Die Kranichfrau - CJ Hauser - E-Book

Die Kranichfrau E-Book

CJ Hauser

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Beschreibung

Ende dreißig, single, kinderlos – und endlich nicht mehr fremdbestimmt. In «Die Kranichfrau» erzählt CJ Hauser, wie aufreibend und befreiend es war, die Erwartungen anderer endlich hinter sich zu lassen. Es ist ein Buch über Liebe, Scham und Scheitern, über falsche Glücksvorstellungen und echtes Begehren. Berührend, selbstironisch und so gnadenlos ehrlich, dass es bisweilen eine therapeutische Wirkung entfacht.

In der Hoffnung auf ein Happy End unterwirft sich CJ Hauser ihrem Freund mehr und mehr. Bis sich allmählich Fragen aufdrängen: Welche Rolle nehme ich in Beziehungen ein und warum? Wieso akzeptiere ich es, mehrmals betrogen worden zu sein? Wie breche ich Geschlechterzuschreibungen, die mir vorgelebt wurden, radikal auf? CJ cancelt die kurz bevorstehende Hochzeit und begibt sich auf eine Expedition zur Beobachtung des Schreikranichs, um der Frage auf den Grund zu gehen, ob sich Liebe und Selbstachtung überhaupt vereinbaren lassen. Und entdeckt, dass es den Aufwand lohnt, endlich mal die persönlichen Bedürfnisse von denen anderer zu trennen. Mit einem aufrichtigen, ungeschönten Blick ins eigene Leben beginnt CJ, sich selbst neu auszuloten und darüber zu schreiben. «Die Kranichfrau» ist die imponierende Geschichte einer Emanzipation – und zugleich eine kluge und witzige Abhandlung über die Liebe im 21. Jahrhundert.

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CJ Hauser

Die Kranichfrau

Warum ich meine Hochzeit absagte und andere Liebeserklärungen

Aus dem Englischen von Hanna Hesse

C.H.Beck

Über das Buch

In der Hoffnung auf ein Happy End unterwirft sich CJ Hauser dem eigenen Partner mehr und mehr. Doch auch die Unzufriedenheit über dieses Verhalten wächst, und mit ihr beginnen sich Fragen aufzudrängen: Welche Rolle nehme ich in Beziehungen ein und warum? Wieso akzeptiere ich es, mehrmals betrogen worden zu sein? Wie breche ich Geschlechterzuschreibungen, die mir vorgelebt wurden, radikal auf? CJ zieht die Reißleine, cancelt die kurz bevorstehende Hochzeit und entdeckt, dass es den Aufwand lohnt, endlich mal die persönlichen Bedürfnisse von denen anderer zu trennen. Mit einem aufrichtigen, ungeschönten Blick ins eigene Leben beginnt CJ, sich selbst neu auszuloten und darüber zu schreiben. Selten hat jemand so treffsicher und unterhaltsam von der eigenen Orientierungslosigkeit erzählt.

Über den Autor

CJ Hauser lehrt kreatives Schreiben und Literatur an der Colgate University, New York, und schreibt außerdem regelmäßig Texte für The Guardian, The New York Times und The Paris Review.

Hanna Hesse, geboren 1984, aufgewachsen in Oxford und Berlin, studierte Germanistik und Geschichte in Freiburg sowie Literarisches Übersetzen in München. Sie lebt als Projektmanagerin und freie Übersetzerin aus dem Englischen in München.

Inhalt

I

Blut – 27 Liebesgeschichten

I. Zieh deine Stiefel an, 1918

II. Gewerkschaftsmädchen, 1984

III. Grundbuchamt, 1921

IV. Bienenstich, 1989

V. Handel, 1932

VI. Alle Kakteen sind Sukkulenten, aber nicht alle Sukkulenten Kakteen, 1994

VII. So wahr diese Steine, 1948

VIII. Maissirup, 1997

IX. Blut, 1967

X. Scrabble-Weltmeister, 2000

XI. Daraus wird nie etwas, 1969

XII. Der männlichste Sport, 2001

XIII. Geodenmann, 1970

XIV. Messer, 2002

XV. Was uns erwartet, 1950 & 1973

XVI. Newports, 2003

XVII. Guys and Dolls, 2004

XVIII. Mittelsfrau, 1999

XIX. Belesen, 2004

XX. Farbenblind, 2003

XXI. Black Cat, 2006

XXII. Ashokan Farewell, 2007

XXIII. Hoffnung, 2008

XXIV. Saufgelage, 2009

XXV. «Die Efeukrone», 1979

XXVI. Das Bienenmassaker von Wilsonville, 2013

XXVII. Zyklisch, 2013

Erster Akt: Die Handwerker

Hepburn qua Hepburn

Der Mann hinter dem Vorhang

Die Kranichfrau

II

Deep Blue

Zweiter Akt: Die Fantasticks

Die Dame mit der Lampe

Mulder, ich bin’s

III

Nächte, die wir nicht hatten

Dritter Akt: Dulcinea schmeißt hin

Die zweite Mrs de Winter

Die Neunhundert-Kilo-Biene

Unauthorisierter Nachruf auf meine Großmutter:

Unauthorisierter Nachruf:

Unauthorisierter Nachruf:

IV

Nieder mit Jacksons Schlossmauern

Die Fuchsfarm

Entkopplung

Sweet Siberian

Anmerkungen der Autorin

Nachweis

Fußnoten

in Dankbarkeit für

die Familie, die wir haben,die Familien, die wir wählen,& die Vorstellungen von einem Zuhause, das Platz für beide bietet

Stolpere wieder stummnach Hause in mein eigenesInfragestellen hinein.

Forrest Gander, Sag ihnen Nein

I

manchmal gehören uns nicht einmal unsere Münder. Hör zu, in

den frühen 1920ern wurden Frauen dafür bezahlt,

Zifferblätter mit Radium zu bestreichen, damit Männer

im Dunkeln die Uhrzeit erkannten. Es sei ungefährlich,

spitzt die Pinsel mit der Zunge, sagte man. Diese

Frauen bemalten sich die Nägel, die Gesichter, und wetteten,

welche von ihnen am hellsten scheine. Sie bestrichen ihre

Zähne, sodass ihre Männer die Bisse sahen,

wenn das Licht aus war. Das Wunder ist nicht,

dass diese Frauen Licht verschluckten. Sondern, dass,

als ihre Haut sich löste und die Kiefer abfielen,

die Radiumfirma behauptete, sie wären an

Syphilis gestorben. Dass du mir von den

trivialen Splittern toter Heiliger erzählst, während diese

Frauen unter unseren Füßen leuchten.

Paige Lewis, Als ich sah, wie ein Pelikan verschlang

Blut

27 Liebesgeschichten

I. Zieh deine Stiefel an, 1918

Cap Joyce war ein Cowboy, der in Arizona eine Show-Ranch namens Spur Cross besaß, denn für Touristen den Cowboy zu spielen, war sehr viel lukrativer, als richtiges Vieh zu halten. Er hatte ein Zirkuspferd, das Patches hieß und sich verbeugen, auf dem Boden herumrollen und Matheaufgaben durch Nicken lösen konnte. Manchmal stand Cap auf Patches’ Rücken und spielte Gitarre. Dann kam der Erste Weltkrieg. Cap verkaufte Patches, übertrug seiner Frau die Verantwortung für die Ranch und ging weg, um in Frankreich zu kämpfen, wo er einen Senfgasanschlag überlebte und daraufhin mit Medaillen überhäuft wurde. Er war mein Urgroßvater.

Cap war seit einer Woche wieder zu Hause, als ihn die Rancharbeiter zur Seite nahmen und ihm sagten, dass seine Frau etwas mit dem Vorarbeiter habe. Sie hätten das eigentlich gar nicht erwähnen wollen, sagten die Rancharbeiter, aber die beiden machten keine Anstalten, damit aufzuhören.

Cap fragte: «Wo ist er?»

Cap ging zu den Schlafräumen. Der Vorarbeiter zog sich gerade an.

«Du fickst meine Frau?», fragte Cap.

Der Mann erstarrte. «Ja», sagte er.

Cap sagte: «Zieh deine Stiefel an.»

Der Vorarbeiter zog seine Stiefel an.

Cap erschoss ihn. Er soll nicht stark geblutet haben, heißt es.

II. Gewerkschaftsmädchen, 1984

Meinen ersten Kuss gab mir ein Kommunist. Er hieß Jack. Er gehörte zu einer Krabbelgruppe in New York. Alle Mütter waren Mitglieder der International Ladies’ Garment Workers’ Union, nur meine nicht. Was sie dort machte, weiß niemand.

Die Babys in dieser Krabbelgruppe robbten über den Teppich, und die Mütter tranken becherweise Kaffee, und die Babys waren zum größten Teil nackt, und waren sie nicht nackt, trugen sie Latzhosen. Ordentliche kommunistische Babys tragen Latzhosen.

Hier eine Auswahl dessen, was ich trug: winzige Lederhosen (Deutschland), einen echten Seidenkimono mit einem gestickten roten Vogel auf der Brust (Japan), eine Jacke aus Kaninchenfell mit Holzknöpfen (Russland). Meine Großeltern waren viel unterwegs gewesen, und mir, ihrem ersten Enkelkind, brachten sie immer etwas mit.

Es gibt ein Foto von diesem ersten Kuss. Jack – in Latzhosen – ist im Vierfüßlerstand, er hat lange schwarze Ringellocken. Ich, quasi glatzköpfig, beuge mich zu ihm hinüber, die Hände auf den Teppich gepresst. Ich trage ein pinkes Samtjäckchen (Paris).

Eine Woche später sagten die Gewerkschaftsdamen: «Du kannst nicht mehr kommen, wenn du sie weiter so anziehst.» In der folgenden Woche zog mir meine Mutter die Kaninchenfelljacke an, sie dachte nicht, dass die Gewerkschaftsdamen Ernst machen würden. Aber sie machten Ernst.

III. Grundbuchamt, 1921

Nachdem Cap aus dem Gefängnis entlassen worden war, ging er zum Grundbuchamt, er wollte eine neue Ranch in Wyoming aufbauen. Am Empfang saß eine Frau, eine Sekretärin. Ihr Name war Robbie Baker.

«Kann ich Ihnen helfen?», fragte sie.

«Ich werde Sie heiraten», sagte Cap. «Und ich brauche Land.»

Das war meine Urgroßmutter.

IV. Bienenstich, 1989

Brian Katrumbus war der schnellste Junge im Kindergarten, und er hatte Haare wie Maisbart. Es war Valentinstag. Eine Woche zuvor, als mich eine Biene gestochen hatte, während ich am Fenster vor mich hin träumte, und ich dann leise geweint und nicht gewusst hatte, was ich tun sollte, war es Brian Katrumbus, der dem Lehrer gesagt hatte, dass etwas mit mir nicht stimmte. Er stupste die Lehrerin an und sagte: «Etwas stimmt nicht mit ihr.»

Ich hatte eine ganz besondere Valentinskarte für Brian Katrumbus ausgesucht. Ich trug ein Pflaster auf meiner kleinen Wunde, als ich ihm dabei zusah, wie er seine Briefumschläge öffnete, ich war gespannt darauf, wie ihm meine Karte gefallen würde. Aber Brian Katrumbus hatte eine Taktik. Er riss jeden Umschlag auf, dann schüttelte er ihn kräftig, sodass alle Süßigkeiten, die sich darin befanden, vor ihm auf dem Teppich landeten.

Dann schmiss er den Rest beiseite. Wie das Enthülsen von Erbsen.

V. Handel, 1932

Cap und Robbie heirateten. Während der Depression lebten sie mit ihren beiden Söhnen in ihrem Auto. Einer dieser Söhne war mein Großvater Eddie. Cap fuhr durch das Land und machte Geschäfte mit der indigenen Bevölkerung. Er bot ihnen Werbeplatz für ihre «Handelsniederlassungen» in seiner Zeitschrift über den «Wilden Westen» an und erhielt von ihnen im Gegenzug Kunsthandwerk für Touristen – Kopfschmuck, Bögen und Perlen. Später verkaufte Cap dieses Kunsthandwerk oder tauschte es gegen Nahrungsmittel. Falsches «Indianer»-Handwerk. Falsche «Cowboy»-Zeitschriften.

«Wie fand Robbie das alles?», frage ich. «Wo ist denn die Frau in dieser Geschichte?»

«Robbie hielt die ganze Zeit zu ihm», sagt meine Familie.

Cap bekam einen Job, in New York.

Cap hasste die Stadt, den Job. Er trank.

(Das ist eine Familientradition, die sich durch die Generationen zieht. Wir hassen etwas, also trinken wir. Wir lieben etwas, also trinken wir. Wir haben Pech, also trinken wir. Wir fürchten das Glück, also trinken wir. Das hat mit einer bestimmten Art von Traurigkeit zu tun, die uns im Blut liegt. Meine Mutter hat einen Zettel an ihren Kalender geheftet, auf dem ein Zitat von Yeats steht: «Als Ire hatte er einen beständigen Sinn für das Tragische, der ihm in gelegentlichen Phasen der Freude stets eine Stütze war», und als ich diesen Satz zum ersten Mal las, schlug er in meinem Kopf wie eine Wünschelrute aus.)

Cap ergatterte beinahe eine Rolle in einem Western, aber dann machte Tom Mix das Rennen.

Cap war enttäuscht. Er trank.

«Aber zurück zu Robbie», sage ich. «Wollte sie denn, dass Cap Schauspieler wird?»

«Robbie hielt immer noch zu ihm», sagt meine Familie.

Ich möchte aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, aber manchmal wirkt es so, als sei das wirklich Wissenswerte ausgeblendet worden. Als sei Unwissenheit das Einzige, was jeder nachfolgenden Generation erlaube, in eine Liebe hineinzustolpern, wie flüchtig sie auch immer sein möge, und die nächste Generation hervorzubringen.

VI. Alle Kakteen sind Sukkulenten, aber nicht alle Sukkulenten Kakteen, 1994

Meine Eltern machen Urlaub in Arizona. Als sie zurückkommen, bringen sie meiner Schwester Leslie und mir Kakteen mit. Kleine, in Kies eingetopfte pelzige Stümpfe.

Innerhalb eines Monats sind beide Kakteen tot.

Der Kaktus meiner Schwester ist vertrocknet und geschrumpft. Verdurstet.

Meiner hängt vornüber, verfault. Ich habe ihn zu oft gegossen und die Wurzeln ertränkt.

Unsere Eltern tauschen Blicke aus. Als wüssten sie bereits, dass es mit der Liebe nicht einfach für uns wird. Dass wir beide verkorkst sind, auf unterschiedliche Weise, aber in gleichem Maße.

VII. So wahr diese Steine, 1948

Meine Großeltern lernten sich im Theater kennen.

Cap schaffte es nicht, Schauspieler zu werden, aber Jahre später spielte sein Teenagersohn, mein Großvater Eddie, die Rolle des «verkrüppelten, durch ein Wunder geheilten Jungen» in einem Stück an der Blackfriars Guild. Maureen Jarry war für die Requisiten verantwortlich. Sie war älter als er. Wir wissen immer noch nicht, um wie viele Jahre. Sie weigert sich, es uns zu sagen. Eddie log natürlich über sein Alter. Er sagte ihr, er wäre zwanzig. Maureen gab ihm einen Korb. Sie war damals mit dem Hauptdarsteller zusammen, der nicht nur älter, sondern auch ziemlich erfolgreich war.

Mein Großvater war schon immer ein renitenter Scheißkerl.

Wochenlang bearbeitete er meine Großmutter.

Nichts.

Dann passierte Folgendes:

Eine der Requisiten im Stück war eine Handvoll Kies, die Maureen jeden Abend auf der Freifläche hinter dem Theater sammelte. In der Schlussszene hielt der Hauptdarsteller den Kies in den Händen und sagte, «So wahr diese Steine den Boden berühren, heile ich dich», und dann drehte er seine Hand um, und die Steine fielen zu Boden, und durch dieses Wunder konnte die Figur meines Großvaters wieder laufen. Doch eines Winterabends sammelte meine Großmutter hinter dem Theater etwas, das sie zwar für Kies hielt, das aber tatsächlich, wie mein Großvater stets begeistert beschreibt, «gefrorene Hundekackwürste» waren.

Und so fiel Stunden später, als der ältere Schauspieler seinen Text sprach und die Hand umdrehte, kein Kies auf den Boden, stattdessen blickte er auf eine Handvoll frisch aufgetauter Hundescheiße.

«Ich bin geheilt!», rief mein Großvater dennoch. Er tanzte ohne Krücken über die Bühne. «Oh, ich bin geheilt!»

VIII. Maissirup, 1997

In der Mittelstufe führten wir Macbeth auf. Danny spiele den zweiten Mörder.

Der zweite Mörder gab mir meinen ersten richtigen Kuss.

Ich war Regieassistentin und schlich am liebsten ganz in Schwarz gekleidet und mit einem Clipboard unter dem Arm hinter der Bühne herum. Wir hatten Premiere. Danny rannte von der Bühne, nachdem er Banquo ermordet hatte. Er entdeckte mich in der Dunkelheit, und wir flüsterten. Es war gut gelaufen. Er war aufgekratzt. Er war voller rotem Maissirup-Blut.

«Ich will dich umarmen, aber …», sagte er.

«Umarm mich», sagte ich.

Dann war ich voller Kunstblut. So ist die Liebe.

Mein bester Freund kam mit seinem besten Freund zusammen, und wir telefonierten abends alle miteinander. Es war aufwendig, uns alle vier gleichzeitig an den Hörer zu bekommen, und hatten wir es geschafft, wussten wir oft nicht, wer wer war.

«Du bist so lustig», sagte ich zu demjenigen, den ich für Danny hielt.

«Das war ich nicht», sagte er dann.

Direkt nach diesen Gesprächen riefen mein bester Freund und ich uns an. Wer von den beiden war Nirvana-Fan? Wer wollte Koch werden? Wessen Mutter konnte uns ins Kino fahren? Wir waren uns nie sicher.

IX. Blut, 1967

Meine Mutter hat mir hundertmal von dem Jungen erzählt, der sein Blut verkaufte, um ihr Blumen zu schenken. «Er hatte ein Motorrad», sagt sie. «Er hatte kein Geld, aber er wollte mich ausführen, also ging er los und verkaufte mehrere Liter seines Bluts.»

Mehrere Liter.

«Er war benebelt beim Abendessen», sagt sie. «Er bekam nichts runter. Er sah so aus, als würde er gleich in Ohnmacht fallen. Aber er hatte mir Blumen geschenkt. Lilien. Ist das nicht romantisch?»

Diese Geschichte stört mich. Sie tritt meinem Vater auf den Schlips, das ist ein Grund, aber es geht vor allem darum, dass mir meine Mutter die Blumen als ein falsches Liebesbarometer vor die Nase hält.

Als stünde ihrer Generation echtes Blut zu und meiner nur Maissirup hinter der Bühne.

Seit ich vierzehn bin, fragt mich meine Mutter jeden Valentinstag, «Hat er dir Blumen gekauft?»

«Ich habe ihm gesagt, dass er das nicht soll», sage ich.

«Warum das denn?», fragt sie. «Was setzt du denn für Maßstäbe?»

«Ich will so eine Beziehung nicht», sage ich. «Ich will keine Blumen.»

Was ich eigentlich sagen will: Hör auf, so zu tun, als wären die Lilien das Entscheidende, nicht das Blut.

X. Scrabble-Weltmeister, 2000

Als ich zum ersten Mal mit dem Jungen schlief, dachte ich, ich würde bluten, weil das Jungfrauen nun mal so tun, aber das Laken blieb sauber. Keine rote Flagge, die er aus dem Fenster hängen konnte, oder welche große Geste auch immer einem das Gefühl geben sollte, dass dieser Moment ein ganz besonderer war. Ich war als Kind viel geritten. Der Moment hatte also schon vor Jahren stattgefunden, ohne dass ich es gemerkt hatte.

Wir hatten gedacht, dass seine Mutter den ganzen Nachmittag weg wäre, aber sie kam früher nach Hause und klopfte mittendrin an seiner Tür.

«Was macht ihr da drinnen?», fragte sie durch die Tür, nicht weil sie sich Sorgen machte, sondern weil sie die Art von Frau war, die gerne Gesellschaft hatte.

«Wir spielen Scrabble», sagte der Junge.

«Und wer gewinnt?», fragte sie.

«Beide», sagte er.

XI. Daraus wird nie etwas, 1969

Meine Mutter, Brenda, kurz Boo, hatte ein Blind Date mit einem Mann namens Doug Bush, es war eine ganze Gruppe, die ausgehen wollte. Aber Doug Bush wurde krank, und die Freundin meiner Mutter wollte nur mitkommen, wenn auch Boo jemanden hatte. Also entschied der Mann, der heute mein Onkel Paul ist, dass sein kleiner Bruder Tom, mein Vater, einspringen würde.

«Es war kein Date», sagt meine Mutter, was neu für mich ist.

Für meinen Vater ist das auch neu.

«Was meinst du damit, es war kein Date?», fragt er. «Das war unser erstes Date – natürlich war es ein Date.»

Mein Vater erinnert sich daran, dass sie bei diesem Essen zufällig auf andere Freunde trafen und er sich mit einem von ihnen über den kleinen grünen Triumph unterhielt, den er ihm kurz zuvor für wenig Geld abgekauft hatte. Darüber, wie das Auto immer wieder stehen blieb und mein Vater jedes Mal aufs Neue versuchte, es zu reparieren.

Er erinnert sich daran, dass meine Mutter etwas wie «Typisch Mann, sich über Autos zu unterhalten» sagte.

Er erinnert sich daran, dass er antwortete: «Typisch Frau, sich über Gespräche zu beschweren, in denen Autos vorkommen.»

«Wir haben rumgeschäkert», sagt mein Vater.

Meine Mutter erinnert sich an fast gar nichts, nur daran, dass mein Onkel Paul sie an diesem Abend zu Hause absetzte und …

«Ich habe dich abgesetzt!», sagt mein Vater.

«Warst du das?», fragt Boo. So oder so, als man sie zu Hause abgesetzt hatte, fragte meine Großmutter Maureen, wie es gewesen sei, und meine Mutter antwortete: «Daraus wird nie etwas. Er geht in D. C. aufs College.»

«Die Tatsache, dass du das gesagt hast, beweist, dass es ein Date war», sagt mein Vater.

«Ich weiß noch, was ich trug.»

«Natürlich tust du das», sage ich. «Natürlich ist es das, woran du dich erinnerst.»

«Weißt du es noch?», fragt sie meinen Vater.

Mein Vater ist ein pragmatischer Mann. Mein Vater trägt heute noch T-Shirts, die er sich in den Siebzigern zugelegt hat.

«Es war ein blaues Kleid», sagt er. «Mit einem Kragen und so einem Gürtel.» Er tut so, als zöge er eine Schnalle fest.

«Ja», sagt Boo. «Meine Mutter hat das Kleid genäht.»

Warum hat sie ausgeblendet, was sie an diesem Abend fühlte, aber weiß noch, welches Kleid sie trug? Warum ist der Teil die-ser Geschichte, der fehlt, derjenige, den ich am meisten brau-che?

Ein Jahr nach diesem Vielleicht-ersten-Date machte mein Vater seinen Abschluss, und meine Mutter ging aufs College, und mein Vater verheizte im wahrsten Sinne des Wortes seinen Triumph, so oft besuchte er sie. Das Auto brannte auf dem Seitenstreifen eines Highways aus.

XII. Der männlichste Sport, 2001

Bei einem Picknick für Freunde und Familie treffe ich Doug Bush, den Mann, mit dem meine Mutter eigentlich ihr Blind Date hätte haben sollen. Ich bin sechzehn und habe die ganze Zeit versucht, mit dem einzigen anwesenden Jungen zu flirten, von dem ich mit Sicherheit sagen kann, dass wir nicht miteinander verwandt sind: dem Geiger, den man für ein paar Lieder in der Scheune gebucht hat. Als das nicht klappt, finde ich mich irgendwann neben Doug Bush wieder, wir trinken Bier und spielen Hufeisenwerfen.

«Hufeisenwerfen», erklärt mir Doug Bush, «ist der männlichste Sport überhaupt, weil man dabei nie sein Bier abstellen muss.»

Doug Bush klingt wie ein Roboter, als er mir das erklärt, denn er hatte wegen des Rauchens Kehlkopfkrebs, und seine Stimmbänder wurden durch einen kleinen Apparat ersetzt, auf den er drücken muss, wenn er reden möchte.

Doug Bush drückt auf seinen Knopf und sagt: «Ich hätte dein Vater sein können.»

XIII. Geodenmann, 1970

Um meine Mutter in ihrem Mädchencollege in Upstate New York zu besuchen, fuhr mein Vater drei Stunden lang gen Norden, aber er beschwerte sich weder über die lange Strecke noch über die Kälte. Sie gingen in eine Bar, die The Tin & Lint hieß, wo mein Vater Schlitz und meine Mutter Gin Rickeys trank. Sie besuchten die Pferderennbahn und wetteten, mein Vater zahlte, und meine Mutter setzte ausschließlich auf Apfelschimmel, ganz egal, welche Gewinnchancen sie hatten.

Aber müsste man sich auf einen Moment festlegen, der entscheidend war für ihre Liebesgeschichte – und für meine Existenz –, so war das die Geode.

«Wohin gehen wir?», fragte meine Mutter.

«Zum Parkplatz», sagte mein Vater. «Ich habe ein Geschenk für dich.»

Oben linsten die Freundinnen meiner Mutter aus den Fenstern des Wohnheims.

Er hievte etwas aus dem Kofferraum. Einen Stein in der Größe einer Melone.

«Danke für den Stein», sagte meine Mutter.

«Das ist eine Geode», sagte mein Vater. «Innen sind Kristalle.» Er holte einen Hammer aus dem Kofferraum und gab ihn meiner Mutter.

«Welche Farbe haben die Kristalle?», fragte meine Mutter.

«Das weiß ich nicht», sagte mein Vater. «Sie könnten blau sein, lila, braun oder grau. Wir müssen das Ding aufbrechen, um es herauszufinden.»

«Mach du», sagte meine Mutter. «Und ich will hoffen, dass diese Kristalle nicht aus einem dreckigen Braun sind.»

(Was man über meine Mutter wissen sollte: Sie meinte das ernst.)

Mein Vater schwang den Hammer. Der Stein zerbrach. Meine Mutter untersuchte den Inhalt.

Amethyst-Kristalle.

Sie küsste meinen Vater, und sie gingen etwas trinken.

Als er sie Stunden später zurück zu ihrem Wohnheim brachte, wurde im dritten Stock laut gekichert. Mädchen schauten aus den Fenstern.

«Geodenmann!», riefen sie. «Bring uns beim nächsten Mal einen Stein mit, Geodenmann.»

Die Geode thront im Wohnzimmer meiner Eltern.

Sie macht mir Angst. Der Stein. Die Geschichte. Weil ich mich frage: Wenn diese Kristalle auch nur irgendeine andere Farbe gehabt hätten – hätte ich es dann überhaupt in diese Welt geschafft?

XIV. Messer, 2002

Eine Tarotkartenleserin kommt zu uns nach Hause und legt meiner Schwester und mir die Karten. Sie sagt meiner Schwester, dass sie einen Mann heiraten wird, der mit Messern arbeitet.

Meine Schwester denkt: einen Arzt.

Ich denke: einen Metzger.

Wir einigen uns darauf, dass wir die Augen nach gut aussehenden Köchen aufhalten.

«Was ist mit mir?», frage ich. «Mit wem werde ich am Ende zusammen sein?»

«Ich sehe ein Flugzeug», sagt die Wahrsagerin. «Ich sehe dich weit weg gehen.»

«Was soll ich denn damit anfangen?», frage ich.

XV. Was uns erwartet, 1950 & 1973

Mein Großvater heiratete mit siebzehn – er war so jung, dass seine Mutter für ihn die Heiratsurkunde unterschreiben musste. Meine Mutter heiratete meinen Vater einen Monat nach ihrem Abschluss. Ich bin mir sicher, dass es nicht leicht ist, jung zu heiraten und das eigene Erwachsenwerden mit dem eines anderen zu synchronisieren. Aber ich glaube, dass es zugleich auch einfacher ist.

Es ist erstaunlich, dass diejenigen unter uns, die die Liebe erst später finden, die Kraft aufbringen, es noch einmal zu versuchen – mit all den Jahren an Geschichte, die hinter uns herscheppern wie Blechdosen an einem Hochzeitsauto.

XVI. Newports, 2003

Ich arbeitete als Kellnerin in einem winzigen Restaurant, in dem ich fast nichts verdiente. Das Küchenpersonal nannte mich «die Russin», weil meine Handschrift so schlecht war, dass sie annahmen, ich schriebe kyrillisch. Der Küchenchef war 38, und ich war 19, aber das machte mir nichts, denn er war wunderbar, und ich malte mir aus, wie er mir in den Kühlraum folgte und mich aus meiner Schürze befreite und mich gegen die Tüten tiefgekühlter Shrimps und Tortellini gelehnt fickte. Dazu kam es nie. Obwohl ich mir alle Mühe gab.

Mit «Mühe geben» meine ich, dass ich überzeugt war, ich müsse nur mit den anderen Kellnern und ihm draußen eine rauchen gehen und würde ihn schon näher kennenlernen, und er würde es schon erahnen, dass ich mich nach ihm verzehrte, auch wenn ich nie etwas sagte.

Also tauchte ich eines Tages mit einer Zigarettenpackung auf.

«Du rauchst?», fragte der Küchenchef.

«Schon immer», sagte ich.

Ich zündete mir meine erste Zigarette an. Es war eine Newport Menthol.

Zehn Jahre nach meiner ersten Zigarette hörte ich genauso auf, wie ich angefangen hatte: für einen Mann.

Ich schrieb einer alten rauchenden Freundin:

ICH HAB AUFGEHÖRT. FÜR EINEN TYPEN. WAR JA KLAR.

Sie schrieb zurück:

DAS EINZIGE, WORAUF MAN FÜR EINEN TYPENJEMALS VERZICHTEN SOLLTE, IST SEX MIT ANDEREN LEUTEN.

XVII. Guys and Dolls, 2004

Ich gehe aufs College und schließe mich einer Theatergruppe an, was meiner Mutter Kopfschmerzen bereitet. In den Weihnachtsferien sitzen wir auf dem Sofa in unserem Wohnzimmer.

«Geh nie mit einem Mann aus, der mehr Musicalnummern draufhat als du», sagt meine Mutter.

Mein Vater, im Nebenzimmer, hört das. Er tritt von rechts auf, ins Wohnzimmer, tanzt den Charleston.

«Ich setz auf dieses hier!», singt er. «Das Pferd heißt Paul Revere!»

Er tänzelt aus dem Zimmer, Abgang nach links.

«Ich meine es ernst», sagt meine Mutter.

Mein Vater tritt wieder auf, irgendwie schafft er es, schon wieder von rechts zu kommen, er singt:

«Wenn wir uns kennen! Wenn wir beim Namen uns nennen!»

XVIII. Mittelsfrau, 1999

Mein Onkel Randall, der Bruder meiner Mutter, ist Journalist. In den späten Neunzigern reiste er durch den Balkan, um über die besorgniserregend inkonsequente Verfolgung serbischer Kriegsverbrecher zu berichten. Er wollte ein verdecktes Interview mit einem Mann führen, der bekanntermaßen zahlreiche Vergewaltigungen und Morde begangen hatte und ziemlich offen, von seiner eigenen privaten Miliz beschützt, in einem kleinen bosnischen Dorf wohnte. Alle Mittelsmänner vor Ort sagten ihm, dass seine Idee vollkommen irrsinnig, schrecklich und höchstwahrscheinlich tödlich sei, und winkten ab. Dann schlug eines Tages jemand vor:

«Hast du schon mit Goca Igrić gesprochen? Ich denke, sie ist die Richtige für dich.»

Goca ist auch Journalistin. Sie ist Serbin, raucht ununterbrochen rote Marlboros, trinkt täglich mehrere Kannen türkischen Kaffees und erhielt damals Morddrohungen von einer ganzen Reihe politischer und krimineller Organisationen, weil sie während des Krieges klar und deutlich gegen Slobodan Milošević Stellung bezogen hatte.

Ich habe meinen Onkel einmal gefragt, wann er sich in Goca verliebt hat.

Sie wurden erst viele Jahre später ein Paar, aber er sagte, dass es vielleicht bei ihrem ersten Treffen in einem Café war, als er ihr erzählte, was er machen wollte, und sie bat, seine Mittelsfrau zu sein. Er sagte, Goca habe geschwiegen, nachdem er ihr diese vollkommen irrsinnige, schreckliche und höchstwahrscheinlich tödliche Idee vorgestellt habe. Sie stieß allen Rauch aus ihrer Lunge aus und sagte: «Ich denke, ich kann das nicht nicht machen.»

«Vielleicht wusste ich es da», sagte mein Onkel.

Zum ersten Mal brachte mir meine Familie etwas über die Liebe bei, das so ehrlich war wie Blut. Ich kann das nicht nicht machen.

XIX. Belesen, 2004

Stanley war ein wunderbarer Schauspieler und liebte es, laut vorzutragen, und einmal, als es mit uns schon fast vorbei war, las er mir aus der Ilias vor.

Er hatte bereits fünfzehn Minuten lang gelesen, als mir plötzlich klar wurde, dass Menschen manchmal weniger verliebt als vielmehr auf der Suche nach einem Publikum sind. Ich arbeitete hinter der Bühne, war eine von denen, die nähten und schweißten und die Scheinwerfer bedienten, und vielleicht brauchte ich deswegen so lange, um das zu verstehen – aber als ich so weit war, fing ich an, mich verschwinden zu lassen. Eine gute Bühnenarbeiterin. Eine gute Frau.

Es war nicht Stanleys Schuld, dass ich das für meine Bestimmung hielt. Es waren die jahrelangen Familiengeschichten, die darüber hinweggegangen waren, dass die Frauen es im Blut hatten, was falsch und was richtig war. Die die Wahrheit hinter einer romantischen oder, schlimmer noch, schicksalsschwangeren Kulisse verbargen.

Ich ließ mich verschwinden, so, wie man langsam Scheinwerfer herunterregelt. Mehr und mehr, das Licht wird gedimmt, geht in Schwarz über und dann vollends aus.

XX. Farbenblind, 2003

Meine Schwester Leslie erbringt den größten Liebesbeweis, den ich je gesehen habe.

Sie war bereits seit einer Weile mit Doug zusammen, als sie herausfand, dass er farbenblind war.

Meine Schwester drehte durch, weil das all ihre sorgfältig aufeinander abgestimmten Outfits ruinierte. Meine Schwester nimmt ihre Kleidung sehr ernst.

«In deinen Augen», sagte Leslie zu Doug, «beißt sich alles. Ich sehe furchtbar aus.»

«Du bist wunderschön», entgegnete Doug.

Aber meine Schwester konnte es nicht akzeptieren, dass all ihre Rottöne zu Grüntönen wurden. Sie hasste Grün.

Als ich sie das nächste Mal sah, trug Leslie einen grünen Pullover. Zusammen mit einem dunkelblauen Rock.

«Hübscher Pulli», sagte ich.

«Er ist scheußlich», sagte Leslie.

«Warum trägst du ihn dann?»

«Weil das für Doug wie Dunkelblau und Rot aussieht», sagte sie. «Und maritime Farben sind gerade im Trend.»

XXI. Black Cat, 2006

Wir Mädchen wollten zur Brit-Pop-Nacht ins Black Cat, um zu den Smiths und den Sex Pistols zu tanzen und zu rauchen und zu viel Eyeliner aufzutragen und uns einen Scheißdreck um die Jungs zu kümmern oder darum, dass die meisten von uns einige Monate später Examen machen und sich unsere Wege dann trennen würden. Ich ging mit, weil ich tanzen wollte, aber vielleicht auch wegen eines groß gewachsenen Mädchens namens Maggie, das eine riesige Brille und Hemden mit hochgekrempelten Lasst-uns-anpacken-Ärmeln trug, die mich extrem anmachten. Während unserer Treffen im Theater machte Maggie genauso umfangreiche Notizen wie ich und schaute von ihren Notizen in genau dem gleichen Moment auf wie ich, und wir starrten uns an.

Aber dann schafften wir es nicht ins Black Cat, weil ein Schneesturm aufzog.

(Am Ende küssten wir uns doch. Am Ende schliefen wir miteinander. Am Ende schaffte ich es nicht, das Wort bisexuell über die Lippen zu bringen, auch nicht das Wort queer, schaffte es nicht, die Wahrheit über die Lippen zu bringen und mich so zu outen, wie ich es hätte tun sollen, schaffte es nicht, ihr gerecht zu werden. Am Ende werde ich euch diese ganze Geschichte erzählen.)

Wir waren unglaublich enttäuscht wegen des Schnees, der durchkreuzten Pläne. Also gingen wir alle auf die gleiche langweilige Party, die wir eigentlich hatten vermeiden wollen, und taten so, als hätten wir Spaß.

Ich ging raus auf den Balkon, um eine zu rauchen und dem Schneetreiben zuzusehen. Eine kleine Ansammlung von Menschen stand dort draußen. Ich entdeckte Maggie. Sie trug keine Brille. Sie trug ein schwarzes Tanktop. Sie winkte mir von der anderen Seite des Balkons zu. Ich winkte zurück. Dann starrten wir uns an wie bei den Theatertreffen, und sie zog ihr Tanktop ein wenig hoch. Auf ihrem Bauch stand in rotem Lippenstift:

ICH WÄRELIEBER IMBLACK CAT

XXII. Ashokan Farewell, 2007

Ein Freund von mir arbeitete auf einer dieser Farmen, wo er für Touristen, die so etwas liebten, Klamotten von anno dazumal anzog und eine Nickelbrille aufsetzte und so tat, als wäre er ein Blechschmied, ein Banjospieler, ein Mann aus dem Jahr 1901. Aber er trug tatsächlich solche Klamotten und schmiedete Blech und spielte das Banjo, deswegen war es schwer zu sagen, was echt und was gespielt war.

Ich besuchte ihn. «Ich will dir Frank vorstellen», sagte mein Freund.

Frank war ein kettenrauchender Koch, der auf der Farm wohnte und scheißechte Ringellocken hatte. Es war nur so, dass es auf der Farm auch einen Esel gab, der Frank hieß, und so war ich kein bisschen vorbereitet, als mich mein Freund mitnahm, um «Frank» kennenzulernen, weil ich erwartet hatte, einem Esel vorgestellt zu werden, und dann stand da dieser Mann mit scheißechten Ringellocken.

Eins führte zum anderen.

Frank führte mich nach unten, und als er mir mein T-Shirt auszog, rief ich: «Warte!»

Ich hatte ein riesiges, sepiafarbenes gerahmtes Foto über dem Kamin entdeckt, das zwei Menschen mit einem Baby zeigte, und ich fragte ihn, wer das war, denn sie waren wunderschön.

Er sagte, das seien seine Eltern, und das Baby er selbst. Als sie sich scheiden ließen, hätten seine Eltern sich so gehasst, dass keiner von ihnen den Anblick des Bildes ertragen konnte und sie es wegwerfen wollten, also nahm er es.

Ich zog mein T-Shirt wieder an, denn vielleicht geht alles am Ende immer schrecklich schief, und es gibt überhaupt keinen Sinn in alledem, und angesichts dieser ganzen Tragik, die da über unseren Köpfen hing, konnten wir doch unmöglich ficken, oder?

Frank zog mir mein T-Shirt wieder aus, aber auf eine freundliche Art.

XXIII. Hoffnung, 2008

Meine Beziehung mit Bob hielt ein ganzes Jahr länger, als sie es eigentlich hätte tun sollen, denn Barack Obama kandidierte für das Präsidentenamt und ließ uns an die Kraft der Wiedergutmachung glauben, und wir dachten, dass er vielleicht auch uns vor den kleinlichen Sticheleien, mit denen wir uns gegenseitig wehtaten, retten könnte. Auch wir würden uns ändern können.

Danke auch, Obama.

Als ich Bob verließ, schrieb er eine Kurzgeschichte darüber und reichte sie in unserem Schreibseminar ein. In der Geschichte war er ein Rockstar und ich eine Bäckerin. In der Geschichte hatte er sich ausgedacht, dass ich mich bei meinem ersten Freund mit Chlamydien angesteckt hatte und mir meine Eierstöcke entfernen lassen musste und jetzt unfruchtbar war. In der Geschichte hieß ich Zoe und schrie den Rockstar auf offener Straße an. Schrie ihm Dinge ins Gesicht, die ich ihm tatsächlich eine Woche zuvor auf offener Straße ins Gesicht geschrien hatte.

«Der Dialog ist unglaublich lebendig», sagte der Dozent. «Ein richtiger Durchbruch in deiner Arbeit.»

«Aber hast du denn noch deine Eierstöcke?», fragten meine Freunde.

XXIV. Saufgelage, 2009

Al lud mich mitten im Winter nach Long Island ein, weil ich noch nie einen 7-Eleven-Slurpee getrunken hatte. Das war absurd, aber ich sagte Ja, weil er so derart förmlich fragte:

«Dürfte ich dich am kommenden Samstag um zwei Uhr auf Long Island auf einen Slurpee und vielleicht einen Spaziergang am Strand einladen?»

Der Zug brauchte zwei Stunden und fuhr durch Orte mit Namen wie Wantagh und Islip. Auf der Bahnhofstoilette trug ich Lippenstift auf, und die Frau neben mir, Stock im Arsch, suchte meinen Blick im Spiegel und sagte: «Schätzchen, das brauchst du doch nicht.» Al holte mich ab, und wir kauften uns Slurpees und tranken sie in unseren Wintermänteln am Strand.

Auch wenn unsere Eltern sehr unterschiedlich waren, hatten sie uns auf ähnliche Weise geprägt. Ich glaube, wir hatten Angst, nicht verdient zu haben, was wir einander gaben.

An diesem ersten Tag am Strand hatte Al einen Flachmann mit Whiskey dabei. Er fragte mich, ob ich etwas davon wolle. Ich sagte Ja.

Was er tatsächlich sagte, war: «Hast du schon jemals an einem Saufgelage teilgenommen?»

Was ich tatsächlich sagte, war: «Ich wollte schon immer an einem Saufgelage teilnehmen.»

Unser Saufgelage dauerte vier gute Jahre.

XXV. «Die Efeukrone», 1979

«Was für ein Gedicht hast du noch mal auf eurer Hochzeit gelesen?», frage ich meine Mutter. «Dieses kitschige Rilke-Gedicht?»

«Das war kein kitschiges Rilke-Gedicht», sagt meine Mutter. «Das war William Carlos Williams, und dein Großvater hat geweint, als er es vorgelesen hat.»

«Wie hieß es?»

«Ich weiß den Titel nicht mehr, aber es war irgendetwas mit ‹Liebe ist Grausamkeit›, bla bla bla.»

«Liebe ist Grausamkeit?», frage ich.

Meine Mutter sagt: «Das Gedicht ist gut.»

Sicher

Liebe ist grausam

selbstsüchtig und

vollkommen stumpf –

Aber …

wir haben,

gleichgültig wie,

durch unseren Willen überlebt

Wir wollten es so

und so ist es

jenseits des Zufalls.

XXVI. Das Bienenmassaker von Wilsonville, 2013

Ich stieg in ein Flugzeug nach Oregon, nachdem ich meinen Ex-Freund Arlo wiedergesehen und entschieden hatte, dass wir uns immer noch liebten, füreinander bestimmt waren und heiraten würden. Wir überlegten, ob ich meine Pläne, in Florida zu promovieren, in den Wind schießen und nach Oregon ziehen sollte.

Wir fuhren drei Stunden bis zur Küste, wo wir uns in die Dünen setzten und auf den Pazifik starrten, ein romantischer Abend, aber dann tauchten diese Hubschrauber auf und richteten ihre Scheinwerfer auf das Wasser. Wir hielten uns die Ohren zu und beobachteten, wie die Lichter auf der Suche nach einer Leiche die Wasseroberfläche durchkämmten.

Verwirrt flog ich zurück nach Hause. Ich packte meine Freundin Cora, zog sie ins Bett, weinte sie nass und sagte: «Ich liebe ihn, aber ich bin nicht in ihn verliebt! Aber vielleicht sollten wir trotzdem einfach heiraten! Vielleicht sollte ich nach Oregon ziehen! Vielleicht fühlt sich so die wahre Liebe an!»

Cora ist eine gute Freundin, und deswegen wies sie mich nicht darauf hin, dass ich gerade «wahre Liebe» gesagt hatte.

«Alles ist gut», sagte sie. «Du wirst jetzt die Klappe halten, und dann wirst du nach Florida ziehen, wo du niemanden kennst, so, wie du es vorhattest. Und ab und an wirst du mich anrufen und mir alles erzählen. Und das wird gut sein.»

«Aber …», erwiderte ich.

«Still jetzt», sagte sie. «Halt die Klappe, und alles wird gut.»