Die Klientin - Randy Singer - E-Book

Die Klientin E-Book

Randy Singer

4,7

Beschreibung

Kaltblütig gesteht die 16-jährige Tara Bannister den Mord an ihrem Stiefvater. Sie wird der jungen Anwältin Leslie Connor zugewiesen, die das Mädchen verteidigen soll. Es ist Leslies erster Mordfall und sie fühlt sich verunsichert, vor allem, weil sie das Gefühl nicht loswird, etwas übersehen zu haben. Langsam ahnt sie, dass die Geschehnisse jener Nacht noch viel schockierender sind als das Verbrechen selbst. Ein dramatischer Singer-Krimi über Gewalt, Schuld und Sühne. "John Grisham trifft C.S. Lewis. Das Ergebnis ist explosiv!" (Brandilyn Collins)

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Der SCM Verlag ist eine Gesellschaft der Stiftung Christliche Medien, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

ISBN 978-3-7751-7323-0 (E-Book)ISBN 978-3-7751-5692-9 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book:Satz & Medien Wieser, Stolberg

© der deutschen Ausgabe 2015SCM-Verlag GmbH & Co. KG · Max-Eyth-Straße 41 · 71088 HolzgerlingenInternet: www.scmedien.de· E-Mail: [email protected]

Originally published in the U.S.A. under the title: Self IncriminationCopyright © 2010 by Randy SingerGerman edition © 2016 by SCM-Verlag GmbH & Co. KG (Hänssler) with permission ofTyndale House Publishers, Inc. All rights reserved.

Sieben Kurzzitate von C. S. Lewis (S. 224 ff.) sind folgendem Buch entnommen:C. S. Lewis, Pardon, ich bin Christ. Meine Argumente für den Glauben.Übers. Christian Rendel.`fontis – Brunnen Basel, 22. Taschenbuchauflage, 2014, S. 28, 58, 71,27, 27, 28, 72 f.

Die Bibelverse sind, wenn nicht anders angegeben, folgender Ausgabe entnommen:Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006SCM-Verlag GmbH & Co. KG, Witten.

Übersetzung: Lea Schirra (p.s. words)Umschlaggestaltung: OHA Werbeagentur GmbH, Grabs, SchweizTitelbild: dollarphotoclub.com; istockphoto.comSatz & Medien Wieser, Stolberg

Inhalt

Über den Autor

Stimmen zu Die Klientin

Stimmen zu anderen Romanen von Randy Singer

Prolog

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Danksagung

Anmerkungen

Leseempfehlungen

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Über den Autor

RANDY SINGER ist preisgekrönter Bestsellerautor (»Christy Award«) und Jurist. Er arbeitet als Anwalt in Virginia und unterrichtet Jura an der »Regent Law School«, USA.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Stimmen zu Die Klientin

»Mit diesem fesselnden Justizthriller beweist Christy-Award-Gewinner Singer, dass Glaube und Hochspannung ein hervorragendes Gespann abgeben können … Singer steht John Grisham in nichts nach.«

Publishers Weekly über Die Klientin

»John Grisham trifft C. S. Lewis. In Die Klientin vermengt Singer juristische Finten mit biblischer Wahrheit und lässt diese Mixtur in das Leben seiner höchst unterhaltsamen Figuren einfließen. Das Ergebnis ist explosiv und liefert reichlich Denkanstöße – ein wahres Lesevergnügen.«

Brandilyn Collins, Bestsellerautorin von Exposure

»Randy Singer füllt seinen Roman mit realistischen Figuren, geistreichen Dialogen und moralischen Konflikten, um daraufhin die Handlung unter der juristischen Lupe mit biblischer Wahrheit anzufachen. Wenn Singer abliefert, dann aber richtig – und Die Klientin ist der beste Beweis!«

Eric Wilson, New York Times Bestsellerautor von Fireproof

»Mit seinem einzigartigen Gespür für Rechtsdramen einerseits und die menschliche Natur andererseits hat uns Singer mit Die Klientin erneut einen fesselnden Justizthriller beschert.«

Mark L. Earley, Präsident der Initiative Prison Fellowship

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Stimmen zu anderen Romanen von Randy Singer

»Ein Buch, das den Leser unterhält und zum Nachdenken anregt – was will man mehr?«

Publishers Weekly über Das Spiel

»Im Mittelpunkt der rasanten Handlung liegen ethische Zwickmühlen, die zu Singers Markenzeichen geworden sind … ein aufregender Thriller.«

Booklist über Die Vision

»Singers hervorragender Thriller packt den Leser von der ersten Gerichtsszene an und führt ihn durch eine rasante Erzählung, die stets neue Überraschungen bereithält.«

Publishers Weekly über Die Vision

»Hochspannung und Action sind garantiert, Realismus inklusive … Der Jurist dürfte das bisher beste Buch von Singer sein.«

Booklist über Der Jurist

»Singer liefert eine Handlung, die den Vergleich mit Grisham nicht zu scheuen braucht. Singer schafft es, Konflikte in den Mittelpunkt zu stellen, denen wir täglich gegenüberstehen. Dieses Buch sollten Sie auf keinen Fall verpassen.«

Hugh Hewitt, Autor, Kolumnist und Moderator

»Der Klon ist ein absolut gelungener Roman. Randy Singer verbindet eine spannende Handlung mit einer eindringlichen Botschaft. Sehr zu empfehlen.«

T. Davis Bunn, Autor von Gold of Kings

»Die Witwe ist ein gut gemachter Justizthriller mit starken Charakteren, überraschenden Wendungen und einem packenden Thema.«

Randy Alcorn, Bestsellerautor von Der Himmel

»Die Witwe ist eine realistische und fesselnde Geschichte über die verfolgte Kirche und diejenigen, die für weltweite Religionsfreiheit kämpfen.«

Jay Sekulow, leitender Anwalt des American Center for Law and Justice

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Prolog

Zehn Uhr abends. Trish Bannister war krank vor Sorge.

Es war Freitag, also ging sie gar nicht davon aus, dass er direkt nach der Arbeit nach Hause kam. Wenn er es bis sieben oder acht schaffte, würde der Abend erträglich verlaufen. Neun Uhr bedeutete, dass er sein Versprechen gebrochen und etwas getrunken hatte. Dann gäbe es Geschrei und Gefluche, aber keine Handgreiflichkeiten. Mittlerweile aber war es zehn Uhr. Es war zwei Monate her, dass James so spät an einem Freitagabend nach Hause gekommen war. Das verhieß nichts Gutes.

Einen Moment lang dachte sie über die Ironie der Situation nach. Ihr Mann suchte sich ausgerechnet Karfreitag aus, um betrunken nach Hause zu kommen. Der Tag der Kreuzigung, des Leidens Christi. Warum wurde dieser Tag im Englischen überhaupt »Good Friday«, der gute Freitag, genannt?

Das Abendessen war eiskalt. Sie würde es in die Mikrowelle stellen, sobald sie sein Auto hörte, aber das Steak wäre trotzdem trocken und die Brötchen zu heiß. Vor zwei Monaten hatte sie die Mikrowelle benutzt, woraufhin er den Teller quer durch das Esszimmer schleuderte. Eine halbe Stunde lang hatte sie den Teppich geschrubbt, während er über ihr stand und auf die dreckigen Stellen wies.

Am darauffolgenden Tag hätte sie fast ihre Sachen gepackt.

Sie blieb wegen der Kinder. Und sie blieb, weil sie seinen Versprechungen glauben wollte. Kein Alkohol mehr. Er würde sich professionelle Hilfe suchen. Alles würde sich ändern, sobald er es geschafft hatte, der Talfahrt der Firma endlich ein Ende zu bereiten.

Die Firma. Ihr kam das Bankett vor ein paar Wochen in den Sinn, bei dem der Alkohol in Strömen geflossen war, James jedoch keinen Tropfen angerührt hatte. Sie erinnerte sich, wie es sich angefühlt hatte, als er das Mikrofon ergriff. Er hatte sich einen Moment sammeln müssen, mit den Tränen gerungen und ihr dann für all die Kraft gedankt, die sie ihm schenkte.

Sie blieb, weil es Dinge gab, für die es sich zu kämpfen lohnte.

Nervös tigerte sie in der Eingangshalle auf und ab, während sie am Nagel ihres rechten Daumens nagte, ohne ein Auge für die luxuriöse Umgebung zu haben, die sie ihr Zuhause nannte. Sie stand auf einem Marmorboden, umringt von kunstvoll behauenen weißen Säulen. Von ihrer Position neben der Eingangstür aus konnte sie den größten Teil des Erdgeschosses überblicken. Die weitläufigen Räume gingen nahtlos ineinander über. Das Wohnzimmer bot direkten Zugang zu einer Natursteinterrasse und einem Pool mit olympischen Ausmaßen.

Wieder warf sie einen Blick durch die vorderen Fenster auf die kreisförmige Auffahrt hinaus. Keine Spur von James und seinem Lincoln Town Car. Keine Spur von der sechzehnjährigen Tara und ihrem Ford Explorer. Sie betete, dass Tara vor James zu Hause eintreffen würde. Schließlich hatte Tara eigentlich Hausarrest. Doch Tara war wenige Stunden zuvor eingeschnappt zur Tür hinausgestürmt, weil Trish wegen ihrer Zwischenbeurteilung gemeckert hatte, die sie aus der Schule mit nach Hause gebracht hatte. Trish war es nicht gelungen, das Mädchen aufzuhalten. Sie war sechzehn Jahre alt und starrköpfig. Trish würde sich morgen mit Tara auseinandersetzen.

»Jamie, dreh das leiser!«, rief Trish zum Zimmer ihres elfjährigen Sohnes. Es bestand nicht die geringste Chance, dass er sie gehört hatte. Wieder warf sie einen Blick durch das Fenster, dann eilte sie die Treppen hoch.

Sie hämmerte gegen seine abgeschlossene Tür. »Komm schon, Schätzchen! Dad wird bald zu Hause sein.«

Keine Antwort.

»Dreh das leiser! Sofort!«

Der Geräuschpegel wurde auf ein etwas gedämpfteres Getöse reduziert. Dennoch vibrierte der Flurteppich bei jedem Beat des Basses. Trish rieb sich die Stirn. Der Druck nahm zu, die Migräne kündigte sich an.

Jamies Zwischenbeurteilung war der einzige Lichtblick in dieser Woche gewesen. Vor weniger als zwei Jahren hatten die Ärzte bei dem Fünftklässler das Tourettesyndrom (eine neuropsychiatrische Erkrankung) und ADS diagnostiziert. Es gab Zeiten, in denen Jamie trotz hoher Dosen Ritalin, Clonidin und Haloperidol nicht in den Griff zu bekommen war. Doch er hatte eine verständnisvolle Lehrerin und wurde von der Mehrheit seiner Klassenkameraden akzeptiert. Anders als Tara bemühte sich Jamie zumindest.

Noch hörte sie kein Motorengeräusch. Trish eilte ins Elternschlafzimmer. Sie zog die oberste Schublade unter dem Waschbecken auf, fand ihre verschreibungspflichtigen Migränemedikamente und warf sich schnell zwei Fiorinaltabletten und zwei Imitrex ein. Sie hielt inne und starrte ihr Spiegelbild an. Ihr Gesicht war von tiefen Furchen gezeichnet, die sich mit jedem Tag immer weiter aus den Winkeln ihrer hohlen Augen ausbreiteten.

Zu spät hörte sie das Geräusch von Reifen auf Asphalt. Sollte es James sein, würde sie es nicht schaffen, ihn an der Tür zu begrüßen. Dann bliebe keine Zeit mehr, seinen Teller in die Mikrowelle zu schieben, bevor er hereinkam.

Von der Veranda vor der Eingangstür drangen schwere Schritte an ihr Ohr. Die Schritte eines Mannes. James war zu Hause.

Und das Abendessen war eiskalt.

Sie schaffte es gerade noch an das obere Ende der Foyertreppe, als er das Haus betrat. Er schloss die Tür und blieb in der Eingangshalle stehen, schwankte und verlagerte das Gewicht von einem Bein auf das andere.

Blutunterlaufene Augen, ein unheilverkündender Blick, der seinem Gesicht einen finsteren Ausdruck verlieh. Noch bevor der Gestank abgestandenen Alkohols die Eingangshalle durchzogen hatte, wusste sie es.

»Hey, Süßer«, sagte sie bemüht leichtherzig und locker. Sie schritt die Treppe hinunter und begrüßte ihn mit einem flüchtigen Kuss. Er hatte die Fäuste nicht angespannt, dennoch konnte sie seine Wut spüren.

»Wo ist mein Abendessen?«, fragte er mit undeutlicher, doch bedrohlicher Stimme. Sein dichtes, schwarz gewelltes Haar, das voller Styling-Gel war, klebte in wilder Unordnung an seinem Kopf. Seine Krawatte hing ihm lose, nicht einmal zugeknotet, um den Hals. Abgesehen von dem maßgeschneiderten Anzug wirkte er eher wie ein Obdachloser als der Vorstandsvorsitzende eines Mobilfunkunternehmens.

»In der Küche«, antwortete Trish, die einen Schritt zurückwich. »Ich wärm es dir schnell auf.«

»Wo sind Tara und Jamie?«, fragte er, während er ihr in die Küche folgte.

»Jamie ist oben. Tara ist ausgegangen.«

»Ich dachte, sie hätte Hausarrest«, nuschelte James. »Gab's heute irgendwelche Anrufe, Patricia?«

Trish erstarrte. Es abzustreiten würde es nur noch schlimmer machen. Geh einfach weiter, sagte sie sich. Verhalt dich ganz normal. Sie stellte seinen Teller in die Mikrowelle.

Er lehnte sich gegen die Kücheninsel in der Mitte des Raumes und starrte sie an, taxierte sie … machte sie nervös.

»Wie wars im Büro?«, fragte Trish, in dem Versuch, das Thema zu wechseln.

Er schnaubte verächtlich, als sei die Frage keiner Antwort würdig. »So wie immer.«

Sie zog den Teller aus der Mikrowelle und stellte ihn auf den Küchentisch. James warf seine Jacke auf das Sofa im Wohnzimmer und setzte sich an den Tisch. Pflichtgemäß ließ sich Trish auf ihrem Platz am anderen Ende nieder, während sie nur an Tara denken konnte. Käme sie jetzt nach Hause, wenn James in diesem Zustand war, würde es Krieg geben.

»Hast du schon gegessen?«, fragte er.

»Ich bin nicht hungrig.«

Einige Sekunden lang aß James in eisiger Stille. Wachsam behielt sie ihn im Auge, auf die Anzeichen eines Ausbruchs achtend. Zum Glück hatte er keinen Anstoß an seinem in der Mikrowelle aufgewärmten Abendessen genommen. Das war zumindest etwas. Vielleicht würde sie den Abend mit einem Mindestmaß an Schaden überstehen. Mit jedem Bissen, den er nahm, mit jeder Minute, die ohne weitere Zwischenfälle verstrich, nahm ihre Hoffnung ein wenig zu.

Warum führte sie dieses Leben? Warum verließ sie ihn nicht einfach? Wie viele Male hatte sie mit angesehen, wie er nachts betrunken nach Hause kam, nur um sie am nächsten Tag um Vergebung zu bitten und sie mit Zärtlichkeit und Geschenken zu überhäufen?

Uneins mit sich selbst saß sie da, hin- und hergerissen zwischen ihrem Überlebensinstinkt – du musst einfach nur diese Nacht überstehen – und ihrem Drang, James zur Rede zu stellen. Sie atmete einmal tief durch, dann stellte sie sich ihrer Verantwortung. Sie hatte es satt, die Rolle des Opfers zu übernehmen.

»Was ist aus deinem Versprechen geworden?«, fragte sie mit zitternder Stimme in die Stille hinein. »Ist dir deine Familie so wenig wert?«

James schaute voller Verachtung von seinem Essen auf. Sie erwiderte den Blick, ohne zusammenzuzucken, stolz auf ihre trotzige Haltung, doch voller Angst vor dem Preis, den sie vielleicht dafür zahlen musste. Als sich sein herausfordernder Blick wieder auf seinen Teller senkte und er schweigend weiteraß, ließ ihre Anspannung ein klein wenig nach.

Nicht mal eine Minute später klingelte das Telefon. Trish zuckte zusammen und erhob sich, um dranzugehen.

»Setz dich«, bellte James, der sie aus dunklen, feuchten Augen finster anstarrte.

Langsam stand er auf und warf einen Blick auf die Telefonnummer, die auf dem Display angezeigt wurde. Der Ausdruck auf seinem Gesicht verriet Trish, dass es wieder einmal eine unbekannte Nummer war.

Dennoch hob er den Hörer ab. »Wer ist da?«

Trish saß einfach nur da und wagte es nicht zu atmen. Sie betete, ihr Mann würde etwas hinzufügen, irgendetwas, das zu erkennen gab, dass die Person am anderen Ende der Leitung etwas gesagt hatte. Doch ihr Mann blieb stumm und hielt den Hörer ans Ohr gedrückt, während sein Gesicht rot anlief. Nach einer unerträglichen Pause legte er den Hörer übertrieben langsam wieder auf der Gabel ab. Trish spürte, wie sich ihr die Brust zuschnürte. Wie üblich hatte der Anrufer aufgelegt, ohne ein Wort zu sagen.

»Dein Romeo scheint geglaubt zu haben, ich würde heute etwas länger arbeiten«, flüsterte James.

Er stand neben dem Telefon und musterte sie. »Ach, ich weiß«, sagte er mit spöttischem Tonfall. »Es war nur ein Telefonstreich. Wahrscheinlich hat jemand unsere Nummer nur durch Zufall gewählt.«

Trish starrte auf die Tischplatte.

»Wer ist es?«

»Ich weiß es nicht! Ehrlich nicht!«

»Du lügst.«

Die Hände gegen den Rand des Tisches gelegt, schob Trish ihren Stuhl zurück, stand schnell auf und wandte sich von James ab. »Ich rede nicht mit dir, wenn du in diesem Zustand bist.«

Doch mit einem Satz war er bei ihr, packte sie am Arm und riss sie an sich. Er schlug ihr brutal mit der Hinterhand quer durchs Gesicht. Dann, wahrscheinlich selbst über die Brutalität seines Schlags erschrocken, ließ er sie los.

Trish schmeckte Blut und hob langsam die Hand an den Mund, um sich die Lippe zu reiben und den Schaden einzuschätzen. Dieses Mal schaute sie ihm direkt in die Augen.

»Du widerst mich an«, sagte sie.

Sie wandte sich ab und ging in Richtung des Wohnzimmers und der dahinterliegenden Treppe.

»Dreh mir nicht den Rücken zu«, schnappte er.

Doch Trish blieb nicht stehen.

Sie war gerade auf der vierten Stufe angelangt, als er sie wieder packte, ihren schlanken Bizeps in seiner Hand quetschte und sie herumriss. Wie eine Stoffpuppe warf er sie gegen die Wand, wobei er eine Lampe umstieß. Die Glühbirne zerbarst auf dem Teppich in tausend Teile.

»Wage es ja nicht, mir jemals etwas zu verheimlichen«, sagte er. »Glaubst du, dein Alter wäre ein Idiot?« Seine Hand schloss sich wie ein Schraubstock immer fester um ihren Arm, sodass Trish auf die Zehenspitzen ging. »Wer ruft da immer an? Wer schläft mit meiner Frau?«

»Niemand … Ich … ich weiß es nicht«, brachte sie wimmernd hervor. Dann sah Trish aus dem Augenwinkel wieder seine Hand auf sich zuschnellen. Der mit der Rückhand ausgeführte Schlag ließ ihr Blickfeld verschwimmen. Sie fiel auf die Knie; dann packte James sie am Arm und riss sie erneut hoch.

»Nein … bitte … nein …« Sie hob den rechten Arm, um den nächsten Schlag abzuwehren.

Doch was folgte, war kein Schlag, sondern nur der eisenharte Griff von James' Daumen und Zeigefinger um ihren Hals. Er knallte sie so hart mit dem Kopf gegen die Wand zurück, dass ein Bild auf den Teppich krachte.

»Sag es mir!«, schrie er. Er schob sich gegen sie und grub seine Finger noch tiefer in ihren Hals.

Trish schlug mit den Armen um sich, versuchte irgendwo Halt zu finden, um ihn von sich wegzustoßen. Doch er drückte immer weiter zu, mittlerweile mit beiden Händen und schnürte ihr die Luft fünf Sekunden lang ab, dann zehn, dann zwanzig. Sie versuchte ihn anzuflehen, brachte aber keinen Laut raus. Er presste ihren Hals hart gegen die Wand, sein so bedrohlich lächelndes Gesicht nur Zentimeter von ihrem entfernt, während seine Augen sie unter diesen schweren Lidern hasserfüllt anstarrten. Sie spürte die Stöße seines übel riechenden Atems, seinen verschwitzten Körper, der sie einklemmte. Alles um sie herum begann sich zu drehen, und ihr wurde schwarz vor Augen. Gerade als ihr Körper schlaff wurde, ließ ihr Mann sie überraschend los, und sie rutschte nach Luft schnappend an der Wand runter.

Einen Moment lang blieb James drohend über ihr stehen und stieß seine Wut mit jedem keuchenden Atemzug aus. »Du widerst mich an«, schnaufte er, ihren letzten Satz verhöhnend. »Jetzt geh mir aus den Augen!« Damit wandte er sich ab und ging in die Küche zurück. Er nahm seinen Platz am Tisch ein und begann in aller Seelenruhe, sein Steak zu schneiden.

Trish blieb zitternd auf dem Boden hocken, bis der Raum aufgehört hatte, sich zu drehen. Sie fuhr mit der Zunge die Innenseite ihrer linken Wange entlang, spürte die Schwellung und zuckte zusammen. Langsam und bedächtig rappelte sie sich auf, warf einen Blick auf ihren Mann und ging erneut die Treppe zu ihrem Schlafzimmer hoch.

»Patricia.«

Sie erstarrte auf der obersten Stufe, mit einer zitternden Hand am Türgriff zu ihrem Schlafzimmer. James war noch immer in der Küche, aber der Unterton in seiner Stimme war unverkennbar.

»Zieh dir was Nettes an.«

Ohne zu antworten, durchquerte sie das Schlafzimmer und ging in das große Badezimmer, wo sie sich vorsichtig das Gesicht wusch. Schluchzend zog sie ihren Pyjama an. Sie knipste das Licht aus, kletterte ins Bett und wartete, die Decke bis zum Kinn hochgezogen, in angsterfüllter Stille ab. Sie starrte zur Decke hoch, die Sicht von der Schwellung und den Tränen verschwommen, während ihre Wange schmerzhaft pochte und ihr der Schädel zu zerspringen drohte. Sie betete, dass Tara spät nach Hause kommen würde. Sie betete, dass James einfach vor dem Fernseher einschlafen würde.

Zweimal glaubte sie, die Stufen knarren zu hören. Ihr blieb das Herz stehen, und sie hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Dieser Teil würde das Demütigendste an der ganzen Geschichte werden, weitaus schlimmer als die Prügel. Ihr Schlafzimmer war kein sicherer Ort für sie.

Sie wagte kaum zu atmen, während sie wartete. Doch James kam nicht.

Sie horchte nach Reifen in der Auffahrt, während Minute um Minute verstrich, langsam, ganz langsam. Zwanzig Minuten vergingen, dann dreißig, mit nichts weiter als den gedämpften Geräuschen aus Jamies Zimmer und dem leisen Dröhnen des Fernsehers aus dem Erdgeschoss.

Schließlich brachte sie den Mut auf, sich auf die Empore zu schleichen, von der aus man auf das Wohnzimmer blicken konnte. Sie sah, dass James vor dem voll aufgedrehten Fernseher in seinem Ledersessel eingeschlafen war, mit der Fernbedienung in der Hand. Zum ersten Mal an diesem Abend wurde ihr Körper von einer Welle der Erleichterung ergriffen. Sie hatte es überstanden. Morgen früh, wenn er wieder nüchtern war, würde sie ihn für sein Verhalten zur Rede stellen. Er würde sich entschuldigen und ihr versprechen, sich zu ändern. Sie würde ihn anflehen, endlich eine Therapie zu machen. Und dieses Mal würde sie ihn verlassen, wenn er die Sache nicht durchzog.

Sie nahm zehn Milligramm Ambien und legte sich wieder ins Bett. Tara war noch nicht zu Hause, aber sie würde sich leise reinschleichen. Man veranstaltet kein großes Theater, wenn man eigentlich Hausarrest hat.

Trish erklärte der Polizei später, dass das Ambien weniger als dreißig Minuten brauchte, um seine Wirkung zu entfalten und sie auszuknocken. Ihrer Aussage nach bescherte ihr das Medikament immer einen tiefen Schlaf, der ihre Sorgen bis zum Morgengrauen vertrieb.

So tief, dass sie nicht einmal die Schüsse hörte.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

1

Drei Wochen später

»Ich bin froh, dass er tot ist«, sagt die missmutige Jugendliche, während sie sich auf der anderen Seite des Konferenztisches noch tiefer in den Lederstuhl mit der hohen Lehne rutschen lässt. Meine Visitenkarte liegt unangerührt vor ihr auf dem Tisch: Leslie Connors, Rechtsanwältin.

Das sind nicht die Worte, die man von einem neuen Mandanten hören will. Besonders dann nicht, wenn es sich um den ersten Mordfall handelt, den man vor Gericht verhandelt.

Ihr Name ist Tara Bannister. Und sie legt ein wenig entgegenkommendes Verhalten an den Tag. Sechzehn Jahre alt. Spindeldürr. Blondes Haar mit platinblonden Strähnchen. Vier Ohrringe auf jeder Seite. Dunkler Lidschatten, der schmale, leblos-braune Augen umrandet. Selbst ihre Klamotten scheinen »Mir doch egal!« zu schreien. Sie trägt ein Tanktop mit Spaghettiträgern und eine abgewetzte Jeans, die tief auf ihrer Hüfte sitzt. Sie zeigt so viel Bauch, dass ich anfangs nicht umhinkann, ihr Bauchnabelpiercing anzustarren. Wahrscheinlich ist das auch der Effekt, den das Ganze auf Jungs ihres Alters haben soll. Was eine fünfunddreißigjährige Anwältin wie ich, die sich gerade uralt vorkommt, davon hält, ist Tara mit Sicherheit ziemlich egal.

»Das würde ich einer Jury gegenüber nicht unbedingt erwähnen«, sage ich.

Sie zuckt mit den Schultern, was die von ihr am meisten dargebotene Reaktion ist.

»Tara, ich versuche nur zu helfen. Aber das kann ich nicht, wenn du mich nicht lässt.« Ich hasse es, wie meine Mutter zu klingen. Eins meiner Ziele im Leben lautet, nicht so zu werden wie sie.

Tara zuckt erneut mit den Schultern.

Zeit, sie ein wenig mit der Realität zu konfrontieren. Mit ihrer Mutter habe ich bereits gesprochen. Das Mädchen steckt in ernsten Schwierigkeiten.

»Du hast Glück, dass man dich auf Kaution freigelassen hat«, sage ich und kneife die Augen zusammen. »Wir haben es hier mit einer ernsten Anschuldigung zu tun – dem Mord an deinem Stiefvater.« Selbst als ich mich die Worte aussprechen höre, kommt mir die Situation unwirklich vor. Noch vor wenigen Monaten, im Februar, habe ich für die Anwaltsprüfung gebüffelt. Jetzt berate ich eine Mandantin, die wegen Mordes angeklagt ist. Ich weiß, dass ihre Mutter unsere Kanzlei in der Hoffnung aufgesucht hat, mein Seniorpartner Brad Carson würde den Fall übernehmen. Um sie zu beruhigen, habe ich ihr versichert, dass Brad sich persönlich um die Sache kümmern würde und ich ihn nur bei der Arbeit unterstütze. Doch gerade jetzt ist Brad, wie üblich, vor Gericht. Fürs Erste ist Tara also meine Mandantin.

»Momentan steht dein Fall aufgrund deines Alters noch zur Entscheidung vor dem Jugend- und Familiengericht aus. Doch die Staatsanwaltschaft hat beantragt, den Fall an das Bezirksgericht zu verweisen, wo du nach Erwachsenenrecht verurteilt wirst. Da es sich um eine Anklage wegen Mordes handelt, müssen sie nur einen hinreichenden Verdacht nachweisen, und schon wird der Fall automatisch weitergereicht.« Ich lehne mich vor, stütze die Ellenbogen auf und halte kurz inne, um meine Worte wirken zu lassen. »Wenn wir vor dem Bezirksgericht verlieren, kannst du mit einer Haftstrafe von zwanzig Jahren bis lebenslänglich rechnen … und zwar nicht in irgendeiner Jugendstrafanstalt, sondern in einem richtigen Staatsgefängnis. Es könnte durchaus sein, dass du nie wieder auf freien Fuß kommst, Tara.«

Auch das ruft keine sichtbare Reaktion hervor, nicht einmal die kleinste Veränderung in ihrem Gesichtsausdruck. Sie starrt mich einfach geringschätzig an. Ich beschließe zu warten, bis sie den nächsten Schritt tut.

Endlich schüttelt sie den Kopf und spricht. »Jetzt habe ich aber Angst«, sagt sie sarkastisch. »Ich stehe kurz davor, mir in die Hose zu machen. Ist es das, was Sie von mir hören wollen? Versuchen Sie gerade, mich durch Abschreckung auf den rechten Weg zu bringen?«

Jetzt reicht es mir. Mein irisches Temperament und meine roten Haare gehen Hand in Hand. »Tara, das ist kein Spiel. Du bist sechzehn Jahre alt. Es geht hier um dein Leben. Weißt du, was die Frauen in diesem Hochsicherheitsladen mit dir anstellen würden?« Um meinen Standpunkt zu verdeutlichen, mustere ich sie scharf und schüttle den Kopf. »Du wärst ihr Spielzeug.« Ich bemerke, wie sie leicht zusammenzuckt, dann versteinert sich ihre Miene wieder. »Wenn du willst, dass ich dich vertrete, musst du mir vertrauen. Wenn du Spielchen spielen willst, besorg dir jemand anderen. Deine Mutter hat 'ne Menge Geld; sie kann dir jeden Anwalt besorgen, den du haben willst.«

Ich lege meinen Stift auf dem Tisch ab, lehne mich zurück und kreuze die Arme vor der Brust.

»Warum sollte ich Ihnen trauen?«, fragt Tara. »Wie viele Mordfälle haben Sie schon verhandelt?«

Eine berechtigte Frage. Aber eine, die ich nicht zu beantworten gedenke.

»Du vertraust mir, weil ich deine Anwältin bin«, erwidere ich. »Ich bin die Einzige, die zwischen dir und einem Leben hinter Gittern steht. Und ich kann dich nicht vertreten, wenn du nicht vollkommen ehrlich zu mir bist und mir alles erzählst. Darüber hinaus ist alles, was du mir erzählst – wirklich alles –, streng vertraulich, und das bleibt es auch. Ich werde mit niemandem darüber reden, nicht mal mit deiner eigenen Mutter.«

Tara schaut auf, in ihren Augen ist ein teuflisches Funkeln zu sehen. Sie grinst mich schief an und sagt dann: »Das ist Ihr erster Fall, nicht wahr?«

Aufgeflogen.

Ich nicke. Ganz professionell. Halte den Augenkontakt.

»Wie haben Sie im Studium abgeschnitten?«, fragt sie.

Na toll. Jetzt muss ich auch noch ein Bewerbungsgespräch mit einer sechzehnjährigen Mordverdächtigen über mich ergehen lassen. »Ich war die Zweitbeste meines Jahrgangs«, antworte ich mit grimmiger Miene.

»Wer war Klassenbester – ein Mann oder eine Frau?«

»Ein Mann.«

»Dann will ich Sie.«

Ich widerstehe dem Drang, eine Siegerfaust zu machen oder auch nur zu lächeln. Von einem Teenager interviewt zu werden, hat etwas Demütigendes, auch wenn man danach eingestellt wird. Zeit, wieder die Kontrolle zu übernehmen.

»Wirst du zu hundert Prozent ehrlich zu mir sein?«, frage ich.

Sie nickt.

»Ja?« Ich will, dass sie es sagt.

»Ja«, sagt sie widerwillig.

Ich bin nicht überzeugt. »Und wirst du meinen Anweisungen bis ins Letzte Folge leisten?«

Wieder nickt sie. Ich runzle die Stirn.

»Ja«, sagt sie durch zusammengebissene Zähne.

»Gut.« Ich nehme meinen Stift zur Hand und starre einen Moment lang an ihr vorbei. Ich bin kurz davor etwas zu tun, vor dem mich meine Dozenten immer gewarnt haben. Wenn Brad hier wäre, würde er ebenfalls versuchen, das Thema zu meiden. Aber das war noch nie meine Art. Ich will es wissen. Wenn meine Mandantin das Verbrechen begangen hat, muss ich es von Anfang an wissen. Mit den Auswirkungen kann ich mich später auseinandersetzen.

Idealerweise würde ich dem Mädchen jetzt alle rechtlichen Strategien, die ihr zur Verfügung stehen, erklären. Wenn ich meine Stimme an den richtigen Stellen hebe, ihr ab und an zuzwinkere oder unmerklich mit dem Kopf nicke, wird sie den Wink mit dem Zaunpfahl schon verstehen. Dann könnte ich sie bitten, mir die Ereignisse jenes Abends zu schildern, und sie würde ihre Geschichte, angepasst an die entsprechende Verteidigung, zum Besten geben.

Aber wie ich bereits erwähnte, entspricht das nicht meiner Art.

»Erzähl mir, was passiert ist. Schritt für Schritt. Fang ganz am Anfang an.«

Sie zögert kurz, schaut sich im Raum um, während sie sich die Frage durch den Kopf gehen lässt. Diese Angewohnheit werde ich ihr abgewöhnen müssen, bevor sie vor Gericht aussagt. »Vor etwa drei Wochen kam ich Freitagabend um circa 23 Uhr von einer Party nach Hause. Mein Stiefvater war sturzbetrunken.« Ihre Augen sind starr auf die Wand hinter mir gerichtet, während sie spricht. Ihre Stimme ist ganz sachlich, als würde sie das Wetter beschreiben. »Eigentlich hatte ich Hausarrest, also kam es in der Eingangshalle zu einem heftigen Streit. Ich war frech und er schlug zu.« Sie hebt eine Hand und berührt ihre Wange. »Fest. Mich hatte er vorher noch nie geschlagen, nur meine Mutter. Ich bin in mein Zimmer gestürmt. Ich hatte Angst, war aber auch echt angepisst … ähm, Entschuldigung … wütend. Und dann schau ich so in den Spiegel und sehe, dass mein Gesicht schon neben dem Auge anschwillt. Also beschließe ich, wieder nach unten zu gehen und etwas Eis draufzulegen. Ich holte mir ein Handtuch, in das ich das Eis reinlegen konnte, und hab meine Waffe unter dem Handtuch versteckt.«

»Deine Waffe?«, frage ich nach. »Wo hattest du die her?«

Sie zögert, senkt den Blick auf den Tisch. »Aus meinem Schlafzimmer.«

»Du hattest eine Waffe in deinem Schlafzimmer?«

»Mmm. Hab sie unter der Matratze versteckt. Hab sie mir ein paar Wochen vor jener Nacht besorgt. Sie hätten auch eine, wenn Sie mit ihm hätten zusammenleben müssen.«

»Wo hattest du sie her?«

»Von einem Freund.«

Ich lehne mich ein wenig vor. »Hat dein Freund auch einen Namen?«

Sie schiebt ein paar imaginäre Staubpartikel auf dem Tisch herum, während sie versucht zu entscheiden, ob sie mir trauen kann. »Kann ich nicht sagen.«

»Kannst du es nicht, oder willst du es nicht?«

»Will nicht.«

Ich beschließe, nicht weiter nachzubohren. Später vielleicht. Aber nicht jetzt. »Okay, was ist dann passiert?«

»Auf meinem Weg in die Küche laufe ich an James vorbei. Wahrscheinlich hätte ich einfach warten können, bis er ins Bett gegangen war oder so, aber ich wollte ihm zeigen, dass ich keine Angst vor ihm hatte.« Jetzt sieht Tara wieder auf – nicht zu mir, sondern fast durch mich hindurch, als würden sich die Ereignisse erneut vor ihrem geistigen Auge abspielen. »Ich hatte nicht vor, in ständiger Angst vor ihm zu leben, um ihn herumzuschleichen, wie es meine Mutter immer tut. Wie auch immer, als ich an ihm vorbeiging, sagte er: ›Was soll das werden?‹ oder so was in der Art. Ich ignorierte ihn; er hatte keine Antwort verdient. Dann sprang er einfach so von seinem Sessel auf, packte mich an der Schulter und riss mich herum. Ich sagte ihm, er solle mich loslassen, und hab ihm wahrscheinlich auch eine ganze Reihe von Schimpfwörtern an den Kopf geknallt. Da wurde er auf einmal voll aggressiv und schrie: ›So redet niemand mit mir.‹ Dann begann er mich mit beiden Händen zu würgen und rastete völlig aus. Ich meine, der hatte förmlich Schaum vorm Mund, seine Augen schienen ihm fast aus dem Kopf zu springen …«

Tara atmet jetzt schwer, ihre Augen sind weit aufgerissen, als sie das Schreckensszenario erneut durchlebt. »Ich kann nicht atmen; er drückt mir die Luft ab. Ich sage: ›Lass mich los‹, bringe aber keinen Ton über die Lippen, weil ich kaum atmen kann. Die ganze Zeit über habe ich noch die Waffe unter dem Handtuch in der Hand. Er zerrt mich ins Wohnzimmer, drückt noch fester zu –«

Mitten im Satz bricht sie ab, und ihr Blick richtet sich wieder auf mich. Es ist, als sei sie aus ihrer Trance erwacht und habe den Sprung zurück in die Gegenwart geschafft. Sie atmet tief aus und lehnt sich in ihrem Stuhl zurück.

»Was ist dann passiert?«, bohre ich nach.

»Ich habe abgedrückt. Der erste Schuss traf ihn in die Brust. Er ließ los und fiel auf ein Knie. Dann rappelte er sich langsam wieder auf, wie in einem dieser Horrorstreifen, da bin ich durchgedreht. Ich hab wieder auf ihn geschossen – direkt in den Kopf. Dieses Mal ging er zu Boden und stand nicht mehr auf. Hat sich nicht mal mehr gerührt.« Sie starrt mich aus den kältesten braunen Augen an, die ich je bei einem Teenager gesehen habe. »Und ich bin froh darüber.«

Dann schenkt sie mir ein hämisches, halbes Lächeln, und auf einmal wirkt das Mädchen sehr viel älter als sechzehn Jahre. »Aber keine Sorge«, sagt sie. »Das werde ich der Jury gegenüber nicht erwähnen.«

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2

Nachdem Tara und ihre Mutter gegangen sind, gebe ich meine Notizen und das Mandanten-Aufnahmeformular bei Bella an der Rezeption ab. Bella ist die strenge Empfangsdame, Buchhalterin und Sekretärin der Kanzlei. Sie ist alt, garstig, rundlich und loyal. Vom ersten Tag an hat sie für Brad gearbeitet. Ich bin eine der wenigen Personen auf diesem Planeten, mit der Bella klarkommt. Dafür bin ich dankbar.

Wir führen einen Dreimannladen. Brad hat schon viele Male versucht, einen Rechtsanwaltsgehilfen einzustellen, aber Bella vergrault sie alle. Seine letzte Angestellte, ein Feger namens Nikki Moreno, hätte Bella wahrscheinlich das Leben schwer machen können, entschied sich stattdessen aber, Jura zu studieren. Nikki war sowieso immer der Überzeugung gewesen, mehr Sachverstand als die Anwälte zu haben. In ein paar Jahren wird sie die Chance bekommen, das unter Beweis zu stellen.

Nur um Bella zu ärgern, ruft Nikki gelegentlich an und droht damit, bei uns als Anwältin einzusteigen. Diese Anrufe führen dazu, dass Bella für den Rest des Tages wirklich miese Laune hat.

»Hast du eine Anzahlung verlangt?«, fragt Bella mit ihrem ausgeprägten Brooklyn-Akzent. Sie schaut über den Rand ihrer Lesebrille zu mir hoch.

»Das Thema wollte ich beim nächsten Treffen ansprechen«, murmele ich.

Das Telefon klingelt. Ich muss wohl etwas bei jemandem da oben gut haben.

Bella nimmt den Anruf an, hält aber die Hand hoch, um mich davon abzuhalten, einfach zu verschwinden. Ihre Stimme wird zuckersüß – also handelt es sich wohl um eine Klage mit hohem Streitwert – und verspricht dem Anrufer, dass ich mich morgen früh als Erstes bei ihm melden werde. Sie legt auf und nimmt ihre Brille ab.

»Noch mal von vorn«, sagt sie. »Du hast dir eine Anzahlung geben lassen, nicht wahr?«

Ich zucke mit den Schultern und lächle sie schief an. »Ich verweigere die Aussage, um mich nicht selbst belasten zu müssen?«

Bella schüttelt den Kopf. »Weißt du überhaupt, wer dir da gegenübersaß? Wie reich sie ist?«

»Ich verweigere die Aussage aufgrund des Anwaltsgeheimnisses.«

»Leslie«, schimpft sie, »genau darauf will ich hinaus. Es gibt kein Anwaltsgeheimnis, bis du eine Anzahlung und einen unterschriebenen Vertrag in der Hand hältst. Mädchen, was hast du dir nur dabei gedacht?«

»Um ehrlich zu sein … dass ich mich mit diesem Fall übernommen habe.« Ich merke, dass ihr diese Demutsbekundung gefällt, und sehe, wie ihre Züge sanfter werden. »Wie hoch wäre der Vorschuss überhaupt, den wir für einen solchen Fall üblicherweise verlangen?«

»Nun«, erwidert Bella, die sich gerade offensichtlich für das Thema erwärmt, »angesichts der Tatsache, dass du Ms Tara Bannister bei einer Klage wegen Mordes vertrittst und dass Ms Tara Bannister die Tochter von Mrs Patricia Bannister ist, Erbin des gesamten Vermögens und Begünstigte der Versicherungen ihres Mannes, die mit Sicherheit mehrere Millionen Dollar wert sind, und man außerdem bedenkt, dass du echte Knochenarbeit leisten wirst in einer Zeit, in der du eigentlich viel lieber Hochzeitspläne schmieden würdest …« Wieder klingelt das Telefon. Bella drückt einen Knopf und stellt den Anrufer nach wer weiß wohin durch, »… würde ich sagen, nicht weniger als fünfundsiebzigtausend.«

Ich schlucke schwer. Bella gluckst. »Du solltest besser vorher üben, bevor du nach so großen Vorschüssen fragst, damit du nicht rot wirst, wenn du die Summe aussprichst«, rät sie. »Bei Strafsachen holt man sich sein Geld direkt, Süße, sonst kann man's gleich vergessen.«

»Ich werd's mir merken.« Ich bin schon ein paar Schritte den Flur runtergelaufen, als ich mich noch mal zur Empfangstheke umdrehe. Ich senke meine Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern, auch wenn außer uns niemand im Büro ist.

»Wie läuft's mit Operation Kirchturm?«, erkundige ich mich. Das ist der Codename, den wir unseren gemeinsamen Bemühungen verliehen haben, Brad zu einer kirchlichen Trauung zu bewegen. Sowohl für Brad als auch für mich wird es die zweite Ehe sein. Brads Frau verließ ihn noch während des Studiums. Bill, mein erster Ehemann, starb vor fast vier Jahren, viel zu jung, an Krebs. Brad will die Zeremonie so schlicht wie möglich halten. Für ihn heißt das vor einem Friedensrichter, in einem Gerichtssaal ohne Gäste. Er meint, es wäre für zwei Anwälte nur angemessen, sich vor Gericht trauen zu lassen.

Doch Bella bearbeitet ihn schon seit Längerem. Zuweilen scheint sie sogar noch vehementer als ich darauf zu bestehen, dass die Hochzeit in einer Kirche stattfindet. Bella hat vor Kurzem eine radikale geistliche Verwandlung durchlaufen. Ich habe die Veränderung bemerkt. Von einer kettenrauchenden Zynikerin, die der ganzen Welt grollte, zu einer kettenrauchenden wiedergeborenen Christin (die schwört, dass sie versucht aufzuhören). Bella ist sich dessen nicht bewusst, aber ich behalte sie im Auge. Bisher ist sie der beste Grund, der mir begegnet ist, um der Religion eine zweite Chance zu geben.

»Ich nerve ihn schon die ganze Woche damit«, sagt sie stolz. »Ich lass immer wieder kleine Hinweise vom Stapel, was Frauen bei ihrer Hochzeit gerne haben.« Dann zwinkert sie mir zu. »Heute Abend musst du überrascht tun.«

Ich beuge mich nach unten und umarme sie. Sie tut so, als hielte sie nichts von dieser Geste, doch ich bemerke ein kleines Lächeln. Bella kann mir nichts vormachen.

»Danke«, sage ich. »Und würde es dir was ausmachen, Ms Bannister anzurufen und sie über die Anzahlung in Kenntnis zu setzen?«

»Dachte schon, du würdest nie fragen«, erwidert Bella, die bereits dabei ist, die Nummer zu wählen.

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3

Erneut werfe ich einen Blick auf meine Uhr und lasse meinen Blick durch die Gastronomieebene des Einkaufzentrums schweifen. Wie üblich verspätet sich Brad. Ich hingegen lege großen Wert darauf, pünktlich zu sein. Ich stelle meine Uhr absichtlich fünf Minuten vor und versuche mir dann einzureden, dass sie nicht wirklich vorgeht. Warum also heirate ich einen Mann, der zeit seines Lebens niemals pünktlich war? Brad scheint außerhalb der Begrenzungen normaler Zeitzonen zu agieren, in der »Bradley Standard Time«, wie ich sie nenne. Wie auch immer man es bezeichnen will, es treibt mich in den Wahnsinn.

Ich habe extra mein Work-out im Fitnessstudio sausen lassen, um pünktlich zu sein. Eigentlich hatte ich einen Grund gesucht, dem StairMaster zu entkommen, und dieser war so gut wie jeder andere. Meine Work-outs sind in letzter Zeit zu einer echten Qual geworden. Ich schreibe das dem ganzen Stress zu. Ich bin mit langen Beinen und einer Körpergröße von 1,72 m gesegnet. Davon abgesehen trage ich Größe 36, bin aber wild entschlossen, in ein Hochzeitskleid in Größe 34 zu passen. Und ich bin keine geborene Sportlerin – ich lese lieber, als zu schwitzen. Trotzdem gebe ich jetzt Brad die Schuld dafür, dass ich meine Trainingseinheit verpasse. Ganz so, als wäre ich hoch motiviert ins Fitnessstudio gerannt, wenn ich nur gewusst hätte, dass er sich dermaßen verspäten würde.

Als ich Brad entdecke, wie er zwischen den Essensständen auf mich zuschlendert, zeichnet sich ein Lächeln auf meinem Gesicht ab. Dann erinnere ich mich daran, dass ich eigentlich sauer auf ihn bin.

Ich runzle die Stirn, als er näher kommt.

»Tut mir leid, dass ich zu spät bin«, sagt er.

Wieso kommt mir der Spruch nur so bekannt vor? Ich stehe auf und umarme ihn zurückhaltend.

Brad ist groß, etwa 1,87 Meter, mit dem drahtigen Körper eines Läufers. In den sechs Monaten, die wir uns kennen, habe ich versucht, ihn ein wenig zu mästen, aber nichts funktioniert. Er hat pechschwarzes Haar, einen Kiefer, der aussieht, als sei er aus Stein gemeißelt, und diese tief liegenden und durchdringenden, stahlblauen Augen, in die ich ganz vernarrt bin. Auch wenn nie wieder ein Wort über seine Lippen kommen würde, könnten diese Augen jedes seiner Gefühle zum Ausdruck bringen.

Die Leute sagen, wir würden perfekt zueinanderpassen. Ich sehe das nicht. Ich bin einfach nur froh, dass ich ihn habe.

Aber fürs Erste hat er sich eine unterkühlte Begrüßung verdient.

»Lass uns was essen«, sage ich. »Ich verhungere fast.«

»Okay, aber erst muss ich noch was loswerden.« Er fasst mich an beiden Armen und zieht mich sanft in den Stuhl neben sich. Er nimmt meine Hand und lässt seinen ganzen Charme spielen.

»Als Erstes möchte ich sagen, dass es mir leidtut, dass ich so spät dran bin. Die eidesstattlichen Vernehmungen haben bis 17 Uhr gedauert; dann musste ich für morgen eine Aussage mit einem Zeugen durchgehen, der echt viel Nachhilfe brauchte; dann noch der Verkehr –«

»Ich bin nicht sauer«, unterbreche ich ihn. »Es ist nur, dass es jedes Mal etwas anderes ist.«

»Ich weiß. Ich weiß.« Er lächelt. Er weiß, dass ich diesem Lächeln nicht widerstehen kann. »Aber das solltest du dir anhören«, sagt er, während er sich vorlehnt. Seine Begeisterung ist ansteckend, und meine Stirn glättet sich. »Ich habe über diese Sache mit der kirchlichen Trauung nachgedacht. Und ich habe eine Idee.«

Jetzt hat er meine volle Aufmerksamkeit. Ich bereite mich darauf vor, die Überraschte zu spielen.

»Ich will wirklich, dass diese Hochzeit etwas ganz Besonderes für dich wird«, fährt er fort. Er redet schnell, nicht in der Lage, seine Begeisterung zu verbergen. »Und ich weiß, dass du in einer Kirche getraut werden möchtest. Aber du bist erst vor ein paar Monaten nach Virginia Beach gezogen, und ich gehöre hier keiner Kirche an. Also war ich nicht besonders angetan von dem Gedanken, in irgendeiner fremden Kirche zu heiraten, die uns beiden nichts bedeutet.«

Ich nicke. Ich halte die Luft an.

»Aber all mein Gerede, von einem Friedensrichter getraut zu werden, war nur ein Bluff«, gesteht er. »Auch ich wollte unbedingt etwas ganz Besonderes machen, und daran habe ich die ganze Zeit gearbeitet. Ich habe nur nichts gesagt, weil ich nicht wollte, dass du enttäuscht bist, wenn es nicht klappt.« Er hält inne. Deswegen ist er so gut im Umgang mit den Geschworenen. Er schafft es, die Leute in seinen Bann zu ziehen, die Spannung hinauszuziehen. »Bist du bereit?«, fragt er.

»Nein, lass uns einfach was vom Chinesen holen; wir können später noch darüber reden«, ziehe ich ihn auf. Ich bin im Begriff aufzustehen, aber er drückt meine Hand und zieht mich wieder runter.

»Für unseren Hochzeitstermin am 5. August habe ich ein paar Beziehungen spielen lassen und die Bruton Parish in Williamsburg gemietet!«

Normalerweise rühme ich mich dafür, immer cool zu bleiben. Doch dieses Mal hat er es geschafft! Wow. Ich bin fassungslos. Sprachlos. Die Bruton Parish Church ist die wunderschön restaurierte alte Kirche im Herzen von Colonial Williamsburg, dem historischen Teil der Stadt, in dem Brad und ich uns kennengelernt haben. Ich wusste nicht einmal, dass die Gemeinde sie für Hochzeiten vermietet, geschweige denn so kurzfristig. Geschweige denn an uns.

Das ist der perfekte Ort.

»Du hast was?«, frage ich. Ich will es nur noch einmal hören.

»Ich habe die Bruton Parish für den 5. August reserviert und gemietet«, wiederholt er, über das ganze Gesicht grinsend.

»Wie?«, frage ich. Brad ist fünfunddreißig und seit elf Jahren als Anwalt tätig. Es scheint, als würde jeder, dem ich begegne, ihm einen Gefallen schulden.

»Ich habe ihnen einfach ein Foto von meiner zukünftigen Braut gezeigt. Da haben sie gesagt, dass jemand, der so schön ist wie du, es verdient, in der schönsten Kirche Virginias getraut zu werden.«

Ich rolle mit den Augen, lehne mich vor und gebe ihm einen Kuss. Wie soll ich so einem Kerl auch länger böse sein?

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4

Als wir fast mit dem Abendessen fertig sind, wendet sich unser Gespräch dem neuen Fall zu.

»Also weißt du, wer James Bannister ist?«, fragt Brad.

»War«, korrigiere ich ihn, während ich das letzte bisschen Reis auf meinem Pappteller zusammenkratze. »Er war der Vorstandsvorsitzende von TalkNet.«

»Sehr gut«, erwidert er. Eine Pause, dann: »Wie sind wir an diesen Fall gekommen?«

Ich kaue meinen letzten Bissen zu Ende und wische mir schnell mit der Serviette über den Mund, bevor ich antworte. »Ein Anwalt für Familienrecht hat sie vor ein paar Wochen bei der Anklageverlesung vor dem Jugend- und Familiengericht vertreten. Er ist kein besonders guter Strafverteidiger, wollte sich aber anscheinend einen Namen machen. Der Bezirksstaatsanwalt von Virginia Beach, Harlan Fowler, hat den Kerl ganz schön in die Mangel genommen, sodass dieser schnell einen Rückzieher gemacht hat. Wie es scheint, waren Fowler und Bannister Kumpels.«

Brad zieht die Augenbrauen hoch.

»Mrs Bannister kam eigentlich in die Kanzlei, um dich zu engagieren, aber ich glaube, dass Tara gerne mich als Verteidigerin hätte. Sie hält mich für hipper. Traut keinem über dreißig.« Ich grinse hämisch, weil ich weiß, wie sehr es Brad ärgert, wenn ich ihn wegen seines Alters aufziehe. Außerdem weiß ich genau, dass er sofort die Führung in dem Fall übernehmen wird, sobald er diesen albernen Fall vor dem Bundesgericht hinter sich gebracht hat, der ihn momentan voll in Beschlag nimmt.

»Gut«, sagt er, »denn es ist dein Fall. Bis zur Hochzeit hab ich alle Hände voll zu tun. Wie du schon sagtest, hast du sowieso den besseren Stand bei ihr.«

»Das war doch nur Spaß, Brad. Ich kann diesen Fall nicht allein bewältigen. Trish Bannister ist in die Kanzlei gekommen, um dich zu engagieren. Ich hingegen versuche immer noch herauszufinden, warum der Richter immer diesen kleinen Hammer dabeihat. Das Leben dieses Mädchens steht auf dem Spiel, und ich bin nicht bereit, sie zu meinem persönlichen Versuchskaninchen zu machen.«

Ich neige den Kopf zur Seite und präsentiere ihm »den Blick«. Meinen traurigen und niedergeschlagenen, himmelblauen Augen kann er nicht widerstehen, vor allem nicht in Kombination mit den nervös zusammengepressten Lippen. Diese Nummer zaubere ich nur für die wirklich wichtigen Anliegen aus dem Hut. Wird sie zu oft eingesetzt, verliert sie ihre Wirkung.

»Nicht Trish Bannister ist die Mandantin, sondern ihre Tochter.«

Was? Verliert der Blick etwa seinen Zauber?

»Ich werde dich bei jedem Schritt unterstützen«, verspricht mein Verlobter, »aber du wirst der führende Rechtsbeistand sein.« Ich will gerade protestieren, doch er hält seine Hand hoch. »Du schaffst das, Leslie. Ich habe dich vor Gericht erlebt, als du mir während deines Studiums assistiert und mich in der Verhandlung des Sarah-Reed-Falls unterstützt hast. Als Jurastudentin warst du besser als die meisten Anwälte mit jahrelanger Erfahrung. Und vor allem sehr viel besser als du dir selbst zugestehst.«

Ein weiteres Talent von Brad, dem Strafverteidiger. Er kann dich zu allem überreden. »Ich weiß nicht«, erwidere ich, allerdings mit schwindender Überzeugung. Insgeheim würde ich mich sehr gerne dieser Herausforderung stellen.

»Schau mal«, meint Brad, »wenn du ein sechzehnjähriges Mädchen wärst, das wegen Mordes vor Gericht gestellt wird, und deine Verteidigung lauten würde, dass dein verrückter alter Herr versucht hat, dich zu töten, und du wüsstest, dass du alle Frauen in der Jury für dich gewinnen musst – würdest du da lieber eine wunderschöne und brillante junge Anwältin engagieren oder einen Mann mittleren Alters, der wahrscheinlich selbst seine Frau misshandelt, sobald er eine findet, die willens ist, ihn zu heiraten?«

Bevor ich ihm antworten kann, hat er sich schon in seine Rede hineingesteigert. »Du hast mitbekommen, wie man die Rassenkarte ausspielt, Leslie. Nun, wir werden die Geschlechtskarte ausspielen. Die Tochter rächt die misshandelte Mutter. Selbst wenn ich Zeit hätte, den Fall zu übernehmen, würde ich darauf bestehen, dass du es versuchst.«

Kein schlechtes Argument. Aber das muss ich ja nicht zugeben. »Wenn mein Leben vor Gericht auf dem Spiel stünde, würde ich von jemandem vertreten werden wollen, der weiß an welchen Tisch er sich im Gerichtssaal setzen muss«, erwidere ich.

Nachdenklich reibt er sich das Kinn, als wüsste er es auch nicht. Ich werfe ihm angesichts dieses albernen Verhaltens einen missbilligenden Blick zu, und er wird wieder ernst.

»Wie auch immer,«, sagt er, »der Fall landet wahrscheinlich sowieso nie vor einem Geschworenengericht. Wenn Harlan Fowler auch nur einen Funken Verstand besitzt, wird er ihn einem seiner Lakaien übertragen und den Fall mit einem Deal außergerichtlich klären lassen. Wenn er ein Freund der Familie ist, wird er sie nicht durch den Dreck ziehen wollen.«

Er hört auf zu reden, doch ich habe nichts zu erwidern. Meiner Meinung nach werden wir früh genug herausfinden, was Fowler vorhat. Ich habe genug von der Fachsimpelei. Mir geht noch immer die Bruton Parish durch den Kopf.

»Wie hast du das nur angestellt?«, frage ich erneut. »Ich meine, Bruton Parish!« Eigentlich erwarte ich gar keine ernst gemeinte Antwort, die ich auch nicht bekomme.

»Eine meiner vielen Exfreundinnen hat mir noch einen Gefallen geschuldet.«

Die folgende Stunde schlendern wir Händchen haltend durch das Einkaufszentrum und unterhalten uns. Mir fällt es schwer, mit den langen Schritten des Mannes mitzuhalten, der mir wortwörtlich den Atem raubt. Brad versucht mir ein paar Sachen zu kaufen, was ich ihm aber nicht gestatte.

Auf dem Parkplatz verabschieden wir uns mit einem langen Kuss. Wie fast jeden Abend fragt er mich, ob ich mit zu ihm kommen will. Wie fast jeden Abend lehne ich höflich ab.

Ich steige in meinen Wagen und fahre zu der kleinen, uralten Doppelhaushälfte, die ich in dem dicht besiedelten Viertel Green Run gemietet habe. Brad kennt den Vermieter, hat einen guten Preis bei der Miete rausgeschlagen und mich davon überzeugt, dass eine abgelegene Seitenstraße sicherer und ruhiger als eine Wohnanlage wäre. Ruhig? Anscheinend hat er noch nie Bekanntschaft mit der Familie nebenan gemacht, zu der auch zwei Kindergartenkinder gehören. Dennoch ist es nur eine vorübergehende Bleibe, bis wir verheiratet sind. Außerdem hat Brad mir angeboten, dass ich jederzeit in seinem riesigen Kolonialstil-Haus am Lynnhaven River unterkommen kann, wenn es mir hier zu laut wird.

Bisher habe ich ihn nur tagsüber dort besucht. Wir haben einander vor Monaten versprochen, dass wir bis zu unserer Hochzeitsnacht warten würden. Es ist ein Versprechen, das unsere Liebe auf seltsame Weise stärkt und demonstriert, wie ernst wir es miteinander meinen. Das ist auch der Grund, warum ich sein Haus nachts meide. Nicht, dass ich ihm nicht trauen würde. Eher ist es so, dass ich mir selbst nicht traue. Besonders nicht an einem Abend wie diesem. Schließlich hat dieser Mann gerade Bruton Parish für unsere Hochzeit requiriert.

Ich liege die halbe Nacht wach. Während der anderen Hälfte träume ich von einer altmodischen Hochzeit in Colonial Williamsburg in der Bruton Parish Church und habe Albträume von einem blassen blonden Mädchen, das in Fußeisen die Straße hinunter zu dem alten Kolonialgefängnis gezerrt wird.

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5

Es dauert nicht lange herauszufinden, welchen Standpunkt Harlan Fowler in diesem Fall vertritt. Zwei Tage später, am Donnerstagmorgen, erhalte ich einen Anruf von seiner Sekretärin, die mich in seinem Namen um ein Treffen noch am selben Nachmittag bittet. Ich lege den Termin für 17.30 Uhr fest, damit Brad nach der Aufnahme der eidesstattlichen Aussagen ebenfalls daran teilnehmen kann. Die Sekretärin scheint damit nicht sonderlich glücklich zu sein. Mir drängt sich der Verdacht auf, dass der Staatsanwalt um 17 Uhr normalerweise schon auf dem Weg nach Hause ist.

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