DIE LADY IN SCHWARZ - Herbert Adams - E-Book

DIE LADY IN SCHWARZ E-Book

Herbert Adams

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

"Bedenken Sie! Es gibt eine Sache, die einfach absolut unersetzlich ist - das Leben! Man kann Irrtümer wiedergutmachen, Entschlüsse ändern, Fehler berichtigen - aber Sie haben heute die Aufgabe, etwas zu tun, was endgültig und unwiderruflich ist. James Beresford Wilson steht hier vor Ihnen, des Mordes angeklagt. Einzig und allein bei Ihnen liegt es, zu entscheiden, ob er dieses Verbrechens schuldig ist oder nicht. Wenn Sie ihn für schuldig befinden sollten, wird man ihn hinrichten und sein Tod wird endgültig sein. Nichts auf der Welt wird die Hinrichtung ungeschehen machen können. Er wird des schändlichsten aller Verbrechen beschuldigt, des Mordes an einer schutzlosen Frau, - seiner eigenen Frau! Wenn er die Tat begangen hat, kann keine Strafe zu hart für ihn sein, und die vom Gesetz dafür vorgesehene Todesstrafe wäre angemessen." Herbert Adams (* 1874 in Dorset, South West England; † 1958) war ein englischer Schriftsteller. Adams veröffentlichte beinahe sechzig Kriminalromane; viele unter seinem eigenen Namen, einige unter dem Pseudonym Jonathan Gray. Seine Leser – wie auch die Literaturkritik – verglichen Adams oft mit seiner Kollegin Agatha Christie. Der Roman DIE LADY IN SCHWARZ erschien erstmals im Jahr 1932; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1962. Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

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HERBERT ADAMS

 

 

Die Lady in Schwarz

 

Roman

 

 

 

 

Apex Crime, Band 191

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DIE LADY IN SCHWARZ 

ERSTER TEIL 

ZWEITER TEIL 

DRITTER TEIL 

 

 

Das Buch

 

»Bedenken Sie! Es gibt eine Sache, die einfach absolut unersetzlich ist - das Leben!

Man kann Irrtümer wiedergutmachen, Entschlüsse ändern, Fehler berichtigen - aber Sie haben heute die Aufgabe, etwas zu tun, was endgültig und unwiderruflich ist. James Beresford Wilson steht hier vor Ihnen, des Mordes angeklagt. Einzig und allein bei Ihnen liegt es, zu entscheiden, ob er dieses Verbrechens schuldig ist oder nicht. Wenn Sie ihn für schuldig befinden sollten, wird man ihn hinrichten und sein Tod wird endgültig sein. Nichts auf der Welt wird die Hinrichtung ungeschehen machen können.

Er wird des schändlichsten aller Verbrechen beschuldigt, des Mordes an einer schutzlosen Frau, - seiner eigenen Frau!

Wenn er die Tat begangen hat, kann keine Strafe zu hart für ihn sein, und die vom Gesetz dafür vorgesehene Todesstrafe wäre angemessen.«

 

Herbert Adams (* 1874 in Dorset, South West England; † 1958) war ein englischer Schriftsteller.  Adams veröffentlichte beinahe sechzig Kriminalromane; viele unter seinem eigenen Namen, einige unter dem Pseudonym Jonathan Gray. Seine Leser – wie auch die Literaturkritik – verglichen Adams oft mit seiner Kollegin Agatha Christie.

Der Roman Die Lady in Schwarz erschien erstmals im Jahr 1932; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1962.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

  DIE LADY IN SCHWARZ

 

 

 

 

 

 

 

 

  ERSTER TEIL

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

»Bedenken Sie! Es gibt eine Sache, die einfach absolut unersetzlich ist - das Leben!

 Man kann Irrtümer wiedergutmachen, Entschlüsse ändern, Fehler berichtigen - aber Sie haben heute die Aufgabe, etwas zu tun, was endgültig und unwiderruflich ist. James Beresford Wilson steht hier vor Ihnen, des Mordes angeklagt. Einzig und allein bei Ihnen liegt es, zu entscheiden, ob er dieses Verbrechens schuldig ist oder nicht. Wenn Sie ihn für schuldig befinden sollten, wird man ihn hinrichten und sein Tod wird endgültig sein. Nichts auf der Welt wird die Hinrichtung ungeschehen machen können.

Er wird des schändlichsten aller Verbrechen beschuldigt, des Mordes an einer schutzlosen Frau, - seiner eigenen Frau!

Wenn er die Tat begangen hat, kann keine Strafe zu hart für ihn sein, und die vom Gesetz dafür vorgesehene Todesstrafe wäre angemessen.«

Der Anwalt fuhr nach einer kleinen Pause mit erhobener Stimme fort.

»Aber wenn er unschuldig ist, dann denken Sie an die seelischen Qualen, die er durchgemacht hat, denken Sie an die brandmarkende Schande dieser schrecklichen Anklage! Wenn Sie ihn verurteilen, und er ist doch unschuldig, so vergessen Sie nie, dass es keine Möglichkeit gibt, diesen Irrtum jemals zu korrigieren!«

Nichts war in dem voll besetzten Gerichtssaal zu hören als die tiefe, ernste Stimme des Redners, der sich in betont abwägender Sprache an die Geschworenen wandte. Es war der Kampf um ein Menschenleben.

Der Richter saß bewegungslos, wie aus Stein gehauen, in seinem Stuhl. Sein Mund war in den Winkeln etwas herabgezogen und seine Augen waren geschlossen. Aber er schlief nicht. Er nahm jedes Wort der Rede auf. Hin und wieder öffneten sich seine Augen mit einem fragenden Ausdruck. Bisweilen machte er Notizen oder sah die bereits Vorhandenen durch. Dann verfiel er wieder in diese unheildrohende Reglosigkeit.

Ebenso gespannt lauschten auch die Anwälte und Beamten, die für den Fall zuständig waren. Da fiel besonders die wuchtige Gestalt des Oberstaatsanwalts Sir George Draper auf. Er hatte die Untersuchung persönlich geleitet und gedachte auch, die Anklage erfolgreich mit einer Verurteilung abzuschließen. Für ihn war der Fall klar. Er hatte nur noch darauf zu achten, dass die Bewertung der Fakten dieses Falles, die Beurteilung der Zusammenhänge und die Kommentare des Verteidigers, die jetzt dem Gerichtshof vorgetragen wurden, fair waren und in Übereinstimmung mit der Beweisaufnahme standen. Er prüfte jedes Wort, bereit, um sofort in die Rede des Verteidigers einzugreifen, um dessen Wirkung durch seine Unterbrechung zu zerstören.

Die Geschworenen, zehn Männer und zwei Frauen, konnten sich dem Eindruck der Rede nicht entziehen. Das Außergewöhnliche dieser drei Verhandlungstage war nicht spurlos an ihnen vorübergegangen. Sie waren müde, aber sie waren sich ihrer Verantwortung bewusst. Die Art der Vortragsweise des Verteidigers zwang sie zu äußerster Aufmerksamkeit.

Am stillsten und wachsamsten jedoch war der Angeklagte selbst, ein Mann Anfang der Vierziger, etwas über mittelgroß mit leicht gekrümmten Schultern. Er war sorgfältig gekleidet, trug einen dunkelgrauen Anzug und eine schwarze Krawatte.

Sein glattrasiertes Gesicht deutete mit ausdrucksvollen Zügen und einem freien und klaren Blick auf einen aktiven, lebhaften und offenen Geist. Es war sein Leben, über das hier entschieden wurde. Er hatte somit alle Ursache, auf die Worte zu achten, die zu seiner Verteidigung vorgebracht wurden.

Der Verhandlungssaal, der große Schwurgerichtssaal von Old Bailey, war überfüllt. Jeder Platz war besetzt, denn der Angeklagte war ein Mann, dessen Namen man im ganzen Land kannte. Die Geschichte des Verbrechens hatte die Phantasie aller erregt. An diesem heißen Sommertag in diesem stickigen Raum war der Höhepunkt der Spannung erreicht.

Vor Einbruch der Nacht würde der Angeklagte entweder in Freiheit gesetzt werden, um zu seinen Freunden zurückzukehren, oder man würde ihn als verurteilten Mörder abführen.

 

Der Verteidiger nahm seine Rede wieder auf.

»Die Geschichte dieses Verbrechens ist wiederholt erzählt worden und viele der Tatsachen werden sich bereits tief in Ihr Gedächtnis eingeprägt haben.

Dennoch muss ich diesen Fall nochmals im Detail durchgehen, um aufzuzeigen und Ihnen deutlich zu machen, wie klein die Unterschiede zwischen den Behauptungen der Anklage sind und dem, was der Angeklagte zugegeben hat.

Aber zwischen diesen beiden so ähnlichen Darstellungen, in kleinen Unterschieden im Detail, liegt die große Kluft von Schuld und Unschuld.«

Der Verteidiger schaute auf den Angeklagten, wandte sich wieder den Geschworenen zu.

»James Beresford Wilson ist hier vernommen worden. Sie haben seine Lebensgeschichte aus seinem eigenen Munde gehört. Er hat sich dem eindringlichen Kreuzverhör des Anklagevertreters unterworfen. Gab es dabei irgendwelche dunklen Punkte oder auch nur den leisesten Schatten eines Verdachtes? - Nein! -

Die Beweisaufnahme hat Ihnen gezeigt, wie er sich in seinem bisherigen Leben verhalten hat. Was er getan hat, ist argwöhnisch und mit mikroskopischer Sorgfalt untersucht worden. Dennoch konnte nichts gefunden werden, was für ihn nachteilig gewesen wäre. Das Gegenteil ist der Fall. Aus bescheidenen Anfängen, durch harte, schonungslose, rastlose Arbeit hat er sich zu der hervorragenden Stellung emporgearbeitet, die er jetzt innehat oder vielmehr vor dieser Tragödie innehatte. Glauben Sie, dass jemand, dessen ganzes Leben fleckenlos verlaufen ist, sich plötzlich eines Verbrechens schuldig macht, des Abscheulichsten, das man sich denken kann?«

In dieser Weise fuhr der Verteidiger fort. Sein Name war James Haswell. Angesichts eines so wichtigen Falles war er eigentlich ein recht junger Anwalt. Sein Vorgänger, ein bekannter und erfahrener Rechtsanwalt, war plötzlich kurz vor Beginn des Gerichtsverfahrens erkrankt. Haswell hatte beeindruckt durch die Art und Weise, wie er die ihm so plötzlich zugefallene Rolle ausgefüllte. Daher hatte man ihm die Verteidigung auch weiterhin überlassen.

Auf Haswells Rat hin waren keine Zeugen geladen. Nur der Angeklagte selbst war als Zeuge erschienen, um seine Aussagen zu machen. Dadurch hatte der Verteidiger die Möglichkeit, das letzte Wort an die Geschworenen zu richten, bevor der Richter seine Darstellung äußern würde.

Als Verteidiger fuhr Haswell in seiner Rede fort.

»Der Staatsanwalt Sir George Draper hat Ihnen gesagt, dass das Leben des Angeklagten in drei natürliche Abschnitte zerfällt. Das stimmt. Und in jedem dieser Abschnitte kommt die Frau vor, deren Tod ihm zur Last gelegt wird.

Zuerst sehen wir den jungen Wilson als Knaben in Manchester. Seine Eltern hatten einen Zeitungsladen bescheidenster Art. Süßigkeiten und Tabakwaren wurden neben Zeitungen und Zeitschriften verkauft. Wir sehen ihn später als strebsamen Schüler in der Volksschule an der Spitze der Jungen seines Alters. Daneben hilft er seinen Eltern beim Austragen der Morgen- und Abendzeitungen. Dann sehen wir, ihn wissbegierig diese Zeitschriften studieren. Er will ergründen wie die Zeitschriften wohl zustande kommen und ob er nicht selbst Beiträge für sie liefern kann. Und so erstellt der Botenjunge, nach Besuch von Abendschulen, seine ersten Artikel. Diese ersten Versuche vertraut dem Urteil der Verleger an, die ihm als so mächtige und unerreichbare Macher der Zeitungen erscheinen. Die Geschichte seiner ersten Kämpfe und seines frühen Erfolges ist bekannt.

Mit achtzehn Jahren sehen wir ihn auf der ersten Stufe seiner Karriereleiter als Mitarbeiter einer lokalen Zeitschrift. Es ist ein schlecht bezahlter Posten als junger Reporter, aber es ist der Anfang. Einem so unermüdlichen, hartnäckigen Charakter wie ihm kann der Aufstieg nicht lange versagt bleiben. Und während dieser ganzen Zeit sehen wir ihn unausgesetzt lesen, studieren und lernen, wie er sich auf seine große Zukunft vorbereitet.

Wir brauchen seine Karriere nicht Schritt für Schritt zu verfolgen.

 Im Alter von zwanzig Jahren heirate er. In der kleinen Straße wohnte er noch immer bei seinen Eltern, bei denen er aber nicht mehr im Laden mitarbeitete. In seiner nahen Nachbarschaft wohnte ein außerordentlich hübsches und anziehendes Mädchen, Emily Darwen. Sie arbeitete in einer Fabrik. Sie und der junge Wilson liebten sich schon seit ihrer Kindheit. Liebe, sagt man, ist blind oder macht blind. Bestimmt war Wilson blind in Bezug auf seine eignen Möglichkeiten und die des Mädchens, als er diese hübsche, aber unintelligente Person heiratete.

Ich will kein Wort gegen sie sagen. Wäre ihr Mann weiter in dem Zeitungsladen geblieben, hätte er auch weiter einen untergeordneten Posten in einer kleinen Redaktion bekleidet, so hätten sie ein glückliches Paar bleiben können. Wir können ihr unsere Sympathie nicht versagen. Sie war stolz auf seinen Erfolg, ohne dabei zu bedenken, dass dieser Erfolg sie trennte. Sie bemühte sich auch nicht, mit seiner geistigen Entwicklung Schritt zu halten.

Er war gierig nach Wissen und dem Einfluss, der mit dem Wissen kam. Sie blieb die einfache Arbeiterin in der Fabrik, die sich nicht einmal sprachlich gut ausdrücken konnte. Sie war ohne jegliches Interesse gegenüber allem, was sich außerhalb des kleinen Umfeldes abspielte, in dem sie lebte. Sie hatte keinerlei Ehrgeiz etwas zu lernen. Sie las seichte Bücher und ihre wenigen Vergnügungen waren alltäglicher Art.

Zehn Jahre lang lebten sie in Manchester. Während dieser Zeit hatte er sich beständig erfolgreich nach oben gearbeitet, während sie immer mehr im Hintergrund verschwand. Sie lebten insofern glücklich zusammen, da sie sich niemals zankten. Empfindlich in mancher Beziehung fühlte sie ihre geistige Minderwertigkeit gegenüber seinen neuen Freunden und vielleicht auch gegenüber den Frauen seiner Freunde. Sie vermied es, mit ihnen zusammenzutreffen. Auf diese Weise teilte sie zwar sein Heim, aber nicht seine Interessen.

Dieses Heim begann immer weniger Bedeutung für ihn zu haben. Wenn Kinder da gewesen wären, hätte es sich vielleicht anders entwickelt, aber sie hatten keine Kinder. Das einzige Kind war bei der Geburt gestorben.

Das hat die Anklage berichtet und Wilson hat es bestätigt. Er war unglücklich darüber. Er versuchte, seine Frau zu belehren; sie für mehr als niveaulose Romane... zu interessieren. Aber es brachte nichts. Dieser hübsche Kopf war für das Lernen nicht geschaffen und ihre natürliche Trägheit trug dazu bei, ihn seinen Weg gehen zu lassen. Sie lebte ihr eigenes Leben, ein bequemes Leben, das seine verbesserten Verhältnisse ihr erlaubten.

Haswell machte für einige Augenblicke eine Pause. Er sprach gut, langsam und klar, jedes Wort hatte seine volle Wirkung. Er schien die Geschworenen mit sich zu nehmen - in dieses Heim, sie konnten sehen, dass keiner der beiden diesen Mangel an Glück verschuldete, sondern nur der grundlegende Unterschied ihrer Naturen. Der Mann auf der Anklagebank rührte sich nicht, machte höchstens einige kleine zustimmende Gesten, wenn sein Verteidiger von dem Charme seiner Frau Sprach.

»Gehen wir zur zweiten Phase der Geschichte über!

Nach zehn Jahren in Manchester wurde Wilson eine bedeutende Stellung an einer Zeitung in Birmingham angeboten. Er nahm sie an und dies führte zu seinem - ich sage es nicht in schlechten Sinne - Doppelleben.

In Manchester hatten er und seine Frau noch alte Freunde und Verwandte, durch die sie sich miteinander verbunden fühlten. Als sie nach Birmingham zogen, kannten sie niemand. Er wurde jedoch wie ein Mann auf genommen, der zu respektieren ist, und fand bald neue Freunde in seinem beruflichen Umfeld. Seine Frau schloss keine Freundschaften und sie hatte auch nicht den Wunsch, mit seinen Bekannten zusammenzutreffen. Lassen Sie uns gerecht sein. Sie dachte wahrscheinlich, dass es ihm hilfreicher wäre, wenn sie mehr im Hintergrund blieb. Sie tat dies um seinetwillen, um ihn nicht ungewollt zu blamieren. Es war nicht sein Wunsch, sondern der ihrige, dass sie sich so ausschloss. Aber es war ein Zustand, an den er sich gewöhnte, zumal er ganz in seine neuen Aufgaben ganz vertieft war.

Diese acht Jahre in Birmingham können schnell übersprungen werden. Sie brachten einen großen Fortschritt in seiner Karriere. Er wurde bekannt. Artikel von Beresford Wilson erregten Aufmerksamkeit in den Zeitschriften des ganzen Landes. Seine literarischen und dramatischen Kritiken wurden geschätzt und sein Name wurde in kultivierten Kreisen genannt. Wie Schriftsteller der Vergangenheit und Gegenwart - Clemens Scott, Augustus Sala, Bernard Shaw, Arnold Bennett..., - weit und breit anerkannt und geachtet wurden, so war es auch mit Beresford Wilson.

Somit kommen wir zum dritten Abschnitt seiner bemerkenswerten Karriere. Er wurde nach London berufen. Ihm wurde die Stelle angeboten, die er jetzt noch innehat als Mitarbeiter des Morning Banner. Es stand ihm frei, zu den wöchentlichen und monatlichen Rezensionen beizutragen. Er kam damit in einen literarischen Mittelpunkt der Welt. Er kam naturgemäß in die besten und glänzendsten Kreise und seine Frau begleitete ihn niemals.

Lassen Sie uns das klarstellen. Es war ihr Vorschlag und nicht der seine, der diese Lebensweise schuf. Sie schlug auch vor, dass sie nicht mehr länger zusammenleben wollten. Wir können immer noch annehmen, dass selbstlose Beweggründe sie leiteten. Kein Streit, keine Bitterkeit war damit verknüpft, es war eine einfache Anerkennung von Tatsachen.

Beresford Wilson hat Ihnen seine Geschichte erzählt, und der Oberstaatsanwalt hatte ihn sehr scharf im Kreuzverhör. Diese Geschichte trägt den Stempel der Wahrheit. Emily Wilson hatte noch immer viel von ihrer früheren Schönheit, und ihr Mann liebte sie auch jetzt noch. Aber sie bestand darauf, dass sie sich trennten. Er hat Ihnen ihre letzten Worte in dieser Angelegenheit wiederholt. Worte, die zeigen, dass sie einen gewissen Sinn für Humor hatte und Verständnis für Zusammenhänge.

Du, der große Kritiker, sagte sie, mit einer Frau, die nicht zwei Sätze grammatikalisch richtig formulieren kann. Man würde uns schön auslachen!

Das klingt wahr. Sie befürchtete, ausgelacht zu werden, und er würde um ihretwillen verlacht werden. Beides musste vermieden werden und deshalb bestand sie auf ihren Vorschlag. Die Anklage ist der Meinung, dass sie dazu gezwungen wurde. Doch dafür ist keinerlei Beweis vorhanden. Wenn sie anderer Meinung gewesen wäre, würde sie sich bestimmt behauptet haben, aber sie entschied sich, ihren eigenen Weg zu gehen.

»Was sie vorschlug und womit ihr Mann sich endlich einverstanden erklärte, war, dass er allein nach London gehen und seine neue Stellung antreten sollte. Sie würde einige Wochen später folgen. Beresford Wilson sollte eine Junggesellenwohnung nehmen, Mrs. Wilson wollte eine kleine Wohnung für sich selbst in einem Vorort haben. Er würde ihr einen angemessenen Unterhalt gewähren und sie alle vierzehn Tage besuchen. Dieses Programm wurde ausgeführt. Beresford Wilson nahm sich eine Wohnung in Redway Haus, Lincolns Inn. Es war ein Haus, das zum größten Teil für Bürozwecke verwendet wurde, es hatte auch Wohnräume im obersten Stockwerk. Mrs. Wilson mietete ein kleines Haus in Rosemary Walk No. 2, Hammersmith, ein komfortables Landhäuschen, in einer stillen Straße, wenige Hundert Meter von der Hauptstraße.

So verging die Zeit. Seine Achtung wuchs laufend in den Augen aller, die an literarischen Dingen und Theaterkritiken interessiert sind, sie führte ein ruhiges Leben in einer Umgebung, die ihren Neigungen und Wünschen entsprach. Eine Frau kam jeden Tag, um die grobe Arbeit zu tun. Aber sonst lebte sie allein. Ihr Mann besucht sie alle vierzehn Tage und gelegentlich kam Besuch von einer anderen Person, jene Frau in Schwarz, auf die es so sehr ankommt.«

Haswell räusperte sich.

»Im Zeugenstand haben Sie Mrs. Moore und Mrs. Payne gesehen, die einzigen Nachbarn, mit denen Mrs. Wilson eine Art Freundschaft unterhielt. Sie hatten Kontakt, seitdem sie dort lebte und haben zweifellos ein genaues Bild des Lebens geschildert, das sie führte. Sie hatte einen Papagei und zwei Katzen, die sie liebte. Einen großen Teil ihrer Zeit verbrachte sie lesend im Bett. Sie war eine ständige Besucherin aller Kinos der Nachbarschaft - ein träges, harmloses Leben.

Von ihren eigenen Angelegenheiten sprach Mrs. Wilson selten. Sie deutete ein- oder zweimal die Besuche ihres Mannes an, aber sie sagte niemals, wer er war, und sowohl Mrs. Moore als auch Mrs. Payne haben Ihnen ganz offen gesagt, dass sie nicht daran glaubten, dass Mrs. Wilson verheiratet war. Sie war anziehend in ihrer Erscheinung, und sie dachten - was den Umständen nach zu entschuldigen war - , dass sie von einem alten Verehrer unterhalten wurde, der vielleicht mit einer anderen Frau verheiratet war, aber sich freute, ihr hin und wieder Gesellschaft zu leisten. Diese Annahme verhinderte sie, Fragen zu stellen. Sie waren bereit, mit ihr zu plaudern und ins Kino zu gehen. Sie waren nicht übermäßig neugierig oder klatschsüchtig.

Dann, vor einigen Monaten, etwa neun oder zehn Wochen vor dem Abend der Tat, erschien jener andere Besucher - eine Frau in Schwarz. Jeden Freitagabend in all diesen Wochen kam diese große Frau, wenn es dunkel war oder bei Einbruch der Dunkelheit, in Hut und Kleidung, die ihr Gesicht und ihre Figur verbargen, zu Mrs. Wilson. Sie blieb ungefähr eine Stunde. Keiner scheint sie bemerkt zu haben als nur diese beiden Nachbarinnen. Es gibt in Rosemary Walk nur drei Häuser. Mrs. Moore bewohnt Nr. 1, Mrs. Payne Nr. 3, und dazwischen hatte Mrs. Wilson ihr Haus. Unmittelbar gegenüber stehen keine Häuser. Beide Nachbarinnen haben übereinstimmend erklärt, dass Mrs. Wilson von diesem Besuch nichts erwähnte, bis sie selbst einmal danach fragten. Auf die Frage hatte sie geantwortet, es sei jemand, den sie schon seit Jahren von Manchester her kenne. Mrs. Moore fragte auch nach dem Namen und erhielt die lächelnd gegebene Antwort - es wäre Mrs. Beresford!

Diese lächelnd gegebene Antwort! Sie hörten, dass ich Mrs. Moore fragte, was sie eigentlich damit meinte. Sie antwortete, dass Mrs. Wilsons Benehmen etwas eigentümlich gewesen sei, was sie bezweifeln ließ, dass dies der wirkliche Name der Frau war. Ich sagte ihr, ich fasse das so auf, als ob Mrs. Wilson das alte Sprichwort anwenden wollte: Stelle keine Fragen, und du wirst keine Lügen hören. Sie gab zu, dass es so sein könne. Dieser Punkt wurde dann fallen gelassen.

Wir wollen nun einen Augenblick zu Beresford Wilson zurückkehren. Im Laufe seiner Arbeit traf er mit vielen bedeutenden Leuten zusammen. Wir wollen keine Namen anführen, wenn es zu vermeiden ist. Aber ein Name hat sich Ihnen auf gedrängt, er ist von größter Bedeutung für diesen Fall, der Name von Miss Desdemona oder Mona Thring, der bekannten Schauspielerin. Der Angeklagte lernte sie kennen und sagte Ihnen offen, dass er sich in sie verliebte.

Sie wusste nicht, dass er verheiratet war - niemand in London wusste das, und es fällt keinerlei Schatten auf sie. Sie haben sie in der Zeugenbank gesehen. Ihr Ruf ist untadelig. Sie nimmt ihre Kunst ernst, und zwischen ihr und dem berühmten Kritiker gab es viele gemeinsame Berührungspunkte, viele Gründe für Sympathie, viel Ursache für Liebe. Beide geben ihre Liebe zu. Sie wollten heiraten. Miss Thring hat Ihnen gesagt, dass sie sich mit einer heimlichen Verlobung einverstanden erklärte, da sie eine neue, wichtige Rolle einstudierte und die Aufführung des Stückes erst vorübergehen lassen wollte, bevor alles publik gemacht würde.

Beresford Wilson hat Ihnen gesagt, dass er sich bewusst war, nicht heiraten zu können. Seine Liebeserklärung sei zuletzt ganz plötzlich gekommen. Er hatte sich seit Jahren nach wahrer Liebe, nach wirklicher Gemeinschaft mit einer Frau verzehrt. Seine Gefühle gingen mit ihm durch, und dann war er sich klar darüber, dass er von seiner gesetzlich angetrauten Frau die Scheidung verlangen musste.«

Haswell machte eine kleine Pause.

»Somit kommen wir zum verhängnisvollen Freitagabend des vierundzwanzigsten April. Wilson hatte seine Frau seit Sonntag, dem zwölften April nicht gesehen, und gerade in diesen zwölf dazwischenliegenden Tagen überwältigte ihn seine Liebe zu Mona Thring und er offenbarte sich ihr. An diesem Freitag zwischen neun und neun Uhr fünfzehn abends empfing Mrs. Wilson den Besuch, der während der vergangenen acht Wochen jeden Freitagabend gekommen war - die Frau in Schwarz. Diese Frau sahen Mrs. Payne und ihr Mann in das Haus hineingehen. Zur gleichen Zeit, als das Ehepaar zu einem Spaziergang ausging, betrat diese finstere Gestalt die Schwelle des Nachbarhauses.

Am Morgen, als die Aufwartefrau kam, um ihrer Arbeit in Rosemary Walk 2 nachzugehen, fand sie Mrs. Wilson tot auf dem Fußboden des Wohnzimmers. Sie trug die Kleider vom vorhergehenden Abend. Sie war erwürgt worden. So weit bekannt ist, war jene Frau in Schwarz die letzte Person, die das Haus betreten hat. Die Anklage zielt darauf hin, dass James Beresford Wilson und jene Frau in Schwarz ein und dieselbe Person sind.«

In diesem Augenblick unterbrach der Gerichtshof die Verhandlung, umdieMittagspause abzuhalten.

Der Richter fragte Haswell, wie lange er voraussichtlich noch für seine Rede brauchen werde,

Dem jungen Anwalt lag daran, nicht zu weitschweifig zu werden. Er wollte Seiner Lordschaft genügend Zeit zu ihrer Zusammenfassung lassen, sonst würde die Entscheidung vielleicht zum nächsten Tag vertagt. Durch eine Vertagung würde seine Rede an Wirkung verlieren.

Er antwortete, er hoffe, in einer Stunde fertig zu werden.

Die Unterbrechungsdauer wurde auf vierzig Minuten festgesetzt.

 

 

 

Zweites Kapitel

 

 

Mit Beginn der Nachmittagssitzung machte sich zuerst eine leichte Unruhe bemerkbar. Einige der Beisitzer verspäteten sich etwas und außerdem versuchten Personen aus dem Publikum, die vorher keinen Zutritt gefunden hatten, Plätze zu bekommen. Dies wurde aber bald verhindert, und die Polizei hielt die Türen verschlossen. Der Angeklagte kehrte auf die Anklagebank zurück, die Geschworenen begaben sich auf ihre Plätze, und der Richter nahm ebenfalls seinen Sitz ein. Die Verhandlung wurde fortgesetzt.

»Als wir vorhin unterbrachen«, begann Haswell zu den Geschworenen gewendet, »hatte ich Sie gerade daran erinnert, dass die Anklage behauptet, James Beresford Wilson und die Frau in Schwarz, die Mrs. Wilson besuchte, wären ein und dieselbe Person. Diese Behauptung wurde jedoch nicht bewiesen! Ich sehe auch keinen Weg, auf dem dieser Beweis erbracht werden könnte. Ich stelle also ausdrücklich fest, diese Behauptung konnte nicht begründet werden! Es ist lediglich eine Mutmaßung. Man hat faktisch keinen Beweis gefunden, der eine derartig phantastische Annahme stützen würde.

Es ist uns gesagt worden, dass im Haus von neun Uhr abends bis acht Uhr morgens des folgenden Tages im Haus Ruhe herrschte. Niemand hat es betreten, niemand hat es verlassen. Aber ist das wirklich wahr? Sind wir dessen sicher? Wer wird die Geheimnisse jener Nacht entschleiern?

Es ist möglich, dass diese Frau, wer sie auch gewesen sein mag, das schreckliche Verbrechen verübte, dessen Beresford Wilson angeklagt ist. Ich stehe hier, weder um sie zu beschuldigen, noch um sie zu verteidigen, denn sie ist nicht auf findbar. Niemand kann einen Täter nennen. Jedenfalls hat es diese Frau verstanden, sich vor der Polizei zu verbergen. Das ist aber sicher kein Beweis dafür, dass sie und der Beschuldigte ein und dieselbe Person sind.

Sie haben gehört, was Beresford Wilson in der Nacht des vierundzwanzigsten April, der Nacht des Mordes, getan hat. Seine Erzählung stimmt mit den Feststellungen der Anklage zum größten Teil überein. In einem entscheidenden Punkt aber weichen die beiden Darstellungen voneinander ab. Es war die Uraufführung eines neuen Stückes am Sheridan Theater am Kingsway - nicht Mona Thrings Aufführung -, und Beresford Wilson war beruflich als Kritiker dort, um seine Eindrücke den Zeitschriften zu berichten, für die er tätig war. Er saß am Ende der dritten Reihe im Parkett. Neben ihm saß Horace Welby, ein anderer Berufskritiker. Mr. Welby hat erklärt, dass Wilson, nachdem er im ersten Akt neben ihm gesessen hatte, währenddes zweiten Aktes abwesend und im dritten Akt wieder zurück war.«

»Am Ende des dritten Aktes«, warf der Oberstaatsanwalt laut ein.

»Ich komme gleich darauf«, sagte Haswell ganz gelassen. »Ich gebe die Bedeutung dieses Umstandes zu. Niemand muss befürchten, dass ich die Absicht habe, Sie irrezuführen. Als nach Schluss des dritten Aktes das Licht wieder eingeschaltet wurde, fand Mr. Welby seinen Nachbarn neben sich vor. Daraus schließt Mr. Welby, dass Wilson kurz zuvor zurückgekommen war. Mr. Welby gab mir gegenüber jedoch zu, er sei in das Stück so vertieft gewesen, dass ihm eine genaue Zeitangabe über die Rückkunft Wilsons nicht möglich wäre. Er erinnerte sich nur noch, dass Wilson wieder neben ihm saß, als das Licht aufflammte.

Auf seine Frage, ob Wilson hinter der Bühne gewesen sei, glaube er eine bejahende Antwort erhalten zu haben. Die Anklage hat viel daraus gemacht. Sie bewies, dass es im Widerspruch zu den Theatervorschriften stände und Besuchern der Aufenthalt hinter der Bühne am ersten Abend eines Stückes nicht gestattet sei. In jener Nacht sei keine Ausnahme gemacht worden, am allerwenigsten Beresford Wilson gegenüber, der infolge seiner ehrlichen und freimütigen Kommentare bei dieser Theaterleitung nicht sehr beliebt war. Wir wollen uns darüber nicht streiten. Wilson ist nicht hinter der Bühne gewesen, und er hat das auch niemals behauptet. Ich legte Mr. Welby die Frage vor: Können Sie es beschwören, dass Wilson sagte, er sei hinter der Bühne gewesen oder haben Sie es nur angenommen und er hat Sie nicht berichtigt? Er konnte es nicht beschwören.

Wilson erklärte, dass Welby die Frage wohl gestellt habe, er aber nicht geantwortet hätte. Er dachte, dass seinem Freunde die Differenzen, die er mit der Theaterleitung hatte, bekannt waren und die Frage mehr scherzhaft gemeint war, sodass sich eine Antwort darauf erübrigte. Stattdessen habe er, was sehr natürlich war, gefragt, was er versäumt habe.

Wohin war Wilson gegangen? Er hat Ihnen das erzählt. Da er noch einen Artikel zu beenden hatte, setzte er sich in eine stille Ecke der Eagle Taverne, die sich in der Nähe befindet, und die er unter ähnlichen Umständen schon häufig aufgesucht habe. Er sagte, dass er seinen Artikel schrieb und bald nach Beginn des Aktes zurück war.

Der Herr Oberstaatsanwalt sah das nur sarkastisch. Würden Sie sich als zuverlässiger und maßgebender Kritiker mitten aus der Aufführung entfernen, die Sie zu zensieren haben? - Es kommt auf das Stück an, war die Antwort, und darauf, was füreine Arbeit ich gerade zu erledigen habe.

Ich habe Mr. Welby ähnliche Fragen vorgelegt, und er bestätigte, dass es für einen viel beschäftigten Kritiker in London nichts Ungewöhnliches sei, zwei Aufführungen an verschiedenen Theatern am selben Abend beizuwohnen oder vorzeitig aufzubrechen, um eine andere Arbeit zu beenden. Das ist Dienst am Kunden, damit unsere Morgenzeitungen stets auf dem Laufenden sind.

Hat irgendjemand Beresford Wilson in der Eagle Taverne zu der von ihm angegebenen Zeit gesehen? Leider nicht. In diesem Fall hätte sich alles erledigt, so weit es sich um den Angeklagten handelt. Wenn es ihm um ein Alibi zu tun gewesen wäre, würde er dafür gesorgt haben, dass jemand ihn gesehen hätte. Er aber hatte nur den Wunsch, schnell dort hineinzugehen und seine Arbeit ohne Unterbrechung zu beenden.

Die Anklage hat zwei Kellner vernommen, die aussagten, dass, so viel ihnen erinnerlich wäre, Wilson an jenem Abend nicht dort gewesen sei. Aber als ich sie verhörte, gaben sie zu, dass er ein häufiger Besucher war, der häufiger in ihrem Lokal arbeitete, und sie meinten, wirklich nichts beschwören zu können. Sie werden die außerordentliche Bedeutung dieses Punktes ermessen. Das Stück, das an dem Abend gespielt wurde, hatte vier Akte. Der erste Akt endete um 8.45, der dritte endete gerade vor zehn Uhr. Ungefähr um 9.15 empfing Mrs. Wilson ihren geheimnisvollen Besuch in Hammersmith.

»Inspektor Sprules hat Ihnen erzählt, wie er die Zeit nachgeprüft hat, die man  vom Sheridan Theater zu Rosemary Walk braucht und um wieder zurück zu gelangen. Er hat dies auf zwei Arten ausprobiert, mit dem Auto und mit der Eisenbahn. Er verließ das Theater in Abendkleidung und nahm einen Wagen, der in der Nähe wartete. Im Wagen wechselte er seine Kleidung, setzte einen Hut auf, zog einen Rock an, krempelte seine Hosen auf und wechselte seine Schuhe. Er fuhr nach Hammersmith und eilte, nachdem er den Wagen in der Nähe der Hauptstraße geparkt hatte, zu dem Haus, in dem sich die Tat abgespielt hat. Er hielt sich dort fünfzehn Minuten auf und kehrte dann zum Theater zurück, wobei er wieder seine frühere Kleidung anzog. Er hat insgesamt 1 1/4 Stunde dafür benötigt, d. h.,  zehn Minuten weniger, als die Anklage für die Abwesenheit Wilsons von seinem Platz annimmt.

Bei dem zweiten Versuch ging er vom Theater zu Fuß zu Wilsons Wohnung in Lincoln’s Inn und zog sich dort um. Der Inspektor sagt, dass er sich dann mit der Untergrundbahn nach Hammersmith begab. Er blieb wiederum fünfzehn Minuten in Rosemary Walk, fuhr auch wieder mit der Bahn zurück, zog sich in Lincoln's Inn um und war nach einer Stunde zwanzig Minuten im Theater.

Ich möchte dies nicht weiter erörtern. Wenn Inspektor Sprules erklärt, dass er für die Hin- und Rückfahrt nach Brighton sechzig Minuten und nach Windsor anderthalb Stunden braucht, so zweifle ich nicht daran. Die Frage ist hier: Was tat Wilson? Ich möchte Sie an die weitere Aussage von Mr. Welby erinnern.

Sie waren der erste, sagte ich zu ihm, der den Angeklagten nach seiner Rückkehr im Theater gesehen hat. War sein Benehmen normal? -.Ja!

War sein Benehmen vereinbar mit seiner Erzählung, dass er fort gewesen wäre, um noch etwas zu schreiben, oder deutete irgendetwas auf die Jagd durch London, den in aller Eile vor- genommenen Kleidungswechsel und die mit seinen eigenen Händen vollbrachte Mordtat?

Sein Benehmen, sagte Mr. Welby, war durchaus mit seiner Erzählung vereinbar.«

Der Verteidiger ließ die Worte wirken.

»Ich glaube, dass Sie diese Aussage nicht unberücksichtigt lassen können. Es ist keine Spur von Beweis dafür vorhanden, dass Beresford Wilson das getan hat, was man ihm zur Last legt. Bedenken Sie! Es wird bemängelt, dass Wilson von niemand in der Eagle Taverne gesehen wurde. Ist es nicht bemerkenswerter, dass für all die anderen - vom Staatsanwalt unterstellten - Aktivitäten: das Parken eines Wagens, das Lösen einer Fahrkarte und die Fahrt im Zuge, kein Zeuge angeführt werden kann, der zur Bestätigung der Vermutungen beitragen könnte?

Dann ist da die Sache mit dem anonymen Brief. Ein Mann oder eine Frau hat unter dem Decknamen Jane Verity Seiner Lordschaft Sir George, einem Geschworenen und mir geschrieben, er oder sie wisse, Beresford Wilson habe seinen Wagen in einem gewöhnlichen Anzug bestiegen und sei in Frauenkleidern ausgestiegen. Seine Lordschaft sagte Ihnen bereits, dass Sie diese aus der Luft gegriffene Behauptung gänzlich unbeachtetlassen sollten. Ich bin auch überzeugt, dass Sie dies tun werden. - Ein anonymes Schreiben, von einer gehässigen oder schwachsinnigen Person auf diesem Wege abgeben? Welche Bedeutung muss so einem beigemessen werden? -

Ich erwähne dies auch nur, um Ihnen vor Augen zu führen, dass alles versucht worden ist, diese Jane Verity zu finden. Sie ist aber nicht gefunden worden. Wenn sie wirklich gesehen hätte, was sie behauptet, dann wäre die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass es weitere Zeugen gäbe. Aber niemand ist hier auf der Zeugenbank erschienen, der etwas gesehen hat! Deshalb steht für mich fest, dass Sie es als nicht geschehen betrachten müssen. Auf jeden Fall ist es eine Lüge. Außerdem: - das Ein- und Aussteigen hätte jemand nur dann beobachten können, wenn er den Wagen Wilsons verfolgt hätte.

Wir kommen nun zum nächsten Punkt. Hier hat der Beklagte meiner Ansicht nach einen Fehler gemacht, was er auch zugibt. Wenn wir uns aber in seine Lage versetzen, wären wir dann nicht auch versucht gewesen, so zu handeln?

Der Staatsanwalt Sir George Draper hat Ihnen erklärt, was die Polizei veranlasste, den Angeklagten mit dem Verbrechen in Verbindung zu bringen. Er sagt, dass man normalerweise keine Verbindung zwischen Mrs. Wilson in Hammersmith und Beresford Wilson, dem bekannten Kritiker des Morning Banner, gesucht hätte. Inspektor Sprules fand aber in der Villa in Hammersmith vier Zeitungsausschnitte. Das würde an sich nichts besagt haben, wenn diese Ausschnitte nicht gerade nur aus Artikeln oder Geschichten von Beresford Wilson bestanden hätten. Einer der Ausschnitte enthielt eine Fotografie, und darunter war mit Mrs. Wilsons Schrift geschrieben: Mein Jimmie. Wir sehen also, obwohl sie sich getrennt hatten, obwohl sie sich weigerte, mit ihm zu leben, sie noch immer auf seine Arbeiten stolz war.

Mit diesem Fund ging nun der Inspektor zu Beresford Wilson und fragte ihn, ob ihm irgendetwas über Frau Emily Wilson bekannt sei, deren Tod soeben öffentlich bekannt gemacht worden war. Wilson verneinte diese Frage.

Das war unwahr und höchst unklug von ihm.

Welche Erklärung gibt er dafür? Hier sind seine Worte. Haswell nahm seine Notizen zur Hand und begann vorzulesen:

Ich fühlte mich überrumpelt. Ich hatte Miss Thring nichts davon gesagt, dass ich verheiratet bin. Ich hatte die Absicht, meine Frau bei unserem nächsten Zusammensein zu bitten, in eine Scheidung einzuwilligen. Nun hörte ich von ihrem Tode. Es schmerzte mich, denn obwohl wir so wenig gemein hatten, wünschte ich ihr nichts Böses. Es schien aber die Sache für mich zu vereinfachen und ich sah nicht ein, warum ich unser verwandtschaftliches Verhältnis bekannt geben sollte, wenn dadurch niemand etwas zu gewinnen habe.

Haben Sie nicht auch daran gedacht, hat man ihn gefragt, dass, wenn diese Verwandtschaftsbeziehung bekannt würde, Sie der Mittäterschaft am Tode Ihrer Frau verdächtigt werden könnten?  

Ich habe nicht sofort daran gedacht, antwortete er. Wenn ich Zeit zum Nachdenken gehabt hätte, wäre mir klar geworden, dass die Polizei Grund hatte, Mrs. Wilson mit mir in Verbindung zu bringen, denn sonst wäre sie nicht zu mir gekommen. Aber ich hatte keine Zeit zum Denken. In mir war nur ein Wunsch vorhanden, der Frau, die mir jetzt nahesteht, Kummer zu ersparen. In dem Moment, als ich meine Aussage gemacht hatte, wurden mir die Foto-Alben vorgelegt und ich gab alles zu.«

Hier machte der Angeklagte wieder eine seiner kaum wahrnehmbaren zustimmenden Bewegungen, als diese Worte seines Verhörs verlesen wurden. Haswell hielt einen Augenblick inne und fuhr dann fort.

»Ich bitte die Geschworenen, diese Erklärung zu glauben. Wie Sie oder ich unter solchen Umständen gehandelt hätten, weiß ich nicht, aber wir können uns denken, dass jemand darauf bedacht ist, Komplikationen unter so schlimmen Umständen zu vermeiden.

Dann ist da noch ein anderer Punkt, auf den die Anklage großes Gewicht legt. Als Inspektor Sprules die alte Sammlung von Zeitungsausschnitten untersuchte, fand er eine Geschichte, die Wilson als junger Mann vor zwanzig Jahren geschrieben hatte. Sie schilderte, wie ein Mann, um ein Verbrechen zu begehen, eine zweite Persönlichkeit schafft - sich selbst als Frau verkleidet. Das Verbrechen wurde ausgeführt, die Frau verschwand und auf den Mann fiel niemals ein Verdacht.

Diese Idee habe, wie Ihnen Sir George Draper erklärte, während der ganzen Zeit die Gedanken des Angeklagten beherrscht und schließlich, als sich das Motiv zu dem Verbrechen ergab, habe er den Plan so ausgeführt, wie er ihn sich selbst als junger Mensch ausgedacht hat.