Die Jenseits-Corporation - Robert Sheckley - E-Book

Die Jenseits-Corporation E-Book

Robert Sheckley

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Beschreibung

Der Tod ist erst der Anfang!

Thomas Blaine stirbt bei einem Autounfall, aber sein Bewusstsein kann gerettet werden. In der Zukunft wird es in einen neuen Körper verpflanzt, und so findet sich Blaine unvermittelt wieder ins Leben zurückgeholt. Aber die Unsterblichkeit hat ihren Preis …

Der Roman „Die Jenseits-Corporation“ erscheint als exklusives E-Book Only bei Heyne und ist zusammen mit weiteren Stories von Robert Sheckley auch in dem Sammelband „Der widerspenstige Planet“ enthalten. Er umfasst ca. 252 Buchseiten.

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Seitenzahl: 308

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Robert Sheckley

DIE JENSEITS-CORPORATION

Roman

Das Buch

Thomas Blaine stirbt bei einem Autounfall, aber sein Bewusstsein kann gerettet werden. In der Zukunft wird es in einen neuen Körper verpflanzt, und so findet sich Blaine unvermittelt wieder ins Leben zurückgeholt. Aber die Unsterblichkeit hat ihren Preis …

Der Roman »Die Jenseits-Corporation« erscheint als exklusives E-Book Only im Heyne Verlag und ist zusammen mit weiteren Stories von Robert Sheckley auch in dem Sammelband »Der widerspenstige Planet« enthalten.

Der Autor

Robert Sheckley, 1928 in New York geboren, studierte Englisch und Philosophie an der New York University. Bereits während des Studiums begann er erste Kurzgeschichten zu veröffentlichen, und in kürzester Zeit machte er sich einen Namen als einer der intelligentesten und humorvollsten Science-Fiction-Autoren. Parallel zu seiner Schreibtätigkeit arbeitete er als Literaturredakteur und hatte Gastdozenturen an verschiedenen Universitäten. Sheckley starb im Dezember 2005.

Eine Übersicht aller im Wilhelm Heyne Verlag erschienenen Werke von Robert Sheckley finden Sie am Ende dieses E-Books.

Dieser Roman ist dem Band Robert Sheckley: »Der widerspenstige Planet« entnommen.

Titel der Originalausgabe: IMMORTALITY INC.

Aus dem Amerikanischen von Michael Görden

Copyright © 1953-1974 by Robert Sheckley

Erstdruck unter dem Titel »Time Killer« in GALAXY, Oktober–Dezember 1958

Copyright © 2015 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München,

1

Hinterher dachte Thomas Blaine über die Art, wie er gestorben war, nach, und er wünschte sich, es wäre interessanter gewesen. Warum nur hatte der Tod ihn nicht ereilt, während er gegen einen Taifun kämpfte, auf der Tigerjagd oder beim Bezwingen eines sturmumtosten Gipfels? Warum war sein Tod etwas so Herkömmliches und Mittelmäßiges gewesen?

Aber andererseits hätte ein kühner Tod, erkannte er, gar nicht zu seinem Charakter gepasst. Ohne Zweifel war es ihm bestimmt gewesen, auf genau die schnelle, mittelmäßige, blöde, schmerzlose Art zu sterben, auf die er starb. Sein ganzes Leben musste sich geformt und entwickelt haben auf diesen einen Moment hin, den Tod – eine vage Vorahnung in der Kindheit, eine feste Zusage in der College-Zeit, eine endgültige Gewissheit im Alter von zweiunddreißig.

Doch ganz unabhängig davon, wie gewöhnlich oder ungewöhnlich er dann schließlich eintritt – das Leben hat nichts Spannenderes zu bieten als den eigenen Tod. Also dachte auch Blaine intensiv über den seinen nach. Er wollte alles wissen über diese letzten Minuten, diese kostbaren letzten Sekunden, in denen sein ganz persönlicher Tod auf dem dunklen Highway in New Jersey auf der Lauer lag. Hatte es Vorzeichen gegeben, eine Warnung? Was hatte er getan in diesen Momenten, was gelassen? Und woran hatte er gedacht?

Diese letzten Sekunden waren von entscheidender Bedeutung für Blaine. Wie war sein Tod abgelaufen, in allen Details?

Er war über einen schnurgeraden, leeren Highway in die endlose Dunkelheit hineingefahren. Die Scheinwerfer ließen die Straße wie ein weißes Band leuchten. Sein Tacho zeigte knapp über hundert. Er hatte das Gefühl, nicht schneller als fünfzig zu fahren. Weit vor ihm tauchten Scheinwerfer auf, die ersten seit Stunden.

Blaine kehrte gerade von einer Woche Urlaub in seinem Blockhaus an der Chesapeake Bay nach New York zurück. Er hatte die Zeit mit Fischen und Schwimmen verbracht, hatte ausgiebig auf den groben Planken des Kais in der Sonne gedöst. Einmal war er mit seinem kleinen Segelboot hinüber nach Oxford gefahren, um an einer Feier in einem Jachtclub teilzunehmen. Dort lernte er ein albernes, stupsnasiges Mädchen in einem blauen Kleid kennen, das ihm sagte, in seinen Khaki-Hosen sehe er aus wie ein Südsee-Abenteurer, so hochgewachsen und braungebrannt, wie er sei. Am nächsten Tag segelte Blaine zum Blockhaus zurück, um weiter in der Sonne zu dösen und davon zu träumen, alles aufzugeben, einfach sein Boot mit Konservendosen zu beladen und nach Tahiti zu verschwinden. »Oh, Raiatea, ihr Berge von Moorea, der frische Passatwind ...«, summte er.

Aber zwischen ihm und Tahiti lagen ein Kontinent und ein Ozean und noch eine Menge anderer Dinge. Der aufkommende Gedanke taugte nur für eine halbe Stunde Tagträume, aber nicht dazu, ihn umzusetzen. Jetzt ging es zurück nach New York zu seinem Job als Jachtbauer bei der alten, berühmten Firma Mattison & Peters.

Die Scheinwerfer des anderen Wagens kamen näher. Blaine bremste bis auf achtzig hinunter.

Viele Jachten zu bauen gab es allerdings nicht für Blaine. Der alte Tom Mattison kümmerte sich um die gewöhnlichen Jachten, sein Bruder Rolf, bekannt als Wizard of Mystic, war weltweit für seine Hochsee-Rennjachten und schnellen Einheitsklassenboote bekannt. Was blieb da für einen jungen Jachtbauer übrig?

Blaine zeichnete Grundrisse und Deckpläne, war für Werbung und Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Es handelte sich um eine verantwortungsvolle Position, die durchaus ihre befriedigenden Momente mit sich brachte – aber Jachten baute er nicht.

Zwar wusste er, dass er versuchen sollte, auf eigenen Füßen zu stehen, doch es gab so viele Jachtbauer und so wenige Interessenten. Wie er Laura einmal erklärt hatte, hätte er genauso gut Armbrüste, Skorpione oder Katapulte entwerfen können– alles interessante, kreative Beschäftigungen, aber wer würde sich schon für die Ergebnisse interessieren?

»Für deine Segeljachten würde es einen Markt geben«, hatte Laura ihm beunruhigend direkt gesagt. »Warum versuchst du es nicht einfach?«

Blaine versuchte es mit einem einschmeichelnden, jungenhaften Lächeln. »Große Taten sind nicht meine Stärke. Ich bin Experte für tiefe Kontemplation und stille Reue.«

»Damit willst du sagen, dass du faul bist.«

»Keineswegs. Dann könnte man auch einem Falken vorwerfen, dass er nur mangelhaft galoppiert, oder einem Pferd seine armseligen Flugfähigkeiten vorhalten. Unterschiedliche Arten kann man einfach nicht vergleichen. Und ich gehöre eben nicht zur Kategorie der Draufgänger. Träume, Sehnsüchte, Visionen und Pläne bleiben bei mir, was sie sind, sie werden nie ausgeführt.«

»Ich kann es nicht ausstehen, wenn du so redest.« Laura seufzte.

Natürlich hatte Blaine ein bisschen dick aufgetragen. Aber es war doch viel Wahres daran. Er hatte einen bequemen Job, ein angemessenes Gehalt, sein Arbeitsplatz war ihm sicher. Er hatte ein Apartment in Greenwich Village, eine Stereoanlage, ein Auto, ein Blockhaus an der Chesapeake Bay, ein hübsches Segelboot und die Zuneigung Lauras sowie einiger anderer Mädchen. Ja, vielleicht hatte Laura Recht mit ihrer etwas abgedroschenen Bemerkung – vielleicht war er im Fluss des Lebens in einen Strudel abgedriftet. Wenn schon! Mit seiner langsamen, sanften Drehung bot ein Strudel viel mehr Gelegenheit, die Umgebung zu betrachten.

Die Scheinwerfer des entgegenkommenden Wagens waren nun sehr nah. Erschrocken stellte Blaine fest, dass er mittlerweile weit über hundert fuhr.

Er nahm den Fuß vom Gas. Das Auto brach aus, schlingerte wild auf die immer heller werdenden Scheinwerfer zu.

Ein Platter? Das Lenkrad? Blaine versuchte das Steuer herumzureißen. Es bewegte sich nicht. Der Wagen prallte auf die niedrige Betonabgrenzung zwischen den beiden Spuren und machte einen Satz in die Höhe. Das Lenkrad rutschte Blaine aus den Händen und wirbelte herum, der Motor heulte auf wie eine verlorene Seele.

Im letzten Moment versuchte der andere Fahrer auszuweichen, aber es war zu spät. Sie würden praktisch frontal aufeinanderknallen.

Und Blaine dachte: Ja, ich gehöre dazu, ich bin eines dieser bescheuerten Arschlöcher, die die Kontrolle über ihre Autos verlieren und Unschuldige mit in den Tod reißen. Wie oft habe ich davon gelesen ... Herrgott! Moderne Autos und komfortable Straßen und immer höhere Geschwindigkeiten, aber dieselben alten, unzuverlässigen Reflexe ...

Plötzlich, unerklärlicherweise, funktionierte das Lenkrad wieder, alles stand auf des Messers Schneide. Doch Blaine nahm seine letzte Chance nicht wahr. Als die Scheinwerfer des entgegenkommenden Wagens sein gesamtes Blickfeld ausfüllten, waren alle seine Reuegefühle auf einmal verflogen und er jubelte innerlich. Eine Sekunde lang sehnte er sich nach dem Aufprall, gierte danach, nach dem Schmerz, der Zerstörung, nach Grausamkeit und Tod.

Dann trafen die Autos aufeinander. Der Jubel verging, so schnell er gekommen war. Blaine spürte tiefes Bedauern für all das, was er versäumt hatte – für die Flüsse und Seen, auf denen er nie gesegelt war, die Filme, die er nie gesehen, die Bücher, die er nie gelesen, und die Mädchen, die er nie berührt hatte. Es schleuderte ihn nach vorn. Das Steuer brach in seinen Händen. Die Lenksäule durchbohrte seine Brust und zerschmetterte sein Rückgrat, während er mit dem Kopf voran durch das dicke Sicherheitsglas flog.

In diesem Moment wusste Blaine, dass er starb.

Einen Moment später war er tot – ein schneller, schmutziger, schmerzloser, zutiefst gewöhnlicher Tod.

2

Er erwachte in einem weißen Zimmer.

»Er lebt wieder«, sagte jemand.

Blaine öffnete die Augen. Zwei Männer in Weiß beugten sich über ihn. Es schienen Ärzte zu sein. Einer von ihnen war ein kleiner, bärtiger alter Mann. Der andere hatte ein hässliches rotes Gesicht und war Mitte fünfzig.

»Wie heißen Sie?«, fuhr ihn der Alte an.

»Thomas Blaine.«

»Alter?«

»Zweiunddreißig. Aber ...«

»Familienstand?«

»Ledig. Was ...«

»Sehen Sie?«, fragte der alte Mann und drehte sich zu seinem rotgesichtigen Kollegen herum. »Geistig gesund, völlig gesund!«

»Das hätte ich nie gedacht«, meinte der Mann mit dem roten Gesicht.

»Aber selbstverständlich! Das Todestrauma ist immer überschätzt worden. Viel zu sehr überschätzt, wie mein nächstes Buch beweisen wird.«

»Hm. Aber die Wiedergeburtsdepression ...«

»Unsinn!«, sagte der Alte mit Bestimmtheit. »Blaine, fühlen Sie sich wohl?«

»Ja. Aber ich wüsste gern ...«

»Sehen Sie?«, sagte der alte Arzt triumphierend. »Wieder am Leben und geistig gesund. Werden Sie jetzt endlich auch den Bericht unterschreiben?«

»Ich habe wohl keine andere Wahl«, sagte der rotgesichtige Mann. Die beiden Ärzte verließen den Raum.

Blaine sah zu, wie sie hinausgingen, und dachte darüber nach, was sie wohl gemeint haben konnten. Eine dicke, mütterlich wirkende Krankenschwester trat an sein Bett. »Wie fühlen Sie sich?«, fragte sie.

»Prima«, sagte Blaine. »Aber ich wüsste gern ...«

»Tut mir leid«, sagte die Krankenschwester, »aber jetzt dürfen noch keine Fragen gestellt werden. Anweisung des Arztes. Trinken Sie das hier, das wird Sie aufmuntern. Braver Junge! Keine Angst, es wird schon alles wieder werden.«

Sie ging hinaus. Ihre beruhigenden Worte erschreckten ihn. Was meinte sie mit Es wird schon alles wieder werden? Das hieß doch, dass irgendetwas nicht in Ordnung war! Was war das, was war nicht in Ordnung? Was machte er hier, was war geschehen?

Der bärtige Arzt kam zurück und wurde von einer jungen Frau begleitet.

»Ist er wieder auf dem Damm, Doktor?«, fragte sie.

»Geistig völlig gesund«, sagte der alte Arzt. »Das nenne ich eine gelungene Verschmelzung.«

»Dann kann ich also mit dem Interview beginnen?«

»Natürlich. Allerdings kann ich nicht für sein Verhalten garantieren. Das Todestrauma wird zwar viel zu sehr überbewertet, aber es kann doch bewirken, dass ...«

»In Ordnung.« Die junge Frau trat zu ihm und beugte sich über ihn. Blaine bemerkte, dass sie sehr hübsch war. Ihre Gesichtszüge waren klar und ihre Haut sah frisch und strahlend aus. Nur hatte sie ihr langes, schimmerndes Haar zu straff hinter ihre kleinen Ohren zurückgestrichen, aber sie duftete schwach nach Parfüm. Sie hätte schön sein können, doch die Unbeweglichkeit ihrer Züge und die beherrschte Angespanntheit ihres schlanken Körpers beeinträchtigten diesen Eindruck. Es war schwer, sie sich lachend oder weinend vorzustellen. Es war unmöglich, sie sich im Bett vorzustellen. Es war etwas Fanatisches an ihr, wie bei einer überzeugten Revolutionärin; aber er vermutete, dass die Sache, der sie sich verschrieben hatte, in ihr selbst zu finden war.

»Hallo, Mr. Blaine«, sagte sie. »Ich bin Marie Thorne.«

»Hallo«, sagte Blaine fröhlich.

»Mr. Blaine«, fragte sie, »was glauben Sie wohl, wo Sie sich befinden?«

»Sieht aus wie ein Hospital, würde ich sagen ...« Er hörte auf zu sprechen.

Er hatte gerade ein kleines Mikrofon in ihrer Hand erblickt.

»Ja, was wollten Sie sagen?«

Sie machte eine kleine Handbewegung. Männer traten hervor und rollten schwere Apparate an sein Bett.

»Fahren Sie fort«, sagte Marie Thorne. »Erzählen Sie uns, was Sie vermuten.«

»Zum Teufel damit«, erwiderte Blaine missmutig und blickte auf die Männer, die die Maschinen um ihn herum aufstellten. »Was soll das bedeuten? Was ist denn los?«

»Wir versuchen Ihnen zu helfen«, sagte Marie Thorne. »Wollen Sie uns nicht dabei unterstützen?«

Blaine nickte und wünschte sich, dass sie lächeln würde. Plötzlich fühlte er sich sehr unsicher. War ihm etwas zugestoßen?

»Erinnern Sie sich an den Unfall?«, fragte sie.

»Welchen Unfall?«

»Erinnern Sie sich daran, verletzt worden zu sein?«

Als sein Gedächtnis plötzlich wiederkehrte, mit wirbelnden Lichtern, aufheulendem Motor, Zusammenstoß und dem Geräusch brechender Knochen, erschauerte Blaine.

»Ja. Das Lenkrad ist abgebrochen. Ich rammte es mir durch die Brust. Ich bin mit dem Kopf aufgestoßen.«

»Sehen Sie sich Ihre Brust an«, forderte sie ihn leise auf.

Blaine blickte an sich hinunter.

Sein Brustkasten unter dem weißen Pyjama wies keinerlei Verletzungen auf.

»Unmöglich!«, rief er. Seine Stimme klang in seinen Ohren hohl, entfernt, unwirklich. Er nahm die Männer wahr, die sich um sein Bett herum über ihre Maschinen beugten und dabei sprachen, aber sie schienen wie Schatten zu sein, flach und körperlos. Ihre dünnen Stimmen surrten wie Fliegen, die vor einem geschlossenen Fenster herumschwirren.

»Hübsche Erstreaktion.«

»Sehr hübsch!«

Marie Thorne sagte zu ihm: »Sie sind unverletzt.«

Blaine blickte seinen unverletzten Körper an und dachte an den Unfall. »Ich kann es nicht glauben!«, rief er.

»Sauber!«

»Ausgezeichnete Mischung aus Glauben und Ungläubigkeit.«

Marie Thorne sagte: »Ruhe bitte! Fahren Sie fort, Mr. Blaine.«

»Ich erinnere mich an den Aufprall, ich erinnere mich – ans Sterben.«

»Hast du das?«

»Mann klar! Wirklich super!«

»Irre, Mann! Darauf werden sie voll abfahren!«

Sie sagte: »Ein bisschen weniger Lärm bitte! Mr. Blaine, erinnern Sie sich ans Sterben?«

»Ja, ja, ich bin gestorben!«

»Sein Gesicht!«

»Sein komischer Ausdruck erhöht die Glaubwürdigkeit noch!«

»Hoffe nur, dass Reilly das auch meint.«

Sie sagte: »Sehen Sie sich einmal sorgfältig Ihren Körper an, Mr. Blaine. Hier ist ein Spiegel. Schauen Sie sich Ihr Gesicht an.«

Blaine sah hin und zitterte wie im Fieber. Er berührte den Spiegel und strich sich dann mit bebenden Händen über sein Gesicht.

»Das ist nicht mein Gesicht! Wo ist mein Gesicht? Was haben Sie mit meinem Gesicht und meinen Körper gemacht?«

Er befand sich in einem Alptraum, aus dem er nie mehr erwachen würde. Die flachen Schattenmänner umringten ihn und ihre Stimmen summten und surrten immer aufgeregter. Sie bedienten ihre irrealen Maschinen und wirkten auf unbestimmte Weise bedrohlich auf ihn und doch wieder auch teilnahmslos, ihn kaum wahrnehmend. Marie Thorne neigte sich mit ihrem hübschen ausdruckslosen Gesicht über ihn und aus ihrem kleinen roten Mund perlten sanfte Alptraumworte.

»Ihr Körper ist tot, Mr. Blaine, er wurde in einem Autounfall getötet. Sie erinnern sich daran, wie er gestorben ist. Aber wir konnten den Teil von Ihnen retten, der eigentlich zählt. Wir haben Ihren Geist gerettet, Mr. Blaine, und Ihnen dafür einen neuen Körper gegeben.«

Blaine öffnete den Mund, um zu schreien, und schloss ihn wieder. »Das ist unglaublich«, sagte er leise.

Und die Fliegen summten.

»Welch eine Untertreibung!«

»Na klar. Man kann ja nicht ewig aufgeregt sein.«

»Hatte erwartet, dass er die Szene noch ein bisschen mehr durchkaut.«

»Falsch gedacht! Die Untertreibung betont seine Not sogar noch mehr.«

»Unter dramaturgischen Gesichtspunkten vielleicht. Aber betrachte die Sache doch mal realistisch. Dieser arme Hund hat gerade festgestellt, dass er bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist und nun in einem neuen Körper wiedergeboren wurde. Aber was sind seine Worte? Er sagt: ›Das ist unglaublich.‹ Verdammt, er reagiert ja nicht einmal richtig auf den Schock!«

»Tut er wohl! Du projizierst nur!«

»Bitte!«, sagte Marie Thorne. »Fahren Sie fort, Mr. Blaine.«

Blaine, der tief in seinem Alptraum gefangen war, nahm die leisen, summenden Stimmen kaum wahr. Er fragte: »Bin ich wirklich gestorben?«

Sie nickte.

»Und bin ich wirklich in einem anderen Körper wiedergeboren worden?«

Sie nickte wieder und wartete ab.

Blaine blickte sie an und betrachtete dann die Schattenmänner an ihren unwirklichen Maschinen. Warum belästigten sie gerade ihn? Warum konnten sie sich nicht irgendeinen anderen Toten aussuchen? Man sollte Leichen nicht dazu zwingen dürfen, Fragen zu beantworten. Der Tod war das uralte Privileg des Menschen, sein Pakt mit dem Leben, seit unvorstellbaren Zeiten; er wurde dem Sklaven ebenso gewährt wie dem Edelmann. Der Tod war ein Trost, war sein gutes Recht. Aber vielleicht war dieses Recht widerrufen worden, vielleicht konnte man seinen Verpflichtungen nicht mehr einfach dadurch entgehen, dass man starb.

Sie warteten darauf, dass er etwas sagte. Und Blaine fragte sich, ob wenigstens der Irrsinn immer noch seine altangestammten Privilegien behalten hatte. Er könnte sich ihm zuwenden und es mit Leichtigkeit selbst überprüfen.

Aber Irrsinn wird nicht jedem beschert. Blaines Selbstbeherrschung kehrte zurück. Er blickte zu Marie Thorne hoch.

»Meine Gefühle«, sagte er langsam, »lassen sich nur schwer beschreiben. Ich bin gestorben und muss mich nun mit dieser Tatsache auseinandersetzen. Ich glaube kaum, dass irgendein Mensch jemals wirklich an seinen eigenen Tod glaubt. Tief in seinem Inneren fühlt er sich unsterblich. Der Tod scheint immer nur auf andere zu warten, aber nie auf einen selbst. Es ist beinahe so, als ob ...«

»Brechen wir's jetzt ab. Jetzt wird er analytisch.«

»Ich glaube, Sie haben Recht«, sagte Marie Thorne. »Recht vielen Dank, Mr. Blaine.«

Die Männer, die nun wie wirkliche Männer aussahen, deren unbestimmte Bedrohlichkeit nun verschwunden war, begannen damit, ihre Geräte wieder fortzurollen.

»Moment mal ...«, sagte Blaine.

»Keine Sorge«, sagte sie. »Wir werden alles andere später aufnehmen. Wir brauchten jetzt gerade nur den spontanen Teil, Ihre ersten Reaktionen.«

»Eine Weile lang war's ja verdammt gut.«

»Ein Sammlerstück!«

»Moment mal!«, rief Blaine. »Ich verstehe das nicht. Wo bin ich? Was ist passiert? Wie ...«

»Ich werde Ihnen morgen alles erklären«, sagte Marie Thorne. »Es tut mir schrecklich leid, aber ich muss jetzt ganz dringend fort und den Bericht für Mr. Reilly fertig machen.«

Die Männer und die Geräte waren verschwunden. Marie Thorne lächelte aufmunternd und eilte davon.

Blaine fühlte sich auf lächerliche Weise den Tränen nah. Er zwinkerte schnell ein wenig, als die dicke, mütterliche Krankenschwester zurückkehrte.

»Trinken Sie das hier«, sagte die Krankenschwester. »Das wird Sie schlafen lassen. Hier, alles runterschlucken, wie ein braver Junge! Entspannen Sie sich, Sie haben einen großen Tag hinter sich, erst sterben, dann wiedergeboren werden und so.«

Zwei große Tränen rollten Blaines Wangen hinab.

»Na so was!«, sagte die Krankenschwester. »Jetzt sollten die Kameras mal hier sein! Das sind die echtesten spontanen Tränen, die ich je gesehen habe. Glauben Sie mir, in diesem Krankenhaus habe ich schon manch eine tragische und spontane Szene miterlebt und ich könnte diesen Rotzlöffeln von der Presse einiges über echte Gefühle erzählen, wenn ich wollte. Was die sich einbilden, alles über die Geheimnisse des menschlichen Herzens zu wissen!«

»Wo bin ich?«, fragte Blaine schläfrig. »Wo ist das hier?«

»Sie würden sagen, es ist in der Zukunft«, sagte die Krankenschwester.

»Oh«, sagte Blaine.

Dann war er auch schon eingeschlafen.

3

Viele Stunden später wachte er ruhig und ausgeruht auf. Er sah sich in einem weißen Bett in einem weißen Raum liegen und erinnerte sich.

Er war bei einem Unfall ums Leben gekommen und in der Zukunft wiedergeboren worden. Da war ein Arzt gewesen, der die Ansicht vertreten hatte, dass das Todestrauma überbewertet werde, und Männer, die seine spontanen Reaktionen aufgenommen und für ein Sammlerstück gehalten hatten, und eine hübsche junge Frau, deren ebenmäßige Gesichtszüge einen bedauernswerten Mangel an Gefühlen erkennen ließen.

Blaine gähnte und streckte sich. Tot. Tot im Alter von zweiunddreißig Jahren. Ein Jammer, dachte er. In der Blüte seines Lebens. Blaine war eigentlich ganz in Ordnung gewesen und auch durchaus vielversprechend ...

Seine flapsige Einstellung ärgerte ihn selbst. Das war doch wohl kaum die richtige Reaktion! Er versuchte, sich wieder in die Situation hineinzuversetzen und den Schock nachzuempfinden, unter dem er eigentlich stehen sollte.

Gestern, sagte er mit großem Ernst zu sich selbst, war ich noch ein Jachtbauer, der von Maryland nach Hause unterwegs war. Heute bin ich ein Mann, der in der Zukunft wiedergeboren wurde. In der Zukunft! Wiedergeboren!

Es hatte keinen Zweck, die Worte zogen nicht. Er hatte sich bereits an den Gedanken gewöhnt. Man gewöhnt sich an alles, dachte er, sogar an den eigenen Tod. Besonders an den eigenen Tod. Wahrscheinlich konnte man einem Menschen zwanzig Jahre lang dreimal am Tag den Kopf abhauen und er würde sich daran gewöhnen und weinen, wenn man damit aufhörte ...

Er wollte diesen Gedankenstrang lieber nicht noch weiter verfolgen.

Er dachte an Laura. Würde sie Tränen um ihn vergießen? Würde sie sich betrinken? Oder würde sie sich von der Nachricht nur deprimiert fühlen und ein Beruhigungsmittel schlucken? Was war mit Jane und Miriam? Würden sie überhaupt von seinem Tod erfahren? Wahrscheinlich nicht. Vielleicht würden sie sich irgendwann Gedanken machen, wenn er nicht mehr anrief.

Schluss damit. Das war alles Vergangenheit. Jetzt war er in der Zukunft.

Aber alles, was er bisher von der Zukunft gesehen hatte, waren ein weißes Bett und ein weißes Zimmer, Ärzte und Krankenschwestern, Aufnahmeleute und eine schöne Frau.

Bisher hatte er noch keinen großen Unterschied zu seiner eigenen Zeit entdecken können. Aber es gab bestimmt Unterschiede. Er erinnerte sich an Zeitungsartikel und Erzählungen, die er gelesen hatte. Heutzutage mochte es vielleicht überall Atomenergie geben, Unterwasserlandwirtschaft, Weltfrieden, internationale Geburtenkontrolle, interplanetare Reisen, freie Liebe, völlige Aufhebung der Rassentrennung, ein Mittel gegen jede Krankheit und eine gut eingerichtete Gesellschaft, in der die Menschen in vollen Zügen die Luft der Freiheit einatmeten.

So sollte es sein, dachte Blaine. Aber es gab auch unerfreulichere Denkmodelle. Vielleicht hielt ein grimmiger Oligarch die Erde in seinem eisernen Griff, während eine kleine Untergrundbewegung für die Freiheit kämpfte. Oder vielleicht hatten kleine, gallertartige Lebewesen die menschliche Rasse versklavt. Möglicherweise strich eine neue, fürchterliche Seuche ungehindert durch das Land, oder die vom Wasserstoffbombenkrieg aller Kultur beraubte Erde erhob sich langsam und schmerzvoll wieder, um eine technologische Zivilisation aufzubauen, während menschliche Wolfshorden das Hinterland unsicher machten; oder vielleicht waren Millionen ähnlich unerfreulicher Dinge geschehen.

Und doch zeigte die Menschheit in der Geschichte immer wieder eine Fähigkeit, die beiden Extreme Vernichtung und Glückseligkeit zu vermeiden, dachte Blaine. Immer wurde das Chaos vorausgesagt und andauernd wurde Utopia prognostiziert – und beides traf nie ein.

Folglich nahm Blaine an, dass diese Zukunft einige Verbesserungen gegenüber der Vergangenheit aufweisen würde, aber er rechnete gleichzeitig genauso mit Verschlechterungen.

Einige der alten Probleme wären vielleicht gelöst, doch dafür würde es bestimmt neue geben. »Kurzum«, sagte Blaine zu sich selbst, »ich erwarte, dass diese Zukunft so sein wird wie alle Zukünfte im Vergleich zu ihren Vergangenheiten. Das ist zwar nicht sonderlich genau, aber schließlich bin ich nicht in der Futurologen- oder Prophetenbranche beschäftigt.«

Seine Gedanken wurden durch Marie Thorne unterbrochen, die forsch das Zimmer betreten hatte.

»Guten Morgen«, sagte sie. »Wie fühlen Sie sich?«

»Wie ein neuer Mensch«, antwortete Blaine, ohne mit der Wimper zu zucken.

»Schön. Würden Sie das hier bitte unterschreiben?« Sie hielt ihm einen Stift und ein bedrucktes Stück Papier hin.

»Sie sind ja verdammt effizient«, sagte Blaine. »Was soll ich da unterschreiben?«

»Lesen Sie es durch«, sagte sie. »Es ist eine Erklärung, die uns aller rechtlichen Haftungsansprüche bezüglich Ihrer Lebensrettung enthebt.«

»Haben Sie denn mein Leben gerettet?«

»Natürlich. Was glauben Sie denn, wie Sie sonst hierhergekommen wären?«

»Darüber habe ich noch nicht nachgedacht«, gab Blaine zu.

»Wir haben Sie gerettet. Aber es verstößt gegen das Gesetz, dies ohne die schriftliche Einwilligung des potenziellen Opfers zu tun. Die Anwälte der Rex Corporation waren jedoch nicht in der Lage, Ihre Einwilligung vorher einzuholen. Deswegen möchten wir uns jetzt ganz gerne schützen.«

»Was ist die Rex Corporation?«

Sie blickte verärgert drein. »Hat denn bis jetzt noch niemand mit Ihnen gesprochen? Sie befinden sich hier in der Zentrale von Rex. Unsere Firma ist heute so bekannt wie es Flyier-Thiess zu Ihrer Zeit gewesen ist.«

»Wer ist Flyier-Thiess?«

»Oh! Dann vielleicht Ford?«

»Ford, ja. Die Rex Corporation ist also so bekannt wie Ford. Was macht sie denn?«

»Sie stellt Rex-Antriebssysteme her«, sagte sie ihm, »die dazu verwendet werden, Raumschiffe anzutreiben, Reinkarnationsmaschinen, Jenseitsfahrzeuge und so weiter. Es war ein Rex-Antriebssystem, mit dem man Sie sofort nach Ihrem Tod aus dem Wagen geholt und in die Zukunft gebracht hat.«

»Zeitreisen«, sagte Blaine. »Aber wie funktioniert so etwas?«

»Das ist schwer zu erklären«, erwiderte sie, »denn Sie haben nicht das wissenschaftliche Hintergrundwissen dafür. Aber ich will's versuchen. Sie wissen, dass Raum und Zeit ein und dasselbe ist, das eine ist nur ein Aspekt des anderen.«

»Ach ja?«

»Ja. Wie Masse und Energie. In Ihrem Zeitalter wussten die Wissenschaftler, dass Masse und Energie untereinander austauschbar sind. Sie waren in der Lage, die Fissions-Fusions-Vorgänge der Sterne zu berechnen. Aber sie konnten diese Vorgänge nicht unmittelbar nachahmen, da sie riesige Mengen Energie dafür gebraucht hätten. Erst als sie das Wissen und die Energie hatten, konnten sie Atome spalten und verschmelzen, um neue zu schaffen.«

»Das weiß ich«, sagte Blaine. »Was ist mit den Zeitreisen?«

»Die sind nach einem ähnlichen Muster entwickelt worden«, sagte sie. »Wir wussten schon lange, dass Raum und Zeit nur zwei verschiedene Aspekte derselben Sache sind. Wir wussten, dass man entweder den Raum oder die Zeit mit einem Energieverfahren in Grundbausteine zerlegen und umwandeln konnte. Wir konnten die Zeitkrümmung am Rand einer Supernova messen und wir konnten beobachten, wie ein Stern vom Typ Wolf-Rayet verschwand, wenn sich seine Zeitkonversionsgeschwindigkeit beschleunigte. Aber wir mussten erst noch einiges mehr entdecken. Und wir brauchten eine Energiequelle, die um ganze Exponentialfunktionen größer war als die, mit der Ihnen die Kernfusion ermöglicht wurde. Als wir das alles zur Verfügung hatten, konnten wir Zeiteinheiten gegen Raumeinheiten austauschen – das heißt also, Zeitentfernungen gegen Raumentfernungen. Wir konnten dann, sagen wir, hundert Jahre in der Zeit reisen anstelle der vergleichbaren Strecke von hundert Parsec, also hundert parallaktischen Sekunden.«

»Ich verstehe, jedenfalls ein wenig«, sagte Blaine. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, es mir noch einmal ganz langsam zu erklären?«

»Später, später«, sagte sie. »Würden Sie bitte die Verzichtserklärung unterzeichnen?«

Das Formular besagte, dass er, Thomas Blaine, darauf verzichtete, die Rex Corporation wegen ihrer unbefugten Rettung seines Lebens im Jahre 1958 und wegen des Transports in einen Empfängerkörper im Jahre 2110 zu verklagen.

Blaine unterschrieb. »Und jetzt«, sagte er, »würde ich gerne einmal wissen ...«

Er hörte auf zu sprechen. Ein Junge mit einem großen Poster hatte das Zimmer betreten. »Entschuldigen Sie, Ms. Thorne«, sagte er, »aber die Grafikabteilung möchte wissen, ob das so in Ordnung ist.« Er hielt das Plakat hoch. Es zeigte einen Autounfall im Augenblick des Zusammenstoßes. Aus dem Himmel reichte eine gigantische stilisierte Hand herab und zog den Fahrer aus dem brennenden Wrack. Der Text dazu lautete: REX MACHT'S MÖGLICH!

»Nicht schlecht«, meinte Marie Thorne. »Hallo, Miss Vaness? Was halten Sie von diesem Poster?«

Es befand sich nun ein Dutzend Leute in seinem Zimmer und es strömten immer noch mehr herein. Sie standen alle um Marie Thorne herum und ignorierten Blaine völlig. Ein Mann, der sich angeregt mit einer grauhaarigen Frau unterhielt, setzte sich auf seine Bettkante. Da riss Blaine der Geduldsfaden.

»Aufhören!«, schrie Blaine. »Ich habe dieses verdammte Theater satt! Was ist los mit euch, könnt ihr euch nicht wie menschliche Wesen benehmen? Jetzt haut aber ab!«

»Oh weh!«, seufzte Marie Thorne und schloss die Augen. »Er musste ja temperamentvoll sein. Ed, sprechen Sie mit ihm.«

Ein behäbiger, schwitzender Mann in mittleren Jahren trat an Blaines Bett. »Mr. Blaine«, sagte er beschwörend, »haben wir Ihnen nicht das Leben gerettet?«

»Ich schätze schon«, meinte Blaine missmutig.

»Wir hätten das nicht zu tun brauchen, wissen Sie. Es hat eine Menge Zeit, Geld und Mühe gekostet, Ihr Leben zu retten. Aber wir haben es getan. Alles, war wir als Gegenleistung wollen, ist der Werbeeffekt.«

»Der Werbeeffekt?«

»Natürlich, Sie sind schließlich von einem Rex-Antriebssystem gerettet worden.«

Blaine nickte und verstand nun, warum seine Wiedergeburt in der Zukunft von seiner Umgebung so ungerührt hingenommen wurde. Sie hatten viel Zeit, Geld und Mühe darauf verwandt, sie zu bewerkstelligen, hatten sie zweifellos aus jeder möglichen Perspektive durchdiskutiert und waren nun gewissenhaft dabei, sie für ihre Zwecke gewinnbringend einzusetzen.

»Ich verstehe«, sagte Blaine. »Sie haben mich nur aus Werbegründen gerettet, nicht wahr?«

Ed sah unglücklich drein. »Warum formulieren Sie es so? Ihr Leben musste gerettet werden. Unsere Verkaufskampagne musste einen neuen Impuls bekommen. Wir haben uns beider Bedürfnisse angenommen, zu Ihrem Wohl und zum Vorteil der Rex Corporation. Vielleicht waren unsere Motive nicht völlig uneigennützig, aber würden Sie es vorziehen, lieber tot zu sein?«

Blaine schüttelte den Kopf.

»Natürlich nicht«, stimmte Ed ihm zu. »Ihr Leben ist Ihnen viel wert. Lieber heute lebendig als gestern tot, stimmt's? Schön. Warum erweisen Sie uns dann nicht ein kleines bisschen Dankbarkeit? Warum unterstützen Sie uns nicht ein wenig?«

»Ich würde es ja gerne tun«, versicherte Blaine. »Aber Sie sind mir zu schnell, da komme ich nicht mit.«

»Ich weiß«, sagte Ed, »und ich habe volles Verständnis für Sie. Aber Sie wissen doch, wie das in der Werbebranche ist, Mr. Blaine. Zeit ist alles. Was heute unerhört und neu ist, interessiert morgen niemanden mehr. Wir müssen uns Ihre Rettung jetzt sofort zunutze machen, das Eisen schmieden, solange es noch heiß ist. Sonst haben wir nichts mehr davon.«

»Ich weiß es schon zu schätzen, dass Sie mir das Leben gerettet haben«, sagte Blaine, »auch wenn es nicht völlig uneigennützig war. Ich werde Ihnen gern behilflich sein.«

»Danke, Mr. Blaine«, sagte Ed. »Und bitte: Stellen Sie erst einmal keine Fragen mehr! Sie werden schon im Laufe der Zeit alles verstehen. Ms. Thorne, Sie haben jetzt freie Fahrt.«

»Danke, Ed«, sagte Marie Thorne. »Also, alles mal herhören! Wir haben vorläufig die Genehmigung von Mr. Reilly, fortzufahren, also werden wir weitermachen wie geplant. Billy, Sie verfassen eine Presseerklärung für die Morgenzeitungen. So eine Art Story à la ›Der Mann aus der Vergangenheit‹ oder so.«

»Gab es schon mal.«

»Na und? Ist doch auch immer wieder neu, oder etwa nicht?«

»Ich schätze, einmal mehr wird auch nicht schaden. Also gut. Ein Mann aus dem Jahr 1988 wurde gefunden ...«

»Entschuldigen Sie«, sagte Blaine, »1958.«

»Also aus dem Jahre 1958, wurde aus seinem Autowrack geholt, sobald er gestorben war, und in einen Wirtskörper verpflanzt. Kurzer Abschnitt über den Wirtskörper. Dann erwähnen wir, dass die Rex-Antriebssysteme diese Rettung über einen Zeitraum von einhundertzweiundfünfzig Jahren hinweg vollbracht haben. Wir erzählen ihnen, wie viele Erg an Energie wir dabei verbraucht haben oder was immer es auch sonst sein mag, was wir dabei verbrauchen. Ich werde mich wegen der Fachausdrücke an einen Ingenieur wenden. Okay?«

»Weisen Sie darauf hin, dass kein anderes Antriebssystem das geschafft hätte«, sagte Joe. »Weisen Sie auf das neue Kalibrierungssystem hin, durch das es ermöglicht wurde.«

»Das werden sie aber nicht alles drucken.«

»Vielleicht doch«, sagte Marie Thorne. »So, Ms. Vaness. Wir brauchen einen Artikel über Blaines Empfindungen, als ihn die Rex-Antriebssysteme dem Tod entrissen haben. Machen Sie's schön rührend. Schildern Sie seine ersten Gefühle in der erstaunlichen Welt der Zukunft. Ungefähr fünftausend Worte. Wir werden schon dafür sorgen, dass alles gedruckt wird.«

Die grauhaarige Ms. Vaness nickte. »Kann ich ihn jetzt interviewen?«

»Keine Zeit«, sagte Miss Thorne. »Schreiben Sie es selbst zusammen. Erstaunt, verängstigt, aufgeregt, überrascht über all die Veränderungen, die seit seiner Zeit stattgefunden haben. Der wissenschaftliche Fortschritt. Möchte auf den Mars reisen. Mag die neue Mode nicht. Glaubt, dass die Leute in seiner Zeit glücklicher waren ohne die ganze Technik und mit weniger Hektik. Blaine ist schon einverstanden. Nicht wahr, Blaine?«

Blaine nickte stumm.

»Schön. Gestern Abend haben wir seine Spontanreaktionen aufgenommen. Mike, Sie und die Jungs machen daraus eine Fünfzehn-Minuten-Spule, die in den Senso Shops verkauft werden soll. Machen Sie daraus ein echtes Sammlerstück für den Snob Appeal. Aber fangen Sie mit einer kurzen, technischen Erklärung darüber an, wie Rex die Rettung durchgeführt hat.«

»Alles klar«, sagte Mike.

»Schön. Mr. Brice, Sie leiern ein paar Solido-Shows an, in denen Blaine auftreten kann. Er wird seine Reaktionen auf unsere Zeit wiedergeben, wie er sich fühlt, wie sie im Vergleich zu seiner Zeit wirkt. Sorgen Sie dafür, dass Rex erwähnt wird.«

»Aber ich weiß doch überhaupt nichts über diese Zeit!«, warf Blaine ein.

»Das werden wir schon ändern«, versicherte Marie Thorne schnell. »Gut, ich glaube, das reicht für den Anfang. Abflug! Ich werde Mr. Reilly berichten, was wir bisher alles geplant haben.«

Während die anderen das Zimmer verließen, wandte sie sich an Blaine.

»Vielleicht fühlen Sie sich ein wenig schäbig behandelt. Aber Geschäft bleibt Geschäft, egal, in welchem Zeitalter man lebt. Morgen werden Sie ein berühmter Mann sein und wahrscheinlich reich dazu. Ich glaube, dass Sie unter diesen Umständen keinen Grund haben, sich zu beklagen.«

Sie verließ ihn. Blaine sah ihr nach. Schlank und selbstbewusst. Er fragte sich, was in dieser Zeit wohl die Strafe dafür sein mochte, wenn man eine Frau schlug.

4

Die Krankenschwester brachte ihm sein Mittagessen auf einem Tablett. Der bärtige Arzt trat ein, untersuchte ihn und erklärte, dass er völlig gesund sei. Er versicherte ihm, dass er nicht das kleinste Anzeichen einer Wiedergeburtsdepression finden könne und dass das Todestrauma ganz offensichtlich überbewertet würde. Es gäbe keinen Grund, weshalb Blaine nicht aufstehen und umherwandeln könne.

Die Krankenschwester kehrte mit Kleidung für ihn zurück, einem blauen Hemd, braunen Hosen und weichen, knollenförmigen Schuhen. Dieser Aufzug sei, so versicherte sie ihm, durchaus unauffällig.

Blaine aß mit gutem Appetit. Bevor er sich jedoch anzog, untersuchte er seinen Körper in dem großen, mannshohen Spiegel im Badezimmer. Es war das erste Mal, dass er die Möglichkeit hatte, sich sorgfältig und genau zu betrachten.

Sein früherer Körper war groß und hager gewesen, mit glattem schwarzen Haar und einem gut gelaunten, jungenhaften Gesicht. In den zweiunddreißig Jahren seines Lebens hatte er sich an diesen schnellen, geschickten und agilen Körper gewöhnt. Er hatte würdevoll seine Konditionsschwächen hingenommen, seine seltenen Erkrankungen und hatte sie zu Tugenden hochstilisiert, zu einmaligen Eigenschaften seiner Persönlichkeit, die in ihm steckten. Denn weitaus mehr als die Fähigkeiten waren es die Begrenzungen gewesen, die das Wesen seines alten Körpers auszumachen schienen.

Er hatte seinen Körper gemocht. Sein neuer Körper war ein Schock für ihn.

Er war unterdurchschnittlich klein, stark muskulös, hatte einen fassgroßen Brustkasten und breite Schultern. Er fühlte sich rumpflastig, denn die Beine schienen für den herkulischen Torso ein wenig zu kurz geraten zu sein. Seine Hände waren groß und schwielig. Blaine machte eine Faust und blickte sie respektvoll an. Wahrscheinlich konnte er mit einem Hieb einen Ochsen niederstrecken, sofern er einem Ochsen begegnete.

Sein Gesicht war kantig und kühn, mit vorstehenden Backenknochen und einem breiten Kinn. Die Nase war römisch, das Haar blond und gelockt und seine Augen waren stahlblau. Es war ein gut aussehendes, etwas brutal wirkendes Gesicht.

»Es gefällt mir nicht«, versicherte Blaine von Herzen. »Und ich hasse blonde Locken!«

Sein neuer Körper besaß beachtenswerte Kräfte, aber er hatte körperliche Kraft nie gemocht. Er wirkte unbeholfen, ungrazil, schwer zu handhaben. Es war die Sorte Körper, die immer gegen Stühle stieß und auf anderer Leute Füße trampelte, die Hände immer zu fest drückte, zu laut redete und enorm schwitzte. Kleidung würde diesen Körper immer einengen und schlecht sitzen. Ein Körper, der andauernd Bewegung brauchte. Vielleicht musste er sogar Diät leben; sein neuer Leib machte den Eindruck, als würde er leicht verfetten.

»Körperkraft ist ja ganz in Ordnung«, meinte Blaine zu sich selbst, »sofern man dafür Verwendung hat. Sonst ist sie nur lästig und lenkt einen ab, wie Flügel an einem Dodo.«

Der Körper war schon arg, aber das Gesicht war noch schlimmer. Blaine hatte noch nie kräftige, raue, quadratische Gesichter gemocht. Für Erdarbeiter, Unteroffiziere, Dschungelforscher und so weiter mochten sie ja nützlich sein. Aber nicht für einen Mann, der kultivierte Gesellschaft schätzte. Solch ein Gesicht war ganz offensichtlich unfähig zu einem subtileren Ausdruck. Alle Feinheiten, das ganze Zusammenspiel von Linien und Flächen wären vergebliche Liebesmüh. Mit diesem Gesicht konnte man grinsen oder wütend dreinblicken, Nuancen konnte man damit nicht ausdrücken.

Er versuchte, den Spiegel jungenhaft anzulächeln. Das Ergebnis war ein Satyrgrinsen.

»Reingelegt hat man mich!«, sagte Blaine voller Bitterkeit.

Es war eindeutig, dass die Qualitäten seines Geistes und die seines Körpers im Widerspruch zueinander standen. Ein Zusammenspiel zwischen den beiden schien unmöglich. Natürlich könnte seine Persönlichkeit seinen Körper umformen; auf der anderen Seite könnte es aber auch sein, dass sein Körper seine Persönlichkeit beeinflussen würde.

»Wir werden ja sehen«, sagte Blaine zu seinem mächtigen Körper, »wir werden ja sehen, wer hier der Boss ist!«

An seiner linken Schulter befand sich eine lange, gezackte Narbe. Er fragte sich, woher der Körper wohl eine solch auffallende Wunde bekommen haben mochte. Dann überlegte er, wer denn eigentlich der wirkliche Besitzer des Körpers gewesen sein könnte. Konnte es sein, dass er irgendwo im Gehirn lauerte und darauf wartete, irgendwann einmal die Kontrolle an sich zu reißen?

Es war sinnlos zu spekulieren. Vielleicht würde er es später einmal herausbekommen. Er blickte sich ein letztes Mal im Spiegel an. Was er sah, mochte er gar nicht. Er befürchtete vor allem, dass es so bleiben könnte. »Ja ja«, sagte er schließlich, »man isst eben, was auf den Tisch kommt. Tote können nicht wählerisch sein.«

Das war alles, was er mit Sicherheit sagen konnte. Blaine wandte sich von dem Spiegel ab und begann sich anzuziehen.

Spät am Nachmittag kam Marie Thorne ins Zimmer. Ohne jede Erklärung sagte sie nur: »Alles abgeblasen.«

»Abgeblasen?«

»Vorbei, fertig, erledigt!« Sie blickte ihn wütend an und begann, in dem weißen Zimmer auf und ab zu schreiten. »Die ganze Werbekampagne ist abgeblasen worden.«