Die Vision - Randy Singer - E-Book

Die Vision E-Book

Randy Singer

4,8

Beschreibung

Gibt es eine höhere Macht – als Recht und Gesetz? Catherine O'Rourke – live aus dem Gerichtssaal. Der jüngste Vergewaltigungs-Fall raubt der Reporterin den Atem. Als sie dann noch Details der jüngsten Kindsentführungen haargenau beschreibt, hat sie die Polizei am Hals. Woher kennt sie den Bibelvers, den "Der Rächer" am Tatort hinterlässt? Gibt es übernatürliche "Visionen"? Schließlich weiß sie selbst nicht mehr, ob sie wirklich unschuldig ist. Kann ihr Anwalt Quinn Newberg sie für unzurechnungsfähig erklären? Ist Selbstjustiz eine Lösung? Ein rasanter Thriller über Recht, Gerechtigkeit und die Grauzonen unseres Rechtssystems. "Elegante Perspektiv-Wechsel, zackige Dialoge, überraschender Witz" Publishers' Weekly "Im Mittelpunkt der rasanten Handlung liegen ethische Zwickmühlen, die zu Singers Markenzeichen geworden sind. ... aber auch für sich genommen ist es ein aufregender Thriller. Mary Frances Wilkens, Booklist

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Randy Singer

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Bestell-Nr. 394.957

ISBN 978-3-7751-4957-0 (lieferbare Buchausgabe)

ISBN 978-3-7751-7013-0 (E-Book)

Datenkonvertierung E-Book:

Fischer, Knoblauch & Co. Medienproduktionsgesellschaft mbH, 80801 München

© Copyright der Originalausgabe 2008 by Randy Singer

Published by Tyndale House Publishers Inc.

Originally published in English under the title: By Reason of Insanity

All rights reserved. This Licensed Work published under license.

© Copyright der deutschen Ausgabe 2009 by

SCM Hänssler im SCM-Verlag GmbH & Co. KG · 71088 Holzgerlingen

Internet: www.scm-haenssler.de

E-Mail: [email protected]

Übersetzung: Karen Gerwig

Umschlaggestaltung: oha werbeagentur gmbh, Grabs, Schweiz;

www.oha-werbeagentur.ch

Titelbild: istockphoto.de

Satz: Satz & Medien Wieser, Stolberg

Druck und Bindung: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

Printed in Germany

Soweit nicht anders angegeben, sind die Bibelverse folgender Ausgabe entnommen:

Neues Leben. Die Bibel, © Copyright der deutschen Ausgabe 2002 und 2006 by SCM Hänssler, D-71087 Holzgerlingen.

Folgende Bibelverse sind zitiert nach der Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart: Kap. 8: 2. Mose 20,5; Kap. 13: Mt 23,27; Ps 11,3; Kap. 16: vgl. 2. Mose 20,5; Kap. 18: Jes 14,20f.; Kap. 19: vgl. 2. Mose 20,5; Kap. 28: Jer 31,29; Kap. 62:4. Mose 35,21; Kap. 94: 2. Mose 20,5; Kap. 109: Joh 15,13.

Folgende Bibelverse sind zitiert nach der Elberfelder Bibel 2006, © 2006 by SCM R.Brockhaus · Bodenborn 43 · 58452 Witten.: Kap. 11: Lk 11,52.

Stimmen zu Randy Singer

Über die amerikanische Ausgabe von Die Vision

»Elegante Perspektiv-Wechsel, zackige Dialoge, überraschender Witz.«

Publishers’ Weekly

»Im Mittelpunkt der rasanten Handlung liegen ethische Zwickmühlen, die zu Singers Markenzeichen geworden sind … ein aufregender Thriller.«

Mary Frances Wilkens, Booklist

Über Der Jurist

»Mit diesem fesselnden Justizthriller, den ich einfach nicht aus der Hand legen konnte, beweist Singer sich als der christliche John Grisham.«

Publishers’ Weekly über Der Jurist

»Der Jurist ist ein fesselndes und herausforderndes Buch … Teils Detektivgeschichte, teils Justizthriller – ich konnte es nicht aus der Hand legen!«

Shaunti Feldhahn, Bestsellerautorin, Rednerin und Kolumnistin

Über andere Romane von Randy Singer

»Gut gezeichnete Charaktere und interessante Dialoge verbinden sich zu diesem Thriller, den man schwer aus der Hand legen kann.«

Faithfulreader.com über The Cross Examination of Oliver Finney

»[Singer] ist mindestens so unterhaltsam wie John Grisham.«

Publishers’ Weekly über Self Incrimination

»Singer … feiert wieder einmal Erfolge mit seinem spannenden, intelligenten Thriller … [Dying Declaration] ist ein bahnbrechendes Buch für den christlichen Markt. … Singer ist eindeutig ein vielversprechender Romanautor, den man sich merken sollte.«

Publishers’ Weekly

»Singer … besitzt eine frische Herangehensweise an den Justizthriller, mit subtilen Charakterisierungen und nuancierten Darstellungen ethischer Fragen.«

Booklist über Dying Declaration

»Singer … wird mit jedem Roman besser, und er übertrifft sich selbst mit Dying Declaration.«

Faithfulreader.com

»Singer liefert einen Grisham-artigen Handlungsstrang, gestützt von einer Weltsicht, die die Zwangslagen veranschaulicht, die uns täglich bombardieren. Dieses Buch müssen Sie lesen!«

Hugh Hewitt, Autor, Kolumnist und Radiomoderator

der in Amerika landesweit ausgestrahlten

Hugh Hewitt Show über Dying Declaration

»Ein Justizthriller, der es locker mit Grisham aufnehmen kann.«

Christian Fiction Review über Irreparable Harm

»Realistisch und fesselnd – Directed Verdict ist eine packende Geschichte über die verfolgte Kirche und diejenigen, die für weltweite Religionsfreiheit kämpfen.«

Jay Sekulow, leitender Anwalt

des American Center for Law and Justice

»Randy Singers Roman über internationale Machenschaften, ein Gerichtsdrama von fesselnder Spannung, fordert die Leser heraus, Glaubens- und Ethikfragen zu revidieren. Directed Verdict ist eine passende Geschichte für Zeiten wie diese.«

Jerry W. Kilgore, Generalbundesanwalt von Virginia

Teil I

Das Gesetz

Gesetz: In einem allgemeinen Sinne die von einem Organ des Gemeinwesens gesetzte Regel, die rechtsverbindlich und für die Zukunft das Zusammenleben ordnet.

Der Brockhaus: »Recht«

1

Quinn Newberg erhob sich, um sich ein letztes Mal den Geschworenen zuzuwenden. Der Druck, den dieser Fall auf ihn ausübte, schnürte ihm die Brust ein und pochte in seinen Schläfen. Er musste sich daran erinnern, dass er das Folgende in der Vergangenheit bereits achtzig Mal gemacht hatte – mit brillanten Ergebnissen: »Juristische Zauberkunst« hatte es eine Tageszeitung genannt. Geschworene lieben mich.

Doch er konnte Dr. Rosemarie Mancinis Worte des vorherigen Abends nicht abschütteln, nachdem sich seine couragierte Sachverständige eine Trockenübung von Quinns Schlussplädoyer angehört hatte: »Die ganze Welt hasst Plädoyers auf Unzurechnungsfähigkeit«, sagte sie. »Fünfundneunzig Prozent dieser Fälle enden mit Schuldsprüchen.« Sie lächelte gezwungen. »Unter anderem sogar ein paar, in denen ich ausgesagt habe, ob Sie es glauben oder nicht.«

»Haben Sie einen Rat für mich?«, hatte Quinn gefragt. »Oder nur Schreckensstatistiken?«

»Machen Sie für die Geschworenen den Schmerz fühlbar«, sagte Rosemarie leise. »Werfen Sie Ihre Notizen weg.« Sie musste Quinns Widerstreben gespürt haben, seinen Unwillen, sie auch nur anzusehen, während er darüber nachdachte. Ohne Notizen konnte er auskommen, aber er hegte keineswegs den Wunsch, Annie ihren Albtraum noch einmal durchleben zu lassen. »Es ist unsere einzige Chance«, sagte Rosemarie.

Diese Worte hallten in Quinn wider, während er sich mit leeren Händen der Geschworenenbank näherte, tief Luft holte und die Augen schloss, um seine Gedanken zu sammeln. Er öffnete sie wieder und sah die Geschworenen an – seine Geschworenen. Er hörte den Richter seinen Namen sagen. Die Stimme kam wie vom Ende eines langen Tunnels. Ein weiterer Augenblick verging, die Stille des Gerichtssaals glich der Stille eines feuchtkalten Hauses in der Bridge Street vor über zwei Jahrzehnten.

Schon bevor er sein erstes Wort sagte, begann er auf und ab zu gehen. Rosemarie hatte recht – ein guter Anwalt würde damit beginnen, die Szene zu beschreiben. Aber ein großartiger Anwalt würde noch mehr tun. Ein großartiger Anwalt würde sie dorthin mitnehmen …

Als Annie dreizehn wird, kommt ihr Vater bereits seit fast einem Jahr zu ihr ins Bett. Feiertage sind immer am schlimmsten, denn sie bieten Annies Vater die Ausrede zu trinken. Thanksgiving, Weihnachten, der Neujahrsabend, der Volkstrauertag – sie enden alle gleich. So wie diese Nacht es zweifellos tun würde: 4. Juli 1986. Der Unabhängigkeitstag.

Annie geht früh zu Bett – ihr ganz persönlicher Feiertagsbrauch – und hofft, ihren Vater nicht nach Hause kommen zu sehen. Sie lässt das Licht in ihrem Zimmer an und betet für ein Wunder. Einen Autounfall. Einen Herzinfarkt. Einen Straßenräuber, der zu weit geht.

Sie betet, dass ihr Vater heute Abend sterben möge.

Die Antwort auf ihr Gebet, dieselbe Antwort, die sie so viele Male zuvor bekommen hat, kommt ein paar Minuten nach Mitternacht. Sie hört das Geräusch von Autoreifen auf der Kieseinfahrt. Sie hört durch die dünnen Wände des kleinen Hauses, wie der Motor ausgeht und die Fahrertür zuschlägt. Ihr Vater kommt durch die Waschküche herein, die schweren Schritte führen ihn in die Küche.

Wie versteinert liegt Annie im Bett und starrt an die Zimmerdecke, die Bettdecke bis zum Kinn hochgezogen. Sie hört den Fernseher. Das Klappern von Geschirr. Gemurmelte Flüche.

Eine Stunde herrscht Stille, während ihr Vater vermutlich im Fernsehsessel schläft, doch Annie schläft nicht. Schließlich rührt er sich und wacht auf. Er schleppt sich die Treppe herauf, seine Schritte und sein mühsames Atmen werden von der Stille des Hauses noch verstärkt. Sie riecht ihn. Obwohl sie weiß, dass es unmöglich ist, weil die Tür zu ihrem Zimmer geschlossen und ihr Vater erst auf halber Höhe der Treppe ist, riecht sie ihn. Abgestandenes Bier im Atem ihres Vaters. Der ekelhafte Geruch nach dem Schweiß eines erwachsenen Mannes. Der Gestank von Zigaretten und ein Hauch Aftershave.

Manchmal kommt er direkt zu Annies Zimmer. Falls er es tut, wird Annie nicht nach ihrer Mutter rufen. Wenn Annie in der Vergangenheit nach ihr rief, misshandelte der Vater ihre Mutter zuerst. Wenn er dann zu Annie zurückkam, war es noch schlimmer.

In dieser Nacht geht er an Annies Tür vorbei und in sein eigenes Schlafzimmer. Manchmal bleibt er dort. Aber manchmal, so wie heute, hört man gedämpftes Geschrei. Ihre Mutter fleht. Annie hört das Geräusch von Fäusten auf Knochen. Annie will ihrer Mutter zu Hilfe rennen, doch das hat sie auch schon versucht. Es verärgert ihren Vater nur noch mehr. Einmal warf er Annie zu Boden und zwang sie zuzusehen, wie er ihre Mutter schlug. Er nannte es eine Lektion in Gehorsam. Ein anderes Mal, als Annie die Polizei rief, verteidigte ihre Mutter ihren Vater. Die blauen Flecke seien ein Unfall gewesen, sagte ihre Mutter. »Ich bin die Treppe hinuntergefallen.«

Heute hört sie wütendes Geschrei, bis es plötzlich aufhört. Ihre Mutter wird wohl bewusstlos sein und weitere Schmerzen nicht mehr mitbekommen. Die Stille hängt in der Luft wie die Klinge einer Guillotine.

Augenblicke später hört Annie, wie die Schlafzimmertür ihrer Eltern quietschend aufgeht. Stolpernde Schritte kommen durch den Flur immer näher. Sie hofft, dass ihr zehnjähriger Bruder heute Abend nicht versuchen wird, den Helden zu spielen. Sie denkt an die Schläge, die er letztes Mal über sich ergehen lassen musste, als er einzugreifen versuchte. Nachdem er den Jungen überwältigt hatte, zwang ihn ihr Vater, die Hose auszuziehen, während der alte Mann seinen Gürtel abnahm. Er kündigte an, Annies Bruder auszupeitschen, bis er weinte. Ihr Bruder, stur wie der alte Mann, weigerte sich zu weinen.

Annie hört, wie sich der Türknauf dreht und schließt die Augen. Der Geruch ist jetzt real. Sie riecht ihren Vater auf der Türschwelle, wie er einen perversen Augenblick lang schwer atmend dort verharrt. Er schaltet das Licht aus. Selbst mit geschlossenen Augen spürt Annie, wie die Dunkelheit tiefer wird, und das Entsetzen überwältigt sie.

2

Quinn blieb stehen und wandte sich den Geschworenen zu, während er versuchte, die Gefühle hinunterzuschlucken, die ihn zu überwältigen drohten. Er schluckte, einmal, zweimal … aber er konnte den Kloß in seinem Hals nicht auflösen oder das leichte Zittern in seiner Stimme beruhigen. Er wusste, er war kurz davor, die Beherrschung zu verlieren, direkt hier im Gerichtssaal, vor aller Augen. In der Vergangenheit hatte er Geschworene zum Weinen gebracht oder sogar selbst ein paar künstliche Tränen hervorgepresst. Aber dieses Mal waren die Tränen echt.

Quinn Newberg, der juristische Magier, stand in Gefahr, sein Schlussplädoyer nicht beenden zu können. Der Geschworenen Nummer fünf, eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern, standen ebenfalls die Tränen in den Augen. Sämtliche Geschworene starrten Quinn unverwandt an. Der Gerichtssaal war so still wie das Haus, das Quinn eben beschrieben hatte.

Langsam kehrte Quinn an seinen Anwaltstisch zurück und legte seiner Mandantin behutsam eine Hand auf die Schulter. Sie hatte den Prozess über stoisch dagesessen, doch jetzt spürte er Annies leises Schluchzen, das leichte Zittern ihrer Schulter. Sie tupfte sich mit einem zerschlissenen Taschentuch die Tränen weg.

»Wer kann auch nur ansatzweise verstehen, was solch ein Missbrauch mit der Seele eines jungen Mädchens anstellt? Mit ihrem Geist? Mit ihrer Psyche? Das Zuhause sollte eigentlich ein sicherer Ort sein. Ein Vater sollte ein Beschützer sein.« Quinn hatte seine Selbstkontrolle wiedergewonnen, hielt die Schulter seiner Mandantin und wandte sich wieder in Richtung Gerichtssaal, ohne den Blick von den Geschworenen abzuwenden.

»Wenn sie ihren Vater in dieser Nacht, am 4. Juli 1986, in Notwehr erschossen hätte – wer hätte sie verurteilen wollen? Wer wäre so dreist gewesen, sie des Mordes anzuklagen?«

Quinn senkte die Stimme und sah forschend in die Gesichter der Geschworenen. »Sie haben die Aussage von Dr. Rosemarie Mancini gehört«, sagte er mit einer Geste zum Zeugenstand. Er wusste, sie hatten seine zierliche, aber extravagante psychiatrische Sachverständige noch vor Augen. Ihr scharfer Verstand und ihr sicheres Auftreten hatten den ganzen Gerichtssaal gefesselt. »Dr. Mancini hat ausgeführt, dass Annie tat, was die meisten Kinder getan hätten – sie verdrängte diese schrecklichen Taten und schottete sie geistig ab. Sie schuf sich eine alternative Realität, selbst während ihr Vater sie missbrauchte – eine Traumwelt, in die ihr Geist fliehen und die Schrecken des Missbrauchs hinter sich lassen konnte.«

Quinn stand jetzt vor der Jury, so dicht, dass er die Hand ausstrecken und das Geländer berühren konnte. »Manche Leute sagen, die meisten Frauen heiraten Männer, die genauso sind wie ihre Väter. In Annies Fall stimmt das. Blind vor Liebe schenkte sie sich Richard Hofstetter Jr., einem zwölf Jahre älteren Mann. Er konnte sehr charmant sein und sie fiel darauf herein. Und ja, sie ging ihm seines Geldes wegen auf den Leim. Er sollte das Las-Vegas-Imperium seines Vaters erben. Annie wusste, dass er jähzornig war, aber niemand ist perfekt. Und er hatte nie die Stimme gegen Annie erhoben, zumindest nicht, bis Annie und ihre zehnjährige Tochter Sierra auf das Hofstetter-Anwesen zogen.«

Quinn griff nach unten und nahm eine Plakattafel hoch, die am Geländer der Geschworenenbank lehnte. Er stellte sie auf die Staffelei und zeigte große Fotos von Annies Gesicht nach ihrem zweiten Anruf wegen häuslicher Gewalt. »Sie erinnern sich an die Zeugenaussage zu diesem Anruf bei der Polizei«, sagte er. Seine Stimme blieb gefasst, doch er spürte, wie sein Blutdruck stieg. »Richard machte selbst auch ein paar Anrufe, bevor die Polizei ankam. Eines muss ich ihm lassen – der Mann hatte Beziehungen. Er flehte Annie an, ihm zu vergeben. Er versprach, zur Beratung zu gehen. Die Polizisten verhafteten Richard nicht, sondern waren einverstanden, das Paar seine Probleme selbst lösen zu lassen.« Quinn schüttelte angewidert den Kopf. »Wir haben gesehen, wie gut das funktioniert hat.«

Er spürte, dass die Jury langsam müde wurde. Sie saßen schon drei ganze Wochen an diesem Fall. Jetzt würde es vermutlich mehr schaden als nützen, wenn er sämtliche Beweise wiederkäute.

»Und Sie wissen aus der Zeugenaussage, dass es nicht nur der körperliche Missbrauch war«, fuhr Quinn fort. »Hofstetter flirtete direkt vor Annies Nase mit anderen Frauen – und demütigte sie damit absichtlich. Er drohte, sie durch ein jüngeres, ein schlaueres Model zu ersetzen. Zu ihrem zweiunddreißigsten Geburtstag schenkte er Annie einen Termin bei einem Schönheitschirurgen.

Es ist ein Wunder, dass sie nicht schon früher ausgerastet ist – was Dr. Mancini als psychotischen Ausbruch bezeichnet hat. Die Staatsanwaltschaft sagt, sie hätte sich an das System wenden müssen. Sie hätte eine Familienschutzorganisation in Anspruch nehmen können. Sie hätte die Scheidung einreichen sollen.

Aber Sie denken nicht rational, wenn Ihre dreizehnjährige Tochter sagt, ihr Stiefvater hätte ihre Geschlechtsteile berührt. Vielleicht können Sie Ihren eigenen Missbrauch durch Ihren Ehemann ertragen, aber Sie können nicht zulassen, dass er Ihre Tochter verletzt, wie er Sie verletzt hat. Ihre Vergangenheit überrollt Sie mit voller Wucht – diese Nächte, in denen Sie Gott angefleht haben, dass es aufhören möge. Sie dachten, Sie hätten die schmerzhaften Erinnerungen verarbeitet, aber Sie hatten sie nur für eine Weile weggesperrt. Und jetzt füttert Ihr Ehemann das Monster aus der Vergangenheit jedes Mal, wenn er Sie missbraucht, jedes Mal, wenn er Sie in der Öffentlichkeit erniedrigt. Das Monster wächst und die Wut zehrt von sich selbst. Sie sperren die Scham und die Demütigung in denselben Käfig und machen das Monster nur noch stärker.«

Quinn sprach jetzt schneller, die Worte sprudelten aus ihm heraus in einer improvisierten Sturzflut, die aus seiner eigenen schwierigen Vergangenheit floss. »Sie halten das Monster unter Kontrolle, bis Ihr Ehemann das Eine bedroht, das Ihnen lieb ist, die eine reine Sache in Ihrem Leben, das Einzige, für das es sich zu leben lohnt. Die Wut und Angst fressen Sie auf und überwältigen Ihre Hemmungen, bis Sie zu dem Monster werden, das Ihr Vater und Ihr Ehemann geschaffen haben. Sie müssen handeln. Sie müssen Ihr Kind schützen. Sie müssen tun, was Ihre eigene Mutter nicht konnte. Für Sierra müssen Sie dafür sorgen, dass es aufhört!«

Er machte eine Pause und senkte die Stimme: »Und Sie tun es.«

Instinktiv tat Quinn etwas, womit er jegliche Regel der Anwaltskunst brach – etwas, das sämtlichen Verteidigungsstrategien, die er je gelernt hatte, zuwiderlief. Er griff nach der Plakattafel mit den beiden großen Fotos des Opfers. Das erste zeigte eine blutige Nahaufnahme von Richard Hofstetters Gesicht – die Eintrittswunde in der Stirn, wie bei einer Exekution. Laut Annies Geständnis hatte sie ihn hinknien und um sein Leben betteln lassen. Erst dann hatte sie abgedrückt. Das zweite Foto zeigte Hofstetter auf dem Wohnzimmerboden in einer Lache seines eigenen Blutes liegen. Er stellte die beiden Fotos nebeneinander auf die Staffelei.

»Wollen Sie eine Mutter dafür bestrafen, dass sie ihre Tochter geschützt hat?«, fragte Quinn. »Wollen Sie dieses missbrauchte dreizehnjährige Mädchen dafür bestrafen, dass es schließlich, zweiundzwanzig Jahre später, die Waffe gegen diesen Missbrauchstäter richtet? Wie Sie von Dr. Mancini gehört haben, verschmolzen in diesem Schlüsselmoment in Annies Leben all ihre voneinander getrennten Realitäten zu einer explosiven Mischung. Das kleine Mädchen und die schützende Mutter, die harte Realität der Vergangenheit und die Gegenwart kollidieren miteinander, die reale Welt verschmilzt mit einer Traumwelt von scheinbarer Gerechtigkeit.

Hat meine Mandantin abgedrückt? Ja. Aber ist sie schuldig? Nicht vor dem Gesetz. Nicht, wenn sie unter dem Einfluss eines unwiderstehlichen Impulses handelte, der sie unfähig machte, die richtige Handlungsweise zu wählen.«

Quinn überblickte die Geschworenen und versuchte, die Blicke in den Gesichtern zu deuten. Er fühlte sich auf einmal ausgelaugt. »Meine Mandantin war wahnsinnig, als sie abdrückte«, sagte er leise. »Das Einzige, was noch wahnsinniger wäre als diese Tat, wäre, sie dafür bezahlen zu lassen. Ihr Vater missbrauchte sie. Ihr Ehemann missbrauchte sie. Lassen Sie nicht zu, dass das System sie auch noch missbraucht.«

Er wartete einen Augenblick, bevor er sich umdrehte und zu seinem Anwaltstisch zurückging. Auf halbem Weg hielt er inne und wandte sich noch einmal an die Geschworenen. Diesmal spürte er, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen.

»Vor zweiundzwanzig Jahren versuchte ein zehnjährige Junge, seiner Schwester zu helfen, brachte aber nicht den Mut auf zu handeln. Stattdessen horchte er auf die bedrohlichen Schritte seines Vaters und flehte Gott allein im Dunkeln um Gerechtigkeit an. Aber die Gerechtigkeit kam nicht.«

Quinn senkte den Blick und wünschte, er hätte mehr tun können. »Heute fleht er wieder darum.«

Er drehte sich in der Stille des Gerichtssaals um und setzte sich. Dann faltete er die Hände auf dem Tisch und starrte geradeaus.

Annie streckte eine Hand aus und legte sie auf seine. »Du hast getan, was du konntest«, flüsterte sie. »Niemand könnte sich einen besseren Bruder wünschen als dich.«

3

Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit, Quinn spürte, wie die Blicke aus dem überfüllten Zuschauerraum – und das Objektiv der allgegenwärtigen Fernsehkamera – sich in ihn und Annie bohrten. Der Verlauf der Verhandlung hatte wie eine moderne Shakespeare-Tragödie die flüchtige Vorstellungskraft der Nation gefesselt. Vor diesem Fall war Quinn ein aufgehender Stern am Himmel der Strafverteidigergemeinde von Las Vegas gewesen mit dem Spezialgebiet Wirtschaftskriminalität. Doch nichts hatte ihn auf diese Situation vorbereitet. Sein Plädoyer auf Unzurechnungsfähigkeit und die Tatsache, dass Anwalt und Angeklagte Geschwister waren, hatten dazu geführt, dass ein Mordfall, der ohnehin bereits großes Medieninteresse fand, die Medien im ganzen Land regelrecht in seinen Bann zog.

»Ms. Duncan?« Richter Strackmans beruhigende Stimme schien die hypnotische Trancestimmung im Raum zu lösen, die Quinn heraufbeschworen hatte. »Wollen Sie einen Gegenbeweis führen?«

»Ja, Euer Ehren. Danke.«

Carla Duncan erhob sich zu voller Größe und trat selbstbewusst vor ihren Anwaltstisch in dem kleinen Gerichtssaal. Sie war ein Bild der Glaubwürdigkeit – eine fünfzigjährige Berufsstaatsanwältin, die nicht versuchte, ihr Alter zu verbergen. Groß und dünn, das Haar von grauen Strähnen durchzogen, vermittelte sie die Art von Gravitas, die das Alter Schauspielern beiderlei Geschlechts verlieh. Zu Quinns großem Bedauern hatte sie in dem Prozess beinahe makellos verhandelt, eine oskarverdächtige Vorstellung.

»Wie kann er es wagen?«, fragte sie. »Ich habe meine ersten zwölf Jahre als Staatsanwältin mit Fällen von Kindesmissbrauch und häuslicher Gewalt verbracht. Ich habe mit diesen Müttern und Töchtern geweint. Ich habe diese Monster gehasst, die ihnen das angetan haben. Ich wurde von aufgeblasenen Verteidigern alles Mögliche genannt. Ich wurde von Angeklagten bedroht. Ich habe mitten in der Nacht Anrufe von Opfern bekommen und mich selbst in den Schlaf geweint, nachdem ich sie im Krankenhaus besucht hatte …«

Quinn hatte genug gehört. »Einspruch, Euer Ehren! Es geht in diesem Fall nicht um Ms. Duncan und ihre Karriere als Staatsanwältin.«

»Sie sind derjenige, der das System vor Gericht gestellt hat«, schoss Carla Duncan zurück. »Und ich bin Teil des Systems, das Sie so schnell verurteilen.«

Richter Ronnie Strackman strich sich über den Bart, eine Angewohnheit, die Quinn inzwischen verabscheute. Strackmann stand wenige Monate vor der Pensionierung und hatte den ganzen Prozess über nur zögerlich entschieden – wie ein Schiedsrichter, der seine Pfeife verschluckt und es den konkurrierenden Mannschaften überlässt, das Spiel unter sich auszutragen. Wenn er tatsächlich mal eine Entscheidung traf, fiel sie oft zugunsten der Staatsanwaltschaft, was Quinn nicht überraschte angesichts der Summe, die Quinns Firma bei der letzten Richterwahl für seinen Gegner hinausgeworfen hatte.

Doch selbst Richter Strackman konnte ab und zu in eine richtige Entscheidung stolpern. »In diesem Fall geht es um den geistigen Zustand der Angeklagten zur Tatzeit«, sagte Strackman zu Quinns Überraschung. »Ich werde nicht zulassen, dass er zu einem Volksentscheid über unser Strafjustizsystem verkommt.«

Carla Duncan reckte ihr Kinn vor. »Bei allem Respekt, Euer Ehren, das haben Sie bereits. Mr. Newbergs Verteidigung hat wirklich wenig mit vorübergehender Unzurechnungsfähigkeit zu tun, sondern vielmehr damit, ob seine Schwester das Recht hatte, das Gesetz in die eigenen Hände zu nehmen. Das System steht bereits vor Gericht, Euer Ehren. Die einzige Frage ist, ob Sie mir erlauben werden, es zu verteidigen.«

Als Strackman zögerte, wusste Quinn, dass wieder einmal ein Einspruch verloren war. Und tatsächlich ignorierte Strackman Quinns Protest und Carla Duncan verbrachte die nächsten zehn Minuten damit, der Jury einen Vortrag über Selbstjustiz und Rechtsgrundsätze zu halten. Anne Newberg hätte sich an Schutzorganisationen wenden können oder an das Büro der Staatsanwaltschaft, sagte Carla. Die Staatsanwältin versicherte den Geschworenen, dass sie bereit sei, einen Straftäter im vollen Umfang des Gesetzes strafrechtlich zu verfolgen – egal wie viel Geld, wie viel Einfluss die Familie eines Täters auch haben mochte. Es habe keinen Grund für diese Angeklagte gegeben, die Angelegenheit selbst in die Hand zu nehmen.

»Selbst ein so verabscheuungswürdiges Opfer wie Richard Hofstetter hat ein Recht auf gerichtliche Vertretung«, argumentierte Carla. »Missbrauchte Frauen können sich nicht einfach selbst zur Richterin, zur Jury und zur Henkerin erklären und einen Mann kaltblütig erschießen, während er um sein Leben bettelt. Ms. Newbergs Anwalt sagt, sie hätte aus einem unwiderstehlichen Drang heraus gehandelt. Aber die Beweise zeigen ein Verbrechen, das bis ins kleinste Detail geplant war.

Ms. Newberg sagt, sie habe die Handfeuerwaffe ihres Mannes benutzt, um ihn zu erschießen, eine Pistole, die er angeblich auf dem Schwarzmarkt gekauft und ungesichert in seinem Kleiderschrank aufbewahrt habe. Klingt das in Ihren Ohren nicht ein bisschen zu bequem, ein bisschen zu erfunden? Und warum schickte die Angeklagte ihre Tochter in der fraglichen Nacht zu einer Freundin und stellte dadurch sicher, dass sie die Einzige im Haus sein würde, wenn Richard Hofstetter nach Hause kam? Unmittelbar nach der Schießerei rief die Angeklagte die Polizei und dann ihren Bruder an. Warum rief sie ihren Bruder an? Weil sie wusste, sie brauchte einen Anwalt. Sie wusste, sie hatte etwas entsetzlich Falsches getan.

Die Verteidigung wegen Unzurechnungsfähigkeit ist dazu gedacht, jemanden zu schützen, der nicht zwischen Richtig und Falsch unterscheiden kann. Oder der, selbst wenn er den Unterschied versteht, nicht entsprechend handeln kann. Aber niemals war sie als Freifahrschein für einen Mord gedacht. Oder als eine Gefängnis-Entlassungs-Karte für jemanden, der missbraucht wurde.

Erklären Sie Ms. Newberg des Mordes ersten Grades für schuldig. Im Herzen wissen Sie: Es ist das Richtige.«

* * *

Drei Tage lang warteten Quinn und Anne Newberg auf das Urteil und wechselten sich dabei ab, sich gegenseitig aufzumuntern. Während der ersten zwei Tage blieb Quinn im Gericht, sprach inoffiziell mit Reportern und war einfach für seine Schwester da. Am Tag Drei erlaubte Richter Strackman den Anwälten, in ihre Büros zurückzukehren, während die Geschworenen beratschlagten.

Als der dritte Tag ohne ein Urteil endete, schickte Strackman die Geschworenen übers Wochenende nach Hause. Wie üblich ermahnte der Richter sie, mit niemandem über den Fall zu sprechen und sämtliche Kommentare in den Medien zu meiden.

»Versuchen Sie, dieses Wochenende nicht einmal an den Fall zu denken. Kommen Sie Montag mit frischem und offenem Geist wieder. Ich bin sicher, Sie werden kein Problem haben, zu einem Urteil zu kommen.«

Der Montag kam und ging ohne ein Urteil. Am Dienstag meldeten die Geschworenen, sie seien hoffnungslos festgefahren, und Strackman verpasste ihnen die übliche Rechtsbelehrung für solche Fälle. Er erinnerte sie daran, wie viel der Prozess sie alle gekostet hatte. Er erklärte ihnen, dass keine andere Jury besser in der Lage wäre, zu einem Urteil zu kommen als sie. Er ermahnte sie, unvoreingenommen zu bleiben und jedes einzelne Beweisstück noch einmal neu zu bewerten. Dann schickte er sie zur weiteren Beratung zurück.

Quinn versuchte, seine Gedanken von dem Fall abzulenken, indem er Anrufe und E-Mails beantwortete, die sich während des Prozesses angehäuft hatten. Er teilte sie in vier Kategorien auf – Medien, Freunde, andere Fälle und potenzielle neue Mandanten. Die letzte Kategorie war die größte. Im Lauf seiner beruflichen Laufbahn hatte Quinn sich einen Ruf als schillernder Strafverteidiger für Wirtschaftsgauner gemacht. Aber Annies Fall hatte ihm so viel landesweite Öffentlichkeit eingebracht, dass es schien, als sei Quinn jetzt die erste Wahl für geisteskranke Angeklagte jeder Couleur. Allem Anschein nach gab es eine ganze Menge verrückte Leute auf der Welt.

Der Anruf, auf den er gewartet hatte, kam zehn Minuten nach drei am Mittwochnachmittag. »Richter Strackman bittet Sie zurück in den Gerichtssaal«, sagte der Justizangestellte. »Wir haben ein Urteil.«

4

Catherine O’Rourke spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog, als sie die Neuigkeiten hörte, fast, als sei sie diejenige, die vor Gericht stand. Sie kannte die Art von Schmerz, die Annie Newberg erfahren hatte, aus eigener Erfahrung und es fiel ihr schwer, ihre eigenen Gefühle nicht auf die Angeklagte im Newberg-Fall zu übertragen. In mancher Hinsicht fühlte es sich an, als sprächen die Newbergs für alle Missbrauchsopfer, für alle Opfer von Sexualverbrechen.

Sie versuchte, ihre journalistische Objektivität zu bewahren, als sie sich auf ihren Platz in der dritten Reihe neben den anderen erschöpften Reportern setzte. Ihre Zeitung war nach dem Zufallsprinzip für einen der begehrten Medienplätze im Gerichtssaal für diesen neuesten »Jahrhundertprozess« ausgewählt worden, für dieses Medienphänomen, das altgediente Beobachter mit dem Scott-Peterson-Prozess verglichen.

Sitzungssaal 16D war ein kleiner, moderner Gerichtssaal mit nur drei Reihen Schalensitze für Zuschauer. Die meisten Reporter mussten über die hausinterne Fernsehanlage zusehen.

Catherine schrieb normalerweise nur für eine Zeitung in Norfolk, Virginia – die Tidewater Times –, aber in diesem Fall hatten ihre Arbeitgeber beschlossen, Catherines Anwesenheit im Gerichtssaal besonders effektiv zu nutzen. Ihre Artikel über den Prozess erschienen in allen vier Zeitungen der McClaren Corporation und sie machte außerdem Vor-Ort-Berichte »live aus Las Vegas« für das halbe Dutzend McClaren-Fernsehstationen. Die Resonanz, vor allem was das Fernsehen anging, war überraschend positiv. »Sie haben ein Fernsehgesicht«, hatte ihr Redakteur bei der Zeitung gesagt. »Aber vergessen Sie nicht, wo die wahre Berichterstattung stattfindet.«

Stuart Sheldon, der zu Catherines Linken saß, berichtete für das Las Vegas Review-Journal von dem Fall und hatte deshalb einen der Plätze, die für die lokalen Medien reserviert waren. Er leitete außerdem die Reportervereinigung. Als sich die Geschworenen zum ersten Mal zurückzogen, war Quinn Newberg ein Zwei-zu-Eins-Außenseiter gewesen. »Es liegt an seiner Verteidigungsstrategie der Unzurechnungsfähigkeit«, hatte Stuart gesagt, als sei keine weitere Erklärung nötig.

Doch jetzt, nach fünf Tagen Beratung, standen die Wetten Fünfzig zu Fünfzig.

»Was sagt dir dein Bauchgefühl?«, flüsterte Catherine.

»Duncan hätte Totschlag auf den Tisch bringen sollen. Dann wären wir schon vor zwei Tagen hier raus gewesen. Unter den gegebenen Umständen würde ich sagen, die Frau kommt frei.«

Catherine hatte dasselbe Gefühl. In diesem Spiel mit hohen Einsätzen hatte Carla Duncan sich geweigert, die Angeklagte wegen Totschlags anzuklagen oder eine Rechtsbelehrung der Geschworenen für geringere Straftaten zu beantragen. »Entweder Mord ersten Grades oder gar nichts«, hatte sie dem Gericht gesagt.

Quinn Newberg hatte es darauf ankommen lassen. »Unsere Verteidigungslinie ist nicht, dass sie im Affekt gehandelt hat«, sagte er. »Unsere Verteidigung gründet sich auf einem unwiderstehlichen Drang – etwas, was sie nicht kontrollieren konnte.«

Ursprünglich waren die meisten Experten der Meinung gewesen, Quinns Herangehensweise sei ein Fehler gewesen. Jetzt, nach fünf Tagen Beratung, waren sie nicht mehr so sicher.

Catherine notierte sich flüchtig ein paar Worte, um den Moment zu beschreiben – Spannung, Erschöpfung, Stress – sie schienen alle so unzureichend.

Die Hofstetter-Familie hatte sich auf ihren üblichen Plätzen in den ersten zwei Reihen auf der anderen Seite des Gerichtssaals niedergelassen, hinter dem Tisch der Staatsanwaltschaft. Sie hatten bei ihrer Kritik, sowohl an Quinn Newberg als auch an Carla Duncan, kein Blatt vor den Mund genommen. Kritik an Newberg, weil er versuchte, die Mörderin ihres Sohnes freizubekommen. Und an Duncan, weil sie ein wenig schmeichelhaftes, aber wahrheitsgemäßes Bild von Hofstetter als Frauenheld und Vergewaltiger gezeichnet hatte – in der Weltsicht der Staatsanwältin nur eine Stufe über Plankton.

Richard Hofstetter Senior war an die Medien herangetreten mit dem Versuch, den Ruf seines Sohnes wiederherzustellen. Richard Junior sei ein vorbildlicher Geschäftsmann gewesen. Er spendete für wohltätige Zwecke. Er sorgte für seine Frau, gab ihr alles an materiellen Dingen, was sie wollte – keine geringe Leistung für einen Mann, der mit einer so verschwenderischen und gierigen Frau wie Anne Newberg verheiratet war. Ja, er hätte Hilfe in Anspruch nehmen sollen, um seinen Zorn in den Griff zu bekommen. Aber das galt für beide Seiten. Auch Anne war keine Heilige.

Es machte Catherine O’Rourke krank. Das Opfer in den Schmutz ziehen. Sie wusste, wie dieses Spiel lief.

Die Luft summte spannungsgeladen, als Quinn und Anne Newberg mit versteinerten Gesichtern, den Blick geradeaus gerichtet, den Gerichtssaal betraten. Entschlossenheit, kritzelte Catherine, als die Newbergs ihre Plätze einnahmen. Anne Newberg erscheint schicksalsergeben.

Der Prozess hatte auch von Quinn seinen Tribut gefordert. Sein Gesicht sah eingefallen aus und sein teurer Anzug hing ein wenig loser um seine Gestalt. Quinn war knapp über einsachtzig groß und hager, mit den flüssigen Bewegungen eines Athleten, obwohl Catherines Recherchen keinerlei sportlichen Hintergrund zutage gefördert hatten. Er hatte diesen geheimnisvollen Blick, einem Las-Vegas-Illusionisten nicht unähnlich, mit glatten, schwarzen Haaren und einem gepflegten Bart, der nur seine Kinnspitze bedeckte. Dunkle Augenbrauen beschatteten das beste Merkmal des Mannes: die ausdrucksstarken mandelförmigen Augen, die auf eine Art zu tanzen und zu funkeln schienen, die Catherine das Gefühl gab, nicken zu müssen, während er sprach.

Quinns Schwester spiegelte denselben dunklen Reiz in ihren eigenen, weiblichen Gesichtszügen wider. Aus Catherines Sicht trug das viel zu der Faszination im ganzen Land für den Fall bei. Die Menendez-Brüder. Scott und Lacie Peterson. Der Simpson-Fall. Sie hatten alle eines gemeinsam: Die Hauptpersonen waren gutaussehend.

Hätte es irgendjemanden interessiert, fragte sich Catherine, wenn die Newbergs arm, vom Land und nicht ganz so gutaussehend gewesen wären?

* * *

Quinn spürte, wie sein Magen sich zusammenzog, während sein Herz in der Brust hämmerte. In seinem Inneren herrschte Aufruhr, aber nach außen hin wirkte er wie an jedem anderen Tag im Büro. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, das linke Bein übers rechte geschlagen, und behielt die Tür hinter dem Richterpodium im Auge.

»Wie kannst du so ruhig bleiben?«, flüsterte Annie. »Fühl das mal.« Sie berührte Quinns Wange mit dem Rücken einer eiskalten Hand.

»Es liegt nicht in unserer Hand«, sagte Quinn, obwohl er wusste, dass das nicht ganz richtig war. Er hatte immer noch ein Ass im Ärmel, etwas, worüber die Gerichtsreporter noch lange tratschen konnten; falls er den Mumm hatte, es vorzubringen.

Quinn legte einen leeren Notizblock auf den Tisch, schrieb »Urteil:« ans obere Ende der Seite und zeichnete eine Linie neben das Wort. Er sah unter der letzten Seite des Blocks nach, nur um sicherzugehen, dass sein Ass noch da war: ein einzelnes Blatt Papier, auf die Hälfte gefaltet und unter Eid unterschrieben.

»Erheben Sie sich bitte! Das ehrenwerte Gericht tagt, der ehrenwerte Richter Ronald Strackman hat den Vorsitz.«

Strackman nahm auf der Richterbank Platz. »Setzen Sie sich.« Er schwieg kurz, nahm einen Schluck Kaffee und sah sich dann im Gerichtssaal um.

»Meine Damen und Herren, es scheint, als hätten wir ein Urteil in diesem Prozess. Ich werde dies nur einmal sagen: Ich werde keinerlei Ausbrüche tolerieren, wenn das Urteil verlesen ist. Ich habe die volle Befugnis über disziplinarische Maßnahmen wegen Ungebühr vor Gericht, und ich werde nicht zögern, sie zu nutzen.«

Unter dem Anwaltstisch legte Annie eine zitternde Hand auf Quinns Bein.

Er griff nach unten und hielt sie fest. »Denk daran«, flüsterte er, »dieses ganze Gerede darüber, ob es stimmt, dass die Geschworenen den Angeklagten anschauen, um ihr Urteil zu beschließen, ist Unsinn. Bei einem Fall wie diesem setzen alle ihr Pokerface auf.«

Annie nickte tapfer und drückte Quinns Hand.

»Gerichtsdiener«, sagte Richter Strackman, »holen Sie die Geschworenen herein.«

* * *

Catherine O’Rourke beobachtete, wie die Geschworenen hintereinander hereinkamen – die Blicke gesenkt, auf jedem Gesicht eine Maske ernsten Pflichtbewusstseins. Geschworene Nummer fünf, die alleinerziehende Mutter mit den zwei Kindern, hatte wieder geweint.

»Ist es zu spät, um noch einen Zwanziger auf die Staatsanwaltschaft zu setzen?«, fragte Catherine.

Als Stuart Sheldon die Achseln zuckte, steckte sie ihm den Schein in seine fettige Hand und machte noch eine Notiz auf ihrem Block. Der Schmerz, den sie dabei verspürte, spiegelte ihre eigene Einschätzung des Falls wider.

Schuldig, schrieb sie.

* * *

»Meine Damen und Herren, sind Sie zu einem Urteil gekommen?«

»Das sind wir«, antwortete die Obmännin. Sie war Lehrerin und hatte vier erwachsene Kinder. Quinn war es unmöglich gewesen, sie einzuschätzen.

Sie reichte das Urteilsformular dem Gerichtsdiener, der gab es dem Richter weiter. Strackman überflog das Blatt mit ausdruckslosem Gesicht. Er nahm noch einen Schluck Kaffee und reichte das Blatt dem Justizangestellten.

»Würde sich die Angeklagte bitte erheben?«, sagte der Angestellte.

Quinn und Annie standen Schulter an Schulter auf wie zwei Gefangene, die sich dem Erschießungskommando stellen, als der Justizangestellte das Urteil laut vorlas.

»Im Anklagepunkt Mord ersten Grades befinden die Geschworenen die Angeklagte Anne Newberg…« Der Angestellte zögerte unmenschlich lange. »… für schuldig im Sinne der Anklage.«

Im Zuschauerraum wurde hörbar eingeatmet. Jemand auf der Hofstetter-Seite sagte: »Yessss!« Quinns Knie gaben beinahe unter ihm nach, doch er schaffte es, aufrecht und mit vorgerecktem Kinn stehenzubleiben. Er schaute seine Schwester an und sah einen Blick ungläubigen Schocks.

Er konnte nicht fassen, dass es dazu gekommen war.

Quinn griff unter sich und nahm seinen Notizblock hoch, holte das Blatt Papier heraus und faltete es auf. Die Reporter waren wohl zu beschäftigt, ihre Reaktionen niederzukritzeln, um es überhaupt zu bemerken. Wenn sie wüssten. Geschworene sprachen jeden Tag Urteile. Aber sobald Quinn seinen nächsten Zug machte, würde dies zu einem noch nie dagewesenen Fall werden.

»Ich habe einen Antrag zu stellen, Euer Ehren.«

»Ja, natürlich«, sagte Strackman, der zweifellos einen Routineantrag auf einen neuen Prozess erwartete, der auf ausgewählten gegenläufigen Gerichtsentscheidungen basierte. »Soll ich, bevor Sie Ihren Antrag stellen, die Geschworenen befragen?«

»Gerne«, sagte Quinn und setzte sich bereitwillig. Er brauchte noch eine Minute, um nachzudenken. Wenn er seine Bombe erst einmal platzen ließ, würde er das nicht mehr rückgängig machen können.

5

Während Strackman die Geschworenen einen nach dem anderen befragte, ob seine Verlesung ihrem Urteil entsprach, versuchte Quinn seine Gefühle unter Kontrolle zu bekommen. Wut. Verzweiflung. Größtes Mitleiden mit seiner Schwester, die in verstörtem Schweigen neben ihm saß. Sorge, ob er seinen nächsten Zug machen sollte – eine selbstzerstörerische Granate, aber eine, die vielleicht das Leben seiner Schwester retten konnte.

»Geschworener Nummer drei, ist dies Ihr Urteil?«

»Ja.«

»Geschworener Nummer vier, ist dies Ihr Urteil?«

»Ja.«

Quinn starrte jeden einzelnen Geschworenen an und versuchte, sie dazu zu bringen, aus Scham ihre Meinung zu ändern. Aber wie in jedem anderen Fall, den er verloren hatte, ignorierten sie ihn und sahen direkt den Richter an, bestätigten wie brave Soldaten das Urteil.

»Geschworene Nummer fünf, ist dies Ihr Urteil?«

Die Frau schluckte und zögerte. Tränen standen ihr in den Augen und ein kurzer Hoffnungsschimmer regte sich in Quinn. Komm schon … Komm schon … Ich weiß, du willst das nicht!

»Ja.«

Noch ein Schlag in die Magengrube – die Grausamkeit von Hoffnung, die geschürt und dann zerschmettert wurde.

»Geschworener Nummer sechs, ist dies Ihr Urteil?«

»Ja.«

»Geschworener Nummer sieben …« Richter Strackman unterbrach sich mitten im Satz, die Stirn besorgt gerunzelt. Geschworene Nummer fünf hatte ihre Hand in der Luft. »Ja?«, fragte Strackman.

»Es ist nicht mein Urteil«, platzte die Frau heraus. Sie warf einen verstohlenen Blick auf Quinn, der sich beeilte, ihr ermutigend zuzunicken. »Es tut mir leid, Euer Ehren. Ich habe diesem Urteil nur zugestimmt, um diese Tortur hinter mich zu bringen; um diese Leute loszuwerden. Es ist nicht mein Urteil. Ich halte sie für unschuldig.«

Ein paar der anderen Geschworenen schüttelten missbilligend den Kopf; die Hofstetters ließen ein paar gedämpfte Flüche los. Der ganze Gerichtssaal brummte vor Erregung. Das hier war besser als der Cirque du Soleil!

Mit neuer Energie sprang Quinn auf die Füße und machte ein fehlerhaftes Verfahren geltend. Carla Duncan stand ebenfalls auf, doch ihr Blick sagte alles. Geschworene Nummer fünf hatte den Prozess soeben in Rauch aufgehen lassen.

»Ruhe!«, bellte Strackman und schlug ungewöhnlich fest mit seinem Hammer. »Ruhe im Gerichtssaal!«

Er starrte die Geschworene böse an und Quinn wusste, was nun kam. »Ms. Richards«, begann der Richter und tat den unüblichen Schritt, die Geschworene bei ihrem Namen zu nennen, »Sie haben gerade den kompletten Prozess zunichte gemacht, dem Gericht eine gewaltige Menge Frust bereitet, Steuergelder verschwendet und darüber hinaus eine Menge Zeit. Wenn Sie Bedenken hatten, wünschte ich, Sie wären im Geschworenenraum geblieben und hätten versucht, sie zu lösen. Unter den gegebenen Umständen habe ich keine andere Wahl als das Verfahren für ungültig zu erklären.«

Julia Richards, Geschworene Nummer fünf, nickte feierlich. Aber sie hielt den Kopf oben, als sei sie vielleicht sogar stolz darauf, was sie eben vollbracht hatte. Obwohl sie eigentlich nicht sein Typ war, wollte Quinn am liebsten zur Geschworenenbank gehen und die Frau küssen.

Er dachte an den alten Spruch: »Ein Unentschieden ist wie seine Schwester zu küssen«. Aber nachdem er zuvor das Wort schuldig gehört hatte, fühlte sich dieses »Unentschieden« wie ein Grund zum Feiern an. Er legte seinen Arm um Annies Schulter und drückte sie verhalten. Dann faltete er ganz vorsichtig das Blatt vor sich auseinander und schob es zurück in den Notizblock. Die Reporter waren immer noch in heller Aufregung und davon überzeugt, sie hätten den Knüller für die Abendnachrichten.

Doch hätten sie nur den gesehen, der ihnen eben entgangen war.

6

Catherine O’Rourke beobachtete das Duell der Presseerklärungen auf den schattigen Stufen des Gerichtsgebäudes von Las Vegas.

Richard Hofstetter Senior erschien als Erster, ein Betonklotz von einem Mann mit gefärbten schwarzen Haaren, das Gesicht rot vor Wut. »Die Justiz hat unsere Familie und meinen Sohn im Stich gelassen«, verkündete er. »Eine kaltblütige Mörderin bleibt auf freiem Fuß und ihr Bruder verleumdet weiterhin meinen Sohn und unsere Familie. Wer tritt vor diesem Gericht für die Opfer ein? Sicherlich nicht Bezirksstaatsanwältin Duncan, die die Missbrauchsbehauptungen für bare Münze genommen hat. Die Opfer haben keine andere Wahl als sich selbst zu helfen.«

Sobald er innehielt, um Luft zu holen, riefen die Reporter ihre Fragen. Er ignorierte sie alle, nahm die Hand seiner Frau und schob sich an den Mikrofonen vorbei, die Treppe hinunter und zu einer schwarzen Limousine, die am Straßenrand wartete.

Catherine kürzte ab und schaffte es, ihn abzufangen, kurz bevor er an seinem Auto ankam.

»Was meinten Sie mit Ihrer Aussage, dass ›die Opfer keine andere Wahl haben als sich selbst zu helfen?‹«, fragte sie und hielt ihm das Mikrofon vor die Nase.

Zu ihrer Überraschung blieb Hofstetter stehen, taxierte sie mit dem stahlharten Blick eines Mannes, der es nicht gewohnt ist, dass man sich ihm in den Weg stellt. Etwas an diesem Blick ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren.

»Ich beantworte keine Fragen«, knurrte er. Dann schob er das Mikro weg und half seiner Frau ins Auto. Nach einem weiteren beunruhigenden Blick auf Catherine stieg er hinten ein und schloss die Tür.

Catherine und ihr Team drängten sich wieder die breiten Treppenstufen hinauf, um die nächste Vorstellung mitzubekommen, diesmal die von Carla Duncan. Die kleinlaute Staatsanwältin drückte ihre Enttäuschung über das fehlerhafte Verfahren aus, gelobte aber, die Angeklagte »so bald wie menschenmöglich« erneut vor Gericht zu stellen. Die Tatsache, dass elf von zwölf Geschworenen bereit gewesen seien, sie zu verurteilen, sei ein Beleg für die Stärke der Position der Staatsanwaltschaft, sagte sie. Außergewöhnlicher Mensch, schrieb Catherine nieder.

Quinn und Anne Newberg erschienen als nächste und Catherine dachte, sie würden von der Reportermeute erdrückt. Quinn gab eine kurze Erklärung ab und dankte Julia Richards für ihre Ehrlichkeit und ihren Mut. Er rief Carla Duncan auf, den Fall fallenzulassen und ihre Zeit und Mittel zu nutzen, um echte Verbrecher zu jagen. Er bat die Presse, seiner Schwester in den folgenden Tagen etwas Privatsphäre zu lassen. »Alle intimen Details ihres Lebens wurden gerade vor der ganzen Welt ausgebreitet«, sagte er. »Ist es zu viel verlangt, ein bisschen Ungestörtheit für meine Schwester und meine Nichte zu bekommen, jetzt, wo der Prozess vorbei ist?«

Aus der Art, wie die Pressehorden Quinn und Anne die Treppe hinab und über die Straße zur Tiefgarage folgten, Fragen schrien und jede ihrer Bewegungen auf Film einfingen, schloss Catherine, dass die Antwort lautete: Ja, das ist zu viel verlangt. Catherine und ihr eigener Kameramann blieben zurück und bereiteten sich auf einen Kommentar von der Treppe des Justizgebäudes aus vor.

Brodelnd vor Adrenalin versuchte Catherine ihre Gefühle unter Kontrolle zu bekommen und sich auf ihren Bericht zu konzentrieren. Sie würde drei verschiedene Kommentare für drei verschiedene Fernsehstationen machen, die alle kurz hintereinander live zum Gericht schalten würden. Und es war beinahe, als hätte eine Castingagentur das Gerichtsgebäude für diese speziellen Fernsehübertragungen gebaut. Die breiten Betonstufen fächerten sich zu einem Platz vor dem achtzehnstöckigen Glasgebäude auf. Dekorative Palmen spendeten Schatten für die Kameraeinstellungen am Nachmittag. Catherine fand einen freien Platz auf den Stufen, direkt neben einer der Palmen, brachte ihren Ohrstöpsel an und wartete auf das kleine rote Licht an der Kamera. Ein paar Sekunden später gab ihr der Nachrichtensprecher das Stichwort.

»Nun ja, Richard, die letzten Stunden waren geprägt von Kontroversen und Chaos hier im achten Gerichtsbezirk in Las Vegas«, begann sie und blickte ernst in die Kamera. »Man könnte sagen, die Unzurechnungsfähigkeit hat den Sieg davongetragen …«

7

Nach dem Abendessen zur Feier des Tages mit seiner Schwester und einem Dutzend anderer, die bei dem Fall geholfen hatten, hielt Quinn ein Taxi an und fuhr auf dem Rücksitz zusammen mit Rosemarie Mancini zu ihrem Hotel. Rosemarie brauchte eigentlich keine Begleitung – sie kam gut allein zurecht –, aber dies war Quinns subtile Art, ihr zu danken. Die dynamische kleine Psychiaterin hatte sowohl als Expertin als auch als inoffizielle Beraterin der Newberg-Familie gedient, ganz zu schweigen von der undankbaren Rolle als Quinns Gewissen. Während der Fahrt fühlte sich Quinn übermütig und erschöpft zugleich, die Euphorie darüber, die Niederlage abgewendet zu haben, machte langsam der Wirklichkeit Platz, dass sie immer noch einen weiten Weg vor sich hatten.

Quinn hatte Rosemarie während des Abendessens und danach am Werk gesehen, während die anderen in dem kleinen Separee im MGM Grand, das Quinns Assistentin rasch reserviert hatte, scherzten und Geschichten austauschten. Rosemarie hatte Sierra, Quinns dreizehnjährige Nichte, beiseitegenommen und die meiste Zeit mit ihr verbracht. Aus dem Augenwinkel bemerkte Quinn, wie seine Nichte zum ersten Mal seit Wochen lächelte. Rosemarie hatte Sierra in den letzten Monaten betreut und die beiden hatten irgendwie einen Draht zueinander entwickelt, trotz des Generationenunterschieds zwischen der fünfundfünfzigjährigen Psychiaterin und ihrer Patientin im Teenageralter.

»Wie lange haben wir bis zum Wiederaufnahmeverfahren?«, fragte Rosemarie, als sie sich den Embassy Suites näherten, wo sie gerne abstieg – weit weg vom Strip. »Ich muss ein paar Termine in meinem Kalender vormerken.«

»Wenn ich irgendetwas als Anwalt tauge«, antwortete Quinn, »wird das nicht vor dem einunddreißigsten August sein. Was zufällig der Tag ist, an dem Strackman in Rente geht.«

»Warum ist er darauf aus, Sie zu kriegen?«, fragte Rosemarie.

Obwohl Strackmans Vorurteile offensichtlich waren – zumindest Quinns Meinung nach –, hatte Rosemarie diese Frage zuvor nie gestellt. Vielleicht wollte sie es nicht wissen, bevor sie in den Zeugenstand trat und ihre Aussage machte. Vielleicht war sie besser, wenn sie einfach annehmen konnte, das System sei gerecht. »In Vegas geht es nur um Vitamin B«, sagte Quinn und sah zu, wie die Kasinos vorbeizogen. »Und unsere Firma hat keine Beziehungen mit Strackman.«

»Vitamin B?«

»Vor ein paar Jahren brachte die L.A. Times einen Artikel darüber, wie wir in Nevada unsere Richter wählen: Neunzig Prozent der Spenden für die Wahlkampagnen der Richter kommen von Anwälten und Kasinos. Der Artikel nannte Namen und Beispiele von Richtern, die zugunsten von Anwälten geurteilt hatten, die zu ihren Hauptspendensammlern gehört hatten. In dem Artikel wurde ein Freund von mir zitiert, der sagte, was alle Anwälte wissen, aber niemals offen aussprechen würden: ›Vegas ist eine Stadt des Vitamin B, keine Stadt der Gerechtigkeit. Finanzielle Zuwendungen bringen dir »Vitamin B« bei einem Richter – keinen garantierten Sieg, aber zumindest eine günstige Auslegung.‹«

»Und Ihre Firma hat Strackman nicht unterstützt?«

»Sagen wir einfach, wir hatten Vitamin B bei seinem Gegner gehabt.«

»Wie können Sie so arbeiten?«, fragte Rosemarie mit offensichtlicher Abscheu in der Stimme. »Was, wenn wir verloren hätten und Strackman derjenige gewesen wäre, der das Strafmaß für Annie festsetzt?«

»Das war meine Angst«, sagte Quinn. »Aber wir haben unsere Lektion gelernt. Jetzt haben wir ein paar Anwälte in unserer Firma, die in jedem Rennen Spendensammlungen für beide Kandidaten veranstalten. Garantiertes Vitamin B, egal wer gewinnt.«

Das Taxi hielt vor den Embassy Suites und Rosemarie gab dem Fahrer einen Zwanziger. Quinn hatte oft genug vergeblich versucht, Rosemarie Abendessen oder Taxifahrten zu bezahlen, sodass er diesmal nicht einmal nach seiner Brieftasche griff.

Rosemarie öffnete die Tür und wartete auf ihr Rückgeld.

»Danke«, sagte Quinn. »Für alles.«

Rosemarie sah ihren Freund an und musste wie so oft seine Gedanken gelesen haben. »Sie werden zurechtkommen, Quinn. Annie und Sierra werden zurechtkommen.« Sie nahm ihr Wechselgeld entgegen und reichte dem Fahrer fünf zurück. »Um Sie mache ich mir mehr Sorgen.«

Sie stieg aus dem Taxi und beugte sich noch einmal herein, bevor sie die Tür schloss. »Wenn ich Ihnen noch einmal zwanzig gebe, würden Sie mir dann versprechen, diesen Mann direkt nach Hause zu den Signature Towers zu fahren?«, fragte sie den Taxifahrer. »Er hat morgen früh ein paar landesweite Fernsehinterviews, die ungefähr um vier Uhr morgens losgehen.«

»Klar doch«, sagte der Fahrer. »Außer er zahlt mir nochmal fünfzig, wenn Sie weg sind.«

»Das hatte ich befürchtet«, sagte Rosemarie und schloss die Tür.

Quinn lächelte. Er liebte diese Stadt! Sogar die Taxifahrer verstanden das Prinzip Vitamin B. »Zum Venetian«, wies er ihn an. Sinnlos, einen Glückstag zu verschwenden.

Teil II

Rache

Rache: Die ursprüngliche Reaktion des Menschen auf jeden Eingriff in seinen Lebenskreis mit dem Ziel, sich durch eine unmittelbare und höchstpersönliche Vergeltungshandlung Genugtuung zu verschaffen.

Psychologisch ist Rache immer Antwort auf eine Verletzung des Selbstwertgefühls oder eine Störung der Selbsterhaltungstendenzen durch einen anderen.

Hoffmeisters Wörterbuch der philosophischen Begriffe

8

Zwei Monate später

Der Bluträcher wartete geduldig, bis Marcia Carver, die vielleicht stolzeste Großmutter von ganz Hampton Roads in Virginia, aus dem Princess Anne Country Club zurückkam, wo sie gerade mit den Zwillingen angegeben hatte. Ihr Mann würde natürlich noch im Büro sein und sich einen neuen Trick ausdenken, wie er Vergewaltiger, Mörder und Drogendealer aus dem Gefängnis freibekommen konnte, die ihm seine Drei-Millionen-Dollar-Villa am Nordende von Virginia Beach finanzierten.

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