Die letzten Hexen von Berlin - Sammelband - Oliver Skuza - E-Book

Die letzten Hexen von Berlin - Sammelband E-Book

Oliver Skuza

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Beschreibung

Lies jetzt die komplette erste Staffel der Serie »Die letzten Hexen von Berlin« um den Barkeeper Mercurius und seine Ermittlungen in der magischen Unterwelt von Berlin

Dieser Sammelband enthält die vier Folgen »Wütende Wasser«, »Der finstere Gang«, »Dunkle Magie« und »Das verlorene Portal«

Mercurius ist Barkeeper, Nachtclubbesitzer - und ein Mensch. Diese Tatsache ist in seinem Fall nicht ganz selbstverständlich, hat er doch familiäre Verbindungen zur magischen Unterwelt von Berlin. Unbemerkt von der Öffentlichkeit leben Hexen, Elfen und Elementarwesen mitten in der Stadt. Mercurius will mit dieser verborgenen Welt nichts zu tun haben. Doch als ein mächtiges Wasserwesen in Merc’s Nachtclub auftaucht, kollidieren die beiden Welten auf einen Schlag. Gemeinsam mit seinem besten Freund Ferat macht sich Mercurius auf die Suche nach dem Schuldigen ...

Spannende Kombi aus Krimi und Urban Fantasy für Fans von Ben Aaronovitch und Benedict Jacka

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.

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Seitenzahl: 633

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Oliver Skuza
Die letzten Hexen von Berlin - Sammelband

Digitale Erstausgabe

beTHRILLED in der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2024 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Covergestaltung: Guter Punkt GmbH Co. KG unter Verwendung von Motiven © Nadezhda_Shuparskaia / iStock; Natalya Bosyak / iStock / Getty Images Plus; Tryfonov / AdobeStock

ISBN 978-3-7517-5556-6

Über den Autor

Oliver Skuza hat viele Jahre als Barkeeper in Berliner Nachtbars gearbeitet, bevor er sich dem Schreiben widmete. Nach unzähligen Nächten hinterm Tresen ist er überzeugt: Die Clubs der Stadt sind voll von Hexen, Feen und Kobolden. Neulich noch, das würde er schwören, saß eine heruntergekommene Flussnixe in der U1 Richtung Warschauer Straße. Komisch eigentlich, dass das sonst keinem auffällt.

Über das Buch

Lies jetzt die komplette erste Staffel der Serie »Die letzten Hexen von Berlin« um den Barkeeper Mercurius und seine Ermittlungen in der magischen Unterwelt von Berlin

Dieser Sammelband enthält die vier Folgen »Wütende Wasser«, »Der finstere Gang«, »Dunkle Magie« und »Das verlorene Portal«

Mercurius ist Barkeeper, Nachtclubbesitzer - und ein Mensch. Diese Tatsache ist in seinem Fall nicht ganz selbstverständlich, hat er doch familiäre Verbindungen zur magischen Unterwelt von Berlin. Unbemerkt von der Öffentlichkeit leben Hexen, Elfen und Elementarwesen mitten in der Stadt. Mercurius will mit dieser verborgenen Welt nichts zu tun haben. Doch als ein mächtiges Wasserwesen in Merc’s Nachtclub auftaucht, kollidieren die beiden Welten auf einen Schlag. Gemeinsam mit seinem besten Freund Ferat macht sich Mercurius auf die Suche nach dem Schuldigen ...

Spannende Kombi aus Krimi und Urban Fantasy für Fans von Ben Aaronovitch und Benedict Jacka

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.

Die letzten Hexen von Berlin - Sammelband

Cover

Titel

Impressum

Über den Autor

Über das Buch

Inhalt

Die letzten Hexen von Berlin – Wütende Wasser

Cover

Grußwort des Verlags

Die letzten Hexen von Berlin - Die Serie

Titel

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

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Impressum

Die letzten Hexen von Berlin – Der finstere Gang

Cover

Grußwort des Verlags

Die letzten Hexen von Berlin - Die Serie

Titel

1

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3

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5

6

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9

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12

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Impressum

Die letzten Hexen von Berlin – Dunkle Magie

Cover

Grußwort des Verlags

Die letzten Hexen von Berlin – Die Serie

Titel

1

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3

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Impressum

Die letzten Hexen von Berlin – Das verlorene Portal

Cover

Grußwort des Verlags

Die letzten Hexen von Berlin - Die Serie

Titel

1

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Contents

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Die letzten Hexen von Berlin – Die Serie

Mercurius ist Barkeeper, Nachtclubbesitzer – und ein Mensch. Diese Tatsache ist in seinem Fall nicht ganz selbstverständlich, hat er doch familiäre Verbindungen zur magischen Unterwelt von Berlin. Unbemerkt von der Öffentlichkeit leben Hexen, Elfen und Elementarwesen mitten in der Stadt. Mercurius will mit dieser verborgenen Welt nichts zu tun haben. Doch als ein mächtiges Wasserwesen in Merc’s Nachtclub auftaucht, den Abstellraum zertrümmert und zwei Partygäste tötet, kollidieren die beiden Welten auf einen Schlag …

OLIVER SKUZA

Wütende Wasser

1

»Wir sind am Türsteher vorbeigekommen«, flüsterte Jana und zog sie vom Eingang weg. »Ist das zu fassen? Ich mein, wie der uns angeguckt hat. Ich dachte, der durchschaut das sofort.«

Marie erging es ebenso. Sie waren noch keine achtzehn. Ihre Lehrerin glaubte, sie würden in den Betten liegen. Und jetzt waren sie hier.

»Wusstest du, dass die einen Darkroom haben?«, fragte Jana begeistert. »Krass, oder? Da müssen wir unbedingt rein, Marie, aber du darfst mir nicht von der Seite weichen, sonst schrei ich laut nach Hilfe, völlig egal, wie peinlich das ist. Versprichst du mir das?«

Marie war nicht in der Lage, zu antworten. Der Club war überwältigend. Eine raue Industriehalle mit gigantischen Lichtanlagen und einem Meer aus Körpern.

»Das glaubt uns in Euskirchen keiner«, plapperte Jana weiter. »Die werden denken, wir verarschen sie. Wir müssen unbedingt Beweisfotos machen, für eine lückenlose Herleitung, dafür sorge ich. Mann, wie cool ist das.«

Etwas Seltsames passierte mit Marie. Sie hätte es kaum in Worte fassen können. Es war, als wäre sie wie Alice im Wunderland in einen Kaninchenbau gefallen und in einer Traumwelt gelandet. Sie begriff sofort, dass dies ein Ort war, nach dem sie sich ihr ganzes Leben gesehnt hatte, ohne es überhaupt zu wissen. Dass sie ihr Zuhause gefunden hatte.

Jana redete aufgeregt weiter. Sie schien sich nicht daran zu stören, dass Marie gar nichts sagte. Sie nahm ihre Hand, um sie auf die Tanzfläche zu ziehen, als ihr einfiel, dass Marie draußen in der Schlange noch unbedingt auf die Toilette wollte.

»Ach so«, sagte sie. »Geh ruhig erst aufs Klo. Nicht dass du dir in die Hose machst. Ich warte hier auf dich. Oder soll ich lieber mitkommen? Guck mal die Bar, die ist ja cool, oder? Ich besorge uns was zu trinken. Einen Gin Tonic für dich? Wie abgefahren ist das hier! Ich warte da vorne, siehst du?«

Hinter der Bar arbeitete ein tätowierter Barkeeper mit aschblondem Haar und milchiger Haut, der seltsam anmutig wirkte. Marie bestaunte ihn. Vor ihm am Tresen standen Frauen und Männer, verschiedene Hautfarben und Typen, trotzdem sahen sie alle aus wie eine Familie. Marie stellte sich vor, sie würde dazugehören. Sie stellte sich vor, die schneeweiße Haut des Barkeepers zu berühren. Obwohl sie nichts genommen hatte, fühlte sie sich total berauscht.

»Jetzt geh schon, Marie. Drück mal auf die Tube.«

Jana gab ihr einen kleinen Schubs, und Marie tauchte ein in die Clubwelt. In ihr neues Leben, so fühlte es sich zumindest an. Sie wandelte zwischen den Menschen, durch Lichter und Rhythmen, ohne so recht zu wissen, ob sie überhaupt den richtigen Weg zur Toilette eingeschlagen hatte.

»Hoppla. Pass auf, wo du hinläufst.«

Ein Anzugträger fing sie ab, bevor sie in ihn hineinstolpern konnte. Das war echt seltsam. Sie fragte sich, wie jemand wie der am Türsteher vorbeigekommen war. Der passte ja noch weniger hierher als zwei minderjährige Schülerinnen auf Klassenfahrt. Gleich danach fielen ihr seine bernsteinfarbenen Augen auf, die wie bei einem Teddybären aussahen.

»Tut mir leid«, sagte sie.

»Schon okay.« Er lächelte verlegen, wollte sie offenbar nicht gehen lassen. »War auch meine Schuld. Darf ich dich auf einen Drink einladen?«

»Ich suche eigentlich die Toilette.«

»Verstehe. Dann vielleicht später.«

»Ja, vielleicht.«

Er betrachtete sie eingehend. Marie wartete. Es dauerte einen Moment, bis er begriff.

»Ach so. Den Gang hier runter. Die Toiletten sind am anderen Ende.«

Sie bedankte sich und ging weiter. Als sie sich umsah, stand der Anzugträger in der Menge und sah ihr nach. Mit einem Lächeln, als wollte er ihr die Welt zu Füßen legen. Marie stellte sich vor, der blasse Barkeeper würde sie so anlächeln. Was für eine traumhafte Vorstellung.

Sie irrte weiter, durch labyrinthartige Gänge, vorbei an feiernden Menschen, an knutschenden Pärchen, bis am Ende eines weniger belebten Gangs eine unscheinbare Tür auftauchte. Möglich, dass dort das Klo war. Sie sah sich noch einmal um, ließ diesen großartigen Club auf sich wirken, dann stieß sie die Tür auf.

Vor ihr lag ein gefliester und in Neonlicht getauchter Raum. Bierkisten standen übereinander, Regale mit Gläserkartons, es gab demolierte Umkleidebänke, Spinde mit defekten Schlössern und ein paar versiffte Toiletten. Es war ein Personalraum. Warum war der dann nicht abgeschlossen?

Die Tür schlug hinter ihr zu, und augenblicklich war sie allein. Die Bässe waren jetzt gedämpft, und sie hörte das Tropfen eines undichten Wasserhahns. Ein halbblinder Spiegel hing über einem Waschbecken. Sie trat näher und betrachtete sich. Sie wollte die neue Marie sehen, die in einem Nachtclub zu Hause war. Um erwachsen zu wirken, hatte sie ordentlich Make-up aufgelegt. Jetzt fand sie, es wäre besser gewesen, keine Schminke zu tragen. An einem Ort wie diesem, fand sie, konnte sie die sein, die sie war. Einen eigenen Style finden und sich nicht unter Schichten von Make-up verstecken, nur um älter zu wirken. Sie wollte die ganze Nacht tanzen. Sie wollte dazugehören. Beim nächsten Mal, sagte sie sich.

Glücklich wandte sie sich um zu den Toiletten. Eine der Klotüren stand weit offen. Die Schüssel hatte einen Sprung, und das Wasserrohr war angelaufen. Irgendwas stimmte damit nicht. Die Party rückte in den Hintergrund. Sie starrte das Klo an wie ein Suchbild, in dem ein Fehler versteckt war.

»Hallo?«, rief sie. »Ist hier jemand?«

Nichts. Sie war allein.

Da flog die Tür auf, die Bässe wurden lauter und verstummten wieder, und zwei Männer standen im Raum. Das seltsame Klo war vergessen. Es waren Anzugträger. Der Mann mit den Knopfaugen, den sie fast angerempelt hatte, und ein bulliger Typ, offenbar sein Kumpel, dessen Pupillen groß waren wie Unterteller. Die beiden betrachteten sie schweigend.

»Was wollt ihr hier?«, fragte sie und wusste selbst nicht genau, ob sie den Club meinte, der nicht umsonst einen Türsteher hatte, oder den Personalraum. »Das ist nur für Personal.«

Sie hörte selbst, wie defensiv sie klang. Der Typ mit den Knopfaugen lächelte. Fast auf die gleiche Weise wie eben in der Menge, als wollte er ihr die Welt zu Füßen legen. Das Ganze wirkte ziemlich gruselig.

»Ich gehe jetzt«, teilte sie ihnen mit und steuerte die Tür an.

Wie aus dem Nichts packte sie der Bullige hart am Arm und versperrte den Weg. Marie stolperte entsetzt zurück. Das konnte nicht sein Ernst sein. Die beiden bauten sich vor ihr auf, wie um klarzumachen, dass sie keine Chance gegen sie hatte. Erst jetzt begriff sie so richtig, was passierte. Es war deren Ernst. Sie zogen sie aus dem Kaninchenbau, in den sie sich hatte glücklich hineinfallen lassen, mit Gewalt wieder heraus. Rissen sie aus ihrer Traumwelt in eine grausame Realität.

»Komm schon, mach dich locker«, sagte er Bullige. »Wir wollen nur ein bisschen Spaß haben.«

»Mein Freund wartet draußen.«

»Huh! Dein Freund. Jetzt krieg ich ja Angst.«

Das passiert nicht , schoss es ihr zusammenhanglos durch den Kopf. Das darf nicht passieren. Ich erlebe dies nicht. Das ist komplett irre.

Der Bullige trat mit hässlichem Grinsen näher. Der andere sagte gar nichts. Er sah so harmlos aus mit seinen schönen Augen. So nett und mitfühlend. Sie stolperte wie hypnotisiert zurück.

Tu was, verdammt! , hallte es durch ihren Kopf, als wäre da eine andere Marie, die das Ruder übernahm. Hau ab!

Die offene Tür des Personalklos , dachte sie überstürzt. Sie könnte sich dort einschließen. Per Handy Hilfe holen. Außerdem war der Personalraum nicht abgeschlossen, und das hieß, dass jeden Moment ein Mitarbeiter vom Club auftauchen musste. Bestimmt der blasse Barkeeper, der sie retten würde.

Wie auf Kommando stürzte sie auf die Kabine zu. Mit einem Teil ihres Gehirns, der wie abgespalten war, fragte sie sich immer noch, was mit dem Klo nicht stimmte. Da wurden ihr die Beine weggeschlagen. Sie fiel der Länge nach auf die schmutzigen Bodenfliesen. Ihre Fußknöchel wurden gepackt, und der Bullige zog sie mit einem widerlichen Lachen von ihrer vermeintlichen Rettung weg.

Da endlich begriff sie wie im Nebel, was das Sonderbare an dem Klo war. Es warf keinen Schatten. Die Neonröhre an der Decke strahlte hartes Licht ab, aber weder die Rohre noch der hochstehende Deckel warfen Schatten auf die dahinterliegenden Fliesen. Das war unmöglich!

»Möchtest du mir nicht hiermit helfen?«

Der Bullige deutete auf seinen Hosenschlitz.

»Wenn du nett bist, dann tut es nicht weh.«

Sein Grinsen zog sich übers ganze Gesicht. Er genoss seine Macht. Doch Marie konnte den Blick kaum vom Klo lösen.

Die Luft in der Kabine schien sich zu verformen. Der Raum wölbte sich. Die Wände zitterten, und oberhalb der Wasserspülung schlug ein Augenlid auf. Ein fußballgroßes Auge sah auf sie herab, mit einem Blick, in dem nichts Menschliches lag. Das Klo, oder vielmehr dessen Abbild, verformte sich. Rohre und Fliesen kräuselten sich, die gesamte Kabine glitt wie Wasser zur Seite und gab den Blick frei auf ein Trümmerfeld aus Fliesen und Emaille, während das zerknautschte Abbild des unversehrten Klos als riesiger chamäleonartiger Haufen samt Auge weiter in den Raum glitt. Plötzlich waren die Anzugträger nicht mehr das Gruseligste im Personalraum.

»Was ist los, du Miststück?«

Der Bullige schien irritiert. Er fragte sich offenbar, weshalb er Maries Aufmerksamkeit verloren hatte. Dass sie vor ihm Angst hatte, war Teil des Spiels. Aber als er sich umdrehte, war es schon zu spät. Der Haufen öffnete sein Maul, eine schleimtriefende Fangzunge schoss heraus und packte ihn. Mit einem grauenhaften Schmatzen verschwand der Mann in dem Schleimberg und war verschwunden.

Maries Kopf war wie leergefegt. Der Berg glitt zur Seite, zerdrückte knirschend eine Umkleidebank unter sich und bildete sie anschließend samt Fliesen und Wände auf seiner Körperoberfläche ab. Kein Mensch, der die Verwandlung nicht gesehen hätte, wäre auf die Idee gekommen, dass vor ihnen keine gewöhnliche Umkleidebank stand.

Ihre Instinkte übernahmen. Sie schob sich panisch auf Händen und Füßen von dem Monster weg. Verkroch sich unter das Waschbecken und klammerte sich an ein Rohr. Der Anzugträger mit den Knopfaugen, der ebenfalls zu Boden gegangen war, kroch entsetzt in ihr Versteck und versuchte sie wegzudrücken. Marie verteidigte ihren Platz mit Händen und Füßen. Sie hatte keinen Funken Angst mehr vor dem Typen. Trat mit aller Kraft zu, völlig egal, wo sie ihn traf. Das Monster färbte sich ozeanblau, bewegte sich wabernd auf sie zu, wie ein Pizzateig auf abschüssiger Fläche.

Der Anzugträger sprang mit einem Satz auf und riss die Tür zum Putzschrank auf, um sich dort in Sicherheit zu bringen. Die plötzliche Bewegung zog die Aufmerksamkeit des Monsters auf sich. Die grässliche Zunge schoss wieder hervor und umschlang seine Hüfte. Er klammerte sich mit einem hellen Schrei an den Türgriff, und der Putzschrank flog mit so einer Wucht auf, dass Eimer, Besen und Putzmittel durch den Raum flogen. Er verlor sofort den Halt und begann laut herumzuschreien, während das Monster ihn unerbittlich näher zog. Seine Hände patschten über den glatten Boden und suchten wild rudernd nach irgendeinem Halt. Marie zog sich unter das Waschbecken zurück.

Die Tür flog krachend auf. Zwei Männer stürmten in den Raum. Da war er endlich: der tätowierte Barkeeper mit der schneeweißen Haut. Sie hatte gewusst, er würde sie retten. Hinter ihm ein kleiner untersetzter Mann mit Halbglatze und Schweinsaugen. Die beiden blieben stehen und starrten ungläubig das Monster an. Der Barkeeper stieß die Luft aus. Er wandte sich an den kleinen Mann.

»Willst du mich verarschen? «

»Ich … ich weiß nicht, was ich …«

»Was zur Hölle ist das, Basilius?«

Der untersetzte Mann antwortete nicht. Er war wie gefangen von dem Monster.

»Habt ihr sie noch alle?«, rief der Barkeeper. »Das kann nicht euer Ernst sein. Das ist doch kein …«

Ab da gingen seine Worte in dem Kreischen des Anzugträgers unter. Mit einem Fluch sprang der Barkeeper kurzerhand in den Raum und packte seinen Arm. Der Mann klammerte sich sofort an ihn wie an einen Rettungsring.

»Basilius! Ich kann ihn nicht lange halten.«

»Ich weiß nicht, wie ich es …«

»Jetzt hilf mir, verdammt!«

Der untersetzte Mann hob die Hände wie zu einer Beschwörung und murmelte unverständliche Worte. Die Luft schien sich zu bewegen, schien Wellen zu schlagen. Das teigartige Wesen zog sich unter Schmerzen zusammen, wechselte aufgeregt die Farbe, mehr passierte indes nicht. Mit der Fangzunge hielt es seine Beute fest umklammert.

»Basilius!«

»Ich hab alles unter Kontrolle.«

Die Beschwörung wiederholte sich, leider mit dem gleichen Ausgang. Der Anzugträger schnappte verzweifelt nach den Armen seines Retters, verlor dabei den Halt, und im nächsten Moment hatte der Barkeeper nur noch die Anzugjacke in den Händen. Der Mann verschwand augenblicklich im Maul des Ungeheuers, wie schon zuvor sein Freund. Wieder dieses schmatzende Geräusch, dann waren die Schreie verstummt.

Marie spürte Entsetzen. Der Barkeeper war doch da, um sie retten, oder etwa nicht?

Er warf das Jackett zur Seite.

»Wir müssen ihn zurückholen. Schnell.«

»Ich … ich versuche alles. Das ist nicht so leicht.«

Der Mann setzte seine Beschwörung fort. Das Wesen zuckte zwar, aber das war alles. Im Gegenteil. Es schien jetzt richtig stinkig zu werden. Der Körper pulsierte, die Haut leuchtete in wechselnden Farben.

Marie war so erstarrt in ihrem Schock, dass sie zuerst die Hand des Barkeepers gar nicht bemerkte, die er ihr entgegenstreckte.

»Du musst hier raus. Verschwinde, schnell.«

Ehe sie aufstehen konnte, schnitt ihnen das Wesen den Weg zum Ausgang ab. Der untersetzte Mann war jetzt auf der anderen Seite des Monsters.

»Es klappt nicht, Mercurius«, jammerte er. »Ich kann es nicht aufhalten. Es ist zu stark.«

Das Ding nahm wieder das Bild der Umgebung an, und Marie sah den überforderten Mann auf der Oberfläche der Haut, wie er ratlos zu ihnen herübersah. Dann wurde die Haut feuerrot, und das Monster schoss auf sie zu. Diesmal schnappte es sich den Barkeeper, der im letzten Moment nach dem Abflussrohr des Waschbeckens griff und sich daran festhielt.

»Basilius!«

Der Barkeeper hing mit einer Hand am Wasserrohr, während seine Beine bereits im Maul des Monsters zu verschwinden begannen. Das Murmeln des untersetzten Mannes wurde lauter, es war eine Sprache, die Marie noch nie gehört hatte. Er sprach immer schneller, Schweiß bildete sich auf seiner Stirn. Das Ungeheuer zuckte zusammen, wand sich, stieß einen wütenden Schrei aus und ließ den Barkeeper fallen, der mit einem Stöhnen auf den Fliesen landete. Jetzt konzentrierte es sich ganz auf den untersetzten Mann. Der versuchte es zwar weiter mit seinen Beschwörungen, jedoch erfolglos.

Der Barkeeper robbte derweil hektisch zum Putzschrank. Er schnappte sich eine Glasflasche Essig-Essenz aus den herumliegenden Putzmitteln und warf sie mit aller Kraft gegen die Decke, sodass die Flasche in tausend Scherben zerbrach und Säure auf die Schleimhaut des Monsters herabregnete.

Die Wirkung war enorm. Bestialische Schreie erfüllten den Raum. Die Haut der Kreatur warf Blasen und Warzen, und der Teighaufen schrumpfte auf die halbe Größe zusammen.

Eine zweite Flasche folgte, und das quiekende und schreiende und aufheulende Monster schoss jetzt zurück zur zertrümmerten Klokabine. Es verformte sich, wurde zu einem schlangenartigen Wesen und verschwand in Windeseile durch das Abflussrohr hinunter in die Kanalisation.

Es wurde still im Personalraum. Nur Trümmer und das offene Rohr blieben zurück. Trotz der fernen Bässe und der johlenden Partymeute wirkte es, als wäre der Club hinter der Personaltür auf einem anderen Planeten. Durch Maries Kopf fegte ein Tornado. Nichts von dem, was passiert war, ergab irgendeinen Sinn. Sie starrte fassungslos zum Klo. Ihr Atem ging stoßweise.

»Es tut mir leid, Mercurius«, jammerte der untersetzte Mann. »Darauf war ich nicht vorbereitet. Absolut nicht. Aber Essigsäure? Ehrlich … das war eine fantastische Idee.«

Der Barkeeper rappelte sich mühsam auf.

»Wir müssen hinterher.«

»Mercurius, wir … es tut mir leid.«

»Wir müssen dem Typen helfen.«

»Es ist zu spät dafür.«

Der Barkeeper starrte zum offenen Rohr und fuhr sich frustriert mit der Hand durchs aschblonde Haar.

»Willst du mir sagen, wir haben einen Toten? Bei mir im Club? Kannst du mir mal erklären, weshalb …«

»Es waren zwei«, flüsterte Marie.

Der Barkeeper stockte und wandte sich ihr zu.

»Wie bitte? Zwei, sagst du?«

»Ja. Sie wollten … sie wollten …«

Nichts davon ließ sich in vernünftige Worte fassen.

»Zwei«, sagte sie deshalb nur. »Beide hatten Anzüge an.«

Der Barkeeper schüttelte deprimiert den Kopf.

»Zwei Tote. Tut mir leid, dass du das mit ansehen musstest. Basilius, würdest du bitte?«

»Ach so. Ja, natürlich.«

Der Barkeeper trat zur Seite, und der untersetzte Mann wandte sich ihr zu. Seine Schweinsaugen fixierten sie, er begann zu murmeln. Eine Welle ging durch den Raum. Marie bekam furchtbare Kopfschmerzen. Es war, als würde sich eine Schreddermaschine durch ihr Gehirn arbeiten. Sie blinzelte. Gerade hatte sie noch an etwas Bestimmtes gedacht, jetzt war es ihr entfallen.

Sie stand allein im verwüsteten Personalraum und sah sich verwundert um. Du liebe Güte, was war hier denn passiert? Es sah aus, als wäre eine Bombe eingeschlagen. Ob sie hier überhaupt reindurfte? Die Damentoiletten waren das jedenfalls nicht.

Eines der Klos war noch unversehrt, erkannte sie. Egal was dies für ein Kriegsgebiet war, sie musste jetzt dringend auf die Toilette. Es würde sie schon keiner erwischen. Und dann nichts wie zurück zur Tanzfläche.

Ihr Blick fiel auf einen halbblinden Spiegel über dem Waschbecken. Sie betrachtete sich. Sie hätte weniger Make-up auflegen sollen, dachte sie. Hier im Club konnte sie sein, wer sie war. Sie brauchte sich nicht zu verstellen. Oder sich älter zu machen. Denn dieser Ort, fand sie, der voller Wunder und Abenteuer war, der würde jederzeit völlig ungefährlich für sie sein. Sie brauchte sich hier über gar nichts Sorgen zu machen, davon war sie fest überzeugt.

2

Achtzehn Jahre zuvor

Mercurius griff nach der Hand seines Kindermädchens und blickte zurück zu der runtergekommenen Villa. Dachte an all die Wunder, die er gesehen hatte. Was für ein Nachmittag das gewesen war.

»Komm schon, Liebes, wir müssen uns beeilen. Sonst kommst du zu spät zum Abendbrot. Deine Mutter wird nicht begeistert sein.«

Auf der steinernen Freitreppe der Villa standen Agnes und Adelgunde, die offenbar Hexen waren, und winkten. Adelgunde, in bunte Tücher und ein Gewand gewickelt, das sie Kaftan nannte, kicherte lustig und warf Mercurius Kusshände zu. Agnes, die strenger und grimmiger wirkte, nickte knapp zum Abschied, und das Nicken galt weniger ihm als seinem Kindermädchen. Wie unter Vertragspartnern.

Oben, hinter den geschlossenen Flügelfenstern des Balkons, stand Yava, Mercurius’ neue Freundin, die er heute kennengelernt hatte. Sie blickte zwar spöttisch, als würde sie sich über ihn amüsieren. Im nächsten Moment zwinkerte sie und grinste so freundschaftlich, dass Mercurius ihr ein strahlendes Lächeln zuwarf.

Yava war eine Elfe, und sie lebte in einem Zimmer mit Stofftapeten und alten Bildern und einem Himmelbett voller Schnitzereien.

»Was ist eine Elfe?«, fragte er sein Kindermädchen, das neben ihm am Eisenzaun entlangspazierte, die nahe U-Bahn-Station fest im Blick.

»Ein ungezogenes Mädchen, das seinen Mund nicht halten kann, würde ich sagen.«

»Tinkerbell ist eine Elfe. Und die sieht anders aus.«

»Jetzt komm, Mercurius. Wir verpassen unsere U-Bahn.«

Mercurius warf einen weiteren Blick zurück. Inzwischen waren alle im Haus verschwunden. Er dachte an die Dinge, die er dort gesehen hatte: Spielzeug, das sich von allein bewegte. Ein Eichhörnchen in einer rot-blau-weißen Uniform. Die entrückte Frau, die von einem Dutzend Hasen umgeben war. Und Yava, die Elfe.

Er erinnerte sich, wie sie beiläufig sagte: »Du bist nicht zum ersten Mal hier. Du weißt es nur nicht mehr.«

»Quatsch. Ich bin wohl zum ersten Mal hier.«

Sie zwinkerte. Schien das Ganze amüsant zu finden.

»Du warst schon vier Mal hier.«

Mercurius glaubte ihr kein Wort. Beim Mittagessen hatte sie vom Pudding genascht, mit dem Finger die Sahnehaube ruiniert und dabei schamlos gegrinst. Als Adelgunde den Pudding zum Tisch trug, rief sie: »Yava!« Die sah sie an wie ein Katzenjunges, mit großen und arglosen Augen, und flüsterte etwas, das Adelgundes Blick in Richtung Mercurius lenkte. »Menschenkinder«, murmelte sie kopfschüttelnd, und ehe Mercurius seine Unschuld beteuern konnte, bestimmte Agnes: »Ruhe jetzt. Es wird gegessen.« Und sowie die Erwachsenen nicht mehr auf die beiden achteten, grinste Yava unverschämt und setzte sich neben ihn an den Tisch.

Er durfte ihr kein Wort glauben. Trotzdem: Die Villa und ihre Bewohner waren ihm vertraut. Auf eine Weise, als hätte er schon einmal von ihnen geträumt. Das war seltsam.

»Und wenn du das nächste Mal kommst, muss ich wieder mit dir spielen«, sagte Yava. »Ob ich Lust habe oder nicht. Und du kennst mich wieder nicht. Alles geht von vorne los.«

Mercurius gab sich unbeeindruckt, trotzdem redete sie weiter.

»Die Leute vergessen uns. Das ist immer so.«

Er wollte gar nicht reagieren, trotzdem brach es aus ihm hervor: »Ich werde euch nie vergessen!«

»Dein Kindermädchen macht das, dass du nichts mehr weißt. Menschen dürfen nichts von uns wissen, sagt sie. Sonst sind wir in Gefahr.«

»Wieso in Gefahr?«

»Weil wir anders sind. Sie werden Angst vor uns haben. Und wenn sie Angst haben, dann bekommen wir Probleme.«

Unsinn. Mercurius hatte keine Angst. Warum sollten Erwachsene dann Angst haben?

Da begriff er, was das Mädchen gesagt hatte.

»Bist du denn anders?«

»Ich?« Sie blickte unschuldig und wandte sich zur Tür. »Nein. Ich bin ein ganz normales Mädchen. Wirklich. An mir ist absolut nichts besonders …«

Sie war fast an der Tür, da blitzte es, und ein kleines Licht tanzte in der Luft, wo sie gewesen war.

»Yava!«, rief Mercurius.

Nur ihr Lachen war zu hören.

Auf dem Weg zur U-Bahn klammerte sich Mercurius an die Hand seines Kindermädchens.

»Das war schön heute«, sagte er.

»Fand ich auch.«

Hinter den Fenstern im Villenviertel brannten Lichter. Von Weitem war das Rattern eines Zugs zu hören. Mercurius nahm allen Mut zusammen.

»Ich will nicht vergessen«, sagte er.

Sein Kindermädchen blieb abrupt stehen. Sie starrte ihn ungläubig an.

»Yava hat mir das gesagt«, gestand er. »Yava ist jetzt meine Freundin. Ich will sie nicht vergessen.«

Sein Kindermädchen wirkte verlegen. »Es geht nicht anders, Liebes. Tut mir leid.«

»Bitte. Ich möchte sie wieder besuchen. Ich will mich an sie erinnern. Warum darf ich denn keine Freunde haben?«

Damit traf er einen wunden Punkt. Sein Kindermädchen blickte ihn lange an, ihre Augen wurden feucht.

»Entschuldigung.« Mercurius senkte den Kopf. »Es ist gar nicht so schlimm.«

Damit meinte er seine Eltern, die sich nie um ihn kümmerten, und die anderen Jungen in der Schule, die ihn ständig ärgerten. Es war wirklich nicht so schlimm. Er brauchte keine Freunde. Er kam zurecht.

Trotzdem wollte er nicht vergessen.

Eine Weile sagte sein Kindermädchen nichts.

»Wenn du heute nicht vergisst, dann behältst du es für immer. Ich kann das nicht rückgängig machen.«

»Genau das will ich! Bitte, Nanny.«

Sie seufzte. »Wie soll ein Achtjähriger so eine Entscheidung treffen? Das ist unmöglich.«

Mercurius spürte, dass er sein Kindermädchen nicht weiter drängen durfte. Er nahm ihre Hand und ging brav neben ihr her. Noch als sie in der U-Bahn saßen, stieß Nanny von Zeit zu Zeit einen schweren Seufzer aus. Sie sagte nichts mehr zu der Angelegenheit, und als Mercurius am nächsten Morgen aufwachte, hatte er weder Yava noch Agnes und Adelgunde oder die sonderbare Villa in Grunewald vergessen. Die Erinnerungen waren alle vorhanden, und wenn er das richtig verstanden hatte, würden sie nun für immer Teil seines Lebens bleiben.

3

»Das Ding hätte mich fast gefressen!«

Mercurius stützte sich mit beiden Händen an der Wand ab. Er versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen. Die Angst loszuwerden. Er hatte mit einem Kobold gerechnet, vielleicht mit einem Nebelwesen. Denn wer wusste schon im Einzelnen, was sich alles in dieser Stadt im Verborgenen rumtrieb? Allerdings nicht mit so einem Monster. Das war komplett durchgeknallt.

Sein Körper war mit Adrenalin geflutet. Sobald er die Augen schloss, sah er den panischen Anzugträger vor sich und das entsetzliche Schmatzen, mit dem er im Maul des Schleimbergs verschwand.

»Was machen wir jetzt?«, fragte er atemlos. »Nehmen wir die Verfolgung auf? Vielleicht können wir die beiden Typen noch retten. Wenn wir dem Ding den Bauch aufschneiden oder …«

»Es hat sie längst verdaut«, unterbrach ihn Basilius. »Sonst wäre es gar nicht durch das enge Rohr entkommen. Es … verstehst du, was ich meine?«

Er wollte sich das lieber nicht vorstellen. Oh Gott, was für ein Albtraum. Hoffentlich hatten die beiden nicht lange gelitten. Er holte tief Luft. Bässe waberten durch den Korridor. Lichter zuckten. Die Party war vorne in vollem Gange.

»Geht’s dir gut, Junge?«

»Was für eine Frage. Mir ging es nie besser.«

Basilius machte ein betretenes Gesicht.

»Verdammt, was war das überhaupt für ein Ding? Kannst du mir das mal verraten?«

»Es war ein Wasserschemen.«

»Ein was? Wieso habe ich noch nie davon gehört?«

Der Hexer sah besorgt zur Tür des Personalraums. In seinen Augen lag noch etwas anderes. Faszination.

»Das ist eine uralte Kreatur, Mercurius. Ehrlich, ich hätte gedacht, die sind längst ausgestorben. Ich mein, ich hab seit siebzig Jahren keinen Troll mehr gesehen. Und jetzt so was. Ein Schemen.«

»Heißt das, du wusstest gar nicht, dass so ein Ding in Berlin unterwegs ist?«

»Ich wusste nicht einmal, dass überhaupt noch eins existiert. Da sind schon ganz andere Arten ausgestorben. Es ist eine ziemliche Sensation, wenn ich ehrlich sein soll.«

»Nur was macht so ein Wasserdings bei mir im Club? Was will es hier?«

Basilius wandte den Blick erstaunt vom Personalraum ab.

»Du hast mich doch gerufen. Ich dachte, du wüsstest, was hier los ist. Warum hast du mich sonst hergeholt?«

»Weil ich dachte, da wäre vielleicht ein Kobold«, antwortete er aufgebracht. »Was weiß denn ich schon! Ich bin hier nicht der Fachmann.«

»Es ist dein Lokal, Junge. Hast du denn gar keine Ahnung, was bei dir im Haus getrieben wird?«

Mercurius hob die Hand, um ihn zu stoppen. Es hatte keinen Sinn zu diskutieren. Und in seinem Kopf war nur noch Rauschen.

»Ich brauch erst mal einen Schnaps.«

Mit großen Schritten bahnte er sich den Weg zur Bar. Ihm war völlig egal, was mit Basilius war. Er brauchte einen klaren Kopf.

Der Hexer trippelte eilig hinterher. Sie schoben sich zwischen Partygästen hindurch, er grüßte hier und dort bekannte Gesichter und versuchte sich nichts von seinem Schock anmerken zu lassen.

»Wenn du mich gerufen hast«, beharrte Basilius hinter ihm, »dann wusstest du, dass hier Magie im Spiel ist. Ich bin davon ausgegangen, du hast was am Laufen.«

»Was am Laufen? « Er blieb abrupt stehen. »Was bitte schön sollte ausgerechnet ich am Laufen haben?«

»Na, du gehörst immer noch zur Familie, oder?«

Zur Familie, na klar. Als ob er je dazugehört hätte. Er war zwar um ein paar Ecken mit Basilius verwandt. Und er kannte die Villa in Grunewald, wo er einen Teil seiner Kindheit zugebracht hatte. Trotzdem war er ein Mensch und sonst gar nichts.

»Ich hab dich gerufen, weil ich gemerkt habe, dass hier was nicht stimmt, Basilius«, erklärte er langsam und deutlich, als hätte er es mit einem Idioten zu tun. »Und weil ich deine Hilfe brauchte. Das ist alles. Ich habe nichts am Laufen.«

Ein paar Partygäste drängten sich an ihnen vorbei, und Mercurius zog den Hexer in eine Nische, um dem Strom der Feiernden zu entgehen.

»Ich bin vor einer Stunde in den Personalraum gegangen, um saubere Whiskeygläser zu holen. Da habe ich diese Präsenz gespürt. Wie aus dem Nichts. Sie war gewaltig. Und es war definitiv Magie. Ich hatte keine Ahnung, was dafür verantwortlich ist. Oder weshalb das passiert. Ich habe nur gedacht, was immer da im Personalraum ist, es hat nichts in meinem Club zu suchen. Deshalb habe ich dich angerufen.«

»Du hattest absolut keine Ahnung?«

Basilius wirkte so verwundert, dass Mercurius sich zusammenreißen musste, um ihn nicht anzuschreien.

»Ich habe gedacht, irgendwas wird neu in der Stadt aufgetaucht sein. Und du weißt sicher, was es ist und wie man damit umgeht. Damit ihr es in eurer bekloppten Villa unterbringt oder was immer ihr sonst damit macht.«

Das ging schon seit Jahren nach diesem Muster ab. Magische Wesen, die ihre natürlichen Lebensräume verloren und nicht mehr wussten, wohin, tauchten in der Stadt auf. Und Basilius gehörte zu denen, die sich um sie kümmerten. Die dafür sorgten, dass die Neuankömmlinge keinen allzu großen Schaden anrichteten und Unterschlupf fanden. Deshalb wusste er in der Regel über das Treiben Bescheid. Was bei dem Wasserschemen offenbar nicht der Fall war.

»Hast du vielleicht etwas gemacht?«, fragte Basilius mit einem Stirnrunzeln. »Eine Beschwörung? Oder ein Ritual?«

»Ich habe Whiskeygläser geholt.«

»Dann verstehe ich nicht, wieso ein Schemen durch ein schmutziges Abwasserrohr in einen lauten Nachtclub kommen sollte? Das ergibt überhaupt keinen Sinn.«

»Ich habe es nicht danach gefragt, Basilius.«

»Wirklich sonderbar.«

Mercurius stöhnte auf. Der Hexer war alles andere als eine Hilfe, und zwar von vorne bis hinten.

»Kann es sich nicht verirrt haben?«, fragte er. »Und in der Kanalisation hat es Panik gekriegt, bei all dem Dreck und dem Gestank, und dann wollte es nur noch raus und ist hier hoch?«

Basilius machte ein skeptisches Gesicht. »Möglich.«

»Was wäre denn die Alternative?«

»Jemand könnte es gerufen haben. Oder gelenkt.«

»Perfekt. Dann musst du nur diesen Jemand finden.«

Er antwortete nicht, nur an seinem Gesicht ließ sich ablesen, dass die Sache ganz so einfach nicht war.

»Kommen da so viele in Frage?«, fragte Mercurius.

»Eher im Gegenteil. Ich kenne keinen, der dazu in der Lage wäre. Du hast ja gesehen, was ich gegen die Kreatur ausrichten konnte. Sie hat kaum gezuckt.«

»Und jetzt? Ich meine, ihr könnt es schlecht frei rumlaufen lassen, oder?«

»Nein, wir müssen es zurück ins Meer bringen. Wie immer wir das anstellen …«

»Kann es denn wieder hier auftauchen?«

»Das halte ich für unwahrscheinlich.«

»Aber nicht unmöglich.«

»Dieser Ort …« Basilius machte eine ausschweifende Bewegung. »Für das Schemen ist das die Hölle. So als solltest du im Dunkeln mitten auf der Autobahn spazieren gehen. Ich würde mir keine allzu großen Sorgen machen.«

»Es muss Sicherheitsmaßnahmen geben. Irgendwas, das wir tun können, nur für alle Fälle. Um uns zu schützen.«

Basilius machte ein bedauerndes Gesicht.

Mercurius fluchte innerlich. Er hatte immer verhindern wollen, dass sein altes Leben hier eindrang. Der Club war seine Familie, sein neues Zuhause. Den Rest hatte er für alle Zeiten hinter sich lassen wollen.

»Ich wollte ja einen Schnaps«, erinnerte er sich.

Er setzte seinen Weg zur Bar fort, beugte sich über den Tresen und winkte Linda, eine Barfrau mit Bonbon-Tätowierungen und blau gefärbten Haaren, zu sich herüber. Mit der Hand bedeutete er ihr, ihm zwei Gläser und eine Flasche Tequila auf den Tresen zu stellen.

Sie erkannte sofort, dass etwas nicht in Ordnung war. Besorgt runzelte sie die Stirn, aber Mercurius winkte ab. Nicht jetzt. Später würde er ihr irgendwas erzählen, auch wenn er noch keine Ahnung hatte, was.

Basilius zwängte sich neben ihn auf einen Barhocker. Mit der braunen Cordjacke, den zotteligen Flusen und der Halbglatze war er nicht gerade der typische Clubgänger. Eingezwängt zwischen den Partygästen an der Bar fiel er trotzdem kaum jemandem auf. Dazu waren alle zu sehr mit sich selbst beschäftigt.

Mercurius nahm die Flasche, die Linda ihm reichte, goss ein und schob ein Glas zu Basilius hinüber.

»Dann hoffen wir einfach, dass die Sache vorbei ist«, sagte er. »Und dass wir einen Haken dahinter machen können.«

»Ja, bestimmt siehst du das Schemen nie wieder, mein Junge. Mach dir keine Sorgen. Das kriegen wir schon hin.«

Mercurius hob das Glas, prostete ihm zu und kippte den Tequila runter. Der Alkohol brannte angenehm im Rachen, und langsam fühlte sich die Welt wieder normaler an. Das Adrenalin verschwand aus dem Körper. An seine Stelle trat Erschöpfung.

»Zwei Tote«, murmelte er. »Bei mir im Club.«

»Das ist furchtbar. Aber wir konnten nichts für sie tun.«

»Wenn du das sagst …«

»Du darfst nicht die Polizei rufen, Mercurius.«

So weit hatte er noch nicht gedacht. Er musste erst einmal verdauen, was passiert war.

»Auf keinen Fall. Versprichst du mir das?«

Was sollte er denen auch sagen? Dass ein Monster zwei Gäste aufgefressen hatte? Ein mythisches Schattenwesen, von dem alle dachten, es sei längst ausgestorben, so wie zum Beispiel Trolle? Die würden ihn sofort in die Psychiatrie einweisen lassen.

»Agnes wird sich darum kümmern«, sagte Basilius. »Sie wird alles unter den Teppich kehren. Keiner wird hiervon erfahren.«

»Und die beiden Toten? Haben die nicht Freunde und Angehörige?«

Basilius schien verlegen. Immerhin zeigte er ein Gewissen.

»Wie gesagt, Agnes wird sich darum kümmern.«

Mercurius wusste, was das bedeutete. Sie würde alle, die diese Männer kannten, vergessen lassen, manipulieren, ihre Gedanken umkehren. Am Ende würde es sein, als hätten die beiden niemals existiert. Keiner würde sie vermissen. Es war eine trostlose Vorstellung.

Basilius nippte am Tequila und sah sich interessiert im Club um. Betrachtete die blauhaarige Barfrau, die sich bewegende Menge auf der Tanzfläche, die knutschenden Männer am Tresen nebenan.

»Hierher hat es dich also verschlagen«, meinte er nachdenklich. »Wie lange bist du schon hier?«

»Seit ungefähr drei Jahren.«

»Schön, dass du eine Arbeit hast, Junge. Das freut mich. Bist du Kellner?«

»Ich bin Geschäftsführer.«

» Geschäftsführer . Oh, das ist … beeindruckend. Wer hätte das gedacht. Ich weiß noch, als du die Ausbildung in der Sparkasse abgebrochen hast. Ich dachte nicht, dass du … Nein, so meine ich das nicht. Ich habe nur danach nicht mehr viel von dir gehört. Ich wusste nicht, wie es dir ergangen ist.«

»Der Club gehört einen Freund. Ich kümmer mich um Einkauf, Buchhaltung und Personal. Manchmal helfe ich hinter der Bar aus. Ich mag es hier.«

Basilius nickte bedächtig. Er schien nicht so recht einschätzen zu können, was er davon halten sollte. Er sah sich um und schwieg. Was immer ihm durch den Kopf ging, am Ende schenkte er Mercurius nur ein Lächeln.

»Schön zu sehen, dass es dir gut geht.«

»Ich komme zurecht.«

»Ja, mein Junge. Das bist du immer schon.«

Kurz schien es, als wolle Basilius etwas hinzufügen. Vielleicht darüber, wie es sich zwischen ihnen entwickelt hatte. Oder was sie trotz allem, was war, verband. Vielleicht läge sogar eine Entschuldigung in der Luft. Schließlich räusperte er sich verlegen und nippte wieder am Tequila, wie um von seinem Schweigen abzulenken.

»Du hast gut reagiert, Mercurius.«

»Zum Glück waren überall Putzmittel.«

»Essigsäure, was für eine Idee!«

Und das war’s. Sie fielen wieder in Schweigen. Basilius nahm noch einen winzigen Schluck aus dem Schnapsglas, dann stand er auf und zupfte seine Cordjacke zurecht. Mercurius wünschte sich zwar auf gewisse Weise, der Hexer würde mit ihm über das, was zwischen ihnen stand, reden, gleichzeitig ärgerte er sich über seinen Wunsch. Was hatte er denn auch erwartet? Im Grunde hatte er nichts mit diesen Leuten aus der Villa zu tun.

»Dann werde ich mal«, sagte Basilius. »Wenn ich etwas über das Schemen herausfinde, sage ich dir Bescheid. Und in der Zwischenzeit …«

»… halte ich ein paar Flaschen Essig parat.«

»Ja, mach das, mein Junge. Bis bald.«

Er hatte sich schon abgewandt, als er innehielt und sich umdrehte. »Ach, Mercurius? Du solltest besser zur Villa kommen und mit Agnes über die Sache reden.«

»Weshalb das denn?«

»Ein Wasserschemen. Das ist keine unbedeutende Sache. Sie wird alles darüber wissen wollen. Komm einfach morgen Vormittag vorbei. Dann sind in der Villa die meisten ausgeflogen. So gegen elf?«

»Wenn sie was von mir wissen will, soll sie vorbeikommen. Oder mich anrufen. Sie weiß, wie sie mich findet.«

»Bitte. Sie ist eine viel beschäftigte Frau. Sie wird mit dir reden wollen. Das ist auch in deinem Interesse. Der Vorfall soll möglichst unter dem Radar bleiben.«

Basilius hatte zwar recht damit, denn es lag tatsächlich in seinem Interesse. Trotzdem hatte Mercurius wenig Lust, zur Villa in Grunewald zu fahren.

»Tu mir den Gefallen, mein Junge.«

»Ich muss morgen Vormittag zum Großmarkt.«

»Mach es mir zuliebe, Mercurius. Ich schulde dir dann was, ja?«

Ach, was soll ’s , dachte er. Mit einem Seufzer gab er sich geschlagen. Er sagte zu, und Basilius tauchte sofort in der Menge ab, bevor er es sich anders überlegen konnte.

Mercurius sah ihm etwas missmutig nach.

Linda, die blauhaarige Barfrau, die Tequilaflasche und Gläser einsammelte und mit einem Tuch über den Tresen wischte, folgte seinem Blick.

»Gibt es Ärger?«, fragte sie.

»Nein. Alles in Ordnung.«

»Und wer war dieser seltsame Typ?«

Basilius verschwand aus seinem Blickfeld, und Mercurius wandte sich ab. Wer wusste schon, ob er den Hexer jemals wiedersehen würde.

»Nur ein entfernter Verwandter«, sagte er und vermied es, Linda anzusehen. »Nicht der Rede wert.«

4

Im Personalraum verschaffte er sich einen Überblick über die Schäden. Toilette und Kabinenwände waren völlig zertrümmert. Wenigstens hatten die Spülkästen und Wasserrohre den Angriff einigermaßen überstanden. So stand der Raum jetzt nicht knöcheltief unter Wasser. Es gab überall kaputte Fliesen, die Umkleidebänke waren zerquetscht und der Boden übersät mit Scherben und Putzmittel … Das ließ sich alles reparieren.

Dann war da noch das Loch in der Wand, das offene Abflussrohr, das in die Tiefen der Kanalisation hinabführte. Dafür müsste er jemanden kommen lassen. Keine schöne Vorstellung, es bis dahin in dem Zustand zu lassen. In seinem Kopf hallten die Schreie des Anzugträgers nach. Er schüttelte sich. Außer dem Tropfen eines undichten Wasserhahns und den gedämpften Bässen von nebenan war nichts zu hören.

Er trat näher an das Loch heran. Unter seinen Schuhsohlen knirschten die Glassplitter. Es war ein gruseliges Gefühl, in den schwarzen Schlund zu blicken. In einem Horrorfilm würde das Monster jetzt hervorschießen und ein zweites Mal angreifen. Aber da unten war nichts als die Kanalisation. Das Ding war verschwunden.

Er hatte Linda gebeten, Ferat Bescheid zu sagen, ihrem Boss, wie sie ihn nannten, obwohl er wenig Chefqualitäten hatte und hauptsächlich für die Abteilung gute Laune zuständig war. Er solle seinen Hintern schnellstmöglich in den Personalraum bewegen, er würde dort auf ihn warten. Ferat war der einzige Mensch, der von Mercurius’ Vergangenheit wusste. Von dem Treiben der Elementargeister in Berlin, der Villa in Grunewald und von seinem Onkel Basilius. Und natürlich von dem Kindermädchen, mit dem alles begonnen hatte. Das sein Onkel für ihn besorgt hatte, damit sich jemand um das vernachlässigte Kind kümmerte. Als hätte damals nicht allen klar sein müssen, was für eine Art von Kindermädchen das sein würde. Seltsam eigentlich, dass seine Eltern das zugelassen hatte. Sie waren eben nur mit sich selbst beschäftigt gewesen. Ferat jedenfalls war der einzige Mensch, dem Mercurius diese Geschichte hier erzählen konnte, ohne für geistesgestört gehalten zu werden.

Mit einem Schaudern trat er vom Loch zurück. Er würde es mit irgendwas verschließen müssen, bis die Klempner kämen. Am besten mit Flüssigbeton , dachte er bitter und sah sich nach Material um. Fürs Erste würden Bretter und Latten reichen. Hauptsache, der schwarze Abgrund glotzte einen nicht länger an. Da fiel ihm die Anzugjacke ins Auge, die er bei dem Versuch, den Typen zu retten, plötzlich in der Hand gehalten hatte. Sie war das Einzige, was von den beiden Männern übrig geblieben war.

Er nahm die Jacke auf, strich sie glatt und setzte sich auf eine Bierkiste. Das Jackett war hochwertig, sicher ein Designerstück, auch wenn ihm der eingestickte Markenname nichts sagte. Er durchsuchte die Taschen. Als Erstes fiel ihm die Chipkarte für ein Hotelzimmer in die Hand. Leider war nicht zu erkennen, von welchem Hotel. Als Nächstes fand er einen Autoschlüssel und ein schmales Lederetui, in dem Plastikkarten und Bargeld verstaut waren. Sogar ein Personalausweis war dabei. Zum Glück keine Fotos von Frau und Kindern, denn das hätte er nur schwer verkraftet. Ein Handy fand er nicht.

Er zog den Ausweis heraus und sah sich das Foto an. Keine Frage, das war der Mann, den das Ding gefressen hatte. Nur lächelte er auf dem Bild freundlich in die Kamera und schrie nicht panisch herum. Ben Backmann hieß er, neunundzwanzig, ledig und wohnhaft in Frankfurt am Main.

Er zog sein Smartphone hervor und googelte den Namen. In der Bilder-Suche tauchte sofort das vertraute Gesicht auf. Gegelt und gestriegelt und im stylischen Business-Look, dann in einem schicken Büro, beim Tennisspielen und am Strand von Sylt. Sollte Agnes sein Leben löschen wollen, würde sie eine Menge zu tun bekommen.

Als er das Etui zurück in die Anzugjacke steckte, fiel ihm ein Drogenbriefchen in die Hände. Er ging davon aus, dass es Koks war, aber als er das Tütchen öffnete und hineinspähte, stellte er erstaunt fest, dass die Farbe des Pulvers dunkelgrau war. Er schnupperte vorsichtig daran. Das Zeug war geruchlos. Er hatte keine Ahnung, was das war.

Die Tür flog auf, Bässe wurden lauter, erfüllten den Raum, dann schlug die Tür wieder zu, und es wurde still. Ferat trat in den Raum, mit offenem Kunstpelzmantel und Cowboystiefeln. Das Hemd bis zum Bauchnabel aufgeknöpft, damit alle sein üppiges Brusthaar bestaunen konnten, in dem Goldketten und Brillanten schimmerten. Er sah aus, als wolle er ihn mit einem Scherz begrüßen, dann bemerkte er das Trümmerfeld.

»Was zur Hölle …?«

Er starrte auf die zerstörte Toilettenkabine.

»Ach. Du. Scheiße.«

»Das kannst du laut sagen.«

»Was ist denn hier passiert?«

Ferat sah sich um, wie um sicherzugehen, dass keiner zuhörte. Da Linda ihm gesagt hatte, dass Mercurius ihn dringend sprechen musste, und zwar allein, zählte er eins und eins zusammen.

»Außer mir darf keiner wissen, was hier los ist?«, fragte er mit einer Begeisterung, als hätte Mercurius ihm einen nagelneuen Sportwagen präsentiert und keinen zertrümmerten Personalraum. »Ist das dein Ernst, Merc?«

»Ehrlich, Ferat, meine Verzückung hält sich in Grenzen.«

»Jetzt sag schon. Hatten wir Besuch von deinen Leuten? Lass mich raten: Eine durchgeknallte Hexe?«

»Das sind nicht meine Leute.«

Ferat glaubte ihm nicht. Er presste sich theatralisch die Faust gegen den Mund. Vollführte eine Drehung, um die Schäden zu begutachten, ließ dabei seinen Kunstpelzmantel fliegen. Alles wie für die große Bühne.

»Wir haben zwei Tote, Ferat.«

Die Theatralik war augenblicklich verschwunden, genau das hatte Mercurius auch beabsichtigt.

»Was sagst du da?«

»Ja. Zwei Gäste aus dem Club.«

»Wie kann das sein?«

»Keine Ahnung, wieso die hier drin waren. Es war auf jeden Fall sehr schlechtes Timing. Sie sind der Sache zum Opfer gefallen.«

Ferat brauchte einen Moment, um das zu verarbeiten.

»Was ist denn hier aufgetaucht? Ein Kobold oder so?«

»Nein, viel größer. Es war ein Wasserwesen. Ein ziemliches Monster, um ehrlich zu sein. Es ist durch die Kanalisation gekommen.«

»Durchs Abflussrohr?«

Er sah zum zerschmetterten Klo und spielte voller Unbehagen mit einer Goldkette.

»Es ist weg«, beruhigte Mercurius. »Und hoffentlich kommt es nicht wieder.«

»Was wollte es hier überhaupt?«

»Das wissen wir nicht.«

Ferat versuchte, sich zu sortieren. Vielleicht hätte Mercurius das mit den beiden Toten nicht als Erstes sagen sollen. Sobald es nicht darum ging, alle mit einer Runde Schnaps bei Laune zu halten, war sein Freund schnell überfordert.

»Wo sind die Leichen?«, fragte er.

»Nun ja …« Mercurius räusperte sich. Er deutete auf die Anzugjacke. »Mehr ist nicht übrig.«

Jetzt zeigte sich deutliches Unbehagen im Gesicht seines Freundes. Er zog den Kunstpelz um den Oberkörper, als wäre ihm kalt, und ließ sich auf ein leeres Bierfass sinken.

»Scheiße«, war alles, das er sagte.

»Es waren zwei Typen im Anzug. Aus Frankfurt. Party-Touristen, wie’s aussieht.«

»Ich glaub, ich weiß, wen du meinst. Die hab ich gesehen. Ich dachte schon, die sind vom Gesundheitsamt. Aber dafür waren die Anzüge zu teuer. Inès hat die bedient. Sie meinte, es sind schräge Vögel. Ich muss mal mit dem Türsteher reden.«

»Die haben hier drin ein Mädel sexuell belästigt. Sieht so aus, als habe sie Glück gehabt, trotz allem. Ihr ist nichts passiert.«

Die Aussicht, dass die Opfer Sextäter waren, tröstete ihn ein wenig. Solche Leute hatten hier sowieso nichts zu suchen.

»Gab es sonst Zeugen?«

»Nein. Nur uns.«

»Und das Mädel?«

»Sie kann sich an nichts erinnern.«

Ferat stieß die Luft aus. Mit dem Vergessen kannte er sich aus. Vor einem Jahr war mal ein Kobold im Club aufgetaucht. Er hatte sich unter das Partyvolk gemischt und fiel anfangs kaum auf. Er sah aus wie ein kleinwüchsiger, bulliger Typ mit schweren Stiefeln und Gesichtstätowierungen. So weit nichts Ungewöhnliches. Dass er nicht sprechen konnte, tote Ratten fraß und immer wieder spurlos im Boden verschwand, das wollte dann später keiner an die große Glocke hängen. Lieber fragte man sich im Stillen, was man für Drogen genommen hatte.

Ferat indes wusste sofort Bescheid. Er war ganz aus dem Häuschen, endlich mal eins dieser Elementarwesen zu Gesicht zu bekommen, die im Verborgenen lebten und von denen Mercurius erzählt hatte. Doch die Hexen, die aufgetaucht waren, um den Kobold einzusammeln, hatten sich in Ferats Bewusstsein gehackt. Und ein paar Stunden später begann die Erinnerung an den Kobold schwächer zu werden. Sie löste sich auf wie ein Traum. Ferat wusste zwar noch, dass er einen gesehen hatte, allerdings nicht mehr, wie er aussah. Es frustrierte ihn überaus, alles immer nur aus zweiter Hand von Mercurius zu hören.

»Hat es was mit dir zu tun, Merc?«, fragte er.

»Was? Dass das Ding hier aufgetaucht ist?«

»Ja. Bist du der Grund?«

»Wie sollte ich?«

»Ich meine ja nur. Du hast als Einziger Verbindungen in diese Szene. Du weißt schon, deine Verwandtschaft …«

Er benahm sich genauso wie Basilius. Als hätte Mercurius ein heimliches Ritual vollführt. Er wusste nicht mal, wie er so etwas hätte anstellen sollen.

»Auf meinem Mist ist das nicht gewachsen. Nur dass das klar ist.«

»Ich will dir ja gar nichts vorwerfen, Merc. Ich frage nur. Warum taucht es ausgerechnet hier auf?«

»Ich bin ein Mensch, Ferat. Genau wie du. Es könnte also ebenso wegen dir gekommen sein.«

»Wenn du ein Mensch wärst, so wie ich, würdest du denn nicht auch vergessen, was du gesehen hast? Wieso lassen die Hexen deine Erinnerung in Ruhe?«

Das Thema hatten sie schon tausendmal durch. Ferat kannte seine Geschichte, Mercurius hatte ihm nichts verschwiegen. Trotzdem glaubte er, dass irgendetwas nicht zusammenpasste.

»Das war mein Kindermädchen«, erklärte Mercurius. »Sie hat damals irgendeinen Zauber angewandt, damit ich immun bin gegen das Vergessen.«

»Aber nur, weil du zur Familie gehörst.«

»Es ist eher entfernte Verwandtschaft.«

»Trotzdem.«

»Ich bin kein Elementarwesen.«

»Das weiß ich ja.«

»Und auch kein Hexer.«

Da war sich Ferat allerdings nicht so sicher. Er ging davon aus, dass man das irgendwie vererbte. Allerdings hatte Mercurius davon noch nie gehört. Hexen wurden im Säuglingsalter erwählt, so funktionierte das. Von den Schicksalsfrauen, jenen rätselhaften Geistwesen, die bei diesen Menschen an die Wiege traten und den Faden der Magie über das Kind spannten. So ging das, und nicht über die Gene, die man vererbte. Inzwischen waren die Schicksalsfrauen genauso aus der Welt verschwunden wie Trolle und Zwerge. Es gab sie schlichtweg nicht mehr. Und an Mercurius’ Wiege hatte definitiv keiner gestanden, der da nicht hingehörte.

»Ich habe nichts mit dem Schemen zu tun.«

»Und wie geht’s jetzt weiter?«, fragte Ferat.

»Die Leute aus der Villa kümmern sich.«

»Du meinst, die Hexen?«

»Richtig. Sie sorgen dafür, dass sich keiner an die beiden erinnert. Sie vertuschen alles. Wegen der Polizei müssen wir uns keine Sorgen machen. Hier wird keiner kommen und unangenehme Fragen stellen.«

»Dann wird es so sein, als hätten die beiden Typen niemals existiert?«

Mercurius nickte betreten. Ihm gefiel die Sache ebenso wenig. Das Beste würde sein, sie räumten auf, renovierten den Personalraum und dachten nicht mehr über das nach, was in dieser Nacht passiert war.

Ferat ließ den Blick über das Chaos wandern.

»Ich wünschte, ich würde nicht vergessen«, sagte er.

Er fummelte nachdenklich an seinem Pelzkragen herum.

»Was das angeht, beneide ich dich.«

Was sollte Mercurius schon darauf sagen? Ihm wäre es ja lieber, er würde diesen Teil seiner Vergangenheit loswerden, und zwar für immer. Aber das war nicht, was Ferat hören wollte. Er sehnte sich nach den Wundern, die sich vor seiner Nase abspielten und die er trotzdem nicht zu fassen bekam. Vielleicht würde es Mercurius nicht anders gehen, wenn er es nicht besser wüsste.

Die Tür flog auf, und wieder ergossen sich Lärm und Musik in den Raum. Ein bunter Haufen Partygäste stand auf der Schwelle. Sie waren auf der Suche nach Ferat. Offenbar hatte der sie in der Lounge sitzenlassen. Sie machten Späße, schwenkten mit Sektflaschen, lockten ihn winkend und lachend aus dem Personalraum heraus, wollten, dass die gemeinsame Party weiterging. Ferat, der gerade noch ziemlich geknickt ausgesehen hatte, knipste das Licht in seinen Augen an und strahlte drauflos. Sprang auf, erwiderte die Späße, vertröstete die Party-Entourage und gab ihnen das Versprechen, in ein paar Minuten nachzukommen. Dann komplimentierte er sie nach draußen und ließ die Tür wieder ins Schloss fallen.

Als er sich zu Mercurius umdrehte, war das Licht wieder ausgeknipst.

»Das war’s dann?«, fragte er. »Wir machen nichts? Überlassen alles der Hexe?«

»Ich räume noch ein bisschen auf«, sagte Mercurius, obwohl er wusste, dass Ferat etwas anderes gemeint hatte. »Fürs Klo müssen wir Handwerker kommen lassen. Den Rest kriege ich selbst hin.«

Er erhob sich von der Bierkiste und schnappte geschäftig nach einem Besen, um die Glassplitter zusammenzukehren.

»Mach das morgen, Merc«, sagte Ferat, der mit einem Mal erschöpft wirkte. »Fahr nach Hause und schlaf dich aus. Das kann solange warten.«

Er wandte sich ab, um zu den Partygästen aufzuschließen. An der Tür hielt er nochmals inne.

»Was ist, wenn das Ding wiederkommt?«

»Wir machen das Loch dicht. Hier wird alles verrammelt.«

»Lässt es sich davon aufhalten?«

Nein, eher nicht. So funktionierte das meist nicht.

»Hoffen wir einfach, dass es nicht zurückkommt.«

Ferat nickte, dann zog er die Tür auf und verließ den Personalraum. Mercurius stieß die Luft aus. Was für ein Chaos. Dann nahm er sich zusammen, fegte die Scherben in eine Ecke, räumte Putzmittel zurück in den Schrank und schnappte sich die Anzugjacke. Um den Rest würde er sich morgen kümmern.

Auf dem Weg durch den Club entdeckte er auf der Tanzfläche das Mädel aus dem Personalraum. Sie wirkte, als würde sie komplett aufgehen in der wogenden Masse der Tanzenden. Merkwürdig. Sie schien richtig hierherzugehören, ein fester Bestandteil des Clubs zu sein.

Das versetzte ihm einen Stich. Der Club war sein Projekt mit Ferat, sein Zuhause. Der einzige Ort, wo er mit offenen Armen empfangen wurde. Und trotzdem fühlte er sich stets fremd. Er wünschte, er könnte so in dieser Welt aufgehen wie das Mädel auf der Tanzfläche.

Sie hob plötzlich den Kopf, und ihre Blicke trafen sich. Sie erinnerte sich nicht an das Geschehen im Personalraum. Dann war sie wieder in der Menge abgetaucht und eins geworden mit ihrer Umgebung.

Draußen vor dem Einlass wurde es hell. Vögel zwitscherten wie verrückt, der Tag zog am Horizont hellblau und orangefarben herauf. In der Schlange vorm Eingang standen immer noch eine Menge Leute. Versteckten sich hinter Sonnenbrillen und hochgeschlagenen Kragen, wollten möglichst schnell eintauchen in den warmen Uterus des Nachtclubs, wo die Party trotz des neuen Tages weiterging.

Er schloss sein Rennrad auf. Schwang sich auf den Sattel, warf einen Blick zurück auf das Industriegebäude und die Schlange der wartenden Partyleute.

Na dann , dachte er und trat in die Pedalen. Er wollte dringend ins Bett, auch wenn er wenig Hoffnung hatte, dass er nach allem, was er in dieser Nacht gesehen hatte, leicht in den Schlaf finden würde.

***

Die beiden Männer in dem weißen Lieferwagen, der verborgen hinter einer Mauer an der Auffahrt zum Club stand, blickten dem Rennrad nach, das in Richtung Spree davonfuhr. Sie wechselten einen Blick, sprachen nicht.

Der Fahrer fasste nach dem Zündschlüssel und war im Begriff, den Motor anzulassen, da begann auf dem Armaturenbrett ein Handy zu läuten. Er schnappte es sich und nahm das Gespräch entgegen.

»Was ist los bei euch?«, bellte eine Stimme. »Wieso höre ich nichts?«

»Wir stehen noch vor dem Nachtclub.«

»Ich nehme an, ihr habt die Sache im Griff?«

Der Fahrer zögerte kurz. »Natürlich.«

Eisiges Schweigen breitete sich aus. Schließlich fragte die Stimme am anderen Ende: »Haben wir ein Problem?«

Die beiden Männer sahen sich mit versteinerten Mienen an.

»Nein«, sagte der Fahrer, woraufhin der andere kaum merkbar nickte. »Wir melden uns.«

Das Gespräch war beendet. Das Handy flog zurück auf das Armaturenbrett. Der Fahrer startete den Motor, warf seinem Beifahrer einen Blick zu, dann fuhr er los und nahm die Verfolgung des Rennrads auf.

5

Achtzehn Jahre zuvor

Mercurius war furchtbar aufgeregt, als er die Villa wieder besuchen durfte. Ob Yava zu Hause war? Hinter den Sprossenfenstern im ersten Stock regte sich nichts. Sie traten an die barocken Eingangstüren, die aufwändig gearbeitet waren und schwungvolle Ornamente zeigten. Der Türknauf hatte die Form eines Gesichts. Mercurius hätte sich nicht getraut, den anzufassen. Seine Nanny dagegen griff entschlossen zu.

»Lass mich zuerst mit Agnes reden«, ermahnte sie etwas nervös. »Sei still, bis ich alles geklärt habe.«

Die Eingangshalle war groß und hell, mit Gemälden und einer Freitreppe, mit einem Säulengang im ersten Geschoss und zahllosen Marmorstatuen. Am brennenden Kamin hockte eine transparente, steinern wirkende Gestalt, die unbewegt in die Flammen starrte.

»Hallo Undine«, rief sein Kindermädchen laut und betonte jede Silbe. »Ich bin Hedwig, die Nanny. Weißt du noch? Ich besuche Agnes.«

Die gespenstische Gestalt reagierte nicht.

»Die Ärmste. Sie ist völlig verwirrt.«

»Seid ihr verwandt?«

Sein Kindermädchen lachte. »Ich und Undine? Nein, sie ist ein Wassergeist. Und uralt. Wir haben sie in einem Abwassergraben gefunden, da war sie schon halb tot. Die Ärmste. Du siehst ja, wie durchscheinend sie ist.«

Undine starrte unverändert ins Feuer, teilnahmslos.

»Warte hier in der Halle, mein Junge. Ich rede mit Agnes.«

Seine Nanny verschwand durch eine hohe Tür, und Mercurius blieb allein zurück. Allein mit Undine. Die graue Gestalt hielt den Kopf weiterhin auf die Flammen gerichtet, dabei musterte sie Mercurius aus dem Augenwinkel. Mit dunklen und unverwandten Blicken.

»Hallo«, sagte er unbehaglich. »Ich bin Mercurius.«

Der Blick der Gestalt hatte etwas Hypnotisches. Die Umgebung veränderte sich. Es wurde dunkel und neblig, Mondlicht fiel auf ihn herab. Mercurius befand sich in einer nächtlichen Sumpflandschaft. Verkrüppelte Äste ragten aus dem Nebel, schwarzes Sumpfwasser lag starr zwischen Grasbüscheln, ein Käuzchen rief.

Mercurius blickte sich erschrocken um. Wie war er hierhergelangt? Alles war real. Er spürte die Feuchtigkeit und die Kälte. Im Sumpf stand neben einem steinernen Brunnen Undine. Nur war sie jung und bildschön. Ihr silbriges Haar schwebte in der Luft, als wäre sie unter Wasser. Die Augen leuchteten unheilbringend. Sie winkte ihn heran, lockte und köderte ihn. Mercurius wollte nicht. Sein Körper bewegte sich trotzdem.

Fließend deutete Undine auf den Brunnen, aus dem glasklares Wasser sprudelte. Sie lud ihn ein, zu trinken. Da war plötzlich dieser unstillbare Durst. Nichts wünschte er mehr, als einen Schluck des köstlichen, frischen …

Ein lautes Geräusch ertönte. Wie ein überdimensionaler Reißverschluss, der aufgezogen wurde. Agnes kletterte in die Traumwelt herein.

»Bist du hier, Junge?« Sie blickte sich im Mondlicht um. »Ah, ein Glück. Mercurius, du darfst auf keinen Fall von dem Wasser trinken. Und du, Undine, du solltest dich was schämen! Er ist unser Gast.«

Mercurius hatte keine Kontrolle über seinen Körper. Er erreichte den Brunnen. Spürte die Kühle des plätschernden Wassers. Wenn er nur ein winziges Schlückchen …

»Junge, das war kein Witz. Trink nicht aus dem Brunnen, hörst du?«

Er spürte das Wasser in der hohlen Hand, er hatte so einen schrecklichen Durst.

»Verflucht noch mal.« Agnes Stimme wurde laut: »Böse Geister, ich verbiete euch im Namen der Dreifaltigkeit mein Blut und mein Fleisch, meinen Leib, meine Seele …«

Die Traumwelt löste sich auf wie eine Seifenblase. Mercurius stand in der taghellen Eingangshalle. Undine hockte wie ein Gespenst am Feuer und starrte in die Flammen, als sei nichts gewesen.

»Man kann ihren Zauber mit christlichen Gebeten auflösen«, sagte Agnes kopfschüttelnd. »Ehrlich, ich weiß nicht, woher sie das hat. Irgendwer muss ihr das in den Kopf gesetzt haben.« Freundlich sagte sie zu ihm: »Wenn sie dich wieder einfängt, bete ein Ave-Maria. Das müsste reichen. Du siehst, sie ist ganz harmlos.«

Mercurius hatte keine Ahnung, wie man ein Ave-Maria betete.

»Was wäre, wenn ich aus dem Brunnen getrunken hätte?«

»Dann würdest du jetzt Undine gehören.«

Agnes bemerkte, wie schockiert er war.

»Bist du dir immer noch sicher, dass du nicht vergessen möchtest?«, fragte sie mit erhobener Augenbraue.

Einen Moment lang war es Mercurius nicht. Da hörte er einen betont empörten Seufzer aus dem Säulengang. Es war Yava, die zu ihm herabblickte. Er war sofort außer sich vor Freude. Natürlich wollte er nicht vergessen, dass er eine Freundin gefunden hatte.