Das Unternehmen Swarovski im Nationalsozialismus - Horst Schreiber - E-Book

Das Unternehmen Swarovski im Nationalsozialismus E-Book

Horst Schreiber

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Beschreibung

Die NS-Geschichte des Unternehmens Swarovski und ein tiefer Einblick in den Umgang mit ehemaligen Nationalsozialisten in der Nachkriegszeit. Das Unternehmen Swarovski förderte politische Organisationen, die einen Führerstaat zum Ziel hatten. Alfred Swarovski war Leiter der Gauwirtschaftskammer Tirol-Vorarlberg, Daniel Swarovski "Ehrenillegaler" der NSDAP, Friedrich Swarovski jun. ein Denunziant. Wilhelm, Manfred, Friedrich und Sohn sowie Daniel jun. traten bereits 1932/33 der Partei bei. Das Unternehmen überprüfte seine Belegschaft politisch ganz genau und führte in ihrer Personalkartei Buch, wer wann NSDAP-Mitglied wurde und in welcher Funktion. Das Militär finanzierte den Umbau der Firma zu einem profitablen Rüstungsbetrieb. Ihr Gesamtumsatz verdoppelte sich 1944 im Vergleich zu 1937. In der unmittelbaren Nachkriegszeit konnte das Unternehmen Schleifmittel, Optik und Rückstrahler in neue Betriebe auslagern: Die Swarovski-Gruppe entstand. Nach 1945 vertraten die Firmeninhaber die Ansicht, dass es für einen Unternehmer Pflicht war, im Interesse des Betriebs Mitglied der NSDAP zu sein und sich allen Machtverhältnissen anzupassen. Die Entnazifizierung der Familie Swarovski ist ein repräsentatives Beispiel für den nachsichtigen Umgang mit ehemaligen Nationalsozialisten aus der Wirtschaftselite, die über einflussreiche Netzwerke verfügten und für den Wiederaufbau unentbehrlich waren.

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Seitenzahl: 335

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Horst Schreiber

Das Unternehmen Swarovski im Nationalsozialismus

 

 

 

 

 

STUDIEN ZU GESCHICHTE UND POLITIK

Band 33

herausgegeben von Horst Schreiber

Michael-Gaismair-Gesellschaft

www.gaismair-gesellschaft.at

Inhalt

Einleitung

Zeitstrahl

Innovativer Unternehmergeist, politisch autoritäre Gesinnung: 1891–1938

Die „Glasschleiferei Wattens, A. Kosmann, D. Swarovski & Co“

Der Traum vom eigenen Unternehmen: Die „Glasfabrik D. Swarovski“

Diversifikation im Gefolge des Ersten Weltkriegs: Maschinenbau, Linsen- und Schleifmittelproduktion

Die Gründung der „D. Swarovski, Glasfabrik und Tyrolit-Schleifmittelwerke“

Das Verhältnis des Unternehmens zur Sozialdemokratie

Swarovskis Förderung antidemokratischer Vereine und Bewegungen

Von der Glasschmuckerzeugung zum Rüstungsbetrieb: 1938–1945

Die NS-Diktatur und die Swarovskis: Ein Bündnis zum gegenseitigen Nutzen

Ausschaltung der Konkurrenz – Devisen für die Aufrüstung

Von der Krise zum modernen Rüstungsbetrieb

Ausländische Arbeitskraft und Zwangsarbeit

Nur aufstiegsorientierte Geschäftsnazis? Die Swarovskis und ihre NSDAP-Mitgliedschaft

Die Entnazifizierung der Familie Swarovski

Daniel Swarovski sen.: Parteieintritt als „Akt der reinen Vernunft“

Wilhelm Swarovski: Die NSDAP nur am Rande beobachtet

Friedrich Swarovski: Politisch richtig gehandelt

Friedrich Swarovski jun.: Die Erinnerung verloren

Manfred Swarovski: Nie um die Partei gekümmert

Daniel Swarovski jun.: Parteigenosse wegen der „Neugeburt im Rahmen der deutschstämmigen Völker“

Alfred Swarovski: Nur die Pflicht erfüllt

Der Boom der Nachkriegszeit

Die gescheiterte Entnazifizierung der Belegschaft

Gewerkschaft und Unternehmen im Gleichklang der Interessen

Die Errichtung der Swarovski-Gruppe

Der Umgang mit der Geschichte

Huldigungen und Heiligenverehrung

Schuldabwehr

„… weil es dem Business nichts bringt.“

 

Anmerkungen

Quellen und Literatur

Orts- und Personenverzeichnis

Einleitung

Das Familienunternehmen Swarovski gehört zu den größten Industriebetrieben Tirols. Trotz der wirtschaftlichen Bedeutung sind wissenschaftliche Darstellungen seiner Geschichte rar. Die vorliegende Studie ist ohne Forschungsauftrag aus Eigeninitiative entstanden. Sie will die Lücke für die Zeit des Nationalsozialismus schließen. Die Zeit vor 1938 und von 1945 bis 1950 wird aus diesem Blickwinkel untersucht.

Das erste Kapitel schildert die Anfänge des Betriebs nach der Übersiedlung von Böhmen nach Wattens 1895. Die Unternehmensgründer der „Glasschleiferei Wattens, A. Kosmann, D. Swarovski & Co“ waren der aus Paris stammende Kaufmann und Finanzier Armand Kosmann sowie Daniel Swarovski und Franz Weis, Letztere untereinander familiär verbunden durch die Heirat mit der jeweiligen Schwester des anderen. Kosmann, Swarovski und Weis bauten ihr Fabriksgelände in Wattens bis zum Ersten Weltkrieg erheblich aus, erweiterten laufend den Maschinenpark und exportierten Schmucksteine ins Ausland, vor allem in die USA. Daniel Swarovski erfüllte sich 1910 den Traum vom eigenen Unternehmen: Er gründete die „Glasfabrik D. Swarovski“, in der er eine eigene Glaserzeugung für die Produkte des Schleifereibetriebs aufzog. Dort fanden seine Söhne Wilhelm, Friedrich und Alfred ein weit gestecktes Betätigungsfeld.

Das zweite Kapitel setzt sich mit der Entwicklung des Unternehmens vom Ersten Weltkrieg bis zur NS-Machtübernahme auseinander. Es zeigt, wie die Firma nach einer kurzfristigen Betriebsschließung mit Unterstützung der k. u. k. Armee und verbunden mit eigener Innovationsfähigkeit seine Produktion auf die Bedürfnisse der Rüstungsindustrie umstellte. Das Unternehmen konnte sich diversifizieren, es stellte in großem Umfang technische Schleifmittel, Linsen für militärische Zielinstrumente und Munitionsbestandteile her. Der Maschinenbau blühte auf. 1919 gründete Daniel Swarovski die „Tyrolit-Schleifmittelwerke D. Swarovski, Wattens“ und nahm die Glasschmuckerzeugung wieder auf. 1923 schlossen er und seine Söhne die Glasfabrik und die Firma Tyrolit zum Unternehmen „D. Swarovski, Glasfabrik und Tyrolit-Schleifmittelwerke“ in Wattens zusammen. Dort richtete Wilhelm Swarovski eine eigene kleine Abteilung für Optik ein. Da seine Söhne nach und nach die Betriebsleitung übernahmen, konnte sich Daniel Swarovski auf die Produktentwicklung konzentrieren. Mit Rückstrahlern und dem Patentband schuf er zwei Erfindungen, die sich noch bezahlt machen sollten. 1934 starb Armand Kosmann, der wesentlichen Anteil am Erfolg Swarovskis hatte. Im Folgejahr wurde die „Glassteinschleiferei Wattens, A. Kosmann, D. Swarovski & Co.“ ins Familienunternehmen „D. Swarovski, Glasfabrik und Tyrolit-Schleifmittelwerke“ als Werk II eingegliedert. Daniel Swarovski und seine Söhne hatten von nun an das unumschränkte Sagen im Gesamtbetrieb. Das Kapitel behandelt weiters die politischen Auseinandersetzungen in der Firma im Gefolge der Weltwirtschaftskrise, speziell mit der Sozialdemokratie. Es räumt auf mit der Legende der „unpolitischen“ Familie Swarovski. Schon vor dem Ersten Weltkrieg bestimmte Daniel Swarovski wesentlich die Geschicke der Wattener Gemeindepolitik, nicht nur als Unternehmer, auch als Gemeinderat, Baureferent und Vizebürgermeister. In der Ersten Republik war er weiterhin im Gemeinderat vertreten und sein Kompagnon Vizebürgermeister. Ein Mitglied der Wahlliste Daniel Swarovski wurde 1931 Bürgermeister. Während der Diktatur des „Ständestaates“ blieb er zweiter Vizebürgermeister, im Nationalsozialismus Beirat. Sein Angestellter Josef Gager war sieben Jahre lang hindurch NS-Bürgermeister und Ortsgruppenleiter von Wattens. Die Söhne Daniel Swarovskis, allen voran Alfred, der zum Oberhaupt der Familie aufstieg, verschärften die Arbeitsbedingungen im Betrieb und standen der Arbeiterbewegung ablehnend gegenüber. Wilhelm, Friedrich und Alfred hielten Distanz zur Demokratie und forcierten Organisationen, die einen Führerstaat zum Ziel hatten: Heimatwehr und Frontkämpfervereinigung auf der einen Seite, NSDAP und SA auf der anderen Seite. Im Tiroler Landesverband des Bundes österreichischer Industrieller, der einen Anschluss an Deutschland und die Abschaffung der Demokratie verfolgte, nahm Alfred Swarovski eine Spitzenposition ein – trotz der Bedenken des Regierungskommissärs für die Privatwirtschaft von Tirol und Vorarlberg, Swarovski sei „nicht vaterländisch gesinnt“, er und seine Belegschaft würden eher dem Nationalsozialismus zuneigen.

Das Unternehmen Swarovski in der NS-Zeit sowie die Entnazifizierung der Familienmitglieder nach 1945 bilden den Hauptteil des Buches. Die Swarovskis standen bei Gauleiter Franz Hofer hoch im Kurs. 1938 übernahm Alfred Swarovski unter Karl Innerebner die Führung der neu gegründeten Gauwirtschaftskammer Tirol, 1939 wurde er Vizepräsident der Wirtschaftskammer Alpenland, die Tirol, Vorarlberg und Salzburg umfasste, und am 1. Oktober 1943 Leiter der Gauwirtschaftskammer Tirol-Vorarlberg. Daniel Swarovski, seine Söhne und Enkel hatten alle Parteimitgliedsnummern, die sie als illegale Nationalsozialisten auswiesen. Daniel und Alfred Swarovski waren als Chefs des Unternehmens mit ziemlicher Sicherheit nicht vor 1938 in die Partei eingetreten, hatten aber die nationalsozialistischen Umtriebe im Betrieb und unter den Familienmitgliedern ermöglicht, ihnen jedenfalls nicht Einhalt geboten. Auch nicht im Februar 1938, als Familienangehörige, Belegschaft und die firmeneigene Musikkapelle offen in einer Kundgebung für den Nationalsozialismus und somit den „Anschluss“ Österreichs an Deutschland demonstrierten. Sie galten in den Augen des NS-Regimes als linientreue Unternehmer, die während der „Verbotszeit“ der Partei eine positive Haltung gegenüber den Nationalsozialisten in der Firma eingenommen hatten. Ihnen die illegale Parteimitgliedschaft zu bestätigen, war Anerkennung dieser Verdienste und lag aufgrund ihrer Prominenz auch im Interesse der NSDAP. Daniel Swarovski kann als „Ehren-Illegaler“ eingestuft werden. Wilhelm, Friedrich sen. und jun. sowie Daniel jun. und Manfred Swarovski traten bereits 1932/33 in die Partei ein. Mit diesem gerade für Unternehmer ungewöhnlich frühen Beitritt demonstrierten sie offenkundig ihre ideologische Überzeugung. Einen besonderen Fall stellt Daniel Swarovski jun. dar, der 1944 wieder aus der NSDAP austrat. Auf die Ursachen und Motive des deutschtümelnden Anhängers der Gralslehre wird ausführlich eingegangen.

Im Detail schildert das Kapitel über das Unternehmen in der NS-Zeit die anfänglichen wirtschaftlichen Anpassungsschwierigkeiten nach Kriegsausbruch und die Umgestaltung in einen florierenden Rüstungsbetrieb mit rund 350 neu angeschafften Maschinen, Pressen, Öfen, Einrichtungen etc. Das Militär kam beim Umbau des Unternehmens zu einem Rüstungsbetrieb für alle Investitionen auf: für Forschung und Entwicklung, die Einführung neuer Techniken, die Einrichtung eines modernen Maschinenparks und die Diversifikation der Produktion.

Der Export von Glasschmucksteinen lief nach Kriegsausbruch weiter, wenn auch mit deutlich abnehmendem Umsatz. Erst im totalen Krieg ab 1943 brach er völlig ein. Das Unternehmen baute den Bereich der Schleifmittel in großem Stil aus, trieb die Herstellung von Zündern und Sprengkapseln sowie Reflektoren für maritime Wegweiser an Bojen, Panzerabwehrkanonen, Flugzeugen etc. voran und produzierte Lehren für den Maschinen- und Anlagebau. Darüber hinaus stieg es in die Großproduktion optischer Instrumente ein, besonders in die Fertigung von Doppelfernrohren. Fehlendes Know-how glich eine Kooperation mit dem führenden Betrieb der optischen Industrie Deutschlands aus, der Firma Zeiss in Jena. Die Umsätze im Bereich der Optik erreichten schon 1943 das Vorkriegsniveau der Glasschmuckerzeugung. Der Gesamtumsatz des Unternehmens verdoppelte sich 1944 im Vergleich zu 1937.

Aufgrund der erbrachten Leistungen ernannte das Oberkommando der Wehrmacht den Technischen Leiter des Betriebes, Friedrich Swarovski, zum Ehren-führer der Wehrwirtschaft. Die Quellen zum Einsatz ausländischer Arbeitskräfte sind spärlich und erlauben nur schlaglichtartig Einblick. Die Firma hatte ein eigenes Lager für seine ausländischen Zivil- und Zwangsarbeitskräfte, einen Behelfsbau für „dienstverpflichtete Einheimische“ („Kriegshilfsmaiden“) und nördlich der Fabrik am Inn zwei Baracken zur Unterbringung von „Fremdarbeitern“ und eine Wirtschaftsbaracke. Zur Untertageverlagerung der Kriegsproduktion erhielt Swarovski im November 1944 83 Häftlinge des Strafgefangenenlagers Bernau am Chiemsee. Aussagekräftige Zahlen liegen lediglich für das Jahr 1944 vor. Gemäß den firmeninternen Angaben machte das Ausmaß der ausländischen Beschäftigung bei Swarovski im Jahr 1944 je nach Monat zwischen 13 % und 18 % der Belegschaft aus. Das waren im Schnitt 165 ausländische Arbeitskräfte, 124 von ihnen stufte das Unternehmen als Zwangsarbeitskräfte ein. Trotz der bruchstückhaften Überlieferung bestätigt sich, dass hunderte männliche und weibliche Zwangsarbeiter sowie mehr oder weniger freiwillig angeworbene zivile ausländische Arbeitskräfte im Krieg für das Unternehmen tätig waren. Ihre Leistungen trugen wesentlich bei zu den gewaltigen Umsatzsteigerungen des Unternehmens im Bereich der Schleifmittel und Optik. Der Anteil ausländischer Arbeitskräfte lag in ähnlich großen Rüstungsunternehmen in Tirol deutlich höher. Vermutlich waren für sie die Arbeits- und Lebensbedingungen trotz hoher Belastung bei Swarovski weniger repressiv als in vergleichbaren Betrieben, weil die Zahl der Arbeitskräfte aus Polen und Osteuropa, die am Ende der NS-Rassenhierarchie standen, gering war.

Das Kapitel zur Entnazifizierung der Familie Swarovski zeigt ein repräsentatives Beispiel für den nachsichtigen Umgang mit ehemaligen Nationalsozialisten aus der Wirtschaftselite, die nicht nur über einflussreiche Netzwerke verfügten, sondern deren Unternehmen in der Zeit des Wiederaufbaus unentbehrlich waren. Der Betrieb wurde für einige Zeit unter öffentliche Aufsicht gestellt, doch selbst in dieser Phase setzte Alfred Swarovski seine Tätigkeit, wenn auch mit Einschränkungen, fort. Eingehend werden die Argumentationsmuster der einzelnen Familienangehörigen analysiert, die allesamt behaupteten, zwar die Parteimitgliedschaft besessen zu haben, aber keine Nationalsozialisten gewesen zu sein. Die meisten Swarovskis waren seit Anfang der 1930er Jahre überzeugte Nationalsozialisten, antidemokratisch eingestellt befürworteten sie einen Führerstaat. Es war keineswegs notwendig, Parteimitglied zu sein, um den Bestand eines bedeutenden Unternehmens, wie Swarovski eines war, zu sichern. Wo immer die Politik der Nationalsozialisten sich vorteilhaft für die betriebliche Effizienz und den Mehrwert des Unternehmens auswirkte, waren die Swarovskis zur Stelle und brachten sich ein. Sie wollten vom NS-Regime profitieren und nutzten jede Gelegenheit dazu, ohne dies zu hinterfragen. Auch nicht nach 1945. An dieser Stelle soll die Rechtfertigung von Alfred Swarovski hervorgehoben werden, der ein nüchterneres Kosten-Nutzen-Verhältnis zum Nationalsozialismus hatte als andere Familienangehörige und in der NS-Zeit kein Denunziant war wie Friedrich Swarovski jun. Er betonte nicht nur, dass man als Unternehmer notwendigerweise Parteimitglied sein musste, um seinen Betrieb vor Schaden zu bewahren. Er unterstrich, dass Firmenchefs im Interesse von Firma, Belegschaft und des Staatsganzen die Pflicht hatten, in die Partei einzutreten, und dass es ihre Pflicht war und ist, sich mit jeder Regierung und jedem politischen System zu arrangieren. Alfred Swarovski stellte sich darüber hinaus als Widerstandskämpfer der letzten Stunde dar. Die vorliegende Publikation entlarvt diese Schutzbehauptung als Mythos.

Entgegen allen Beteuerungen der Familienmitglieder, ein „unpolitisches“ Unternehmen geleitet zu haben, das sich für die politische Einstellung seines Personals nie interessiert hat, führte das Unternehmen in seiner Personalkartei genauestens Buch über die Zugehörigkeit seiner Arbeitskräfte zur NSDAP, über Beitrittsdatum, Mitgliedsnummer, Funktion, Dienstgrad usw. Eine so weitgehende politische Überprüfung einer Belegschaft ist bis jetzt von keiner anderen Tiroler Firma bekannt.

Das vierte Kapitel beschreibt die gescheiterte Entnazifizierung des Personals des Unternehmens Swarovski und dessen rasanten Aufstieg nach 1945. Bereits in der NS-Zeit hatte Swarovski Glasschmucksteine auf Vorrat produziert und für Friedenszeiten Maschinen samt notwendiger Rohstoffe zur Seite geschafft. Deshalb war die Firma unmittelbar nach dem Krieg rasch wieder in der Lage, ihr Kerngeschäft aufzunehmen. Nach der Beseitigung des Nationalsozialismus konsolidierte sich die Firma rasch und erlebte einen enormen Aufschwung. Auslagerungen und Betriebsneugründungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit waren die Folge: Die Swarovski-Gruppe entstand.

Die Firma war in der wirtschaftlichen Not der Nachkriegszeit einer der wichtigsten Devisenbringer für Österreich. Es gab nicht wirklich ernsthafte Versuche, Swarovski zu verstaatlichen. Um jeder Gefahr in dieser Richtung vorzubeugen, erhielten das Unternehmen und seine Familienangehörigen große Unterstützung vom Land Tirol und vom Bund, ganz besonders von Seiten der ÖVP. Doch auch die SPÖ und die Gewerkschaft versagten den Swarovskis und speziell der Belegschaft nicht ihre Hilfe. Die öffentliche Hand, die Unternehmerfamilie Swarovski sowie die Interessensvertretung der Arbeiterschaft und der Angestellten setzten alle Hebel in Bewegung, dass die dringend benötigten Arbeitskräfte in der Firma weiterbeschäftigt oder bald wieder eingestellt werden konnten, selbst wenn sie belastete Nationalsozialisten waren. Nicht nur aus diesem Grund entwickelte sich zwischen Gewerkschaft und Arbeiterkammer einerseits und dem Unternehmen Swarovski andererseits ein gutes Verhältnis – auch wenn es weiterhin die rechtliche Mitbestimmung der Arbeiterschaft ablehnte und den Einfluss der Sozialdemokratie im Betrieb bekämpfte. Das Unternehmen engagierte sich insgeheim im Kampf gegen den Kommunismus. Dies brachte ihm die Anerkennung des Schweizer Staatsschutzes ein, der an einer Zusammenarbeit mit Swarovski interessiert war und deshalb das Ansuchen von Alfred Swarovski um die liechtensteinische Staatsbürgerschaft für sich, seine Frau und seine Eltern unterstützte.

Die Interessensvertretung erkannte an, dass Swarovski zahlreiche Sozialleistungen und Zuschüsse für seine Arbeitskräfte einführte. Zudem war das Unternehmen treibender Motor für die Errichtung von Wohnraum und streckte Belegschaftsangehörigen fehlende Eigenmittel vor. Der finanzielle Aufwand war für den Betrieb überschaubar, er musste in der Regel nur den Zinsverlust für die gewährten Darlehen tragen. Die genannten Maßnahmen banden die Belegschaft an das Unternehmen, steigerten deren Produktivität und konnten bei Bedarf jederzeit wieder rückgängig gemacht werden.

Das Buch schließt mit dem Kapitel über den Umgang der Firma mit ihrer Geschichte. Jahrzehntelang sahen die Swarovskis keine Veranlassung, sich mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen, außer es ging um die Vermarktung genialen Unternehmergeistes. Spitzenrepräsentanten von Land Tirol und der Republik Österreich schlossen nahtlos an die Huldigungen der Familienmitglieder während der Zwischenkriegszeit an. Universität Innsbruck, Stadt Schwaz, Gemeinde Wattens und der ORF Tirol taten es ihnen gleich. Geradezu Heiligenstatus erhielten Unternehmen und Firmengründer zur Hundertjahrfeier 1995, als André Heller die „Kristallwelten“ eröffnete. Die NS-Zeit wurde bei all diesen Inszenierungen ausgespart. Die erste kritische Veröffentlichung über die Rolle der Swarovskis im Nationalsozialismus von Horst Schreiber blieb 1994 ohne Reaktion, auch in den Medien. Der Internetauftritt der Firma präsentiert lediglich die Gründungs- und Erfolgsgeschichte. 2011 beauftragte Markus Langes-Swarovski den Wirtschaftshistoriker Dieter Stiefel, eine Studie zur Firmengeschichte vor-zulegen, dies tat er mit gleich zwei Publikationen. Der Standard berichtete 2018: „Swarovski lässt die eigene NS-Geschichte aufarbeiten – und die Ergebnisse zweimal verschwinden.“

2018 durfte Stiefel einen englischsprachigen Aufsatz über das Unternehmen in der NS-Zeit publizieren. 2024 ersuchte Horst Schreiber die Firmenleitung um Einsicht in die Quellen, die Stiefel verwendet hatte. Knapp ein Dreivierteljahr später erhielt er die Genehmigung. In der Zwischenzeit bereitete das Unternehmen die Veröffentlichung eines Buches von Stiefel über die Firma Swarovski vor. Nun liegen zwei divergente Darstellungen der Unternehmensgeschichte am Tisch, die Wissenschaft und interessierte Öffentlichkeit zur Diskussion einladen.

Innsbruck, April 2025

Horst Schreiber

ERINNERN:AT /Wissenschaftsbüro Innsbruck /Michael-Gaismair-Gesellschaft

Zeitstrahl

24.10.1862

Geburt von Daniel Swarovski in Böhmen

1883

Übersiedlung der Familie Swarovski nach Wiesenthal, Zusammenarbeit mit der Familie Eduard Weis

1886

Einmietung der Firma Eduard Weis und Co. in einer Fabrik in Johannesthal. Die Familien Swarovski und Weis produzieren mit 70 Arbeitskräften Hutnadeln und Broschen.

8.10.1887

Verehelichung von Daniel Swarovski und Eduard Weis mit der jeweiligen Schwester des anderen

1889

Die Krise der Firma zwingt Daniel Swarovski zu einer unselbstständigen Tätigkeit in Gablonz.

1891

Daniel Swarovski, Franz Weis und Armand Kosmann gründen die „Steinschleiferei A. Kosmann“ in Johannesthal und patentieren eine automatische Präzisionsschleifmaschine.

Okt. 1895

Übersiedlung des Betriebs von Böhmen nach Wattens

1900

100 Beschäftigte

Nov. 1901

Eintrag der offenen Handelsgesellschaft Glasschleiferei „A. Kosmann“ Wattens ins Handelsregister

Mai 1904

Löschung der alten Gesellschaft und Neueintragung der „Glasschleiferei Wattens, A. Kosmann, D. Swarovski & Co“ als Kommanditgesellschaft

1907

600 bis 700 Beschäftigte

1908

Daniel Swarovski wird Vizebürgermeister und Baureferent von Wattens.

1910 / Feb. 1915

Errichtung und Eintragung der „Glasfabrik D. Swarovski“ Wattens ins Handelsregister

1914

800 Beschäftigte, Kriegsausbruch und Absatzkrise

1915

Kurzfristige Betriebsschließung

Nov. 1915

Eintrag der „D. Swarovski, Maschinenfabrik, Wattens“ zur Erzeugung von Kriegsmaterial ins Handelsregister

1914–1918

Ernennung zum Rüstungsbetrieb, Umstellung auf die Produktion von Schleifmitteln, Munitionsbestandteilen, Maschinen und Linsen für militärische Zielinstrumente

1919

Gründung der „Tyrolit-Schleifmittelwerke D. Swarovski, Wattens“

1923

Zusammenschluss zur „D. Swarovski, Glasfabrik und Tyrolit-Schleifmittelwerke“ Wattens

1925

Erste Versuche von Daniel Swarovski zur Herstellung von Rückstrahlern

1926

500 Beschäftigte

1930

600 Beschäftigte

1931

Daniel Swarovski erfindet das Patentband.

1931/32

Massiver Personalabbau in der Weltwirtschaftskrise

1932/33

Eintritt von Wilhelm, Friedrich sen. und jun. sowie Daniel jun. und Manfred Swarovski in die NSDAP

1934

Errichtung einer kleinen Optik-Abteilung in den „D. Swarovski, Glasfabrik und Tyrolit-Schleifmittelwerken“

Nov. 1934

Tod von Armand Kosmann

1935

Eingliederung der „Glassteinschleiferei Wattens, A. Kosmann, D. Swarovski & Co.“ ins Familienunternehmen „D. Swarovski, Glasfabrik und Tyrolit-Schleifmittelwerke“ als Werk II

 

600 Beschäftigte

1937

Löschung des Geschäftsanteils von Armand Kosmann und Eintragung seines Neffen Jean Crailsheimer, der ebenso wie er jüdischer Herkunft war. Crailsheimers Anteil am Unternehmen Swarovski bleibt dank der guten Beziehungen der Swarovskis zu Gauleiter Franz Hofer während der gesamten NS-Zeit bestehen und wird nicht „arisiert“. Die Unternehmerfamilie hält ihrem Mitgründer Armand Kosmann die Treue.

Feb. 1938

Fackelzug von 500 „Nationalen“ mit „Heil Hitler!“- und „Sieg Heil“-Rufen in Wattens. Unter ihnen Wilhelm und Friedrich Swarovski und die Swarovski-Fabrikmusik.

1938

Alfred Swarovski neuer Präsident des Tiroler Industriellenverbandes und Stellvertreter von Karl Innerebner in der Gauwirtschaftskammer Tirol. Beitritt von Daniel und Alfred Swarovski in die NSDAP. Sie erhalten Mitgliedsnummern aus dem Block der „illegalen“ Nationalsozialisten.

1939

Alfred Swarovski Vizepräsident der Wirtschaftskammer Alpenland (Tirol, Vorarlberg, Salzburg)

 

Knapp 1.100 Beschäftigte

1940

Alfred Swarovski Obmann der Bezirksgruppe Ostmark der Wirtschaftsgruppe Glasindustrie

 

850 Beschäftigte; Krisenjahr des Unternehmens

1940–1945

Ernennung zum Wehrmachtsbetrieb: Modernisierung des Maschinenparks, Ausbau der Schleifmittelproduktion, Herstellung von Zündern und Sprengkapseln sowie Reflektoren für Heer, Marine und Luftwaffe, Erzeugung von Lehren für den Maschinen- und Anlagebau, Großproduktion optischer Instrumente; Export von Glasschmucksteinen in die USA, heimliche Produktion von Schmucksteinen auf Vorrat für die Nachkriegszeit; Verdoppelung des Gesamtumsatzes im Vergleich zu 1937

 

Beschäftigung von Zwangsarbeitskräften, zivilen ausländischen Arbeitskräften, einheimischen „Kriegshilfsmaiden“ und Strafgefangenen

1943

Alfred Swarovski Leiter der Gauwirtschaftskammer Tirol-Vorarlberg

1944

Auszeichnung als „Musterkriegsbetrieb“

 

Austritt von Daniel Swarovski jun. aus der NSDAP

 

1.200 Beschäftigte

1945

1.000 Beschäftigte

1945/46

Treuhandverwaltung des Unternehmens

1945–1948/49

Die Swarovskis überstehen unbeschadet die Entnazifizierung.

1946–1948

Kontinuierliche jährl. Zunahme von 1.300 auf 1.600 Beschäftigte

1948–1950

Errichtung der Swarovski-Gruppe

1948

Gründung der Swarovski-Optik GmbH Absam

1949

Gründung der Tyrolit-Schleifmittelwerke GmbH Schwaz

1950

Gründung der Swareflex GmbH Vomp

 

1.850 Beschäftigte

Innovativer Unternehmergeist, politisch autoritäre Gesinnung: 1891–1938

Daniel Swarovski, geboren am 24. Oktober 1862 in der überwiegend von Deutschböhmen besiedelten Ortschaft Georgenthal (Jiřetín pod Bukovou)1 nahe Gablonz an der Neiße (Jablonec nad Nisou) im heutigen Tschechien, beherrschte das Handwerk der Glasschleiferei. Er war in einem Zentrum der Glasschleifmanufakturen aufgewachsen, hatte den Beruf eines Gürtlers erlernt, war ein vielseitig ausgebildeter Metallhandwerker und übte sich auch im Beruf des Werkzeugmachers. Als Kind konnte er in der Werkstätte seiner Eltern die Arbeitsprozesse bei der Herstellung von Schmuck- und Glassteinen beobachten, als Erwachsener arbeitete er in der kleinen Glasschleiferei von Mutter und Vater.2

In Paris und Wien sammelte Daniel Swarovski berufliche Erfahrungen und lernte technische Neuerungen kennen, vor allem die Möglichkeiten von Strom als Antriebskraft für den Maschinenbetrieb.3 Früh beschäftigte er sich mit der Galvanisierung, der Nutzung von Strom, um Materialien mit Metall zu beschichten. 1883 übersiedelte er mit seiner Familie nach Böhmisch Wiesenthal (Český Wiesenthal). Dort arbeiteten die Swarovskis mit Eduard Weis und dessen Familie zusammen und lieferten genieteten Glasschmuck an Gablonzer Exporteure. Nach erfolgreichen Versuchen mit Glasdünnschliff machten sich Weis und Swarovski selbstständig. Die Herstellung genieteten Glasschmucks war nun veraltet, dafür war die Nachfrage nach Glasdünnschliffartikeln überwältigend. Die Firma Eduard Weis und Co. exportierte ohne Umwege direkt nach Paris. 1886 mietete sie eine kleine Fabrik im Dörfchen Johannesthal (Janov) bei Reichenberg (Liberec).4 Das Verfahren „zur Herstellung dünnwandiger durchbrochener Glaszierate“ wurde 1887 auf Eduard Weis, Graveur in Wiesenthal, patentiert, 1889 auf Daniel Swarovski in Gablonz.5

Am 8. Oktober 1887 heiratete Daniel Swarovski Marie, die Tochter von Eduard Weis,6 dessen Sohn Franz ehelichte Swarovskis Schwester Anna. Diese Form der beruflichen und privaten Verflechtungen wurde auch in der Enkelgeneration gepflegt. Zwischen 1888 und 1891 kamen die Söhne des Ehepaares Swarovski fast im Jahrestakt zur Welt: Wilhelm, Friedrich und Alfred. Gemeinsam erzeugten die Familien Swarovski und Weis mit rund 70 Arbeitskräften Hutnadeln und Broschen. Dann die jähe Unterbrechung des wirtschaftlichen Aufstiegs: Der Absatz stockte, die Produkte der Firma gerieten außer Mode und die Familien traf mit dem Tod von Eduard Weis ein schwerer Schlag. Daniel Swarovski sah sich gezwungen, 1889 eine Stellung als technischer Berater in der Firma Gustav Strauß & Co. anzunehmen, einem der größten Exporthäuser von Gablonz. Seine Schwäger Robert, Emil und Franz Weis arbeiteten im nunmehr stark verkleinerten Betrieb zu zehnt weiter.7 Darüber hinaus musste Swarovski sein Patent für das Verfahren „zur Herstellung von durchbrochenen Glasverzierungen“ 1890 vollständig der Firma Gustav Strauß & Co. übertragen.8

1891 kehrte Swarovski mit seiner Familie von Gablonz zurück nach Johannesthal. Mit Franz Weis als stillem Teilhaber und seinem Pariser Kunden und Gablonzer Exporteur, dem Modefabrikanten Armand Kosmann, als Kapitalgeber gründete Daniel Swarovski einen Betrieb der Steinschleiferei, der auf den Namen A. Kosmann eingetragen wurde. Kosmann war der kaufmännische Leiter, Swarovski der technische, mit seinem Schwager an der Seite.9 Die Brüder Kosmann hatten im jüdischen Viertel Marais, Boulevard (Rue) du Temple, ein Warengeschäft, zeitweilig eine Niederlassung in London.10 Kosmann war 1888 mit einer Firma in Reichenberg eingetragen als „A. Kosmann, Kaufmann in Gablonz“, am 15. Dezember 1895 wurde sie von „‚A. Kosmann‘, Kaufmannsgeschäft, früher in Gablonz, dermal in Johannesthal“, gelöscht.11

Daniel Swarovski und Franz Weis entwickelten einen mechanischen Apparat zum Schleifen von Glas, Edelsteinen und Perlen. 1891 patentierten sie in Prag die automatische Präzisionsschleifmaschine. Armand Kosmann besaß den Hälfte-Anteil, je ein Viertel hielten Swarovski und Weis.12 Mit dem neuen Schleifapparat konnten Glaskristallsteine in Brillantschliff maschinell in einer Qualität hergestellt werden, die der handverarbeitenden Konkurrenz in nichts nachstand. Die Massenproduktion machte sie jedoch deutlich kostengünstiger. Die Güte und der Preis der mechanisch geschliffenen Schmucksteine waren unschlagbar, die Nachfrage enorm und der Betrieb zu klein, um den Bedarf zu decken und die Aufträge abarbeiten zu können. Der Ausweg war, das Unternehmen weit entfernt vom bisherigen Standort fortzuführen.

Die „Glasschleiferei Wattens, A. Kosmann, D. Swarovski & Co“

Um ihren technologischen Vorsprung zu behaupten und die bis dahin in Handarbeit ausgeübte Bearbeitung von Glas in großem Stil maschinell betreiben zu können, transferierten die Familien Swarovski und Weis die Glasschleiferei „A. Kosmann“ am 2. Oktober 1895 mit wenigen Mitarbeitern13 ins Oberdorf nach Wattens. Die Unternehmensgründer waren der Finanzier Armand Kosmann sowie Daniel Swarovski und Franz Weis, untereinander familiär verbunden durch die Heirat mit der jeweiligen Schwester des anderen.

In dem kleinen Bauerndorf musste die Firma keine Industriespionage befürchten. Die für die Produktion notwendige Wasserkraft war reichlich vorhanden, die Bahnanbindung günstig und mit der aufgelassenen Lodenfabrik der Firma Rhomberg stand ein geeignetes Areal zur Verfügung, auf dem sich die Firma in Pacht niederlassen konnte. Die beiden Unternehmer kamen mit lediglich zwei Maschinen in Wattens an. Swarovski machte sich daher sofort ans Werk, entwarf die Teile für drei weitere Maschinen und beauftragte die Innsbrucker Firma Oberhammer mit der Ausführung.14

Die Geschäfte liefen gut, ein wirtschaftlicher Einbruch konnte rasch überwunden werden. Der Überbeanspruchung von Mensch und Maschine begegnete Swarovski mit der Neukonstruktion von Maschinenteilen und intensiveren Schulungen des Bedienungspersonals. Er verbesserte die traditionellen Schleifmaschinen und konstruierte einige Apparate, welche die Arbeitsvorgänge des Schleifens und Polierens rationalisierten. Mit diesen Innovationen und der Erfindung des ersten Kurbelapparates konnten Steine in hoher Qualität und in jeder Größe erzeugt werden. Die „Tiroler Ware“ wurde zum Begriff, die Nachfrage schnellte in die Höhe und der Kredit, den Kosmann aufgenommen hatte, konnte zurückgezahlt werden.15

Am 25. November 1901 wurde die Glasschleiferei „A. Kosmann“ Wattens ins Handelsregister des Landesgerichts Innsbruck eingetragen.16 Am 25. Mai 1904 wurde sie gelöscht und an deren Stelle die „Glasschleiferei Wattens, A. Kosmann, D. Swarovski & Co“ im Register als Kommanditgesellschaft vermerkt. Swarovski und Kosmann waren unbeschränkt haftende Gesellschafter, Franz Weis hatte als Kommanditist weit weniger Befugnisse.17 1907 eröffnete Kosmann wieder eine Firma in der Rue du Temple in Paris. Er trat als alleiniger Handelsbevollmächtigter der Firma Kosmann, Swarovski & Co auf. Ihr Markenzeichen, für das sich Daniel Swarovski entschieden hatte, war das Edelweiß.18

1896 hatte das Unternehmen in Wattens 30 männliche und weibliche Arbeiter und eine unbekannte Zahl Angestellter,19 im Jahr 1900 waren es bereits 100 Beschäftigte. Die Firma erwarb im selben Jahr nach Auslaufen des Pachtvertrages die Fabrikanlagen und die dazugehörigen Wasserrechte.20 1905 arbeiteten 220 Männer und Frauen im Betrieb,21 1907 600 bis 700 Menschen.22 In diesem Jahr erstand die Firma ein neues Fabriksgelände und das Wasserkraftwerk Außerachen im Wattental, für die Familie baute Swarovski eine standesgemäße Villa.23

Nach der Ankunft von Swarovski, Weis und Kosmann erhöhte sich die Bevölkerungszahl von Wattens zwischen 1890 und 1910 um das Zweieinhalbfache.24 Der hohe Arbeitskräftebedarf des Unternehmens führte in Wattens und Umgebung zu einem enormen Wohnungsmangel und einem außergewöhnlichen Anstieg der Mieten. Die sozialdemokratische Volkszeitung griff die „Hausherren“ im Juni 1906 scharf an:

„Für das allerschlechteste Loch lassen sie sich Preise bezahlen, die fast an eine Großstadt erinnern. Die Arbeiter sind gezwungen, die Wohnungen um jeden Preis zu nehmen, da sie froh sein müssen, überhaupt eine solche zu erhalten. Dasselbe gilt auch für die Lebensmittel aller Art. Die überfrommen Geschäftsleute wollen bezüglich unverschämter Forderungen in keiner Weise den Hausbesitzern nachstehen, um auf jede Weise dem Arbeiter die letzten Heller aus der Tasche zu ziehen. (…) Zwar sollen von Seite der Firmen Kosmann und Swarovski und Comp. bis zum Herbst ein paar Arbeiterhäuser fertig werden, doch dürfte diesem anerkennenswerten Bemühen Einzelner kaum jene Bedeutung zugemessen werden, um eine Sanierung der miserablen Wohnungsverhältnisse zu erwarten.“25

Kritik von links war in Wattens unerwünscht. 1901 intervenierte der Pfarrer von Wattens erfolgreich gegen einen Sozialdemokraten, der „beim Fabrikanten Weis“ in Stellung war „und ein ganz fanatischer Sozi“: „Auf mein inständiges mündliches und schriftliches Ansuchen bei der Fabriksleitung wurde ihm der Dienst gekündigt und der gefährliche Mensch aus der Gemeinde entfernt.“26

Der Traum vom eigenen Unternehmen: Die „Glasfabrik D. Swarovski“

„Die damalige Steuerpolitik des Staates war sehr vernünftig, so daß der überwiegende Teil des Gewinnes zu unserer eigenen Verfügung stand“, kommentierte Daniel Swarovski rückblickend den raschen Ausbau des Unternehmens.27 Die Geschäfte liefen ausgezeichnet, der Betrieb exportierte in die USA, nach Frankreich, England und Deutschland. Der steigende Bedarf an Schmucksteinen erforderte eine stetige Erweiterung des Maschinenparks. 1907 oder 1908 begann Swarovski, in einem Nebengebäude seiner Villa mit der Erzeugung von Rohglas zu experimentieren. Er wollte nicht mehr länger nur Steine maschinell bearbeiten, sondern eine eigene Glasproduktion hochziehen. Er kaufte ein zehn Joch großes Feld im Wattener Ortsteil Au, um darauf ein „Chemisch-keramisches-technisches Versuchs-Laboratorium“ mit 33 Metern Länge und 25 Metern Breite zu bauen.28 Unter dem Namen „Glasfabrik D. Swarovski“ errichtete er in dieser größenmäßig noch bescheidenen Produktionsstätte 1910 ein eigenes Unternehmen, die erste Eintragung ins Handelsregister erfolgte am 26. Februar 1915.29 Daniel Swarovski wollte das Rohglas für die Glasschleiferei, das er bisher aus Gablonz bezogen hatte, selbst herstellen. 1911 erwarb er in Wattens das Seegeranwesen der Geschwister Atzler und errichtete am rechten Innufer ein neues Schotter-Quetschwerk.30 Im Oktober 1911 war im Boten für Tirol und Vorarlberg zu lesen:

„Aus Wattens schreibt man uns: Die Glasfabrik des Herrn Swarovski in Wattens wird wiederum durch einen großen Zubau vergrößert, an welchem über 100 Arbeiter arbeiten. Der Bau soll binnen 4 Wochen unter Dach gebracht werden. In der Glasfabrik sind über 700 Personen beschäftigt und gut bezahlt.“31

Im Herbst 1913 erhielt die Glasschleiferei ein neues Personalhaus und die Swarovskis schritten zum Neubau einer Fabrik.32 Nach nur zwei Jahren des Experimentierens war die „Glasfabrik D. Swarovski“ bereits im Vorkriegsjahr in der neu errichteten Glashütte imstande, das eigene Glas für die Produkte der Schleiferei „A. Kosmann, D. Swarovski & Co.“ herzustellen. Und dies in weit besserer Qualität als die Gablonzer Konkurrenz und dank der selbst entwickelten Glasschmelze auch in unterschiedlichen Farbtönen. Somit war Swarovski von seinen Glaslieferanten aus Böhmen unabhängig, aber auch von Kosmann und Weis. Das erste Mal verfügte er über eine Firma, in der er nach Gutdünken handeln konnte. Der neue Betrieb bot einen weiteren Vorteil. Er schuf den Söhnen von Daniel Swarovski ein Betätigungsfeld: Wilhelm übernahm den glaschemischen Bereich (Glasschmelzverfahren, Entwicklungsabteilung, Schleifverfahren für Prismengläser) und Friedrich (Fritz) die technischen Angelegenheiten (Maschinenwesen, Produktion), Alfred war für die kaufmännische Leitung zuständig.33 1914 nahm Swarovski nach eigenen Plänen entworfene Schmelzöfen und die erste verwendbare Glasdruckmaschine in Betrieb. Dadurch sicherte er sich einen großen Vorsprung gegenüber der Konkurrenz.34 Friedrich Swarovski gab an: „Ich habe mein Leben dem technischen Aufbau dieses Betriebes geweiht. (…) Meine erste Aufgabe war die Errichtung einer Glasschmelzerei und -ausarbeitung eines maschinell-automatischen Verfahrens zur Herstellung von Glasdruck, der bis dahin in Böhmen von Hand hergestellt wurde.“ Nach drei Jahren Anstrengung habe er die Lösung gefunden und die notwendigen Maschinen sowie alle damit verbundenen Einrichtungen selbst konstruiert.35

1912 machten sich „gewisse Absatzstockungen“36 bemerkbar, es kam zu zahlreichen Entlassungen. Wie viele Arbeitskräfte im Unternehmen am Vorabend des Krieges tätig waren, ist unklar. Kühschelm nennt bis zur Krise 1912 ein Anwachsen auf 1.000 Beschäftigte.37 Mathis setzt für das Jahr 1913 eine Belegschaft von etwas weniger als 250 Personen an. Sicher ist, dass ab 1912 die Größe der Belegschaft deutlich abnahm. Ob der Personalstand 1912 so hoch gewesen war und 1913 so niedrig, muss offenbleiben.38 Rumesch gibt für das Jahr 1914 in seiner 1940 erstellten Dissertation so wie Daniel Swarovski in seinen Lebenserinnerungen 802 Arbeiterinnen und Arbeiter an (ohne Angestellte), für das Frühjahr 1918 600 Beschäftigte.39 Als wesentlichen Faktor des unternehmerischen Erfolgs nannte der Firmeninhaber 1949 die Steuerprivilegien für Wohlhabende und Selbstständige. Die Entwicklung des Unternehmens von 1895 bis 1914 sei in einem „unwahrscheinlich raschen Tempo erfolgt. Heute mit den erdrückenden Steuerlasten (…) wäre dies nicht mehr möglich. (…) Durch die damals so gesunde Steuerpolitik konnte unsere Belegschaft in wenigen Jahren von 200 auf über 800 ansteigen.“40

Diversifikation im Gefolge des Ersten Weltkriegs: Maschinenbau, Linsen- und Schleifmittelproduktion

Das Unternehmen war während des Krieges karitativ und patriotisch tätig. Es baute einen Firmenwagen zu einem Rettungsauto um und übernahm den Transport von Schwerverwundeten ins Notspital des „Gemeinnützigen Vereines von Wattens“, untergebracht in einem Personalhaus der Papierfabrik. Die Ausspeisung der Patientinnen und Patienten übernahm die Werkskantine von Swarovski. Nach der Schließung der Kantine wegen des Baus einer Garnison in Wattens spendete der Betrieb 6.691 Kronen (nach heutiger Kaufkraft rund 25.000 Euro) für die Beschaffung von Lebensmitteln.41

1916 zeichnete die „Glasschleiferei Wattens, A. Kosman, D. Swarovski u. Co“ in der 4. Österreichischen Kriegsanleihe 50.000 Kronen (rund 93.000 Euro), die Jenbacher Berg- und Hüttenwerke Reitlinger allerdings 200.000.42 1917 erwarb die Glasschleiferei Kriegsanleihen in der Höhe von 10.000 Kronen.43

Welche Auswirkungen hatte nun der Weltkrieg auf die Entwicklung des Betriebs? Während des Krieges und in den Jahren danach richtete Daniel Swarovskis Unternehmen mehrere Fertigungsbetriebe ein: eine Glasfabrik, eine Korundschmelze, eine Schleifmittelfabrik, die modernste Chatonschleiferei der Welt und, so wie im Glasschleiferei-Betrieb, eine Reihe von Werkstätten, da fast alle Maschinen und Hilfswerkzeuge im eigenen Betrieb hergestellt wurden.44

Zunächst galt es jedoch erhebliche Probleme zu bewältigen und von Friedensauf Rüstungsproduktion umzustellen. Viele Beschäftigte mussten ins Feld, die Nachfrage nach Glasschmuck brach ein. Zunächst erfolgte ein Export von Glassteinen über Skandinavien und auch in die USA bis zu deren Kriegseintritt 1917. Die „Goldstadt Pforzheim“, Zentrum der Schmuck- und Uhrenindustrie Deutschlands, blieb für Kriegsverhältnisse weiter ein guter Abnehmer von Swarovskis Produkten.45 Daniel Swarovski gibt in seinen Erinnerungen an, der Betrieb sei im Sommer 1914 zum „totalen Stillstand“ gekommen, erst 1915 habe das Unternehmen wieder mit wenigen Beschäftigten die Produktion aufgenommen.46 Im Unterinntaler Boten war im Juni 1915 lesen: „Die Glasfabrik in Wattens des Herrn Swarovsky hat infolge des Krieges den Betrieb eingestellt.“47

Das Unternehmen bewältigte seine Schwierigkeiten durch die Verlagerung auf die Produktion technischer Schleifmittel für die Rüstungsindustrie. Es erzeugte mit neu entwickelten Trenn- und Polierwerkzeugen große Mengen geschliffenen Glases und Linsen für militärische Zielinstrumente. Die k. u. k. Armee sorgte für Aufträge: Daniel Swarovski stellte das Fabrikationsprogramm der Steinschleiferei auf die Lieferung von Munitionsbestandteilen um. Sohn Friedrich war technischer Leiter und daher vom Militärdienst befreit. Im Gefolge des Krieges trieb Swarovski eine branchennahe Diversifikation voran.48 Das Unternehmen produzierte 8-cm-Gussgranaten, Mundlochbüchsen und 37-mm-Geschoße für Infanteriegeschütze.49 Der Maschinenbau blühte auf. Daniel Swarovski stellte dazu 1949/50 fest:

„Der erste Weltkrieg brachte die erste bedeutende Erweiterung der Maschinenbauwerkstätte. War es doch notwendig, Maschinen für die Heeresfertigung zu entwickeln und eine eigene Abteilung zum Bau von Drehbänken, Gewindefräsemaschinen etc. ihr anzugliedern, sowie eine Werkzeugmacherei zu erstellen.“50

„Der Krieg brachte unseren Betrieben neben der Heeresfertigung, an der zum Schluß etwa 600 Menschen arbeiteten, eine weitere Belebung durch die Einquartierung des 10. Landwehr-Infanterieregimentes. Dieses setzte sich in erster Linie aus Soldaten der Gablonzer Gegend zusammen, so daß unter den in Wattens Einquartierten manch alter Bekannter zu finden war. Es war naheliegend, daß ein Teil dieser Leute auch nach dem Zusammenbruch in Wattens blieb.“51

Die Kriegsproduktion förderte die Innovationsfreudigkeit des Unternehmens. Swarovski war in der Lage, die ersten Schleifscheiben aus Korund zu produzieren, und errichtete die dafür notwendige Korundschmelze. Diese Verdienste reklamierte Friedrich Swarovski für sich.52 Dabei halfen die guten Verbindungen zum Rüstungskommandanten von Tirol. Mit dessen Hilfe wurde eine Wiener Bank ausgebremst und ein für die Gewinnung von Korund wichtiges Bauxitlager in Tolmein, heute Tolmin in Slowenien, beschlagnahmt. Der Bruder des Tiroler Rüstungskommandanten erhielt dafür nach dem Krieg den Alleinvertrieb von Swarovskis Schleifmittelproduktion für Österreich.53

Am 26. November 1915 trug Daniel Swarovski mit sich als Inhaber eine Einzelfirma „D. Swarovski“ im Handelsregister ein, seinen Sohn Alfred als Prokuristen. Ihr Betriebsgegenstand war die „Fabriksmäßige Erzeugung von Kriegsmaterial und Herstellung der hiezu nötigen Maschinen“.54 Diese „D. Swarovski, Maschinenfabrik, Wattens“ war keine zwei Jahre später in der Lage, für 50.000 Kronen Kriegsanleihen zu zeichnen.55 Ende 1916 kaufte Swarovski um 20.000 Kronen die ehemalige Glockengießerei Graßmayr im Absamer Eichat vom Mühlauer Kunstmühlenbesitzer Anton Rauch mit dem Ziel, dort eine Fabrik zu errichten.56

Der schwierige Übergang von der Monarchie zur Republik gelang dem Unternehmen erstaunlich problemlos. Es hatte sich diversifiziert und konnte sein Kerngeschäft sofort wieder aufnehmen. Daniel Swarovski unterstrich, dass er ohne finanzielle Belastung aus der Kriegszeit an den Neuaufbau der Firma geschritten sei.57 Jedenfalls war die Kapitalausstattung so gut, dass das Unternehmen Investitionen tätigen konnte,58 speziell auch im Bereich der Schleifmittelproduktion, so der Firmenchef:

„Nach dem Krieg wurde die Produktion an Schleifscheiben immer mehr erhöht, so daß die weitere Unterbringung derselben in den Räumen der Glaserzeugung nicht mehr möglich war, zumal auch um diese Zeit Aufträge an Schmucksteinen wieder langsam eingingen. So errichteten wir in den Jahren 1922/23 eine eigene Korundschmelzhalle (…). Im Jahre 1924/2559 wurde die große Schleifscheibenbrennhalle und im Jahre 1928 die Schleifsteinlagerhalle erbaut.

Der Schleifscheibenbetrieb wurde im Laufe der Zeit ein immer wichtigerer Bestandteil unseres Unternehmens und große Auslandslieferungen wurden getätigt. Auch später, während des zweiten Weltkrieges, war der Schleifmittelbetrieb von größter Wichtigkeit.“60

Swarovski gründete daher bereits 1919 die „Tyrolit-Schleifmittelwerke D. Swarovski, Wattens“.61 Auch Katastrophen hatten keine nachhaltig negativen Folgen. Am 6. März 1920 berichtete die Wiener Reichspost,

„daß bei den in letzter Zeit kolossal aufstrebenden Tyrolit-Schleifmittelwerken in Wattens bei Innsbruck ein verheerender Brand ausgebrochen ist, dem der große, modernst eingerichtete Brennereitrakt sowie ein Großteil der Warenvorräte zum Opfer fiel. Der verursachte Schaden ist beträchtlich und nur zum geringen Teile durch Versicherungen gedeckt. Obwohl ein mehrwöchentlicher Stillstand des Werkes unausbleiblich ist, dürfte es aber der allseitigen Anstrengungen gelingen, wenigstens teilweise schon in vier Wochen den Betrieb wieder aufnehmen zu können.“62

Einen gehörigen Anteil an dieser Entwicklung hatte Armand Kosmann mit seinem Vertriebsnetz, „ein gebürtiger Franzose aus dem Elsaß“, der „als Weltlieferant äußerst günstige Verbindungen hatte“.63 Zu Kriegsende schickte Kosmann Nahrungsmittel nach Wattens, um die Ernährung der Belegschaft des Unternehmens zu sichern. Friedrich Swarovski gelang es, Plünderungen der Lebensmittelvorräte in der Fabrik durch die Wattener Bevölkerung zu verhindern. Dazu Daniel Swarovski:

„Wir brauchten doch diese Lebensmittel sehr dringend für die Verpflegung unserer Arbeiter, mit denen wir sofort darangingen, den Friedensbetrieb wieder aufzubauen. Mit der Verpflegung stand es ja damals sehr schlecht, so daß ein Angebot des Herrn Kosmann, uns von Paris aus mit Lebensmitteln zu beliefern, sehr gelegen kam.“64

Die Gründung der „D. Swarovski, Glasfabrik und Tyrolit-Schleifmittelwerke“

Die Söhne von Daniel Swarovski konzentrierten nach dem Krieg ihre Kräfte darauf, das Unternehmen „Glasfabrik D. Swarovski“, in dem es keine Fremdbeteiligung gab, voranzubringen. Es wurde das Herz des Gesamtbetriebes als Technologie- und Entwicklungsstandort. Von dort gingen in der Folge bedeutende Innovationen aus und die Erweiterung der Produktionspalette. 1920 gliederten die Swarovskis in ihrer Fabrik eine eigene Glasschleiferei ein, in der neue Maschinen entwickelt wurden, deren Ausstoß schneller und weitaus günstiger war. Dadurch konnte das Unternehmen nicht nur Glasschmucksteine hoher Qualität produzieren, sondern die Konkurrenz auch im Billigsegment übertreffen.65 Friedrich Swarovski gab an, mit der Ausarbeitung dieses neuen Verfahrens von 1922 bis 1928 befasst gewesen zu sein.66 Außer Schmucksteine erzeugte Swarovski zunehmend Gebrauchsgegenstände aus Glas.67

1923 schloss die Familie Swarovski die Firma Tyrolit mit ihrer Glasfabrik zum Unternehmen „D. Swarovski, Glasfabrik und Tyrolit-Schleifmittelwerke“ in Wattens zusammen. Der Betriebsgegenstand war die „Fabriksmäßige Erzeugung von Glas und verwandten Artikeln, von Schleifmitteln aller Art, Maschinen und Feilen, sowie Handel in den bezeichneten Gegenständen“.68 Bis 1937 stand sie im alleinigen Eigentum von Daniel Swarovski, dann traten die Söhne Alfred, Friedrich und Wilhelm als offene Gesellschafter in die Firma ein.69

Der gedeihlichen Entwicklung der Tyrolit-Werke konnte auch ein Explosionsunglück im chemischen Laboratorium nichts anhaben. Die Chemiker Max Zorzi und Rudolf Watschinger erlitten erhebliche Verletzungen im Gesicht, Watschinger verlor ein Auge.70

Auch im Bereich der Optik setzte das Unternehmen Akzente. Wilhelm Swarovski beschäftigte sich seit 1924 mit dem Schleifen und Polieren optischer Linsen.71 1933 begann er, mit optischen Gläsern zu experimentieren, die Linsen und Prismen schnitt er zunächst noch daheim.72 Sein Team entwickelte in der Betriebsschlosserei geeignete Maschinen und richtete 1934 eine kleine Optik-Abteilung im Unternehmen „D. Swarovski, Glasfabrik und Tyrolit-Schleifmittelwerke“ ein.73 1935 entstand der Prototyp eines Fernglases, registriert 1938 unter dem Markennamen „Habicht“.74

Da die Söhne von Daniel Swarovski allmählich die Leitung der Betriebe übernahmen, blieb diesem mehr Zeit, sich Neuentwicklungen und Verbesserungen von Produkten und Maschinen zu widmen. 1925 startete er erste Versuche zur Herstellung von Rückstrahlern. 1931 erfand er das Patentband, das enorme Nachfrage hervorrief. Dies war:

„ein gewebeartiges Produkt, bestehend aus Textilfäden, Kunstharz und unseren Schmucksteinen. Den Anstoß zur Entwicklung gab die damalige Absatzstockung unserer Schmucksteine infolge der Haartrachtänderung; durch den Bubikopf erübrigte sich das Tragen schöner, steinbesetzter Kämme. So lag der Erzeugung des Patentbandes der Gedanke zugrunde, für unsere Schmucksteine neue Absatzgebiete zu erschließen.“75

Diese sogenannten Trimmings waren Borten und Bänder, die mit Kristallen bestückt wurden. Sie konnten direkt auf Kleider, Schuhe und Accessoires aufgesetzt werden.76

Die „Glassteinschleiferei Wattens, A. Kosmann, D. Swarovski & Co.“ wurde aufgrund der Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise 1934 geschlossen, im Folgejahr vom Familienunternehmen „D. Swarovski, Glasfabrik und Tyrolit-Schleifmittelwerke“ in Pacht übernommen und als Werk II ins neue Unternehmen integriert.77 Die Innsbrucker Nachrichten meldeten am 9. November 1935:

„Seit Anfang des Herbstes verringerte sich die Zahl der Arbeitslosen in Wattens dank der Rührigkeit der Firma Swarovski, Tyrolitwerke, die die alte Glasschleiferei mit 1. Juli. d. J. pachtweise übernommen hat, in erheblichem Ausmaße. Zur Zeit sind in diesem Pachtbetrieb etwa 400 Arbeiter und Angestellte beschäftigt.“78

Diese Entwicklung stand im Zusammenhang mit der langen Krankheit von Armand Kosmann, er starb am 16. November 1934 in Paris. Im Nachruf auf ihn hieß es:

„Er war Mitgründer und Gesellschafter der Firma Glasschleiferei Wattens A. Kosmann, D. Swarovski & Co., hat dem Unternehmen von der Gründung an länger als vier Jahrzehnte seine außerordentliche Arbeitskraft gewidmet und sich um die Entwicklung und den Ausbau der für das Tiroler Wirtschaftsleben bedeutungsvollen und unentbehrlichen Glasschleiferei Wattens in hervorragendem Maße verdient gemacht.“79

Der Drittel-Geschäftsanteil Kosmanns ging an seine beiden Schwestern Jenny und Fanny über. Fanny Kosmann, geboren am 26. Mai 1861 in Paris, verheiratet mit Angelo Crailsheimer, der als Kaufmann Warenkommissionsgeschäfte betrieb, hatte drei Kinder, von denen zwei noch im Kindesalter starben. Ihr Sohn Jean Joseph, geboren am 27. Jänner 1895 in Paris, gründete im Jänner 1926 die Kommanditgesellschaft Jean Crailsheimer & Co. in der Rue Saint-Lazare 94, die im Import-Export-Geschäft Modeschmuck vertrieb. Sie lag im Haussmann-Saint-Lazare-Opéra-Viertel, einem bedeutenden Handelszentrum der französischen Hauptstadt.80