Die Lazarus-Legion - Jamie Sawyer - E-Book

Die Lazarus-Legion E-Book

Jamie Sawyer

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Beschreibung

Unsterbliche Soldaten

Captain Conrad Harris und seine Crew sind im Kampf gegen die außerirdischen Krell schon Hunderte Male gestorben und wieder auferstanden, denn sie gehören einer Elite-Einheit von Weltraumsoldaten an, die ihre Missionen mittels ihrer Avatare ausführen. Ihr neuester Auftrag führt sie in eine weit entfernte Galaxie – zum Damaskus-Graben. Dort soll sich ein uraltes Artefakt befinden, mit dem die Krell angeblich besiegt werden können. Doch auf dem Weg dorthin macht Harris eine Entdeckung, die seine schlimmsten Albträume wahr werden lässt …

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Seitenzahl: 659

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Das Buch

Captain Conrad Harris und sein Team sind auf ihren Missionen schon Hunderte Male gestorben und wieder zurückgekehrt, denn sie gehören zu einer Eliteeinheit von Weltraumsoldaten, die ihre gefährlichen Aufträge mittels ihrer Avatare ausführen. Nur so haben die Menschen eine kleine Chance, den nun schon Jahrzehnte andauernden Krieg gegen die Krell, eine übermenschlich starke und bösartige Alien-Spezies, zu gewinnen. Ihre jüngste Mission führt Harris und seine Mannschaft tief hinein ins Gebiet der Aliens, denn dort wurde ein Forschungslabor der Menschen angegriffen. Kaum dort angekommen, stoßen die Soldaten auf ein geheimnisvolles Alien-Artefakt – ein Artefakt, das das Schicksal der Menschheit für immer verändern könnte…

Der Autor

Jamie Sawyer wurde in Newbury, Berkshire geboren. Er studierte Jura an der East Anglia Universität in Norwich und machte seinen Abschluss in den Rechtswissenschaften Menschenrechte und Überwachungsrecht. Er arbeitet als Rechtsanwalt für Strafrecht an den Gerichten in und um London und Ostengland. Wenn er nicht gerade arbeitet oder schreibt, verbringt er seine Zeit mit seiner Familie in Essex. Im Heyne Verlag ist von Jamie Sawyer bereits erschienen: Die Lazarus-Mission.

Mehr über den Autor und seine Romane erfahren Sie auf:

Jamie Sawyer

Die Lazarus-legion

Roman

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Titel der englischen Originalausgabe

LEGION – THE LAZARUS WAR BOOK 2

Deutsche Übersetzung von Julian Haefs

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Deutsche Erstausgabe 02/2017

Redaktion: Sven-Eric Wehmeyer

Copyright © 2015 by Jamie Sawyer

Copyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Das Illustrat, München

Umschlagillustration: Ioan Dumitrescu,

Hintergrund: Fred Fokkelman/Shutterstock

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-19580-9V001

www.diezukunft.de

Für Louise– denn ohne dich hätte ich das wirklich nicht geschafft

PROLOG

»Unterbrechen Sie mich, falls Sie die Geschichte schon kennen.

Sie fängt an mit einer Legende; mit einem Mann namens Lazarus.

Er stammt von der Erde. Amerikaner – durch und durch ein Junge aus Detroit. Geboren mit einer Patrone im Mund und der Knarre in der Hand. Hat sich alleine durchboxen müssen. Vom Leben zurechtgestutzt, vom Tod wieder ausgespuckt.

Er war zwar Teil der Allianzarmee, hat aber in erster Linie zum Sim-Programm gehört. Hat immer nach dem nächsten Übergang gelechzt; selbst von Extraktionen hat er ’nen Kick gekriegt. Seinen Spitznamen – Lazarus – hat er bekommen, weil er immer für noch ’ne Runde zurückgekommen ist. Dreihundert-irgendwas Übergänge und kein Ende in Sicht.

Jeder auf dem Point hat seinen Namen gekannt. Aber kaum jemand den Mann dahinter, zumindest nicht persönlich. Immer nur über zwei Ecken. Und wenn man mal einem Gerücht zu den Wurzeln gefolgt ist, war da meistens eine Unterhaltung in ’ner Bar – Klatsch, den irgendein Soldat weitererzählt hat, so was in der Richtung.

Angeblich ist er im Mahlstrom gewesen. Und das nicht allein. Hat ’ne richtig heftige Truppe dabeigehabt: ein kalifornisches Mädel mit richtig Zunder, ’nen Latino von der Venus, ’nen Schlaumeier aus Brooklyn und einen Grünschnabel, dem er noch alles beibringen musste. Die sollten wohl irgendeine Xeno-Waffe auftreiben oder die Überreste von ’ner unbekannten Rasse: die Details sind immer anders, je nachdem, wer die Geschichte gerade erzählt.

Also hat’s die meiste Zeit nichts Handfestes über ihn gegeben. Er war nur ’ne Legende, zu der die Jungspunde und Milchbärte aufschauen konnten – eine Galionsfigur fürs Sim-Programm.

Aber er war schließlich Lazarus.

Und er ist zurückgekommen.

Zu allem Überfluss auch noch an Bord eines Abfangjägers vom Direktorat. Hat wohl richtig ausgeteilt; dem Asiatischen Direktorat gezeigt, wer hier die Hosen anhat. Angeblich hat er ’n ganzes Bataillon kaltgemacht.

Da haben viele aufgehorcht. Auf einmal ist einem die Legende nicht mehr so unwahrscheinlich vorgekommen, und die Leute haben sogar angefangen, zu glauben, dass wir den Krieg doch gewinnen könnten.

Lazarus ist zurückgekommen, Mann; er ist zurückgekommen.«

Interview mit Allianzsoldat (anonym), aufgezeichnet von einem Reporter der Point Times, Datum nach Universalkalender:

21. Januar 2282

1

GEWALTLANDUNG

Zwei Jahre nach Helios

Der Übergang erfolgte im Orbit um Maru Prime; ein höllisches Drecksloch von Planet irgendwo in der Quarantänezone. Oder besser gesagt in dem Bereich, der noch von der Zone übrig war.

Ich war an Bord einer Wildcat, einer gepanzerten Mannschaftsfähre. Die erste Amtshandlung in diesem neuen Körper war, das Hologramm-Foto in meinem Helm anzuschalten: Elena auf Azur. Das kleine Bild war rechts unten in mein Visier eingelassen. Nachdem ich nun also wieder wusste, für wen ich kämpfte, konnte ich mich ganz der Mission widmen.

»Truppe – melden!«

Die Gesichter von vier Simulaten starrten mich in der Dunkelheit an, schwach erleuchtet von den grünlichen Sicherheitslämpchen im Inneren der Helme.

»Bestätige!«, grölte Jenkins zurück. Kampfname CALIFORNIA; der Name war in den Brustpanzer ihres Kampfanzugs eingraviert.

»Verstanden«, sagte Kaminski. Kampfname BROOKLYN.

»Angekommen«, sagte Martinez. Kampfname CRUSADER. Er hielt einen billigen Rosenkranz aus Plastik umklammert, die Perlen um die gepanzerten Finger geschlungen.

»Bestätige«, kam auch vom letzten – und neuesten – Mitglied meiner Einheit: Gefreite Dejah Mason. Auf ihrer Brust stand NEW GIRL, abgesehen davon hatte sie keine Auszeichnungen oder Rangabzeichen.

»Und ein weiterer erfolgreicher Übergang, Major«, sagte Jenkins und nickte voller Elan.

Ich war immer noch dabei, mich an den neuen Rang zu gewöhnen, und fühlte mich noch nicht ganz wohl dabei, mit Major angesprochen zu werden. Ich war so lange Captain gewesen, dass die neue Anrede irgendwie falsch klang.

»Die anderen Teams sind in Sichtweite«, fügte Jenkins hinzu. »Alle fünf unterwegs wie vorgesehen. Alle in der Zeit. Daten an deinen Anzug weitergeleitet.«

»Verstanden, Sergeant.«

Jenkins grinste übers ganze Gesicht. Im Gegensatz zu mir hatte sie ihren neuen Rang ohne Zögern angenommen.

Die Übertragungen der Kommandanten der anderen Teams rollten über mein Helm-Display. Alle bestätigten erfolgreiche Übergänge und schickten Daten ihrer Anflugvektoren. Ein kompletter Zug. Jedes Team wie unseres an Bord einer Wildcat und unterwegs zur designierten Landezone.

Ich machte mich daran, Arme und Beine zu strecken. Spürte die neue Lebenskraft durch den Übergang in einen Sim. Er war größer, stärker, einfach besser als mein echter Körper. Der hing konserviert in einem Simulator-Tank, sicher verwahrt im Einsatzzentrum an Bord der UAS Mallard.

»Was haben wir zu tun?«, fragte Kaminski. Hinter seinem Visier sah ich ihn Kaugummi kauen; ich war mir nicht sicher, wie er es angestellt hatte, vor unserem Übergang Essen in den schlafenden Sim zu schmuggeln. Ich ließ es ihm durchgehen.

»Hast du die Anweisungen nicht gelesen?«, fragte Mason ungläubig. Sie sprach mit dem rollenden Mars-Akzent, der sich auf dem Roten Planeten aus dem Standard entwickelt hatte.

»Schätzchen, ich lese grundsätzlich keine Anweisungen.«

Kaminski sprach mit geübter Teilnahmslosigkeit, aber ich wusste, dass die nur gespielt war. Seine Biodaten tanzten über meinen Bildschirm: das Nervenkostüm eines Profis. Kaminski arbeitete hart dafür, seine Fassade aufrechtzuerhalten – Klugscheißer durch und durch.

Mason war noch nicht lange Soldatin, vom Sim-Programm ganz zu schweigen, also konnte man schlecht von ihr erwarten, ihn zu durchschauen. Gerade mal zwanzig, mit dem Körper und Gesicht einer Uni-Cheerleaderin. Nicht gerade die Sorte Krieger, die vom Führungsstab der Allianz für Propaganda und Rekrutierungsvideos benutzt wurde. Die Vorstellung, dass eine von Amerikas Besten von Krell-Dornenfeuer zersiebt werden könnte, würde bei den Leuten zu Hause sicher nicht allzu gut ankommen. Mason hatte große Fußstapfen zu füllen und war bereits die sechste Nachfolgerin, die ich eingestellt hatte – da alle fünf vor ihr kläglich daran gescheitert waren, meinen Erwartungen gerecht zu werden. Kurz musste ich an Michael Blake denken – Masons fernen Vorgänger –, unterdrückte die Erinnerung aber so schnell, wie sie gekommen war.

»Wir nähern uns Maru Prime«, sagte ich und aktivierte auf der Recheneinheit am Handgelenk ein knappes Hologramm der Einsatzbesprechung.

Maru Prime war ein grimmiger, roter Planet, der zur Gänze aus flüssiger Lava bestand – sternenhell und selbst auf diese Entfernung eindeutig heiß. Er hatte keine Kruste, sondern wurde von einem Kräftespiel zwischen Gravitation und Gezeiten zusammengehalten, das für Fußvolk wie mich viel zu komplex war, um es begreifen zu können.

In der Umlaufbahn kam ein Gebilde in Sicht, das über die aufgewühlten Ozeane aus Lava hinwegglitt.

»Da ist Far Eye. Das Observatorium.«

Die Einrichtung war eine erschreckend zarte Gitterkonstruktion, eine Ansammlung von gewölbten Kuppeln, Solarflügeln und runden Quartieren. Eine Reihe riesiger Radarschüsseln erstreckte sich entlang des Rückgrats der Station, alle in die Tiefen des Alls gerichtet. Viele Elemente waren sichtlich beschädigt, große Teile der Takelage durchlöchert, und das ganze Gebilde hing in einem heiklen Winkel.

»Vor zehn Tagen«, erläuterte ich, »hat Far Eye angefangen, aus seiner festen Umlaufbahn abzudriften.«

»Da saugt doch einer dran«, sagte Kaminski kichernd. »Oder sie wird weggelutscht, je nachdem, wie man das sehen will.«

Ich ignorierte Kaminski; alles andere würde ihm nur noch mehr Oberwasser geben.

»Die Station hat eine Fehlfunktion in der primären Gravitations-Weiche entwickelt«, sagte ich. »Deswegen neigt sich die Umlaufbahn rapide der Oberfläche entgegen. Der Stab will, dass wir die Besatzung da rausholen. Aber besonders wollen sie diesen Mann.«

Das Porträt eines hageren wissenschaftlichen Offiziers erschien auf allen fünf Visieren. Braun gebrannt; persischer Abstammung. Nach Erdstandard war er Anfang fünfzig. Dunkle Augen, dunkles Haar. Zottiger Bart mit grauen Strähnen.

»Unser HVT ist Professor Ashan Saul.«

HVT: Hochrangiges Ziel. Ich hatte mich über Saul schon eingelesen – wer er war, wo er gedient hatte. Es war durchaus interessante Lektüre gewesen. Trotz iranischer Wurzeln waren seine Vorfahren schon vor langer Zeit auf die Kernwelten ausgewandert. Er war von Beruf Xenolinguist – hatte sich auf die Entschlüsselung der Sprachen fremder Rassen spezialisiert. Dieses besondere Detail hatte mich sofort aufhorchen lassen. Außerdem klafften in Sauls wissenschaftlicher Karriere große Lücken: lange Zeiträume, die in seiner Akte ohne Erklärung fehlten. Und es gab kaum etwas, das mehr nach Geheimdienst stank als rätselhafte, geschwärzte Passagen bei den letzten Verwendungen.

»Also haben die sechs Sim-Teams raus in die Quarantänezone geschickt, um einen Mann zu retten?«, fragte Martinez. »Das klingt ein bisschen nach Overkill.«

»Wie gesagt – wir sollen schon auch den Rest der Besatzung mit nach Hause bringen. Und durch das hier wird das nicht wirklich einfacher.«

Ich justierte die Außenkameras nach, sodass ein größerer Ausschnitt des Raums um Maru Prime sichtbar wurde. Der Sektor wimmelte vor Aktivität. Scharen von Raumjägern schraubten sich zwischen größeren Schiffen hindurch, Einheiten der Allianz stellten lebenden Jagdfliegern der Krell nach.

In großer Höhe über dem Planeten waren drei Kriegsschiffe der Allianz in der Umlaufbahn vor Anker gegangen: die Mallard, die Washington’s Paragon und die Peace of Seattle. Angriffskreuzer mit genug Feuerkraft, um einen kleinen Planeten auszuradieren. Auf der Gegenseite näherten sich sechs unterschiedlich große Schiffe der Krell mit unbekannten Signaturen. Alle Alienraumer waren Spielarten des aquatischen Themas – schwarz wie das All und geformt wie mutierte Mollusken.

Beide Gruppen waren voll auf Konfrontationskurs. Torpedos überall, Railguns und Flakgeschütze unablässig feuernd. Im Umkreis vieler Tausend Kilometer war alles von Plasmabahnen und den kurzen, hohlen Explosionen kleiner Schiffe erleuchtet, die im Vakuum starben. Leuchtspurfeuer brannte über unseren Köpfen: Allianztechnik traf auf das biologische Krell-Pendant. Irgendwo mitten im Gefecht konnte ich die Mallard ausmachen – gleißende Nullschilde und auffächernde Lasersalven. Unsere Schwachstelle waren die eigentlichen Körper im Sim-Einsatzzentrum an Bord der Mallard. Eine verirrte Rakete in die Mallard, eine vergeigte Reaktion seitens der Flugabwehr, und wir wären dem Vakuum ausgeliefert.

Unsere Wildcat raste mitten durchs Getümmel der Station unter uns entgegen.

»Dank der ganzen Scheiße, die da über uns abgeht«, sagte ich, »geht der Stab davon aus, dass wir es schaffen sollten, Professor Saul loszueisen, ohne allzu viel Aufmerksamkeit vom Feind auf uns zu ziehen.«

Martinez zog Luft durch die Zähne. »Wie viel Zeit haben wir?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Bis Far Eye vom Planeten verschluckt wird? Siebenundzwanzig Minuten. Aber bis dahin sind wir längst wieder weg. Wir gehen rein, holen die Zivilisten raus und verkrümeln uns.«

»Das klingt alles ein bisschen zu einfach«, warf Jenkins ein. Sarkasmus war noch nie ihre Stärke gewesen. »Wo ist der Haken …?«

Wie bestellt schlug irgendetwas in die Fähre ein.

In meinem Helm schrillte ein Warnsignal direkt aus dem Bordcomputer: KRITISCHER TREFFER ENTDECKT!

Wir waren hart genug getroffen worden, um die Fähre vom Kurs abzubringen.

Die Wildcat schwenkte um und warf mich in den Sitz zurück. Instinktiv krallte ich mich an den Gurten fest. Vom Antrieb war ein kehliges, unheilvolles Dröhnen zu hören. Unter uns verbog sich das Deck zusehends.

Ich guckte auf meine Blickfeldanzeige – auf die Datenströme, die auf das Display an der Innenseite meines Visiers projiziert wurden. Zusätzlich war ich direkt in meine Kampfpanzerung eingeklinkt, und alle Daten, die nicht über das Display wiedergegeben werden konnten, wurden direkt in mein neurales Netz gespeist. Kacke. Ernster struktureller Schaden. Der Hauptantrieb war so gut wie im Eimer. Sofort hatte ich die Informationen verdaut und überlegte bereits, wie wir einsatzfähig bleiben konnten.

»Wir werden’s auf die harte Tour machen müssen. Sieht aus, als hätten wir deinen Haken gefunden, Jenkins.«

»Super.«

Wir hatten nicht mehr genug Zeit, um den Anflugwinkel zu korrigieren. Das Zeitfenster für die Landung war nicht einzuhalten. Ich verband mich mit dem Flottenkommando an Bord der UAS Mallard.

»Leitung, hier Lazarus-Führer. Bitte kommen.«

Mittlerweile hatte ich mich an die Bezeichnung gewöhnt; wenn mich sowieso jeder so nannte, warum sollte ich mich dann länger dagegen wehren? Außerdem war es seit Helios schwer, gegen den Eindruck zu argumentieren, dass ich immer zurückkam.

»Verstanden, Lazarus-Führer, aber gerade so«, antwortete die anonyme Stimme von der Brücke. »Euer Vogel hat was abgekriegt.«

»Ich weiß. Wir haben wohl einfach Pech.«

»Irgendwann ist immer das erste Mal, Lazarus. Bioplasma-Streifschuss. Gründliches Treibstoffleck. Wollt ihr abbrechen?«

»Negativ. Wir machen eine Gewaltlandung auf der Station.«

Der Offizier pfiff. »Sicher, dass Sie das durchziehen wollen?«

»Als hätten wir ’ne andere Wahl.«

»Das ist keine Antwort auf meine Frage. Es sind noch fünf andere Teams mit demselben Missionsziel unterwegs.«

»Also soll ich einer anderen Sim-Truppe einfach die Beute überlassen? Wir sind einsatzfähig und machen mit der Mission weiter.«

»Ihre Entscheidung, Lazarus. Gaia schütze Sie. Das Zeitfenster wird rapide enger.«

»Verstanden.«

»Sie haben Ihre Befehle. Brücke Ende.«

»Lazarus-Führer Ende.«

Die Lampen in der Kabine flackerten kurz auf, um Funkstille mit der Mallard zu bestätigen. Die Fähre kam jetzt im völlig falschen Winkel herunter; ich wurde erneut gegen die Wand geworfen.

Ich wandte mich an meine Leute. »Wir machen ’ne Gewaltlandung Richtung Maru Prime – direkt ins Gesicht.«

»Bei dir piept’s wohl«, sagte Kaminski. Wenn er Angst hatte, wurde sein Brooklyn-Akzent direkt breiter, als hätte er New York City gerade erst verlassen. Jetzt gerade war er so deutlich zu hören wie lange nicht mehr. »Das kriegt New Girl niemals hin.«

»Ich heiße Mason. Und natürlich krieg ich das hin. Ich bin genauso ausgebildeter Soldat wie ihr alle.«

»Von mir aus, New Girl. Sechs Übergänge sind aber nicht zu vergleichen.« Kaminski tippte gegen die nummerierte Plakette an seiner Schulter: hundertachtzehn Tode bis jetzt. »Ich mein’s ja nur gut mit dir. Sobald du dein Legionsabzeichen hast, können wir noch mal drüber reden.«

»Schluss mit dem Gequatsche«, befahl Jenkins. »Der Major gibt das Zeichen!«

Ich löste mein Sicherheitsgeschirr und versuchte, auf die Beine zu kommen. Das war gar nicht so einfach. Die Fähre war mittlerweile dabei auseinanderzubrechen, nachdem wir die obersten Schichten der Ionosphäre von Maru Prime erreicht hatten. Sofort griffen die Magneten in meinen Sohlen und hielten mich auf dem Deck fest. Ich vergewisserte mich, dass alle nötige Ausrüstung fest vertäut war, und arretierte mein Plasmagewehr an der Rückenplatte des Anzugs. Granaten, Energiezellen, Pistolen – alles, was lose war, würde beim Absprung auf die Station flöten gehen.

»Panzerungen versiegelt!«, rief Jenkins. »Bereit machen, Leute!«

Martinez und Kaminski hatten sich schon aus ihren Gurten geschält und deckten sich gerade mit Ausrüstung ein.

Wir kamen der Station sehr schnell näher. Die hässlichen, gewölbten Module drehten sich unter uns weg, als die Fähre durch den Himmel taumelte. Die Sicht war diesig und durch die Hitze verschwommen. Da draußen wird es richtig heiß. Hoffentlich packen die Kampfanzüge das. Völlig ausgeschlossen, dass echte Körper – selbst in modernen Raumanzügen – solche Temperaturen hätten überstehen können. Die KI meines Anzugs rechnete mir vor, dass ich sechs Minuten und dreizehn Sekunden haben würde, bis die Temperatur irreparable Schäden angerichtet hätte. Das wird dann wohl reichen müssen, entschied ich.

»Also los.«

Die Heckschleuse der Wildcat fächerte auf, und sofort schlug mir eine Welle überhitzter Atmosphäre entgegen, so stark, dass es mich um ein Haar aus der Fähre gerissen hätte. Mit einer Hand klammerte ich mich an das Sicherheitsnetz an der Decke und kämpfte gegen das Verlangen an, mir die andere vors Gesicht zu schlagen. Es war eine ganz natürliche Reaktion, denn die Oberfläche von Maru Prime war gleißend hell.

»Angetreten!«

Wir versammelten uns direkt vor der Schleuse. Unser Gefährt drehte sich noch einmal ganz um die Station – nur noch ein paar Tausend Meter entfernt.

»Vergesst ja nicht, wer wir sind«, brüllte Jenkins über Funk. »Lazarus-Legion: fertig machen zum Absprung.«

Ich machte einen weiten Satz aus der Schleuse.

Der Rest der Truppe folgte mir. Das Schwerkraftfeld von Maru Prime war nicht zu unterschätzen – laut der Wissenschaftsabteilung gut über ein G –, und auch hier in den oberen Schichten der Atmosphäre war es schon deutlich zu spüren. Der Sog war so stark, dass es mir kurz die Luft aus der Lunge presste. Die Medizineinheit des Anzugs injizierte mir einen Gefechtscocktail; eine Mischung aus Endorphinen, Analgetika und Amphetaminen verteilte sich in meinem Blutkreislauf.

Mein Körper wurde zu einem Pfeil – die Arme und Beine des Panzers eng angelegt, um den Widerstand zu minimieren. Ich konnte nichts hören, aber alles sehen. Die blendende, wütende Welt unter mir: ein Brodeln, ein unaufhörliches Speien und Schäumen. Die prickelnde Hitze im Gesicht, der Schweißfilm, der sich augenblicklich auf Stirn und Nacken bildete. Der Kampfanzug versuchte gegenzusteuern, die Klimaanlage auf Anschlag, um optimale Einsatztemperatur zu behalten.

Wir fünf, in perfekter Formation, im freien Fall auf die Station unter uns. Das Gebilde schien uns sofort entgegenzukommen; die leeren Ebenen der Landeplätze und Lagerhallen hingen gefährlich schief.

Viele Leute, in erster Linie Zivilisten, bezahlten eine Menge Geld für diese Art Nervenkitzel. So ein Absprung war ein unbeschreibliches Gefühl, aber durchaus etwas gewöhnungsbedürftig. Eine falsche Bewegung, und ich würde entweder von Maru Primes Gravitation zerquetscht werden oder drastisch vom Kurs abkommen und in der Atmosphäre verglühen.

Die Kunst bestand darin, genau richtig auf dem Schwung des planetaren Schwerefelds zu surfen.

»Düsen!«, schrie ich.

Der Trident Klasse V war ein erstklassiger Kampfanzug, speziell für den Raumkampf weiterentwickelt. Ein vollwertiger Raumanzug, aber auch noch so viel mehr. Was mich gerade am meisten interessierte, war das eingebaute Lenksystem im Rückentornister.

Ich aktivierte die Steuerdüsen und änderte sofort die Richtung. Drehte mich in eine aufrechte Position, fuhr beide Beine aus und bereitete mich darauf vor, auf dem Landeplatz aufzuschlagen. Als die Düsen erneut feuerten, war ein leises Zischen zu hören; dann gab es einen Ruck, als meine eigene Bewegungsenergie anfing, mit der Schwerkraft von Maru Prime zu wetteifern.

Der Entfernungsmesser in meinem Helm sank jetzt langsamer. Ich hob eine Hand und sah, dass der Handschuh vom Abstieg glutrot war. Die Atmosphäre von Maru Prime war dünn und recht flach, sodass der Sturz weniger Reibungsschaden verursacht hatte, als es bei anderen Planeten der Fall gewesen wäre.

»Ich … ich hab hier ein kleines Problem!«, machte sich Mason auf einmal über Funk bemerkbar.

Scheiße. Mit unglaublicher Anstrengung drehte ich den Kopf in ihre Richtung. Jeder Muskel in meinem Nacken war angespannt, alle Knochen zusammengepresst von den entgegengesetzten Kräften, die an mir zerrten. Weil die Legion das hier schon so oft gemacht hatte, war ich ganz auf meine eigene Sprungtechnik konzentriert gewesen.

Aber Mason hatte noch nie einen Gewaltsprung absolviert. Sie schraubte sich auf meine Höhe herunter, vielleicht hundert Meter vom Kurs abgekommen. Ihre Düsen feuerten – gleißend blau vor dem grellen Rot der Landschaft zu unseren Füßen –, und sie überschlug sich.

Die Tarnvorrichtungen der Kampfanzüge waren aktiv. Sie versuchten, die Umgebung nachzuahmen – erst war die Panzerung rot entzündet, um den Planeten widerzuspiegeln, dann wechselte sie zu einer Kopie der schwarzen Sternenlandschaft über uns. Kurze Zeit später gab mein Anzug komplett auf: Die KI musste entschieden haben, es sei unmöglich, den ständig wechselnden Bedingungen gerecht zu werden.

»Hab doch gesagt, dass sie nicht so weit ist«, mokierte sich Kaminski.

»Soll ich sie holen?«, fragte Martinez. Ich konnte sein Keuchen über Funk hören; selbst für ihn war die Prozedur anstrengend.

»Ich bin am nächsten dran«, sagte ich. Das war meine Aufgabe. »Grundformation einnehmen und Landezone sichern.«

»Verstanden.«

Ich zündete meine Düsen. Ich war zwar nicht mehr so schnell wie vorher, aber immer noch schnell genug, was die Seitwärtsbewegung merklich erschwerte. Langsam näherte ich mich der schlingernden Gestalt.

Aus der Nähe konnte ich den Schaden sehen, den Masons unkontrollierter Sturz angerichtet hatte. Ihre Panzerung war geschwärzt und an manchen Stellen weißglühend, blutrot und orange an anderen. Das Gesicht in ihrem Helm war eine Maske des Entsetzens – Augen aufgerissen und totenblass.

»Ich … ich krieg keinen … Winkel!«, stotterte sie.

»Ruhig atmen. Konzentrier dich.«

Diesen Befehl sprach ich aus. Im Kopf wies ich ihren Anzug an, eine Dosis Kampfdrogen auszuschütten. Ihr Kreislauf beruhigte sich sofort ein bisschen. Es war nicht genug, um sie außer Gefecht zu setzen, nicht einmal genug, um ihre Panik verebben zu lassen, aber ich hoffte, dass es reichen würde, um sie das hier überleben zu lassen.

»Hilf mir! Bitte!«

»Du musst die Düsen dreimal hintereinander kurz zünden.« Mir wurde immer heißer; auf einmal fiel mir auf, wie weit Mason tatsächlich abgedriftet war. »Dranbleiben.«

Die Düsen wurden sämtlich gedankengesteuert, weshalb ein panisches Gehirn automatisch alles verzögerte. Sie rotierte wieder und wieder, bei jeder Drehung glühte die Panzerung noch heller; die exponierten Stellen fingen an, Blasen zu werfen. An mehreren Stellen hatten sich dünne Rauchfahnen gebildet. Wenn es mir nicht bald gelang, ihr zu helfen, würde sie in ihrem Anzug geröstet werden.

»Düsen zünden! Jetzt!«

Mason zündete und taumelte weiter.

»Oh Scheiße, oh Scheiße, oh Scheiße …«, plapperte sie.

»Ruhig bleiben und Funkkanal frei halten. Gib mir deine Hand.«

Mason streckte sich nach mir aus, die gepanzerten Finger gespreizt. Ich zündete kurz meine Düsen, brachte mich noch näher an sie heran – fast konnte ich die Hitze spüren, die ihre schartige Rüstung abstrahlte, intensiver als die Oberfläche von Maru Prime.

»Ich komm nicht dran …«

Sie schlingerte weiter und drehte sich abermals. In meinem Helm ertönte ein Warnsignal: TEAMMITGLIED IN KRITISCHEM ZUSTAND. Ach danke, wär mir gar nicht aufgefallen.

Ich griff nach ihr, und meine Fingerspitze streifte ihren Arm.

Entfernung: zweihundert Meter.

»Noch mal!«, schrie ich.

Plötzlich richtete sich Mason auf, ihre Düsen in blaue Flammen gehüllt. Sie biss die Zähne zusammen. Reckte ihre Finger. Ich griff nach ihr, schloss meine Finger um ihr Handgelenk.

Entfernung: einhundert Meter.

»Los jetzt, Mason. Du schaffst das!«

Sie nickte energisch und zündete die Düsen im richtigen Rhythmus.

Der Entfernungsmesser verlangsamte noch weiter, dann waren wir auf einmal über der Landezone. Ein letzter, gewaltiger Stoß aus den Düsen – und wir schwebten fast über der Plattform. Meine Stiefel berührten das Deck, der Aufprall pflanzte sich durch den ganzen Körper fort. Eine Sekunde lang stand ich einfach nur da, holte tief Luft und freute mich darüber, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.

»Alles klar?«

Masons Kampfanzug versteifte sich kurz, als sie im Inneren zusammensackte und ihre schweißnasse Stirn gegen das Visier stieß.

»Christo«, flüsterte sie. »Was für ein Ritt. Danke.«

Statt etwas zu erwidern, suchte ich das Flugfeld ab. Der Rest meiner Truppe guckte etwas ungläubig zu. Sie hatten sich mit gezogenen Waffen vor der Hauptschleuse der Station versammelt.

»Vielleicht hat Kaminski recht gehabt, dass sie noch nicht so weit ist«, sagte Jenkins.

»Sie lebt noch«, gab ich auf dem privaten Kanal zwischen Jenkins und mir zurück. Ich wollte Masons Selbstvertrauen nicht noch mehr in Mitleidenschaft ziehen, als das sowieso schon der Fall war.

»Wenn du ’nen richtigen Ritt haben willst, kann ich dir vielleicht mal ’ne Einführung geben«, sagte Kaminski.

Mason machte sich nicht die Mühe, ihm zu antworten.

»Schluss mit dem Mist«, befahl ich, nachdem ich zurück auf den Teamkanal geschaltet hatte. »Bring uns da rein und mach ’nen Scannerdurchlauf.«

2

IM ENDSTADIUM

Das Flugfeld lag auf einem erhöhten Ausleger am Rand des Observatoriums. Es wurde von heißem Wind umtost, der jede Menge Asche mit sich führte; außerdem regneten mittlerweile Trümmerteile von der Schlacht, die im niedrigen Orbit ausgefochten wurde, auf die Station herab. Fast hatte man das Gefühl, es gäbe Wetter auf Maru Prime.

»Keine Verteidigungsanlagen hier draußen«, sagte Jenkins. »Aber wir kriegen demnächst Besuch.«

»Ja, ich sehe sie.«

Der Himmel über uns war voller Kometenschweife, die sich binnen kürzester Zeit als Krell-Schiffe entpuppten.

»Die werden ziemlich bald entern hier«, sagte Martinez.

Genau wie wir hatten sich auch die Krell auf Gewaltlandungen verlegt, um Truppen nach Far Eye zu schicken. Ihre Technologie war ein perverses Spiegelbild der unsrigen. Ihre Transporter, deren einziger Zweck darin bestand, so viele Krell wie möglich an ihr Ziel zu bringen, waren lebendig.

»’Ski, Tür überbrücken.«

»Jawohl.«

Kaminski rannte zur Luftschleuse und klinkte ein Hacker-Programm ins Kontrollpaneel der Tür ein.

»Nicht die Atmosphäre ablassen«, sagte ich. »Hoffentlich gibt’s da drin noch ein paar schutzlose Zivilisten.«

Kaminski nickte. »Kurzschluss kommt gleich. Dauert länger als ’ne anständige Bresche, sollte die Zivis aber bei Laune halten.«

»Gibt’s was Neues vom Rest des Zugs?«, fragte ich Jenkins.

»Die anderen Teams sind auf Widerstand gestoßen«, sagte sie. »Captain Avis und seine Jungs haben gerade extrahiert.«

»Avis ist ein Arschloch«, sagte Martinez. »Geschieht denen recht.«

»Aber auch mehr Arbeit für uns«, sagte ich. »Wir haben gerade mal noch dreiundzwanzig Minuten, bis die Station endgültig abstürzt.«

»Tür ist offen!«, verkündete Kaminski.

Das äußere Schleusentor rollte zur Seite, und wir stiegen ein. Sofort begann die innere Kammer zu arbeiten – die Düsen in den Wänden zischten, als die Dekontaminierung einsetzte, und überzogen meine Panzerung mit einem feinen weißen Nebel. Über uns blinkte eine gelbe Lampe, die den Reinigungsvorgang bekräftigte.

»Willkommen an Bord des Far-Eye-Observatoriums«, meldete sich der Zentralrechner der Station; er hatte eine kultivierte, weibliche Stimme. »Das Observatorium wurde im Jahre 2275 in Betrieb genommen und wird von der Antares-Bergbaugesellschaft finanziert. Bitte bleiben Sie ruhig stehen, bis der Dekontaminierungs-Zyklus abgeschlossen ist …«

»Mach den Mist aus, ’Ski.«

Kaminski reagierte blitzartig und verband seinen Armrechner mit der Künstlichen Intelligenz der Station. Das gelbe Licht hörte zu blinken auf, und die Stimme verhallte. Das innere Schleusentor gab den Weg auf einen dunklen Gang frei.

»Jetzt aber Tempo, Leute. Waffen in Anschlag.«

Es gab ein lautes Scheppern, als die Truppe ihre Plasmagewehre zog.

Wir alle waren mit M95-Kampfgewehren ausgerüstet – große, überdimensionierte Langwaffen, die nur von Sims bedient werden konnten.

»Ich vermiss meinen Flammenwerfer«, murmelte Jenkins gedankenverloren.

»Ich glaube nicht, dass die Zivis den wertschätzen würden«, sagte ich. Ich hatte für diesen Einsatz nur Gewehre freigegeben, um mögliche Kollateralschäden zu minimieren.

»Wo sind die denn alle?«, fragte Martinez.

»Vielleicht haben diese Kotzbrocken von Wissenschaftlern gerochen, dass der ’Ski am Start ist?«, sagte Kaminski.

»Die Besatzung ist angewiesen worden, sich in der Nachrichtenzentrale zu versammeln«, sagte ich. »Route kommt.«

Auf meinem Helmdisplay baute sich ein blinkendes Raster auf, das den kürzesten Weg anzeigte. Die Basis war ein Sammelsurium von Wohnmodulen, Laboren und Observatorien. Es gab Quartiere für das mindestens Vierfache der momentanen Besatzung, aber wahrscheinlich gab es für eine Einrichtung, die dermaßen am Arsch des Universums lag, auch nicht allzu viele Bewerbungen. Meine Karten basierten auf dem ursprünglichen Aufbau der Station, doch die Inbetriebnahme lag schon einige Jahre zurück. Kaum abzusehen, wie sehr sich die Konfiguration der Module mittlerweile geändert hatte.

»Drohnen aktivieren«, befahl ich.

Ich hatte einen kompletten Satz Überwachungsdrohnen dabei, die rings um das Lebenserhaltungssystem des Anzugs nisteten. Jede der Einheiten war etwa so groß wie eine Bowlingkugel und mit einem kleinen Antigrav-Generator versehen. Als die Drohnen hochfuhren und mich wie ein Schwarm Mücken umgaben, war die Luft von elektrischem Sirren erfüllt. Jede aktive Drohne erweiterte mein Informationsnetzwerk; sie übermittelten verschlüsselte Bild- und Tonsignale, Temperatur und Veränderungen in der Atmosphäre. Die Daten wurden direkt an mein Helmdisplay weitergeleitet. Kurz war der sprunghafte Anstieg der Datenmenge verwirrend: Die Drohnen waren dem Arsenal des Sim-Programms erst kürzlich hinzugefügt worden, und ich war immer noch dabei, mich daran zu gewöhnen.

»Breite Streuung, umfassende taktische Analyse.«

Die Drohnenarmee reagierte augenblicklich und flitzte davon. Sie hatten grundsätzlich eine Reichweite von etwa einem Kilometer. Das würde uns ein taktisches Netzwerk eröffnen, das ausreichen sollte, den Großteil der Station zu erfassen und zu kartografieren, unabhängig davon, wie viele Änderungen die Besatzung vorgenommen hatte – und das auch wesentlich schneller, als es selbst ein Sim-Team gekonnt hätte.

»Vorrücken zur Nachrichtenzentrale.«

Mit dem dumpfen Grollen schwerer Stiefel auf dem Metalldeck setzten wir uns in Bewegung.

»Quebec und Falke sind auch raus«, sagte Jenkins. »Beide gerade extrahiert. Und der Kontakt zu Captain Yares ist abgerissen.«

Die Updates rollten über mein Visier. Die Teams waren alle unabhängig voneinander unterwegs, jedes geleitet vom jeweiligen Captain. Das war absichtlich so geregelt: Ständiger Funkkontakt könnte die Aufmerksamkeit der Krell auf uns ziehen. Sie folgten Radiowellen wie Haie dem Geschmack blutigen Wassers. Wenn auch Captain Yares’ Team kurz vor der Extraktion stand, blieb außer uns nur noch ein Team übrig. Ich rief den Zeitstrahl der Mission auf: noch knapp über neunzehn Minuten bis zum Untergang.

»Ich krieg hier jede Menge Lebenszeichen rein«, sagte Mason. Sie zeigte auf eine Tür vor uns. »Die Signale sind auf den Raum da konzentriert, aber auch sonst auf der Station noch hier und da ein paar.«

Genau das war das Problem mit den Bioscannern. Sie konnten nicht zwischen menschlichen und Krell-Signaturen differenzieren.

Ohne eine Anweisung abzuwarten, lief Kaminski zur Tür hinüber, die zur Nachrichtenzentrale führte, und Martinez ging in die Hocke, um ihm Feuerschutz zu geben.

»Jetzt geht’s rund«, sagte Jenkins.

»Da kannst du einen drauf lassen!«, sagte Martinez. »Gott segne meinen Abzugsfinger.«

Als Martinez ihm zunickte, hängte sich Kaminski das M95 über die Schulter. Er drückte den Öffner, und die Tür ging surrend auf.

»Vorrücken.«

Normalerweise bestand die Nachrichtenzentrale aus langen Reihen von Computerbänken und dem Hauptrechner der Bord-KI – der Großteil der Station war automatisiert, und keiner aus der Besatzung verfügte über besondere technische Expertise. Jetzt war der Raum gerammelt voll mit Leuten. Alle hatten Raumanzüge an und waren sofort bereit, evakuiert zu werden.

Wie aus dem Lehrbuch rückten wir vor und verteilten uns im Raum. Ich nickte Jenkins zu, und sie blieb stehen, um die Tür zu bewachen.

Die Besatzungsmitglieder saßen auf Stühlen, drückten sich in Ecken oder gingen nervös auf und ab. Die Wortführerin der Gruppe war eine pummelige Frau, die einen ramponierten Raumanzug mit lauter schwarzen Brandflecken trug. Sie hatte den Kugelhelm unterm Arm, als sei sie allzeit bereit, einen Weltraumspaziergang zu unternehmen. Sie hatte lichtes Haar, ein Zeichen dafür, dass sie es gewohnt war, im All zu arbeiten – und deshalb den üblichen Nebenwirkungen der gängigen Strahlungsblocker ausgesetzt war. Mein Display markierte die Frau als DR. JENNIFER ANDERS, STATIONSAUFSEHERIN. Anders bahnte sich sofort einen Weg durch die Menge.

Ich nahm meinen Helm ebenfalls ab, weil ich das dumpfe Gefühl hatte, dass der Anblick eines menschlichen Gesichts – selbst das eines Sims – helfen könnte, ihre Besorgnis ein wenig zu lindern. Aber die Rechnung schien nicht aufzugehen. Überall im Raum war erschrecktes Schnaufen zu hören, als ich meine groben Gesichtszüge offenbarte.

»Major Conrad Harris, Simulatenprogramm der Allianz. Wir sind hier, um Sie zu evakuieren. Sie sind Dr. Anders?«

Die Frau wich unwillkürlich zurück. Klein, fast zwergenhaft stand sie vor meinem massiven Panzeranzug.

»So ist es. Wir sind – wir haben – alles gemacht, wie es der Stab angeordnet hat«, nuschelte sie und kaute auf der Lippe herum. »Man hat uns gesagt, dass die Krell hierherkommen und … eindringen könnten …«

Wieder holten einige in der Gruppe entsetzt Luft, noch mehr blasse Gesichter starrten mich und meine Leute an.

»Sie wissen es schon«, sagte Anders und nickte in Richtung ihrer Besatzung. Dann fügte sie stockend hinzu: »Aber … keiner von uns ist … den Krell … je begegnet.«

»Und dabei sollten wir es auch belassen«, sagte ich und versuchte mich an einem ehrlichen Lächeln. »Unsere Fähre ist auf dem Weg hier runter beschädigt worden, und ich kann nicht versprechen, dass außer uns jemand kommt. Was für Transportmöglichkeiten bietet die Station sonst noch?«

»Wir haben einen Transporter, der genug Platz für die ganze Besatzung bietet«, sagte sie. »Er liegt im Nebenhangar, ist aber seit Monaten nicht mehr benutzt worden.«

Das könnte problematisch werden. Ich nickte Kaminski zu.

»’Ski, klink dich rein und guck, ob du die Fähre ferngesteuert aktiviert kriegst.«

»Alles klar.«

Die Zivilisten wichen zurück, um ihm den Zugang zum nächstgelegenen Terminal zu ermöglichen, und Kaminski machte sich an die Arbeit.

»Sonst noch was?«, fragte ich.

»Es gibt eine Rettungskapsel, aber da drin ist nur Platz für eine einzige Person.«

Ich konnte in ihren Augen sehen, dass sie genau wusste, warum Sim-Teams hierhergeschickt worden waren. Wenn nur eine Person gerettet werden konnte, wäre es Professor Saul.

»Zeigen Sie mir, wo beides zu finden ist.«

Anders rief an einem der Holo-Terminals einen Lageplan der Station auf. Der Transporter-Hangar lag irgendwo ganz am Rand der Station – jenseits eines Gewimmels an Korridoren, die alle nicht auf meinen offiziellen Karten auftauchten. Die Rettungskapsel war – wie sollte es auch anders sein – noch weiter weg: auf dem Dach des größten Moduls. Es war als AUFENTHALTSRAUM deklariert. Aus rein technischer Sicht mochte das auf jemanden, der noch nie versucht hatte, von einer todgeweihten Raumstation zu entkommen, möglicherweise wie eine sinnvolle Konstruktionsentscheidung wirken. Aber es würde schwierig werden, auch nur eine der beiden Strecken zu schaffen. Uns blieben noch weniger als achtzehn Minuten bis zum Untergang der Station.

Um die Moral der Besatzung nicht noch mehr zu untergraben, sagte ich: »Wir werden Sie hier alle so schnell wie möglich rausschaffen. Bestandsaufnahme?«

Anders schluckte abermals. »Zweiundzwanzig.«

»Professor Saul fehlt«, sagte Mason. »Der Rest der Besatzung ist vollzählig.«

Genau in dem Moment knarrte es bedenklich im Überbau der Station. Es gab ein tiefes, hallendes Ächzen, wie schwermütig rollender Donner. Der Boden unter uns bekam Schlagseite, und die Magnetklammern meiner Stiefel aktivierten sich sofort. Anders fischte nach einer Stuhllehne, um sich auf den Beinen zu halten.

»Die Station stürzt immer schneller ab«, sagte sie. »Wir … wir haben versucht, unsere … Flugbahn zu ändern, aber Maru Prime scheint …«

»Wo steckt Professor Saul?«, fragte ich sie mit etwas mehr Ärger in der Stimme, als ich beabsichtigt hatte.

Anders schob den Unterkiefer vor und sah so aus, als kämen ihr gleich die Tränen. »Er … er ist immer noch im Hauptlabor. Ich habe ihm gesagt, dass er hierbleiben soll, mit den anderen … aber er hat darauf bestanden …«

»Das hat uns gerade noch gefehlt: ein übermotivierter Wissenschaftler«, sagte Martinez.

»So langsam hab ich da auch keinen Bock mehr drauf«, sagte Kaminski mit einem trockenen Kichern. »Transporter ist einsatzbereit. Triebwerke hochgefahren, ich muss nur noch die Treibstoffleitungen per Hand verkoppeln.«

Dr. Anders schien unter meinem starren Blick zu vergehen. Wahrscheinlich war es sinnlos, ihr Vorwürfe zu machen; die einzige Priorität war jetzt, diese ganzen Leute so schnell wie möglich von der Station zu schaffen. Ich ließ meinen Helm wieder einrasten und aktivierte die Auswertung des Drohnenverbands. Sie waren bis in den letzten Winkel der Basis vorgedrungen und hatten ein lückenloses Sensornetz gesponnen. Noch keine Krell in Sicht. Also waren die immer noch draußen und versuchten, reinzukommen. Jeder Raum war kartografiert worden, sogar Lebenserhaltung und Maschinenraum …

Fast jeder Raum.

Eine Kammer – eins der größeren Labors – war den Drohnen verwehrt geblieben. Eine Handvoll hatte sich vor der versiegelten Tür versammelt, und ich sah mir den hochauflösenden Videostream an. Das Netz der Biosensoren, gefüttert mit den Resultaten des Drohnenaufgebots, ließ nur einen Schluss zu. Jemand befand sich in dem Labor.

»Professor Saul hat darauf bestanden, bis zum letzten Moment weiterzuarbeiten«, sagte Anders. »Ich habe versucht, alle Leute herzubringen, wirklich. Seine Arbeit ist streng geheim und hochspeziell. Er hat ein extra Sicherheitssystem für sein persönliches Labor …«

Uns lief wirklich die Zeit davon, aber noch – an den Gedanken musste ich mich klammern – war es möglich, die Mission erfolgreich abzuschließen.

»Neue Befehle«, verkündete ich meinen Leuten. »Ich kümmere mich um Saul. Mason, du kommst mit. Martinez, Jenkins – eskortiert die Leute zum Transporter. Kaminski, geh vor und sorg dafür, dass er startklar ist.«

Far Eye lag im Sterben, wollte aber nicht lautlos scheiden.

Statt einfach langsam in der Lavawelt unter uns zu versinken, würde die Station ein schneller, spektakulärer Tod ereilen. Das war offensichtlich, weil die Umgebungstemperatur steil anstieg – die Luft in meinem Anzug war unangenehm drückend. Wenn das für mich schon unangenehm ist, erwog ich, weiß ich nicht, wie lange die Zivilisten das noch durchstehen. Obwohl die Computer der Station wahrscheinlich für diese abenteuerliche, gefährliche Umgebung gebaut worden waren, fingen sie langsam an, der Reihe nach kurzzuschließen. Panzerschotte blinkten mit Warnleuchten. Das Ächzen – ein Geräusch, das eigentlich nur den Todesstoß für die Basis einläuten konnte – begleitete mich jetzt dauerhaft.

Die Fülle an seismischer Aktivität ließ die Sensoren verrücktspielen. Der Bioscanner funktionierte nur noch in kurzen Intervallen, und die Verbindung zum Rest meiner Truppe war abgehackt.

Ich lief voraus, Mason bildete die Nachhut. Trotz Kampfbereitschaft kam es jetzt vor allem auf Schnelligkeit an. Wir jagten durch Abzweigungen und brachen durch Sicherheitstüren.

»Die externen Überwachungssysteme sind offline«, stellte Mason fest, als wir uns Sauls Labor näherten.

»Gut erkannt.«

»Die Verhältnisse werden immer schlimmer. Selbst abgeschirmte Hardware hätte da draußen keine Chance, heil zu bleiben.«

Ich nickte. »Die Wissenschaftsabteilung hat wohl nicht damit gerechnet, dass ihre schöne Basis der Oberfläche von Maru Prime so nah kommen könnte. Aber ich bin mir sicher, dass das den Krell überhaupt nichts ausmacht.« Die kamen immer irgendwie durch, ungeachtet der Umstände. »Ein mieser Scherz der Natur.«

Mason verharrte und legte den Kopf schief. Eine ihrer Angewohnheiten – mit Augen auf mittlerer Entfernung stehen zu bleiben, um ihr Display zu begutachten. Eine Angewohnheit, die sie früher oder später einen Übergang kosten könnte. Für sie war das alles noch ganz neu. Natürlich konnte sie die Datenschwemme der neuralen Verbindung noch nicht instinktiv auswerten.

»Was ist los, Gefreite?«, fragte ich und lief weiter.

»Was wollen die Krell überhaupt hier? Ich meine – na ja, ist das nicht alles ein bisschen viel Zufall? Die Station stürzt schließlich sowieso ab – sobald sie die Oberfläche erreicht hat, bleibt nichts mehr übrig –, und die Krell meinen ausgerechnet jetzt, hier entern zu müssen?«

»Stell niemals das Kollektiv infrage. Die Krell sind völlig unberechenbar. Und die Quarantänezone interessiert keine Sau mehr. Wenn der Stab vor Jahren auf mich gehört hätte, hätte ich denen sagen können, dass es so ausgeht.«

Ich unterdrückte die Erinnerung. Elena.

Mason rannte mir hinterher. »In der Grundausbildung hab ich gelesen, dass es die Allianz jedes Mal über eine Milliarde Credits kostet, ein Sim-Team in die Quarantänezone zu schicken.«

Ich kam vor der Tür des Labors zum Stehen. Sie war verschlossen, der Gang um uns herum voller Drohnen. Was auch immer jenseits der Tür lag, es hielt sie davon ab, den Rest der Station zu kartieren, und das schmeckte ihnen gar nicht.

Ich drehte mich zu Mason um. »Der Stab interessiert sich nicht für den Rest der Besatzung. Die wollen Professor Saul. Der Rest ist nur lästige Notwendigkeit.«

»Aber in der Einsatzbeschreibung des Stabs stand doch explizit, dass die gesamte Besatzung gerettet werden soll …«

»Willkommen zur ersten echten Lektion, Gefreite. Glaub nie, was der Stab dir erzählt.«

Das hatte ich schon vor langer Zeit lernen müssen.

»Hast du Sauls Akte gelesen?«, fragte ich sie. »Seinen Lebenslauf?«

Mason nickte. »Er ist Experte für Xenolinguistik.«

»Ja, und auf die Tönernen spezialisiert.«

Mason verstummte. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen hatte sie auf jeden Fall die Berichte über die Helios-Mission gelesen und wusste, was wir zurückgebracht hatten. Das hatte eigentlich geheim zu sein, aber der Point war ein geschlossenes Ökosystem. Sachen sprachen sich herum, Mythen wurden zu Fakten.

»Wetten, dass der Stab mit Professor Saul etwas Bestimmtes vorhat?«, sagte ich.

Und wenn es etwas mit den Tönernen zu tun hatte, wollte ich das wissen – und Teil davon sein.

Ich sprengte die Labortür mit einem Einzelimpuls meines Plasmagewehrs. Das Metall war zwar strapazierfähig, hatte einer phasenverschobenen Plasmaladung aber wenig entgegenzusetzen. Sie schuf ein mannshohes Loch in der Verkleidung, glühend heiß an den Rändern, und ich hebelte den Rest mit der Hand auf.

Die Drohnen flitzten durch das Loch, ich legte das Gewehr an und folgte ihnen. Mason war dicht hinter mir.

Das zentrale Labor lag im Dämmerlicht und war von oben bis unten mit wissenschaftlichen Apparaturen vollgestopft, von denen ich die meisten nicht einordnen konnte. Eine Wand bestand komplett aus gepanzerten Panoramafenstern, als wären wir hier an einem Aussichtspunkt. Draußen war die rote, wogende See auf Maru Prime zu sehen. Das Blickfeld bebte unkontrolliert, als die Station ihre Achsneigung erneut verlagerte.

»Professor Saul?«, rief ich durch den Raum.

Vor einer der Werkbänke stand gebeugt eine große, schlanke Gestalt – ein Mann in einem zivilen Raumanzug, wie ihn auch der Rest der Besatzung trug. Wenigstens das hat er geschnallt, dachte ich. Er war dabei, eilig verschiedene Sachen zusammenzupacken: Ordner, Lesegeräte, zerlegte elektronische Bauteile. Auf einer Sitzbank stand ein gepanzerter schwarzer Koffer, den er immer weiter befüllte.

Die Drohnen schossen um seinen Kopf herum. Er war offensichtlich völlig in Gedanken und hob eine Hand, um nach ihnen zu schlagen.

Ich seufzte. DieseWissenschaftler– alle gleich.

»Professor Ashan Saul?«, fragte ich. Das war reine Nettigkeit, denn mein Anzug hatte ihn anhand der verfügbaren Daten schon längst identifiziert.

Saul nickte und raunte irgendwas als Bestätigung, setzte aber seine Arbeit fort, ohne aufzusehen. Er trug eine Brille mit dickem Rahmen, die auf den ersten Blick wahnsinnig archaisch wirkte. Als ich näher kam, sah ich, dass es sich um eine moderne Spezialbrille handelte: sie konnte sowohl aufnehmen als auch Daten auf die transparenten Linsen projizieren.

»Saul?«, bellte ich, nachdem ich die Lautsprecher des Anzugs aufgedreht hatte.

Saul fuhr zusammen und drehte sich zu mir um.

»Ja«, murmelte er. »Ja, ja. Sie müssen das Sim-Team sein. Die haben gesagt, dass Sie kommen würden.«

Er beäugte mich misstrauisch; sein Blick verharrte auf dem Kampfgruppen-Abzeichen der Allianz an meiner Schulter.

»Sie sind die Bergungsmannschaft, wie? Eh, Codewort: Chicago.«

»Antwort: Lebenssaft«, sagte ich. Ich hatte nicht erwartet, das Sicherheitsprotokoll wirklich anwenden zu müssen. »Ich bin Major Harris. Und jetzt Aufbruch. Wir haben nicht mehr viel Zeit …«

»Ja, ja. Verstehe. Die Station kentert, und die Krell dringen ein.«

Seine blasierte Art ging mir auf den Keks – diese zur Schau gestellte Gleichgültigkeit unseren Bemühungen gegenüber, ihn hier rauszuholen. Er zeigte auf die Fensterfront. Die Achsneigung hatte sich schon wieder verändert, denn jetzt war der Raum oberhalb der Station zu sehen. Schiffe der Krell und der Allianz waren immer noch in Gefechte verstrickt.

»Ich bin gleich soweit. Einen Moment noch.«

Ich betrachtete Saul. Er sah älter aus als in seiner Personalakte. Der Bart war etwas grauer, die Haut an den Wangen straffer, alles in allem wesentlich mitgenommener. Links auf dem Kinn hatte er eine fiese Narbe, die nur teilweise vom Bart verdeckt wurde. Trotz der farbenfrohen Projektionen auf seiner Spezialbrille konnte man sehen, dass sein linkes Auge milchig war. Das andere – gute – zuckte in meine Richtung.

»Die Station stürzt ab«, sagte ich bestimmt. »Wir müssen hier weg.«

»Selbstredend, selbstredend.« Saul nickte.

Ein Gefühl von Kälte überkam mich, als ich den Inhalt des Koffers auf der Bank überflog. Er war voller Grafiken: ausgedruckte Sternkarten. Meine Sicht trübte sich unangenehm, als ich die engen Muster und Schriftzeichen sah – dermaßen fremdartig und doch schrecklich vertraut.

Saul trat vor mich und brach den Bann. Er griff nach dem Koffer und verriegelte die äußeren Schlösser. Dann befestigte er ihn mit Handschellen an seinem linken Handgelenk.

»Ich muss ihn tragen. Das ist meine Forschungsarbeit. Der Stab wird das haben wollen.«

»Was ist das hier für ein Zeug, Major?«, fragte Mason und stupste mit der Mündung ihres Plasmagewehrs die Werkbank an.

Aus der Nähe erkannte ich auch noch andere Gegenstände. An den Wänden hingen vereinzelte Schaukästen mit großen, erleuchteten Ringplatten aus schwarzem Gestein.

Schriftstücke der Tönernen.

Saul sagte nichts – das war aber auch nicht nötig. Ich war mir absolut sicher, da vor mir auf dem Tisch ausgedruckt die Daten des Schlüssels zu sehen. Es waren sogar ein paar Screenshots des Artefakts dabei – allesamt verrauscht und ungenau.

»Ich dachte, das sei ein Observatorium hier?«, sagte Mason.

Sie hatte offenbar mehr auf dem Kasten, als wir ihr zugetraut hatten.

Professor Saul nickte geistesabwesend, fast verdrießlich. »Far Eye ist nicht ganz, was es zu sein scheint.«

Mason warf mir einen kurzen Blick zu. Ich entschied, sie solle sich die Details selber zusammenreimen. Woran auch immer die Besatzung von Far Eye genau gearbeitet hatte – das hier war auf jeden Fall eine streng geheime Einrichtung, auf einer Station weit draußen in der Quarantänezone untergebracht, um außer Sichtweite neugieriger Blicke zu bleiben. Es ging nur um glaubhafte Abstreitbarkeit.

Mason schien das jetzt erkannt zu haben; ich hatte allerdings von Anfang an vermutet, dass uns der Stab nur nach Maru geschickt hatte, um einen wirklich wichtigen Mitarbeiter zu bergen. Professor Saul – mit seiner Erfahrung auf einem derart spezialisierten Gebiet – und seine Forschung. Er war es auf jeden Fall wert, ein fünf Milliarden teures Sim-Team zu riskieren. Das war eine Form von Arroganz, die ich nicht nur zu akzeptieren gelernt hatte, sondern mittlerweile sogar erwartete.

SECHZEHN MINUTEN BIS ABSTURZ, mischte sich mein Display ein.

»Wir müssen los«, befahl ich. »Kriegen Sie bitte Ihren Scheiß hier geregelt, Professor. Und bleiben Sie auf dem Weg durch die Station dicht bei uns.«

»Ja, ja.«

Mit einem gezielten Gedanken reaktivierte ich den Drohnenschwarm und schickte ihn quer durch die Station voraus, um unsere Route zu überwachen. In dem Moment explodierte mit einem hallenden, metallischen Donnern etwas tief im Inneren der Station.

»Und Helm auf, falls Sie atmen wollen.«

Der Professor wühlte hinter seiner Werkbank herum und holte einen lädierten Sicherheitshelm aus Kunststoff hervor. Als er ihn einrasten ließ, sah er in seinem Raumanzug sehr unbeholfen aus. Dann schnallte er sich ein Pistolenhalfter ans Bein.

Ich setzte mich in Bewegung und funkte Jenkins an.

»Jenkins, Lagebericht?«

»Sind gerade durch den großen Speisesaal durch.«

Die Kantine lag ganz in der Nähe der Nachrichtenzentrale – also waren sie kaum vorangekommen. Verdammte Zivilisten.

»Schwerkraft und diverse Lecks machen die Sache nicht wirklich einfacher. Decks drei bis elf verlieren alle Druck.«

»Trotzdem – einfach weiter. Hast du Kaminski im Blick?«

»Sein Signal ist abgehackt. Kann ihn nicht erreichen.«

»Weiter versuchen.«

»Mein Scanner will auch nicht mehr. Ich kann euch noch nicht mal sehen hier.«

»Dann einfach die guten, alten Augäpfel 1.0 benutzen.«

»Eigentlich ja eher 2.0.«

»Cool bleiben. Harris Ende.«

»Jenkins Ende.«

Wir passierten die zerschossene Labortür und liefen den Gang entlang. Die Oberlichter gaben gerade den Geist auf – der ganze Bereich wurde in tiefste Dunkelheit gehüllt. Mithilfe meiner Helmsensoren, einer Kombination aus Infrarot und Nachtsichtgerät, ging ich unbeirrt weiter. Mittlerweile waren auch die Magnetsohlen nötig. Ich sah, dass Saul hinter mir zum Glück ein ähnliches System in seinem Anzug hatte. Er war allerdings nicht ans Laufen mit Magnetsohlen gewöhnt und stolperte umher, als wate er durch trocknenden Beton. Mason trieb ihn an, während sie mit dem Gewehr die Dunkelheit absuchte. Ein schriller Klagelaut erfüllte die Station.

»Das wird die Fehlfunktion im Hauptantrieb sein«, stellte Saul fest. »Die Triebwerke im Unterdeck waren ursprünglich dazu da, die Station im geostationären Orbit zu halten. Wenn die nicht mehr arbeiten, stürzen wir noch schneller ab als erwartet.«

Meine KI zog fast augenblicklich nach: ZWÖLF MINUTEN BIS ABSTURZ.

»Verdammt. Uns rennt die Zeit davon.«

Mittlerweile hatte der Anzug die neueren Karten der Nachrichtenzentrale verarbeitet. Der Weg zum Hangar war auf meinem Visier hervorgehoben, ebenso die laufenden Videostreams der Drohnen. Allerdings waren fast die Hälfte nicht mehr am Netz; entweder sendeten sie einfach nicht mehr, oder sie waren dem Chaos anheimgefallen, das sich überall auf der Station ausbreitete.

»Wie kann denn so was passieren?«, fragte Mason im Laufen. »Hat die KI der Station nicht berechnet, dass es nur noch ein paar Minuten dauert, bis die Grenzwerte erreicht sind?«

Saul zuckte mit den Schultern. Durch den Plasglas-Helm sah man ihn ganz gehörig schwitzen. Auf der Innenseite seines Visiers hatte sich ein hinderlicher Kondensfilm gebildet.

»Vielleicht hat sich die KI geirrt. Ich hab ihr nie richtig über den Weg getraut. Nichts, was so intelligent ist, sollte absolutes Vertrauen genießen. Vielleicht liegt es auch an äußeren Einflüssen …«

Bevor er den Satz vollenden konnte, entsprang auf dem Bioscanner eine Welle von Punkten – mögliche Lebensformen in unserer Nähe.

Ich hatte nicht einmal Zeit, einen Warnruf abzulassen.

Direkt vor mir detonierte plötzlich ein gut fünfzehn Zentimeter dickes Panzerschott. Um uns herum regneten Trümmer herab. Aus der zerstörten Tür drang Dröhnerfeuer. Hell wie Plasma und genauso tödlich: vielfarbige Laser-Lanzen versengten Boden und Decke.

»Stellung halten!«, befahl ich und rollte mich zur Seite, während Krell in den Korridor strömten. »Schutzschild!«

Noch eine frische Erweiterung unseres Arsenals: persönliche Nullschild-Generatoren – eine der nützlicheren Neuerungen aus Forschung und Entwicklung. Ich arretierte den linken Arm vor meinem Gesicht, legte mit dem rechten das Plasmagewehr an und sah zu, wie sich der Generator aktivierte. Das eigentliche Aggregat war irgendwo im Rückentornister verstaut und wurde vom gleichen Generator betrieben, der auch die Lebenserhaltung speiste. Direkt vor mir breitete sich ein öliger Schimmer aus. Als sich der Schild aufbaute, war ein so tiefes Brummen zu hören, dass es sogar meinen Schädel vibrieren ließ.

»Hinter mich, Professor«, befahl ich.

Drei Ziele in Sicht. Krell-Artillerieformen – fachsprachlich nur als »Sekundärformen« geführt. Sie waren langsamer als die Kriegerkaste der Primärformen, dafür aber mit größeren und durchschlagenderen Waffen ausgerüstet. Die vorderste Drohne hatte gute Sicht auf den Anführer: mit einem speziell gezüchteten, biologischen Geschütz – einem Dröhner – und Munitionssack, der zwischen Bauch und Waffenarmen baumelte.

Der Krell-Trupp bewegte sich wie ein einziger Organismus. Sie ergossen sich durch die Tür und feuerten. Und alle guckten ein bisschen perplex – sollten sie wirklich zu solchen Gefühlen fähig sein –, als ihre Schüsse in meinen Nullschild einschlugen.

Upgrades, ihr Wichser! Es war ein richtig gutes Gefühl, ihnen ausnahmsweise einmal kurz über zu sein, obwohl mir klar war, dass das nicht lange so bleiben würde. Der persönliche Schildgenerator war nagelneue Technik – sobald die Krell den Geräten ein paar Mal begegnet waren, würden sie sich entsprechende Gegenmaßnahmen einfallen lassen. Auf sich allein gestellt, konnten Krell kaum taktische Raffinesse entwickeln, aber das Kollektiv war die beste militärische Datenbank im Universum.

Auf beiden Seiten wurden weißglühende Salven abgegeben. Die Krell rückten unbeeindruckt weiter vor. Ihr Anführer bekam eine Plasmaladung in den Brustkorb und legte es darauf an, die Entfernung zwischen uns noch zu überbrücken, während er Blut und Sekret auf dem Boden verspritzte.

Mason machte eine Granate scharf und warf sie den Krell entgegen. Sie durchbrach ihren Schild und prallte von der Wand ab, als sich die Achsneigung der Station abermals veränderte. Die Sekundärformen hatten keine Magnetsohlen und klammerten sich an jedem verfügbaren Vorsprung fest, um am Boden zu bleiben. Die willkommene Ablenkung reichte aus, um die Krell zu verwirren. Die Granate ging mitten zwischen den drei Aliens hoch. Auf einmal war der ganze Korridor in Körperteile und Eingeweide gehüllt. Zwei von ihnen gingen zu Boden, das dritte rappelte sich noch einmal auf.

Hier gab es nur töten oder getötet werden; keine Deckung, kein Entrinnen. Es gab weder eine Veranlassung für Heimlichkeit, noch hätte Weglaufen einen Sinn gehabt. Ich erhob mich und ließ drei Mikrogranaten in den Unterlauf-Werfer meines Plasmagewehrs wandern. Neue Technik ist schön und gut, aber manchmal sind die altbewährten Mittel doch die besten. Die Brandgranaten segelten den Krell-Eindringlingen entgegen.

»Runter!«, schrie ich Saul an und biss erwartungsvoll die Zähne zusammen.

Der Professor warf sich zur Seite, das Deck krängte unter ihm wie auf hoher See, und die Brandsätze zündeten.

Die verbliebene Sekundärform explodierte. Noch im Sterben feuerte sie weiter, aber jeder Schuss ging weit daneben.

»Da kommen noch mehr«, sagte Mason.

Jetzt schnellte eine Primärform durch die Rauchschwaden. Sie bewegte sich mit einer fremdartigen Grazie: eine Lebensform, die ganz offensichtlich an ein Leben im oder am Wasser angepasst war – eine Theorie, die auch von den haifischartigen Gesichtszügen untermauert wurde. Der Xeno stoppte nicht ab, und ich konnte seine Bewegungen nur schemenhaft verfolgen. Trotz ihrer massiven Körper waren Primärformen verflucht schnell.

Mason brachte den Xeno mit einer Salve aus ihrem Plasmagewehr ins Straucheln.

Immer noch kam die Primärform näher und taumelte bis etwa einen Meter vor uns. In Kopf und Rumpf waren mehrere rauchende Löcher zu sehen. Schließlich brach sie zusammen.

»Mir nach und wachsam bleiben«, sagte ich und war schon wieder aufgestanden, um weiterzulaufen.

3

ICH KOMME IMMER ZURÜCK

Ein Schwarm feindlicher Signale – gleißend hell auf meinem Visier – verfolgte uns durch die verzerrten Gänge. Und wie eine heiße Nadel, die mein Unterbewusstsein traktierte, kamen aus anderen Bereichen ständig Warnsignale verschiedener Drohnen. Sie fielen schneller aus, als ich es registrieren konnte, und schickten eine Flut unschöner Bilder.

Far Eye war mittlerweile von Invasoren überrannt. Das ganze Pantheon der Krell-Xenoformen war vertreten: Primärformen, Sekundärformen; hier und da waren sogar ein paar spezialisierte Führerformen zu sehen.

Als endlich verbündete Signale – ersichtlich dank ihrer Freund-Feind-Erkennungsmarken – auf meinem Scanner auftauchten, war es eine freudige Überraschung, die sogar richtig gelungen schien, als ich erkannte, dass die Überlebenden keine Mitglieder der Lazarus-Legion waren.

»Nicht schießen«, kläffte ich Mason an und winkte Saul zu, sich zu bewegen.

Durch dichten Rauch und Staub kamen drei Soldaten auf uns zu. Mein Anzug markierte sie als das Team unter der Leitung von Captain Baker, und als sie näher kamen, sah ich auch, dass er sie immer noch führte.

»Nähern uns Zielgebiet, Sir!«, polterte Baker. Er salutierte.

Ich seufzte und schüttelte den Kopf. »Soso, die fabelhaften Baker Boys. Ist das alles, was von euch noch übrig ist?«

Alle drei Überlebenden waren verbeult, von oben bis unten voller Alienblut und ziemlich mitgenommen. Hinter seinem Visier sah Baker fast so aus wie im echten Leben: mittleren Alters, angegraut – ein Veteran, der seinen Zenit schon ein wenig überschritten hatte. Er schürzte die dünnen Lippen und bleckte die Zähne zu einem Grinsen.

»Jawohl, Sir.« Er schüttelte den Kopf. »Auf dem Weg runter haben uns die Fischköpfe abgefangen. Haben zwei Sims verloren, bevor wir überhaupt die Station erreicht hatten.«

»Wie’s aussieht, ist keins der anderen Teams überhaupt gelandet, das könnt ihr euch also zumindest auf die Fahnen schreiben.«

Baker bedachte Saul mit einem Nicken. »Aber natürlich streicht die Legion das HVT ein.«

»Hier brauchen sich auch nur die Besten zu bewerben.«

Er beäugte Mason und ihren schmucklosen Kampfanzug. »Also ist New Girl noch nicht amtlich?«

»Na ja, wenn sie’s verkackt, kann sie ja immer noch bei euch vorsprechen.«

Ich musterte die zwei Sims hinter Baker, beide in unmarkierten Rüstungen.

Baker blähte die Nasenflügel und seufzte. »Ich würde sie jederzeit mit Handkuss nehmen, aber das ist ein Kapitel für sich. Wir stehen auf jeden Fall bereit, Sir.«

»Gut zu wissen. Wir sind unterwegs zum Transporter-Hangar.« Ich schickte Bakers Anzug meine taktische Karte. »Weniger als dreihundert Meter.«

»Alles klar.« Er wandte sich an seine beiden jungen Sims. »Befehl ausführen – vorrücken!«

Die Sicht war ein wenig besser geworden, allerdings nicht viel. Blutrote Notbeleuchtung blitzte von Wänden und Decke, aber die Luftaufbereitung spie laufend schwarze Wolken aus.

»Diese Station durchlebt aktuell einen kritischen Notfall«, ließ uns die KI des Observatoriums über Lautsprecher wissen. »Besatzung bitte evakuieren.«

»Wo ist dein Sergeant, Laz?«, fragte Baker mich, während wir uns durch den Gang vorarbeiteten. »Hat sie sich verabschiedet und …«

Bevor er ausreden konnte, sprang vor uns die nächste Primärform aus ihrer Deckung. Das Krell krachte gegen Baker und schleuderte ihn beiseite. Einer aus seinem Team eröffnete das Feuer, verlor aber in dem engen Gang die Nerven. Das Krell ließ seine riesigen, messerscharfen Unterarme durch Bakers Körper fahren und riss ihm den Kampfanzug auf. Die Atmosphäre der Station war noch nicht vollständig entwichen, aber viel war nicht mehr übrig. Baker begann auf der Stelle, nach Luft zu schnappen, und griff nach seinem Visier.

»Ach du Scheiße!«, schrie einer seiner Frischlinge.

Das Krell warf den Kopf herum, klappte das Doppelgelenk seines Kiefers auseinander und entblößte mehrere Reihen Haifischzähne. Ich schoss helle Lanzen den Gang hinunter, aber das Vieh war zu schnell. Es ließ den toten Captain fallen und war mit einem Satz über einem seiner Gefreiten. In weniger als einer Sekunde war Bakers gesamtes Team zu blutigen Fetzen verarbeitet worden.

Ich jagte drei gezielte Schüsse in den gepanzerten Rumpf des Xenos. Das Gemetzel war vollendet, das Alien tot.

Ich fing Sauls panischen Blick auf – einen Blick, der »Kann ich hier überhaupt noch lebend rauskommen?« fragte. Aber er formulierte die Frage nicht, und ich hatte keine Zeit, ihn zu bemuttern.

Ich schaltete mein Funkgerät ein. »Jenkins! Hörst du mich?«

Der Kanal rauschte: »Bestätige. Gerade auf dem Weg durch die Filteranlage.«

»Verluste?«

»Negativ, aber nur um ein Haar.«

»Wir nähern uns von sechs Uhr.«

»Ich hab euch auf dem Scanner.«

Mason, Saul und ich kamen im Dauerlauf in den Raum, der einmal die Filteranlage gewesen war. Ein heilloses Durcheinander aus Rohren hing unter einer schweren Plasglas-Kuppel. Ich ging davon aus, dass Wasser auf Maru Prime ein wichtiger Rohstoff war, vielleicht sogar noch mehr als anderswo im All. Wir liefen durch eine Recycling-Anlage, die jetzt irreparabel beschädigt war. Flüssiges Gold, das dem Krieg anheimgefallen war und aus den geborstenen Schläuchen tropfte. Die Überlebenden kauerten zwischen den eingefallenen Überresten zweier Kunststoffzelte. Jenkins erhob sich, als wir näher kamen.

»Ihr habt euch ganz gut Zeit gelassen, Major«, sagte sie und grinste böse.

»Viele Leichen unterwegs.«

»Manchen Männern ist wirklich keine Ausrede zu schade.«

»Und wir haben Baker getroffen.«

»Wie geht’s dem alten Bastard?«

»Der ist hinüber. Er und zwei Grünschnäbel.«

»Typisch.«

Die Besatzung kauerte zwischen Jenkins und Martinez. Professor Saul gesellte sich zu ihnen, klopfte Anders auf den Rücken und murmelte irgendwas in sein Funkgerät. Anders hatte geweint; ihr Gesicht war voller roter Striemen.

»Wie geht’s weiter?«, fragte Jenkins.

»Die sauberste Route zum Hangar geht über die Wartungsetage. Hast du Kaminski in der Leitung?«

Jenkins schüttelte den Kopf. »Negativ.«

Ein Blick zurück auf die verängstigten Zivilisten und auf die blinkende Warnung in meinem Helm – SIEBEN MINUTEN BIS ABSTURZ – machte mir klar, dass wir nicht weiter nach Vorschrift vorgehen konnten.

Ich wechselte auf einen anderen Kanal. Mein Kampfanzug war ein Kommandomodell; im Notfall konnte ich die Protokolle außer Kraft setzen, um mein Signal zu verstärken.

»Kaminski, lebst du noch?«

»Bestätige, Major, aber gerade so. Im Hangar ist gut was los. Ich versuche, mich unauffällig zu verhalten.«

Jenkins schüttelte den Kopf und lachte leise vor sich hin. »Das wäre aber das erste Mal.«

»Du versteckst dich?«

»Jawohl. So kann man’s auch sagen.«

»Ist der Transporter startklar?«

»Präpariert und abmarschbereit.«

»Dann bleib noch ein bisschen am Leben bitte. Wir sind in unter einer Minute da.«

»Verstanden. Kaminski Ende.«

Die Besatzung fing an zu schreien und zu johlen.

»Ruhig bleiben, Leute!«, mahnte Martinez. »Gott wird euch schützen. Ihr kommt hier alle heil heraus …«

Ich war mir nicht so sicher, ob der Allmächtige wirklich zuhörte. Martinez meinte es gut, aber seine Worte konnten nicht ungeschehen machen, was die Zivilisten gerade erlebt hatten.

Die gewölbte Plasglas-Kuppel der Filteranlage bot trotz der vielen Metallverstrebungen eine erstklassige Sicht auf die Raumschlacht im Orbit. Ein paar Überlebende hatten schon die Köpfe gereckt und betrachteten den Himmel – die farbenfrohen Explosionen, die hellen Bahnen des Flakfeuers, die Plasmaimpulse –, aber mit einem Mal wandten sich alle Gesichter auf einmal dem Spektakel über uns zu.

Es gab eine gewaltige Explosion.

Gleißend helles Licht erfüllte die Dunkelheit. Dann folgte eine ganze Reihe kleinerer Explosionen. Das sterbende Schiff konnte nicht allzu weit von der Station entfernt gewesen sein, denn wir wurden fast sofort mit einem Schauer brennender Wrackteile überzogen. Schiffstrümmer krachten in die Kunststoffkuppel und hämmerten gegen den Rest der Station.

»Gracia de Dios…«, flüsterte Martinez.

Die Form der Explosion konnte nur bedeuten, dass es sich um ein Schiff der Allianz gehandelt hatte. Und nicht etwa um einen Jäger: Es musste einer der Angriffskreuzer gewesen sein. Immerhin war es beruhigend, dass es offenbar nicht die Mallard erwischt hatte, denn sonst wären wir alle sofort tot gewesen. Aber es legte nahe, dass die Schlacht im Himmel nicht so ablief, wie wir uns das vorgestellt hatten – und unser Zeitfenster somit noch knapper wurde.