Die Lager von Schwaz 1944 - 1988 - Horst Schreiber - E-Book

Die Lager von Schwaz 1944 - 1988 E-Book

Horst Schreiber

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Beschreibung

1944 bauten die Nationalsozialisten zwei Kilometer im Inneren des Bergwerks der Stadt Schwaz eine Fabrik. Ausländische Zwangsarbeiter fertigten in dieser Messerschmitthalle Teile des Düsenjägers Me 262. In eines der Schwazer Zwangsarbeiterlager sperrte die französische Militärregierung ehemalige Nazis ein. Sie nannte das Lager "Oradour", nach jenem Ort, wo die SS Hunderte ermordet hatte. 1948 bevölkerten Vertriebene und Geflüchtete das Lager, ab Herbst 1954 randständige, wohnungslose und armutsbetroffene Menschen. Aus "Oradour" wurde St. Margarethen, aus dem Flüchtlingslager die Märzensiedlung: ein Schandfleck vor den Toren der Kulturstadt Schwaz. 1988 entfernte ihn die Gemeinde – 44 Jahre nach dem Erstbezug des Lagers in der NS-Zeit. Die Lager stehen nicht mehr, die Erinnerungen verblassen, die Erzählungen stocken, was bleibt, sind Gerüchte. Das Buch von Horst Schreiber stärkt das Gedächtnis und ermutigt zu sprechen. Nicht nur über die Nazizeit.

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STUDIEN ZU GESCHICHTE UND POLITIK

Band 30herausgegeben von Horst SchreiberMichael-Gaismair-Gesellschaftwww.gaismair-gesellschaft.at

www.gaismair-gesellschaft.at

 

 

© 2023 by Studienverlag Ges.m.b.H., Erlerstraße 10, A-6020 InnsbruckE-Mail: [email protected]: www.studienverlag.at

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-7065-6356-7

Buchgestaltung nach Entwürfen von Wilfried Winkler, neusehland.atSatz: Studienverlag/Karin BernerUmschlag: Stefan Rasberger, www.labsal.at

Dieses Buch erhalten Sie auch in gedruckter Form mit hochwertiger Ausstattung in Ihrer Buchhandlung oder direkt unter www.studienverlag.at

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Geheime Flugzeugproduktion im Schwazer Bergwerk 1944/45

Die Konzentration der Luftwaffenproduktion im Rüstungsministerium

Die Organisation der Untertageverlagerung

Die Me 262 und die Verlagerungen der Messerschmittwerke

Der Bergbau im Erzbergwerk Schwaz bis 1944

Das Zwangsarbeiterlager und die Messerschmitthalle im Schwazer Bergwerk

Die Arbeits- und Lebensbedingungen der Zwangsarbeiter

Die Messerschmitthalle 1945–1947: Demontage und Sprengung

Das Entnazifizierungslager Oradour 1945–1948

Das Massaker von Oradour-sur-Glane

Die Übernahme des Zwangsarbeiterlagers durch die Alliierten

Der Aufbau des Lagers Oradour

Deportation ehemaliger Nationalsozialisten nach Frankreich

Die Entwicklung der Häftlingszahlen

„Oradour ist ein Schandfleck“: Vorwürfe gegen die französische Besatzung

Das Lagerleben

Fluchtversuche

Die Auflösung des Lagers

Das Lager St. Margarethen für Vertriebene und Geflüchtete 1948–1951

Der Bezug des Lagers

Holzdiebstähle

Kindergarten und Volksschule

Fürsorge und Feste

Sparprogramm

Ordnung und Disziplin

Ernährung

Arbeit

Anzahl und nationale Herkunft der Geflüchteten und Vertriebenen

Die Übergabe des Lagers St. Margarethen

Das Armenlager Märzensiedlung 1954–1988

Die Anfänge

Die Abgehängten des Wirtschaftswunders

Das lange Ende der Siedlung

Widerstand und Verfolgung: Gedächtnislandschaft Schwaz

1993: Das erste Gedenkzeichen – Max Bär

1995: Das Projekt der Klangspuren zu Zwangsarbeit – Schwaz/Oradour

2005–2016: Späte Zeichensetzungen

2015/2017: Erinnerung an Oradour – Stele und Rundwanderweg

Leerstellen der Erinnerung

Walter Waizer, der mildtätige Gönner: Ehrung eines ehemaligen Nationalsozialisten

2023: Memories of memories. Das Lager Oradour

Zeitstrahl

Anmerkungen

Quellen und Literatur

Einleitung

Wo immer wir in Tirol leben, in einer Stadt oder am Land, im Tal oder in Bergeshöhe, im Außerfern oder in Osttirol, ein Lager der Nazizeit war nicht weit entfernt. In der Nähe unserer Wohnorte und Arbeitsstätten wurde verhaftet, gedemütigt, ausgebeutet und gefoltert, nicht selten auch gemordet. Während des Zweiten Weltkrieges tummelten sich in der Stadt und im Bezirk Schwaz unzählige Frauen und Männer aus allen von der Deutschen Wehrmacht besetzten Teilen Europas, speziell aus den Regionen der ehemaligen Sowjetunion. Sie arbeiteten in Betrieben, für Gemeinden und in Privathaushalten. Untergebracht waren die meisten Zwangsarbeitskräfte in Barackenlagern: in Jenbach, Gerlos, Rohrberg, Gmünd, Fischl, Stummerberg, Stumm, Hochried bei Zell und Hippach, nur um einige der wichtigsten zu nennen. Das nationalsozialistische Lagersystem, das Tirol und seine Bezirke überzog, beherrschte auch in der kleinen Stadt Schwaz mit ihren 7.500 Menschen (1939) das Stadtbild. Bereits 1942 errichteten die NS-Behörden ein sogenanntes Russenlager, in das sie überwiegend Menschen aus der Ukraine einlieferten. In der Öffentlichkeit waren sie nicht zu übersehen.

Die Verlagerung von Rüstungsproduktion ins Bergwerk hatte im letzten Kriegsjahr die Überstellung hunderter ausländischer Zwangsarbeiter, aber auch vieler reichsdeutscher und „ostmärkischer“ Arbeitskräfte nach Schwaz zur Folge. Es entstanden in- und außerhalb der Stadt ein Massivbarackenlager, ein Kriegsgefangenenlager und ein „Arbeits- und Gefangenenlager“. Von diesen Lagern ist heute nichts mehr erhalten. Wo genau sie standen, ist nicht markiert. Die Topographie des Terrors ist unsichtbar. Seit 2015 erinnert eine Stele an jenes NS-Zwangsarbeiterlager, das die französische Militärregierung zu einem Entnazifizierungslager umfunktioniert hat.

50 Jahre nach Kriegsende bearbeitete ein aufsehenerregendes Großprojekt der Klangspuren diese in Vergessenheit geratene Geschichte. Ein weiteres Vierteljahrhundert später regte Thomas Larcher eine neuerliche Auseinandersetzung mit dem Thema an – im Mittelpunkt stand nun das Entnazifizierungslager Oradour in Schwaz. Nadja Ayoub, Günther Dankl und Lisa Noggler nahmen im Kunstraum und Rabalderhaus Schwaz sowie im Museum der Völker die Herausforderung an. Sie erstellten ein vielfältiges Kulturprogramm unter Beteiligung der Bevölkerung, speziell der Jugend. Roland Sila koordinierte die Aktivitäten zu der von Michaela Feurstein-Prasser kuratierten Ausstellung von Arno Gisinger vor dem Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum in Innsbruck.

Dies war die Ausgangslage für das Entstehen des vorliegenden Buches über die Geschichte der Lager von Schwaz. Die Quellen zum Thema sind lückenhaft. Zur NS-Zeit liegen Pläne und Luftbilder der Alliierten vor, der überlieferte Schriftverkehr ist gering. Über die Menschen in den nationalsozialistischen Lagern und deren Lebensbedingungen ist äußerst wenig bis gar nichts vorhanden. Lediglich einige wenige Interviews aus dem Jahr 1995 geben darüber Auskunft.

Über die Zeit der Nachnutzung des NS-Zwangsarbeiterlagers bei Buch als Entnazifizierungs- und Flüchtlingslager von 1945 bis 1951 sind die Quellen deutlich breiter gefächert, weil es im Zuständigkeitsbereich der französischen Militärregierung lag. Die Bestände im Centre des Archives diplomatiques de La Courneuve in Paris ermöglichen Einblick in Aufbau, Organisation, Entwicklung und Innenleben des Lagers Oradour bzw. St. Margarethen. Was weitgehend fehlt, sind die Stimmen und die Perspektive der Menschen aus Schwaz, auch jene der Geflüchteten und Vertriebenen sucht man vergebens.

Der Blick der Mehrheitsgesellschaft auf die letzte Phase des Lagers unter dem Namen Märzensiedlung ist gut dokumentiert. Doch die Männer, Frauen und Kinder, die ab Mitte der 1950er Jahre aus der Not heraus die Baracken besiedelten, kommen kaum zu Wort. Die ehemaligen Nationalsozialisten und ihre Familien wollten nicht sprechen, die Vertriebenen und Armutsbetroffenen konnten nicht. Die Öffentlichkeit war an ihrem Leben wenig interessiert, für die Wissenschaft und die Betreiber der Heimatkunde waren sie nicht geschichtswürdig. Mit den Projekten, die im Herbst 2023 in Schwaz durchgeführt werden, ist die Hoffnung verbunden, dass neue Stimmen, Erzählungen und Erinnerungen auftauchen.

Innsbruck, Sommer 2023Horst Schreiber, erinnern:at

Geheime Flugzeugproduktion im Schwazer Bergwerk 1944/45

Die Konzentration der Luftwaffenproduktion im Rüstungsministerium

Gegen Ende des Jahres 1943 registrierte das Reichsluftfahrtministerium, dass die Luftverteidigung vor dem Zusammenbruch stand. Die Neufertigungen konnten die Verluste an Jägern nicht mehr ausgleichen. Diese Krise blieb auch den Alliierten nicht verborgen. Daher starteten sie eine Offensive gegen die deutsche Luftwaffenproduktion. Die Angriffe gegen Flugzeugwerke in der sogenannten Big Week Ende Februar 1944 sollten der deutschen Luftrüstung den Garaus machen. Eine Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Rüstung und Kriegsproduktion war nun unumgänglich. Daher gründeten das Reichsluftfahrt- und das Reichsministerium für Bewaffnung und Munition (Rüstungsministerium) auf Vorschlag von Generalluftzeugmeister Erhard Milch am 1. März 1944 den Jägerstab. Die vier maßgeblichen Aufgaben waren, die Produktion von Jagdflugzeugen zu steigern, die wichtigsten Betriebe der Luftfahrt in unterirdische Produktionsstätten zu verlagern, den Einsatz von Zwangsarbeitskräften voranzutreiben und die Produktionsstandorte von 27 Flugzeugfabriken in 729 kleine Produktionsstätten aufzuteilen.1 Zu diesem Zweck erhöhte der Jägerstab die Arbeitsleistungen: Er führte die 72-Stunden-Woche ein, das Akkordsystem sowie Sonn- und Feiertagsschichten. Unterirdisch sollte in acht Stunden so viel geleistet werden wie unter Tag in zwölf.2

Grundvoraussetzung für die Untertageverlagerungen war die Beschaffung von Arbeitskräften. Das Rüstungsministerium zog bei der Durchführung von Baumaßnahmen SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS Hans Kammler hinzu, um angesichts ausbleibender ausländischer Zwangsarbeitskräfte infolge der militärischen Rückschläge raschen Zugriff auf KZ-Häftlinge zu haben.3 Schon bis Sommer 1944 erhielt die Luftwaffenindustrie rund 100.000 Gefangene aus den Lagern. In keiner anderen Industrie ging dieser Vorgang so früh vor sich.4

Der Zeitdruck war enorm, den Milch, Rüstungsminister Albert Speer und der Oberbefehlshaber der Luftwaffe Hermann Göring für die Untertageverlagerungen vorgaben. So teilte Karl-Otto Saur, Leiter des Technischen Amtes im Rüstungsministerium, Kammler am 3. Juli 1944 mit: „Unerhörte Verpflichtung, die Fertigstellung dieser Räume noch wesentlich schneller durchzuziehen.“5 Die Maßnahmen des Jägerstabs waren erfolgreich. So verdreifachte sich die monatliche Jägerproduktion innerhalb nur eines halben Jahres.6

Die Organisation der Untertageverlagerung

Die alliierten Luftangriffe zwangen das Deutsche Reich bereits 1943, Unternehmen mit rüstungswirtschaftlich wichtiger Fertigung aus bombengefährdeten Gebieten Deutschlands zu verlagern. Etwa in den Gau Tirol-Vorarlberg, den die Rüstungsbehörden als nicht stark luftgefährdet einstuften. 1943 transferierten sechs deutsche Unternehmen Teile ihrer Produktion nach Tirol, 1944 waren es drei.7 Eine dieser Firmen waren die bayrischen Messerschmittwerke, die Teile ihrer Fertigung für die Luftwaffe in ein Bergwerk nach Schwaz verlagerten.

Angesichts der drückenden Luftüberlegenheit der Alliierten setzten sich Vorstellungen durch, kriegswichtige und besonders bedrohte Produktionszweige der Luftwaffe unter die Erde zu bringen. Verlagerungen in Stollen, Höhlen und Tunnels sollten die Produktion von Flugzeugen unangreifbar machen. Die Planungen dauerten bis zum Frühjahr 1944. Betroffene Unternehmen waren zunächst aus Kostengründen desinteressiert, erst die dramatische militärische Lage brachte sie zum Umdenken. Ausschlaggebend waren schließlich die Vorteile der Untertageverlagerungen für die Betriebe – auch mit Blick auf eine Zeit nach dem Krieg. Das unternehmerische Risiko trug das Reich, es übernahm die Verlagerungskosten und stellte ausreichend Arbeitskräfte zur Verfügung: Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge.8

Bei der Auswahl geeigneter Bergwerke spielte die Unterabteilung des Amtes Bau im Rüstungsministerium eine entscheidende Rolle. In der erweiterten Form dieser Abteilung mit der Bezeichnung „Arbeitsstab U“ (Arbeitsstab für unterirdische Verlagerungen) waren das Rüstungslieferungsamt, das Rüstungsamt, das Planungsamt des Generalluftzeugmeisters, der Reichsführer-SS, der Oberberghauptmann im Reichswirtschaftsministerium, die deutsche Reichsbahn und das Reichsamt für Bodenforschung vertreten. Allein dieser „Arbeitsstab U“ entschied über die Auswahl der Gruben. Ihre Inanspruchnahme bedurfte der Zustimmung der Behörde des Oberberghauptmannes. Ein ähnliches Amt existierte auch im Reichsluftfahrtministerium auf Veranlassung von Göring: der „Sonderstab H“ (Sonderstab Höhlen/Bau). Er legte bereits im November 1943 eine erste Übersicht über verfügbare Bergwerksbetriebe vor. Auch hier war der Oberberghauptmann eingebunden. Die Komplexität dieser Organisationsstruktur ist augenscheinlich. Allerdings arbeiteten in diesem Fall der „Arbeitsstab U“, angesiedelt im Rüstungsministerium, und der „Sonderstab H“ des Reichsluftfahrtministeriums effizient zusammen. Schon im Dezember 1943 lag eine detaillierte Aufstellung von 120 Bergwerken und aller brauchbaren Höhlen vor.9

Die eigentlichen Verlagerungen nahm schließlich ab 1. März 1944 der Jägerstab vor, der dem Luftfahrt- und Rüstungsministerium unterstand. Ende Juli 1944 legte Generalluftzeugmeister Milch sein Amt nieder, seine Zuständigkeiten als Leiter der Rüstungsproduktion der Luftwaffe wanderten in das Rüstungsministerium von Albert Speer. Der Jägerstab wurde aufgelöst und dessen Agenda am 1. August in den neu gegründeten „Rüstungsstab“ übergeführt. Dies war der letzte Schritt zum Zusammenschluss der gesamten deutschen Rüstungsproduktion für alle Wehrmachtsteile im Ministerium Speer.10

Die Kosten für Planung, Transport, Bau und Einrichtung beglich das Rüstungsministerium, in dessen Auftrag die Verlagerungen durchgeführt wurden. Das Ministerium erteilte Unternehmen, die die Notwendigkeit der unterirdischen Fertigung nachgewiesen hatten, die Genehmigung, den Verlagerungsort mithilfe der Bergämter zu erkunden. Sobald die technischen und sonstige Fragen wie Arbeitskräftezuteilung, Unterkunft und Versorgung geklärt waren, erhielten die Firmen ohne eingehende Prüfung den Verlagerungsbescheid. Bergwerke waren vorteilhafte Verlagerungsorte, hier genügte meist eine Absprache mit dem Besitzer. Im Fall des Schwazer Bergwerks hatten sich die Behörden des Gaues Tirol-Vorarlberg den Zugriff durch den Aufkauf aller Anteile des Unternehmens gesichert. Bei kleineren Verlagerungen wie in der Silberstadt koordinierte die Firma das Vorhaben vor Ort gemeinsam mit den lokalen Behörden. Bei der Verlagerung in Stollen wurden zur Geheimhaltung Fischnamen verwendet.11 Bei Großprojekten sorgte die SS für Nachschub aus den Konzentrationslagern. Weniger umfangreiche Verlagerungen wie in Schwaz bediente die Organisation Todt, eine militärisch gegliederte Bauorganisation, die, dem Rüstungsministerium unterstellt, Ende 1944 über rund 1.360.000 Arbeitskräfte verfügte, lediglich 60.000 waren Deutsche bzw. Österreicher.12 Ohne die Ausbeutung ausländischer Zwangsarbeiter wären die Untertageverlagerungen unmöglich zu verwirklichen gewesen.

Die Me 262 und die Verlagerungen der Messerschmittwerke

Die Entwicklung der Messerschmitt Me 262 begann im April 1939, zwei Jahre später startete die erste Maschine – noch mit einem Kolbenmotor. Der erste reine Strahlflug einer Me 262 hob im Juli 1942 ab. Annähernd flugfähig war die Me 262 erst fünf Jahre nach der Inangriffnahme des Projekts. Allerdings funktionierten die Triebwerke nicht optimal. Bis zur Invasion der Alliierten in der Normandie im Juni 1944 waren nur wenige Maschinen fertiggestellt. Die Zahl der produzierten Me 262 lag vermutlich zwischen 1.300 und 1.400 Stück, tatsächlich abnehmen konnte die Luftwaffe – bis zum 10. April 1945 – jedoch lediglich 1.040 Maschinen.13

Auch wenn die Messerschmitt Me 262 als erster Düsenjäger, der im Krieg in Einsatz kam, eine wichtigere Rolle als die deutschen Konkurrenzprodukte spielte: Bis Kriegsende erreichte sie keine vollständige Serienreife; Flugzeuge und Triebwerke blieben unzuverlässig und fehlerhaft. Der Düsenjäger war zwar erfolgreicher als konventionelle Flugzeuge, militärisch blieb sein Einsatz bedeutungslos. Auch die Alliierten verfügten über Strahljäger: Die Briten hatten den Gloster Meteor, der seit August 1944 die deutschen Flugbomben V 1 bekämpfte, und die USA den Lockheed P-80 Shooting Star. Kurz vor Kriegsende traf er in Italien ein, ohne noch in den Kampfeinsatz zu kommen.14

Testflug einer Messerschmitt Me 262 in den USA nach dem Krieg (Foto U.S. Air Force)15

Die Messerschmittwerke AG hatte zwei Stammwerke. In Augsburg befand sich die Hauptverwaltung mit Abteilungen für Forschung, Entwicklung und Produktion. Dieser Standort fertigte einen Großteil der Me 262 in den Jahren 1944/45. In Regensburg produzierte das Unternehmen nur Rumpfbauteile der Me 262. Der Schwerpunkt an diesem Standort lag in der Herstellung von Flugzeugen des Typs Me 109. Aufgrund schwerer Luftangriffe verlagerten beide Werke ihre Erzeugung in großem Umfang in Dutzende Produktionsbetriebe und Materiallager im ost- und südbayrischen Raum, nicht nur Teilfertigungen, auch die Endmontage. Ohne die Verlagerungen in Wälder (Waldwerke Gauting bei Hagelstadt, Stauffen bei Obertraubling und Bruck in Neuburg an der Donau) mit Standorten nahe von Fliegerhorsten und Autobahnen hätten nicht so viele Me 262 produziert werden können.16

Von den 31 Verlagerungsstätten der Messerschmittwerke Augsburg waren vier untertage, drei davon montierten Teile der Me 262. Eine Fertigungsstraße war im Autobahntunnel im badischen Leonberg untergebracht, zwei Teilefertigungen lagen in Tirol: in Schwaz und Kematen, wo sich das Unternehmen 1940 niedergelassen und eine Fabrik eingerichtet hatte, die für die Luftwaffe arbeitete. Im Februar 1945 waren im Messerschmittwerk Kematen über 2.000 Personen beschäftigt, zwei Drittel von ihnen waren ausländische Arbeitskräfte. Im Juni 1944 startete das Unternehmen den Bau einer unterirdischen Anlage unter dem Decknamen Seelachs. Bis Kriegsende waren drei der sechs geplanten Fertigungsstollen mit 2.700 m2 als Werkstätten eingerichtet, die Produktion war bereits angelaufen.17 Laut US-Berichten handelte es sich vorwiegend um Flugzeugteile für die Me 109 und Me 262 sowie um Motorenteile von Daimler-Benz (603 und 605) für Messerschmitt-Flugzeuge.18 Von November 1944 bis April 1945 malochten im Schnitt 400 Männer unter der Erde, die meisten von ihnen waren Zwangsarbeitskräfte.19

Der Bergbau im Erzbergwerk Schwaz bis 1944

Um 1500 kamen vier Fünftel des weltweit geförderten Silbers aus Schwaz. Die größte Bergbaumetropole Mitteleuropas war Großstadt und urbanes Zentrum des Habsburgerreichs zugleich. Die „Entdeckung Amerikas“, gefolgt von der Ausbeutung der indigenen Bevölkerung und der als Sklaven gehaltenen Schwarzen in den gigantischen Silberbergwerken von Bolivien und Peru, Mexiko und Honduras, wirkte sich auf den Tiroler Bergbau verheerend aus. Ende des 16. Jahrhunderts setzte sein Niedergang ein, erst Mitte des 19. Jahrhunderts gab es wieder nennenswerte Aktivitäten, ohne dass der Schwazer Bergbau überregionale, geschweige denn europäische Bedeutung wiedergewinnen hätte können.20

Die Industrialisierung schuf einen hohen Bedarf an Rohstoffen und leitete eine kleine Renaissance des Bergbaus in Schwaz ein. Deutsche Interessenten gründeten 1855 den Schwazer Bergwerkverein, sie kauften aufgelassene und wenig genutzte Gruben- und Haldenlehnen aus staatlichem und privatem Besitz am Falkenstein und Ringenwechsel auf. In den 1860er Jahren betrieb der Bergwerkverein, dessen Inhaber einander in rascher Folge ablösten, eine Erzaufbereitung am Sigmund-Erbstollen. Am 18. März 1873 schlug er eineinhalb Kilometer östlich der Stadt an der alten Bundesstraße den Wilhelm-Erbstollen an, um eine Verbindung zum Krummörter-Revier des Falkensteins zu schaffen. 1883 war der Durchschlag zum Sigmund-Erbstollen fertiggestellt. Der Abbau von Kupfer und Silber erreichte in Schwaz Anfang des 20. Jahrhunderts seinen Zenit.21

1925 fiel der Beschluss zum Bau einer neuen Aufbereitungsanlage im Wilhelm-Erbstollen. In den Mittelpunkt rückte die Quecksilbergewinnung, vor allem aber der Verkauf des erzfreien Dolomits als Schotter für den Straßenbau. 1939 machte der Jahresumsatz des Schwazer Bergwerkvereins 64.000 Reichsmark (RM) aus (heute über 400.000 Euro). Der Anteil des Fahlerzkonzentrats betrug nur mehr 4.000 RM, die Schotterproduktion jedoch 60.000 RM.22 Bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten war der Bergbau in Schwaz fast zum Erliegen gekommen. Im Sommer 1936 gab er gerade noch 16 Menschen Arbeit, Anfang Oktober 1936 nur mehr drei. Im Winter 1937/38 war der Bergbau wie schon im Vorjahr praktisch außer Betrieb.23

Gruben des Schwazer Bergwerkvereins (Hanneberg/Martinek 2010, S. 2)

Die umfassenden Kriegsvorbereitungen steigerten den Rohstoffbedarf des Deutschen Reiches enorm, daher starteten die Nationalsozialisten ein systematisches Untersuchungsprogramm für die Erzlagerstätten der Ostalpen, so auch in Schwaz. Bis zum Sommer 1938 fanden wieder 70 Personen Arbeit im Bergbau, wenige Wochen vor Ausbruch des Krieges waren es knapp 50. Zu verdanken war dieser Aufschwung jedoch nicht der Erzförderung, sondern der Nachfrage in der Schotterproduktion infolge der hohen Investitionen im Straßenbau.24

Im Bereich des Wilhelm-Erbstollens begannen die Arbeiten zur Untersuchung der Rentabilität einer neuerlichen Erzförderung und die Vorarbeiten zur gründlichen Überholung der sieben Jahre zuvor stillgelegten Aufbereitungsanlage im Jahr 1939. Der Reichsgau Tirol-Vorarlberg investierte in den Untersuchungsbetrieb 100.000 RM, das Deutsche Reich über das Reichsamt für Bodenforschung 150.000 RM.25 Die Befahrungen galten den Lagerstätten im Rinner- und Kienbergrevier, vor allem aber der Aufschlusstätigkeit im Gebiet des Krummörterganges, den eine neu aufgefahrene 60 Meter lange Sohle über einen Schacht mit dem Wilhelm-Erbstollen verbinden sollte. Erich Meurer, der Direktor des Schwazer Bergwerkvereins, lehnte ein Kaufangebot des Reichsgaues Tirol-Vorarlberg für alle Gewerkschaftsanteile ab, der Preis war viel zu niedrig.26 Schließlich zwang ihn der Reichsgau zur Verpachtung. Bis Juni 1944 übernahm der Gau alle Anteile Meurers. Betriebsleiter Albert Nöh leistete dazu einen entscheidenden Beitrag. Er betrieb nach dem „Anschluss“ Österreichs an Deutschland im März 1938 den Mauracher Steinbruch, belieferte die Baustellen der Achentalerstraße und trat somit als Konkurrent gegenüber dem Schwazer Bergwerkverein auf, den er verwaltete. Meurer wollte ihn wegen der Unvereinbarkeit seiner unternehmerischen Tätigkeiten entlassen.27 In dieser Auseinandersetzung verleumdete Nöh seinen Vorgesetzten schwer, daraufhin leitete die Gestapo Untersuchungen ein. Nöh warf Meurer Sabotage und Hetze gegen das Dritte Reich vor und die Hintertreibung des Ausbaues der Schwazer Grube. Er behauptete sogar eine jüdische Abstammung Meurers. Die Arbeiten im Schwazer Bergwerk kamen unter der Leitung von Nöh nur schleppend voran, der Arbeitskräftemangel war drückend. Im Schnitt waren während der Kriegsjahre knapp 30 bis 40 Arbeiter beschäftigt. Ab Mai 1943 waren auch Kriegsgefangene tätig, zunächst zwei französische Schlosser. Im Frühjahr 1944 stand die Erzförderung vor ihrer unmittelbaren Aufnahme, dann stoppte sie ein wichtigeres Projekt. Die Messerschmittwerke Kematen wollten im Auftrag ihres Stammwerkes in Augsburg Teile ihrer Flugzeugproduktion in die alten Zechräume des Wilhelm-Erbstollens transferieren.28

Das Zwangsarbeiterlager und die Messerschmitthalle im Schwazer Bergwerk

Auf der Suche nach Höhlen und Stollen zur unterirdischen Unterbringung von Produktionsanlagen für die Luftfahrtrüstung meldete das Oberbergamt München bereits am 9. August 1943, dass das ehemalige Erzbergwerk in Schwaz besonders geeignet wäre. Der Vorteil war seine beachtliche Kapazität, dem standen aber Hindernisse geologischer Natur entgegen. Die Stollen waren feucht und nur schwer zugänglich. Aus den Unterlagen des Reichsamts für Bodenforschung, das mit der Reichsstelle für Raumordnung zusammenarbeitete, geht hervor, wie intensiv auch in Tirol und Vorarlberg Höhlen, Steinbrüche, Stollen, aufgelassene Zechen etc. erkundet und untersucht worden waren. Die Beschreibung zu Schwaz sah so aus:

„Name: Schwaz Bergbau Falkenstein (4 Zechen, Wilhelm-Erbstollen, Sigmundstollen u. a.)

Lage: 1,5 km östlich von Schwaz an der alten PoststraßeForm und Größe: 40 x 60 m Bodenfläche, bis 30 m hoch, 1700 m bezw. 2000 m langer Stollen, eng

Zugänge: durch Stollen (1900 m lang) und alte Baue, Grubenbahn mühsamGestein: Schwazer Dolomit, sehr standfest

Verkehrslage: günstig, Bf Schwaz 3,4 km

Wasserführung: Tropfwasser, z. T. trocken

Belüftung: guter Wetterzug

Ausbau: die Stollen sind teils betoniert, teils mit Ziegeln ausgemauert und teils mit Holz verzimmert

Bemerkung: teilweise in Betrieb (Tiefbau)“.29

Am 31. März 1944 berichtete die Rüstungsinspektion des Wehrkreises XVIII, in den der Gau Tirol-Vorarlberg eingegliedert war, wie das Problem des Zugangs zu den großen Höhlen gelöst werden sollte: durch die Errichtung eines neuen Stollens. Die Inspektion rechnete mit einer geschätzten Bauzeit von vier Monaten:

„Untertags befinden sich große Zechen von mehr als 5.000 qm Fläche, in welchen durch mehrstöckigen Einbau 45.000 qm untergebracht werden könnten. Der Zugang besteht derzeit aus einem 1.800 m langen, sehr engen Stollen. Es muß, um diese Zechen für die Fertigung benützen zu können, ein neuer Stollen vorgetrieben werden, der eine Bauzeit von mindestens 4 Monaten beansprucht. Aus diesem Grunde wurde dieser Bergbau, obwohl er verschiedenen Firmen zugewiesen wurde, noch nicht in Anspruch genommen. Derzeit wird er von Messerschmitt, Augsburg, untersucht.“30

Die Messerschmitt AG Augsburg führte in Kematen einen Zweigbetrieb, dessen Geschäftsführung Walter Waizer in seiner Funktion als kaufmännischer Direktor innehatte. Diese Fabrik war ab Juni 1941 eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Das Stammwerk Regensburg hielt ein Fünftel des Kapitals, das Stammwerk Augsburg vier Fünftel, übertrug jedoch seine Eigentumsrechte an den Tochterbetrieb Kematen.31 Messerschmitt Augsburg investierte in einen Stollenbau in Kematen, um Teile ihrer Flugzeugproduktion dorthin zu verlagern. Zeitgleich verfolgte das Unternehmen ein ähnliches Projekt unter dem Decknamen „Stichling“ im Schwazer Bergwerk. Allerdings war sie nicht die einzige Interessentin, das Gerangel deutscher Unternehmen, in Tirol Rüstungsgüter für die Luftfahrt unterirdisch herzustellen, war groß. Ein Gerätewerk aus Goslar in Pommern beabsichtigte ebenfalls eine Unterbringung im Bergwerk.32 Es wollte 19 Baracken für 600 „KZ-Leute“ und 200 italienische Arbeitskräfte aufstellen. Gauhauptmann Gustav Linert informierte Reichsstatthalter Franz Hofer über seine ablehnende Haltung gegenüber diesem Unterfangen. Schon jetzt mangle es der Gemeinde Schwaz an Kulturgrund, ein Projekt dieses Umfangs würde sie zu sehr belasten.33

Am 22. Mai 1944 suchte die Bauabteilung der Messerschmitt GmbH Kematen, Architekt Wilhelm Stigler, um die Genehmigung an, im „Erzberg Schwaz“ Felsgewölbe für eine Fabrik mit vier Geschoßen und Nebenräumen ausbauen zu dürfen. Kriegsbedingt lautete der Antrag an den Landrat (Bezirkshauptmannschaft) Schwaz, der die Funktion der Baupolizei innehatte, auf Ausnahme vom Bauverbot. Um die ausgedehnten Hohlräume des Bergbaus Falkenstein nutzen zu können, legte Stigler nicht nur die Pläne für den Ausbau der Stollen vor. Es waren, wie bereits die Erkundungen und Untersuchungen 1943 ergeben hatten, weitere Investitionen nötig. Der Architekt beantragte, einen neuen Zufahrtsstollen von rund 1.800 Metern Länge zu schlagen. Der alte Zufahrtsweg über den Wilhelm-Erbstollen, der 2.100 Meter tief in die Zechräume führt, war zu eng, um größere Maschinenteile zu transportieren. Stiglers Ansuchen beinhaltete noch Zufahrtsstraßen, diverse Außenanlagen und ein Barackenlager für 500 Männer.34 Der geplante Betrieb im Berginneren war rechtlich ein Zweigwerk des Unternehmens Messerschmitt Kematen, wurde aber im März 1945 unter dem Decknamen „Tiroler Bergwerksgesellschaft“ ins Handelsregister eingetragen.35 Auf diese Weise sollte verheimlicht werden, dass Messerschmitt Kematen der eigentliche Bauherr war. Schon im Juli 1944 hatte der Tiroler Landesplaner Robert Hartwig an die Reichsstelle für Raumordnung nach Berlin gemeldet: „Der Deckname für die Verlagerung Messerschmitt nach Schwaz in Tirol lautet: Tiroler Bergwerksgesellschaft Schwaz.“36 Gauleiter Hofer war an derartigen Projekten nicht interessiert, er wollte keine weitere Gefährdung des Gaues durch Luftangriffe. Aus diesem Grund stand die Abteilung Raumordnung der Reichsstatthalterei Tirol-Vorarlberg allen Plänen, eine große Produktionsanlage in Schwaz anzusiedeln, reserviert gegenüber, jenen des Gerätewerks aus Goslar ebenso wie jenen der Messerschmittwerke:

„Wenn daher die Messerschmittwerke nur eine kleinere Niederlassung errichten würden, könnte vom landesplanerischen Standpunkt keine Bedenken erhoben werden. So aber muss auch dieses Planungsvorhaben dahingehend beurteilt werden, dass jegliche dauernde Ballung von Arbeitskräften im Gau Tirol-Vorarlberg vermieden werden muss, da unter anderem bei dem Mangel an geeignetem Siedlungsgelände die Bildung von wurzellosem Industriearbeitertum unvermeidlich wäre“.37

Der Leiter der Reichsstelle für Raumordnung in Berlin ließ derartige Bedenken nicht gelten, dies hatte er den Landesplanern in den Gauen Deutschlands bereits einen Monat zuvor mitgeteilt:

„Ich mache dabei ausdrücklich darauf aufmerksam, dass bei der entscheidenden Kriegswichtigkeit dieser Umlagerungen ihre Durchführung von Ihnen mit allen Kräften zu unterstützen ist. Kleinliche Bedenken sind von vornherein zurückzustellen, Widersprüche nur dann anzubringen, wenn sie selbst kriegswichtig sind oder wenn bessere Vorschläge gemacht werden können.“38

Für das Projekt war zunächst eine Gesamtbausumme von 2,5 Millionen Reichsmark veranschlagt.39 Rasch stellte sich heraus, dass diese Kosten nicht einzuhalten waren. Im November 1944 ging man von drei Millionen aus,40 schlussendlich sollen es mehr als vier Millionen Reichsmark gewesen sein.41 Als Baufirma engagierte Messerschmitt die Arbeitsgemeinschaft Tauern(sperre). Sie trat auch unter dem Namen Arbeitsgemeinschaft Kaprun, Bauvorhaben Schwaz, auf und war ein Zusammenschluss der Beton- und Monierbau AG,42 der Allgemeinen Baugesellschaft Lenz & Co43 sowie von Polensky & Zöllner44. Unter dem Decknamen Tiroler Bergwerksgesellschaft arbeiteten am Projekt für Messerschmitt noch die Wiener Union Baugesellschaft45, die wie die Arbeitsgemeinschaft Kaprun auch bei der Errichtung des Kraftwerks Kaprun beteiligt war; weiters die Bauunternehmen Ing. Hans Lang Fügen46 und Hinteregger & Rhomberg Bregenz–Innsbruck47 sowie die Firma Ing. Karl Jäger Schruns,48 Unternehmung für Hoch- und Tiefbau.49

Die Genehmigungsbescheide für das unterirdische Verlagerungsprojekt waren zum Zeitpunkt seiner Einreichung Ende Mai 1944 nur mehr Formsache. „Bis jetzt wurden nur der Strassentunnel Seehof der Achenseestrasse und der Bergbaubetrieb Schwaz in die endgültigen Planungen einbezogen“, informierte die Planungsbehörde der Reichsstatthalterei Tirol-Vorarlberg die Reichsstelle in Berlin.50 Ende Juli erteilte der Baubevollmächtigte des Reichsministeriums Speer den Freigabebescheid.51 Die Organisation Todt-Einsatzgruppe Alpen VIII, Villach-Warmbad (Kärnten) bestätigte der Firma Messerschmitt: „Ihr Bauvorhaben Ausbau des Erzbergbau Schwaz wurde in das Minimalprogramm aufgenommen mit der neuen Kennziffer VIII/XVIII/A.7 (M).“52 Die Bescheide waren aber gar nicht erst abgewartet worden. Aus einer Meldung des Rüstungskommandos Innsbruck vom 26. Mai 1944 geht hervor, dass die ersten Baracken bereits errichtet waren. Die Bauarbeiten starteten im Juni. Die angepeilte Aufnahme der Produktion nach nur zwei Monaten war jedoch reines Wunschdenken.53

Ende Juli 1944 war das „Arbeits- und Gefangenenlager“ der Messerschmittwerke im Osten der Stadt Schwaz, auf der linken Seite der Landstraße auf halbem Weg nach Buch gelegen, schon größtenteils fertiggestellt. Die Holzbaracken waren gemäß den Normen des Reichsarbeitsdienstes für maximal 500 Männer gedacht. Zu diesem Zeitpunkt war Holz ein knappes Gut, daher hatte der Baubevollmächtigte des Bezirks der Rüstungsinspektion XVIII angeordnet: Holzbaracken können „nur noch in ganz beschränktem Umfange zur Verfügung gestellt werden. Holzbaracken oder Holzbauten kommen hauptsächlich dort zum Einsatz, wo es sich um einen vorübergehenden und zeitlich begrenzten kriegswichtigen Bedarf (…) handelt.“54

Der verantwortliche Architekt Wilhelm Stigler rechnete für das wie erwähnt zunächst mit 2,5 Millionen Reichsmark veranschlagte Gesamtprojekt mit einem Bedarf von 500 Arbeitskräften für rund 30 Wochen. Er gab die Arbeitsgemeinschaft Tauern als ausführende Baufirma an, die Zahl ihrer Stammarbeiter mit ca. 200. Als Bau- und Treibstoffbedarf nannte Stigler 1.500 Tonnen Bauzement, 240 Tonnen Baueisen, 600 Tonnen Nichteisenmetalle, 81,5 Tonnen Maschineneisen (ohne Elektro-Installation und Zuleitung), 9,2 Tonnen Kies, Sand, Splitt und Schotter, 240 Kubikmeter Schnitt- und 200 Festmeter Rundholz, 50.000 Mauerziegel, 25.000 Kilogramm Dieselkraftstoff sowie 7.000 Liter Vergasertreibstoff.55

Das „Holzbarackenlager für Bauarbeiter“, wie Stigler das Zwangsarbeiterlager in seinen Einreich-Plänen verschämt bezeichnete, verursachte Baukosten von 112.000 Reichsmark (heute rund 680.000 Euro). Nach Berechnungen des Architekten waren folgende Ressourcen nötig: 168 Tonnen Kies, Sand, Splitt und Schotter, 68 Tonnen Zement, 5,25 Tonnen Baueisen, 10.000 Mauerziegel, 15 Kubikmeter Schnittholz und 40 m2 Dachpappe.56

Das Lager war mit Stacheldraht umzäunt und von der SS bewacht. Es umfasste acht Mannschafts- und zwei Waschbaracken, je eine Wirtschaftsund Sanitätsbaracke, zwei Aborte und einen Keller. Es befand sich auf einer 9.874 m2 großen Parzelle der Westtiroler Kraftwerke AG.57 Deren Mehrheitseigentümer waren die größten Elektrokonzerne des Deutschen Reiches: die staatseigene Alpen-Elektrowerke AG (AEW) und die privaten Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke (RWE).58 Im Vorstand der Westtiroler Kraftwerke AG, an welcher der Reichsgau Tirol-Vorarlberg fünf Prozent des Aktienkapitals hielt, saßen gleich drei führende Funktionäre der Tiroler NSDAP: Gauleiter und Reichsstatthalter Franz Hofer, der Direktor der TIWAG und Gaubeauftragte für die Energiewirtschaft Franz Sterzinger und schließlich Gauwirtschaftsberater Georg Bilgeri.

Die genaue Zahl der im Lager bei Buch untergebrachten ausländischen Zwangsarbeitskräfte, ergänzt durch einige Häftlinge des Arbeitserziehungslagers Reichenau und aus Konzentrationslagern,59 ist nicht bekannt. Rund 300 bis 400 Männer sollen es gewesen sein. Auch für die detaillierte Bestimmung der nationalen Zusammensetzung der Zwangsarbeiter fehlen die Quellen. Einheimische Zeitzeugen, die wie Walter Höck als junge Männer im Stollen gearbeitet haben, sprachen von Italienern, Franzosen, Polen und Serben, zudem von Tschechen, Rumänen, Slowaken und linksorientierten Spaniern („Rot-Spanier“).60 Aber auch von Staatsangehörigen des mit Deutschland verbündeten Kroatien. Unweit des Schwazer Bahnhofs gab es ein sogenanntes Russenlager, das bereits seit Längerem bestand. Schon im April 1942 hatte das Reichsbahnbetriebsamt Innsbruck einen Plan eingereicht, um dort ein Lager mit einer Wohnbaracke für 100 Mann zu errichten.61 Schließlich wurden es drei Baracken. Diese sowjetischen Kriegsgefangenen waren ein wichtiges Arbeitskräftereservoir, aus dem sich Messerschmitt kräftig bediente.62 Josef Hölzl, der im Personalhaus der Bahn wohnte, erinnerte sich daran, wie seine Mutter den Gefangenen wiederholt etwas zusteckte: „Das waren ukrainische Bauern, ganz nette Leute. Die haben sich direkt als Freunde erwiesen. Wie der Umsturz war, haben sie natürlich Nahrung gekriegt von den Amis, Verpflegung usw. Dann haben die uns was gegeben.“63

Messerschmitt startete seine Verlagerungsarbeiten zu dem Zeitpunkt, als der Schwazer Bergwerkverein dabei war, seinen Versuchsbetrieb umzustellen und den Abbau von Erzen wiederaufzunehmen. Der Bergwerkverein sollte zu diesem Zweck seine 38 einheimischen und zwölf ausländischen Arbeitskräfte zur Gänze zur Verfügung stellen, zunächst für die Durchführung von Sicherungsarbeiten. „Nur mit Mühe konnte erreicht werden, daß die bergbauliche Tätigkeit nicht ganz gehemmt wurde“, berichtete die Bergamtsaußenstelle Hall.64 Im Juni 1944 hofften der Bergwerkverein und das Bergamt Hall noch auf eine baldige Erzförderung, im November begannen sie die „teilweise schöne Erzführung“ zu untersuchen und im Dezember rechneten sie mit der Wiederaufnahme des Betriebs im ersten Halbjahr 194565: „Es wurde ein großer Zechenraum abgesichert, zu dessen Bewetterung gegenwärtig im Handende des Abbauraumes eine – auch bergmännisch interessante – Wetterstrecke vorgetrieben wird, welche die Fortsetzung der Zechenerze nach oben feststellen kann.“66 Ende November 1944 beschäftigte der Schwazer Bergwerkverein vier Beamte und 52 Arbeiter, Ende März 1945 sechs Beamte und 43 Arbeiter.67 Doch einen großen Teil ihrer Zeit wendeten sie für die Mitarbeit an der Errichtung der Anlage von Messerschmitt auf. Im April 1945 konnte zwar gemeldet werden, dass die Wetterstrecke über der Haupthalle beiderseits an alte Strecken angeschlossen war und die Wiederbelebung des Tiefbaus kurz bevorstand.68 Dazu kam es nicht mehr, inzwischen war der Krieg zu Ende.

Auf der Suche nach Unterbringungsmöglichkeiten für Personal der Messerschmittwerke interessierte sich Gauleiter und Reichsstatthalter Franz Hofer auch für das Gauerziehungsheim St. Martin in Schwaz für schulentlassene weibliche Jugendliche, welche die NS-Fürsorgebehörden als „verwahrlost“ einstuften. Von der Absiedelung des Heimes in die Landwirtschaftliche Lehranstalt Rotholz nahm Hofer zwar Abstand, er folgte aber dem Vorschlag von Gauhauptmann Gustav Linert. Die weiblichen Jugendlichen des Gauerziehungsheims wurden zusammenpfercht, zwei Drittel der Räumlichkeiten Messerschmitt zur Verfügung gestellt.69 Doch damit konnte das Unternehmen noch lange nicht das Auslangen finden. Im Mai 1944 war Messerschmitt davon ausgegangen, mit rund 500 Arbeitern auszukommen, um die gesamte Verlagerung in 30 Wochen zu verwirklichen.70 Bald stellte sich heraus, dass dies ein Irrtum gewesen war. Nicht nur weil Arbeitskräfte in dieser Größenordnung nicht zur Verfügung standen. Ein Grund war auch, dass der Verlagerungsbetrieb vergrößert wurde. Das Rüstungskommando Innsbruck hatte am 30. Mai 1944 noch festgehalten, dass im Schwazer Bergwerk eine Produktionsfläche von 6.400 m2 vorgesehen war, Ende Dezember 1944 meldete das Reichswirtschaftsministerium einen zusätzlichen Flächenbedarf für die Ausweitung der Fertigung.71

Stigler, der als Architekt schon für die Errichtung des Zwangsarbeiterlagers verantwortlich war, reichte Pläne für zwei weitere Lager ein: Ende Juli 1944 für ein Massivbarackenlager beim Bergwerk nahe dem Sigmundstollen, Anfang Dezember für ein Kriegsgefangenenlager östlich von Schwaz an der Reichsstraße nach Buch. Letzteres umfasste fünf Wohnbaracken sowie eine Wach-, Sanitäts-, Kantinen-, Abort- und Waschbaracke. „Die Fertigung benötigt ein Kriegsgefangenenlager, das die OT [Organisation Todt] Villach bereits genehmigte und wofür die Kontingente zur Verfügung stehen bzw. gestellt werden“, begründete Stigler das Bauvorhaben gegenüber dem Schwazer Landrat am 7. Dezember 1944:

„Das jetzt neu zu erstellende Kriegsgefangenen-Barackenlager (…) liegt hart neben der neuen Reichsstraße, südlich von dieser in Erlenauen eingebettet, und somit auch auf keinem wichtigen Kulturgrund. Durch den Baumbestand ist eine entsprechende Tarnung gewährleistet.“72

Stigler sandte kurz darauf einen Auswechslungsplan an die Raumplanungsbehörde der Reichsstatthalterei, weil sich beim Ausstecken in der Natur eine Abänderung der Barackenaufstellung ergeben hatte.73 Die bauwirtschaftliche Genehmigung lag vor, auch das Einverständnis des Luftgaukommandos VII. Landesplaner Hartwig wies zwar darauf hin, dass der vorschriftsmäßige Abstand von 25 Metern bis zur Reichsstraße im Plan nicht eingehalten wurde. Er erhob jedoch keinen Einspruch gegen das Bauvorhaben.74 Das Lager wurde noch gebaut, unklar ist, ob die Häftlinge es auch bezogen.

Die Pläne für das Massivbarackenlager in unmittelbarer Nähe des Eingangs zum Sigmundstollen sahen drei Wohnbaracken, eine Büro- und Kantinenbaracke, eine Garage für sechs LKW und einen Schupfen vor. Die Gesamtbausumme betrug 480.000 Reichsmark (heute fast drei Millionen Euro). Mit der Ausführung wurde die Arbeitsgemeinschaft Hinteregger & Rhomberg betraut, die 25 Stammarbeiter mitbrachte, nötig waren 90 Arbeitskräfte.75 In der Baubeschreibung zur Errichtung eines Massivbarackenlagers als Erweiterung des Bauvorhabens mit der Kennziffer VIII/XVIII/A.7 (M) gab Architekt Stigler Ende Juli 1944 an:

„Im Zusammenhang mit dem Bauvorhaben für die U-Verlagerung in Schwaz muss als Ergänzung noch ein Massivbarackenlager für die Fertigungsgefolgschaft errichtet werden. Das dzt. größtenteils fertigstehende Holzbarackenlager [gemeint ist das Zwangsarbeiterlager, HS] muss für die Bauarbeiter bleiben. Da die Fertigung gleichzeitig neben der Weiterführung des Bauvorhabens schon beginnen muss, ist es notwendig, ein neues Lager für etwa 500 Mann zu errichten [gemeint ist das Kriegsgefangenen-Lager an der neuen Reichsstraße, HS]. Das Holz-Barackenlager wird dann ebenfalls für die Fertigung benötigt. Die Baulichkeiten werden einerseits dem Gelände entsprechend aufgestellt, bezw. diesem angepaßt, andererseits frei und ungezwungen in die Gegend gestellt, sodaß der Charakter des Barackenlagers nicht in Erscheinung tritt.“76

Da es in der Nähe des Baus keine verwendungsfähige Wasserleitung gab, war die Errichtung einer neuen Zuleitung in der Länge von 750 Metern notwendig. Stigler projektierte zweigeschoßige Bauten. Er hatte vor, die Gebäudemauern mit 25 Zentimeter starken Iporit-Leichtbeton-Steinen auszuführen:

„Da die Iporitsteine erst frühestens in 8 Wochen zur Verfügung stehen, das Bauvorhaben jedoch schon begonnen werden musste, um das Büround ein Wohngebäude bis Mitte September fertigzustellen, ist es nötig, diese beiden Gebäude in Normalziegeln (abweichend vom Kostenvoranschlag) auszuführen und mit 2 ½ cm Heraklith innen zu isolieren. Wahrscheinlich wird teilweise an Stelle der Falzziegeldeckung Zementplattendeckung vorgenommen werden müssen“.77

Architekt Stigler reichte den Lageplan des Massivbarackenlagers Anfang September 1944 ein zweites Mal ein, da er die Stellung der Wohnbaracken verändern musste. Die Baukörper wären zu nahe an die Halde gerückt, der Sandstaub hätte sich ebenso ungünstig ausgewirkt wie eine mangelnde Belichtung. Regierungsdirektor Robert Hartwig erteilte die landesplanerische Genehmigung.78

Die Messerschmittwerke Kematen, getarnt als Tiroler Bergwerksgesellschaft Schwaz und dahinterstehend Messerschmitt Augsburg, unterschieden bei der Ausstattung des Baus von Barackenlagern je nachdem, wer sie bewohnte. Das Massivbarackenlager in Schwaz war für die Unterbringung reichsdeutscher und „ostmärkischer“ Arbeitskräfte gedacht, für qualifiziertes Personal, speziell von den ausführenden Baufirmen und aus dem Stammwerk von Messerschmitt Augsburg. Vermutlich auch für privilegierte Ausländer, etwa für französische Ingenieure und Fachkräfte.79 Vorstellbar sind angeworbene Zivilarbeiter aus Staaten, die mit Deutschland verbündet waren, wie Kroatien oder die Vichy-Regierung in Frankreich. Während für die Zwangsarbeiter im Lager bei Buch, dem späteren Lager Oradour, Massenunterkünfte in Holzbaracken genügen mussten, können die „Baracken in Massivbauweise“ durchaus als Häuser bezeichnet werden. Die Leitung von Messerschmitt Kematen war der Meinung, dass „wir für die Unterbringung von ausschliesslich deutschen Gefolgschaftsmitgliedern immerhin normale Ansprüche an Wohnlichkeit befriedigen müssen“.80

Plan des „Arbeits- und Gefangenenlagers“ (NS-Zwangsarbeiterlager) der Messerschmittwerke bei Buch, später „Oradour“, 22.5.1944.81Der Plan sah eine Wirtschaftsbaracke von 39,75 m Länge und 8,14 m Breite vor. Die Maße der sieben Mannschaftsbaracken waren jeweils 26,55 x 8,14, die beiden Waschbaracken 13,3 x 8,14 und die zwei Aborte 6,76 x 4,64.

Die Bauten in Massivbauweise waren nicht nur komfortabler, sie boten eine gute Wärmehaltung und größere Sicherheit gegen Luftangriffe.82 Bereits drei Tage nach der Antragstellung für die massiven Behelfsbauten hatte die Organisation Todt in Villach, die ausschlaggebend war für die Genehmigung oder Ablehnung, den vorläufigen Freigabebescheid ausgestellt.83 Da aber das Baumaterial ein Dreivierteljahr vor Kriegsende extrem knapp war, schrieb ein sogenannter Sparingenieur der Organisation Todt Vereinfachungen in der Bauausführung vor. Die großzügige Zweigeschoßigkeit der Unterkunfts-, Wirtschafts- und Bürobaracken durfte beibehalten werden. Doch statt Doppelfenstern waren einfache Fenster einzubauen, die Fundamente, das Mauerwerk und Zwischendecken mussten ressourcensparender errichtet werden, ebenso die Installationen. Der Sparingenieur verbot, Holzböden zu legen und die Wände mit Heraklitplatten zu verkleiden. Als Außenputz musste ein einfacher Spritzbeton reichen. Garage und Scheune sollten mit den vorhandenen unbehauenen Feldsteinen in einfachster Form ausgeführt werden, ohne Außen- und Innenputz. Eine Schotterschüttung ersetzte die vorgesehenen Betonfußböden. Auf diese Weise konnte der Kostenvoranschlag von 480.000 auf 280.000 Reichsmark gesenkt werden (heute ca. 1,7 Millionen Euro).84 Diese Summe war immer noch um das Zweieinhalbfache höher als jene, mit der das Holzbarackenlager für die Zwangsarbeiter das Auslangen finden musste.

Luftbildausschnitt: Das NS-Zwangsarbeiterlager bei Buch kurz vor Kriegsende, 25.4.194585

Lageplan 1942: Kriegsgefangenen-Lager beim Schwazer Bahnhof, in dem vor allem sowjetische Soldaten untergebracht waren86

Plan für das Kriegsgefangenen-Lager an der Reichsstraße nach Buch, 7.12.194487

Auswechslungsplan für das Kriegsgefangenen-Lager an der Reichsstraße nach Buch, laut Planbeschriftung Schwaz Nord/Ost, 12.12.194488

Luftbildausschnitt: Kriegsgefangenen-Lager beim Bahnhof Schwaz mit drei Baracken und Umzäunung, 22.3.1945: Norden ist unten, die Stadt Schwaz oben. Die Lagerbaracken liegen etwas rechts der Bildmitte, unterhalb der Gleise. Sie weisen leichte Abweichungen zum Lageplan 1942 auf.89

Luftbildausschnitt: Das Kriegsgefangenen-Lager an der Reichsstraße (oben) nach Buch und das Zwangsarbeiterlager (später „Oradour“), 25.4.194590

Schematische Darstellung des Kriegsgefangenen-Lagers. Zwischen den Lageplänen und dem Luftbild zeigen sich in der Bauausführung kleine Abweichungen.91

Luftbildausschnitt, 1.9.1947: Das Kriegsgefangenen-Lager an der Reichsstraße ist bereits geräumt (Norden ist am Bild unten). In der Wiese sind zwei Wachtürme zu sehen, weitere liegen wohl im Schatten.92

Situationsplan des Massivbarackenlagers, 31.7.194493

Lageplan des Massivbarackenlagers am ehemaligen Areal der Firma Fraba, 4.9.194494

Luftbildausschnitt: Das Massivbarackenlager, 1.9.194795

Überblendung des Massivbarackenlagers auf einem aktuellen Orthofoto, erstellt von Barbara Pöll

Ansicht einer Wohnbaracke zur Unterbringung reichsdeutscher und „ostmärkischer“ Arbeitskräfte96

Blick auf das ehemalige Massivbarackenlager 2013 (Fotos Barbara Pöll). Die letzten Objekte wurden erst 2019 geschliffen.

Situationsplan der Lageranlagen in und bei Schwaz, 4.12.1944: Massivbarackenlager, Holzbarackenlager für Bauarbeiter (= Zwangsarbeiterlager bzw. später „Oradour“), KG (Kriegsgefangenen)-Lager97

Luftbild vom 25.4.1945, von links nach rechts: Massivbarackenlager, Zwangsarbeiterlager (später „Oradour“) und Kriegsgefangenen-Lager (oben) bei Schwaz98

Das Büro von Architekt Stigler in Schwaz war die örtliche Dienststelle der Organisation Todt, von der alle Bauaufträge ausgingen.99 Wilhelm Stigler war überzeugter Nationalsozialist, Mitglied der SS seit 1931 und der NSDAP seit 1932. Er erhielt die zweite Auszeichnung beim Ideenwettbewerb für den Bau des Innsbrucker Gauhauses und war in die Ausstattung des Appartements Hitlers im Hotel Tyrol in Innsbruck ebenso involviert wie in die Errichtung der Fabrik des Messerschmittwerks Kematen und dessen Südtiroler Siedlung.100 Nicht nur diese Siedlung galt als kriegswichtiger Bau, der es Stigler ersparte, an die Front einrücken zu müssen. Auch seine Zwangsarbeiterlager waren so eingestuft, etwa jenes in Kirchbichl zum Bau des Wasserkraftwerks oder eben jene in und bei Schwaz.101 Für die Planbearbeitung von Massivbehelfsbauten war eigentlich der Innsbrucker Architekt Walter Guth vorgesehen. Doch auch dieses Barackenlager war Teil des Auftragsvolumens von Stigler in Schwaz. Mehr als 25 Jahre nach dem Krieg beschrieb er seine Tätigkeit in der Silberstadt im letzten Kriegsjahr als Erfolgsgeschichte. Dabei trug er dick auf:

„Hier sind die verschiedensten Fertigungen für kriegswichtige Zwecke dieses Werkes vorgenommen worden. Die Hallen sind bis zu 7 Stockwerken hoch, mit Aufzügen, Sanitär-, Klima- und biologischen Kläranlagen etc. versehen gewesen, außerdem mußte ein völlig neuer, 5 m breiter, für Autos befahrbarer, 2 km langer Stollen errichtet werden. Hiezu kamen noch Barackenlager für 700 Kriegsgefangene mit Bewachung und die Büro- und Wohnanlagen mit allen dazugehörigen Bauten. Ich unterhielt dort ein Büro mit durchschnittlich 6 Mitarbeitern.“102

Die Fabrik in der Messerschmitthalle im Berginneren war 20 Meter hoch und 60 Meter breit. Sie bestand aus einer Eisenbetonkonstruktion mit mehreren Plattformen, die 68 viereckige Pfeiler stützten. Es standen vier Geschoße zur Verfügung, deren Nutzfläche zuerst 6.400 m2, dann 8.500 m2 und schließlich 9.200 m2 ausmachen sollte. Nach französischen und US-amerikanischen Quellen waren bis Kriegsende 7.000 m2 fertiggestellt.103 Die Schwazer Stadtchronik hielt fest: „Man erzählte sich, daß die Bauten so groß und umfangreich waren, daß man hätte können die Schwazer Pfarrkirche ruhig hineinplatzieren.“104

Die einzelnen Geschoße waren mit Treppen und zwei elektrischen Lastenaufzügen verbunden, eine Klimaanlage sorgte für den Luftaustausch. Eine Trink- und Nutzwasserversorgung, sanitäre Einrichtungen, eine Küche, Speiseund Schlafräume bildeten eine notdürftige Infrastruktur. Die Anlage war laut US-Angaben für 1.500 Arbeitskräfte ausgelegt, nach Einschätzung der französischen Armee für 2.500 bis 3.000 Männer.105 Die Messerschmittwerke wollten weitere Ausschachtungen der Mine vornehmen, um sogar bis zu 10.000 Arbeitskräfte beschäftigen zu können,106 das Vorhaben blieb jedoch ein Phantasiegebilde.

Die für die Errichtung der Anlage im Bergwerk Falkenstein notwendigen Sprengungen waren äußerst umfangreich. Ende Oktober 1944 war sie fertigbetoniert, bis Kriegsende war die Fabrikhalle samt Elektrik, Klimaregelung, Trink- und Nutzwasseranlage sowie sonstigen Einrichtungen vollendet. Der Bau des neuen, drei Meter breiten und zweieinhalb Meter hohen Zugangsstollens107 hinkte hinterher. Er sollte bis März 1945 benutzbar sein, dieses Ziel wurde nur teilweise erreicht. Die Anlage konnte weder wie geplant im Herbst 1944 noch bis Kriegsende in Vollproduktion gehen. Die Fertigung begann erst im Dezember 1944.108

Die technische Ausrüstung der Produktionshalle war rudimentär, es gab nur eine Werkstatt für Elektroschweißer.109 Mehr als eine Teilaufnahme des Betriebs war nicht möglich, hergestellt wurden Triebwerkverkleidungen und Flugzeugzellen.110 Die Blechbearbeitungen erfolgten mit Pressen, Fräsen, Bohr- und Stanzmaschinen.111 Alle Materialien und Maschinenteile wurden mit der Bahn geliefert, gelegentlich auch mit Lastwagen. Geplant gewesen war der Hintransport des Materials und der Abtransport der montierten Teile der Me 262 zur Endfertigung in den Straßentunnel beim oberbayrischen Dorf Eschenlohe112