Gedächtnislandschaft Tirol - Horst Schreiber - E-Book

Gedächtnislandschaft Tirol E-Book

Horst Schreiber

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Beschreibung

DAS STANDARDWERK ÜBER DIE DENKMÄLER ZUM NATIONALSOZIALISMUS IN TIROL Dieses UMFASSEND BEBILDERTE STANDARDWERK dokumentiert mehr als 200 ERINNERUNGSZEICHEN zu WIDERSTAND UND VERFOLGUNG IM NATIONALSOZIALISMUS und zur BEFREIUNG VON DER NS-DIKTATUR in 53 TIROLER GEMEINDEN. Es rekonstruiert die Schicksale jener Menschen, die auf diesen Gedenkzeichen genannt werden, und analysiert die ENTWICKLUNG DER ERINNERUNGSKULTUR in der Zweiten Republik am Beispiel Tirols. Der Autor geht den Fragen nach, wer die dominanten PERSÖNLICHKEITEN in der Tiroler Gedächtnislandschaft sind, in welchem Ausmaß FRAUEN repräsentiert werden, welche FORMENSPRACHE die Erinnerungskultur prägt, wie das Gedenken in den Bezirken zu charakterisieren ist und welche zeitlichen Phasen bei den Zeichensetzungen zu unterscheiden sind. Es wird zudem thematisiert, welche Veränderungen das KULTURELLE GEDÄCHTNIS IN TIROL erfahren hat, nicht zuletzt im Vergleich zur österreichweiten Entwicklung, die ihrerseits seit den 1990er Jahren zunehmend in einen europäischen Rahmen eingebettet ist. Die Leserinnen und Leser erfahren, welche OPFERGRUPPEN das Gedenken bestimmen und welche immer noch vergessen bleiben.

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Horst Schreiber

GEDÄCHTNISLANDSCHAFT TIROL

 

 

 

 

INNS’BRUCK

Veröffentlichungen des

Innsbrucker Stadtarchivs,

Neue Folge 68

STUDIEN ZU GESCHICHTE UND POLITIK

Band 24

herausgegeben von Horst Schreiber

Michael-Gaismair-Gesellschaft

www.gaismair-gesellschaft.at

Inhalt

Einleitung

Geschichte der Gedenkzeichen 1945–2018

Gedenkzeichen nach Kategorien

Gedenkzeichen in den Bezirken

Mangel an Zeichensetzungen in der Nachkriegszeit

Kriegerdenkmäler und Gedenken an die NS-Zeit

Die 1980er Jahre: Übergang zu einer neuen Erinnerungskultur

Linkes Gedenken

Jüdische Opfer

Zeichensetzungen zur NS-Euthanasie

Leerstellen der Erinnerung

Widersprüchliche Erinnerungsschichten – Wandlung des Tiroler Geschichtsbewusstseins

Politische Erinnerungskultur mit Resonanz in der Gegenwart oder Gedenkzeichen der wirkungslosen Unauffälligkeit?

Gräber für Kriegsgefangene und ZwangsarbeiterInnen

Massengrab im Stadtfriedhof Kufstein

Gedenktafeln im Friedhof Kleinholz im Kufsteiner Stadtteil Zell

Grabkreuze und Grabsteine in den Friedhöfen Hall, Imst, Kramsach, Landeck, Lienz, Natters, Pflach, Wörgl und Zams

Grabkreuze für ZwangsarbeiterInnen und politische Opfer im Soldatenfriedhof Amras

Orte der Erinnerung

Aldrans

Christoph Probst

Assling

Josef Salcher

Axams

Josef Axinger · US-Bomber

Biberwier

US-Bomber

Dölsach

Edmund Pontiller · Maria Peskoller · Marian Binczyk

Ehrwald

US-Bomber

Erl

Hans Vogl

Fließ

Otto Neururer · Opfer der NS-Euthanasie

Ginzling

Jüdische Bergsteiger · Gegen Intoleranz und Hass

Götzens

Otto Neururer

Hall

Jakob Gapp · Josef Anton Geiger · Walter Krajnc · Franz Josef Messner · Kapistran Pieller · Franz Reinisch · Verstorbene des Anstaltsfriedhofs der Heil- und Pflegeanstalt · Polnisches Gedenkkreuz

Imst

Otto Neururer

Innsbruck

Sowjetische, polnische, italienische ZwangsarbeiterInnen und Kriegsgefangene · jüdische Opfer · Widerstand und Befreiung · Franz Mair · Arbeitserziehungslager Reichenau · politisch Deportierte aus Sesto San Giovanni · Jüdischer Friedhof · Synagoge · Josef Adler, Wilhelm Bauer, Richard Berger, Richard Graubart · Edith Stein · Ilse Brüll · Warenhaus Bauer und Schwarz · Heinz Mayer · Alice und Karl Bauer · Franz Reinisch · Rudolf von Mayer · Otto Neururer · Carl Lampert · Ludwig Steiner · Alois Grimm · Johann Steinmayr · Johann Schwingshackl · Josef Mayr-Nusser · Adolf Hörhager · Christoph Probst · Opfer der NS-Euthanasie · Vertriebene Angehörige der Medizinischen Fakultät · Alois Lechner · Robert Moser · Gestapo · NS-Justiz · Johann Orszag · Konrad Tiefenthaler · Adele Obermayr · Linker Widerstand · US-Soldaten · Pierre Voizard · Émile Béthouart

Jerzens

Josef Lechner · Erich Lederle

Karrösten

Josef Anton Geiger

Kartitsch

Josef Außerlechner

Kitzbühel

Andreas Obernauer · Josef Pair · Viktor da Pont · Anton Rausch · Ignaz Zloczower

Kössen

US-Bomber

Kramsach

Walter Caldonazzi · Opfer der NS-Euthanasie

Kufstein

Adele Stürzl · Walter Caldonazzi · Georg Gruber · Anton Obholzer · Ernst Ortner · Thomas Salvenmoser · Franz Wurzenrainer · Harald Pickert

Landeck

Otto Neururer

Lermoos

US-Bomber

Leutasch

US-Bomber

Lienz

Freiheitskämpfer und Opfer des Nationalsozialismus mit Buch der Opfer · Ernst Ortner

Mils bei Hall

Opfer der NS-Euthanasie

Mötz

Angela Autsch

Nassereith

Opfer der NS-Euthanasie · US-Bomber

Neustift im Stubaital

Opfer der NS-Euthanasie

Oberhofen im Inntal

Otto Neururer

Obsteig

Maria Föger

Patsch

Edith Stein

Pians

Erich Lederle

Reutte

Jakob Gapp · Gustav Lenke · Hermann Stern

Ried im Oberinntal

Viktor Czerny · Opfer der NS-Euthanasie

Rum

Opfer der NS-Euthanasie

Scheffau

Sebastian Haselsberger

Schwaz

Max Bär · Josef Brettauer · Opfer der NS-Euthanasie · Josef Anton King · Opfer von Gewaltherrschaften in der Vergangenheit und Gegenwart · Lager Oradour · Rundwanderweg Oradour

Seefeld

Jüdische KZ-Häftlinge

Sillian

Opfer der NS-Euthanasie

Silz

Adolf Platzgummer · Otto Neururer

St. Anton

Befreiung durch Frankreich · Hannes Schneider · Rudolf Gomperz

Stams

Otto Neururer · Franz Reinisch · Alois Grimm · Johann Steinmayr · Carl Lampert · Johann Schwingshackl · Josef und Anna Griesser · Edith Stein · US-Bomber

Thaur

Kaspar Grassmair · Josef Sieberer · Alois Schatz · Josef und Marianne Feichtner · Vinzenz Pedevilla

Thurn bei Lienz

Vincent J. Marimpietri · Jerome Resler

Tösens

Siegfried Würl

Uderns

Opfer der NS-Euthanasie

Volders

Siegfried Rudovsky · Heinrich Arnold

Vomp

Anton Stock · Franz Prem · Maria Triendl · Jakob Gapp · Carl Lampert · Otto Neururer · Josef Mayr-Nusser

Wattens

Albert Troppmair · Jakob Gapp

Wildermieming

US-Bomber

Wildschönau

Walter Caldonazzi · Viktor Czerny · Ferdinand Eberharter · Karl Mayr

Wörgl

Sepp Gangl · Opfer im Kampf gegen den Faschismus · Alois und Josefine Brunner · Opfer im Widerstand gegen den Nationalsozialismus · Opfer der NS-Euthanasie · Stefan Valentinotti · Rudolf und Elisabeth Gottlieb · Anna Gründler

Zirl

Anton Geiger · Johanna Weisjele · Amalia Frischmann · Aloisia Glatz · Filomena Schneider

Anhang

Anmerkungen

Quellen- und Literaturverzeichnis

Personenregister

Ortsregister

Einleitung

Die vorliegende Publikation dokumentiert die Erinnerungszeichen zu Widerstand und Verfolgung im Nationalsozialismus und zur Befreiung von der NS-Diktatur in Tirol. Sie rekonstruiert die Geschichte der Menschen, die auf diesen Gedenkzeichen genannt werden, und analysiert die Entwicklung der Erinnerungskultur in der Zweiten Republik auf regionaler und lokaler Ebene am Beispiel Tirols.

Das Forschungs- und Dokumentationsprojekt nimmt eine quantitative Gesamterhebung vor und veranschaulicht die Tiroler Gedächtnislandschaft visuell. Es beschreibt die Art der Erinnerungszeichen sowie die mit ihrer Errichtung verbundenen Entstehungs-, Entscheidungs- und Umsetzungsprozesse. Die Studie nennt die InitiatorInnen, macht Angaben zur künstlerischen und architektonischen Gestaltung, datiert die Gedenkzeichen, schildert den Ablauf der Feierlichkeiten und gibt Aufschluss über die teilnehmenden Personen. Bis auf wenige Ausnahmen konnten für alle auf den Gedenkzeichen gelisteten Opfer Kurzbiografien erstellt werden.

Im ersten Teil des Buches wird die Entwicklung der Erinnerungskultur in Tirol seit dem Kriegsende bis in die Gegenwart analysiert. Die Leserinnen und Leser erfahren, welche Opfergruppen das Gedenken bestimmen oder immer noch vergessen bleiben. Der Autor geht der Frage nach, wer die dominanten Persönlichkeiten in der Tiroler Gedächtnislandschaft sind und in welchem Maße Frauen repräsentiert werden, welche Formensprache die Erinnerungskultur prägt und wie das Gedenken in den Bezirken zu charakterisieren ist, welche zeitlichen Phasen bei den Zeichensetzungen zu unterscheiden sind und welche Veränderungen das kulturelle Gedächtnis in Tirol erfahren hat. Nicht zuletzt im Vergleich zur österreichweiten Entwicklung, die ihrerseits seit den 1990er Jahren zunehmend in einen europäischen Rahmen eingebettet ist.

Der zweite Teil des Buches nennt die Friedhöfe, in denen sich Gräber für Kriegsgefangene und Zwangsarbeitskräfte befinden. Erstmals liegt ein Gesamtüberblick für weitergehende und vertiefende Studien vor. Mehrere Anfragen beim Schwarzen Kreuz zu den Kriegsgräbern und anderen Objekten, für die es zuständig ist, blieben unbeantwortet oder verliefen ergebnislos mit dem Verweis auf fehlende Unterlagen. So informierte die Verwaltung des Soldatenfriedhofs in Innsbruck-Amras, der bedeutendsten Kriegsgräberstätte in Tirol, dass sie über keine Akten verfüge und der Ansprechpartner das Schwarze Kreuz sei. Für die Toten finden sich in den Friedhöfen in Amras, Hall, Imst, Kufstein, Landeck, Lienz, Natters, Pflach, Wörgl und Zams auf Kreuzen, Steinen und Tafeln nicht immer vollständig Vor- und Nachnamen, Geburts- und Sterbedaten, der Vermerk der nationalen Herkunft und Angaben wie Kriegsgefangener, Fremdarbeiter, Zwangsarbeiter etc. Nachforschungen der letzten Jahre zu den Toten der ehemaligen Sowjetunion haben in vielen Fällen Diskrepanzen zu den Inschriften auf den Friedhöfen zutage gefördert, manchmal scheint derselbe Tote in zwei Friedhöfen auf.

Für das Thema relevante Denkmäler und Gedenksteine in Friedhöfen, aber auch Grabkreuze, die in ihrer Inschrift über das oben Genannte hinaus Hinweise geben, etwa den Tod im Lager Reichenau, wurden in die Dokumentation der Gedenkzeichen aufgenommen. Dieser dritte Teil des vorliegenden Grundlagenwerkes führt die Orte der Erinnerung mit all ihren Erinnerungszeichen in alphabetischer Reihenfolge an.

Neben der Auswertung der vorhandenen Literatur und zahlreichen Aktenmaterials stellten Engagierte in Gemeinden, Pfarren, Klöstern, Museen, Vereinen, Bibliotheken, Ministerien, landesnahen Unternehmen und Archiven wertvolle Informationen zur Verfügung, ebenso Heimatforscherinnen, Chronisten, künstlerisch Schaffende, Historiker und Historikerinnen. Besonders wichtig waren Auskünfte von Initiatorinnen von Gedenkzeichen und Akteuren aus dem erinnerungskulturellen Feld. Ihnen allen gilt mein besonderer Dank. Von den 278 Kommunen, die um Hilfe gebeten wurden, antwortete zunächst jede dritte Gemeinde, nach einer weiteren Urgenz deutlich mehr als die Hälfte. Gerade bei der Darstellung der Gedenkfeierlichkeiten und von Kontroversen um Erinnerungszeichen waren Tageszeitungen, Zeitschriften, Bezirksblätter und Kirchenzeitungen unentbehrlich.

Die Druckkosten für dieses Buch übernahmen dankenswerterweise die Kulturabteilung des Landes Tirol, das Stadtarchiv Innsbruck, der Nationalfonds und der Zukunftsfonds der Republik Österreich.

Für die nahe Zukunft sind bereits weitere Gedenkzeichen geplant: am Ehrenmal der Universität Innsbruck, für Zwangsarbeitskräfte in Haiming und Kirchbichl, für Pater Franz Reinisch im Franziskanergymnasium Hall, für Opfer der NS-Euthanasie im Landeskrankenhaus Hall und NS-Opfer im Anatomischen Institut Innsbruck. In Zell am Ziller gibt es Überlegungen, ein Zeichen zu setzen, das an den sozialdemokratischen Widerstandskämpfer Hans Vogl erinnern soll. Nach umfangreichen Aktivitäten der Sozialdemokratischen FreiheitskämpferInnen brachte die Innsbrucker Stadträtin Elisabeth Mayr (SPÖ) im November 2018 einen Antrag zur Errichtung weiterer Gedenkzeichen ein, vor allem eines Denkmals für die Opfer der NS-Wehrmachtsjustiz. Das vorliegende Standardwerk zur Erinnerungskultur vermittelt Impulse für derartige Vorhaben, benennt die Gruppen, die bisher in der Tiroler Gedächtnislandschaft kaum Erwähnung fanden, und fordert zu künstlerischen Zeichensetzungen auf, die eine aktive Auseinandersetzung ermöglichen. Eine nachhaltige Weitergabe der Erinnerung erfordert eine ständige Aktualisierung von Gedenkzeichen, da diese in der Regel eine bestimmte Zeit nach ihrer Enthüllung an Sichtbarkeit und Bedeutung verlieren. Deshalb ist es nötig, das Objekt und den Ort der Erinnerung mit ungewohnten Ritualen, modernen Inszenierungen und partizipativen Projekten dem Vergessen zu entreißen und wieder lebendig zu machen. Von Fall zu Fall werden zeitgemäße Interventionen an Gedenkzeichen, die in die Jahre gekommen sind, notwendig sein: um eigene Antworten auf neue Fragen zu finden, bisherige Sichtweisen zu schärfen und vormalige Botschaften aus der jeweiligen Gegenwart heraus neu auszurichten.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist festzustellen, dass die lange Zeit verdrängte Geschichte der Opfer in die Erinnerung der österreichischen Politik und Gesellschaft aufgenommen wurde. Die materialisierte Erinnerungskultur und ihre neuen Praktiken beim Gedenken an Nationalsozialismus, Krieg und Holocaust haben die Toten und das Leiden der Opfer ins Zentrum gestellt. Mit dieser Opferidentifikation droht aber die Erinnerung an die kulturelle Nähe der Opfer zu den TäterInnen verlorenzugehen. Die österreichische Mehrheitsgesellschaft sah während des Nationalsozialismus bestimmte Gruppen von Menschen – politisch Andersdenkende, Juden und Jüdinnen, Roma und Sinti, Kranke, sogenannte Asoziale und Fremdvölkische – als überflüssig an und als gefährlich für die „Volksgemeinschaft“. Die Erinnerung an die Diskriminierung, Ausgrenzung und Vernichtung dieser Menschen verschwindet aber weitgehend hinter moralisch aufgeladenen Opferdiskursen. Das Gedenkjahr 2018 ist ein Beispiel dafür. Auf der einen Seite richtete die Bundesregierung eindrucksvolle Veranstaltungen aus, besuchte Überlebende in Israel und lud sie nach Österreich ein. Schließlich kündigte sie eine Denkmalsetzung für die knapp 10.000 ermordeten österreichischen Opfer des Holocaust in Maly Trostinec bei Minsk und die Errichtung einer Gedenkmauer in Wien mit den Namen aller jüdischen Opfer Österreichs an. Die Mahnungen wegen der restriktiven Haltung der Staatengemeinschaft während der NS-Herrschaft bei der Gewährung von Asyl, die vielen Menschen das Leben kostete, waren unüberhörbar. Auf der anderen Seite setzte die Regierung in ihrer Gesetzgebung im Asylbereich völlig konträre Akzente. Sie entwickelte gegenüber Flüchtlingen, aber auch MigrantInnen, Bedrohungsszenarien und Feindbilder. Regierungsmitglieder brachten diese Gruppen in erster Linie in Zusammenhang mit Kriminalität und der Ausnutzung des österreichischen Sozialstaates. Das Eingeständnis der Mitverantwortung an den Verbrechen des Nationalsozialismus ist inzwischen trotz erheblicher Differenzen in wichtigen Details von allen Parteien im Nationalrat anerkannt. Doch welche Konsequenzen sich aus diesem Bekenntnis für die gegenwärtige Politik ableiten lassen, bleibt offen. Eines scheint bei künftigen Zeichensetzungen und Gedenkveranstaltungen notwendig zu sein: das opferorientierte Erinnern mit Fragen nach der eigenen Täterschaft zu verknüpfen und die Folgen einer solchen Erinnerungspraxis für die Gegenwart zu diskutieren.

Innsbruck, Mai 2019            Horst Schreiber, _erinnern.at_

Geschichteder Gedenkzeichen1945–2018

Gedenkzeichen nach Kategorien

Die Einordnung der Zeichen in Kategorien erfolgte nicht nur entsprechend dem Text auf den Objekten, sondern vor allem nach dem Verfolgungsgrund und dem realen Handeln der Personen, die auf den Erinnerungszeichen aufscheinen. Insgesamt konnten 201 Gedenkzeichen in 53 Gemeinden aufgenommen werden. Davon sind 186 Zeichen einer Kategorie zuordenbar, 141 Zeichen gedenken gleichzeitig Menschen, die mehr als eine Opfergruppe repräsentieren. Zwei Gedenkzeichen sind unspezifisch: Eine Inschrift am Kriegerdenkmal in Wörgl erinnert ganz allgemein an die Opfer im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Der Deutsche Alpenverein setzte einen Gedenkstein beim Friesenberghaus in den Zillertaler Alpen, um sich für die Ausgrenzung und Verfolgung seiner jüdischen Mitglieder zu entschuldigen. Die Inschrift „Gegen Intoleranz und Hass“ lässt dies aber nicht erkennen, nur die Jahreszahlen (1921–1945) geben einen Hinweis.

Das Befreiungsdenkmal in Innsbruck wurde doppelt zugeordnet: der Kategorie Befreiung und den Gedenkzeichen, die gleichzeitig an Personen erinnern, die unterschiedliche Kategorien abbilden. Ohne vorerst die Gedenkzeichen für Personen, die mehreren Kategorien zuzuordnen sind, zu berücksichtigen, ergibt sich folgendes Bild:

Über 36 % der Gedenkzeichen beziehen sich auf katholische Geistliche (rund ein Drittel) und Verfolgte, die dem katholisch-konservativen bzw. monarchistisch-legitimistischen Milieu zuzuordnen sind. Je rund 11 % der Gedenkzeichen wurden für die jüdischen Opfer und für die Ermordeten der NS-Euthanasie errichtet, über 9 % in Erinnerung an die Befreiung vom Nationalsozialismus. Allerdings ist zu bedenken, dass von den 23 Erinnerungszeichen der jüdischen Verfolgung fünf lediglich Grabinschriften sind. Die Nationalsozialisten ermordeten in Tirol Edith Stein zwar wegen ihrer jüdischen Herkunft, dennoch sind die errichteten Gedenkzeichen für die vom Judentum zum Katholizismus konvertierten Ordensschwester, die der Papst 1987 heiliggesprochen hat, der Kategorie der Geistlichen zugeordnet. Die Zeichen der Erinnerung an Edith Stein wurden nämlich in erster Linie wegen ihres Status einer katholischen Geistlichen angebracht. Bei der Prozentzahl für die Erinnerungszeichen an die Befreiung ist zu berücksichtigen, dass 12 der 19 Zeichen vorwiegend auf Privatinitiativen zurückzuführen sind, die sich der Erinnerung an abgeschossene US-Bomber und deren Luftwaffenangehörigen verschrieben haben.

Über 6 % der Gedenkzeichen beziehen sich auf den Komplex Lager / Gestapo / NS-Justiz. Doch auch hier ist zu relativieren, weil sieben der 13 Zeichen Grabkreuze am Amraser Soldatenfriedhof in Innsbruck sind, die lediglich vermerken, dass die Toten aus dem „KZ Reichenau“ bzw. „KZ-Lager Reichenau“ stammen.

Dem linken Widerstand sind über 5 % der Gedenkzeichen gewidmet, was in etwa dem Anteil des überparteilichen Widerstands einschließlich des Widerstandes Einzelner entspricht (über 4 %). 3 % aller Gedenkzeichen machen jene für den militärischen Widerstand samt dem Widerstand gegen den „Endkampf“ aus. Praktisch inexistent ist die Erinnerung an das Schicksal der ZwangsarbeiterInnen und Kriegsgefangenen, auf die vier Objekte aufmerksam machen, die jedoch Staaten errichten haben lassen: die ehemalige Sowjetunion, die frühere Volksrepublik Polen und Italien. In diese Kategorie könnte man noch den Rundwanderweg Oradour und vor allem die Stele Oradour in Schwaz hinzurechnen, die an das ehemalige Zwangsarbeitsund Entnazifizierungslager in Schwaz gemahnt. Eher überraschend ist, dass nur eine Straße (für Adolf Hörhager in Innsbruck) und zwei Erinnerungstafeln verfolgten Repräsentanten des „Ständestaates“ zugedacht sind. Die Tafel in Silz erinnert an Adolf Platzgummer, jene im Stadtpolizeikommando Innsbruck an Alois Lechner. Auf letzterer ist mit Franz Hickl ein weiteres NS-Opfer erwähnt, allerdings aus der Zeit vor der NS-Machtübernahme. Hickl wurde wie Bundeskanzler Engelbert Dollfuß während des Umsturzversuches der Nationalsozialisten im Juli 1934 ermordet. Das Gedenken an Dollfuß wurde in die vorliegende Studie nicht miteinbezogen. Auf den Bürgerkrieg 1934 und die Erinnerung an den „Kampf gegen den Faschismus“ nimmt eine Tafel der SPÖ auf einem Gedenkstein in Wörgl Bezug. Das Ehrenmal für den aus Karrösten verjagten Pfarrer Josef Anton Geiger, der sich auch als Landtagsabgeordneter und überregionaler Exponent des „Ständestaates“ um sein Heimatdorf verdient gemacht hatte, könnte noch dem Kreis der Erinnerungszeichen für verfolgte Repräsentanten des „Ständestaates“ zugerechnet werden.

Gedenkzeichen für Bundeskanzler Engelbert Dollfuß finden sich in Tirol an mehreren Orten, so auf einer Deckenmalerei in der Pfarrkirche St. Jakob in Defereggen, auf Gedenktafeln an der Neuen Universitätskirche in Innsbruck und vor der Mariengrotte im ehemaligen Erziehungsheim Martinsbühel bei Zirl oder wie hier auf einer Metalltafel auf dem Karröster Gipfelkreuz am Tschirgant, die im August/September 2017 entwendet wurde.2 (Foto Horst Schreiber)

Aufschlüsselung der 14 Gedenkzeichen mit Personen, die unterschiedlichen Opfergruppen angehören3 (Mehrfachnennungen)

 

Zeichen

Personen

Katholisch-konservativer / legitimistischer Widerstand

8

17

Linker Widerstand

7

71

Widerstand Geistlicher

6

18

Militärischer Widerstand / Widerstand gegen den „Endkampf“

5

15

Opfer der NS-Euthanasie

5

8

Überparteilicher Widerstand / Widerstand Einzelner

4

17

Jüdische Opfer

3

5

Zeugen Jehovas

3

20

ZwangsarbeiterInnen / Kriegsgefangene

3

15

Deserteure

2

21

Verbotener Umgang mit Kriegsgefangenen

1

1

Verfolgung wegen sexueller Orientierung

1

1

Verfolgung wegen der Durchführung von Abtreibungen

1

1

Unbekannter Verfolgungsgrund

1

11

Die 14 Objekte, die auf einem Gedenkzeichen jeweils Personen nennen, deren Verfolgungsgrund unterschiedlichen Kategorien zuzuordnen ist, bestätigen den vorliegenden Befund. Das Befreiungsdenkmal in Innsbruck, der Kategorie Befreiung zugezählt, wurde hier nochmals miteinbezogen. Auf 14 Gedenkzeichen sind 35 Personen genannt, die Geistliche sind oder dem katholisch-konservativ-legitimistischen Lager angehören. Sieben Gedenkzeichen mit 71 erwähnten Ermordeten beziehen sich auf den linken Widerstand. Die hohe Anzahl von Personen aus dem kommunistischen und sozialdemokratischen Umfeld ist vor allem auf deren Nennung am Befreiungsdenkmal in Innsbruck, aber auch im Buch der Opfer am Mahnmal in Lienz zurückzuführen. Fünf Zeichen mit 15 Personenangaben beziehen sich auf den militärischen Widerstand Einzelner bzw. auf den Widerstand gegen den „Endkampf“, ebenfalls fünf Objekte auf Opfer der NS-Euthanasie mit acht Menschen und drei allgemeinen Erwähnungen. Dem überparteilichen Widerstand und dem Einzelner sind vier Gedenkzeichen für 17 Personen gewidmet. Jeweils drei Gedenkzeichen erwähnen fünf jüdische Opfer und 20 Zeugen Jehovas. Drei Zeichen nennen 15 Zwangsarbeiter, zwei Objekte 21 Deserteure. Eine Frau im Buch der Opfer in Lienz, das 11 Menschen auflistet, deren Verfolgungshintergrund nicht im Detail bekannt ist, starb während der Haft im Krankenhaus nach ihrer Festnahme wegen verbotenen Umgangs mit Kriegsgefangenen, eine andere wurde wegen der Durchführung von Abtreibungen hingerichtet.

Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, Deserteure und Zeugen Jehovas werden fast ausschließlich am Innsbrucker Befreiungsdenkmal und im Buch der Opfer in Lienz genannt. Eine Ausnahme ist die Erwähnung des Zwangsarbeiters Marian Binczyk auf der Gedenktafel in Dölsach und der Angehörigen der Zeugen Jehovas Josef Salcher auf einem Kreuz am Hochstein bzw. Anna Gründler auf der Gedenktafel für die Wörgler Opfer des Widerstandes, der religiösen und rassistischen Verfolgung. Allerdings erschließt sich bei ihnen in der Textierung nicht, welchen Opfergruppen sie angehören.

Rudolf von Mayer ist der erste, der wegen seiner sexuellen Orientierung ermordet wurde und auf einer Gedenktafel verewigt ist. Jedoch weist ihn die Inschrift auf der Tafel in Innsbruck ohne Angabe der Hintergründe lediglich als Opfer des Nationalsozialismus aus.

Die untenstehende Tabelle gibt an, in welchen Gemeinden es welche Kategorien von Gedenkzeichen gibt. Bei den Kategorien Deserteure, Homosexualität, verbotener Umgang mit Kriegsgefangenen und Verfolgung wegen der Durchführung von Abtreibungen sei nochmals betont, dass es sich nicht um eigenständige Gedenkzeichen für diese Opfergruppen handelt. Die Ermordeten oder in der Haft verstorbenen Menschen sind auf einem Gedenkzeichen erwähnt, ohne dass in der Regel ihr Verfolgungsgrund erkennbar wäre.

Gedenkzeichen nach Kategorie und Gemeinde

Widerstand von Geistlichen

Dölsach, Fließ, Götzens, Hall, Imst, Innsbruck, Karrösten, Kartitsch, Landeck, Lienz, Mötz, Oberhofen, Patsch, Reutte, Scheffau, Silz, Stams, Thaur, Tösens, Vomp, Wattens

Jüdische Opfer

Ginzling, Innsbruck, Kitzbühel, Lienz, Reutte, Seefeld, St. Anton, Wörgl

Opfer der NS-Euthanasie

Fließ, Hall, Innsbruck, Jerzens, Kramsach, Lienz, Mils, Nassereith, Neustift, Obsteig, Pians, Ried, Rum, Schwaz, Sillian, Stams, Thaur, Uderns, Volders, Vomp, Wörgl, Zirl

Befreiung

Axams, Biberwier, Ehrwald, Innsbruck, Kössen, Lermoos, Leutasch, Nassereith, St. Anton, Stams, Thurn, Wildermieming

Katholisch-konservativer / legitimistischer Widerstand

Aldrans, Hall, Innsbruck, Kramsach, Kufstein, Lienz, Schwaz, Vomp, Wildschönau

Terror: Lager, Gestapo, Justiz

Innsbruck, Schwaz

Linker Widerstand

Axams, Dölsach, Erl, Innsbruck, Kitzbühel, Kufstein, Lienz, Schwaz, Wörgl

Überparteilicher Widerstand / Widerstand Einzelner

Innsbruck, Kufstein, Landeck, Lienz, Vomp, Wörgl

Militärischer Widerstand / Widerstand gegen den „Endkampf“

Hall, Innsbruck, Ried, Wattens, Wildschönau, Wörgl

ZwangsarbeiterInnen / Kriegsgefangene

Dölsach, Hall, Innsbruck, Lienz

Zeugen Jehovas

Assling, Innsbruck, Lienz, Wörgl

Deserteure

Innsbruck, Lienz

Verfolgung als Repräsentanten des „Ständestaates“

Innsbruck, Silz

Vertreibung

Innsbruck

Verfolgung wegen Homosexualität

Innsbruck

Verbotener Umgang mit Kriegsgefangenen

Lienz

Verfolgung wegen der Durchführung von Abtreibungen

Lienz

Das Mahnmal für Osttirols Freiheitskämpfer und Opfer des Nationalsozialismus in Lienz und das Befreiungsdenkmal am Eduard-Wallnöfer-Platz in Innsbruck erinnerten bis vor kurzem nur allgemein an die NS-Opfer. In der Zwischenzeit wurden beide Denkmäler durch die Nennung der Namen der Menschen, derer sie gedenken wollen, erweitert. Das Denkmal in Lienz nennt alle NS-Opfer des Bezirks, das in Innsbruck all jene, die wegen ihrer Widersetzlichkeit ermordet wurden. Das Befreiungsdenkmal ermöglicht über einen QR-Code an der nahe gelegenen Informationsstele, dass Interessierte mit ihrem Endgerät die Biographien und Fotos der Ermordeten aufrufen können. Eine dazugehörige Homepage ist ein weiteres Angebot, um sich über die widerständigen Menschen zu informieren.

Die folgende Grafik gibt Auskunft über die Opfergruppen, denen die namentlich Erwähnten im Buch der Opfer am Lienzer Mahnmal und am Innsbrucker Befreiungsdenkmal angehören.

Lies: Von den 124 Menschen, an die am Befreiungsdenkmal erinnert wird, gehören 50 dem linken Widerstand an.

Lies: Von den 50 Menschen, an die im Buch der Opfer erinnert wird, gehören neun dem linken Widerstand an.

Dominante Personen

Die Tiroler Gedächtnislandschaft zum Nationalsozialismus ist, auch was die Anzahl der Personennennungen betrifft, von Zeichensetzungen für Geistliche dominiert, vor allem von jenen für Pfarrer Otto Neururer. Er ist in zehn Gemeinden verewigt: auf 31 Gedenkzeichen und in drei Gedenkstätten, wo ihm jeweils mehrere Erinnerungsobjekte gewidmet sind. Dazu kommen provisorisch bzw. inoffiziell errichtete Gedenkzeichen für den Seliggesprochenen in Kirchen und Kapellen in Tannheim, St. Jakob in Defereggen, Telfs-Bairbach, Jerzens und in der Haspingerkaserne in Lienz.

Pater Jakob Gapp (in fünf Gemeinden) und Pater Franz Reinisch (in drei Gemeinden) kommen auf 12 bzw. zehn Zeichen. Ein provisorisch errichtetes Gedenkzeichen für Gapp hängt in St. Jakob in Defereggen. Provikar Carl Lampert ist in drei Gemeinden vertreten und auf drei Gedenkzeichen erwähnt. Zudem sind zwei Gedenkstätten mit mehreren Erinnerungszeichen für ihn eingerichtet. Schwester Edith Stein sind fünf Zeichen in drei Gemeinden gewidmet, Schwester Angela Autsch ist auf vier Zeichen in zwei Gemeinden erwähnt.

Auf die meisten Nennungen auf Erinnerungszeichen als Nicht-Geistlicher, nämlich auf sechs in vier Ortschaften, kommt der katholisch-konservative Widerständler Walter Caldonazzi. Fünf Mal genannt sind die Widerständler Ernst Ortner in drei Gemeinden und vier Mal Christoph Probst an zwei Orten, beide aus dem katholisch-konservativen Milieu.

Ebenfalls vier Gedenkzeichen erinnern an den weltanschaulich nicht zuordenbaren Widerstandskämpfer Franz Mair und an Sepp Gangl (in zwei Gemeinden), der bei letzten Gefechten um Schloss Itter ums Leben kam. An Mair kann man nur in Innsbruck gedenken. Immerhin drei Erinnerungszeichen an ebensovielen Orten beziehen sich auf Viktor Czerny, der wie Gangl bei letzten Kämpfen 1945 getötet wurde.

Die meisten Erwähnungen auf Erinnerungszeichen unter den Linken finden in jeweils nur zwei Städten die WiderstandskämpferInnen Adele Stürzl, Josefine und Alois Brunner sowie Max Bär. Außerhalb der Gemeinden, in denen sie gewirkt haben, scheinen sie am Befreiungsdenkmal und in der Gedenkstätte im Parteihaus der SPÖ in Innsbruck auf.

Alle anderen Opfergruppen sind auf nur einem bis zwei Gedenkzeichen zu finden. Immerhin auf drei Objekten scheint das jüdische Opfer Richard Berger auf, den die SS in der Pogromnacht umbrachte.

Repräsentanz von Frauen

Frauen allein sind in neun Gemeinden4 lediglich 16 Gedenkzeichen gewidmet, das sind 8 % aller Erinnerungszeichen. Es handelt sich um die geistlichen Schwestern Edith Stein und Angela Autsch, die auf acht, also der Hälfte aller Zeichen, aufscheinen, die linken Widerstandskämpferinnen Josefine Brunner, Adele Stürzl und Adele Obermayr, das jüdische Opfer Ilse Brüll (zwei Erinnerungszeichen) und um Maria Föger, die im Zuge der NS-Euthanasie ermordet wurde. Zwei Tafeln in Nassereith und Ried im Oberinntal zählen ausschließlich weibliche NS-Euthanasie-Opfer auf, nämlich 34.

Dazu kommen weitere 13 Gedenkzeichen in elf Gemeinden5, auf denen sowohl an Männer als auch an Frauen gedacht wird, sowie drei Grabinschriften für Sofia Justman, Valerie Löwy und Berta Schnurmann im jüdischen Friedhof in Innsbruck, die deren gewaltsamen Tod anzeigen. Die erinnerten Frauen auf den gemischtgeschlechtlichen Zeichen sind Josefine Brunner, Maria Peskoller, Adele Stürzl, Adele Obermayr aus dem linken Milieu, Helene Delacher, Anna Gründler, Hedwig Romen und Antonia Setz als Mitglied der Zeugen Jehovas, Alice Bauer, Elisabeth Gottlieb, Irene und Kornelia Sputz als jüdische Opfer sowie Rosa Stallbaumer, die jüdischen Verfolgten zur Flucht verhalf, und Klara Sturm, die gegen den Nationalsozialismus Spionage betrieb. Als Opfer der NS-Euthanasie werden Anna Griesser, Marianne Feichtner, Maria Triendl, Johanna Weisjele, Amalia Frischmann, Aloisia Glatz und Filomena Schneider genannt sowie weitere 12 Frauen auf der Gedenkstele in Uderns und 20 Frauen, die aus dem Versorgungshaus Nassereith deportiert wurden und auf einer Gedenktafel in Nassereith verewigt sind.

Insgesamt scheinen Frauen auf 16 % aller Gedenkzeichen auf. 70 % der Kommunen, in denen es Zeichen gibt, erinnern ausschließlich an Männer.

Die 16 Gemeinden, in denen auch Frauen gedacht wird, sind Dölsach, Innsbruck, Kufstein (2x), Lienz, Mötz, Nassereith, Obsteig, Patsch, Ried im Oberinntal, Stams, Thaur, Uderns, Vomp, Wörgl und Zirl.

Die Gedenkzeichen sind in erster Linie Tafeln (14) und die Benennung von Verkehrsflächen, einer Kapelle, einem Kreuz und einer Hochschule (7). Weiters umfassen sie drei Grabinschriften und Inschriften auf einem Gefallenendenkmal, dem Befreiungsdenkmal in Innsbruck und im Buch der Opfer in Lienz sowie zwei Porträts, eine Gedenkstele und eine Gedenkstätte.

Formensprache des Gedenkens

Benennungen: Straße (10), Gasse (2), Weg (13), Platz (2), Steg (1), Brücke (1), Kapelle (4), Hochschule (1), Haus (2), Hof (1), Brunnen (1), Altar (2), Kreuz (3), Glocke (2)Inschriften auf: Denk- und Mahnmal (3), Grabkreuz (8), Grabstein (6), Kapelle (1), Arkade (1)Bildhafte Darstellungen: Porträt (7), Relief (4), Plastik (1), Bildtafel (1), Bildstock (1), Statue (1)

Gedenkstätten: meist nur ein Ensemble von Gedenkzeichen

Das Gedenken an Verfolgung und Widerstand sowie an die Befreiung vom Nationalsozialismus in Tirol ist weitgehend einer traditionellen Formensprache verpflichtet. Die Erinnerungskultur zur NS-Vergangenheit ist geprägt von der Setzung von Gedenktafeln, die fast 40 % aller Objekte ausmachen.6 Auf Gedenksteinen, Denkmälern und in Gedenkstätten sind weitere Erinnerungstafeln vorzufinden. Dazu gesellen sich zahlreiche Informations- und Hinweistafeln. Nicht ganz ein Viertel der Gedenkzeichen machen Benennungen aus: von Straßen (10), Gassen (2), Wegen (13), Plätzen (2), Kapellen (4), Häusern (2), Kreuzen (3), Altären (2) und Glocken (2) sowie eines Steges, einer Brücke, einer Hochschule und eines Brunnens. Zwei Drittel der Erinnerungszeichen in Tirol bestehen also aus Gedenktafeln und Benennungen.

10 % der Gedenkzeichen sind Monumente, Denk- und Mahnmäler einschließlich der beiden Installationen zur Vertreibung von Angehörigen der Medizinischen Fakultät der Universität Innsbruck und zur „Marionettenjustiz“ in Innsbruck. Thematische Schwerpunkte der Denkmäler sind Befreiung (6), vor allem die Erinnerung an die Opfer des Absturzes von US-Flugzeugen und Zwangsarbeit (4).

Ebenso fast 10 % der Gedenkzeichen stellen Inschriften als eigenständige Zeichensetzungen dar: auf Denk- und Mahnmälern (3), Grabkreuzen (8) und Grabsteinen (6) sowie auf einer Arkade und in einer Kapelle.

Jedes siebente Gedenkzeichen ist eine bildhafte Darstellung. Darunter fallen künstlerische Porträts (7), Reliefs (4) und ein Bildstock mit einem Relief, eine Bildtafel und auch eine kleine Statue.

Gedenkstätten machen 6 % der Erinnerungsobjekte aus. Die meisten beziehen sich auf Geistliche (6) und die NS-Euthanasie (3). Das Erscheinungsbild der Erinnerungszeichen mit jeweils 3 % runden Gedenksteine und Stelen ab. Dort, wo die Nationalsozialisten und ein Bombentreffer das jüdische Bethaus zerstörten, steht seit 25 Jahren wieder eine Synagoge.7

Porträts, Reliefs, Büsten und Bildtafel sind häufige Formen der Erinnerung. Ansonsten sind Beispiele für eine künstlerische Gestaltung rar, vor allem bis Anfang der 1990er Jahre. Zu nennen sind das Siegesdenkmal in St. Anton (1946/47) und das Befreiungsdenkmal in Innsbruck (1948), jeweils initiiert von der französischen Militärregierung sowie das sowjetische Denkmal im Soldatenfriedhof Amras (1949). Die Skulptur für den Schiheroen Hannes Schneider in St. Anton (1957) und das Porträt von Pfarrer Otto Neururer am Eingangsportal der St. Barbarakirche in Fließ (1972) stellen ebensowenig einen Bezug zur NS-Zeit her wie die Metallplastik von Pfarrer Josef Anton Geiger in Karrösten (1961).

Zwischen 1993 und 1997 entstanden der Otto-Neururer-Brunnen in Imst, das Mahnmal für Rudolf Gomperz in St. Anton sowie in Innsbruck das Pogrommahnmal und das NS-Euthanasie-Mahnmal „Wider das Vergessen“. Ab dem Jahr der Seligsprechung von Pfarrer Otto Neururer 1996 finden sich häufig Porträtbilder für ihn in mehreren Ortskirchen, fast ausschließlich gemalt von Elmar Peintner.

Ab 2003, beginnend mit dem Monument zur NS-Euthanasie für 61 ermordete Mitmenschen in Kramsach, wurden die meisten Gedenkzeichen mit künstlerischem Anspruch errichtet, die bei ihrer inhaltlichen Vermittlung nicht nur auf eine Verbalisierung setzen: bis 2008 eine Kapelle für Schwester Edith Stein mit einem Gedenkkreuz in Patsch, eine Gedenkstele für Josef Anton King in Schwaz und ein Mahnmal für die vertriebenen Angehörigen der Medizinischen Fakultät in Innsbruck.

2011 erfuhr der Eduard-Wallnöfer-Platz mit dem Befreiungsdenkmal eine völlig neue architektonisch-künstlerische Neugestaltung. 2014 bis 2016 wurden in Hall der Lichtort für die Opfer der NS-Euthanasie samt dem Grabmal für in der NS-Zeit verstorbene PsychiatriepatientInnen geschaffen, in Zirl eine Gedenkstätte für Opfer des Krankenmordes, eine Gedenkstele in Schwaz, die an ein Zwangsarbeiter- bzw. Entnazifizierungslager erinnert, in Innsbruck die Installation „Marionettenjustiz“, in Götzens ein Denkmal für Otto Neururer und schließlich in Schwaz die Arkade „Himmelszelt“ für die Widerständler Max Bär, Josef Brettauer, die Opfer der NS-Euthanasie und für alle Opfer von Gewaltsystemen. Im Seefelder Waldfriedhof entstand eine gänzlich neue Gedenkstätte für die jüdischen Opfer des Todesmarsches aus dem KZ Dachau. Das jüngste Beispiel für ein künstlerisches Gedenkzeichen ist die Neugestaltung der Eingangshalle des SPÖ-Parteihauses in Innsbruck 2018 mit der Gedenkstätte „Tor der Erinnerung“.

Gedenkzeichen in den Bezirken

Nicht überraschend ist das Zentrum der Erinnerungskultur in Tirol die Stadt Innsbruck mit seinen 71 Gedenkzeichen, wo auch der landesweit bedeutendste Gedenkort von überregionaler Bedeutung anzutreffen ist: der Eduard-Wallnöfer-Platz. In der Landeshauptstadt stehen die meisten Monumente und Gedenkstätten: das Befreiungsdenkmal und Pogrommahnmal, die Installation zur NS-Justiz und das Denkmal zur NS-Euthanasie, der große Gedenkstein am Standort des ehemaligen Arbeitserziehungslagers Reichenau und das Tor der Erinnerung, das den linken WiderstandskämpferInnen zugedacht ist.

Auch beim Gedenken an den Holocaust kommt Innsbruck tirolweit der größte Stellenwert zu mit der Synagoge und dem erwähnten Pogrommahnmal, fünf Grabinschriften und weiteren neun Gedenkzeichen.

Die meisten Zeichen der Erinnerung beziehen sich auf Geistliche (19), die somit die dominierende Opfergruppe in der Landeshauptstadt repräsentieren. Neun Gedenkzeichen sind Pfarrer Otto Neururer gewidmet, fünf Pater Franz Reinisch, zwei Provikar Carl Lampert, eine Gedenktafel zählt Alois Grimm, Johann Steinmayr und Johann Schwingshackl auf, eine weitere Pater Dominikus Dietrich und ein Weg ist nach Schwester Edith Stein benannt.

Eigenständige Zeichen für den linken Widerstand gibt es mit zwei Gedenktafeln für Johann Orszag, einer Tafel auf einem Gedenkstein für Konrad Tiefenthaler und einer Straßenbenennung für Adele Obermayr zwar nur an vier Orten, doch immerhin konnte Ende 2018 die Gedenkstätte Tor der Erinnerung im Eingangsbereich des SPÖ-Parteihauses der Öffentlichkeit übergeben werden. Nur in Innsbruck scheint auf einer Gedenktafel mit Rudolf von Mayer ein Mann namentlich auf, der wegen seiner sexuellen Orientierung ermordet worden ist.

Von allen Landbezirken verfügt Innsbruck-Land mit Abstand über die meisten Gedenkzeichen (38) und über die meisten Gemeinden (16), in denen sich Objekte der Erinnerung an den Nationalsozialismus befinden: Aldrans, Axams, Götzens, Hall, Leutasch, Mils, Neustift, Oberhofen, Patsch, Rum, Seefeld, Thaur, Volders, Wattens, Wildermieming und Zirl. Die Hälfte der Gedenkzeichen sind in Götzens, Hall und Wattens anzutreffen, in erster Linie für Geistliche, allen voran für Otto Neururer und Jakob Gapp. Fast 60 % der Erinnerungszeichen im Bezirk adressieren Geistliche, acht die NS-Euthanasie. Im Waldfriedhof von Seefeld liegt die bedeutendste Stätte des Gedenkens für jüdische Opfer außerhalb der Stadt Innsbruck. Dem linken Widerstand ist eine einzige Gedenktafel gewidmet.

Mit über zwei Dritteln der 16 Gedenkzeichen in sieben Gemeinden (Imst, Jerzens, Karrösten, Mötz, Obsteig, Silz, Stams) dominieren im Bezirk Imst Geistliche die Erinnerungskultur, die Hälfte bezieht sich auf Pfarrer Otto Neururer. Edith Stein, von Papst Johannes Paul II. heiliggesprochen, ist eine Ordensangehörige, nach der die Katholische Pädagogische Hochschule in Stams benannt ist und in der ein künstlerisches Porträt zu finden ist. Ermordet wurde sie wegen ihrer jüdischen Herkunft. Mit Schwester Angela Autsch ist in Mötz eine Frau drei Mal vertreten. Die meisten Gedenkzeichen (5) gibt es in Stams, wo Geistliche, speziell Edith Stein, eine besondere Rolle spielen und auch an abgeschossene US-Luftwaffenangehörige erinnert wird. Karrösten hält die Erinnerung an Pfarrer Josef Anton Geiger wach. Immerhin drei Gedenkzeichen sind NSEuthanasie-Opfern in Jerzens, Obsteig und Stams zugeeignet. Auffallend ist die geringe Bedeutung der Bezirksstadt Imst, in der es lediglich einen Brunnen und ein Porträt in der Pfarrkirche gibt, die jeweils von Elmar Peintner stammen und Pfarrer Otto Neururer gewidmet sind. Die Stadt selbst hat bisher noch keine Initiative ergriffen, in der Erinnerungskultur zur NS-Zeit aktiv zu werden. Silz gedenkt nicht nur Otto Neururers, sondern mit Adolf Platzgummer auch eines verfolgten Repräsentanten des „Ständestaates“.

Der Bezirk Kufstein stellt insofern eine Besonderheit dar, als zum einen nur ein einziges Gedenkzeichen einen Geistlichen verewigt, das noch dazu das Ergebnis einer privaten Initiative von Verwandten von Sebastian Haselsberger in Scheffau war. Zum anderen gilt fast ein Drittel der Erinnerungszeichen (6) dem linken Widerstand, besonders Josefine Brunner und Adele Stürzl. In Erl hängt eine Gedenktafel für Hans Vogl. Geprägt ist das Gedenken im Bezirk aber von der Person des katholisch-konservativen Widerstandskämpfers Walter Caldonazzi, dem allein ein Drittel der Zeichen (6) gewidmet ist. Hervorzuheben ist auch, dass mit Anna Gründler auf einer Tafel eines Mitglieds der Zeugen Jehovas gedacht wird. Insgesamt gesehen, konzentrieren sich die 19 Erinnerungszeichen im Bezirk auf lediglich sechs Gemeinden, allen voran Wörgl und Kufstein gefolgt von Kramsach. Bemerkenswert ist die Gedenkstätte auf der Praa-Alm in der Wildschönau, wo an Walter Caldonazzi, Viktor Czerny, Ferdinand Eberharter und Karl Mayr erinnert wird.

Im Bezirk Landeck liegen die Schwerpunkte der Erinnerung an den Nationalsozialismus in Fließ und St. Anton. Von den 19 Gedenkzeichen in lediglich sechs Gemeinden sind jeweils ein Drittel zum einen Pfarrer Otto Neururer in Fließ sowie zum anderen Hannes Schneider (Vertriebener) und Rudolf Gomperz (jüdisches Opfer) in St. Anton gewidmet. In Pians und Ried, aber auch in Fließ gedenkt man der Opfer der NS-Euthanasie, in Tösens eines widerständigen Pfarrers. Die Bezirksstadt Landeck, in der nur ein Porträt Neururers des Künstlers Elmar Peintner in der Pfarrkirche Perjen hängt, spielt keine Rolle in der regionalen Erinnerungskultur.

In sechs Gemeinden (Assling, Dölsach, Kartitsch, Lienz, Sillian, Thurn) des Bezirks Lienz existieren Gedenkzeichen. Das erinnerungspolitische Zentrum Osttirols ist die Stadt Lienz, wo sich seit 1965 ein Denkmal befindet, das dem Widerstand und den NS-Opfern des gesamten Bezirks gewidmet ist. In keinem anderen Landbezirk gibt es ein derartiges Monument. Mit der Installation des Buchs der Namen auf diesem Mahnmal sind, mit der bedauerlichen Ausnahme der Ermordeten der NS-Euthanasie, alle Opfer des NS-Regimes, die eruiert werden konnten, namentlich erfasst. Drei der neun Gedenkzeichen betreffen Geistliche, Edmund Pontiller in Dölsach und Josef Außerlechner in Kartitsch. Hervorzuheben ist Dölsach, wo nicht nur Pater Pontiller gedacht wird. Eine Tafel erwähnt die linke Widerstandskämpferin Maria Peskoller und den polnischen Zwangsarbeiter Marian Binczyk. Dank einer Privatinitiative wird in Assling am Hochstein in der Fraktion Bannberg an Josef Salcher, einen Zeugen Jehovas, erinnert. Außer in den genannten vier Gemeinden finden sich noch Erinnerungszeichen in Thurn (US-Luftwaffenangehörige) und Sillian (NS-Euthanasie).

Der Bezirk Schwaz verfügt über 13 Gedenkzeichen, die sich jedoch nur auf vier Gemeinden – Schwaz, Ginzling, Uderns, Vomp – verteilen. Das Zentrum ist die Stadt Schwaz mit sechs Erinnerungszeichen, immerhin drei finden sich in Vomp. Schwerpunkte des Gedenkens sind nur eingeschränkt sichtbar, auch wenn der linke Widerstandskämpfer Max Bär und das NS-Opfer Josef Brettauer, der konservativ-legitimistische Aktivitäten unterstützte, auf einer Inschrift und einer Gedenktafel genannt sind. Ein Gedenkzeichen erinnert an das Lager Oradour, wo zuerst Zwangsarbeiter, nach 1945 Nationalsozialisten gefangen waren. Der Gemeinderatsbeschluss zur Benennung eines Rundwanderwegs Oradour dürfte ohne erinnerungspolitisches Motiv gefallen sein. Am stärksten ist im Bezirk das Gedenken an die Ermordeten der NS-Euthanasie ausgeprägt, die auf vier Gedenkzeichen aufscheinen, namentlich allerdings nur auf der Gedenksäule in Uderns, die ausschließlich für diese Opfergruppe im Zillertal errichtet wurde, und auf einem Gedenkstein in Vomp.

Mit sechs von 13 Gedenkzeichen in fünf Gemeinden (Biberwier, Ehrwald, Lermoos, Nassereith, Reutte) bezieht sich fast die Hälfte der Objekte des Bezirks Reutte auf US-Luftwaffenangehörige, deren besonders in Ehrwald, aber auch in Biberwier und Lermoos bzw. in den Bergen gedacht wird. In der Stadt Reutte erinnert man sich an Pater Jakob Gapp und an zwei jüdische Opfer: Gustav Lenke und Hermann Stern. Zwei Gedenktafeln in Nassereith verewigen die Namen von Opfern der NS-Euthanasie. Die Mehrzahl der Gedenkzeichen geht auf privates Engagement und die Initiativen des Reuttener Chronisten Richard Lipp zurück.

Der Bezirk Kitzbühel ist ein erinnerungspolitisches Niemandsland in Hinblick auf den Nationalsozialismus. Die Bürgermeister von Kössen und Walchsee setzten sich in Kössen zugunsten der Errichtung einer Gedenktafel für US-Luftwaffenangehörige ein, was 2005 noch umstritten war und politische Auseinandersetzungen zur Folge hatte. Das zweite Gedenkzeichen im Bezirk erinnert in der Stadt Kitzbühel an vier linke Widerständler und ein jüdisches Opfer. Die Initiative für diese Gedenktafel ging jedoch nicht von der Stadt Kitzbühel aus, sondern von engagierten Einzelpersonen.

Mangel an Zeichensetzungen in der Nachkriegszeit

Die Grafik berücksichtigt alle in Erfahrung gebrachten Gedenkzeichen, auch die wieder verschwundenen, deren Entstehungsdatum eruiert werden konnte. Bei 20 Erinnerungszeichen ist das Datum der Errichtung unbekannt.8

In den bisherigen Forschungen zur Setzung von Erinnerungszeichen zu Widerstand, Verfolgung und Befreiung vom Nationalsozialismus kommen die AutorInnen zum Ergebnis, dass es in der unmittelbaren Nachkriegszeit ein konsensuales Gedenken aller politischen Gruppierungen an den „österreichischen Freiheitskampf“ gegeben habe, dass die Gedenkkultur zunächst vor allem von SPÖ und KPÖ dominiert war, während der katholisch-konservative Widerstand kaum Gegenstand öffentlicher Erinnerung gewesen sei, und dass bis 1955 ein großer Teil der bis heute gesetzten Gedenkzeichen errichtet worden ist.9 Im Vergleich dazu sind in diesem Zeitraum die angebrachten Erinnerungszeichen in Tirol überaus spärlich gesät, die Linke spielte keine Rolle und es gab auch kein Muster, nach dem „schwarze“ und „rote“ Gemeinden „ihre Helden“ öffentlich geehrt und ein segregiertes Gedenken entwickelt hätten. Von einer wie immer gearteten Gedenkkultur kann viele Jahre kaum gesprochen werden, auch der katholische Widerstand erfuhr zunächst keine besondere Aufmerksamkeit. Die bald nach dem Krieg errichteten Gedenktafeln, allesamt an oder in Kirchen und Kapellen für den ermordeten Pfarrer Sebastian Haselsberger in Scheffau und den Ordensbruder Josef Außerlechner in Kartitsch, gehen ebenso auf private Initiativen zurück wie jene für Ernst Ortner aus der katholischen Mittelschulverbindung Cimbria in Lienz und den Sozialdemokraten Josef Axinger in Axams. Dasselbe gilt für das Gedenkkreuz mit Inschrift für Walter Caldonazzi auf der Praa-Alm in der Wildschönau, die Grabinschriften für Pater Franz Reinisch am Wiltener Friedhof und für Sofia und Jakob Justman am Jüdischen Friedhof in Innsbruck.

In Wörgl nutzten Widerstandskämpfer die Gunst der Stunde, um 1945 ohne Gemeinderatsbeschluss die Benennung einer Straße nach Sepp Gangl durchzusetzen, der in den Endkämpfen bei Schloss Itter ums Leben gekommen war. Sie sorgten auch dafür, dass am Grab von Gangl im Städtischen Friedhof von Wörgl eine ausführliche Grabinschrift über seinen Widerstand informierte. 1950 benannte der Gemeinderat von Wattens einen Weg nach Albert Troppmair, einem führenden Kopf der örtlichen Widerstandsbewegung.

In die unmittelbare Nachkriegszeit fällt 1946/47 die Errichtung des französischen Siegesdenkmals in St. Anton und 1948 des Gedenksteins für 63 jüdische KZ-Häftlinge im Waldfriedhof Seefeld sowie 1950 die Anbringung einer Gedenktafel für den Generaladministrator der französischen Militärregierung, Pierre Voizard, in Innsbruck samt Benennung eines Hofes nach ihm. 1957 errichtete die Gemeinde St. Anton am Arlberg ohne Bezugnahme auf den Nationalsozialismus ein Denkmal für Hannes Schneider, den das NS-Regime wegen seiner antinationalsozialistischen Einstellung vertrieben hatte. Diese Zeichensetzung für den Tourismus-Pionier und bis dahin berühmtesten Skifahrer Österreichs, der in den USA Karriere gemacht hatte und in Japan hoch verehrt wurde, stand in Einklang mit den Wirtschaftsinteressen des aufstrebenden Schiorts St. Anton.

Die Gedenktafel von 1953 für sechs der apostolischen Administratur Innsbruck-Feldkirch zugerechneten Märtyrerpriester (Otto Neururer, Franz Reinisch, Carl Lampert, Alois Grimm, Johann Schwingshackl, Johann Steinmayr) in der Heilig-Blut-Kapelle im Stift Stams ist das erste offizielle Gedenkzeichen für katholische Geistliche. Doch nicht zufällig war Bischof Rusch bei der Tafelenthüllung nicht anwesend, wohl aber bei der Wallfahrt am nächsten Tag. Er war ein Vertreter jener Haltung der Amtskirche, die aus pastoralen Gründen die ermordeten Geistlichen und Laien ebenso überging wie die Verbrechen des NS-Regimes, die Schuld der Kirche und ihre MärtyrerInnen. Ehemalige Nazis und MitläuferInnen sollten wieder für die Kirche gewonnen werden, die Betonung der Handlungen von Menschen, die für ihren Glauben ihr Leben gaben, hätte viele Konflikte heraufbeschworen. So galt es als opportun, die Getöteten und die aus den Lagern und Gefängnissen zurückgekehrten Geistlichen und Gläubigen zu beschweigen, bis sie tatsächlich weitgehend in Vergessenheit gerieten. Als Pater Jakob Gapp 1996 seliggesprochen wurde, schrieb Franz Stocker im Wochenblatt der Diözese Innsbruck:

„Sein Schicksal wurde nach dem 2. Weltkrieg lange sowohl im Orden als auch in der Heimatgemeinde Wattens totgeschwiegen. Man fürchtete, das öffentliche Aufzeigen des Lebens und Sterbens von P. Gapp lasse alte Ressentiments aus der NS-Zeit hochsteigen und gefährde den Dorffrieden. (...) In Wattens wurde 1983 gegen den Widerstand einflußreicher Persönlichkeiten anläßlich des 40. Todestags von P. Gapp in der Laurentiuskirche eine Gedenktafel angebracht.“10

Eines jener NS-Opfer, das in Tirol keinen Platz in der Erinnerung hat, ist Pfarrer Felix Gredler. Er wurde am 27. Juli 1892 in Mayrhofen geboren und wuchs in einer kinderreichen Familie aufgrund des frühen Todes des Vaters in ärmlichen Verhältnissen auf. Nach dem Besuch des Borromäums in Salzburg und dem Studium am Priesterseminar von Salzburg wurde Gredler 1915 zum Priester geweiht und wirkte in den folgenden Jahren als Kooperator in St. Veit im Pongau und in den Tiroler Pfarren Schwoich, Langkampfen und Zell bei Kufstein. Ein zweijähriger Studienaufenthalt in München unterbrach die Tätigkeit als Seelsorger. Im November 1934 wurde Gredler zum Pfarrer der Dekanatspfarre Altenmarkt ernannt, der ein größerer landwirtschaftlicher Betrieb angeschlossen war. Seine erfolgreiche Bewirtschaftung erregte nach 1938 bald die Begehrlichkeiten einheimischer Nationalsozialisten. Am 27. September 1940 wurde Gredler verhaftet und vor dem Salzburger Sondergericht wegen angeblicher Vergehen gegen die Kriegswirtschaftsverordnung angeklagt: Er habe zu geringe Buttermengen abgegeben und zudem deutsche Urlaubsgäste mit Lebensmitteln versorgt. Gredler wehrte sich verzweifelt und verfasste umfangreiche Eingaben an das Gericht. Das vergleichsweise milde Urteil von sieben Monaten unter Einrechnung der Untersuchungshaft hätte nach Abschluss des Verfahrens die Entlassung Gredlers im April 1941 zur Folge gehabt. Stattdessen verfügte die Gestapo Innsbruck seine neuerliche Verhaftung und im August 1941 seine Überstellung in das KZ Dachau, wo er die Arbeits- und Haftbedingungen nicht überlebte. Er verstarb am 26. Juni 1942, die offizielle Todesursache lautete Bauchwassersucht.11

Felix Gredler (Foto Simon Gredler)

Als zu Pfingsten 1966 die Urne von Felix Gredler auf Betreiben seiner Schwester Maria, die bei ihm in Altenmarkt Häuserin gewesen war, von Salzburg nach Mayrhofen überführt und auf dem „Gredlerschen Grabhügel“ im alten Friedhof beigesetzt wurde, feierte Pfarrer Johann Margreiter ein Hochamt zu Gredlers Ehren.12 Die Erinnerung an Felix Gredler ist heute in Mayrhofen völlig verblasst. Es gibt nur eine kleine schlichte Tafel, die vermutlich Verwandte im neuen Friedhof bei den Urnengräbern errichten ließen. In der Gemeinde ist sie jedoch gänzlich unbekannt. Dass Gredler im Nationalsozialismus ums Leben kam, erschließt sich den historisch Kundigen, die mit dem angegebenen Sterbeort Dachau das Konzentrationslager verbinden. In Salzburg hingegen wird seiner gedacht. Am Gebäude des Priesterseminars der Erzdiözese Salzburg hängt eine Gedenktafel, auf der Felix Gredler erwähnt wird, in der Pfarrkirche Altenmarkt ist ihm eine eigene Gedenktafel gewidmet.13

Foto Simon Gredler

Zwei Erinnerungszeichen sind es, die in der Nachkriegszeit hervorragen und eine größere öffentliche Wahrnehmung für sich beanspruchen konnten: die Gedenktafel des Landes Tirol für den Widerstand und Franz Mair am Alten Landhaus in der Maria-Theresien-Straße in Innsbruck 1946 sowie das auf Initiative der französischen Militärregierung 1948 fertiggestellte Befreiungsdenkmal zu Ehren der „für die Freiheit Österreichs Gestorbenen“.

Tirol als Opfer des Nationalsozialismus im „ununterbrochenen Widerstandskampf“

Die groß angelegten Feierlichkeiten anlässlich der Einweihung der Tafel von Franz Mair blieben bis heute die bedeutendste Manifestation des offiziellen Tirol bei der Setzung eines Erinnerungszeichens, das Bezug auf den Nationalsozialismus nimmt. Sie sind repräsentativ für das jahrzehntelange Selbstverständnis des Landes und den Gründungsmythos der Zweiten Republik: die These von Österreich als erstem Opfer des Nationalsozialismus, das keinen Anteil an den NS-Verbrechen hatte. Die Überbetonung des Widerstandes sollte die Wiedererrichtung eines freien und demokratischen Österreich legitimieren, in Tirol kamen Hoffnung und Anspruch auf die Wiedervereinigung mit Südtirol hinzu. Tirol war in seiner Selbstsicht unschuldiges Opfer der Nazi-Barbarei, der Widerstand gegen das fremde NS-Regime als Besatzungsmacht heldenhaft, die Begeisterung gering, der Widerwille groß. Die Verbrechen hatte Deutschland begangen, der Nationalsozialismus war eine Zeit der „siebenjährigen Unterdrückung“. Derartige Interpretationen der NS-Vergangenheit stellen keine Einzigartigkeit dar, sondern waren in West- und Osteuropa in unterschiedlichen nationalen Varianten gebräuchlich.14

In den letzten Kriegswochen einigte Karl Gruber, erster provisorisch amtierender Landeshauptmann ab Mai 1945, Tiroler Widerstandsgruppen, denen es am 3. Mai 1945 angesichts der flüchtenden NS-Regierung sowie im Chaos rückflutender Wehrmachtsoldaten und SS-Einheiten gelang, das Landhaus zu besetzen und Innsbruck als befreite Stadt den Stunden später einrückenden US-Truppen zu übergeben. Ein Jahr danach, am 8. Mai 1946, erinnerte eine schlichte Tafel an diesen Widerstand und Franz Mair, der bei der Absicherung des Landhauses ums Leben gekommen war.15 Bereits in der Früh legte der „Bund der Tiroler Freiheitskämpfer“, angeführt vom Pressechef der Landesregierung, der sich im Widerstand aktiv beteiligt hatte, in der Hofkirche vor dem Grabe Andreas Hofers einen Kranz nieder, dessen Schleife die Inschrift trug: „Dem Helden von 1809 – die Tiroler Freiheitskämpfer 1938–1945.“ Nach der symbolischen Gleichsetzung des Tiroler Heldenzeitalters, des Freiheitskampfes von 1809, mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus folgte ein Dankgottesdienst mit den Spitzen der französischen Militärregierung, dem Landeshauptmann und dem Bürgermeister von Innsbruck. Im Anschluss daran erfolgte der feierliche Akt vor dem Landhaus in Anwesenheit einer unübersehbaren Menschenmenge. Die Häuser der Innenstadt waren mit rot-weiß-roten Fahnen und Tiroler Fahnen geschmückt. Vom Balkon des Alten Landhauses wehten die Flaggen der vier Besatzungsmächte, neben dem Rednerpult stand eine Ehrenkompanie der Marokkanischen Division in Galauniform. Nach dem Erklingen der Marseillaise und von „O du mein Österreich“ gedachte Landeshauptmann Alfons Weißgatterer „eines ununterbrochenen Widerstandskampfes gegen die nationalsozialistischen Gewaltherrschaften in Österreich“. Die Gedenktafel enthüllte er mit den Worten: „Sie soll jeden für immer an die Ruhmestaten der Widerstandsbewegung erinnern.“16 Karl Gruber, der inzwischen zum Außenminister aufgestiegen war, schickte eine Botschaft, die feierlich verlesen wurde. Er externalisierte den Nationalsozialismus, den er als Angelegenheit der Deutschen abtat. Dieser „war eben nichtösterreichisch und damit waren seine Scheußlichkeiten auch schon hinlänglich erklärt“, so Gruber. Der Außenminister unterstrich, dass sich in Tirol nur „eine kleine Minderheit fand“, die dem „Verführer“ Hitler „Gefolgschaft leistete“. Die Bedeutung, die Gruber in seiner Botschaft dem Tiroler Widerstand zumaß, stand in keinem Verhältnis zur Realität. Das NS-Regime hatte er bis Kriegsende nie in Bedrängnis gebracht. Trotzdem betonte er:

„Das österreichische Volk und mit ihm Tirol darf aber auch mit Stolz zurückblicken auf seinen Kampf gegen die preußischen Eindringlinge und deren nazistischen Statthalter. (...) Tirol darf die besondere Ehre für sich in Anspruch nehmen, weite Gebiete des Landes von den Nazis völlig gesäubert zu haben, bevor die alliierten Armeen hier einrückten.

Nicht die weiße Fahne der Übergabe war das Zeichen des neuen Österreich in Tirol, sondern die rot-weiß-rote Fahne seines stolzen staatlichen Bewußtseins, begrüßt von den jubelnden Bürgern, die zu ihrer eigenen Befreiung beigetragen haben.

Wenn die Naziführung bereits in den letzten Wochen und Monaten zu wanken begann, so vor allem aus ihrer tödlichen Angst vor den entschlossenen Kämpfern des inneren Widerstandes.

Tirol hat bewiesen, daß es für das große Ziel der politischen Freiheit seines Landes zu jedem Opfer bereit ist, nicht nur die Aktivisten der Innsbrucker Widerstandsbewegung, die die Hauptlast der Kampfhandlungen zu tragen hatten, sondern neben ihnen die geschlossene Kraft der Bauern in den Dörfern, die bereit waren, dem Befehl zum offenen Aufstand Folge zu leisten. Ehrendes Andenken den im Kampfe Gefallenen und den unter dem Beil des Henkers Gestorbenen. Möge der Wille zur Verteidigung der eigenen Freiheit das schönste Erbe dieser Epoche bleiben.“17

Die Feierlichkeiten und die Reden standen in Einklang mit der Selbstdarstellung Österreichs im Rahmen der Opfertheorie, wie sie in der Unabhängigkeitserklärung vom 27. April 1945 zum Ausdruck kam, als Vertreter von SPÖ, ÖVP und KPÖ in ihrer Funktion einer provisorischen Regierung die Wiedererrichtung der Republik Österreich verkündeten. Der Tiroler Widerstandskämpfer Karl Gruber personifizierte dieses Selbstverständnis als Außenminister: Tirol bzw. Österreich war 1938 mit Gewalt von Hitler-Deutschland besetzt und sieben Jahre lang mit brutalem Terror unterdrückt worden. Die Bevölkerung war machtlos und stand abseits, bis schließlich der heimische Widerstand gemeinsam mit den Alliierten das Land befreite. Der Nationalsozialismus galt als Fremdherrschaft und wurde aus einer einseitigen Perspektive thematisiert: unter dem Aspekt von Widerstand und Verfolgung und ganz besonders als Freiheits- und Befreiungskampf.18

Die Einweihung der Gedenktafel am Alten Landhaus unter Teilnahme des offiziellen Tirol zur Erinnerung an den Widerstand blieb ein isolierter Akt. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern entwickelte sich in Tirol zunächst keine ausgeprägte Gedenkkultur, die sich auf den österreichischen Freiheitskampf durch Denkmalsetzungen berufen hätte. Aus der Widerstandsbewegung hatte sich nach 1945 die „Österreichische Demokratische Freiheitsbewegung“ (ÖDFB) entwickelt, an deren Spitze Alois Molling stand, der die Organisation als Machtinstrument nutzte und mehr mit der Durchsetzung eigener Interessen beschäftigt war. 1945 erhielt der ÖDFB vier Landtagsmandate auf der ÖVP-Liste, Molling selbst wurde Vizepräsident des Landtags. Unter seiner Führung geriet der ÖDFB in Verruf und Molling sah sich bereits zum Jahreswechsel 1946 mit derart vielen Vorwürfen konfrontiert, dass er von der Landesleitung zurücktrat, die ÖDFB ihre Aktivitäten 1947 einstellte und die Widerstandsbewegung sich neu aufstellen musste. Ihr Einfluss in der Politik wie in der Öffentlichkeit war daher nur noch gering.19

Auch die Linke wusste keine Akzente für die Etablierung einer Gedenkkultur für die Opfer des Nationalsozialismus zu setzen. Die KPÖ war eine sehr kleine Partei, sie hatte ihre aktivsten Mitglieder im Nationalsozialismus, aber auch im spanischen Bürgerkrieg verloren. In der Tiroler Landespolitik kamen ihr bereits im November 1945 jegliche Gestaltungsmöglichkeiten abhanden, nachdem sie bei den Wahlen nur etwas mehr als zwei Prozent der Stimmen erhalten hatte. Auch die SPÖ hatte in den elf Jahren des Parteiverbots zahlreiche Funktionäre und besonders engagierte Mitglieder eingebüßt, viele durch die Ermordung in der NS-Zeit. Ihre Inaktivität bei der Errichtung von Gedenkzeichen mag auch damit in Zusammenhang stehen, dass einige Spitzenfunktionäre in der Partei, im Parteivorstand, in der Gewerkschaft und Arbeiterkammer, im Landtag oder auch im Innsbrucker Gemeinderat NS-belastet waren.20 Bei der ÖVP genügt es, einen Blick auf die Landeshauptmänner zu werfen. So waren zwischen Oktober 1945 und 1987 mit Ausnahme der sechsjährigen Amtszeit von Alois Grauß (1951–1957) alle Tiroler Landeshauptleute NSDAP-Mitglieder.21

Nach den Feierlichkeiten für den österreichischen Freiheitskampf und Franz Mair im Mai 1946 blieben sowohl die ermordeten WiderstandskämpferInnen als auch die anderen Opfergruppen des NS-Regimes jahrzehntelang weitgehend aus dem öffentlichen Gedächtnis ausgeklammert. Dies verdeutlicht symptomatisch der Bau des Befreiungsdenkmals in Innsbruck.

Leugnung von Widerstand und Befreiung

Im Gegensatz zu Ostösterreich und der Steiermark, wo die UdSSR für monumentale Zeichensetzungen im Gedenken an die Befreiung Österreichs und an die herausragende Rolle der Roten Armee verantwortlich ist, haben die Befreier Westösterreichs, die USA und Frankreich, das im Juli 1945 die Vereinigten Staaten als Besatzungsmacht in Tirol ablöste, deutlich weniger Spuren im öffentlichen Raum hinterlassen. Die Gedenkzeichen für die US-Armee und US-amerikanische Soldaten sind fast ausschließlich privaten Initiativen zu verdanken. Veteranen der „Cactus-Division“ regten beim Land Tirol die Anbringung einer Gedenktafel an, die 1997 im Innsbrucker Zeughaus angebracht wurde und heute, kaum wahrgenommen, am Franziskanerplatz hängt. Um das Jahr 2000 sorgten Keith M. Bullock und Gerd Leitner, aber auch Roland Domanig dafür, dass nahe der Absturzstellen von US-Bombern Erinnerungszeichen angebracht wurden. Eine ähnliche Initiative entwickelten 2005 Stefan Mühlberger und Andreas Mayr, die Bürgermeister von Kössen und Walchsee, mit Roland Domanig und Jakob Mayr. Bei der Anbringung einer Gedenktafel für die abgestürzte Besatzung eines US-amerikanischen Flugzeugs in Kössen 60 Jahre nach Kriegsende gab es allerdings Widerstand des FPÖ-Bezirksparteiobmanns von Kitzbühel, der in der Setzung dieses Erinnerungszeichens einen „würdelosen Akt der Anbiederung an die Kriegsnation USA“ sah. Die französische Militärregierung bzw. Kontrollmission errichtete 1946/47 ein Monument am Mooserkreuz in St. Anton, wo sich die französischen Divisionen, die Vorarlberg befreit hatten, vereinigten. An die führenden Persönlichkeiten der französischen Verwaltung in Westösterreich – Hochkommissar Émile Béthouart und Generaladministrator Pierre Voizard – erinnert auf Initiative der Stadt Innsbruck seit 1950 eine Tafel am Voizardhof in der Peter-Rosegger-Straße und ein Steg, der 2003 nach Béthouart benannt wurde.

Die bedeutendste Hinterlassenschaft der französischen Besatzungsmacht stellt das Befreiungsdenkmal in Innsbruck dar. Sie regte die Errichtung eines Baus an, der an den Widerstand Einheimischer gegen den Nationalsozialismus und an die alliierten Soldaten erinnern sollte, die im Kampf zur Befreiung Österreichs vom Nationalsozialismus gefallen waren. Der Standort war bewusst gewählt: gegenüber dem Neuen Landhaus, das die Nationalsozialisten 1938/39 errichtet hatten und das ihnen als Schaltzentrale ihrer Herrschaft gedient hatte. Die französische Seite trug die Kosten für das Denkmal, das Land Tirol kam für die weiteren finanziellen Aufwendungen auf, besonders für die Neugestaltung des großen Vorplatzes. Land Tirol und Stadt Innsbruck erhielten große Mitspracherechte, so dass das Befreiungsdenkmal (Monument du Landhaus) schließlich von einer Tirol-patriotischen Zeichensetzung und christlichen Symbolik dominiert war. Im Zentrum des Denkmals waren die Wappen der neun Bundesländer in der Form eines Kreuzes auf den Gittern angeordnet. Widerstand und Befreiung wurden so dem Katholizismus zugeordnet. Frankreich verzichtete darauf, sich zu glorifizieren oder sich als siegreiche Armee im Denkmal zu verewigen. Daher versagte es sich eine französische Inschrift, die, obwohl die Militärvertretung eine deutsche Beschriftung vorgeschlagen hatte, nach dem Willen des Landeskonservators auf Latein ausgeführt wurde: Pro Libertate Austriae Mortuis (Den für die Freiheit Österreichs Gestorbenen). Frankreich trat mit dem Denkmal als Fürsprecher für die Unabhängigkeit Österreichs auf und vertrat auch sonst die Opferthese. Anlässlich der Gedenkfeier der Anbringung der Erinnerungstafel am Alten Landhaus hatte Generaladministrator Pierre Voizard betont: „Während die Soldaten Frankreichs die Befreiungsaufgabe vollendeten, indem sie zum letzten Male auf französischem Boden ihr Leben opferten, erkaufte Österreich selbst mit dem Blute seiner besten Söhne sein heiliges Recht zur Wiedergeburt unter den freien und unabhängigen Nationen.“22

Trotz all dieser Bemühungen der französischen Militärregierung, ihrer Einbindung des Landes Tirol und der Zustimmung, dass das Denkmal ein betont österreichisches bzw. heimattümliches Gesamtbild erhielt, stieß die Zeichensetzung auf Ablehnung in der Bevölkerung, auch das offizielle Tirol distanzierte sich schließlich. Die auflagenstärkste Tageszeitung im Land, die Tiroler Tageszeitung, entpolitisierte das Denkmal und überging seine Bedeutung ebenso wie jene des Widerstandes. Sie hob die „geglückte Symphonie französischer und österreichischer bildender Kunst“, das „Musterbeispiel Tiroler Schmiedekunst“ sowie den herrlichen Blick auf und durch das Denkmal auf die Berge hervor. Die Zeitung sprach von einem Geschenk Frankreichs, das all jenen gewidmet wäre, „die für Österreichs Freiheit im letzten Kriege starben.“23 Damit konnten auch die österreichischen Wehrmachtsoldaten gemeint sein. Die Mehrheit im Land empfand das Befreiungsdenkmal als eine von außen aufgezwungene Zeichensetzung. Als Symbol der Befreiung und des Widerstandes vermochte es kein fester Bestandteil Tiroler Erinnerungskultur zu werden. Folgerichtig wurde das Denkmal nach seiner Fertigstellung nicht eingeweiht und es gab auch keine Eröffnungsfeier. Die französische Kontrollmission besprach sich zwar mit Innsbrucks Bürgermeister Anton Melzer, um die Einweihungsfeier so zu planen, dass die Tiroler Bevölkerung sie gut annehmen konnte. Melzer riet jedoch von Feierlichkeiten ab, da eine derartige Veranstaltung nicht Begeisterung, sondern Gleichgültigkeit auslösen würde. Seiner Meinung nach litten die TirolerInnen unter der französischen Besatzung, deren Ende nicht in Sicht war. Für sie würde eine Zeremonie drei Jahre nach der Befreiung Tirols vom Nationalsozialismus als weiterhin besetztes Land nicht viel Sinn ergeben. Der Bürgermeister konnte sich als Einweihung des Denkmals eine Veranstaltung mit Trachtengruppen und Blasmusikkapellen vorstellen, die er als Vertretung von „ganz Tirol“ bezeichnete. Als geeigneten Zeitpunkt für Feierlichkeiten erschien ihm Allerheiligen, da das Denkmal jenen gewidmet wäre, „die im Kampf gefallen sind“. Kritisch merkte der Verfasser der französischen Mitschrift des Gesprächs an, dass der Bürgermeister offengelassen habe, ob er die Widerstandskämpfer oder die Soldaten der Deutschen Wehrmacht gemeint habe. Jedenfalls dachte Melzer an eine Einweihung in Form eines Totengedenkens, das dem Denkmal seine wahre Bedeutung gäbe. Feierlichkeiten am Jahrestag des offiziellen Kriegsendes am 8. Mai, den die französische Kontrollmission als Tag der Enthüllung im Auge hatte, waren nicht im Sinn des Bürgermeisters, der als beste Lösung die Verschiebung der Eröffnungszeremonie für das Befreiungsdenkmal bis zum Abschluss des Staatsvertrags vorschlug. Dann wäre die Bevölkerung wirklich auf den Beinen, um der Einweihung dieses Denkmals beizuwohnen, das der ehemalige Besatzer bei diesem Anlass in die Obhut der Regierung eines freien Tirol stellen würde. Der Vertreter der französischen Kontrollmission hielt es zwar für möglich, dass im Vorschlag des Bürgermeisters eine „gewisse Bosheit“ enthalten war, dennoch erschien ihm diese Vorgangsweise als gangbarer Weg, da ihm die Akzeptanz des Denkmals in der Tiroler Bevölkerung wichtig war.24

Das Befreiungsdenkmal wurde in der Bevölkerung dennoch nicht gewürdigt, sondern als Franzosendenkmal denunziert. Als einziges Denkmal für den Freiheitskampf gegen den Nationalsozialismus von überregionaler Bedeutung in Tirol konnte es seinen repräsentativen Symbolcharakter für die historische Identität des Bundeslandes nicht ausstrahlen. Ein Artikel in der Tiroler Rundschau, dem Presseorgan des „Verbandes der Unabhängigen“ (VdU), Sammelbecken ehemaliger NationalsozialistInnen und Vorläufer der FPÖ, wenige Tage nach Unterzeichnung des Staatsvertrags im Mai 1955, brachte die Kritik am Denkmal und die Sicht vieler TirolerInnen auf den Punkt: Es sei ein Mahnmal der Unfreiheit Tirols aufgrund der französischen Besatzung. Der 8. Mai 1945 war kein Tag der Befreiung, sondern markierte die Unterdrückung der Tiroler Bevölkerung. Ein Artikel von Rainer v. Hart-Stremayr, einem ehemaligen Redakteur der Innsbrucker Nachrichten, dem Parteiorgan der NSDAP des Gaues Tirol-Vorarlberg, mokierte sich zwar über das Denkmal, er zeigte aber auf, dass das Befreiungsdenkmal und der Landhausplatz im Zentrum der Stadt Innsbruck nicht als Ort der Erinnerung an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus angenommen wurde:

„Das Auffällige an diesem Denkmal besteht in seiner Unauffälligkeit. Es wurde nämlich nicht feierlich eingeweiht und auch nie irgendwie ‚benützt‘. (...) Das österreichische Befreiungsdenkmal auf dem Landhausplatz schien es also an allen in Betracht kommenden Erinnerungstagen nicht zu geben. Es war all die Jahre hindurch, seit es gebaut wurde und steht, ein Mahnmal des Schweigens.“25

Zwar wäre das Motiv für die Errichtung offiziell die „Denazifizierung“ des ehemaligen Gauhauses gewesen, aber: „Richtig besehen, fügt sich das Denkmal ausgezeichnet in die Architektur des dahinterliegenden Gebäudes.“ Hart-Stremayr machte sich dennoch für das Denkmal stark, weil es an die Unterdrückung der Tiroler Bevölkerung durch die alliierten Besatzungsmächte erinnere: „Schließlich schadet es unseren Nachkommen auch nichts, durch ein Denkmal ‚PRO LIBERTATE‘ an die ersten zehn Jahre der Unfreiheit durch die Befreiung gemahnt zu werden.“ Die „wohl anständigste und sauberste Lösung“ wäre es, eine Tafel an der Schmalseite des Mahnmals anzubringen, die über die Baugeschichte und die „nie erfolgte Zweckwidmung“ Auskunft gibt. So könnten die TirolerInnen die Hintergründe darüber erfahren, warum die „vermeintliche Heldenmahnstätte“ keine Ehrfurcht wie bei sonstigen Ehrenmalen wecke und lediglich „ein beliebter Tummel- und Versteckspielplatz für unwissende Kinder“ sei.26

Felix Pettauer, nach den ersten Wahlen im Herbst 1945 Mandatar der KPÖ im Innsbrucker Gemeinderat und Mandatar der „Wahlgemeinschaft Österreichische Volksopposition“, eines Zusammenschlusses der KPÖ zu einem Wahlbündnis Anfang der 1950er Jahre mit der Demokratischen Union und der Sozialistischen Arbeiterpartei, beantragte in der Gemeinderatssitzung vom 31. März 1955 30.000 Schilling für die Errichtung eines Mahnmals für die Opfer des politischen Freiheitskampfes in Tirol. Als Vertreter einer Partei, die besonders viele Todesopfer durch Verfolgung und Widerstand im Nationalsozialismus zu beklagen hatte, identifizierte er sich nicht mit dem Befreiungsdenkmal der westlichen Besatzungsmacht Frankreich, noch dazu unter dem Zeichen des christlichen Kreuzes. Stadtrat Karl Kunst (SPÖ) wollte dem kommunistischen Wahlbündnis zwar keine Profilierungsmöglichkeit einräumen, sprach sich aber für das Projekt aus. Die Stadt sollte von sich aus eine Erinnerungsstätte schaffen.27 Der Ausschuss für Kunst, Kultur und Wissenschaft lehnte den Vorstoß schließlich im Juli 1955 ab, weil „im Freiheitsdenkmal am Landhausplatz ein solches Ehrenmal bereits vorhanden ist und die Schaffung einer zweiten Gedenkstätte nicht damit in Übereinstimmung zu bringen wäre.“28

Kriegerdenkmäler und Gedenken an die NS-Zeit

Karl Böhm, der Direktor des Tiroler Landesarchivs, gab 120 Bände mit den Namen der gefallenen und vermissten Soldaten des Ersten Weltkrieges unter der Bezeichnung „Tiroler Ehrenbuch“ heraus. 1947 präsentierte er die 23 Bände der Toten von 1938 bis 1945 im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, nannte sie aber „Gedenkbuch der Todesopfer Tirols 1938–1945“, da er die Verehrung der soldatischen Leistungen und Opfer im Ersten Weltkrieg nicht unumschränkt den im Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten zugestehen wollte. Das Gedenkbuch enthält auch die Namen der „im Kampf der österreichischen Widerstandsbewegung Gefallenen, der im Hinterland durch Luftangriffe Getöteten, derer, die in den KZ sterben mußten“.29 Mit der Einbindung dieser Opfergruppen wollte der Landesarchivar verhindern, dass das Gedenkbuch in eine nationalsozialistische Traditionspflege eingebunden werden konnte. Eine Unterbringung des Gedenkbuches in der Gedächtnisstätte des Bergisels, „der ein ganz gewaltiges Stück Tiroler und damit österreichischer Geschichte beinhaltet“ und wo sich bereits das Ehrenbuch des Ersten Weltkrieges befand, lehnten die Vertreter des Stiftes Wilten und des Altkaiserjägerklubs, die das Kuratorium bildeten, 1949 ab: „Die Zeit von 1938–1945 kann nicht als Ruhmesblatt, das zur Verherrlichung unserer Geschichte beitragen soll, bezeichnet werden.“30 Zwei Jahre später kam das Gedenkbuch schließlich doch auf den Bergisel.

Heidemarie Uhl sieht in den Jahren 1949/50 eine Wende in der Gedenkkultur, ungefähr um diese Zeit entwickelten sich die Kriegerdenkmäler für die gefallenen und vermissten Soldaten allmählich als Norm kollektiven Erinnerns. Diese Entwicklung ist auch für Tirol festzustellen. Von einer Wende kann hierzulande jedoch nicht gesprochen werden, weil es keine konkurrierenden Gedenknarrative gab. In der Nachkriegszeit hatte sich in Tirol keine materialisierte Erinnerungskultur für den österreichischen Freiheitskampf mit einer nennenswerten Breitenwirksamkeit herausgebildet, nicht einmal auf parteipolitischer Ebene. Auch in den folgenden 30 Jahren zwischen 1950 und 1980 kam es nur zu einer geringen Anzahl von Denkmalerrichtungen im Zusammenhang mit Widerstand und Verfolgung im Nationalsozialismus. Die herausragendsten waren das Denkmal für den Widerstand und die NS-Opfer in Lienz 1965 und das Mahnmal für die Opfer des Arbeitserziehungslagers Innsbruck-Reichenau 1972. Neben den bereits erwähnten Gedenkzeichen (Tafel für Geistliche in Stams 1953, Skulptur für Schneider in St. Anton 1957, Ehrenmal für Pfarrer Geiger in Karrösten 1961) wurden bis Ende der 1970er Jahre mehrere Gedenkzeichen für Otto Neururer in Fließ und Götzens gesetzt, eine Grabtafel mit Relief für Pater Franz Reinisch in Innsbruck, ein Grabkreuz mit ausführlicher Inschrift für Pfarrer Siegfried Würl in Tösens, eine Straße in Hall für Walter Krajnc, einem Opfer der NSMilitärjustiz, Gedenktafeln für Geistliche in einer Kapelle in Vomp-Fiecht und Gedenksteine für jüdische Opfer im Waldfriedhof Seefeld.