Die Kuh, die weinte - Ajahn Brahm - E-Book
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Die Kuh, die weinte E-Book

Ajahn Brahm

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  • Herausgeber: Lotos
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2009
Beschreibung

Unterhaltung und Lebensschule für Jung und Alt

Schon Buddha unterwies seine Zuhörer mit Witz und Weisheit. Ajahn Brahm steht in der Tradition dieser orientalischen Erzählkunst. Geschickt verknüpft er die uralten Weisheiten mit modernen, lebensnahen Themen. Mit viel Humor und Einfühlungsvermögen unterhält er seine Leser – und eröffnet auf ganz unaufdringliche Weise neue Wege zu einem glücklichen und erfüllten Leben.

Ein inspirierendes und erbauendes Buch, voll mit Geschichten von Liebe, Hoffnung, Glück und der Überwindung von Leiden. Mit erfrischendem Esprit und Einfühlungsvermögen kratzt Ajahn Brahm an eingefahrenen Überzeugungen und begegnet unseren kleinen Schwächen und Marotten mit entwaffnendem Humor. So regt jede dieser 108 kurzen Erzählungen dazu an, innezuhalten, um über den eigenen Lebensweg nachzudenken.

Was dieses Buch auszeichnet:
• Voller Inspiration und verblüffender Erkenntnisse – und immer unterhaltsam
• Ohne religiösen Fachjargon werden Leser jeden Alters angesprochen
• Herzerwärmend und humorvoll, bisweilen sanft ermahnend – aber ganz anders, als man es vielleicht von einem buddhistischen Abt erwarten würde

Nie wurden die buddhistischen Lehren unterhaltsamer präsentiert!

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Seitenzahl: 284

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Inhaltsverzeichnis
 
Widmung
Lob
EINFÜHRUNG
 
Perfektion und Schuldgefühle
Zwei mangelhafte Backsteine
Der perfekte Garten
Was getan wurde, ist fertig
Der Idiotenführer zum Seelenfrieden
Schuld und Erlösung
Warum die Häftlinge meditieren wollten
Die Kinder der Klasse B
Das Kind im Supermarkt
Auch wir verdienen Vergebung!
Abschied vom Schuldgefühl – für immer
 
Liebe und Verbindlichkeit
Bedingungslose Liebe
Öffnen Sie die Tür zu Ihrem Herzen
Heirat und Ehe
Verbindlichkeit
Hahn oder Ente
Dankbarkeit
Romantik
Wahre Liebe
 
Angst und Schmerz
Frei von Angst
Die Zukunft vorhersagen
Von Spielern
Was ist Angst?
Angst vor öffentlichen Auftritten
Angst vor Schmerz
Schmerz loslassen
Zahn in der Zange
Drogenhund und Kraftprotz
 
Wut und Vergebung
Wut
Die Gerichtsverhandlung
Das endlose Retreat
Der Wut verzehrende Dämon
Es reicht! Ich gehe!
Wie man einer Revolte Herr wird
Der Kniefall
Positive Vergebung
 
Glück schaffen
Mit Lob bringt man es weit
Wie man ein VIP wird
Das Zwei-Finger-Lächeln
Unbezahlbare Lehren
Auch dies geht vorbei
Ein heldenhaftes Opfer
Eine Wagenladung voller Mist
Es ist zu viel verlangt
Der bodenlose Mülleimer
Ausgleichende Gerechtigkeit
 
Ernsten Problemen mit Mitgefühl begegnen
Das Gesetz vom Karma
Teetrinken und abwarten
Sich mit dem Strom treiben lassen
Zwischen Tiger und Schlange gefangen
Eine Richtschnur fürs Leben
Gibt es ein Problem?
Entscheidungen treffen
Anderen die Schuld geben
Die drei Fragen des Kaisers
Die Kuh, die weinte
Das kleine Mädchen und ihre Freundin
Die Schlange, der Bürgermeister und der Mönch
Die böse Schlange
 
Weisheit und innere Ruhe
Die Flügel des Mitgefühls
Gutes für den Sohn
Was Weisheit ist
Kluges Speisen
Die Lösung des Problems
Falsch verstanden
Mein Geständnis
Die Gefahr eines weit geöffneten Mundes
Die redselige Schildkröte
Redefreiheit
 
Geist und Wirklichkeit
Der Exorzist
Das Größte der Welt
Wo der Geist wohnt
Wissenschaft
Die Wissenschaft des Schweigens
Blinder Glaube
 
Werte und das spirituelle Leben
Der allerschönste Klang
Was steckt in einem Namen?
Die Kraft der Pyramiden
Das Einmachglas der Prioritäten
Morgen werde ich glücklich sein
Der mexikanische Fischer
Der Tag, an dem alle meine Wünsche erfüllt wurden
 
Freiheit und Demut
Zwei Arten der Freiheit
Welche Art der Freiheit hätten Sie denn gern?
Die freie Welt
Ein Abendessen mit Amnesty International
Die Kleiderordnung eines Mönchs
Über sich selbst lachen
Der Hund, der zuletzt lachte
Beleidigung und Erleuchtung
Die Geschichte meiner Erleuchtung
Die Straßensau
Hare Krishna
Der Hammer
Ein Streich, der keinem weh tut
Der Idiot
 
Leiden und Loslassen
Nicht daran denken ist die halbe Miete
Eine bewegende Erfahrung
Ich Armer, die Glücklichen
Ein Rat für Schwerkranke
Was stimmt nicht am Kranksein?
Krankenbesuche
Über die Leichtigkeit des Todes
Trauer, Verlust und die Feier eines Lebens
Fallende Blätter
Gute und schlechte Seiten des Todes
Der Mann mit den vier Frauen
Lachen, wenn’s weh tut
Der Wurm und sein wunderschöner Misthaufen
 
GLOSSAR
ANMERKUNGEN
ÜBER DEN AUTOR
Copyright
Für meinen Lehrer Ajahn Chah, der in Frieden lebte,für meine Gefährten, die Mönche,die mir die Herrlichkeit des Schweigens ins Gedächtnis rufen,und für meinen Vater, der mich Herzensgüte lehrte.
Gönne dir einen Augenblick des Friedens, und du wirst begreifen, wie unsinnig es war, dich abzuhetzen.
 
Lerne zu schweigen, und du wirst feststellen, dass du zu viel geredet hast.
 
Sei gütig, und du wirst merken, dass du zu streng über andere geurteilt hast.
 
- altes chinesisches Sprichwort
EINFÜHRUNG
Das Leben besteht nicht etwa aus intellektuellen Konzepten, sondern aus miteinander verknüpften Geschichten. Gedankenkonstruktionen führen nämlich zu Verallgemeinerungen, die der Wahrheit nie wirklich ganz gerecht werden können. Hingegen wirkt eine interessante Geschichte mit vielen Details erheblich lebensechter auf uns. Deshalb finden wir auch leichteren Zugang zu Geschichten als zu abstrakten Theorien. Wir lassen uns eben gern unterhalten.
Als Mönch der Waldkloster-Tradition des Theravada-Buddhismus habe ich im Verlauf von dreißig Jahren die Geschichten in diesem Buch zusammengetragen. Theravada gilt seit Jahrhunderten als die vorherrschende spirituelle Lehre der Völker von Thailand, Birma, Kambodscha und Laos. Mittlerweile setzt sich diese buddhistische Richtung in der westlichen Welt immer mehr durch – in der südlichen übrigens auch, denn schließlich lebe ich in Australien!
Ich werde oft nach den Unterschieden der Hauptlehren des Buddhismus gefragt – Theravada, Mahayana, Vajrayana und Zen. In meiner Antwort vergleiche ich diese Lehren mit Torten, die zwar von unterschiedlichen Glasuren überzogen sind, aber im Prinzip nach dem gleichen Rezept hergestellt wurden: rein äußerlich mag jede anders aussehen und auf eine andere Geschmacksrichtung hinweisen, doch wenn man sie kostet, stellt man fest, dass alle über den gleichen Geschmack verfügen – den Geschmack von Freiheit. Und darum ging es schließlich bei der ersten buddhistischen Lehre.
Vor rund 2600 Jahren, also etwa ein Jahrhundert vor Sokrates, lebte Buddha im nordöstlichen Indien. Er unterrichtete nicht nur Mönche und Nonnen, sondern Tausende einfacher Leute, darunter Reisbauern, Straßenkehrer und sogar Prostituierte. Die Weisheit des Buddha entstammte keiner Offenbarung eines höheren Wesens, sondern tiefster Erkenntnis über die Beschaffenheit des Seins. Buddhas Lehren kamen aus seinem Herzen, das sich nach tiefer Meditation geöffnet hatte. Wie er selbst sagte: »Auch schon in diesem klaftergroßen, mit Wahrnehmung und Denksinn ausgestatteten Körper tue ich kund der Welt Ursprung, der Welt Aufhebung und den zur Aufhebung führenden Pfad.«1
Im Mittelpunkt der Lehre Buddhas standen die Vier Edlen Wahrheiten. Etwas zeitgemäßer formuliert und in Abänderung der sonst üblichen Reihenfolge sind dies:
1. Das Glück
2. Der Weg zum Glück
3. Die Abwesenheit des Glücks
4. Der Grund für seine Abwesenheit.
Die Geschichten in diesem Buch handeln von der Zweiten Edlen Wahrheit, dem Weg zum Glück.
Buddha zog in seinen Lehrgesprächen oft Geschichten heran. Dies tat auch mein Lehrer, der mittlerweile verstorbene Ajahn Chah aus dem nordöstlichen Thailand. Von seinen Vorträgen blieben mir meistens die Geschichten, die er erzählte, in Erinnerung, vor allem die komischen. Überdies vermittelten gerade diese Geschichten tiefste Einsichten in den Weg zum inneren Glück. Die Erzählung ist der Botschafter, der die Lehren verkündet.
Auch ich habe Geschichten erzählt, als ich mehr als zwanzig Jahre lang in Australien, Singapur und Malaysia Buddhismus und Meditation unterrichtete. Und die schönsten Geschichten habe ich in diesem Buch niedergeschrieben. Da jede Erzählung für sich spricht, habe ich mich bei den Kommentaren zurückgehalten. Alle Geschichten enthalten mehrere Bedeutungen, und je öfter sie gelesen werden, desto mehr Wahrheiten offenbaren sich.
Mögen Sie an diesen Geschichten des wahren Glücks genauso viel Freude haben wie jene, die sie gehört haben. Mögen diese Geschichten Ihr eigenes Leben genauso bereichern, wie sie das für so viele andere Menschen bereits getan haben.
 
Ajahn BrahmPerth, Australien, Mai 2004
Perfektion und Schuldgefühle

Zwei mangelhafte Backsteine

Nachdem wir 1983 Land für unser Kloster gekauft hatten, waren wir völlig pleite und steckten bis zum Hals in Schulden. Auf dem Grundstück selbst stand kein einziges Haus, nicht einmal ein Schuppen. In jenen ersten Wochen schliefen wir auf alten Türen, die wir billig auf dem Schuttabladeplatz erstanden hatten.
Mit untergelegten Backsteinen wurden diese Türen zu Betten, wobei wir als Mönche eines Waldklosters natürlich auf Matratzen verzichteten.
Der Abt schlief auf der Tür, die am besten erhalten war und über eine angenehm glatte Oberfläche verfügte. Meine hingegen war geriffelt und wies überdies noch ein beachtliches Loch in der Mitte auf, nämlich an jener Stelle, wo einst der Türknauf gesessen hatte. Ich war zwar froh, dass der Knauf überhaupt entfernt worden war, aber nun befand sich mitten auf meiner Schlafunterlage ein Loch. Ich machte Witze darüber, dass ich nicht einmal mehr zum Austreten würde aufstehen müssen, aber zum Lachen war mir eigentlich nicht zumute, denn kalter Wind pfiff nachts durch dieses Loch. In jener Zeit schlief ich sehr schlecht.
Wir waren arme Mönche, aber wir brauchten ein Dach über dem Kopf. Bauarbeiter konnten wir uns nicht leisten – schon die Kosten für das Material waren ja kaum aufzubringen! Also musste ich das Bauen von Grund auf erlernen: wie man ein Fundament legt, betoniert, mauert, ein Dach zimmert und sanitäre Einrichtungen einbaut, eben alles, was zum Bau gehört.
Mein bürgerliches Leben als Physiker und Lehrer hatte mich nicht darauf vorbereitet, mit den Händen zu arbeiten. Doch im Verlauf einiger weniger Jahre wurde ich zu einem recht geschickten Bauarbeiter und nannte mein Team schon bald BBC (Buddhistische Bau Company). Der Anfang war allerdings außerordentlich mühsam.
Dem Außenstehenden mag Maurerarbeit leicht erscheinen: Man pappt etwas Mörtel auf den Stein, setzt ihn an seine Stelle und klopft ihn ein bisschen fest. Wenn ich aber leicht auf eine Ecke schlug, um eine ebene Oberfläche zu erhalten, stieg eine andere Ecke nach oben. Kaum hatte ich diese auch festgeklopft, tanzte auf einmal der ganze Stein aus der Reihe. Behutsam brachte ich in ihn also wieder in die richtige Position, um gleich danach festzustellen, dass die erste Ecke schon wieder hochragte. Es war zum Verzweifeln. Wenn Sie mir nicht glauben, versuchen Sie’s doch selbst einmal!
Als Mönch verfügte ich über so viel Geduld und Zeit, wie ich brauchte. Ich gab mir also große Mühe, jeden Backstein perfekt einzupassen, ganz gleich, wie viel Zeit ich dafür benötigte. Und irgendwann war die erste Backsteinmauer meines Lebens fertig gestellt. Voller Stolz trat ich einen Schritt zurück, um mein Werk zu begutachten. Erst da fiel mir auf – das durfte doch nicht wahr sein! -, dass zwei Backsteine das Regelmaß störten. Alle anderen Steine waren ordentlich zusammengesetzt worden, aber diese zwei saßen ganz schief in der Mauer. Ein grauenvoller Anblick! Zwei Steine hatten mir die ganze Mauer versaut.
Der Zementmörtel war inzwischen fest geworden. Also konnte ich diese Steine nicht einfach herausziehen und ersetzen. Ich ging zu meinem Abt und fragte, ob ich die Mauer niederreißen oder in die Luft jagen und neu anfangen dürfte. »Nein«, erwiderte der Abt, »die Mauer bleibt so stehen, wie sie ist.«
Als ich die ersten Besucher durch unser neues Kloster führte, vermied ich es stets, mit ihnen an dieser Mauer vorbeizugehen. Ich hasste den Gedanken, dass jemand dieses Stümperwerk sehen könnte. Etwa drei oder vier Monate später wanderte ich mit einem Gast über unser Terrain. Plötzlich fiel sein Blick auf meine Schandmauer.
»Das ist aber eine schöne Mauer«, bemerkte er wie nebenbei.
»Sir«, erwiderte ich überrascht, »haben Sie etwa Ihre Brille im Auto vergessen? Oder einen Sehfehler? Fallen Ihnen denn die zwei schief eingesetzten Backsteine nicht auf, die die ganze Mauer verschandeln?«
Seine nächsten Worte veränderten meine Einstellung zur Mauer, zu mir selbst und zu vielen Aspekten des Lebens.
»Ja«, sagte er. »Ich sehe die beiden mangelhaft ausgerichteten Backsteine. Aber ich sehe auch 998 gut eingesetzte Steine.«
Ich war überwältigt. Zum ersten Mal seit drei Monaten sah ich neben den beiden mangelhaften Steinen auch andere Backsteine. Oberhalb und unterhalb der schiefen Steine, zu ihrer Linken und zu ihrer Rechten befanden sich perfekte Steine, ganz gerade eingesetzt. Ihre Zahl überwog die der schlechten Steine bei weitem.
Bis dahin hatte ich mich ausschließlich auf meine beiden Fehler konzentriert und war allem anderen gegenüber blind gewesen. Deshalb konnte ich den Anblick der Mauer nicht ertragen und wollte ihn anderen Menschen auch nicht zumuten. Deshalb hatte ich das Werk vernichten wollen. Doch als ich jetzt die ordentlichen Backsteine betrachtete, schien die Mauer überhaupt nicht mehr grauenvoll auszusehen. Der Besucher hatte schon Recht: Es war wirklich eine sehr schöne Mauer. Jetzt, zwanzig Jahre später, steht sie immer noch, und inzwischen habe ich längst vergessen, an welcher Stelle die mangelhaften Backsteine stecken. Ich kann sie mittlerweile tatsächlich nicht mehr sehen.
Viele Menschen beenden eine Beziehung oder reichen die Scheidung ein, weil sie bei ihrem Partner nichts anderes mehr sehen als »zwei mangelhafte Steine«. Viele leiden an Depressionen, und manche hegen sogar Selbstmordgedanken, weil sie nichts anderes als »zwei mangelhafte Steine« in sich erkennen können. In Wahrheit gibt es jede Menge guter Steine, perfekter Steine – oberhalb und unterhalb unserer Fehler, zu ihrer Linken und zu ihrer Rechten – aber manchmal können wir sie einfach nicht sehen. Stattdessen konzentriert sich unser Blick ausschließlich auf die Fehler. Wir schauen nur auf den Makel und überlegen, wie wir ihn entfernen können. Und leider vernichten wir auf diese Weise so manche »schöne Mauer«.
Jeder von uns hat zwei mangelhafte Steine, aber die perfekten Steine sind so viel zahlreicher. Haben wir dies erst einmal erkannt, sieht die Welt schon viel besser aus. Wir können dann nicht nur mit uns selbst und unseren Fehlern in Frieden leben, sondern auch das Zusammensein mit einem Partner genießen. Das ist eine schlechte Nachricht für Scheidungsanwälte, aber eine gute für Sie!
 
Ich erzähle diese Anekdote oft. Irgendwann einmal sprach mich ein Baumeister darauf an und verriet mir ein Berufsgeheimnis.
»Wir machen bei der Arbeit immer wieder mal Fehler«, sagte er, »aber unseren Kunden erklären wir, dass es sich dabei um ›eine besondere Eigenheit‹ handelt, wodurch sich dieses Haus von den anderen in der Nachbarschaft unterscheidet. Und dafür berechnen wir dann ein paar tausend Dollar extra!«
Manche »besondere Eigenheit« an Ihrem Haus galt wahrscheinlich auch ursprünglich als Fehler. Doch was Sie in sich selbst, an Ihrem Partner oder überhaupt am Dasein als Makel betrachtet haben, kann sich zu einer »besonderen Eigenheit« wandeln, die Ihr Leben bereichert. Sie sollten nur endlich aufhören, sich ausschließlich auf die negativen Aspekte zu konzentrieren.

Der perfekte Garten

Die buddhistischen Tempel in Japan sind wegen ihrer Gärten berühmt. Vor vielen, vielen Jahren gab es einen Tempel, der den schönsten Garten weit und breit aufwies. Er zog Besucher aus dem ganzen Land an, die seine überaus gepflegten Anlagen bewunderten, die in ihrer Einfachheit so reich und üppig wirkten.
Eines Tages kam ein alter Mönch zu Besuch. Er traf sehr früh ein, kurz nach dem Morgengrauen. Da er herausfinden wollte, weshalb ausgerechnet dieser Garten als der eindrucksvollste von allen galt, versteckte er sich hinter einem großen Busch, von dem aus er einen guten Überblick über das ganze Gelände hatte.
Er beobachtete einen jungen Mönch, der mit zwei Körben aus dem Tempel kam, und sah zu, wie der junge Mann drei Stunden lang jedes Blatt und jedes Zweiglein aufhob, die vom ausladenden Pflaumenbaum in der Mitte des Gartens gefallen waren. Jedes dieser Stücke nahm der junge Mann in die Hand, betrachtete es nachdenklich und untersuchte es gründlich. Wenn es ihm gefiel, legte er es sorgsam in einen Korb. Fand er es nutzlos, warf er es in den Abfallkorb. Nachdem er über jedes Blatt und jeden Zweig nachgedacht und den Inhalt des Abfallkorbs auf den Komposthaufen hinter dem Tempel geleert hatte, machte er eine Pause. Er trank Tee und stellte sich geistig auf die nächste Phase seiner Arbeit ein.
Danach verbrachte der junge Mönch drei weitere Stunden, in denen er sorgsam und voller Aufmerksamkeit jedes erwählte Blatt und jeden Zweig an genau der richtigen Stelle im Garten verteilte. Wenn ihm die Lage eines Zweigs nicht gefiel, drehte er ihn um oder bewegte ihn ein wenig nach rechts oder links, bis er sich mit einem zufriedenen Lächeln dem nächsten Blatt zuwandte, das dann auch seiner Form und Farbe entsprechend einen Platz im Garten fand. Sein Sinn fürs Detail war unnachahmlich.
Der Alte kam hinter dem Busch hervor. Mit zahnlückigem Lächeln gratulierte er dem jungen Mönch: »Großartige Arbeit! Wirklich großartig! Sehr eindrucksvoll! Ich habe dich den ganzen Morgen lang beobachtet. Dein Fleiß verdient das allerhöchste Lob. Und dein Garten … nun, er ist nahezu perfekt.«
Der junge Mönch erblasste. Sein Körper versteifte sich, als hätte ihn ein Skorpion gebissen. Das selbstzufriedene Lächeln wich aus seinem Gesicht und verschwand im großen Abgrund des Nichts. Alten grinsenden Mönchen ist in Japan mit äußerster Vorsicht zu begegnen!
»Was … meinst du damit«, stotterte er ängstlich. »Was meinst du mit NAHEZU perfekt?« Dann warf er sich dem alten Mönch zu Füßen.
»Meister! Lehrer! Bitte habe Mitgefühl mit mir! Der Buddha hat dich gesandt, um mir zu zeigen, wie mein Garten wirklich perfekt werden kann. Lehre es mich, oh du Weiser! Zeige mir den Weg!«
»Möchtest du das wirklich?«, fragte der alte Mönch. Ein schelmisches Grinsen breitete sich in seinem Greisengesicht aus.
»Oh ja! Bitte, tue es. Ich flehe dich an! Bitte, Meister!«
Der alte Mönch schritt langsam zur Mitte des Gartens. Er legte seine betagten, aber immer noch kräftigen Arme um den blätterreichen Pflaumenbaum. Mit dem Gelächter eines Heiligen rüttelte und schüttelte er den armen Baum, was das Zeug hielt. Blätter, Zweige und Rindenstücke fielen herab und verteilten sich überall, doch der alte Mann schüttelte weiter. Als nichts mehr herunterkam, hörte er endlich auf.
Der junge Mönch sah entgeistert zu. Der Garten war ruiniert, die Arbeit eines ganzen Morgens zunichte gemacht. Am liebsten hätte er den Alten erwürgt. Der aber blickte um sich und bewunderte sein Werk. Mit einem Lächeln, das jeden Zorn dahin schmelzen ließ, sagte er sanft zu dem jungen Mann: »Jetzt erst ist dein Garten wirklich perfekt.«

Was getan wurde, ist fertig

Von Juli bis Oktober übernimmt der Monsun das Regiment in Thailand. In dieser Zeit stellen die Mönche ihre Reisen ein, legen alle Projekte und Werkstücke zur Seite und widmen sich ausschließlich dem Studium und der Meditation. Diese Periode wird »Vassa« genant, das »Regen-Retreat«.
Vor einigen Jahren errichtete ein berühmter Abt in Thailand eine neue Halle in seinem Waldkloster. Zum Zeitpunkt des Regen-Retreats ließ er alle Arbeiten einstellen und schickte die Bauarbeiter nach Hause. Im Kloster war jetzt die Zeit der Stille angebrochen.
Als ein Besucher ein paar Tage später das halbfertige Gebäude sah, fragte er den Abt, wann die Halle denn fertig sein würde. Ohne zu zögern, antwortete der Abt: »Die Halle ist fertig.«
»Was meinst du damit: ›Die Halle ist fertig‹?«, fragte der Besucher verblüfft. »Sie hat kein Dach, keine Fenster oder Türen. Überall liegen Holzstücke und Zementsäcke herum. Soll denn das alles so bleiben? Bist du verrückt? Was soll das heißen: ›Die Halle ist fertig‹?«
Der alte Abt lächelte und erwiderte gelassen: »Was getan wurde, ist fertig.« Und damit schritt er davon, um zu meditieren.
Dies ist die einzige Möglichkeit, sich ein Retreat oder eine Pause zu gönnen. Sonst wird unsere Arbeit nie fertig.

Der Idiotenführer zum Seelenfrieden

Eines Freitagabends erzählte ich die obige Geschichte einem größeren Publikum in Perth. Am nächsten Sonntag wollte mich ein wütender Vater maßregeln, der mit seinem halbwüchsigen Sohn an der Veranstaltung teilgenommen hatte. Als der Junge nämlich am Vorabend mit seinen Freunden ausgehen wollte, hatte ihn sein Vater gefragt, ob er denn auch alle Hausaufgaben erledigt hätte. »Ach, Papa, Ajahn Brahm hat uns doch gestern Abend im Tempel erzählt, dass alles, was getan wurde, fertig ist. Bis später!«
In der darauf folgenden Woche erzählte ich eine andere Geschichte.
In Australien gehört ein Garten zu fast jedem Haus, doch nur wenige Menschen kommen in ihrem Garten wirklich zur Ruhe. Für die meisten ist er schlichtweg ein zusätzlicher Arbeitsplatz. Deshalb rate ich denjenigen, das Grün um ihr Haus eine gewisse Zeit lang zu hegen und zu pflegen und danach das Gleiche für ihr eigenes Herz zu tun. Dafür setzt man sich ganz einfach ruhig in den Garten und erfreut sich an den Gaben der Natur.
Der erste Idiot hält das für einen tollen Vorschlag. Er beschließt, zunächst die paar kleinen Arbeiten zu erledigen und sich danach ein paar friedliche Momente im Garten zu gönnen. Der Rasen muss schließlich gemäht, das Laub gefegt, die Hecke gestutzt und der Pfad von Unkraut befreit werden. Außerdem brauchen die Pflanzen Wasser. Um nur einen Bruchteil all dieser »kleinen Arbeiten« zu erledigen, muss dieser Idiot seine gesamte Freizeit aufbrauchen. Da es immer eine Menge zu tun gibt, findet er nie einen Augenblick der Ruhe. Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass man in unserem Kulturraum nur auf Friedhöfen »sanft ruht«?
Der zweite Idiot hält sich für viel klüger als der erste. Er räumt das Gartengerät weg und setzt sich mit einer Zeitschrift in den Garten. Vielleicht sieht er sich eine Hochglanzillustrierte mit wunderschönen Landschaftsaufnahmen an. Wer das tut, kommt in seinem Garten nicht zur Ruhe, sondern lässt sich von einer Zeitschrift ablenken.
Der dritte Idiot räumt ebenfalls Harken, Eimer und Bewässerungsschlauch weg, setzt sich hin und lässt den Frieden seines Gartens auf sich wirken – ungefähr zwei Sekunden lang. Dabei fällt ihm alles Mögliche auf: »Der Rasen muss gemäht werden. Die Büsche wuchern zu sehr aus. Und wenn ich den Blumen dahinten kein Wasser gebe, werden sie in ein paar Tagen verwelkt sein. Da drüben würde sich übrigens eine hübsche Gardenie gut machen. Genau! Und davor vielleicht so ein niedliches Vogelbad. Das könnte ich mir nachher gleich aus dem Gartencenter holen …«
Hier wird nachgedacht und geplant. In diesem Garten wird kein Seelenfrieden gefunden.
Der kluge Gärtner geht anders vor. Er denkt: »Ich habe lange genug gearbeitet, und jetzt möchte ich die Früchte meiner Arbeit genießen und auf die Stille lauschen. Klar, der Rasen sollte gemäht, die Blätter zusammengeharkt und dies und das auch noch getan werden, bla, bla, bla. ABER NICHT JETZT.« Nur so erlangen wir die Weisheit, unseren Garten auch dann zu genießen, wenn er nicht perfekt ist.
Vielleicht versteckt sich hinter einem Busch ein alter japanischer Mönch, der nur darauf wartet, hervorzuspringen und uns mitzuteilen, dass unser unordentlicher Garten in Wirklichkeit perfekt ist. Wenn wir uns nämlich über die Arbeit freuen, die wir bereits erledigt haben und unser Augenmerk nicht auf diejenige richten, die noch vor uns liegt, begreifen wir vielleicht, dass Getanes wirklich fertig ist. Wenn wir uns aber ausschließlich auf Mangelhaftes konzentrieren, auf die Dinge, die repariert werden sollten – wie die Backsteinmauer in meinem Kloster – werden wir nie zur Ruhe kommen.
Der intelligente Gärtner genießt eine Viertelstunde der Ruhe inmitten der perfekten Unvollkommenheit der Natur. Er grübelt und plant nicht, und er fühlt sich nicht schuldig. Jeder von uns verdient Pausen und Ruhe, und andere verdienen es übrigens auch, gelegentlich von uns in Ruhe gelassen zu werden. Nach diesen wichtigen fünfzehn Minuten Pause nehmen wir die Gartenarbeit wieder auf.
Wenn wir es schaffen, in unserem Garten auf solche Weise zur Ruhe zu kommen, werden wir überall und jederzeit Ruhe finden. Dann wird es uns auch gelingen, Ruhe im Garten unseres Herzens einkehren zu lassen, selbst wenn wir manchmal überlegen, dass dort große Unordnung herrscht und noch viel zu tun übrig bleibt.

Schuld und Erlösung

Vor ein paar Jahren kehrte eine junge Australierin in meinem Tempel in Perth ein. Viele Menschen suchen Mönche auf, die ihnen bei der Lösung eines Problems helfen sollen. Das mag daran liegen, dass bei uns guter Rat nicht teuer ist – wir verlangen schließlich nie ein Honorar.
Fürchterliche Schuldgefühle plagten diese junge Frau. Ein halbes Jahr zuvor hatte sie in einem abgelegenen Bergwerksdorf im Norden Westaustraliens gelebt. Die Arbeit dort war sehr schwer, die Bezahlung gut, aber es gab nur wenig Abwechslung in der Freizeit.
Eines Sonntagnachmittags schlug sie ihrer besten Freundin und deren Lebensgefährten einen Autoausflug in den australischen Busch vor. Die beiden hatten überhaupt keine Lust und lehnten zunächst ab. Aber weil sie nicht allein losziehen wollte, redete die junge Australierin so lange auf ihre Freunde ein und machte einen solchen Aufstand, dass die beiden schließlich widerstrebend nachgaben und doch mitkamen.
Auf einer Schotterstraße geriet das Auto ins Schleudern, und es kam zu einem schweren Verkehrsunfall. Die Freundin der jungen Australierin starb, und der junge Mann erlitt eine Querschnittslähmung. Die Frau, die die beiden anderen zu diesem Ausflug überredet hatte, blieb unverletzt.
Tieftraurig erzählte sie mir diese Geschichte. »Hätte ich sie bloß nicht so zu diesem Ausflug gedrängt! Dann würde meine Freundin noch leben, und die Beine ihres Mannes wären in Ordnung. Wie furchtbar, dass ich die beiden zum Mitkommen überredet habe! Ich fühle mich entsetzlich schuldig.«
Als erstes kam mir in den Sinn, ihr zu versichern, dass es nicht ihre Schuld war. Sie hatte den Unfall nicht geplant und nicht beabsichtigt, ihren Freunden Schaden zuzufügen. So etwas kann passieren. Da muss man loslassen und sich von Schuldgefühlen verabschieden.
Doch dann überlegte ich, wie oft diese junge Frau solche Beteuerungen schon gehört haben musste, vielleicht Hunderte von Malen. Das hatte offensichtlich nichts bewirkt. Also hielt ich inne, überdachte ihre Situation noch einmal und erklärte dann, es sei völlig in Ordnung, wenn sie sich schuldig fühle.
Ihr Gesichtsausdruck wandelte sich. Die Trauer machte Überraschung Platz, danach zeichnete sich Erleichterung ab. Es war ihr neu, dass sie sich tatsächlich schuldig fühlen durfte, da hatte ich ganz richtig geraten. Überdies fühlte sie sich auch noch wegen ihrer Schuldgefühle schuldig, weil andere versuchten, sie ihr auszureden. Und so plagte sie ein doppeltes Schuldgefühl: Wegen des Unfalls und der Tatsache, dass sie sich an dieser Katastrophe die Schuld gab.
Nachdem wir uns mit der ersten Phase ihres Schuldgefühls beschäftigt und festgestellt hatten, dass es in Ordnung war, sich so zu fühlen, konnten wir den nächsten Schritt tun: Was kann man gegen solche Schuldgefühle unternehmen?
Da kommt uns eine alte buddhistische Weisheit sehr gelegen: »Entzünde lieber eine Kerze, als dich über die Dunkelheit zu beklagen.«
Klagen helfen uns nicht weiter, wenn wir aus der Fassung geraten. Wir können immer etwas unternehmen und sei es nur, uns eine Zeit lang einfach ruhig hinzusetzen.
Schuld ist etwas ganz anderes als Reue. In unserer Gesellschaft verhängt der Richter ein Urteil über den »Schuldigen«. Und wenn uns schon kein anderer bestraft, dann übernehmen wir das eben selbst. Tief in unserer Seele ist die Überzeugung verankert, dass wir Strafe verdienen.
Die junge Frau brauchte also eine Buße, um sich von ihrer Schuld zu reinigen. Es wäre sinnlos gewesen, ihr zu raten, alles zu vergessen, um ihr Leben wieder in den Griff zu kriegen. Ich schlug ihr also vor, ehrenamtlich in der Reha-Abteilung eines Krankenhauses zu arbeiten und sich dort vor allem um Unfallopfer zu kümmern. Diese schwere Arbeit würde dazu beitragen, dass sich ihr Schuldgefühl auflöste. Außerdem würden ihr dabei – wie das oft bei ehrenamtlicher Arbeit geschieht – jene Leute helfen, denen sie helfen will.

Warum die Häftlinge meditieren wollten

Bevor mir das ehrenvolle, aber dennoch beschwerliche Amt des Abts auferlegt wurde, besuchte ich Gefangene in den nahe gelegenen Haftanstalten. Über meine Dienststunden im Gefängnis führte ich genau Buch – gewissermaßen als Gutschrift, falls ich selbst einmal hinter Gitter wandern sollte!
Als ich das erste Mal ein großes Gefängnis in Perth besuchte, war ich überrascht und sehr beeindruckt, dass so viele Häftlinge von mir etwas über Meditation erfahren wollten. Der Saal war gerammelt voll, und ich erfuhr, dass fünfundneunzig Prozent der Inhaftierten das Meditieren erlernen wollten. Doch je länger ich sprach, desto unruhiger wurde mein Publikum.
Nach nur zehn Minuten unterbrach der Anführer einer Gefängnisbande meine Rede. Er hob die Hand, und ich forderte ihn auf, seine Frage zu stellen.
»Kann man durch Meditieren wirklich lernen, frei in der Luft zu schweben?«, wollte er wissen.
Endlich begriff ich, weshalb sich so viele Häftlinge für meinen Vortrag interessiert hatten. Sie wollten das Meditieren erlernen, um über die Gefängnismauern hinaus ins Freie zu schweben! Ich bestätigte, dass man durch Meditieren tatsächlich das Schweben bemeistern könne, allerdings sei dies nur von herausragenden Könnern der Kunst und auch erst nach sehr vielen Übungsjahren zu bewerkstelligen. Bei meinem nächsten Vortrag in diesem Gefängnis ließen sich nur vier Häftlinge blicken.
Da ich sehr viele Jahre lang innerhalb von Gefängnismauern unterrichtete, lernte ich im Lauf der Zeit einige Gesetzesbrecher sehr gut kennen. Ich entdeckte, dass sich fast jeder Insasse wegen seiner Tat schuldig fühlte und ihn dies Tag und Nacht verfolgte. Dies vertraut er allerdings nur seinen besten Freunden an. Für die Außenwelt trägt er weiterhin das klassische Bild des trotzigen Inhaftierten zur Schau. Hat man aber erst sein Vertrauen gewonnen und ihn eine Zeit lang als spiritueller Führer begleitet, öffnet er sich leichter und enthüllt, wie sehr er unter seinem Schuldgefühl leidet. Manchmal hilft es, wenn ich daraufhin die Geschichte der Kinder aus Klasse B erzähle.

Die Kinder der Klasse B

Vor vielen Jahren wurde in einer Schule in England heimlich ein Experiment durchgeführt. In dieser Schule gab es zwei Klassen für Kinder gleichen Alters. Am Ende des Schuljahrs wurde eine Prüfung gemacht, nach der die Kinder für die Klassen des folgenden Jahres ausgewählt wurden. Die Ergebnisse dieser Tests wurden allerdings nie bekannt gegeben. Nur der Schulleiter und die Psychologen kannten die Wahrheit: Das Kind, das die Prüfung als bestes abgelegt hatte, wurde mit dem vierten und fünften, dem achten und neunten, dem zwölften und dreizehnten usw. in eine Klasse gesteckt. Das Kind mit dem zweitbesten Ergebnis kam zu dem Kind mit dem dritten Ergebnis, dem sechsten, siebten, zehnten, elften usw. Anders gesagt, auf der Grundlage des Testergebnisses wurden alle Kinder gleichmäßig über die beiden Klassen verteilt. Auch bei der Auswahl der Lehrer achtete man sorgfältig auf Ausgewogenheit. Die Klassenzimmer waren gleich eingerichtet, und beide Parallelklassen ähnelten einander soweit es nur möglich war. Es wurde nur ein Unterschied gemacht: Der einen Klasse gab man die Bezeichnung A, und die andere nannte man B.
In beiden Klassen saßen also Kinder mit gleichen Begabungen. Doch in den Köpfen der Leute steckten die klugen Kinder in Klasse A und die nicht so klugen in Klasse B. Einige Eltern von Kindern in Klasse A zeigten sich angenehm überrascht, dass ihr Kind so gut abgeschnitten hatte und sparten nicht mit Lob und Belohnungen, wohingegen einige Eltern ihren Kindern in der Klasse B vorhielten, dass sie nicht fleißig genug gewesen seien, und ihnen manche Privilegien beschnitten. Sogar die Lehrer behandelten die Kinder in Klasse B anders, da sie von ihnen nicht sonderlich viel erwarteten. Diese Illusion wurde ein ganzes Schuljahr lang aufrechterhalten. Danach wurde mit allen Kindern abermals ein Test durchgeführt.
Das Ergebnis war erschreckend, aber nicht überraschend. Die Kinder der Klasse A zeigten weitaus bessere Leistungen als die der Klasse B. Die Testergebnisse erweckten den Anschein, als seien im Vorjahr tatsächlich ausschließlich Kinder der besseren Hälfte der Klasse A zugeteilt worden. Und jene der Parallelklasse waren jetzt wirklich Kinder der Klasse B geworden. Das hatte man ihnen ein ganzes Jahr lang weisgemacht, so wurden sie behandelt, und weil sie sich selbst für schlechter hielten, wurden sie es auch.

Das Kind im Supermarkt

Ich sage meinen Knackis immer, dass sie sich nicht als Kriminelle sehen sollten, sondern als Menschen, die eine kriminelle Tat begangen haben. Wer nämlich als kriminell bezeichnet wird, wird auch so behandelt, und wer sich selbst für kriminell hält, wird es auch werden. Das ist eine logische Schlussfolgerung.
Ein kleiner Junge lässt an der Supermarktkasse einen Milchkarton fallen. Der zerplatzt, und die Milch ergießt sich über den Boden.
»Du dummes Kind!«, ruft die Mutter.
An der nächsten Kasse lässt ein anderer Junge ein Honigglas fallen. Auch das geht zu Bruch, und die klebrige Masse verteilt sich mit den Glassplittern.
»Da hast du aber etwas Dummes angestellt«, tadelt seine Mutter.
Dem ersten Kind wurde mitgeteilt, dass es dumm sei, dem zweiten, dass es einen dummen Fehler gemacht hat. Das erste wird wahrscheinlich dumm werden, das zweite wird lernen, Dummheiten zu vermeiden.
Ich frage meine Knackis, was sie am Tag ihres Verbrechens denn noch getan haben? Was haben sie an den anderen Tagen des Jahres getan? In den anderen Jahren ihres Lebens? Dann erzähle ich die Geschichte meiner Backsteinmauer. Es gibt andere Steine in dieser Mauer, die unser Leben darstellen und nichts mit unseren Verbrechen zu tun haben. In Wirklichkeit gibt es immer sehr viel mehr gute Steine als schlechte. Wie ist das bei Ihnen? Sind Sie jetzt eine schlechte Mauer, die gänzlich abgerissen werden sollte? Oder sind Sie eine gute Mauer mit ein paar schlechten Steinen wie die meisten von uns?
Lange, nachdem ich zum Abt geweiht worden war und keine Gefängnisse mehr besuchte, erhielt ich einen persönlichen Anruf von einem Vollzugsbeamten. Er machte mir ein Kompliment, das mir sehr viel bedeutete: Keiner meiner Schüler sei nach dem Absitzen seiner Strafe noch einmal im Gefängnis gelandet.

Auch wir verdienen Vergebung!

In der vorigen Geschichte habe ich von Menschen erzählt, mit denen ich in Haftanstalten gearbeitet habe, aber die Botschaft gilt für jeden, der im Gefängnis eines Schuldgefühls »sitzt«. Aber was hat es mit dem »Verbrechen« auf sich, das uns Schuldgefühle verschafft? Was haben wir denn an jenem Tag, in jenem Jahr, in unserem restlichen Leben sonst noch getan? Können wir die anderen Steine in der Mauer überhaupt erkennen? Können wir über den Rand jener schlimmen Handlung hinaussehen, die unser Schuldgefühl hervorruft? Wenn wir uns zu lange der Klasse B zugehörig fühlen, könnten wir tatsächlich ein Mensch der Klasse B werden: Deshalb wiederholen wir unsere Fehler immer wieder und sammeln noch mehr Schuldgefühle an. Doch wenn wir die anderen Teile unseres Lebens betrachten, die anderen Steine in unserer Backsteinmauer, wenn wir eine realistischere Perspektive einnehmen, dann wird sich in unserem Herzen eine wunderbare Erkenntnis wie eine Blume entfalten: Auch wir verdienen Vergebung.

Abschied vom Schuldgefühl – für immer

Der schwerste Schritt auf der Reise weg vom Schuldgefühl besteht darin, sich selbst davon zu überzeugen, dass man Vergebung verdient. Die bisher erzählten Geschichten können dabei hilfreich sein, doch den letzten Schritt aus diesem Gefängnis muss man ganz allein tun.
Als kleiner Junge spielte einer meiner Freunde mit einem Spielkameraden auf der Hafenmole. Aus Spaß und Übermut stieß er seinen Freund ins Wasser. Der Freund ertrank. Der andere verbrachte viele Jahre seines Lebens mit lähmenden Schuldgefühlen. Die Eltern des ertrunkenen Kindes lebten nebenan, und er wuchs in dem Bewusstsein auf, ihnen ihren Sohn genommen zu haben.
Und dann geschah eines Morgens etwas Seltsames. Er erzählte mir, er sei aufgewacht und hatte plötzlich begriffen, dass er sich nicht mehr schuldig zu fühlen brauchte. Endlich verließ er sein eigenes Gefängnis und atmete zum ersten Mal die frische Luft der Freiheit.
Die englische Originalausgabe erschien 2004 unter dem Titel »Opening the Door of Your Heart« im Verlag Thomas C. Lothian Pty. Ltd., South Melbourne, Australien.
Verlagsgruppe Random House
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Lotos Verlag
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eISBN : 978-3-641-01491-9
 
3. Auflage 2007
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Einbandgestaltung: Christine Klell, Wien, unter Verwendung einer Illustration von Will Evans.
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