Die Kommissarin und der Metzger - Schrot und Korn - Bent Ohle - E-Book

Die Kommissarin und der Metzger - Schrot und Korn E-Book

Bent Ohle

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Beschreibung

Amüsant und rasant: Spannende Krimi-Unterhaltung mit viel Lokalkolorit

Die Kleinstadt Horstmar ist ein beschaulicher Ort. Verbrechen passieren eigentlich nur im nahegelegenen Münster, wo Tanja Terholte als Kommissarin im Dezernat für Schwerverbrechen arbeitet. Nachdem sie in Band 1 den grausigen Fund von Leichenteilen erfolgreich aufklären konnte, wartet nun schon der nächste mysteriöse Kriminalfall auf sie.

Achim, ein passionierter Verschwörungstheoretiker und Metallsucher, macht die Entdeckung seines Lebens. Doch was er für einen Schatz des Templerordens hält, stellt sich wenig später als ein Stück einer Leiche heraus.

Klar, dass Kommissarin und Nebenerwerbslandwirtin Tanja Terholte unverzüglich die Ermittlungen aufnimmt. Schließlich geht es um ihre Heimatstadt Horstmar!

  • Es ist nicht alles Gold, was glänzt: Wenn der Ackerboden seine schaurigen Geheimnisse preisgibt
  • Horstmar und seine Bewohner: Ein Heimatkrimi gibt Einblick in das Leben auf dem Land
  • Kommissarin Tanja Terholte: Ermittlerin mit starkem Willen und einer Vorliebe für unkonventionelle Methoden
  • Krimi-Autor Bent Ohle wurde schon mit dem Gong-Krimipreis ausgezeichnet

Auf Verbrecherjagd im Münsterland: Ein Landkrimi blickt hinter die idyllische Fassade

Wer ist das Mordopfer? Die Identitätssuche gestaltet sich schwierig, da die Leiche bereits von mehreren Landmaschinen "bearbeitet" und dementsprechend über den ganzen Acker verteilt wurde. Der dilettantische Gerichtsmediziner Dr. Schulze-Brennigkemper steht vor einem Rätsel. Doch zum Glück kann sich Tanja auf die Unterstützung ihres Bruders Rudi verlassen. Durch seinen Beruf als Metzger verfügt er über großes Fachwissen, das er als Hobby-Forensiker anwendet.

Je weiter die Ermittlungen fortschreiten, umso mehr Fragen tauchen auf. Handelt es sich gar nicht um ein Lokalverbrechen, sondern hat dieser Mordfall vielleicht sogar internationale Dimensionen?

Mit viel trockenem Humor, überraschenden Wendungen und charismatischen Figuren ist der Kriminalroman von Bent Ohle ein Buchtipp für alle Krimi-Fans, die eine gelungene Mischung aus Spannung und Unterhaltung schätzen!

»Die perfekte Lektüre für Landkrimi-Fans!« berliner-lokalnachrichten.de

»Wer Lust auf jede Menge Landleben, Wortwitz und einen außergewöhnlichen Mordfall hat, ist mit "Die Kommissarin und der Metzger" super beraten.« krimiundkeks.de

»Der gut durchdachte Plot weckt von Anfang an das Interesse des Lesers am Fortgang der Handlung.« buchaviso.de

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Deutsche Originalausgabe:

LV.Buch im Landwirtschaftsverlag GmbH,

48084 Münster

© Landwirtschaftsverlag GmbH,

Münster-Hiltrup 2022

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Herausgeber:

top agrar im Landwirtschaftsverlag GmbH

Idee:

Guido Höner und Melanie Suttarp

Gestaltung:

LV MediaPro im Landwirtschaftsverlag

GmbH

Titelillustration:

Noemi Bengsch, www.noemis-atelier.de

Lektorat:

Marit Obsen

Druck:

GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-7843-5615-0

eISBN 978-3-7843-9244-8

www.lv-buch.de

Bent Ohle

Die Kommissarin & der Metzger

Schrot und Korn

Ein münsterLANDkrimivon Bent Ohle

Nach einer Idee von Guido Höner und Melanie Suttarp

Inhalt

eins

zwei

drei

vier

fünf

sechs

sieben

acht

neun

zehn

elf

zwölf

dreizehn

vierzehn

fünfzehn

sechzehn

„Anstaunen ist auch eine Kunst.

Es gehört etwas dazu,

Großes als groß zu begreifen.“

Theodor Fontane: „Der Stechlin“

„[…] so viel Geld läßt sich, weiß Gott,

nicht mit etwas Gutem verdienen.“

Friedrich Schiller: „Kabale und Liebe“

„Die Kunst spiegelt in Wahrheit den

Betrachter und nicht das Leben.“

Oscar Wilde: „Das Bildnis des Dorian Gray“

eins

„Mmh“, meinte Elisabeth und verzog angeekelt das Gesicht, bevor sie den Kopf schüttelte und umständlich den Korn runterschluckte, den sie soeben in ihrem Mund von links nach rechts gewälzt hatte.

„Nicht gut?“, fragte Tanja mit einem schwindenden Hoffnungsschimmer in den Augen.

Auch Vossenkuhl, ihr Nachbar, der mit am Tisch saß, wartete, nichts Gutes ahnend, auf Elisabeths Urteil. Seit ein paar Wochen widmeten sich die beiden zusammen einem neuen Projekt. Rüdiger Vossenkuhl hatte auf dem Dachboden seines alten Hofes eine kleine Destillieranlage gefunden, und aus einer komischen Laune heraus hatten er und Tanja daraufhin die Idee entwickelt, einen eigenen „Horstmarer Korn“ zu kreieren, ein geschmackliches Wahrzeichen ihrer Heimatstadt im Münsterland.

„Ganz ehrlich?“, fragte Tanjas Mutter und wischte sich über den Mund.

„Ja, bitte“, sagte Vossenkuhl.

„Das schmeckt wie Pferdepisse. Das könnt ihr keinem anbieten, den ihr mögt oder der dafür bezahlen soll.“

„So schlimm?“

„Habt ihr das Zeuch selbst etwa noch gar nicht probiert? Frechheit, so ein Fusel.“

„Und was meint ihr?“, fragte Tanja ihren Bruder Rudi und dessen Freundin Silke. Die beiden saßen still am anderen Ende des Tisches und hielten Händchen. Auch sie hatten bereits vom „Horstmarer Korn, Versuch 21“ gekostet.

Rudi lächelte bemüht, und Silke errötete leicht.

„Ist nicht soo lecker, jetzt“, kommentierte sie vorsichtig.

„Ungenießbar“, sagte Rudi entschieden. „Ich weiß nicht, wie Petroleum schmeckt, aber ich möchte wetten, das Zeug ist ziemlich nah dran.“

Enttäuscht blickte Tanja zu Vossenkuhl. „Dann müssen wir noch mal ran, ein neues Rezept entwickeln.“

Er zuckte mit den Schultern.

„Vielleicht sucht ihr euch lieber einen anderen Zeitvertreib. Geht doch mal Minigolf spielen“, schlug Elisabeth vor.

„Hätte nicht gedacht, dass das so schwer ist“, jammerte Tanja und vergrub ihr Gesicht in den Händen.

„Ich denke, man kann schon von Erfolg sprechen, wenn wir als Versuchskaninchen den heutigen Tag überleben.“

„Mama, bitte“, mahnte Tanja mit verzweifeltem Blick.

„Ich sag ja schon nichts mehr.“ Elisabeth hob beleidigt das Kinn.

„Also ich finde, ihr solltet es weiterversuchen“, sagte Silke aufmunternd. „Irgendwann landet ihr vielleicht einen Treffer und kommt ganz groß raus.“

„Und ich finde, wir sollten jetzt was anderes trinken, um den Geschmack zu übertünchen“, sagte Rudi und stand auf.

Es war kurz nach halb zehn Uhr abends, und sie hatten zuvor alle gemeinsam gegessen. Tanja hatte sich eigentlich auf die Verkostung gefreut, auch wenn sie den beißenden Geschmack und den bitteren Abgang des Korns beim Probieren selbst bemerkt hatte. Aber wenn sie ehrlich war, konnte sie sich nicht vorstellen, welche Rezeptur sie jetzt noch retten sollte, und so hatte sie sich nach diesem einundzwanzigsten Versuch wohl etwas vorgemacht. Zum Glück war es nur ein Hobby, und sie musste nicht ihren Unterhalt damit verdienen.

„Zum Glück müsst ihr nicht euren Unterhalt damit verdienen“, sagte Elisabeth.

Tanja ließ den Kopf hängen. Manchmal war es einfach zum Verzweifeln.

Rudi kam mit einem Pflaumenlikör der Brennerei Rappe zurück an den Tisch. Vossenkuhl machte sich unterdessen ein paar Notizen in sein Rezeptbüchlein.

„Ich glaub, wir brauchen jetzt was richtig Süßes“, erklärte Rudi und stellte die Flasche in die Mitte des Tisches. Sie füllten ihre Gläser mit Likör, stießen an und ließen auf die erste gleich eine zweite Runde folgen.

„Heute war übrigens schon wieder ein Kunde im Laden, der etwas probieren wollte, wo wir gerade beim Thema sind“, berichtete Elisabeth.

Solche Anfragen gab es des Öfteren. Tanja und Rudi Terholte hatten vor einigen Jahren den Hof ihrer Mutter übernommen und sich auf die Zucht von Wagyu-Rindern spezialisiert. Rudi war Metzgermeister mit einer eigenen Metzgerei im Ort und einem Schlachthaus direkt auf dem Hof. Für den Fall, dass Besucher auf den Hof kamen, und um ihrer Mutter eine sinnvolle Beschäftigung im Alter zu geben, hatten sie auch einen kleinen Hofladen eröffnet, in dem man Fleischprodukte direkt vom Hersteller erwerben konnte.

„Ich weiß“, sagte Rudi und zwirbelte seinen feinen englischen Oberlippenbart, der weit über seine Wangen hinausragte. „Aber dafür kommen die Gäste einfach zu selten und unregelmäßig, als dass wir hier frisches Fleisch verkosten könnten.“

„Warum macht ihr nicht ein Fest?“, warf Silke ein und blickte alle mit großen Augen an.

„Wieso sollten wir?“, fragte Elisabeth.

„Na, ihr könntet doch so eine Art Hoffest machen. Rudi stellt sich an den Grill, wir machen Salate und Brot, bieten ein paar Getränke an, und dann kann jeder kommen und euer Fleisch probieren. Man muss halt nur vorher Werbung dafür machen.“

„Also, mir gefällt der Vorschlag“, sagte Tanja.

Rudi zwirbelte und zwirbelte, bis er schließlich seine Hand energisch auf die Tischplatte schlug. „So machen wir’s. Superidee! Was sagst du, Mama?“

„Deine Silke ist cleverer als du, muss ich feststellen. Und das als Veganerin.“

Rudi lächelte so breit, dass sich seine Bartspitzen nach oben bogen.

„Ich komme definitiv“, sagte Vossenkuhl.

„Nur euren komischen Schnaps schenken wir auf keinen Fall aus“, entgegnete Elisabeth und drückte ihren Zeigefinger gebieterisch auf die Tischplatte.

„Aber ein Motto brauchen wir“, schlug Tanja vor. „Wir könnten das Ganze auch regelmäßig veranstalten. Wie wäre es, wenn wir es diesmal zu Halloween stattfinden lassen. Wir schmücken den Hof mit Heuballen und Kürbissen und machen ein großes Feuer.“ Ihre Augen leuchteten vor Begeisterung. Die anderen nickten zustimmend.

„Großartig“, bestätigte Rudi. „Und Mama erschreckt die Kinder. Ganz ohne Maske.“

Elisabeth schlug gespielt empört ihren Handrücken gegen sein Bein.

„Hauptsache, mir kommt kein Toter dazwischen.“ Tanja presste ein wenig ernüchtert die Lippen aufeinander.

Der Grund für diese Annahme war nicht ganz unberechtigt, denn Tanja Terholte betrieb nicht nur zusammen mit ihrem Bruder die Rinderzucht, sondern arbeitete außerdem hauptberuflich als Hauptkommissarin bei der Kripo in Münster. Erst im Sommer hatte ein höchst unappetitlicher Mord, noch dazu direkt hier in Horstmar, sie rund um die Uhr in Anspruch genommen. Den Fall hatte sie nicht zuletzt dank der Hilfe ihres Bruders lösen können.

„Tut mir leid, aber darauf können wir keine Rücksicht nehmen“, meinte Rudi. „Wir halten also fest: einunddreißigster Oktober, Halloween-Kürbis-Grillfest hier auf’m Hof. Jeder kann kommen, und ich grille, was das Zeug hält.“

„Wenn du dafür man nicht noch mal schlachten musst“, gab Elisabeth zu bedenken.

„Mit Sicherheit werde ich das müssen.“

„Na ja, mal gucken, was Gunnar so dazu sagt.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich zurück.

Gunnar, einer ihrer Bullen, entzog sich gern seinem Schicksal, indem er vor der Schlachtung Reißaus nahm und das Weite suchte.

„Wenn Gunnar nicht will, muss es eben Ernst-August werden“, sagte Rudi und meinte damit einen weiteren Bullen aus ihrer Herde von achtundzwanzig Tieren, der seinen Namen der großen Ähnlichkeit mit Ernst-August, Prinz von Hannover, zu verdanken hatte. „Dann machen wir blaue Blutwurst“, freute er sich.

„Wieso denn blaue?“, fragte Elisabeth.

„Man, Mama, Ernst-August, adlig, blaues Blut, blaue Blutwurst. Muss ich wirklich jeden Witz erklären?“

„Du müsstest einfach nur witzig sein.“

„Wir halten an dieser Stelle fest“, konstatierte Rudi und zog eine Grimasse, „Mama wird die Hauptattraktion auf unserer Halloweenparty sein.“

zwei

Achim war schon früh aufgestanden an diesem Sonntag, denn das Wochenende war immer etwas so Besonderes für ihn, dass er sich von Montag bis Freitag darauf freute. Zwei Tage, an denen er tun und lassen konnte, was er wollte, und Zeit hatte, um seiner „Recherche“ nachzugehen, wie er seine Passion gern bezeichnete.

Man muss vielleicht vorwegschieben, dass Achim, der ein ortsbekannter Mann Mitte dreißig war, seit geraumer Zeit ein gewisser Ruf anhing, nämlich der, dass sich in seinem Kopf ein paar Synapsen falsch verknüpft hatten. Er war nicht das, was man hinlänglich als den Dorftrottel bezeichnete, er spielte in der Altherrenmannschaft Fußball, gehörte der freiwilligen Feuerwehr an und war 2009 Schützenkönig gewesen. Jedoch hatte er im Laufe der Zeit einige schräge Vorstellungen entwickelt. Und eben diese versuchte er an den Wochenenden zu beweisen. So war Achim etwa ein großer Anhänger der Theorie, dass bereits bevor der Mensch den Planeten besiedelte, Außerirdische auf der Erde gelandet waren, die gewisse strategische Bauwerke errichtet und die Menschen über die Jahrhunderte mit ihrem Wissen beeinflusst hatten. Viele geschichtliche Quellen wurden seiner Meinung nach nicht korrekt gedeutet, und so existierten laut Achim Abertausende Hinweise darauf, dass Außerirdische in allen Epochen und Kulturen ihre Spuren auf der Erde hinterlassen hatten. Spuren, nach denen er hier in Horstmar suchte, zumeist auf Feldern, Äckern und in Wäldern. Dazu führte er ein Metallsuchgerät mit sich, das piepend und pfeifend den Boden absuchte, sowie eine Klappschaufel, mit der er seine Funde ausgrub. Bei einigen Bauern war er nicht gern gesehen, anderen war es einfach egal, wenn er auf ihren Äckern herumschlenderte.

An diesem Sonntagmorgen war die Sonne noch nicht aufgegangen, als Achim bereits an den Ausläufern des Schöppinger Bergs unterwegs war. Ein dichter Nebelschleier lag auf den Feldern und verschluckte seine Beine unterhalb der Waden. Auch den grauen Teller seines Suchgeräts konnte er nicht sehen. Er bewegte ihn im Halbkreis vor seinen Füßen hin und her und lauschte den Klängen und Tönen, die das Gerät von sich gab.

Hin und wieder knackte es, wenn er auf die Stoppeln der abgeernteten Maispflanzen trat.

Er lief nun schon seit über eineinhalb Stunden den Acker in Längslinien auf und ab. Das Einzige, was er bis jetzt gefunden hatte, war ein rostiger Nagel, der aber nicht sehr alt zu sein schien, weshalb er ihn gleich wieder weggeworfen hatte. Gerade ging es wieder bergab auf eine Senke zu. Ungefähr fünfzig Meter weiter rechts begann angrenzend an einen Wirtschaftsweg ein kleines Waldstück, dessen Blätterdach sich in den letzten Wochen gelb und rot gefärbt hatte. Piiiiieeeep, huuuuihuuuuihuuuuiuuuu, machte das Gerät, und Achim blieb stehen. Er schwenkte den Detektorkopf suchend von links nach rechts und konnte schließlich den Ursprung ausmachen. Er ging in die Knie, buddelte mit den Händen in der Erde, fuhr mit dem Detektor über den ausgehobenen Haufen und hielt am Ende vier kleine, schwarze und teilweise deformierte Kügelchen in der Hand.

Nachdem er sie saubergewischt hatte, begutachtete er sie eindringlich, bis er zu dem Schluss kam, dass es Schrotkugeln sein mussten, die wahrscheinlich von einem Jäger stammten. Vielleicht lagen hier auch irgendwo die Überreste eines Fuchses herum, in dessen Knochen die restlichen Kugeln steckten. Leider war das kein Fund, der für ihn interessant war und ihn auf irgendwelche Fährten brachte, mit denen sich seine Theorien untermauern ließen. Dennoch steckte er die Kugeln ein, um später eventuell ihr Alter zu bestimmen.

Unten in der Senke angekommen, ging er etwas schneller. Nicht bloß wegen des zurückgelegten Gefälles, sondern weil er glaubte, dass er heute kaum noch etwas finden würde. Der Detektorteller stieß gegen einen riesigen Maulwurfshügel, den er nicht gesehen hatte, und blieb darin stecken. Der Griff am anderen Ende der Stange bohrte sich unsanft in seinen Magen, und Achim fiel seitlich, einen halben Purzelbaum machend, in den Dreck.

„Scheiße, verfluchte!“, rief er verärgert und schlug vor Wut mit der Faust auf den Boden. Hastig rappelte er sich wieder auf und überhörte dabei das hektische Piepen und Tönen des Detektors. Fluchend putzte er seine Hose sauber, die am Hintern ganz nass geworden war. „Verdammt, sieht aus, als hätte ich mir in die Hosen gekackt.“

Dann endlich blickte er zum Detektorkopf und realisierte, dass irgendetwas in dem monströsen Maulwurfshügel die Geräusche verursachen musste. Mit den Schuhen zertrat er unter wildem Piepen und mit immer größer werdenden Augen die Pyramide, bis eindeutig zu erkennen war, was er dort freigelegt hatte. Fast andächtig fiel er auf die Knie.

„Mein Gott, ich hab’s geschafft“, hauchte er, den Tränen nahe.

***

Tanja saß kurz vor Schichtende mit ihrem Kollegen Jens Förster in ihrem Büro und ging einige Akten zu alten und ungelösten Fällen der Abteilung aus den frühen Achtzigerjahren durch. Ihr ließen diese Verbrechen keine Ruhe, und wann immer etwas Luft war, versuchte sie, sich dort einzuarbeiten. Doch kaum hatten sie mit den Aussagen der Angehörigen einer verschwundenen Geschäftsfrau aus dem Jahr 1982 begonnen, klingelte ihr Telefon und die Zentrale meldete den Anruf einer älteren Dame aus Horstmar.

„Ihr Name ist Regina van Delgen“, informierte sie der Beamte. Tanja hörte Papiergeraschel im Hintergrund. „Sie ist zweiundneunzig Jahre alt, lebt allein in einer Villa und gab an, verfolgt zu werden und dass jemand sie zu töten beabsichtigt.“

„Töten? Hatten Sie das Gefühl, dass sie durcheinander ist?“, fragte Tanja.

„Kann ich nicht sagen“, entgegnete der Beamte.

„Gut, stellen Sie durch.“

Es tutete kurz, dann war die Leitung frei und Tanja vernahm ein lautes Atmen. „Guten Tag, hier ist Tanja Terholte von der Kripo Münster, was kann ich für Sie tun?“

Sie griff nach Zettel und Bleistift, während sie auf die Antwort wartete.

„Mein Name ist van Delgen, Regina, und ich glaube, dass mir jemand nach dem Leben trachtet. Man beobachtet mich.“

„Wann und wo haben Sie die Person denn bemerkt?“, fragte Tanja.

„Mehrmals, das ist es ja. Wenn es nur einmal gewesen wäre. Aber nein, da ist ständig jemand. Wenn ich nach draußen gehe, sitzt er in einem Auto. Nachts hab ich ihn in meinem Garten gesehen. Mehrere Male, wie gesagt. Und ich glaube, dass er auch hier im Haus war.“ Sie ließ zittrig ihren Atem entweichen.

„Mein Kollege sagte, Sie kommen aus Horstmar, ist das richtig?“

„Ja, genau. Das ist eine Stadt zwischen …“

„Schon gut, ich weiß, wo das ist, ich wohne auch in Horstmar“, unterbrach Tanja sie freundlich.

„Ach, das ist ja ein herrlicher Zufall.“

„Wissen Sie was?“ Tanja blickte auf die Uhr. „Ich komme jetzt gleich bei Ihnen vorbei. Ich brauche etwas mehr als eine halbe Stunde.“

„Wun-der-bar“, sagte die Dame erleichtert und nannte ihre Adresse, bevor sie auflegten.

„Tja, Förster, du kannst dich ja noch weiter in die Cold Cases einlesen, ich kümmer mich jetzt um die alte Dame.“

„Klingt nach Demenz“, sagte er unbeeindruckt.

„Nur weil sie alt ist, ist sie nicht gleich dement.“

„’n Fünfer, dass sie’s ist“, sagte er und blickte Tanja über seine schwarz eingefassten Brillengläser hinweg herausfordernd an.

„Geht klar.“ Tanja nickte, und sie gaben sich die Hand darauf.

Frau van Delgen wohnte im alten Villenviertel von Horstmar, dessen herrschaftliche Bauten von der Hochzeit der einst hier ansässigen Textilindustrie zeugten. Auf der anderen Seite der schmalen Straße lag ein Feld. Von dort aus hätte man zumindest schon mal eine gute Sicht und die Möglichkeit, das Haus zu beobachten, dachte Tanja, als sie vor dem schmiedeeisernen Tor anhielt.

Wie bei vielen Anwesen und gutbürgerlichen Häusern der Region üblich, thronten zwei sitzende Löwen auf Säulen links und rechts des Eingangs wie Wächter eines märchenhaften, geheimnisvollen Ortes, nur mit dem Unterschied, dass in einer der beiden Säulen eine Klingel und ein Briefschlitz untergebracht waren. Tanja drückte den messingfarbenen Knopf und wartete. Sie wartete und wartete, doch nichts geschah, also klingelte sie ein zweites Mal. Es erklang kein Summer, und die Tore blieben geschlossen. Tanja lugte durch die Gitterstäbe, doch hohe Hecken verdeckten den Blick auf das Gebäude, sodass sie von hier aus nichts erkennen konnte.

„Wer sind Sie?“, hörte Tanja auf einmal jemanden fragen, und eine kleine, gebeugte Gestalt schob sich hinter der rechten Säule hervor. Frau van Delgen trug einen dunkelblauen Rock, eine weiße Bluse sowie karierte Hausschuhe und hielt zur Verteidigung ein Flambiergerät in der Hand.

„Ich bin es. Frau Terholte von der Kripo Münster.“ Tanja zeigte der alten Dame ihren Dienstausweis.

„Ach, wie schön, kommen Sie herein“, rief Regina van Delgen und versteckte das Feuerzeug hinter ihrem Rücken. Sie öffnete das Tor mithilfe einer Fernbedienung, die sie in der anderen Hand hielt, und Tanja schlüpfte durch die zurückweichenden Torflügel.

„Sie hätten aber nicht extra rauskommen müssen.“

„Doch, doch, glauben Sie, ich lasse hier jeden ungesehen herein? Noch dazu in meiner Situation. Wissen Sie, was solche Verbrecher mit alleinstehenden Frauen wie mir alles anstellen?“

Tanja stutzte überrascht und überspielte das mit einem Lächeln. „Ja, ja, schon, ich bin ja schließlich Polizistin.“

„Sehen Sie. Es ist, wie ich immer sage: Wir Frauen müssen selbst auf uns achtgeben.“ Sie fuchtelte zur Bekräftigung mit dem Flambiergerät vor Tanjas Nase herum.

Die fünf Euro hat dann wohl Förster gewonnen, dachte Tanja. Sie folgte der alten Dame über einen gewundenen Weg bis zur Haustür, vorbei an einem Springbrunnen, auf dem eine lyraspielende Wassermann-Figur eine hübsche kleine Fontäne in die Höhe spuckte. Die Eingangstür, oder besser gesagt, das Portal aus panzerdickem Mahagoni fiel dumpf hämmernd hinter ihnen ins Schloss, und Tanja fand sich in einem unbeleuchteten Flur mit Marmorfußboden wieder. Frau van Delgen lauschte in die Stille. Dann schlurfte sie unvermittelt weiter in einen Vorflur, in dem eine geschwungene Treppe nach oben und drei Türen in die Räumlichkeiten der unteren Etage führten.

Drei Zimmer sind nicht viel für eine Villa, dachte Tanja noch – bis sie durch die mittlere Tür spazierten und ein überdimensioniertes Esszimmer betraten. Es war kalt, und es roch muffig und ein wenig nach Schimmel. An den Wänden hingen goldgerahmte Gemälde, zumeist Porträts und Stillleben, die bei dem schummrigen Licht aber schlecht zu erkennen waren. Sie gingen durch eine Schiebetür weiter in den nächsten Raum, eine kleine Bibliothek oder ein sehr feudal ausgestattetes Lesezimmer. Auch diese Räumlichkeit wurde nur durchquert, genau wie das angrenzende Kaminzimmer, in dem Jagdtrophäen an den Wänden hingen und Tanja unheimlich anglotzten. Als Nächstes betraten sie ein mit antiken Möbeln eingerichtetes Büro, das von einem imposanten englischen Schreibtisch dominiert wurde, hinter dem ein Ahnenstammbaum in der Größe von zwei Schultafeln hing.

„Kommen Sie“, meinte Frau van Delgen und winkte Tanja mit dem Flambiergerät in ein Wohnzimmer mit Holzparkett. Das war der größte Raum bis jetzt und der einzige, der beheizt war. Auch hier gab es einen Kamin, in dem ein schwaches Feuer glomm. „Wir gehen in den Wintergarten.“

Die alte Dame ging in einem Bogen um den Kamin herum und nahm zwei kleine Stufen hinunter in einen länglichen, rundum verglasten Wintergarten, in dem tropische Gewächse in massiven goldumrandeten Kübeln bis unter die gläserne Dachkonstruktion wuchsen. In der Mitte des Zimmerdschungels stand ein runder Marmortisch mit vier Stühlen, der mit jeweils zwei Porzellantellern und -tassen, verschiedenem Gebäck und einem Kännchen Tee auf einem Stövchen gedeckt war.

„Nehmen Sie doch bitte Platz.“ Sie wies auf einen Stuhl und begann sogleich, Tee einzuschenken. „Ich bin ja so froh, dass Sie kommen konnten.“

„Ein wunderschönes Haus haben Sie da“, lobte Tanja nicht ganz unbeeindruckt.

„Und genau das ist das Problem“, entgegnete Regina van Delgen und setzte sich. „Das Haus. All die Schätze, die ich hier habe. Das zieht natürlich Gesindel an wie das Licht die Motten.“

„Verstehe.“

Sie prosteten sich zu und nippten an ihren Tassen.

„Wann sind Sie denn zum ersten Mal darauf aufmerksam geworden, dass jemand ein Auge auf Sie oder das Haus geworfen hat?“, begann Tanja mit ihrer Befragung.

Frau van Delgen kniff die Augen zusammen und starrte an die Decke. „Das war so … 1954 oder ‘56.“

„Bitte?“ Der Stift, mit dem sie sich eben Notizen machen wollte, rutschte Tanja aus den Fingern. Sie versuchte, ihn zu greifen, doch er fiel ihr herunter und landete in ihrem Tee. „Oh“, sagte sie nur.

„Aber das macht doch nichts. Das regeln wir einfach so“, sagte die Gastgeberin, klaubte den Stift aus der Tasse, goss den Tee in eine kleine Schale, aus der sie zuvor die Kekse genommen hatte, und stellte die Schale neben sich auf den Boden. Tanja blickte völlig irritiert auf die Fliesen, bis auf einmal von irgendwoher eine schneeweiße Katze zwischen den tropischen Gewächsen herangeschlichen kam und begann, den Tee aus der Schale zu schlabbern.

„Wie niedlich“, sagte sie und wollte Förster insgeheim noch fünf Euro draufgeben.

„Das ist Maigret“, meinte Regina van Delgen mit einem kurzen Lächeln und lenkte ihren Blick dann wieder zur Zimmerdecke. „Genau, 1954 wollte mir auch keiner glauben, und da brach dann ein junger Mann mit seinem Bruder zusammen hier ein und stahl ein paar größere afrikanische Kunstgegenstände, die er in den Niederlanden verkaufen wollte, wo er aber von einem netten Kommissar mit so einem hübschen Schnauzbärtchen gefasst wurde.“

„Aha“, staunte Tanja, und die Alte schenkte ihr Tee nach.

„Und jetzt aktuell sind es so zwei, drei Wochen, seit ich die Verbrecher bemerkt habe, denke ich. Zuerst gegenüber auf der Wiese, dann sind sie mehrmals am Tag die Straße entlanggefahren, und in meinem Garten habe ich sie letzte Woche zweimal gesehen, weil ich draußen Bewegungsmelder installiert habe.“

„Soso.“

„Ja, und da habe ich auch gemeint, eine Waffe zu erkennen. Ein Jagdgewehr wahrscheinlich. Gestern verließ ich dann schließlich das Haus für einen Arztbesuch, kam zurück und stellte fest, dass jemand im Haus gewesen ist.“

„Wie das?“

„Mit einem Haar.“

„Einem … was?“

„Einem Haar, meine Liebe. Das ist ein alter Trick, den ich von meinem verstorbenen Gatten gelernt habe, wenn es auch sonst nicht viel gab, was ich von ihm lernen konnte. Man nimmt ein Haar und klebt es mit etwas Spucke zwischen Türzarge und Tür. Kommt man zurück, und das Haar ist heruntergefallen oder gar zerrissen, weiß man: Es war jemand im Haus.“

„Und gab es Einbruchspuren?“

„Nein.“

„Merkwürdig.“

„Allerdings, höchst beunruhigend. Vielleicht haben diese Leute einen Nachschlüssel. Ich meine, ich bin nicht so dumm und bewahre hier viel Geld auf, höchstens ein paar Tausend im Safe. Aber was sich im Haus an Wertgegenständen in Form von Kunst, Möbeln, Silber und Gold befindet, da leckt sich manch einer die Finger nach.“

„Ganz bestimmt“, sagte Tanja. Bis jetzt hatte sie noch nichts notiert, ihr stand nur die ganze Zeit das Bild vor Augen, wie diese kleine, gebeugte Person sich ein Haar ausriss und es dann mit Spucke an der Tür festklebte. „Frau … äh …“ Tanja hatte irgendwie den Faden verloren.

„Das Doktor können Sie weglassen.“

„Das was?“

„Einfach nur Frau van Delgen, das reicht.“

„Ach, Sie haben einen Doktortitel? Ich dachte, Sie und Ihr verstorbener Mann kämen aus der Textilbranche?“

„Selbstverständlich, aber ich habe einen Doktortitel aus der Zeit, bevor ich meinen Mann kennenlernte. Ich bin Physikerin.“

Sie trank einen Schluck Tee. Die Katze sprang auf den Tisch und schnappte sich einen Mürbeteigkeks. Tanja verfolgte das mit großem Staunen, aber da Frau van Delgen nicht reagierte, war das hier wohl so üblich. Sie blickte auf ihren Notizblock. Leer.

„Ja, also … die Person oder die Personen, von der … denen Sie beobachtet werden, können Sie die beschreiben?“

„Nein. Es war entweder zu dunkel, oder sie war zu weit weg. Es war immer nur eine Person, aber ich kann nicht sagen, ob es jedes Mal dieselbe war.“

„Okay. Und dieses Gewehr … könnte das auch etwas anderes gewesen sein, zum Beispiel eine Brechstange oder anderes Werkzeug?“

„Eher nicht. Vielleicht ja, aber eher doch ein Gewehr.“

„Und haben Sie hier im Haus eine Sicherungsanlage? Kameras, Alarmanlage oder so?“

„Dazu müsste ich ja jemanden ins Haus lassen, das ist mir viel zu gefährlich.“

„Verstehe. Gibt es denn überhaupt jemanden, der hier hereinkommt?“

„Wie gesagt, das lasse ich nicht zu. Hierher kommt nur der Gärtner, die Reinemachefrauen, der Mann vom Getränkemarkt, die Fußpflege, der Hausarzt, die Katzenfriseurin, der Poolreiniger und … ach ja, mein eigener Friseur natürlich.“

„Natürlich.“ Tanja lächelte und war ratlos.

„Und was machen wir nun deswegen?“, wollte die alte Dame wissen und kam näher.

„Ich … denke, Sie sollten es doch mit einer Alarmanlage versuchen.“

„Meinen Sie?“

„Ich könnte Ihnen da einen Präventionsspezialisten aus meinem Polizeipräsidium empfehlen. Der würde Sie beraten und Ihnen auch Firmen nennen, die garantiert diskret und vor allem rechtschaffen sind.“

„Ihnen kann ich ja vertrauen. Wie heißen Sie noch gleich?“

„Terholte.“

„Und Sie wohnen hier im Ort?“

„Ja, seit meiner Geburt.“

„Sie sind aber nicht die, die mit ihrem Bruder diese Wagyu-Rinder züchtet, oder?“

„Doch, bin ich“, sagte Tanja freudig überrascht.

Auch Frau van Delgen wirkte erfreut. „Sie haben nicht zufällig eine kleine Kostprobe dabei?“

„Äh, nein, leider nicht. Wir wollen aber bald einen großen Grillabend auf unserem Hof organisieren, dort können dann alle von unseren Produkten kosten.“

„Das ist nichts für mich.“

„Wissen Sie was, ich bringe Ihnen nächstes Mal ein Stück Fleisch mit, was halten Sie davon?“

„In Ordnung, das klingt wun-der-bar. Dann verspreche ich auch, dass ich diese Firma engagiere.“

„Sehen Sie, so wendet sich alles zum Guten.“

Die Katze kotzte den Keks mit einem Haarbüschel in den Topf einer Yuccapalme, und Tanja war froh, endlich gehen zu dürfen.

drei

„Mama, kennst du eine Frau van Delgen?“, fragte Tanja, als sie zu Hause war und ihre Mutter in der Küche antraf.

„Frau Dr. van Delgen, ja“, gab Elisabeth zurück, die am Herd vor einem dampfenden Topf stand.

„Im Ernst, du weißt, wer das ist? Ich war nämlich gerade bei ihr.“

„Ist selten genug, dass eine Frau Doktor hier im Ort lebt, deren Mann kein Arzt ist oder jedenfalls zu Lebzeiten war. Sie ist Chemikerin oder so was.“

„Physikerin.“

„Und wahrscheinlich zehnmal schlauer, als ihr Mann war, aber er hatte das Geld. Textilmenschen. Warum warst du da, die muss doch schon halb tot sein?“

„Sie denkt, jemand will sie umbringen.“

„Das glauben die Reichen alle.“ Elisabeth lachte und lugte in den brodelnden Topf.

„Was kochst du denn?“

„Ich gar nichts. Silke macht Kohlrouladen mit ohne Fleisch“, meinte sie misstrauisch.

„Oh, wie schön.“

Silke kam mit einem im Gemüsegarten abgeschnittenen Bund Petersilie zur Terrassentür herein.

„Hallo Tanja!“

„Das riecht großartig, nett, dass du für uns kochst.“

„Wenn du willst, kannst du auch noch Vossenkuhl dazu einladen.“ Silke zwinkerte Tanja zu, weil sie immer noch hoffte, dass sich zwischen ihr und Rüdiger Vossenkuhl mal mehr entwickeln würde als nur eine geschäftliche Partnerschaft. Zumindest von Vossenkuhl wussten alle, dass er nichts dagegen einzuwenden hätte.

Eine halbe Stunde später saßen alle fünf am Esstisch und kauten nachdenklich auf den Rouladen herum.

„Mir schmeckt’s“, sagte Vossenkuhl als Erster, und alle stimmten zu.

„Die Füllung schmeckt wirklich wie Hackfleisch“, stellte Elisabeth fest. „Dafür müssten wir Gunnar gar nicht schlachten.“

„Wäre schön, wenn das mit der Schnapsbrennerei auch so einfach wäre“, meinte Tanja.

„Wer sagt, dass das einfach war?“ Silke hob ihr Glas und stieß mit Tanjas Bierglas an.

„Wir können ja gleich noch ein wenig am Rezept arbeiten“, schlug Vossenkuhl vor. „Ich hab ein paar neue Ideen.“

„Ja, okay, ich hab sonst nichts vor.“

„Ich schon, heute ist der große Doppelkopfabend, und ich werde ein kleines Vermögen gewinnen“, sagte Rudi stolz.

„Wie, dann bin ich heute Abend ganz allein?“, fragte Elisabeth.

„Ich bin doch da, wir können uns irgendwas Nettes einfallen lassen“, sagte Silke.

Rudi und Tanja warteten neugierig auf die Antwort ihrer Mutter. Bis jetzt hatten die beiden kaum Zeit miteinander verbracht, ohne dass sie dabei gewesen waren.

„Na gut, machen wir das.“ Elisabeth hob ihr Glas und stieß mit Silke an.

Sie aßen und deckten den Tisch ab, bevor Rudi losfuhr und Tanja und Vossenkuhl zu Fuß zum Nachbarhof hinüberspazierten.

„Und nu?“, fragte Elisabeth. Sie saßen über Eck am Esstisch und starrten unschlüssig auf die Tischplatte.

„Keine Ahnung, wollen wir was spielen? Monopoly?“

„Ich kann dieses Spiel nicht ausstehen. Und es will ja auch einfach nicht zu Ende gehen, nein.“

„Tja, was machst du denn sonst so? Hast du irgendwelche Hobbys?“

„Hobbys“, wiederholte Elisabeth, als wäre es ein kryptisches Wort aus einer fremden Sprache. „Nein.“

„Was wolltest du denn schon immer mal machen?“, fragte Silke weiter.

Elisabeth sah sich im Zimmer um und blies ratlos die Backen auf.

„Weißt du was?“, meinte Silke und holte ihr Handy heraus. „Wir brauchen irgendein Projekt. Sollen wir mal gucken, was in Horstmar so angeboten wird?“

„Was denn?“

„Na, vielleicht …“

„Bloß nichts in der Kirchengemeinde oder so was. Ich will jetzt keinen Rosenkranz knüpfen, um den Schrott dann auf’m Weihnachtsmarkt zu verhökern.“

„Gibt es hier in Horstmar eine Volkshochschule?“

„Nee, aber einen Kulturverein.“

„HorstmarErleben, ich hab’s.“

„Die sind da an der Kirche im Zentrum.“

„Ich guck mal, ob die was anbieten.“

„Siehst du das alles in deinem Telefon?“

„Ja, natürlich. Willst du vielleicht einen Smartphonekurs machen? Das gibt’s hier auch.“

„Nee, nee, lass mal, da helf ich lieber Tanja und Vossenkuhl mit ihrem Fusel.“

„Hör mal, das klingt nett“, sagte Silke und las laut vor. „Der Künstler Joachim Franzesberger lädt auf sein frisch renoviertes Gehöft im idyllischen Münsterland zu einem Ölmalkurs in freier Natur ein. Malen in Öl, wie die alten Expressionisten es taten. Für das leibliche Wohl wird gesorgt. Bei schlechtem Wetter suchen wir Schutz in einem mobilen Zelt. Der Herbstkurs findet jeweils am Samstag und Sonntag von 14-16 Uhr statt.“

Elisabeth schob die Unterlippe vor. „Na ja …“

„Also ich wollte schon immer mal was Schönes malen.“

„Mich interessiert, ob das das alte Veltinghusen-Gehöft ist.“

„Wollen wir das machen? Wir gehen unter die Künstler.“

„Ich kann so was nicht.“ Elisabeth hob in typischer Geste ihr Kinn.

„Egal, ich doch auch nicht. Wir probieren’s einfach aus, schmeißen mit Farbe um uns und trinken Likörchen auf der Wiese.“

Das zauberte ein vages Lächeln auf Elisabeths Gesicht.

„Aha“, rief Silke. „Du hast doch Lust bekommen. Ich melde uns an.“

Elisabeth stimmte nicht zu, sagte aber auch nichts dagegen.

Silke tippte ein paarmal auf das Display.

„Fertig.“

„Wie, fertig?“

„Ich hab uns eingeschrieben.“

„Einfach so?“

„Einfach so.“

„Puh, darauf muss ich erst mal einen Schnaps trinken.“

***

Die heutige Doppelkopfrunde fand im Gasthaus Smeddinck in Laer statt. Hier gab es nicht nur die besten Schnitzel im gesamten Münsterland, sondern auch ein nettes Kaminzimmer, in dem sie an zwei Tischen gleichzeitig spielten. Zunächst aßen aber alle zusammen zu Abend und tranken sich ein wenig warm, bis dann anschließend das Kartenspiel um mittlere bis hohe Beträge stattfand. Es war stets ein lautstarkes Ereignis, und mitunter konnte man den Eindruck bekommen, dass sie sich gleich gegenseitig umbringen würden, doch das gehörte zum Spaß dazu.

Rudi hatte sein Schnitzel zuerst aufgegessen und sah auf die Uhr, weil am Tisch immer noch ein Platz frei war. Jochen Stemeling fehlte. Er war pensionierter Lehrer, einer der Topspieler in ihrer Runde und, wie es für einen Lehrer der Naturwissenschaften üblich war, normalerweise die Pünktlichkeit in Person.

„Ich ruf den Jochen mal an“, sagte Rudi und suchte die Nummer in seinen Kontakten.

„Der kann doch nicht telefonieren“, wandte Thomas mit vollem Mund ein. Und ganz falsch lag er damit nicht.

Alles, was den Umgang mit moderner Technik betraf, war Jochens Kryptonit. Er konnte sich jede Telefonnummer merken und so schnell kopfrechnen wie kein anderer, aber sein Smartphone zu bedienen, überstieg seine Fähigkeiten maßlos. Doch was sollte Rudi machen, es fehlte nun mal eine Person, ohne die sie nicht beginnen konnten. Er ließ es klingeln, es knackte in der Leitung, und dann folgten Störgeräusche.

„Jochen? Hallo?“

Jochen antwortete nicht, nur Rauschen und Rascheln waren zu hören, ehe das Gespräch beendet wurde.

„Er hat aufgelegt“, sagte Rudi verwundert.

„Vielleicht Damenbesuch“, witzelte Thomas.

Jetzt rief Jochen zurück.

„Er hat auf Videoanruf gedrückt.“ Rudi verließ das Kaminzimmer, weil es hier einfach zu laut war, und stellte sich an die Theke, wo nur zwei Personen still vor ihren Bieren saßen. „Hallo Jochen, was ist los?“

Zunächst war auf dem Display nur Schwarz zu sehen. Etwas wackelig stellte sich dann doch noch ein Bild ein, und Rudi blickte in das Innenohr von Jochen.

„Jochen, das ist ein Videoanruf! Du musst aufs Display gucken, nicht das Telefon ans Ohr halten!“, sagte Rudi laut. Annalena, die hinter der Theke Bier zapfte, grinste.

„Was, wieso Video? Was ist denn das für eine Scheiße hier?“, fluchte Jochen. Mit einem energischen Schwenk filmte er zuerst sein Schlafzimmer und schließlich die Deckenlampe. „Rudi, bist du das?“

„Ja, guck mal direkt auf das Display, Jochen.“

„Ich versteh das nicht …“

Endlich konnte Rudi Jochen sehen und stellte fest, dass er im Bett lag.

„Jochen, was ist los, bist du krank?“

„Ja, ja, ich fühl mich gar nicht gut. Hab schon zweimal brechen müssen. Einmal leider in meine guten Schuhe.“

„Okay, mehr will ich gar nicht wissen“, sagte Rudi. „Bleib zu Hause und ruf einen Arzt an, wenn’s schlimmer wird.“

„Und was macht ihr nun ohne mich?“

„Lass das mal unsere Sorge sein. Gute Besserung.“

„Danke dir. Tut mir leid.“

„Mach’s gut.“ Rudi legte auf und kratzte sich ratlos am Kopf.

„Na, Schwierigkeiten?“, fragte Annalena.

„Wir brauchen noch einen Mann“, antwortete Rudi und musterte die beiden anderen Gäste an der Theke. Der eine war Heinz, neunundachtzig Jahre alt, und gehörte zum Inventar. Er saß hier jeden Tag auf seinem Stammplatz, der stets für ihn freigehalten wurde. Aber zum Kartenspielen war er nicht mehr fit genug. Der andere Gast war Achim. Der war nur bereits mit dem Kopf auf seiner Faust vor seinem Bier eingeschlafen.

Rudi fragte Annalena mit Blicken, was mit ihm sei, woraufhin sie die Augen verdrehte und mit dem Zeigefinger eine drehende Bewegung an ihrer Schläfe machte.

„Der hat mich den ganzen Abend mit so ’ner Alienkacke vollgequatscht.“

„Wie viele Bierchen hatte er?“

„Neun.“

Rudi nickte und klopfte Achim auf die Schulter. „Achim, alter Junge!“

Achim schreckte hoch und wischte sich über den Mund. „Rudi, Tachchen auch.“