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Petey erinnert sich mit Grausen an die Werbung von Fruit Fun aus den 1980er-Jahren. Sie zeigte klumpige Cartoon-Kinder, die um einen Frühstückstisch herumsaßen und rosa Müsli aßen, das ihnen das Maskottchen Berry Bunny brachte. Als Petey seinen Freunden erzählt, wie gruselig die Figuren waren und dass er als Kind Albträume von ihnen bekam, verstehen sie nicht, was er meint. Niemand hat die Werbung je gesehen. Es gibt nicht einmal Informationen im Internet. Doch dann erscheint Berry Bunny erneut. Wieder wirbt sie im TV mit ihrer schrillen, bedrohlichen Stimme für Fruit Fun. Und jetzt wird Peteys Albtraum wahr: Mitsamt seinen Freunden wird er in die surreale Werbewelt hineingesaugt, die von fleischgewordenen Zeichentrickfiguren bevölkert ist. Eine absurde Horrorgeschichte vom König der Bizarro-Literatur. Irre genial. Amazon.de: »Mellick III ist der Tim Burton der Literatur.« Brian Keene: »Carlton Mellick zu lesen ist, als hättest du dein Hirn in einen Mixer gesteckt.«
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Seitenzahl: 135
Veröffentlichungsjahr: 2023
Aus dem Amerikanischen von Manfred Sanders
Impressum
Die amerikanische Originalausgabe Spider Bunny
erschien 2017 im Verlag Eraserhead Press.
Copyright © 2017 by Carlton Mellick III
Copyright © dieser Ausgabe 2023 by Festa Verlag GmbH, Leipzig
Titelbild: Ed Mironiuk
Alle Rechte vorbehalten
eISBN 978-3-98676-064-9
www.Festa-Verlag.de
Vorwort des Autors
Ich bin in den 80ern aufgewachsen. Das bedeutet, dass ich mit einer Menge ziemlich schrägem Scheiß groß geworden bin. Unsere Zeichentrickserien, unsere Spielsachen, unsere Filme, unsere Musik, unsere Klamotten – alles war eine riesige Ansammlung von Unfassbarkeiten. Tatsächlich glaube ich, dass die Entstehung des Bizarro-Literaturgenres ohne den Einfluss, den die 80er-Jahre auf Kinder hatten, gar nicht möglich gewesen wäre. Viele der führenden Bizarro-Autoren wurden 1977 geboren. Jeremy Robert Johnson, Kevin L. Donihe, Chris Genoa, G. Arthur Brown und ich sind alle in dem Jahr geboren, in einem Abstand von wenigen Monaten. So wurde unsere gesamte Kindheit – im Alter von drei bis 13 Jahren – von diesem Jahrzehnt beeinflusst. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass es unsere Gehirne vollständig und unwiderruflich verkorkst hat.
Aber es waren nicht die typischen, unvergesslichen Dinge der 80er, die den größten Einfluss auf uns hatten. Es war das längst vergessene Zeug – die Songs, die Zeichentrickfilme, die Fernsehserien, die Werbespots, an die sich heute kaum noch jemand erinnert. Unsere Zeichentrickserien waren nicht nur Transformers, Schlümpfe und Thundercats, sondern auch solche Sachen wie Kidd Video, Galaxy High School und Hulk Hogan’s Rock ’n’ Wrestling. Unsere Musik war nicht nur Talking Heads, Cyndi Lauper und Devo, sondern auch dieser bekloppte Elektro-Bubblegum-Pop, der nur auf Rollschuhbahnen gespielt wurde, von denen ich seither nie wieder etwas gehört habe. Und die Werbespots – Mann, die Werbespots! In den Werbespots damals lief wirklich einiger echt schräger Scheiß ab. Scheiß, von dem ich oft Albträume bekam.
Es gab da eine Werbung, die mich ganz besonders verstört hat. Es war ein Spot für Frühstücksflocken, die Circus Fun hießen. Ich kann mich noch genau an den Werbespot erinnern. Das Maskottchen dieser Frühstücksflocken war so ein gruseliger animierter Knetgummi-Clown. Er tauchte unter dem Bett dieser beiden Kinder auf, weckte sie und führte sie zum Frühstückstisch. Die Kinder waren total begeistert von dem Clown unter ihrem Bett, obwohl die einzige logische Reaktion gewesen wäre, sich vor Panik in die Hosen zu machen. Der Clown rief dann eine ganze Kolonne von Zirkustieren herbei, alle auf schreckliche Weise knetanimiert, die ebenfalls unter dem Bett der Kinder hervorkamen und eins nach dem anderen in ihre Müslischalen marschierten. Als Kind jagte dieser Werbespot mir eine Scheißangst ein. Ich lebte in der ständigen Furcht, dass sich ein gruseliger animierter Knetgummi-Clown in meinem Zimmer verstecken könnte.
Jahrelang hatte ich nicht mehr an diese Werbung gedacht, bis ich Anfang 20 war. Als mir der Circus Fun-Werbespot wieder einfiel, fragte ich alle meine Freunde danach. Aber keiner hatte die leiseste Ahnung, wovon zum Teufel ich da redete. Nicht nur dass nie jemand diese Werbung gesehen hatte, nein, es hatte auch niemand je von diesen Frühstücksflocken gehört. Ich ging online und suchte nach Circus Fun und nirgends war etwas darüber zu finden. Es war, als hätten das Produkt und der Werbespot nie existiert. Und das machte die Erinnerung daran natürlich noch gruseliger.
Als ich die Creepypasta-Story Candle Cove las – über eine furchterregende Kindersendung, an die sich niemand erinnert –, musste ich an mein Erlebnis mit dem Circus Fun-Werbespot denken und kam auf die Idee zu diesem Buch. Ich bin ein großer Fan von dieser Sorte Geschichten. Es hat großen Spaß gemacht, sie zu schreiben. Wie meine letzten drei Bücher fing auch dieses als Kurzgeschichte an, die zu einer Novelle mutierte, weil ich zu viel Spaß daran hatte, um sie enden zu lassen. Ich hoffe, die Geschichte gefällt euch.
Übrigens, während ich dies hier schreibe, habe ich noch einmal Circus Fun gegoogelt, und wie sich herausstellte, hat es diese Frühstücksflocken tatsächlich gegeben. Mittlerweile findet man jede Menge Informationen darüber und einer der Werbespots ist sogar auf Youtube. Ich kenne immer noch keinen, der sich daran erinnert, aber wenigstens weiß ich jetzt, dass ich mir das alles nicht nur eingebildet habe.
– Carlton Mellick III – 26. 9. 2016, 21:34 Uhr
1
Seit Tagen sitzen wir jetzt in diesem Werbespot fest. Wie viele Tage es sind, weiß ich nicht. Dave meint, es sind zwölf, aber es gibt keine Möglichkeit, sich da sicher zu sein. Hier ist immer Morgen. Immer früher Morgen. Draußen vor dem Küchenfenster bewegt sich die kanariengelbe Sonne niemals vom Fleck, hängt nur erstarrt am Himmel, als wäre sie auf eine riesige Werbetafel gemalt.
Wir sind alle erschöpft. Wir sitzen auf dem Fliesenboden, den Rücken an die Küchenschränke und die Kühlschranktür gelehnt. Peri hat ihre Haare vor dem Gesicht hängen und schaukelt vor und zurück in dem Versuch, die schrecklichen Kinder am Frühstückstisch auszublenden. Ich versuche sie zu trösten, aber sie will sich nicht von mir berühren lassen, will mich nicht einmal ansehen. Sie gibt mir die Schuld dafür, dass wir hier sind. Alle geben mir die Schuld.
»Was sollen wir tun?«, fragt Kim.
Dave zuckt mit den Achseln. Es ist die gleiche Frage, die sie schon seit Tagen stellt. Niemand hat eine Antwort darauf, aber sie fragt trotzdem immer wieder.
»Ich habe keine Ahnung«, sagt Dave.
Kim schüttelt den Kopf über diese Antwort. »Es muss einen Weg hier raus geben. Wir dürfen nicht aufgeben!«
Auf der anderen Seite der Küche sitzt eine Gruppe gruseliger Kinder um den Frühstückstisch, mit großen Schalen voll Fruit-Fun-Frühstücksflocken vor sich. Es sind vier, im Alter von drei bis zehn, jedes grotesker als das andere. Sie waren Zeichentrickfiguren, als wir sie in der realen Welt im Fernsehen gesehen haben. Aber seit wir in diesem Werbespot sind, sind ihre Zeichentrickgestalten zu Fleisch geworden. Dicke Wangen voller Frühstücksflocken. Fette Lippen, die permanent lächeln. Kleine Knopfaugen, die in ihren Gesichtern zu weit auseinanderstehen.
Sie beachten uns nicht. Sie essen nur schweigend ihre Cerealien und sagen hin und wieder, wie köstlich sie sind und dass Fruit Fun ein wichtiger Bestandteil eines ausgewogenen Frühstücks ist. Sie sprechen mit hohen Cartoonstimmen, die nicht mit den Bewegungen ihrer Lippen synchronisiert sind. Ich habe nie gesehen, dass sie vom Tisch aufstehen. Es ist, als wären ihre Körper mit den weißen Holzstühlen verschmolzen.
»Wenn es einen Weg rein gab, muss es auch einen Weg raus geben«, sage ich.
Dave und Kim funkeln mich mit blutunterlaufenen Augen an. Sie wollen kein Wort hören, das aus meinem Mund kommt, solange ich keinen Weg gefunden habe, sie wieder nach Hause zu bringen.
Ich verstehe, warum sie so wütend und frustriert sind. Sie hatten nur sehr wenig Schlaf und essen seit Tagen nichts anderes als Milch und übersüßte Frühstücksflocken. Sie wissen nicht, ob sie jemals ihre Familien wiedersehen werden. Ich würde gern etwas sagen, das ihnen Trost gibt, etwas, das sie inspiriert, ihnen Hoffnung gibt. Aber ich habe keine Ahnung, was das sein könnte. Ich fühle mich, als hätte ich uns alle verdammt.
»Ich will nicht hier sterben«, sagt Kim zu ihrem Freund.
Dave drückt sie fest an sich und wischt ihr die Tränen aus den Augen.
Kim beruhigt sich und lässt sich in seine Arme sinken, aber beim Geräusch einer sich öffnenden Tür richtet sie sich wieder starr auf. Schlappende Schritte hallen durch den Flur.
Alle machen große Augen und zittern.
»Sie ist wieder da …«, sagt Kim mit bebender Stimme.
»Versteckt euch!«, ruft Dave und stemmt sich auf die Beine.
Wir eilen zu unseren Verstecken. Kim und Dave kriechen in die leeren Küchenschränke, Peri quetscht sich in den Kühlschrank und ich verstecke mich hinter den Vorhängen. Mein Versteck bietet am wenigsten Schutz, aber einen anderen Platz gibt es nicht.
Durch den dünnen Stoff des Vorhangs sehe ich, wie sie die Küche betritt. Sie geht auf großen flauschigen Füßen, wippt bei jedem Schritt auf und ab. Ihre langen Hasenohren hängen neben ihren nackten Schultern herunter. Ihre großen, vorstehenden Cartoonaugen zucken in ihren Höhlen hin und her. Sie trägt keine Kleidung. Ihre Haut ist rosa und weiß mit großen lila Punkten. Ein flauschiger Schwanz wackelt an ihrem rosa Hintern. Ihre Schnurrhaare stehen zu beiden Seiten ab, als sie die Kinder anlächelt, die das Frühstück essen, das sie ihnen bringt.
Sie ist Berry Bunny, das Maskottchen der Fruit-Fun-Frühstücksflocken, die Herrscherin dieses Reiches. Ich habe keine Ahnung, woher sie kommt oder was sie wirklich ist. Ich weiß nur: Wenn wir überleben wollen, dann müssen wir uns weit, weit von ihr fernhalten.
2
Alles begann mit einer Unterhaltung …
»Was ist euer Lieblingsfrühstücksflockenmaskottchen?«, fragte Dave.
Wir saßen in unserem Wohnheimzimmer mit unseren Freundinnen, tranken billiges Bier, redeten dummes Zeug und drückten uns um unsere Deutsch-Hausaufgaben.
»Du meinst so was wie Trix, das Kaninchen, oder Tony, den Tiger?«, fragte Kim.
»Genau. Welches ist euer Lieblingsmaskottchen?«
Kim dachte einen Moment darüber nach. Sie saß auf meinem Bett und lackierte sich die Fußnägel. Dabei verteilte sie goldenen Nagellack auf meiner Tagesdecke, war aber zu betrunken, um sich darum zu scheren. »Vielleicht Tukan Sam«, meinte sie. »Von Fruit Loops.«
»Was?« Dave wirkte fast beleidigt. »Warum zur Hölle solltest du Tukan Sam mögen?«
Kim zuckte mit den Achseln. »Fruit Loops waren mein Lieblingsfrühstück, als ich klein war.«
»Ich hab nicht gefragt, was dein Lieblingsfrühstück war«, sagte Dave. »Ich wollte dein Lieblingsmaskottchen wissen. Also, welches hast du am meisten gemocht?«
»Hab ich doch schon gesagt. Fruit Loops war mein Lieblingsfrühstück, also war Tukan Sam mein Lieblingsmaskottchen.«
»Na, meinetwegen. Tukan Sam.« Mit einer verächtlichen Handbewegung tat Dave die Antwort seiner Freundin ab und wandte sich mir zu. »Was ist mit dir, Pete?«
Ich trank einen Schluck Bier. »Der Smacks-Frosch vielleicht. Meine Lieblingsflocken waren Apple Jacks, aber die hatten kein Maskottchen.«
»Dig’em Frog? Echt jetzt? Wer zum Teufel mag Dig’em Frog? Leute, was seid ihr langweilig!«
»Dann Cap’n Crunch«, sagte ich. »Keine Ahnung.«
»Und was ist dein Lieblingsmaskottchen?«, fragte Kim ihn.
»Ratet mal.«
Achselzuckend meinte ich: »Lucky?«
»Nein, nicht Lucky. Doch nicht dieser schlappschwänzige Kobold!«
»Wer denn dann?«, fragte Kim.
»Sugar Bear«, sagte Dave. »Tadaa!«
»Sugar Bear?«, fragte ich.
»Scheiße, ja, Sugar Bear!« Er machte eine pumpende Bewegung mit seiner Faust. »Sugar Bear ist der Größte!«
»Wer ist Sugar Bear?«, fragte Kim.
»Du weißt schon – von Super Golden Crisp. Er ist nun mal einfach das coolste Frühstücksflockenmaskottchen aller Zeiten!«
Peri schwieg. Sie saß auf die denkbar unbequemste Weise auf meinem Schoß, tief in Gedanken versunken. Sie überlegte, welches Maskottchen sie am liebsten mochte.
Dann fragte sie: »Wie kommt es, dass es keine weiblichen Frühstücksflockenmaskottchen gibt?«
»Klar gibt’s die«, sagte Dave.
»Nein, gibt es nicht«, meinte Kim. »Das ist total sexistisch.«
»Es muss welche geben.«
»Dann nenn’ mir eins.«
Dave zermarterte sich den Kopf. Auch ich dachte darüber nach. Ich hätte schwören können, dass ich früher weibliche Maskottchen gesehen hatte.
»Die Biene von Honey Nut Cheerios?«, fragte Dave.
Kim schüttelte den Kopf. »Das ist auch ein Junge.«
Dave stöhnte frustriert und stellte sein Bier ab. »Ich muss das googeln.«
Er klappte seinen Laptop auf und suchte nach weiblichen Frühstücksflockenmaskottchen, fand aber nichts.
»Ich glaube, ihr habt recht«, sagte er. »Es hat nie ein weibliches Maskottchen gegeben. Krass.«
»Nein, ich glaube, da war mal eins …«, meinte ich.
Alle sahen mich an.
»Welches?«, fragte Dave.
Dann fiel es mir wieder ein. Ein Werbespot, an den ich seit Jahren nicht mehr gedacht hatte.
»Berry Bunny«, sagte ich.
»Wer?«, fragte Kim.
»Von diesem Zeug … Wie hieß es noch …?« Dann wusste ich es wieder. »Fruit Fun.«
Die anderen sahen mich an, als hätte ich sie nicht alle.
»Fruit Fun?«, fragte Dave. »Was zum Teufel ist Fruit Fun?«
»Ihr wisst schon … Fruit Fun! Habt ihr das denn nie gegessen?«
Alle schüttelten den Kopf. Und als ich darüber nachdachte, stellte ich fest, dass ich es auch nie gegessen hatte. Ich hatte es nie irgendwo im Laden gesehen.
»Die Werbung lief ständig im Fernsehen, als ich klein war«, sagte ich.
Ich erinnerte mich ganz deutlich an die Werbespots. Die Kinder saßen um den Frühstückstisch und ein kleines Zeichentrick-Hasenmädchen kam in die Küche gehoppelt und gab ihnen allen Schalen voller bunter Frühstücksflocken.
»So ein rosa Häschen mit lila Punkten. Erinnert ihr euch denn nicht?«
Sie schüttelten den Kopf.
»Du verarschst uns«, sagte Kim.
»Nein, es ist mein Ernst.«
»Nie davon gehört.«
Dave googelte danach. Nirgends gab es etwas über eine Berry Bunny oder eine Cerealiensorte, die Fruit Fun hieß.
»Ich denke mir das nicht aus!«, beteuerte ich. »Ich schwöre es.«
Aber sie glaubten mir nicht. Sie dachten, ich würde mich über sie lustig machen.
Später am Abend sah ich selber im Internet nach. Ich dachte, dass ich mich vielleicht falsch an den Namen der Frühstücksflocken erinnerte. Vielleicht hießen sie Fruit Flakes oder Berry Buns. Aber nichts kam bei meinen Googlesuchen heraus. Ich suchte nach ›Hase Frühstücksflocken Maskottchen‹ und nach ›Fruchtcerealien‹, aber ich bekam nur Links zu Trix und Fruit Loops. Ich sah mir sogar Youtube-Clips alter Frühstücksflocken-Werbespots an und las Artikel über Frühstücksflocken, die nicht mehr auf dem Markt waren. Nichts.
Ich fragte mich, ob ich vielleicht etwas in meiner Erinnerung durcheinanderbrachte. Vielleicht hatte es nie ein Produkt namens Fruit Fun gegeben.
Vielleicht war es nur etwas, das ich in einem alten Film oder einem Traum gesehen hatte. Vielleicht hatte mein Gehirn es sich spontan ausgedacht. Ich war mir nicht sicher. Ich konnte mich nicht erinnern, wann oder wo ich die Werbung gesehen hatte.
Ich wusste nur, dass es sehr lange her war. In der Nacht träumte ich von Fruit-Fun-Werbespots. Ich war ein Kind und sah im Wohnzimmer fern. Ich saß in meinem Schlafanzug auf dem Boden, umgeben von Actionfiguren. Berry Bunny erschien auf dem Bildschirm, mit einer Schüssel Fruit Fun in der Hand. Sie war ein sechs Jahre altes Mädchen mit schlappen Hasenohren und einem flauschigen Schwanz.
»Fruit Fun bringt Spaß in den Tag«, sagte das Häschen und hielt die Schale mit den Frühstücksflocken hoch. Das war der Slogan; Berry Bunny sagte es in jedem Werbespot.
Ich konnte nicht erkennen, wie die Cerealien tatsächlich aussahen. Es war ein Zeichentrickfilm, deshalb war die Schale nur gefüllt mit leuchtend rosafarbenen, formlosen Klumpen. Das Häschen blickte in die Schüssel und aß den Inhalt mit einem übergroßen Löffel.
»Ihr seid absolut köstlich«, sagte sie zu den Frühstücksflocken. Ihre Stimme war schrill und piepsig. Ich bekam eine Gänsehaut davon.
Nach jedem Happen leckte sie sich die Schnurrhaare und stöhnte in tiefer Zufriedenheit, als würde sie die köstlichste Mahlzeit essen, die man sich vorstellen konnte. »Nichts übertrifft eine Schale Fruit Fun.«
Aber dann bekam ich einen guten Blick in die Schüssel. Der Werbespot zeigte den Inhalt in Nahaufnahme. Es war nicht länger eine Schale voller formloser Klumpen. Die Schale war voll mit weinenden Kindern. Sie waren entweder nackt oder trugen rosa Kleidung, und sie schwammen in rosa Milch.
Einen Löffel nach dem anderen verschlang Berry Bunny die winzigen Kinder, schluckte sie in einem Stück herunter. Die Kinder schrien vor Entsetzen und flehten darum, nicht gegessen zu werden. Aber das Zeichentrickhäschen aß jedes Einzelne von ihnen. Als Berry Bunny fertig war, lehnte sie sich auf einem Stuhl zurück und rieb sich den angeschwollenen Bauch, ein zufriedenes Grinsen auf dem Gesicht.
Bevor der Spot endete, sagte eine Frauenstimme: »Fruit Fun – ein ganzer Bauch voller Spaß.«
Als ich schweißgebadet erwachte, fiel mir alles wieder ein. Ich erinnerte mich. An alles. Das war kein Traum gewesen. Es war eine Erinnerung. Ich erinnerte mich deutlich daran, dass ich diesen Werbespot als Kind gesehen hatte und wie entsetzt ich gewesen war. Ich hatte Albträume davon bekommen. Der Ausdruck der Panik auf den Gesichtern der Kinder war so real, als würden die Kinder wirklich bei lebendigem Leibe aufgefressen werden. Ich hatte keine Ahnung, wie jemand auf die Idee kommen konnte, so einen schrecklichen Werbespot für Frühstücksflocken für Kinder zu machen!
Aber was mich wirklich verwirrte, war die Frage, warum niemand sonst je diese Werbung gesehen hatte. War sie so schockierend gewesen, dass Eltern dafür gesorgt hatten, dass sie nicht mehr gesendet wurde? Waren die Werbespots zerstört worden, damit sie nie wieder gezeigt werden konnten? Hatten alle Kinder, die diese Werbung gesehen hatten, sie ebenfalls aus ihrer Erinnerung verdrängt? Ich wusste es nicht. Aber eines wusste ich: Obwohl diese Werbespots nirgendwo im Internet erwähnt wurden, hatte es sie definitiv gegeben.