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Das autobiografische Buch von Johann Böhling verknüpft seinen beruflichen Werdegang als Forstmann mit 17 Episoden, in denen besondere Jagderlebnisse geschildert werden. Die Geschichten spielen in heimischen Wildbahnen und im Ausland. Es wird nicht nur das Erlegen von Wild beschrieben. Der Blick richtet sich besonders auf Landschaften, Menschen, die diese prägen und besondere Stimmungen. Das Buch ist mit Fotos des Verfassers reich bebildert.
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Seitenzahl: 94
Veröffentlichungsjahr: 2020
Vorwort
1963
Am Anfang war …
1966
Reinicke Fuchs, der Alte vom Sandberg
1971
Der Dicke vom Marscheider Tal
1976
Hirschbrunft im Forstamt Neumünster und ihre Nachwehen.
1982
In eisiger Nacht
1982
Unverdient …?.
1983–1996
Klabautermann
1991
Mein Lebensschaufler
1992
Der Wendehirsch
1995–2014
Abschied und Neuanfang
1995–2014
Keiler, Keiler …
1996
Naturgewalten
2004
Dowidzenia – Schlesien
2007
Kalli-Kassel.
2010
Spielhahn klassisch nach Tiroler Art
2014
Schicksalstag
2015
Afrikanische Impressionen
Der Autor
Ich blicke auf 55 Jahre zurück, in denen die Jagd mein Leben mit geprägt hat. Die Jagd war der Schlüssel für meine Berufswahl. Ohne die Jäger prüfung als Fünfzehnjähriger und die damit verbundenen Anregungen hätte ich möglicherweise Biologie oder Veterinärmedizin und nicht Forstwissenschaft studiert.
Ich hatte das große Glück, von Beginn meines Jägerlebens an immer reichhaltige und gesegnete Jagdgründe vorzufinden. Die dabei erlebten Geschichten, glückliche und selten auch traurige, sind unglaublich zahlreich und könnten Bände füllen. Beim Blättern in meinen Jagdtagebüchern bin ich an einigen besonderen Erlebnissen hängen geblieben, von denen ich meine, dass sich zumindest meine Freundinnen und Freunde dafür interessieren könnten, besonders dann, wenn sie selbst darin vorkommen. Ich habe aus diesem Grund die tatsächlichen Namen der Akteure genannt und hoffe, damit niemanden zu nahe getreten zu sein.
Ich habe versucht, die Jagdgeschichten chronologisch mit Stationen in meinem Leben zu verknüpfen, damit einen Kreis zu ziehen von Steinfelder Dorfjungen zum pensionierten Forstmann in Schleswig-Holstein und auch ein wenig die Zeitgeschichte zu dokumentieren. Um meinen eigenen Zeitgeist und dessen Weiterentwicklung zu verdeutlichen, habe ich die Anfangskapitel weitgehend im Originaltext des damaligen Jagdtagebuches belassen Bei der Lektüre dieses Buches sollte deutlich werden, wie sehr mich die Jagd immer wieder bereichert und beflügelt hat. Das gilt für das Waidwerken in heimischen Revieren genauso wie für meine Ausflüge in entfernte Wildbahnen.
Das Wichtigste in meinem Jägerleben waren nicht die Naturerlebnisse und die Jagdbeute, sondern es waren die Freundinnen und Freunde, mit denen ich gemeinsam jagen durfte, bei denen ich zu Gast sein durfte oder die mit Toleranz meine Leidenschaft erduldet haben. Bei ihnen allen möchte ich mich sehr herzlich bedanken.
Ich danke auch allen Menschen, die mich beim Zustandekommen dieses Buches unterstützt haben. Ich nenne besonders meinen rotarischen Freund Dr. Hans Michael Kiefmann, der das Manuskript kritisch durchgesehen hat. Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich Vergnügen und ein gelegentliches Schmunzeln bei der Lektüre.
Strande, im November 2019
Johann Böhling
Jan Schlobohm galt in meinem kleinen niedersächsischen Heimatdorf Steinfeld als Sonderling. Er war ein älterer, unverheirateter Einzelgänger, der seit seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft „überzählig“ auf dem Bauernhof seines älteren Bruders lebte. Man munkelte, er wildere regelmäßig und stelle Schlingen. Auffällig oft fuhr er früh morgens oder spät abends auf seinem Fahrrad durch Wald und Flur. Gewehre und Pistolen besaß er jedenfalls, und das machte ihn für uns dreizehnjährige Lausbuben interessant. Gemeinsam mit einem Spielkameraden suchte ich seine Nähe und zu unserem großen Entzücken holte er mit verschwörerischer Miene ein Luftgewehr aus seiner Junggesellenbude. Mit dem Taschenmesser zeichnete er Kimme und Korn in den Sand des Hinterhofes und dozierte mit gedämpfter Stimme, worauf es beim Zielen ankäme. Wir lauschten andächtig. Es wurde spannend. Eine leere Libbys-Milchdose wurde auf einen Zaunpfahl gestellt, noch kurz die Funktionsweise des Druckpunktabzuges beschrieben, das Gewehr gespannt und … die Aludose fiel nach einem satten „Plopp“ vom Pfahl. Wir waren Feuer und Flamme und konnten nicht genug bekommen, aber jedes kleine Blei-Eierbecherchen kostete ja Geld, sagte Jan Schlobohm, und Geld war zu der Zeit noch allenthalben knapp. Die Unterrichtsstunde endete mit einer Anweisung zur strikten Verschwiegenheit und mit einem Exkurs in die Tierwelt. Frei nach Altvater Brehm wurde in schädlich und nützlich eingeteilt und zugleich geklärt, welches „Wild“ wohl mit einem Luftgewehrschuss erlegt werden könne: Spatzen, Stare, Drosseln, Eichel häher, eventuell Krähen und Elstern, die aber zu damaliger Zeit extrem selten waren, weil sie von den örtlichen Bauernjägern mit als Köder ausgelegten, vergifteten Hühnereiern bekämpft wurden.
Mein ein Jahr älterer Freund Günter hatte bei den Eltern mit seinem dringenden Anliegen Erfolg gehabt. Von dem durch Zeitungaustragen verdienten Geld durfte er sich eine „Diana 27“, ein bescheidenes Luftgewehrchen, kaufen. Unsere Jagdsaison konnte beginnen. Wir saßen an einem Hochsommertag in einer staubigen Abstellkammer und schauten durch ein Fenster gebannt auf den ausladenden Baum mit reifen, roten Glaskirschen. Ein Schwarm brauner Jungstare fiel kreischend ein. Kimme – Korn – Druckpunkt – Schuss! Wie ein nasser Sack fiel einer der Kirschenräuber ins Gras. Wir freuten uns diebisch über unser erstes Waidmannsheil. Das Luftgewehr wanderte nach jedem Schuss von Hand zu Hand und es entstand ein Wettkampf, wer mehr Kreaturen zur Strecke brachte. Unser gemeinsamer Tagesrekord lag bei über 50 Staren und Amseln.
Ich vertiefte mich intensiv in die Kataloge verschiedener Anbieter von Jagdbedarf: Burgsmüller, Kettner, Frankonia. Soviel stand für mich fest: Es sollte ein Gewehr mit etwas mehr Durchschlagskraft angeschafft werden, denn bisher mussten wir für einen tödlichen Schuss verdammt nah an unsere Beute herankommen. Meine Wahl fiel auf ein Weitschussluftgewehr der Firma Burgsmüller mit einem kleinen Zielfernrohr ohne Vergrößerung und sehr feinem Fadenkreuz. Derartige Waffen konnten damals ohne Schwierigkeiten von Personen über 18 Jahren frei erworben werden. Ein großes Problem musste allerdings noch gelöst werden. Ich musste meine Mutter von der Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit der geplanten Anschaffung überzeugen. Ich erinnerte an den herannahenden 14. Geburtstag, die bevorstehende Konfirmation und die dabei zu erwartenden Geldgeschenke und – hatte zu meinem Erstaunen Erfolg. Pünktlich zum Jahresende 1963 hielt ich das mattschwarz glänzende Prachtstück in den Händen und probte natürlich gleich den Ernstfall. In meinem als Jagdtagebuch umfunktionierten Schulheft notierte ich stolz: „31.12.63: 1 Schwarzdrossel aus meinem Zimmerfenster“.
Es begann eine Zeit unbeschwerten Jagens auf alles, was ich für bejagenswert hielt. Unvergesslich blieben die Pirschgänge durch den Eichhof, den urigen Mischwald hinter unserem Bauernhof. Immer wieder gab es in der Natur Neues zu entdecken und zu erforschen. Hier ein Zaunkönignest in einem Wurzelteller, dort eine Buntspechthöhle, in die meine Jungenhand nur knapp hineinpasste und die vom Bewohner mit einem sehr schmerzhaften Schnabelhieb verteidigt wurde. Tauchte ein bis dahin unbekannter Vogel, ein besonderes Reptil oder ein auffälliger Käfer auf, ruhte ich nicht, bevor ich nicht den Namen und Einzelheiten zur Biologie in einem der zu Hause vorhandenen Nachschlagewerke gefunden hatte. Jagderfolge wurden akribisch im Jagdtagebuch festgehalten. Sperlinge, Amseln und Stare waren die Hauptbeutetiere. Aber, je größer, desto höher der jagdliche Reiz. Beliebt waren Eichhörnchen, die übrigens damals außer mir auch viele gestandene Jäger für Niederwildschädlinge hielten. Es lagen Ratten auf der Strecke, Brieftauben („von der Dachrinne“), Kernbeißer und der erste Eichelhäher im Oktober 1965, den die kleine Bleikugel auf eine Schussentfernung von 35 Metern in der Krone einer mächtigen Eiche hinter unserem Haus traf. Stolz wie Oskar wurde er einige Dörfer weiter zu einem Präparator zum Ausstopfen gebracht.
Die Dorfbewohner in Steinfeld hielten meine jagdlichen Aktivitäten auch außerhalb des befriedeten Bezirkes unseres Hofes für völlig normal. Ich bekam großes Lob, wenn ich auf den Bauernhöfen die reichlich vorhandenen Spatzen dezimierte. Wie genau ich es beim Gebrauch der Waffe mit den Sicherheits regeln nahm, vermag ich nicht mehr zu sagen. Es ist jedenfalls immer alles gut gegangen.
Meine Jagdleidenschaft war geweckt. So war es eine logische Entwicklung, dass ich mich, trotz leiser Bedenken meiner Mutter, im Sommer 1965 zum Jagdscheinkursus anmeldete, dort eisern lernte und im Frühjahr 1966 als Lehrgangsbester mit neun Einsen und einer Zwei die Jägerprüfung bestand. Am 1. April 1966 war ich im Alter von 16 Jahren stolzer Jugendjagdscheininhaber und damit fast schon ein richtiger Jäger. Mir war klar, dass mich diese Passion nie wieder loslassen würde. Auch keimte ein erster zarter Wunsch auf, die Jagd Bestandteil des anzustrebenden Berufes werden zu lassen.
Das Elternhaus in Steinfeld
Jungjägerpirsch in Steinfeld
Im Wald hinter unserem Bauernhof
Es war ein glühendheißer Tag im Juli.
Bis in die Abendstunden war die Luft erfüllt vom Gedröhn der Traktoren und Erntemaschinen. Wolken von feinem grauen Staub zogen über die ausgedörrten Felder der niedersächsischen Geestlandschaft. Der über dem Horizont bleigrau bezogene Himmel trieb einerseits die Bauern zu noch geschäftigerer Arbeit an, ließ aber auch für die nach Abkühlung und Erfrischung lechzende Natur Hoffnung aufkeimen. Unzählige Mückenschwärme tanzten über den Torfstichen und Wasserkuhlen des malerischen Steinfelder Moores, machten den Aufenthalt in den Birkengebüschen für jegliche Kreatur schier unerträglich.
Der alte, starke, schon etwas zurückgesetzte Sechserbock, der sonst immer erst bei schwindendem Büchsenlicht aus seinem Tageseinstand im Forst auf das saftige Grün austrat, zog heute besonders früh in die Mitte der Wiese. Sehr oft den sehnigen, schon leicht ergrauten Träger prüfend gegen den Wind reckend, begann er, die würzigen Kräuter zu rupfen. Der Jungjäger auf dem gut verblendeten Hochsitz hob langsam und vorsichtig sein Fernglas. Das war also der Recke, der schon seit einigen Jahren in dieser Revierecke sein unerbittliches Regiment gegenüber allen Rivalen führte. Ein wenig juckte es dem frisch gebackenen Waidmann in den Fingern. Erst nach der Blattzeit sollte er in diesem Jahr fallen, der kampferprobte Platzbock. Die Repetierbüchse blieb an ihrem Platz. Heute galt die gespannte Aufmerksamkeit des Jägers einer anderen Kreatur.
In der Röhrenöffnung des weit verzweigten Fuchsbaues beim Sandberg erschien zuerst eine schwarze, nass glänzende Nase, misstrauisch prüfend gegen den Wind gerichtet. Zwei kleine Seher mit dreieckigen Gehören darüber verliehen dem auftauchenden Gesicht etwas unerhört Listiges und Verschlagenes. Reinicke, den mächtigen alten Fuchsrüden, hatte es nicht länger auf seinem muffigen, dunklen Lager gehalten. Zu sehr hatte sein Magen eben geknurrt und ihn unsanft geweckt. Seine vor der Blume stark eingeknickte, buschige Lunte zitterte leicht. Das war ein Andenken an jenen furchtbaren Tag im Winter vor zwei Jahren, als unzählige Zweibeiner mit Feuer speienden Stöcken lärmend durch das Moor gestampft waren. Reinicke schauderte es jetzt noch. Ihm waren damals einige Schrotkugeln äußerst schmerzhaft unter den Balg gezischt.
Doch da! Das waren Mäusestimmchen, die seine scharfen Gehöre wahrnahmen. Mit einem geschmeidigen Satz wand er sich aus dem Bau.
Jeden Grashalm als Deckung nutzend, begann er zügig auf vertrautem Pass entlang zu schnüren. Er verzehrte einen Mistkäfer, fasste eine dicke Kröte – pfui Teufel, wie er sich schüttelte. So ein übel schmeckendes, glitschiges Etwas war wahrhaftig nichts für einen ausgewachsenen, alten Fuchs. Da gefiel ihm die Witterung, die er jetzt in der Nase hatte, schon besser. Das waren die Junghasen vom Ringelsberg. Sein Instinkt ließ den Rüden unwillkürlich zu Boden sinken. Wie erstarrt, nur die weiße Blume zuckte ganz leicht vor wildem Jagdeifer. Uäääh! Uäääh!, zweimal ganz kläglich in Todesangst. Reinicke war zugesprungen und hatte einem Junghasen den Garaus gemacht. Das unerbittliche Naturrecht des Stärkeren hatte sich dramatisch erfüllt. Jetzt konnte der Fuchs gierig seinen Hunger auf warmes Fleisch stillen. Aber er tat es nur flüchtig, ließ Teile seiner Beute für später zurück. An diesem Abend trieb ihn sein Jagdinstinkt zu neuerlichen Untaten. Die Sonne stand als blutrote Scheibe dicht über dem Horizont am grauschwarzen Himmel. Hohe, dunkle, brodelnde Wolkenberge begannen sich aufzutürmen, als Reinicke die langgezogene, von Birkenbusch umschlossene Moorwiese erreichte. Da war es wieder, das Beute verheißende Mäuseln, ganz laut und deutlich. Reinicke reckte seine Lunte senkrecht in die Höhe. Zog noch drei, vier, fünf Schritte vorwärts, stand, spitzte die Gehöre. Ein fürchterlicher, ohrenbetäubend scharfer Knall zerriss die Abendstille. Der bis dahin vertraut äsende Sechserbock und einige Hasen stoben verstört von der Wiese. Am Rande der Wiese lag ein helles Etwas.