Die Kannibalen von Candyland - Carlton Mellick III - E-Book

Die Kannibalen von Candyland E-Book

Carlton Mellick III

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Beschreibung

Als er noch ein Junge war, sah Franklin Pierce die Candyfrau mit dem rosa Zuckerhaar zum ersten Mal. Sie machte die Kinder mit ihrem betörenden Erdbeerduft willenlos und fraß sie auf. Aber niemand glaubte seine Geschichte. Seither ist Franklin Pierce besessen davon, zu beweisen, dass die Kannibalen von Candyland wirklich existieren. Doch dazu muss er erst einen fangen … tot oder lebendig. Jahrzehnte später findet er den Zugang ins unterirdische Candyland – und wird der Sexsklave der zuckersüßen Frau mit Biss … Erotik-Horror vom King of Bizarro Fiction. Böse, verstörend und absurd – einfach Carlton Mellick der Dritte. Die Kannibalen von Candyland – gedruckt auf rosa Papier. Christopher Moore: »Carlton Mellick III hat die beklopptesten Buchtitel … und die abartigsten Fans!« Cory Doctorow: »Ein Meister der surrealen Science-Fiction.« Carlton Mellick III schreibt Bizarro Fiction – ein Genre, das er quasi selbst erfunden hat. Doch was ist das? Bizarro Fiction ist wie:     Franz Kafka trifft John Waters     Kinderbücher nach der Apokalypse     Takashi Miike trifft William S. Burroughs     Alice in Wonderland für Erwachsene     Japanisches Kino unter der Regie von David Lynch. Wie echte Kult-Filme ist Bizarro Fiction manchmal surreal, manchmal revolutionär, manchmal idiotisch, manchmal blutig, oft derb pornografisch und fast immer radikal abgedreht. Amazon.de: »Mellick 3 ist der Tim Burton der Literatur.« Brian Keene: »Bizarr, abgedreht und erbarmungslos – Carlton Mellicks Werk ist, als hättest Du Dein Hirn in einen Mixer gesteckt.«

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Seitenzahl: 167

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Aus dem Amerikanischen von Michael Plogmann

Impressum

Die amerikanische Originalausgabe The Cannibals of Candyland

erschien 2009 im Verlag Eraserhead Press.

Copyright © 2009 by Carlton Mellick III

Copyright © dieser Ausgabe 2025 by

Festa Verlag GmbH

Justus-von-Liebig-Straße 10

04451 Borsdorf

Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung:

[email protected]

Titelbild: Coro Coferosa

Alle Rechte vorbehalten

eISBN 978-3-98676-204-9

www.Festa-Verlag.de

1

Franklin hasst Kinder, er liebt Tiere und er hat eine Todesangst vor den Zuckermenschen.

Außerdem hasst er: Bus fahren; mit Menschen telefonieren; mit Menschen von Angesicht zu Angesicht reden; tanzen; sich die Haare schneiden lassen; die gegenwärtige Politik; den Lärm von Staubsaugern; die angesagte Männermode; angestarrt werden; Geschenke bekommen; für einen Chef zu arbeiten; chinesisches Essen; und seine beiden Frauen.

Er liebt: durch die Stadt spazieren; im Zoogeschäft mit den kleinen Hündchen spielen; Geschichtsbücher lesen; Mozart und Death-Metal hören; das Geräusch von Herbstlaub, das im Wind raschelt; Sandwiches zubereiten; über Bücher reden; Ballons aufblasen; historische Politik; älter werden; Geschenke machen; allein vor sich hin arbeiten; Schach; koreanisches Essen; und rote Kleidung tragen.

Er fürchtet: so ziemlich alles.

Rot ist seine Lieblingsfarbe. All seine Klamotten sind rot. Ihm gefällt vor allem ein ganz besonderer roter Farbton, den er Apfelrot nennt. Das ist ein helles Rot mit einem Stich Orange.

Seine Frauen sagen immer: »Deine Klamotten sind viel zu orange, um apfelrot zu sein.«

Er antwortet dann immer: »Als ich ein Junge war, stand im Vorgarten meiner Eltern ein Apfelbaum, dessen Früchte genau diese Farbe hatten.«

Seine Frauen schütteln immer nur den Kopf über ihn.

Franklin spaziert in seinem apfelroten Anzug die Straße entlang, trägt rote Handschuhe, eine rote Baseballmütze und hält einen roten Regenschirm über seinen Kopf. Er grüßt formvollendet jede Person, die ihm entgegenkommt. Die Menschen in seinem Viertel haben sich längst an seine auffällige Erscheinung gewöhnt, aber wenn er durch einen anderen Teil der Stadt geht, spürt er jedes Mal, wie er angestarrt wird. Er befindet sich hier in einem verrufenen Teil des Chinesenviertels, und das ist kein Ort, an dem man auffallen möchte. Ein paar Leute, die für Franklin aussehen, als gehörten sie zu den Triaden, beäugen ihn vom Eingang eines asiatischen Stripclubs von der anderen Straßenseite aus. Würde es nicht regnen, würden sie ihn sich wahrscheinlich vorknöpfen. Franklin ist schon zweimal zusammengeschlagen worden, nur weil er seinen roten Anzug trug. Einmal von Skinheads, die ihn für einen Schwulen hielten. Das andere Mal von chinesischen Drogendealern, denen seine Aufmachung nicht passte. Außerdem hatte er es gewagt, über ihren Bürgersteig zu gehen, ohne ihre Drogen zu kaufen.

Er klappt den Regenschirm zu und betritt eine Pfandleihe. Jake, der fette Ladenbesitzer mit dem schiefen Mund, starrt Franklin mit glasigen Augen entgegen, als er zum Tresen kommt. Sie nicken sich gegenseitig zu.

»Nach hinten«, sagt Jake.

Franklin wischt sich Wasser aus dem winzigen Bärtchen unter seiner Unterlippe und geht um den Tresen herum ins Hinterzimmer. Ein Raum voller Kartons, kaputter Küchenmaschinen, einer Vitrine mit Schwertern und einer stark strapazierten Sexpuppe mit Judy-Jetson-Frisur.

»Adam hat echt nich’ gelogen, als er gesagt hat, ich würd’ Sie erkennen«, sagt Jake und flattert mit den Armen, um seine gelbfleckigen Achselhöhlen auszulüften. »Der Anzug ist wirklich einmalig.«

Das war nicht als Kompliment gemeint, aber Franklin lächelt, als wäre es eines. »Ich lasse meine Anzüge alle in Argentinien schneidern.«

»Jedem das Seine.« Jake nimmt ein Bier aus einem Mini-Kühlschrank und setzt sich in einen Gummisessel. Er bietet Franklin keinen Platz an. »Manche Leute schmeißen ihr Geld für Stripper raus. Andere für tuntige Klamotten.«

Franklin räuspert sich. Er versteckt seine Hände in den Taschen.

»Nun, sehen wir mal, was ich für Sie habe.« Jake öffnet das Gehäuse eines kaputten Videorekorders und holt eine in ein weißes Tuch gewickelte Pistole heraus. Er schlägt den Stoff zurück und hält Franklin die Waffe hin.

Franklins linke Hand schließt sich um den kalten Stahllauf und hebt sie hoch wie ein Beil. Dann drückt er sie in seine rechte Hand.

»Und? Wie fühlt sich das an?«, fragt Jake.

Franklin nickt und reibt mit den Fingern daran.

»Das ist eine Walther PPK«, sagt Jake.

»Benutzte Adolf Hitler nicht auch eine Walther PPK?«

»Wo haben Sie denn das her?«

»Ich interessiere mich nun mal für Geschichte.« Franklin lächelt und reicht die Waffe zurück.

»Sie wollen sie also nicht haben?«

»Nein danke«, sagt Franklin. »Ich habe kein Interesse an einer Nazi-Pistole.«

»Das ist eine weitverbreitete Waffe«, sagt Jake. »Nicht nur bei den Nazis. James Bond hatte auch eine Walther PPK. Mögen Sie James Bond nicht?«

»Meine Großmutter war im Konzentrationslager.«

»Das war die Familie meiner Frau auch. Na und?«

Franklin schüttelt den Kopf.

»Hat sich Adolf Hitler nicht mit seiner Walther PPK erschossen? Betrachten Sie es einfach als die Waffe, die Adolf Hitler getötet hat.«

»Haben Sie nichts, was nicht so uralt ist? Irgendwas Neueres?«

»Ich verkaufe nur Klassiker. Adam sagte, Sie seien ein Sammler. Ich verkaufe nur Sammlerstücke, nichts anderes. Auf keinen Fall.«

»Ich bin Sammler.«

»Ich tue der Allgemeinheit nur einen Gefallen. Seit diese verweichlichte liberale Regierung uns den zweiten Verfassungszusatz beschnitten hat, müssen wir Sammler uns verstecken. Ich verkaufe keine Waffen an Kleinkriminelle oder an rachsüchtige Ehemänner, die ihre untreuen Frauen umbringen wollen.«

»Sie verkaufen doch auch Patronen, oder?«

»Natürlich tue ich das.«

»Na gut, wie viel?«

»Hören Sie mal, ich bin mir gar nicht mehr sicher, ob ich Ihnen die Waffe noch verkaufen will. Sie sehen mir aus wie jemand, der seine beschissene Frau umbringen will.«

»Wieso sehe ich aus wie jemand, der seine Frau umbringen will?«

»Sie sehen aus wie jemand, dem ständig Hörner aufgesetzt werden.«

»Ich will meine Frau nicht umbringen«, erwidert Franklin. »Die ist zum Schutz. Ich bin vielleicht kein Sammler, aber ich brauche so etwas.«

Jake sieht ihn durchdringend an. »Sehen Sie mir in die Augen.«

Franklin sieht ihm in die Augen.

»Ich erkenne, ob ein Scheißkerl mich belügt, wenn ich ihm in die Augen sehe.« Jake schnäuzt sich zwischen die Finger und rückt näher. »Und jetzt sagen Sie mir noch mal, wofür Sie die Waffe brauchen.«

»Zum Schutz.«

»Blödsinn! Wen wollen Sie damit umbringen? Ihre Frau?«

»Nicht meine Frau.«

Jake lehnt sich zurück und kratzt sich im Nacken, wobei er drahtiges graues Achselhaar zur Schau stellt. »Na gut. Nehmen wir mal an, ich glaube Ihnen. Wenn nicht Ihre Frau, wen dann? Den Typen, der sie nagelt? Ihren Boss? Jemanden, der Ihnen Geld schuldet?«

»Nein«, sagt Franklin. »Ich würde nie ein menschliches Wesen töten.«

»Sie sind doch nicht … Sie sind keiner von diesen Zuckermenschenjägern, oder?«

Franklin weicht dem Blick des fetten Mannes aus. Nur für einen Sekundenbruchteil, aber der fette Mann hat es bemerkt.

»Sie sind wirklich einer von denen?«

Franklin tätschelt etwas Pelziges in seiner Tasche. »Na und?«

»Sie glauben also auch an die Zuckermenschen?«

»Ja … Sie etwa auch?«

»Ich habe schon richtig schräge Sachen erlebt«, sagt Jake. »Aber ich habe noch nie irgendwelche verdammten Zuckermenschen gesehen. Der überwiegende Teil von mir denkt, dass das alles verdammter Blödsinn ist, aber ein kleiner Teil von mir ist sich da nicht so sicher.« Er reißt eine weitere Bierdose auf. »’ne Menge Leute kommen zu mir und wollen eine Waffe, um ihre Kinder vor den Zuckermenschen zu schützen. Sie behaupten, sie hätten die wirklich aus der Nähe gesehen. Ich habe ihnen in die Augen geblickt, und nicht einer von denen hat mich angelogen. Ich habe nicht die geringste Ahnung, ob sie wirklich existieren oder nicht. Aber ich habe eine Menge Leute getroffen, die davon überzeugt sind, dass es sie gibt.«

»Es gibt sie ganz sicher«, sagt Franklin und beugt sich zu Jake vor. »Ich garantiere es Ihnen. Es gibt sie. Und ich werde sie alle töten, einen nach dem anderen.«

Jake starrt ihn ein paar Minuten lang an und schnaubt. Dann holt er drei Schachteln mit Patronen aus dem Videorekorder.

»In dem Fall sollten Sie einen guten Rat von mir annehmen. Schießen Sie nur aus nächster Nähe auf sie. Es wird Ihnen hiermit nur aus kurzer Distanz gelingen, die harte Bonbonpanzerung zu durchschlagen, ansonsten brauchen Sie eine größere Waffe.«

Franklin nickt und reicht ihm einen Umschlag. Während Jake das Geld zählt, sieht sich Franklin die Schwerter in der Glasvitrine an und eines erregt seine Aufmerksamkeit. Es ist leuchtend rot, fast schon apfelrot.

Er dreht sich zu dem fetten Mann um und fragt: »Was soll der rote Stockdegen kosten?«

2

Franklin ist nach Franklin Pierce benannt, dem 14. Präsidenten der Vereinigten Staaten. Franklin Pierce gilt als einer der schlechtesten amerikanischen Präsidenten, weil er in den Jahren vor dem Bürgerkrieg nichts gegen die wachsenden Spannungen zwischen den Nord- und den Südstaaten unternommen hat. Er war einfach kein starker Führer. Er war zu dieser Zeit die falsche Person an der Spitze des Landes.

In seiner Jugend hat sich Franklin immer gefragt, warum seine Eltern ihn nach dem schlechtesten Präsidenten der amerikanischen Geschichte benannt haben, aber sie wollten ihm den Grund nicht verraten. Er hat sich mit dem Präsidenten beschäftigt und versucht, ihn in einem guten Licht zu sehen, weil er einen Grund finden wollte, warum gerade dieser Mann sein Namenspatron ist. Franklin Pierce war attraktiv, jung, ein guter Redner, wurde von allen gemocht und gewann die Wahl in einem Erdrutschsieg. Er erreichte auch einiges auf dem Gebiet der Außenpolitik. Bedauerlicherweise war er aber seiner Aufgabe als Präsident nicht gewachsen.

Nachdem er mehr über den Präsidenten gelesen hatte, begann der Mann Franklin leidzutun. Nicht nur dass er als schlechtester Präsident in die Geschichte einging. Sein Leben verlief auch ungemein tragisch. Zwei seiner Kinder starben an Krankheiten, als sie noch sehr klein waren. Und dann, zwei Monate bevor Pierce sein Amt antrat, starb sein dritter und letzter Sohn bei einem Zugunglück. Jane Pierce, die Frau des Präsidenten, machte die politischen Ambitionen ihres Mannes für den Tod ihres Sohnes verantwortlich. Während ihrer Zeit im Weißen Haus litt sie an fortschreitender geistiger Zerrüttung. Sie verbrachte die meiste Zeit ganz allein, eingeschlossen in ihrem Zimmer, und schrieb Briefe an ihren toten Sohn. Im Verlauf seiner Präsidentschaft ließ ihn seine Frau im Stich, seine Partei wandte sich von ihm ab, und sogar sein Vizepräsident starb nach 45 Tagen im Amt und wurde nie ersetzt. Schließlich wurde Franklin Pierce zum Alkoholiker. Wahrscheinlich überfuhr und tötete er eine alte Frau, als er eines Nachts betrunken seine Kutsche lenkte. Es wird auch gemunkelt, dass er sich zu Tode trank, nachdem seine Frau an Tuberkulose gestorben war.

Franklin fragt sich noch immer, warum seine Eltern ihn nach diesem Mann benannt haben. Er überlegt, ob es vielleicht daran liegt, dass Pierce in der Geschichte eine so bemitleidenswerte, tragische Figur abgab. Vielleicht war Franklin kein Wunschkind gewesen und hatte all ihre Wünsche und Träume über den Haufen geworfen. Oder vielleicht wollten sie ihn unbedingt nach einem Präsidenten benennen und hatten sich einfach den ausgesucht, der am besten aussah, ohne sich weiter mit der Lebensgeschichte des Mannes zu beschäftigen.

Er hat seinen Schirm unter den Arm geklemmt, sein roter Spazierstock (in dessen Innerem sich ein Schwert verbirgt) tappt im Gleichklang mit seinen Schritten auf das Pflaster, während er den Inhalt einer seiner Taschen streichelt. So spaziert er durch die nassen Straßen der Altstadt nach Hause. Unterwegs begegnet er einer Gruppe von vier Kindern, die auf der Straße Dosenhockey spielen. Dosenhockey ist so ähnlich wie normales Eishockey, nur dass eine plattgedrückte Bierdose als Puck dient, man statt des Schlägers die Beine benutzt und Kreidemarkierungen auf der Straße als Tor dienen. Es gibt dabei keine Schlittschuhe oder Helme. Es ist ein Spiel, das Franklin früher als Kind mit seinen Geschwistern spielte, bevor sie grausam ermordet wurden.

Die Jungen sind Franklins Nachbarn. Er sieht sie immerzu auf der Straße spielen, zu jeder Uhrzeit, sogar noch nachts um drei. Er versucht, sie nicht zu beachten, als er an ihnen vorbeikommt, aber sie unterbrechen ihr Spiel, als sie ihn in seinem leuchtend roten Anzug sehen, und rennen hinter ihm her. Ihre Beine scheinen zu kurz für ihre Körper, selbst für Kinder. Franklin ist das schon früher aufgefallen. Es scheint, als hätten die meisten Kinder in ihrem Alter diesen genetischen Defekt. Obwohl in den Nachrichten nie darüber berichtet wird, geht Franklin davon aus, dass es etwas mit den Medikamenten zu tun hat, zu denen die Ärzte heutzutage den schwangeren Müttern raten, damit sich die Föten besser entwickeln.

»Zeig es mir«, ruft einer der Jungen zu Franklin hinüber. Der mit der Hornbrille.

»Nicht heute«, sagt Franklin.

»Ach, komm schon«, sagt der Kleine.

Der Kleine ist der Nette. Er heißt Jimmy. Der Rotzlöffel mit der Hornbrille heißt Troy. Franklin weiß nicht, wie die beiden anderen heißen.

»Du sollst ihn uns zeigen, Scheißer«, sagt Troy.

Franklin geht weiter.

»Nur ganz kurz, du Weichei«, fordert Troy. »Oder soll ich die Polizei rufen und denen erzählen, dass du versucht hast, mir an die Nudel zu fassen?«

Troy droht immer damit, die Polizei zu rufen und Franklin des Kindesmissbrauchs zu beschuldigen, wenn der nicht tut, was er will. Deswegen kauft Franklin dem Jungen oft teure Spielsachen oder leiht für ihn Horrorfilme aus, die für Jugendliche nicht freigegeben sind. Er weiß nicht, was er sonst tun soll.

Jimmy zerrt an Franklins rotem Mantel.

»Ich will es nur ein Mal streicheln. Nur ganz kurz.«

Franklin atmet genervt aus.

»Schön. Aber nur ganz kurz.«

Er öffnet seinen Mantel, und ein kleines Kätzchen steckt den Kopf aus der Innentasche. Sein Fell ist rot, weiß und grün. Bonbonfarben.

Jimmys Augen strahlen. Als er den Finger nach dem Fell des Kätzchens ausstreckt, schiebt es ihn mit einem Lecken seiner rauen Zunge weg. Die Katze ist gar nicht wirklich ein Kätzchen. Sie ist eine Zwergkatze. Sie ist eine voll ausgewachsene, fünf Jahre alte Katze im Körper eines pummeligen kleinen Katzenbabys mit rundem Gesicht, wuscheligem Fell und einem piepsigen, hellen Stimmchen.

»Sie heißt Crabcake.«

Jimmy tätschelt Crabcake den Kopf, und sie schließt die Augen und grinst ihn an. Ein Kätzchen-Lächeln.

»Sie ist niedlich!«, sagt Jimmy.

Troy zieht eine Softairpistole aus seinem orangefarbenen Naruto-Rucksack und lädt sie durch.

»Bleib so stehen, Jimmy«, sagt er. »Ich schieße sie ihm aus der Hand.«

Franklin versteckt Crabcake in seinem Mantel.

»Du beschissener Psychopath«, sagt Franklin zu dem Jungen und hastet davon.

Der Junge wird wütend. »Halt! Ich habe dir nicht erlaubt wegzugehen!«

Franklin beschleunigt seinen Schritt und hält Crabcake in seiner Tasche fest.

»Scheiß Schwuli!«, brüllt Troy. »Renn doch weg, du Schwuli!«

Troy schießt mit der Softairpistole auf Franklins Rücken. Obwohl das Geschoss von seinem Sakko abprallt, tut es weh genug, dass er leise aufschreit. Abgesehen von Jimmy lachen die Jungen alle. Sie rennen hinter ihm her und schießen abwechselnd mit der Pistole auf seinen Rücken, bis er im Innern seines Apartmenthauses verschwunden ist.

Troy ist der Grund, warum Franklin Kinder hasst.

3

Franklin lebt in einer winzigen Einzimmerwohnung in der Altstadt zusammen mit zwei Frauen, die ihn hassen: seine Frau und die Mutter seiner Frau. Er redet von ihnen als von seinen Frauen, weil es ihm immer so vorkommt, als hätte er zwei Frauen, wenn sie beide da sind. Seine Frau, Sarah, wirkt älter, als sie ist. Ihre Mutter, Susan, wirkt jünger, als sie ist. Sie könnten fast Zwillinge sein. Er schläft mit keiner von beiden. Er versucht, mit ihnen nichts zu tun zu haben. Sie wollen von ihm nichts als sein Geld, und das ist ihnen nie genug.

Als er die Wohnung betritt, treiben Sarah und Susan es gerade mit einem anderen Mann. Sie schlafen regelmäßig mit fremden Männern, aber für gewöhnlich sind sie etwas diskreter, als es wie die Wilden auf dem Läufer im Flur zu tun. Sie teilen sich auch regelmäßig den gleichen Lover, aber für gewöhnlich vögeln sie ihn nicht zur gleichen Zeit.

Franklin vermutet, dass sie es darauf angelegt haben, dass er sie dabei überrascht, deswegen versucht er, so zu tun, als wäre es das Normalste auf der Welt. Er steigt über die zuckenden Leiber hinweg und geht durch den Flur zu seinem Kabuff. Abgesehen vom Badezimmer ist sein Kabuff der einzig private Raum in der Wohnung. Es ist ein Würfel, den er sich selbst aus Sperrholzplatten zusammengezimmert hat. Statt eines Daches und einer Tür benutzt er Decken, damit seine Frauen nicht sehen können, was er da treibt. Um nichts von draußen mitzubekommen, hört er sich Death-Metal über seine Kopfhörer an. Zuerst nur, weil es die lauteste Musik war, die ihm einfiel, aber mittlerweile gefällt sie ihm sogar. Sein Kabuff ist das Höchste an Privatsphäre, was unter diesen Umständen erreichbar ist. Seine Frauen belästigen ihn nicht, wenn er in seinem Kabuff ist, solange er sich daran hält, sie im Rest der Wohnung nicht zu behelligen.

Franklin klappt einen Aluminiumstuhl auseinander und setzt sich an seinen kleinen Grundschulschreibtisch. Er schaltet die Leselampe an der Wand an und zieht seinen billigen Laptop aus einem kleinen Fach. Sobald das Betriebssystem hochgefahren ist, stöpselt er die Kopfhörer ein und hört sich einige Human Remains-MP3s an, um die Sexgeräusche zu übertönen. Er dreht die Lautstärke so weit wie nur möglich auf, aber er hört trotzdem noch Sarahs lautstarkes Lustgeschrei, als würde sie mit aller Kraft versuchen, die Musik zu übertönen.

Sein Drahtlosnetzwerk findet im Augenblick kein ungesichertes Netzwerk, deswegen kann er nicht ins Internet. Das ärgert ihn, weil es in den letzten Tagen besonders viele Zuckermenschen-Sichtungen gegeben hat, denen er nachgehen will. Oder wenn schon nicht das, dann will er zumindest nachsehen, ob es Kommentare dazu in den Foren gibt.

Er stößt pfeifend den Atem aus und sieht sich das Chaos aus Notizen und Karten an den Holzwänden seines Kabuffs an. Er hat sein ganzes Leben der Aufgabe gewidmet, die Zuckermenschen aufzuspüren. Seit er die Schule abgebrochen hat, war das seine wichtigste Antriebsfeder. Er hat noch andere Beschäftigungen, wie das Lesen historischer Biografien und die Erfindung neuer Sandwichrezepte, aber der Beweis der Existenz der Zuckermenschen ist das Einzige, was ihm wirklich wichtig ist.

Crabcake wacht auf und klettert aus dem Mantel. Sie gähnt mit einem lang gezogenen Miau, dann kriecht sie auf seinen Schoß und schläft da weiter. Mit der freien Hand streichelt er ihr den Bauch.

Franklin hat für die Suche nach den Zuckermenschen vieles aufgegeben. Er hat die Schule abgebrochen, um Zuckermenschen zu jagen. Er hat mehrere Anstellungen verloren, weil er zu besessen von den Zuckermenschen ist. Er verbringt den größten Teil seiner freien Zeit mit der Erforschung der Zuckermenschen.

Und er hat Sarah geheiratet statt Stacy, seine Jugendliebe, weil Sarah ebenfalls an die Zuckermenschen glaubte. Er mochte Sarah eigentlich nicht sonderlich, aber er dachte, er würde glücklicher mit jemandem, der seine Besessenheit teilt. Erst nach der Hochzeit erfuhr er, dass sie eine zwanghafte Lügnerin war und dass die Begegnungen mit Zuckermenschen, von denen sie ihm erzählt hatte, nichts als Hirngespinste waren. Ohne diese Besessenheit hätte er Sarah nicht geheiratet und damit einen der größten Fehler seines Lebens unterlassen.

Sogar in dieses Viertel ist er nur gezogen – obwohl die Wohnung winzig und die Miete völlig überteuert ist –, weil es hier in der Gegend die meisten Zuckermenschen-Sichtungen im ganzen Land gegeben hat.

Franklin zieht die Pistole aus dem Mantel und versteckt sie zwischen der dreckigen Unterwäsche. Er weiß, seine Frauen rühren seine Unterwäsche niemals an. Dann nimmt er sein rechtes Ohr ab und drückt auf den kleinen gelben Knopf an der rechten Kopfseite. Sein Hinterkopf entfaltet sich wie eine Sonnenblume und legt sein öliges, angeschwollenes Gehirn frei.

Um die Zuckermenschen zu jagen, hat er nicht nur auf sein Privatleben verzichtet, sondern auch auf sein natürliches menschliches Gehirn. Er hat es durch ein fortgeschrittenes künstliches Organ ersetzen lassen. Die Operation war so teuer, dass sie sein ganzes Erbe verschlang. Das Gehirn besteht aus künstlichem neuralen Zellgewebe auf Silikonbasis und ist eine Art Hybrid aus Gehirn und Computer. Dadurch hat er ein fotografisches Gedächtnis bekommen, die mathematischen Fähigkeiten einer Rechenmaschine, fortgeschrittene deduktive und strategisch-planerische Fähigkeiten und das Vermögen, 20-mal schneller zu denken oder zu lesen, als jemand zu sprechen vermag. Und er kann jedes Videospiel gewinnen, ohne ein einziges Leben zu verlieren. Meistens jedenfalls.