Die Legende von Drachenhöhe 2: Aufbruch der Helden - Frank Schmeißer - E-Book

Die Legende von Drachenhöhe 2: Aufbruch der Helden E-Book

Frank Schmeißer

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Beschreibung

Ein unbesiegbarer Held? Das ist Oskar eher nicht. Er ist ein ganz normaler Junge mit Mathehausaufgaben. Und plötzlich Drachentöter. *** Oskar und seinen Freunden ist die Flucht aus der Drachentöter-Akademie gelungen. Endlich in Sicherheit. Oder? Pustekuchen! Kopflose Zombies, augenlose Bergmonster und die skrupellosen Soldaten der Königin sind hinter Oskar her. Und natürlich – die Drachen! Verglichen mit seinen neuen Abenteuern war es auf der Drachentöter-Schule geradezu gemütlich. Oskar wird klar: Er muss weg aus dem magischen Reich. Er muss zurück nach Hause. Und glaubt man dem geheimnisvollen Drachenei-Sammler Hinnerdir, gibt es dafür nur einen Weg. Einen gefährlichen Weg ... *** Drachen, Freundschaft, Witz und Abenteuer - der großartige zweite Teil einer einzigartigen Fantasy-Trilogie! Viel Tempo, viel Spaß und eine Menge unvorhergesehener, überraschender Wendungen ... *** "Ungemein spannende Abenteuer-Fantasy!" (Eselsohr) "Spritzig und packend!" (kilifü)

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Veröffentlichungsjahr: 2016

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Copyright © by Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2016

Text: Frank Schmeißer

Umschlag- und Innenillustrationen: Helge Vogt

Umschlaggrafik: Sabine Reddig

Lektorat: Claudia Scharf

Layout und Herstellung: Constanze Hinz

Satz und E-Book-Umsetzung: Dörlemann Satz, Lemförde

ISBN 978-3-646-92801-3

 

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Inhaltsverzeichnis

CoverImpressumKarteFlucht aus GoldenhöheFreund oder Feind?RiesenchaosBiberfuß und KrötenarschGetrennte WegeNorden? Wo ist Norden?Das Rätsel der BrückeDunkelpfuhl und der Markt der SklavenZum torkelnden RitterDer Pfad der Drachenei-SammlerDrei HeldenBreitstinkmaulDie Weißen ReiterMucksmäuschenlautKampf gegen die sieben ZwergeDas Gegenteil von schönPalasthotel im NirgendwoDas Geheimnis der KugelEine unruhige NachtTahl Avandanda vom Blütensee, König des Elblands, Sohn des großen Horo Malach Mirithien von den SchlagfelsenEin Zimmer ohne DeckeEichenfallBeunruhigende Klogespräche und unheimliche GedichteEine falsche EntscheidungÜberfallDrachen!Ein paar faustdicke ÜberraschungenEpilogLeseprobe aus dem dritten BandFrank SchmeißerHelge VogtLesetippsLeseprobe

Flucht aus Goldenhöhe

In Gertrude Eleonore Fisselsticks berühmtem „Handbuch zur Bestimmung aller magischen und nichtmagischen Arten“ steht über Drachen Folgendes:

Drachen sind hinterhältige, gefährliche Biester. Wem es aber gelingt, einen Drachen zu bezwingen und auf seinem Rücken zu fliegen, kann sich glücklich schätzen. Es gibt nichts Erhabeneres, als auf dem Rücken eines Feuerspeiers über die herrliche Landschaft Drachenhöhes zu gleiten.

Und:

Drachen schmecken schweflig. Nicht zu empfehlen. Nicht mal mit grünen Bohnen.

Wer jemals Drachenhöhe vom Rücken eines Drachen aus sah, wird der berühmten Hexe und Gourmetköchin Gertrude Eleonore Fisselstick zustimmen. Es gibt nichts Tolleres. Nicht mal Videospiele können da mithalten.

Oskar Schafkeller, der gerade zum ersten Mal einen Drachen ritt, bekam von der Erhabenheit eines Drachenflugs und der wilden Schönheit der unter ihm ausgebreiteten Landschaft allerdings nichts mit. Er hatte kein Auge für den unendlichen Wald oder die drei schneebedeckten Gipfel, die sich weit entfernt am Horizont abzeichneten und die alle Einheimischen nur ehrfürchtig „Die Weißen Reiter“ nannten. Oskar hatte andere Bilder im Kopf. Traurige Bilder, die ihn nicht losließen. Immerzu sah er Horand vor sich, den alten, tapferen Drachentöter, der sich allein in den Kampf gestürzt hatte.

Vor allem ein Bild tauchte immer wieder vor Oskars Augen auf: Er sah, wie Horand im Sand der Arena lag. Auf dem Bauch. Regungslos alle viere von sich gestreckt. Das Schwert zerbrochen. Erschlagen von den Soldaten der Königin.

Horand hatte sein Leben gegeben, damit er, Florian und Lisbeth auf dem Rücken des Drachen Fluppe aus der Arena von Goldenhöhe fliehen konnten.

Und – so viel war klar – damit hatte er Oskar und Florian das Leben gerettet. Denn sie beide hätten gegen ihre Drachen im Kampf keine Chance gehabt. Schließlich waren sie nur ganz normale Kinder, die, wie unzählige Kinder vor ihnen, mit falschen Versprechungen nach Drachenhöhe gelockt worden waren, um als chancenlose, mickrige Drachentöter gegen kolossale, zähnefletschende Drachen anzutreten. Oskar und Florian sollten ihr Leben als gegrilltes Drachenfutter in der Arena von Goldenhöhe beenden – unter dem begeisterten Applaus der Königin Elder Sarina und ihrer Untertanen …

Oskar musste daran denken, wie alles begonnen hatte: wie er damals traurig im Garten seiner Großeltern herumhing und an seine verschollenen Eltern dachte. Und wie dann plötzlich dieser Zauberer auftauchte und ihn nach Strich und Faden belog – von wegen, er wäre der Retter des Reichs, „der Auserwählte“. Ha! Hätte Oskar sich nicht nach Drachenhöhe gewünscht, säße er jetzt in Ruhe und Sicherheit am Küchentisch seiner Großeltern. Und würde die langweiligste und längste Partie Canasta spielen, die ein Junge von zwölf Jahren je ertragen musste …

Gerade, als Oskar noch trübsinniger zu werden drohte, brachte ihn Fluppe auf andere Gedanken.

Leider keine schönen Gedanken.

„Ich kann nicht mehr!“, rief der Drache zwischen zwei Flügelschlägen.

Oskar streckte den Hals und brüllte gegen den Wind an, der ihm um die Ohren pfiff. Für ihre massigen Körper fliegen Drachen überraschend schnell.

„Was hast du gesagt?“, rief er.

„Kann nicht mehr. Kaputt. Ihr feid fu pfwer und der Gegenwind ift fu ftark!“, ächzte Fluppe.

„Was sagt er?“ Florian, der hinter Oskar saß, wurde unruhig. Er hielt Lissy gut fest, die ohnmächtig vor ihm auf dem Drachenrücken lag, und beugte sich ein wenig nach vorn. „Oskar, was sagt er?“

„Er sagt … äh … wir sind gar nicht schwer“, schwindelte Oskar, um Florian nicht zu beunruhigen. „Und … wie sehr er uns mag.“

„Dann ist ja gut.“ Florian war beruhigt.

In dem Moment sackte Fluppe ab.

Florian kiekste.

Fluppes grüner Drachenkopf lief rot an, während er gegen den Absturz ankämpfte. Seine Flügelschläge wurden zusehends langsamer. Die Baumkronen des unendlichen Walds näherten sich bedrohlich. Fluppe begann zu trudeln, hinauf und hinunter. Oskar schien es, als säße er auf einer dieser vermaledeiten Schiffschaukeln, auf denen ihm als kleines Kind immer speiübel geworden war.

„Ich hab Angst!“, hörte Oskar Florians Stimme.

Oskar sah sich hektisch um.

Überall dichter Wald. Keine Lichtung weit und breit, auf der sie hätten landen können.

„Du musst weiterfliegen!“, schrie Oskar.

Fluppe schüttelte den Kopf, keuchte: „Kannnichmehr. Erfter Flug überhaupt. Fefthalten!“, und richtete sich in der Luft auf.

Oskar rutschte nach hinten. Florian, der jetzt weniger hinter Oskar als vielmehr unter ihm saß, stemmte sich mit aller Kraft gegen Oskars Rücken, damit sie nicht alle drei den Drachen hinabsausten. Oskar streckte sich. Er bekam den Hals des Drachen zu packen und zog sich wieder hoch.

Fluppe glitt durch die Luft wie ein Segelflugzeug und steuerte dabei viel zu schnell auf einen großen Baum zu. Im letzten Moment, bevor sie gegen den Stamm krachten, zog Fluppe ein Stück nach oben. „Aufpaffen!“

Mit seinem rechten Fuß trat er auf die Spitze des Baums, federte ab, machte einen kleinen Hopser durch die Luft und landete auf dem nächsten Baum. So sprangen sie ein gutes Stück von Wipfel zu Wipfel.

Hoch und runter.

Hoch und runter.

Dann trat Fluppe ins Leere. „Mift!“

Ein Windstoß packte ihn und sie schmierten nach links ab. Wild schlug Fluppe mit den Flügeln. Sein Schwanz peitschte auf der Suche nach Gleichgewicht hin und her. Dann donnerten sie frontal gegen eine Eiche. So wie Fluppe den mächtigen Baumstamm mit seinen kurzen Armen und langen Beinen umklammert hielt, schlang Oskar seine Arme und Beine um den Hals des Drachen. Wie die zwei hässlichsten Koalabären aller Zeiten klebten sie an Baumstamm und Drachenhals. Hinter ihm war Florian zwischen einem Ast und dem Drachenflügel eingequetscht. Er hatte sich Lissy vor den Bauch geklemmt und wimmerte leise vor sich hin.

Oskar blickte sorgenvoll nach unten. Durch das dichte Blätterdach war der Boden nicht auszumachen. Sie waren locker 20 Meter in der Luft, vielleicht 30 …

„Hey! Was macht ihr an meinem Baum?“ Das Stimmchen, das Oskar hörte, war so zart, dass er sich nicht sicher war, ob es nicht vielleicht doch nur das Säuseln eines Lufthauchs gewesen war.

Oskar sah nach oben. Ein kleines Wesen mit silbrig schimmernden Insektenflügeln surrte über seinem Kopf herum. Es hatte schlohweiße Haare und trug einen Schlafanzug mit Schlafmütze. In den Händen hielt es einen weißen Zauberstab. Es war eine Elfe. Eine Blattelfe, um genau zu sein.

Gertrude Eleonore Fisselstick schenkt den Blattelfen in ihrem weltberühmten „Handbuch zur Bestimmung aller magischen und nichtmagischen Arten“ nur einen kurzen Eintrag.

Blattelfen leben, wie es ihr Name schon verrät, im Blattwerk von Bäumen. Sie ernähren sich von Tautropfen, Blütenpollen und Vogelhäufchen.

Im Gegensatz zu all ihren Verwandten können Blattelfen nicht zaubern. Warum sie trotzdem ständig einen Zauberstab mit sich herumschleppen, verstehen wohl nur sie selbst. Essen kann man Blattelfen nicht. Sie sind einfach zu knochig.

„Haut ab! Das ist mein Baum!“, meckerte die Blattelfe.

„Daf würden wir gerne. Wir wiffen nur nicht, wie“, erklärte Fluppe ihre missliche Lage.

„Das ist mir egal. Ihr müsst weg. Das ist mein Baum“, sirrte die Elfe böse.

„Wenn du uns hier runterhelfen könntest, wäre das super“, sagte Oskar.

„Ich soll euch helfen?“, fragte die Blattelfe.

„Ja. Das wäre nett.“

„Nein. Das wäre sehr nett!“, antwortete die Elfe.

„Ja“, antwortete Oskar. „Wäre es.“

„Sag es!“, pampte die Elfe ihn an.

„Was?“, fragte Oskar irritiert.

„Dass es sehr nett wäre, wenn ich euch helfen würde“, antwortete die Elfe lauernd.

„Es wäre sehr nett, wenn du uns helfen würdest!“, wiederholte Oskar schnell, während der Baum nachgab und sie alle ein Stück absackten.

„Na gut, dann will ich mal nicht so sein“, trillerte die Blattelfe. Sie schwirrte wie ein Kolibri zu Fluppe und begann den Drachen mit ihrem Zauberstab unter den Achseln zu kitzeln.

„Hihihi! Hey! Hihihi! Laff daf! Hihihi!“, quiekte Fluppe, während er versuchte, die lästige Elfe von sich wegzupusten. Vergeblich. Elfen sind zwar winzig, aber einfach nicht wegzupusten. Außerdem mögen sie es gar nicht, wenn sie von einem Drachen mit feuchter Aussprache angespuckt werden.

„Hey! Ich habe heute schon geduscht!“, beschwerte sich die Elfe und keifte ein böses „Na warte, Bursche!“ hinterher.

Sie schwirrte so schnell um Fluppe herum, dass dem Drachen schwindelig wurde. Immer wieder pikste und kitzelte sie ihn dabei mit ihrem Zauberstab.

Fluppe gab auf.

„Fefthalten! Ef geht abwärtf! Ich laffe jetf lof!“

Fluppe ließ los. Mit dem Hintern voran und den drei Drachentötern im Huckepack rutschte er schreiend den Baumstamm hinunter wie ein Feuerwehrmann an der Stange. Äste und Zweige krachten gegen den Drachen, brachen, splitterten entzwei und stürzten mit ihnen zu Boden. Oskar krallte sich an Fluppe fest, hielt die Luft an und schloss seine Augen.

Der Lärm war ohrenbetäubend. Das Krachen zerberstender Äste, die Schreie von Florian und das laute, schmerzerfüllte Stöhnen Fluppes, dem von den peitschenden Ästen der Hintern versohlt wurde, klingelten in Oskars Ohren.

Ein Ast streifte seinen Rücken, Oskar verlor den Halt und rutschte nach unten. Panisch wollte er Florian warnen – doch der war weg. Genau wie Lisbeth.

Blätter klatschten ihm ins Gesicht. Nur noch mit einer Hand hing Oskar an Fluppes Hals.

Dann ließ er los.

Er flog.

Rauschte an Fluppe vorbei.

Das war’s, dachte Oskar. Aus und vorbei.

Und er schlug dumpf und viel weicher auf, als er es erwartet hatte. Er öffnete seine Augen und sah einen riesigen grünen Hintern auf sich zufliegen. Blitzschnell und keine Millisekunde zu früh rollte er sich auf die Seite. Mit einem dumpfen Knall krachte Fluppe neben ihn auf den Boden.

„Seht, was ihr mit meinem Baum angestellt habt, ihre Baumzerstörer!“, piepste die Fee außer sich und versuchte, Oskar mit ihrem Zauberstab in die Augen zu piksen. Der hielt sich zum Schutz schnell seine Hände vors Gesicht und rollte nach links und rechts, bis die Elfe schimpfend verschwand.

Oskar sah nach oben. Die Eiche sah wirklich arg mitgenommen aus. Mit seinen starken Armen und dem dicken Hintern hatte Fluppe den Baum nahezu komplett entlaubt. Nur ein schmaler, exakt senkrechter Streifen von Ästen und Blättern hatte ihre Rutschpartie überstanden – wie eine saubere Irokesenfrisur.

Oskar blieb flach auf dem feuchten Grund liegen. Eine dicke Schicht aus verfaultem Laub hatte seinen Aufprall gedämpft. War er verletzt? Oskar konzentrierte sich. Seine Arme und Finger waren noch dran. Sie ließen sich schmerzfrei bewegen. Er tastete seine Beine ab. Der rechte Oberschenkel war warm. Blutete er? Vorsichtig fühlte Oskar, ob er eine Wunde hatte. Nein. Nichts. Nur die kleine Kugel in seiner Tasche hatte sich erwärmt. War jemand Fremdes in der Nähe? Natürlich. Er war in einem tiefen Wald. Hier gab es sicherlich jede Menge fremder Wesen, ganz zu schweigen von gemeinen Blattelfen.

„Wie geht es euch?“

„Flo!“, seufzte Oskar erleichtert. Der junge Drachentöter kam völlig verdreckt aus einem Gebüsch geklettert. Offensichtlich hatte auch er den Sturz halbwegs unbeschadet überstanden. Nur ein paar blutige Kratzer zogen sich wie Schnurrhaare durch sein Gesicht und ließen ihn ein kleines bisschen wie eine Katze aussehen.

Florian reichte Oskar seine Hand und zog ihn hoch.

„Danke.“ Oskar reckte und streckte sich. Alles gut. Keine Schmerzen.

„Mein Flügel ift verletft!“, jammerte Fluppe.

„Ach du Scheiße!“ Oskar zog Luft durch die Zähne ein. Der linke Drachenflügel hing geknickt nach unten. „Ich glaub, der ist gebrochen …“

„Tut es sehr weh?“, fragte Flo.

„Nein, gar nicht“, sagte Fluppe. „Nur fliegen kann ich damit nicht.“

Das war keine gute Nachricht. Zwar wussten sie eh nicht, wohin, aber Oskar fand es besser, fliegend durch die Gegend zu irren als laufend. Zumal die Soldaten der Königin garantiert längst hinter ihnen her waren.

Florians panische Stimme ertönte aus dem Unterholz.

„Lisbeth? Lissy! Lissy, wach auf!“

Oskar stürzte zu Florian. Die Drachentöterin lag reglos auf dem Boden. Blut lief ihr über das Gesicht. Oskars Herz setzte für einen Moment aus.

„Lissy!“ Florian schüttelte sie vorsichtig.

„Lass das! Nicht schütteln.“ Oskar hockte sich neben Lisbeth und griff behutsam nach ihrem Handgelenk. Er fühlte ihren Puls. Er war schwach. Aber immerhin, sie lebte.

Oskar atmete tief durch.

„Was sollen wir tun?“ Florians Augen röteten sich.

„Ich weiß es nicht. Keine Ahnung. Ich weiß es wirklich nicht.“

„Fluppe?“ Florian sah sehnsüchtig zu Fluppe. Aber der Drache schüttelte nur traurig den Kopf.

Oskar nahm ein großes Blatt vom Boden auf. Er schaufelte das modrige Laub beiseite und drückte das Blatt ins Moos, bis sich Wasser darauf gesammelt hatte.

Dann nahm Oskar das Blatt vorsichtig hoch und tröpfelte Lisbeth ein paar Tropfen auf die Lippen.

Oskar wusste nicht, was er erwartet hatte. Vielleicht, dass das Wasser wie durch Zauberhand ihre Lebensgeister wachrief, sie sich verschluckte und sich hustend und verärgert aufrichtete. Irgend so etwas.

Aber es geschah nichts.

Die Wassertropfen perlten von Lisbeths Lippen, rannen über ihr Kinn und ihren Hals und versickerten im Boden. Lissy rührte sich nicht.

„Ist sie tot?“, fragte Florian.

Da erklang eine tiefe Männerstimme hinter ihnen: „Nein. Aber bald.“

Freund oder Feind?

Oskar und Florian sprangen auf und zogen ihre Schwerter.

Aus dem Dickicht trat ein Mann. Er trug einen knielangen, dunkelgrünen Mantel. Seine Füße steckten in schweren braunen Stiefeln. Seine hellblauen Augen leuchteten wach aus seinem vom Wetter gegerbten Gesicht. Er trug einen Bart, wenn auch keinen so langen wie der Zauberer, der Oskar nach Drachenhöhe getrickst hatte. Oskar erkannte ihn sofort. Es war der Mann, den er in Goldenhöhe im Gasthaus „Drachenloch“ getroffen hatte. Der zu ihm „Nutz den Drachen!“ gesagt und Oskar damit geholfen hatte.

„Was wollt Ihr? Verschwindet! Lasst uns in Ruhe!“ Florian fuchtelte drohend mit seinem Schwert.

Der Fremde trat auf sie zu. „Steckt eure Schwerter weg. Ich bin kein Feind. Ich bin hier, um zu helfen.“ Er schob Florians Schwert beiseite und hockte sich neben Lisbeth.

Florian wollte sich auf ihn stürzen, aber Oskar hielt ihn zurück. Der Mann legte sein Ohr auf Lisbeths Brust. Dann griff er in seine Manteltasche und holte ein kleines Säckchen aus Leder hervor. Er öffnete es und streute getrocknete Blätter in seine Hand. Während er merkwürdig klingende Wörter vor sich hin murmelte, verrieb er die Blätter und ließ den Pflanzenstaub auf Lisbeths Körper rieseln.

„Was … was macht er da?“, flüsterte Florian.

„Ich weif ef auch nicht“, nuschelte Fluppe.

Der Mann öffnete seinen Mantel und fasste in seine Innentasche. Für einen kurzen Moment sah Oskar zwei Klingen aufblitzen. Es waren nicht die Klingen von Schwertern, mit denen man in den Kampf zieht. Es waren die von Messern, mit denen man hinterrücks und lautlos tötet.

Nun zog der Fremde einen kleinen Glasballon heraus, gefüllt mit einer pink schimmernden Flüssigkeit. Er entkorkte den Ballon und tröpfelte genau drei Tropfen der merkwürdigen Flüssigkeit auf Lisbeths Lippen. Ein kleines bisschen Rauch stieg auf, als die Tropfen in Lisbeths Mund rannen.

Und zu Oskars größter Überraschung schien die Medizin tatsächlich zu wirken! Lisbeth regte sich. Erst nur die Finger, dann die Arme und Beine, schließlich öffnete sie die Augen. Und im nächsten Augenblick war sie mit einem Satz auf den Beinen, hatte den Fremden mit vor Zorn glitzernden Augen an einen Baum gedrückt und hielt ihm ihr Schwert an die Kehle.

„Was willst du hier, Hinnerdir? Du dreckige Elster!“, fauchte sie.

„Elster?“, fragte Oskar verwirrt.

„Der Typ hier ist eine miese kleine Elster, ein Drachenei-Sammler“, erklärte Lissy mit gefletschten Zähnen, ohne den Blick von dem Mann zu nehmen. „Er stiehlt Dracheneier aus den Nestern und verkauft sie für viel Gold an die Königin für Drachenkämpfe.“

„Daf ift aber nicht nett!“ Fluppe sah Hinnerdir böse an.

„Überhaupt nicht nett!“ Florian hob wütend sein Schwert.

„Drachenei-Sammler sind alles andere als nett“, zischte Lisbeth und drückte die Klinge fester an Hinnerdirs Hals.

„Hey. Hey!“, rief der mit gepresster Stimme und hielt abwehrend seine Hände in die Höhe. „Ich habe dir gerade das Leben gerettet.“

„Ich wäre nicht gestorben.“

„Nicht an den Verletzungen. Aber der heraufziehende Winter hätte dich erledigt.“

Oskar sah nach oben. Der Mann hatte Recht. In Drachenhöhe wechselte das Wetter innerhalb eines Tages durch alle vier Jahreszeiten. Nun war schon wieder Herbst. Rot gefärbte Blätter segelten zu Boden.

Lisbeth sah sich um. Sie ließ ihr Schwert sinken.

„Wo zum Teufel sind wir?“, fragte sie. „Wir waren doch gerade noch in der Arena von Goldenhöhe!“

„Wir sind im unendlichen Wald.“

„Was? Das kann doch nicht sein! Oder doch? Aber … wie?“ Lisbeth war in etwa so verwirrt, wie Oskar es gewesen war, als er auf einmal in Drachenhöhe statt in seinem Zimmer in Waldende erwacht war.

„Wir sind auf Fluppes Rücken aus der Arena geflohen!“, brabbelte Florian aufgeregt.

Fluppe nickte und sagte voller Stolz: „Ich kann fliegen!“

Lisbeth knuffte ihn freundschaftlich in die Seite. „Ich habe immer gewusst, dass du ein Spitzendrache bist!“ Lächelnd sah sie sich um. „Wo ist Horand?“

Niemand antwortete.

Stattdessen ertönte ein aufgeregtes heiseres Kreischen, das sich rasch näherte. Ein riesiger Schwarm Krähen erschien wie aus dem Nichts und kreiste krächzend in einer schwarzen Wolke dicht über ihnen.

Hinnerdir sah hinauf. Er nickte und die Krähen verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren.

„Wir müssen weiter. Die Soldaten der Königin durchkämmen den Wald“, sagte er.

Oskar und Florian steckten ihre Schwerter ein.

„Wo? Ist? Horand?“, wiederholte Lissy. Ihre Stimme überschlug sich.

Oskar sah hilfesuchend zu Flo.

Der zuckte mit den Schultern.

Und dann berichteten sie stockend, was in der Arena vorgefallen war. Wie der alte Drachentöter sich geopfert und ihnen allen das Leben gerettet hatte.

Oskar hatte erwartet, dass Lissy durchdrehen würde. Dass sie schreien und heulen würde. Dass sie wütend würde und lautstark nach Gerechtigkeit und Vergeltung verlangte. Aber nichts von alledem geschah.

Lisbeth lauschte ihnen regungslos. Als sie am Ende ihrer Geschichte angekommen waren und Hinnerdir sie zum Aufbruch antrieb, stand Lisbeth auf und sagte: „Horand lebt.“

Sonst sagte sie nichts.

Die populärste Hexe Drachenhöhes, Gertrude Eleonore Fisselstick, hat über Drachenei-Sammler nur wenig Nettes zu sagen:

Drachenei-Sammler entstammen nahezu vollzählig dem Volk der Nordfiesen. Eine Menschenart, deren verbrecherische Fähigkeiten sie zu perfekten Drachenei-Sammlern machen. Oder Mördern.

So bewegen sich sogar die Dicksten unter ihnen absolut lautlos. Sie sind enorm geschickt, haben einen sechsten Sinn für lauernde Gefahren und kommen mehrere Wochen ohne Nahrung aus. Und was das Wichtigste ist: Sie besitzen keinerlei Skrupel. Jeder Drachenei-Sammler würde, ohne mit der Wimper zu zucken, für einen kleinen Profit seine eigene Mutter verkaufen. Was natürlich nicht geht, weil die Mütter der Nordfiesen ihren Nachwuchs aus Angst, später von ihren Kindern verhökert zu werden, unmittelbar nach der Geburt vorbeireisenden Vagabunden verkaufen.

Oskar jedenfalls war ziemlich froh, dass Hinnerdir aufgetaucht war. Zwar reichten dessen Heilkräfte nicht aus, um einen Drachenflügel zu heilen. Aber zumindest schien er sich im Wald auszukennen.

Der Winter war fast da. Nur noch vereinzelte vergilbte Blätter klammerten sich an ihre Äste. Der Rest war längst zu Boden gefallen und zum Spielzeug für den immer eisiger werdenden Wind geworden.

Oskar fror, wie er noch nie gefroren hatte. Seine Drachentöterkleidung war für den Kampf ausgelegt und nicht für den Marsch durch einen bitterkalten Spätherbst. Seine Finger und Zehen spürte er längst nicht mehr.

Flo lief dicht hinter ihm und dahinter brach sich Fluppe geräuschvoll eine Schneise durch die eng stehenden Bäume. Lisbeth aber hatte sich weit zurückfallen lassen. Seit sie losmarschiert waren, hatte sie kein Wort gesagt. Und niemand wagte es, sie anzusprechen.

„’schuldige.“ Schon wieder stolperte Florian vor Erschöpfung in Oskar hinein. Oskar wusste, sie würden ihn bald stützen müssen.

Sie waren frei – aber zu welchem Preis? Lissy war verstummt. Fluppe war verletzt. Und Horand war tot. In der Drachentöter-Akademie hatten sie zumindest jeden Abend ein wärmendes Feuer gehabt. Und nun stapften sie durch einen dunklen, eisigen Wald, einem völlig Fremden ausgeliefert …

Irgendwann dachte Oskar gar nichts mehr. Sein Kopf war tiefgekühlt. Wie ein Roboter setzte er einen steifen Fuß vor den anderen, während Hinnerdir ihnen mit Florians Schwert einen Weg durch das Unterholz schlug.

Bis der Drachenei-Sammler auf einmal stehen blieb und in den grauen Himmel sah. Dann kniete er sich auf den Boden und roch am Laub.

„Wir sind gleich da“, sagte er und stand wieder auf. „Hier geht’s lang!“ Und wieder setzte er sich in Bewegung.

Oskar hatte genug. „Wo laufen wir eigentlich hin, Hinnerdir?“, rief er nach vorne.

„Zu den Riesen“, antwortete der Drachenei-Sammler und Oskar blieb so abrupt stehen, dass Florian gegen ihn prallte.

„Riesen?“, fragte Oskar.

„Ja.“

Oskar schloss schnell zu Hinnerdir auf.

„Riesen?“, fragte Oskar noch mal in der Hoffnung, sich verhört zu haben.

„Ja. Zwei Riesen, um genau zu sein. Hadfi und Wei. Sie sind ein Pärchen.“

„Hadfi und Wei?“

„Richtig. Hadfi ist der Mann und Wei die Frau. Bei Riesen kann man Frauen und Männer kaum unterscheiden.“

„Aha. Und woran erkennen Riesen, wer ein Mann und wer …?“

„Am Duft. Sie riechen unterschiedlich.“

Oskar stellte sich Riesen vor, die einander beschnupperten wie Hunde.

Hinnerdir genoss Oskars Verwirrung sichtlich. Er lachte. „Und vielleicht können sie sogar Fluppe helfen.“

„Riesen? Helfen? Sind die nicht böse und unglaublich dumm?“, fragte Oskar. Alles, was er über Riesen wusste, stammte aus seinen alten Kinderbüchern. Und in denen wurden Riesen immer als unbeschreiblich dämlich dargestellt. Als Riesenschädel mit winzigen Gehirnen.

„Nein“, antwortete Hinnerdir lächelnd. „Riesen sind kein bisschen gemein und außerdem superschlau! Allerdings …“

„Allerdings?“, hakte Oskar nach. Das Wort gefiel ihm gar nicht. Mit „allerdings“ fangen keine guten Sätze an: „Allerdings hassen sie Menschen! Allerdings fressen sie unglaublich gern Kinder!“ Allerdings ist ein schreckliches Wort.

„Allerdings“, fuhr Hinnerdir fort, „sind sie sehr ungeschickt.“

„Ach!“ Oskar konnte kaum glauben, was für ein Gespräch er gerade führte. Und er spürte auf einmal mit jeder Faser seines Körpers, wie weit weg er von seinem Zuhause und seiner Familie war.

„Ja, unglaublich ungeschickt! Absolute Tollpatsche. Gerade Hadfi, der männliche Riese, der ist ein Tollpatsch, wie er im Buche steht. Passt also auf, dass euch die Riesen nicht versehentlich verletzen. Euch umrennen, mit kochend heißen Getränken überschütten oder auf euch drauftreten.“

Oskar stellte sich vor, wie er platt getreten unter dem Schuh eines Riesen klebte und der ihn mit einem Stock angewidert wie einen stinkenden Hundehaufen von seinen Schuhsohlen pulte. Eine Vorstellung, die Oskar ein ziemlich flaues Gefühl bescherte.

„Ah, da ist er ja!“, rief Hinnerdir und lächelte. Vor ihnen gurgelte ein kleiner Bach durch den unendlichen Wald. „So, dann wollen wir mal ein paar Fische fangen!“

„Ernsthaft? Muss das jetzt sein?“, fragte Florian bibbernd.

„Wir können nicht ohne Geschenk bei den Riesen auftauchen“, sagte der Drachenei-Sammler. „Das wäre unhöflich. Und Unhöflichkeiten mögen Riesen nicht.“

„Ach so.“

„Wir wollen die Riesen doch nicht verärgern, oder?“

„Oh nein! Auf gar keinen Fall“, sagte Oskar heftig und meinte es auch so. Das war wie auf dem Schulhof, die Großen brachte man besser nicht gegen sich auf. Sonst steckte der Kopf die ganze große Pause in der Kloschüssel.

„Wir sollten ihnen so viele Fische fangen wie möglich!“, beschloss Oskar.

„Ganz genau“, sagte Hinnerdir. Er stieg mit einem vorsichtigen Schritt in den Bach und beobachtete regungslos das Wasser. „Wusste ich es doch!“, freute sich der Drachenei-Sammler. „Der Bach ist voller Quasserellen!“

„Quasserellen?“

„Ja. Eine Forellenart.“

„Komischer Name“, wunderte sich Oskar.

„Gleich weißt du, warum die so heißen …“, sagte Hinnerdir, griff schnell wie ein Blitz ins Wasser und zog einen zappelnden Fisch heraus. Er warf Oskar den Fisch zu, der sich ganz offensichtlich ein Loch in den Bauch freute, gefangen worden zu sein.

„Aaah, endlich! Ich danke euch! Ich danke, danke, danke euch!“, jubelte die Quasserelle und quasselte weiter. „Ehrlich, das Wasser ist heute so arschkalt! Gibt es gar nicht. Gut, dass ich da raus bin! Ich habe eine richtig mörderische Gänsehaut. Da, schaut mal!“

Nicht ohne Stolz präsentierte die Quasserelle eine ihrer Flossen. Es war rein gar nichts darauf zu sehen.

„Der kann ja sprechen!“ Oskar staunte so sehr, dass er sogar seine eiskalten Finger vergaß. Und der Fisch legte nach.

„Natürlich kann ich sprechen. Und wie! Wer ist denn noch so da?“, fragte die Quasserelle. Sie hüpfte in Oskars Hand auf und ab und verschaffte sich so einen Überblick.

„Na, Leute? Wie geht’s, wie steht’s? Alles im Lot? Schon Gedanken gemacht, wie ihr mich zubereiten wollt? Ich schlage vor: gebraten mit ein paar grünen Böhnchen. So schmecke ich am besten, finde ich. Habt ihr überhaupt Böhnchen da? Nein? Na, ist auch nicht schlimm. Mit einem feinen Sößchen oder ein paar Spritzerchen Zitrone würde ich mich auch verputzen. Aber wem erzähle ich das! Apropos erzählen: Kennt einer einen guten Witz? Hab schon lange keinen mehr gehört.“

Der Fisch sah aufgeregt in die Runde. „Nein? Niemand? Gut, dann erzähle ich einen. Geht ein Fisch zum Hautarzt und fragt: Haben Sie was gegen Schuppen?“

Die Quasserelle sah sich erwartungsvoll um. Als niemand lachte, rief sie: „Hallooo? Hautarzt. Schuppen. Fisch. Fische haben Schuppen?“ Niemand lachte. „Na gut. Ich kenne noch einen. Ihr werdet euch kringelig lachen! Ein Frosch beschwert sich im Restaurant: Herr Ober, in meiner Suppe ist keine Fliege!“ Die Quasserelle lachte sich erst scheckig und dann wieder einfarbig. Da war sie allerdings die Einzige. „Was seid ihr fünf bloß für ein trauriger Haufen!“ Der Fisch schüttelte seinen Kopf. „Der Witz ist doch spitze!“

„Ich fand den nur so mittel“, sagte Oskar.

Die Quasserelle sah Oskar traurig in die Augen. „Du hast keinen Humor, mein armer Junge“, sagte sie und wurde wieder geschäftsmäßig. „So, jetzt haben wir uns genug amüsiert. Nimm dir mal den dicken Stock da drüben und hau mir damit ordentlich auf die Rübe. Und dann ab in die heiße Pfanne mit mir und denk dran: Fisch immer auf der Hautseite braten! Immer! Aber nicht zu lange! Mein Fleisch muss noch schön glasig sein, sonst werde ich zu trocken und schmecke nach einem Pappkarton, der generationenlang in einem feuchten Keller vor sich hin gemodert hat.“

Die Quasserelle in Oskars Hand schloss erst das Maul, dann die Augen und dann zeigte sie mit ihrer Flosse auf die Stelle ihres Kopfes, auf die Oskar einhämmern sollte. Der war aber immer noch viel zu erstaunt, um auch nur einen Finger zu heben.

Hinnerdir übernahm.

Insgesamt neun geschwätzige Fische zogen Hinnerdir und die weiter schweigende Lisbeth aus dem Wasser. Am Ufer nahmen Oskar und Florian die Quasserellen entgegen, kloppten ihnen auf den Kopf und fädelten sie auf eine dünne Schnur. Die Schnur wiederum knotete Hinnerdir an einen Stock und reichte ihn Florian.

„So kannst du sie tragen.“ Der Drachenei-Sammler rieb sich die frostigen Hände. „Jetzt aber los! Bevor wir hier festfrieren.“

Als Hinnerdir ihren Marsch nach einer weiteren Stunde stoppte und flink wie ein Eichhörnchen einen Baum hinaufkletterte, war die Sonne bereits völlig verschwunden. Es war tiefer Winter. Der Mond schien von einem wolkenlosen Himmel und tauchte den Wald in ein graues, eisiges Licht.

Oskars Atem gefror an der frostigen Luft sofort. Kleine Eiszapfen hingen an seinen Wimpern und Nasenhaaren. Jedwede Energie und Wärme hatten seinen Körper verlassen.

Florian wurde von Lisbeth gestützt. Sein Gesicht war völlig blau, seine Augen nur halb geöffnet. Lange würde er sich nicht mehr auf den Beinen halten können. Nur Fluppe schien die Kälte nichts auszumachen. Er sog die frostige Luft gierig ein und war, trotz hängenden Flügels, bester Laune.

„Waf für eine Wohltat! Die Luft hier ift viel beffer alf in den Minen. Fo fauber und erfriffend!“

Als Hinnerdir wieder vom Baum stieg und glücklich verkündete, dass sie es nun bald geschafft hätten, konnte Oskar noch nicht einmal lächeln. Er war so müde und abgekämpft, dass er selbst für ein Lächeln keine Kraft mehr aufbringen konnte.