Fieber“, nach Bokel nannten die meisten Ärzte die Krankheit „catarrhus febrilis“ oder „febris catarrhalis“; auch „febris epidemia“, „tussis epidemia“ wurde sie bezeichnet. In Deutschland wurde die Influenza „spanischer Ziep“ genannt, was nach Gluges Ansicht die Richtung der Epidemie andeuten sollte, ferner „Schafhusten, Schafkrankheit, Hühnerweh, Hühnerziep“. In Frankreich gab man ihr wie den Epidemien von 1510 und 1557 den Namen „Coqueluche“, in Italien „Cocculuccio“ (Mercurialis bei Crato). Die falsche Deutung dieses Namens, der später für Keuchhusten gebräuchlich wurde, hat manchen bewogen, die diesen Namen führenden Epidemien fälschlich für Keuchhustenepidemien zu halten. In Italien waren auch die Benennungen „Malo di castrone“, „Mazouchi“ und „Montone“ gebräuchlich.

Zur Charakterisierung der über die Epidemie schreibenden zeitgenössischen Autoren wollen wir die Arbeiten zweier Ärzte anführen, von denen der eine die nüchtern und sachgemäß beobachtenden, der andere die phantasiereichen und durch ihre Erklärungswut in ihrem Blick getrübten Autoren repräsentiert. Während z. B. Joh. Bokel bei ruhiger Beobachtung der Tatsachen ein anschauliches Bild der Epidemie entrollte, verfiel sein Zeitgenosse aus Helmstädt, Joh. Sporisch, bei dem Versuche, die schwer zu enträtselnden Ursachen der Influenza zu ergründen, auf mystische Spekulationen, in denen die Sünden der Menschen, der Zorn Gottes, die Konstellationen usw. eine große Rolle spielten; die Krankheit selbst wurde von ihm nur sehr dürftig beschrieben.

In Bezug auf die Richtung der Epidemie stehen sich die Angaben in den Thompson’schen Annalen und die Gluges gegenüber. Dort wird der Gang von Osten und Süden nach Westen und Norden angegeben, bei letzterem und Mercurialis finden wir einen von Westen nach Osten gerichteten Kurs verzeichnet. Wir meinen nun den örtlichen Verlauf der Epidemie in dem Sinne der Annalen annehmen zu sollen und stützen uns dabei auf den durchaus glaubwürdigen Zeugen, den oben erwähnten Bokel, der sich an einer Stelle, die dem fleißigen Gluge entgangen sein mag, folgendermaßen äußert: „Ab austro enim principium assumens sub Siry ortum tempestate illa Aquilonia, celeberrimo cursu ad nos transyt. Primo Hungaros, Pannonas, Bohemosque vicinos, post Francos Thuringosque inuasit, Belgas Britan nosque.“ Auch nach Fonseca, Disput. de Garatillo, befiel die Epidemie Asien, kam von da nach Konstantinopel, ging dann über ganz Europa und nachher nach Amerika.

Obschon wir also in diesem Punkte mit Gluge nicht übereinstimmen, so erwähnen wir doch die von der Epidemie befallenen Gegenden und Städte nach Gluge, weil bei diesem das reichste Material gesammelt ist. Im Mai 1580 war sie in Frankreich (Lobineau), in Nîmes (nach dem anonymen Arzte bei Riverius) und in der Lombardei (Cicarelli und Summonte). Im Juni kam sie nach Delft (vom 20. Juni bis Ende Juli, Forest), nach Portugal, Lissabon (Summonte), im Juni und Juli war sie in Poitiers (Coytard), in Tübingen (Crusius), im August in Neapel (Summonte) und ganz Italien (Campana), in Prag vielleicht erst im September (Crato). Nach Short (Annals of influenza) herrschte die Influenza von Mitte August bis Ende September in Großbritannien, im Oktober nach Bokel in Helmstädt, nach Cicarelli außerdem in Konstantinopel. Nach Short, Bokel, Mercurialis bei Crato wütete sie in ganz Europa, nach Suau habe sie beide Hemisphären befallen, und Fonseca erwähnt ja auch ausdrücklich ihr Erscheinen in Amerika.

Sennert (de cat. et tussi epid. tom. II, p. 753) gibt an, daß sie speziell in Deutschland von dem Ende des Sommers bis Anfang Herbst verbreitet war.

Neben der Masseninvasion und der großen Extensität der Influenza können wir zunächst auch ihre relative Gutartigkeit hervorheben. In Montpellier starb nach Short (Annalen der Influenza) von Tausenden keiner. Saillant ferner berichtet: „Cette maladie attaquoit indifferemment presque tout le monde: peu lui echappoient, mais il y en avoit peu qui succombassent, et il en mouroit à peine un sur mille.“ Wie lassen sich hiermit die scheinbar entgegengesetzten Berichte anderer erklären, die im Gegenteil eine ungemein große Mortalität der Epidemie zur Last legen? Nach Schenkius raffte sie in Rom mehr als 9000 Einwohner hin; Short gab an, daß in Rom am ersten Tage der Invasion mehr als 2000 Personen starben; auch Riverius hatte ungünstige Erfahrungen zu verzeichnen. Aber dadurch wird die pathognomonisch wichtige Gutartigkeit der damaligen Influenza nicht in Abrede gestellt; sagt doch unter anderen z. B. Summonte: „ma in cinque o sei giorni passava e pocchi ne morirono“.

Wenn man jene überaus große Mortalität der Epidemie zur Last legte, so erklärt sich das einmal aus der absoluten, nicht relativen Steigerung der Todesfälle, wie sie bei jeder Influenzaepidemie zur Erscheinung kommt, ferner aus den durch die staunenswerte Krankheit bedingten Übertreibungen; endlich kann man sich nicht der Ansicht verschließen, daß damals bei der maßlosen Anwendung der Venaesection die Todesziffer auch wirklich größer war als in späteren Epidemien, wo man die Krankheit sich selbst überließ; sagt doch Summonte von der Epidemie 1580 geradezu, daß diejenigen starben, welche zur Ader gelassen wurden. In der Tat wendeten z. B. Forest und der Anonymus bei Riverius den Aderlaß häufig an, und berichtet auch Mercurialis bei Crato, daß man sich in Portugal der Venaesection bei Influenzaerkrankungen bis zum Überdruß bediente. Andere dagegen erkannten die Gutartigkeit der Krankheit an, wie Summonte (s. oben) und Bokel, welcher letztere trefflich sagt: „nam diaeta conuenienti et abstinentia multos restitutos esse scimus“ und nachher: „atque ita plurimi sine pharmacis ad sanitatem redierunt“. Bokel verwarf den Aderlaß aufs schärfste, und Mezeray sagte von der Krankheit: „Elle se montroit plus douce a ceux qui l’a laissoient en repos,“ goldene Worte, deren Kenntnis und Beherzigung viele Ärzte bei den späteren Epidemien von dem unheilvollen blutdürstigen Eingriffe bei Influenza hätte zurückhalten können. In ähnlicher Weise, worauf nun nicht mehr eingegangen zu werden braucht, wiederholte sich der Kampf für und wider den Aderlaß bei den meisten Influenzaepidemien.

Von der Krankheit selbst entrollten viele zeitgenössische Schriftsteller ausgezeichnete Bilder, die das Wesen der Affection scharf und klar wiedergaben. So schilderte man den plötzlichen, unter Frösteln und Schwindel einsetzenden Beginn der Affection, den heftigen Kopfschmerz, die Prostration, das Schmerzen und Spannen der Glieder, insbesondere der Gelenke, das Gefühl der Zusammenschnürung der Brust, die Appetitlosigkeit. „Omnibus appetitus deiectus erat et sitis magna“ schrieb Bokel; andere dagegen stellten eine Steigerung des Durstes in Abrede. Die Veränderung der Geschmacksperception der Erkrankten fiel auf. Fieber begleitete sehr oft die Erscheinungen und zeigte zuweilen den intermittierenden Typus. Erbrechen wurde von Short35 angegeben. Bei dem einen sah man Schlafsucht, bei anderen Schlaflosigkeit. Auch Delirien wurden angeführt, weswegen wohl Wittich von dem „hirntobenden epidemischen Fieber“ sprach.36 Daneben zeigten sich die katarrhalischen Symptome, der Husten, die Heiserkeit und die Angina („raucedo magna fauciumque molesta asperitas“, Bokel), ferner Reizerscheinungen und Entzündungen der Ohren: „experientia quoque didicimus, ad aures ex tussi, ut puto grauiore, materiam concitatam pluribus defluxisse, qui omnes aurium tinnitu vel susurro, ac sibilo continuo cum dolore intensissimo. biliosa vel purulenta auribus stillantibus correpti sunt“) Wer erkennt an dieser Schilderung nicht die komplikatorischen Influenzaotitiden, welche während der letzten Pandemie so häufig beobachtet wurden?

Die heftigen, das Leiden begleitenden Schweiße, das lytische Abklingen durch Schweiß, Auswurf und Diarrhoe wurden beschrieben. Die mittlere Dauer der Krankheit wurde auf drei bis vier Tage angegeben, zuweilen erstreckte sie sich bis zum elften Tage. Es blieb wochenlange Schwäche zurück. Der Ausgang war gelegentlich in Lungenentzündung und Phthise. Die Krankheit war den Greisen und solchen, die an alten Lungenaffectionen litten, gefährlich. So sagte Bokel37 diesbezüglich: „Alys hic morbus in peripneumoniam periculosam et phthisin lethalem transiit, quorum plurimi extincti sunt senes et pueri, quibus thorax strictior vel vitium aliquod prius in pulmonibus fuit!“

1593.

Zweifelhaft und wenig beschrieben ist die Epidemie dieses Jahres, die von Gluge und Zeviani angeführt wird. M. Cagnati: „De Tiberis inundatione med. disp. de epid. Rom. quae a. 1591 et de altera quae a. 1593 urbem Romam invasit. Romae 1599“ erkennt die Ähnlichkeit der Epidemien von 1580 und 1593 an („cum vero morbus hic non admodum sit illi dissimilis qui 13 ab hic annis Europam uni versam invasit“). Damit wäre diese Epidemie, über die wir außer von Cagnati nur noch Berichte von Chifflet und du Laurens (letzterer Leibarzt Heinrichs IV.) besitzen, genügend charakterisiert, wenn nicht Cagnati an einer anderen Stelle, die ebenfalls von Gluge zitiert wird, gerade das Gegenteil seiner obigen Bemerkung anführt: „Dissimilis morbo illi qui Europae universae communicatus est ante annos tre decim, quod hic brevior, quod appetentia non aboletur, ut in illo quod facilius fertur, et sine tanta virium jactura, quanta in illo oriebatur“; auch ist die Cagnati’sche Schilderung nicht charakteristisch genug, ja teilweise gegen Influenza sprechend, z. B. wenn er sagt: „Fuit tamen qui narraverint capitis dolorem postremo accessisse, cum tussis remitteret“; ferner fehlen die so wichtigen Angaben über die Ausdehnung der Epidemie.

Nach Chifflet und du Laurens war sie im Juli in Rom, wohin sie von der Westseite her kam; vorher herrschte sie in Venedig: „De Venetiis primum est auditum, deinde de aliis“ (Cagnati).

1626.

Für den Nachweis der Epidemie von 1626, die sonst bei keinem Influenzahistoriker zu finden ist, führt Gluge38 zwei kleine fragmentarische Berichte an, einmal aus Doni: „De salubritate agri Romani“; daselbst heißt es, daß das heftige Wehen des Boreas im Anfang des Winters 1626 nicht nur in Rom, sondern auch in ganz Italien „multas destillationum pravas ac noxias species incitavit, quam ridiculo no mine Castrone vocant“. Man erinnere sich, daß, wie ich oben hervorhob, die Epidemie von 1580 italienisch „mal di castrone“ genannt wurde, und so könnten bei der gleichen Bezeichnung dieser beiden Epidemien, von denen diejenige von 1580 sicher eine Influenza war, zweifellose Schlüsse für 1626 gezogen werden, wenn uns nicht die gesamte Geschichte der Influenza lehrte, daß wir uns auf die Namen allein nicht verlassen dürfen, da man bei wirklichen Influenzaepidemien die sonderbarsten Bezeichnungen, die zu der betreffenden Zeit aufkamen, anwendete und andererseits auch wieder Krankheitsnamen – man denke nur an die oben genannten „Keuchhustenepidemien“ 39 –, welche schon für gewisse Leiden existierten, der Influenza beilegte. Die zweite von Gluge zitierte Belegstelle findet sich in Pauli Zachiae (med. Rom.) quaestiones rei med. legales‚ ed. V. Avenione 1657. Fol. III, Tit. III, p. 175. Es werden daselbst gutartige, weitverbreitete Volkskrankheiten wie raucedines et gravedines erwähnt, die mehrere Städte Italiens befielen und noch in dem Jahre 1627 weiter bestanden.

Wenn nun Gluge hiernach mit Wahrscheinlichkeit das Bestehen einer Influenza in dem Jahre 1626 annimmt, so kann man hiermit nicht einverstanden sein; nur derjenige, welcher seiner Phantasie recht ausgiebig die Zügel schießen läßt, kann eine Influenza aus diesen Andeutungen erkennen.

1658.

Diese Epidemie darf nicht in unserer Aufzählung fehlen, schon weil ihr Vergleich mit der von 1580, wie er von Balth. Timaeus von Gruldenklee in einem Briefe an seinen Bruder gezogen wird, neben anderen sicheren Beweisen ihre Natur zweifellos erkennen läßt. Timaeus40 schrieb nämlich: „Dubium mihi non est, f. m., quin cum mille morbis conflicteris secus tamen atque ego cum catarrho epidemico simili fore, quorum auctores sub anno 1580 referunt febrileluque nominant.“

Der Gang dieser Epidemie erstreckte sich von Osten nach Westen. Im Januar war sie in Treptow bei Stettin (Timaeus), Ende April in London, wo die Krankheit den Namen „The Vernal Feaver“ (Willis in Thompson’s Annalen41) führte.

Die Krankheit begann plötzlich wie angeweht „afflatu quodam“ (Willis). Bei Saillant heißt es: „L’epidemie catarrhale vint comme un coup de foudre.“ Tausende wurden auf einmal ergriffen, „that in some towns, in the space of week, above a thousand people fell sick together” (Willis). In England dauerte die Epidemie, wie wir ebenfalls den englischen Annalen entnehmen, nicht viel länger als sechs Wochen.

Das erste Symptom war ein quälender Husten mit reichlichem Auswurf; dabei bestand Katarrh des Halses und der Nase (a catarrh falling down on the palat, throat and nostrils). Daneben zeigte sich Fieber mit Kopfschmerz, Durst, Appetitlosigkeit, plötzlicher Mattigkeit und empfindlichem Schmerz im Rükken und den Beinen. Bei Vielen war das Fieber nicht so stark; sie wurden nicht gehindert, ihren Geschäften nachzugehen, obschon sie über Mattigkeit, Widerwillen zum Essen und kontinuierlichen Husten klagten. Andere mußten das Bett hüten, bei denen große Hitze, Heiserkeit und fast unaufhörlicher Husten vorhanden war. Manchmal traten Nasenblutungen, Haemoptoö und blutige Dejectionen auf. Am dritten bis vierten Krankheitstage verschwanden nach reichlichem Schweißausbruch die Hitze, der Durst, die Schwäche und die Schmerzen, während der Husten länger bestehen blieb. Schwache Personen gingen öfters an Entkräftung zu Grunde, während gesunde Leute, ohne Kur und Arzt zu gebrauchen, genasen (nach Willis).